Georg Ebers
Ein Wort
Georg Ebers

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Neunzehntes Kapitel

Eine halbe Stunde vor Mitternacht bestieg der Meister die Kalesche und Ulrich Navarrete den andalusischen Schimmel.

Moor hatte schon in der Werkstätte tief bewegt von seinem Pflegling Abschied genommen, ihm als Reisegeld und für alle Fälle einen Beutel mit Gold übergeben und ihm gesagt, daß er bei ihm in Flandern stets ein Heim, einen Vater, Liebe und Lehre finden werde.

Vor dem Palaste Don Fabbrizios stieg der Maler aus; um weniges später zog Ulrich das Leder vor dem Verschlag der Kalesche geräuschvoll zu und rief dann dem Kutscher, der Moor schon manchmal, wenn er unerwartet auf ein Lustschloß des Königs entboten worden war, bei Nacht gefahren hatte, ein »Vorwärts!« zu.

Am Tore wurden sie angehalten, aber die Wächter kannten die Kalesche des Günstlings und seinen blonden Schüler, bewilligten diesem das Geleit, das er für seinen Meister verlangte, und so ging es vorwärts; erst eilig, dann mit guter Rast für die Pferde. Dem Kutscher sagte er, Moor sei auf der zweiten Station ausgestiegen und werde mit Seiner Majestät bis Avila reiten. Dort wünsche er den Wagen zu finden.

Auf dem ganzen Wege dachte er wenig an sich selbst und desto mehr an den Meister. Wenn die Häscher am Morgen nach der Abfahrt aufgebrochen und ihm statt dem Reisezuge Don Fabbrizios gefolgt waren, konnte Moor jetzt schon gerettet sein. Er kannte die Namen der auf dem Wege nach Valencia liegenden Städte und dachte: jetzt kann er hier, jetzt kann er dort sein, nun muß er sich Tarancon nähern.

Am Abend ward die berühmte Festung Avila erreicht, wo er der Verabredung gemäß das Fuhrwerk verlassen und versuchen sollte, auf eigene Hand zu entkommen. Der Weg führte durch den von hohen Mauern und tiefen Gräben rings umgürteten Ort. Es gab keine Möglichkeit, ihn zu umgehen; und doch war die Zugbrücke schon aufgezogen und das Tor verschlossen; so rief er denn den Wächter kecklich an und zeigte den Paß.

Ein Offizier verlangte den Maler zu sehen. Ulrich versicherte, daß er ihm nachfolgen werde; doch der Soldat gab sich nicht zufrieden und befahl ihm abzusteigen und ihm zu dem Kommandanten zu folgen.

Da schlug Ulrich dem Andalusier die Sporen in die Flanken und suchte auf dem Weg, den er gekommen, das Weite. Aber das Roß hatte den Lauf kaum begonnen, als ein Schuß fiel, der es zu Boden streckte. Der Reiter wurde als Gefangener in die Wache geschleppt und einem peinlichen Verhör unterzogen.

Der Verdacht lag nahe, daß er Moor erschlagen und sich seiner Barschaft bemächtigt habe, denn man hatte den mit Dukaten gefüllten Beutel bei ihm gefunden. Während man ihm Ketten anlegte, zogen die Häscher in Avila ein.

Ein neues Verhör begann und nun folgte Prüfung auf Prüfung, Marter auf Marter.

Schon zu Avila wurde ihm ein Sack über den Kopf geworfen. Man öffnete ihn nur, wenn man ihn, um ihn am Leben zu erhalten, mit Wasser und Brot speiste. Fest an einen mit Maultieren bespannten zweirädrigen Karren geschnürt, schleppte man ihn über Stock und Stein nach Madrid.

Oft meinte er im Dunkeln, mit gehemmtem Atem, gestoßen, geschleudert, keines Gedankens, selbst der Stimme nicht mächtig, vergehen, ersticken, enden zu müssen, und doch erbarmte sich keine Ohnmacht, kein Augenblick völliger Besinnungslosigkeit und noch weniger ein mitleidiges Menschenherz seiner Qualen.

Endlich, endlich band man ihn los und führte ihn, immer noch mit verhülltem Haupte, in einen kleinen dunklen Raum. Hier wurde er zwar von dem Sacke befreit, doch mit neuen Ketten belastet.

Als er allein war und die Fähigkeit zu denken und zu überlegen zurückerlangt hatte, gewann er die Überzeugung, daß er sich in einem Kerker der Inquisition befinde. Das waren die feuchten Mauern, das die hölzernen Schlafbänke, dies war die Fensteröffnung in der Decke, von der er gehört hatte. Er sollte bald erfahren, daß er richtig vermutet.

Acht Tage gönnte man seinem Körper Ruhe, aber während dieser gräßlichen Woche hörte er nicht auf, sich einen Verräter zu schelten und das Geschick zu verwünschen, das ihn nun schon zum zweiten Male mißbrauchte, um einen Freund und Wohltäter ins Verderben zu stürzen. Er verfluchte sich selbst, und wenn er an das »Wort« dachte, »das Glück, das Glück!« knirschte er höhnisch mit den Zähnen und ballte die Faust.

Seine junge Seele war ganz umdüstert, verbittert, aus den Fugen gestoßen. Er sah keine Rettung, keine Hoffnung, keinen Trost. Er versuchte zu beten, zu Gott, zu Jesus Christus, zu der Jungfrau, den Heiligen, aber sie standen ihm alle mit erstorbenen Zügen und lahmen Armen vor Augen. Für ihn, der seine Sache auf das Glück gestellt und wie ein Sinnloser gehandelt hatte, besaßen sie kein Erbarmen, kein Mitleid, wollten sie die Hände nicht rühren.

Aber bald kehrte ihm die alte Lebenskraft und mit ihr der Mut zurück, die Seele im Gebet zu erheben. Im Verhör, bei der Folter gewann er sie wieder. –

Wochen und Monate vergingen. Er saß immer noch in der dumpfen Zelle, mit Ketten beladen, mit Wasser und Brot dürftig gespeist, den Tod vor Augen; aber ein frischer, gesunder Trotz und rüstiger Wille zu leben beseelten nun den mit sich selbst versöhnten Jüngling. Auf der Folterbank hatte er das Recht zurückgewonnen, sich selbst zu achten, und sich das Lob des Meisters, die Billigung der Lebenden und seiner Verstorbenen erstritten.

Noch brannten die Wunden an den armen, gequetschten, zerfleischten Händen und Füßen. Der Arzt hatte sie gesehen, und als sie zuheilten, das Haupt verwundert geschüttelt.

Ulrich freute sich seiner Narben, denn im Bock und in den spanischen Stiefeln, auf Nägeln und der kantigen Bank, im eisernen Halsband und mit dem erstickenden Helm auf dem Haupte, hatte er standhaft verschwiegen, durch wen und wohin der Meister entwichen.

Sie mochten nur wiederkommen und ihn sengen und spießen; durch ihn sollten sie sicher nichts erfahren, nicht so viel! Es war ihm kaum bewußt, daß er ein Recht auf Vergebung habe; doch er fühlte es: er war gesühnt!

Und nun konnte er auch wieder an die Vergangenheit denken. Die heilige Jungfrau trug wieder die Züge seiner verlorenen Mutter, sein Vater, Ruth, Pellicanus, Moor schauten ihm freundlich ins Antlitz. Aber das hellste Licht schien in der dunklen Kerkernacht in seine Seele, wenn er der Kunst und seines letzten Werkes gedachte. Das stand greifbar deutlich, farbig, wie auf der Leinwand, Zug für Zug vor ihm und er pries sich glücklich, daß er's zustande gebracht, und er würde noch einmal und zweimal und dreimal in die Folterkammer gegangen sein, wenn er dadurch die Sicherheit erlangt hätte, noch andere Werke wie dies und vielleicht noch edlere, schönere zu schaffen.

»Die Kunst! die Kunst!« Vielleicht war das das »Wort«, und wenn nicht, so war sie doch das Höchste, das Köstlichste, das Reizvollste im Leben, neben dem alles andere klein, erbärmlich und fade erschien. Mit welch einem andern Worte konnte Gott die Welt, die Menschen, die Tiere und Pflanzen erschaffen haben, als mit ihm? Der Doktor hatte oft jede Blume, jeden Käfer ein Kunstwerk genannt, und Ulrich verstand jetzt durchaus seine Meinung und konnte sich vorstellen, wie der Allmächtige mit dem Schaffensdurst und dem Gestaltungsvermögen des größten aller Künstler die Riesenkörper der Gestirne gebildet, den Himmel mit leuchtendem Blau grundiert, die Berge gezackt und gerundet, allem, was läuft und kriecht und fliegt und grünt und blüht, Form und Farbe gegeben und dem Menschen nach seinem eigenen Bilde die Gestalt der Gestalten verliehen habe.

Wie wundervoll wollten ihm in der Einsamkeit des dunklen Kerkers die Werke Gottes erscheinen, und wenn die Welt schön war, so war sie sein Kunstwerk!

Himmel und Erde kannten kein größeres, mächtigeres. Schöneres wirkendes Wort als: die Kunst. Was waren gegen seine Gaben die elenden, trügerischen Geschenke des Glücks: bunte Kleider, gepfefferte Speisen, prunkende Zimmer und winkende Blicke aus schönen Augen, die jedem entgegenlachen, der ihnen gefällt! In die Luft blasen wollt' er sie alle für den Beistand der Kunst bei freudigem Schaffen. Lieber, tausendmal lieber Bettelbrot essen und in der Kunst Großes erreichen, als im Glücke prassen und schwelgen!

Farben, Farben, Leinwand, ein Vorbild wie Sofonisba und Gelingen im Reiche der Kunst! Das war es, wonach er sich sehnte, was ihn mit so heißem, leidenschaftlichem Verlangen nach Erlösung, nach Freiheit lechzen ließ.

Die Monde verflossen, und sie reiften Ulrich so schnell, als wären es Jahre; aber es ward in ihnen die Neigung, sich in sich selbst zurückzuziehen, in starre Abgeschlossenheit verhärtet.

Endlich kam der Tag, an dem sich ihm durch den Einfluß der Marquesa Romero die Tore des Kerkers öffneten.

Kurz, nach einer scharfen Mahnung, beim nächsten Verhör von seiner Verstocktheit zu lassen, wurde ihm plötzlich mitgeteilt, daß er frei sei. Der Schließer nahm ihm die Ketten ab und half ihm das Gefangenenkleid mit dem Anzug vertauschen, in dem er ergriffen worden war, dann warfen ihm Vermummte einen Sack über den Kopf und führten ihn über Treppen und Pflaster, durch Staub und Rasen in den kleinen Hof eines verlassenen Vorstadthauses. Dort verließen sie ihn, und bald hatte er das Haupt von der Umhüllung befreit.

Wie mundete ihm die freie Gottesluft, wie hob sich ihm die Brust so froh und dankbar! Er streckte die Arme weit aus, wie ein Vogel, der sich zum Fluge bereitet, schlug dann die Hände vor die Stirn und stürzte endlich, als werde er zum zweiten Male verfolgt, aus dem Hof in die Straße.

Die Vorübergehenden schauten ihm kopfschüttelnd nach, und er bot auch einen befremdlichen Anblick, denn der Anzug, in dem er vor langen Monden geflohen war, hatte bei der Fahrt von Avila großen Schaden gelitten; der Hut war unterwegs abhanden gekommen und durch keinen neuen ersetzt worden. Manschetten und Kragen, die zu seinem Habit gehörten, fehlten durchaus, das volle blonde Haar hing ihm verwildert über Nacken und Schläfen, sein rosiges, volles Antlitz war schmäler geworden, seine Augen schienen sich vergrößert zu halben, und an Lippe und Kinn war im Gefängnis ein weiches Bärtchen erwachsen.

Er zählte nun achtzehn Jahre, aber er sah älter aus, und der Ernst, der ihm auf der Stirn lag und aus den Augen schaute, gab ihm das Ansehen eines Mannes.

Ohne zu fragen, wohin, war er vorwärts gelaufen. Nun erreichte er eine belebte Straße und hemmte den Schritt. War er in Madrid? Ja, denn dort blaute die Guadarramakette, er kannte sie wohl. Das waren die kleinen Bäume, über die der Schwarzwälder oft gelächelt hatte und die ihm heute groß und prächtig erschienen. Nun stolzierte auch ein Toreador, den er mehr als einmal in der Arena bewundert, an ihm vorüber. Dies war das Tor, wodurch er neben der Kalesche des Meisters Madrid verlassen.

Er mußte in die Stadt, aber was sollte er dort beginnen?

Ob man ihm mit den Kleidern das Gold des Meisters zurückgegeben?

Er durchsuchte die Taschen, aber statt des vollen Beutels fand er nur einige große Silberstücke, von denen er gewiß wußte, daß er sie bei der Gefangennahme nicht besessen.

In einer Garküche hinter dem Tore genoß er nach langer Entbehrung Fleisch und Wein, und dabei besann er sich und beschloß, Don Fabbrizio aufzusuchen.

Der Torhüter wies ihn ab, nachdem er aber seinen Namen genannt hatte, lud er ihn freundlich ein in den Vorhof und teilte ihm mit, daß der Herr sich mit der Frau Gemahlin auf dem Lande bei der Marquesa Romero befinde. Dienstag würden die Herrschaften zurückerwartet und ihn wohl auch empfangen, denn sie hätten schon mehrmals nach ihm gefragt.

Der junge Herr komme doch wohl aus der Fremde; in Madrid sei es Sitte, Hüte zu tragen.

Da bemerkte Ulrich, was ihm fehle, aber bevor er weiterging, um es zu ergänzen, fragte er den andern, ob er wisse, was aus dem Meister Moor geworden.

Gerettet! Er war gerettet! Vor mehreren Wochen hatte Donna Sofonisba einen Brief von ihm aus Flandern erhalten, und der Gewährsmann Ulrichs war wohl unterrichtet, denn sein Weib bediente als Doncella die Person der Baronin.

Glückselig, außer sich vor heller, herzerwärmender Freude eilte der Befreite von dannen, kaufte sich schnell ein neues Barett und suchte dann den Alkazar auf.

Vor dem Schatzhause stand an Stelle des alten Santo, des Vaters der schönen Carmen, ein großer, breiter Portero, noch jung von Jahren, und wies ihn schroff ab.

Meister Moor, schalt der Torhüter, sei längst nicht mehr da; den Herren Malern pflege das Hemd nicht aus dem Ärmel zu schauen, und wenn er nicht ginge, so würde er ihn fassen und in die Wache stecken, wohin er wahrscheinlich gehöre.

Unwillig und stolz wies Ulrich die beleidigenden Worte des Torhüters zurück, denn er war nicht mehr der gefügige Knabe von früher, und bald gewann der Streit ein ernsteres Ansehen.

Da trat aus dem Tor des Schatzhauses ein zierliches Weibchen, sauber für den Abendspaziergang geputzt, die Mantilla auf den Locken, eine Granatblüte im Haar und eine andere im Busen. Fächerwedelnd und wie eine Bachstelze auf den Stöckeln unter den kleinen Schuhen herantrippelnd und schwänzelnd kam sie gerade auf die Streitenden zu.

Ulrich erkannte sie sogleich: es war Carmen, die schöne Stickerin aus der Muschelgrotte im Park, nunmehr die Gattin des neuen Portero, welcher mit der Tochter zugleich auch das Amt seines verstorbenen Vorgängers erfreit hatte.

»Carmen!« rief Ulrich, sobald er das hübsche Frauchen bemerkte, und fügte dann zuversichtlich hinzu: »Dies Fräulein kennt mich.«

»Ich?« fragte die junge Frau und rümpfte das Näschen, während sie die ärmliche Tracht des lang aufgeschossenen Gesellen betrachtete. »Wer seid Ihr?«

»Meister Moors Schüler, Ulrich Navarrete; wißt Ihr nicht mehr?«

»Ich, ich? Ihr müßt Euch wohl irren!«

Damit schlug sie den Fächer zusammen, daß es laut klappte, und trippelte weiter.

Ulrich zuckte die Achseln und wandte sich dann höflicher als vorher an den Portero, und diesmal sollte er zum Ziele gelangen; denn der Leibdiener des Malers Coello trat aus dem Schatzhause und zeigte sich gern bereit, ihn bei seinem Herrn zu melden, der nunmehr als Hofmaler Moors Quartier inne hatte.

Ulrich folgte dem freundlichen Pablo in den Palast, und bei jeder Stufe, die er erstieg, mußte er des Meisters und früherer Tage gedenken.

Wie er endlich im Vorzimmer stand und der Geruch der frischen Ölfarbe, die in einem Seitengemache gerieben wurde, ihm in die Nase stieg, sog er ihn nicht weniger wollüstig ein als vor einer Stunde die lang entbehrte freie Gottesluft.

Auf welchen Empfang durfte er rechnen? Wie leicht konnte der Hofmaler sich scheuen, mit dem Pflegling und Schüler des in Ungnade gefallenen Moor in Berührung zu treten. Coello war ein anderer Mann wie der Meister, ein Kind des Augenblicks, jeden Tag anders. Einmal stolz und abweisend, ein anderes Mal ein ausgelassener, lustiger Kumpan, der mit den eigenen Kindern und auch mit ihm wie mit seinesgleichen gescherzt und getobt hatte. Wenn er gerade heute ... Aber Ulrich behielt nicht lange Zeit zu solchen Erwägungen, denn wenige Minuten, nachdem ihn Pablo verlassen, wurde die Tür aufgerissen und die ganze Familie Coello eilte ihm jubelnd entgegen; allen voran Isabella. Sanchez folgte ihr auf dem Fuß, und dann kam der Meister und hinter ihm seine schwerfällige, breit auseinander geflossene Gemahlin, die Ulrich früher nur selten gesehen hatte, weil sie gewöhnt war, den ganzen Tag mit ihrem Hündchen auf dem Ruhebett zu liegen. Ganz zuletzt erschien auch die Duenna Catalina mit einem bittersüßen Lächeln um den Mund.

Dafür war der Empfang, den die anderen ihm boten, um so schrankenloser freudig und herzlich.

Isabella legte ihm die Hände auf den Arm, als ob sie mit ihnen fühlen wolle, daß er wirklich da sei, und schüttelte doch, als sie ihn näher anblickte, den Kopf wie vor etwas Fremdem. Sanchez umarmte ihn und drehte sich mit ihm im Kreise herum, der Vater schüttelte ihm mit vielen guten Worten die Hände, die Mutter wandte sich an die Duenna und rief:

»Heilige Jungfrau, was ist aus dem hübschen Jungen geworden! Wie verhungert er aussieht! Gleich, gleich geht Ihr zu Maestro Diego in die Küche, Catalina, und laßt ihm Essen bringen, Essen und Trinken.«

Endlich zogen und schoben ihn alle in den Wohnraum. Dort warf sich die Mutter gleich wieder auf den Diwan, die anderen aber fragten ihn aus und ließen sich erzählen, wie es ihm ergangen, woher er komme und vieles andere.

Er war nicht mehr hungrig, aber Frau Petra zwang ihn, während des Erzählens einen Kapaun, den er auf dem Schoß halten mußte, neben ihrem Lager aufzuessen.

Aus jedem Gesicht sprach Teilnahme, Billigung, Mitleid, und zuletzt sagte der Vater:

»Jetzt bleiben wir hier, Navarrete. Der König lechzt nach dem Moor, und du bist sicher bei uns wie in Abrahams Schoß. Wir haben für dich zu tun, tüchtig zu tun. Du kommst mir wie vom Himmel gefallen. Ich wollte eben einen Gehilfen aus Venedig verschreiben. Heiliger Jakobo, so kannst du freilich nicht bleiben, aber dank der Madonna und unserem Moor, du brauchst nicht zu sparen. Wir haben es über und über, mein junger Herr. Donna Sofonisba hat mir hundert Zechinen für dich gegeben, da drinnen im Schranke liegen sie und sind gottlob beim Warten nicht ungeduldig geworden. Sie stehen dir zur Verfügung. Dein Meister, mein Meister, aller Bildnismaler herrlicher Meister, unser Moor hat es also verordnet. So gehst du mir nicht mehr über die Straße. Sieh her, Isabella; der Ärmel hier hängt gerade noch an zwei Fäden und der Ellbogen sieht zum Fenster hinaus. Luftig genug ist solch ein Gewand. Du, Sanchez, gleich führst du ihn zu dem Schneider, dem Oliverio, oder ... aber nein, nein; wir bleiben heute alle beisammen. Herrera kommt auch noch vom Eskorial. Nicht wahr, ihr Damen, um des Trägers willen duldet ihr das Gewand? Und dann! Wer soll den Samt und Schnitt für den jungen Stutzer wählen. Er hat immerdar 'was Besonderes getragen. Ich sehe den Meister noch schmunzeln, wenn der da sich recht verschmitzte Puffen und Schlitzen ausgedacht hatte. Gut, daß du da bist, mein Junge! Ein Kalb sollt' ich schlachten, wie der Vater für den verlorenen Sohn; doch wir, wir leben im kleinen. Statt des Rindviehs nur ein Kapaun! ... Aber du trinkst nicht, du trinkst nicht! Isabella schenk ihm ein. Seht nur, seht, die Narben hier auf den Händen und am Halse. Es wird viele Spitzen kosten, die zu verdecken. Nein, nein! Das sind Ehrenmale, und du darfst sie zeigen. Komm her, ich drücke einen Kuß auf die große Narbe am Halse, du tapferer, braver Gesell, und es kommt schon einmal eine Schöne, die es mir nachmacht. Wenn der Antonio nur hier wäre! Da hast du noch einen Kuß für ihn, und noch einen, da, da. Die Kunst gibt ihn dir, die Kunst, der du den Moor erhalten!«

Der Kuß eines Meisters im Namen der Kunst! Der mundete besser als die Lippen der schönen Carmen!

Coello war selbst ein Künstler, ein großer Maler, und er und Moor und der Baumeister Herrera, der bald darauf kam, wo gab es sonst noch Menschen wie sie! So edel, so heiter, so gut konnten die nur sein, die der Kunst, dem Wort der Worte, das Leben weihten.

Wie glückselig ging er zu Bett, wie dankbar berichtete er im Geiste seinen verlorenen Lieben, was ihm heute zuteil geworden, und wie herzensfroh konnte er beten!

Am nächsten Morgen begab er sich mit vollem Beutel in die Stadt und kehrte schön gekleidet und mit fein gestutzten und geordneten Locken zurück. Das keimende Schnurrbärtchen hatte ihm der Peinador keck nach oben gedreht.

Etwas ungelenk und mager erschien er noch immer, aber ein wie stattlicher Mann versprach der hoch aufgeschossene Jüngling zu werden!


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