Georg Ebers
Ein Wort
Georg Ebers

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Viertes Kapitel

Pater Benediktus war heute morgen ein ganz anderer als gestern abend beim Weine und ging kühl und gemessen den Fragen des Schmiedes aus dem Wege, bis dieser den Sohn fortgeschickt hatte.

Ulrich war, ohne auf Widerspruch zu stoßen, dem Vater beim Beschlagen des Goldfuchses behilflich gewesen und hatte den widerspenstigen Hengst mit einigen Strichen über Augen und Nase, kleinen Liebkosungen und freundlichen Worten in wenigen Minuten gefügig gemacht wie ein Lamm. Dem Buben, sagte der Schmied, habe von klein auf kein Roß widerstanden; woran das liege, wisse er selbst nicht. Dem Pater gefielen diese Worte, denn er kannte noch zwei wahre Teufel von widerborstigen Fohlen nur zu genau, und was der Blondkopf in der Schule empfing, dafür konnte er sich im Stalle dankbar erweisen.

Ulrich mußte aufs Kloster, und das erklärte Benediktus, nachdem der Meister sein Werk beendet, kurz und mit aller Bestimmtheit. Um Johannis werde eine Stelle in der Schule frei, und die solle für den Buben offen gehalten werden. Eine große Wohltat! – Welche Aussicht – dort mit vornehmen Genossen auferzogen und auch in der Malerkunst unterwiesen zu werden! Ob er geistlich bleiben oder einen weltlichen Beruf ergreifen solle, darüber ließ sich später reden. In einigen Jahren hatte der Knabe zu wählen und sich ohne Zwang zu entscheiden.

So war alles aufs beste geschlichtet. Man brauchte dem Juden nicht an den Hals, und der gefährdete Sohn des Meisters war wohl geborgen. Einwände ließ der Pater nicht gelten. Entweder kam die Klage gegen den Doktor vor das Kapitel oder Ulrich in die Schule.

In vier Wochen am Johannistag, so bestimmte Benediktus, möge sich der Meister mit seinem Sohne beim Pförtner melden; er müsse doch manchen Gulden beiseite gelegt haben, und es bleibe ihm Zeit genug, dem Buben Schuhe und ein gutes Habit zu schaffen, damit er auch in der Kleidung neben den anderen mit Ehren bestehe.

Dem Schmied war bei dieser Verhandlung zumute wie dem Wild, das sich im Garn des Jägers verfängt, und er fand kein entschiedenes »Ja« oder »Nein«. Der Mönch bestand auch nicht auf ein bindendes Wort, aber als er von dannen ritt, sagte er sich, daß er eine Seele den Klauen des Satans entrissen und für die Klosterschule und seinen Stall einen guten Fang getan habe. Dies machte ihn fröhlich.

Adam blieb allein beim Feuer zurück. Sonst hatte er oft, wenn das Herz ihm schwer gewesen, den großen Hammer ergriffen und sein Weh durch harte Arbeit übertäubt, aber heut ließ er das Werkzeug liegen, denn das Gefühl der Ohnmacht und Willenlosigkeit lähmte ihm die rüstige Kraft. Gesenkten Hauptes, wie gebrochen, stand er da. Bestimmte in Worten ausdrückbare Gedanken waren es nicht, die ihn bewegten, wohl aber zeigte sich vor seinen inneren Augen das Bild der verödeten Schmiede, in der er allein, ganz allein am Feuer stand ohne Ulrich. Einmal flog ihm durch den Sinn, sein Haus zu schließen, den Knaben bei der Hand zu nehmen und in die Welt hinauszuwandern. Aber was kam dann über den Juden, und wie konnte er fort von hier? Wo sollte die Elende, die verfluchte holdselige Sünderin ihn dann wiederfinden, wenn sie ihn suchte?

Ulrich war längst ins Freie gelaufen, oder hatte er sich doch noch zu dem Doktor in die Lektion begeben? Bei diesem Gedanken schrak er zusammen. Wie ein aus dem Schlaf erwachter Träumer fuhr er mit den Händen über die Augen und begab sich in das Schlafzimmer. Dort warf er den Schurz ab, säuberte Antlitz und Hände von dem Ruß der Schmiede, tat sein bürgerliches Gewand an, das er nur beim Kirchgang trug oder wenn er den Doktor besuchte, und trat auf die Straße.

Das Gewitter hatte die Luft geklärt, und die Morgensonne schien freundlich auf die Schindeldächer der armseligen Häuser am Richtberg. Ihre Strahlen spiegelten sich in den kleinen runden Scheiben der Hüttenfenster und umspielten die Wipfel des Waldes am Saume der Schlucht.

Die frisch belaubten Kronen der Buchen leuchteten so heiter und in so hellem Grün aus dem dunkeln Nadelholze hervor, als hätte der Lenz sie als Wahrzeichen seiner Herrschaft zu den ernsten Genossen des Winters gesellt; aber auch an den Tannen war er nicht vorübergegangen, und wo sein Finger die Spitzen der Zweige segnend berührt hatte, da sproßte ein zarter junger Trieb, frisch wie Gräser am Bach und grün wie Chrysopras und Smaragd.

Im Inneren des Waldes war es so morgendlich still und doch so lebensvoll und reich an Gesang und Gezirp, an Flötenklang und Gezwitscher. Blaues Himmelslicht fiel durch die Gipfel, und in allen Zweigen, an den Stämmen, am Boden webte und wogte goldener Sonnenglanz, als habe er sich im Walde verfangen und vermöge nimmer den Ausgang zu finden. Der Schatten der hohen Stämme lag in luftigen Streifen über dem Buschwerk, dem saftigen Moos und den Farnwedeln am Boden, und an Gräsern und Kräutern hing frischer Tau.

Zu Ostern hatte die Natur ihr Auferstehungsfest gefeiert, und übermorgen sollte die frohe Pfingstzeit beginnen. Aus dem Stumpf jedes gemordeten Baumes sproßt neues grünes Leben; auch der Felsblock gewährt hundert Wurzeln Halt, und eine moosige Decke und ein Netz von dornigen Ranken hat sich um ihn geschmiegt. Die Waldrebe schwingt sich keck an manchem Stamme empor, am Heidelbeerkraut bilden sich schon Früchte, aber sie schimmern jetzt noch in zartem Rosenrot mit Maigrün vermischt. Tausend Blumen, bunterlei in Weiß und Rot und Gelb und Blau, haben die Glocken an die schlanken Stengel gehängt, die Kelche den Bienen geöffnet, die Sterne zum Schmuck des Waldteppichs entfaltet oder sich stolz wie Kerzen in die Höhe gestreckt. Nach dem erquicklichen Regen sind graue Pilzzwerge schnell aufgeschossen und scharen sich um die rotkäppigen Riesen unter den Schwämmen. Und unter und über und um all den üppigen Wuchs hüpfen und kriechen, fliegen und flattern, summen und zirpen Millionen kleiner, kurzlebiger Geschöpfe. Aber wer achtet ihrer an einem sonnigen Lenzmorgen im Walde, wenn die Vögel so liebesselig singen, flöten, schlagen, hacken, girren und rufen ?

Murmelnd und plätschernd jagt der Waldbach in jähem Falle über Felsen und zwischen moosigen Blöcken und glatten Steinen zu Tale. Das eilende Wasser lebt, und in ihm leben seine munteren Bewohner, an seinen Seiten wuchert frisches Pflanzenleben vom Quell bis zum Ende, und über ihm und um ihn sonnt und erfrischt sich ein drittes Geschlecht von lebenden Kreaturen und flattert und summt und zieht zarte seidige Fäden.

Inmitten einer runden, rings von dichtem Gehölz umgebenen Lichtung raucht ein Meiler. Hier atmet es sich weniger leicht als drunten im Holz. Wo die Natur sich selbst überlassen waltet, weiß sie die Schönheit und Reinheit zu wahren, aber wo der Mensch sie berührt, wird jene verstümmelt und diese getrübt.

Es ist, als wollte die Morgensonne dem Qualm des schwelenden Holzes wehren, zum blauen Himmel frei aufzusteigen. Kleine Rauchwölkchen schweben über den feuchten, grasigen Boden, die faulenden Baumstümpfe, die hoch aufgestapelten Scheiter und Reisighaufen hin, die den Meiler umgeben. Eine Mooshütte steht am Rande des Waldes, und vor der sitzt Ulrich und spricht mit dem Köhler. Die Leute nennen diesen den »Hangemarx«, und er sieht in seinen grauschwarzen Lumpen ganz aus wie einer, für den es schade ist, daß sich die Natur so frühlingsmäßig schmuck aufputzte. Er hat ein breites Bauerngesicht, der Mund steht ihm schief, und das struppige, blondrote Haar, welches an manchen Stellen aussieht wie verwaschen oder verblichen, hängt ihm so tief in die schmale Stirn, daß es sie ganz verbirgt und die buschigen, schneeweißen Brauen berührt. Unter diesen liegen zwei Augen auf dem Anstand, denn sie sind gut versteckt, aber wenn sie aus dem schmalen Spalt zwischen den Wimperreihen hervorlugen, entgeht ihnen kein Stäubchen. Ulrich schnitzt einen Pfeil und richtet an den Köhler manche Frage, und wenn der sich zum Antworten bereitet, lacht der Bube, denn bevor der Hangemarx reden kann, muß er den schiefen Mund mit drei ruckweisen Bewegungen, an denen auch die Nase und Wangen teilnehmen, in eine wagerechte Stellung bringen.

Es wird heute zwischen den beiden ungleichen Genossen etwas Wichtiges verhandelt.

Nach Feierabend, wenn es dunkelt, soll Ulrich sich wieder bei dem Köhler einfinden. Marx weiß, wo ein stattlicher Rehbock steht, und er wird ihn dem Knaben entgegentreiben, damit er ihn fälle. Der Lammwirt unten in der Stadt hat Wildbret nötig, denn am Dienstag wird die Hochzeit seines Gretels gefeiert. Marx könnte den Bock zwar selber erlegen, aber der Ulrich hat's auch schon gelernt, und wenn es ruchbar wird, woher der Braten gekommen, kann der Köhler ohne Gewissenspein schwören, daß er das Böcklein mitnichten geschossen, sondern es mit dem Pfeil im Blatte gefunden.

Die Leute nennen den Köhler einen Wilderer, und er dankt seinen schlimmen Namen des Hangemarx dem Umstand, daß er, es ist freilich schon lange her, einmal einen Galgen geschmückt hat. Aber er ist doch kein unredlicher Mann und hat nur den kühnen Satz, den, als er noch ein Bub war, ein Bauer und Säuer und Köhler dem andern zuraunte, gar zu treu im Gedächtnis bewahrt: »Wald, Wasser und Weide sind frei.«

Auf diesen Ruf war sein Vater selig dem Bundschuh gefolgt, und er hielt an ihm fest, und mit ihm an der Ansicht, daß alles, was im Walde lebe, ihm so gut gehöre wie der Stadt, dem Ritter oder dem Kloster. Um dieser Ansicht willen war ihm viel Leid widerfahren, und sie trug auch Schuld an dem schiefen Mund und dem üblen Namen, denn als der Bart ihm keimte, war der Herr Vater des regierenden Grafen ihm in den Weg gekommen, nachdem er eben im »freien« Walde ein Schmaltier erlegt hatte. Dem schweren Stück Wildbret wurden nun die Beine mit Seilen zusammengebunden, der Marx aber mußte die Schleife an ihrem Ende wie einen Zaum zwischen die Zähne nehmen und das Tier mit dem Maul auf die Burg ziehen. Dabei war ihm die Wange aufgerissen worden, und der böse Handel hatte ihm übel gefallen und seine Liebe zu dem Grafen nicht sonderlich gestärkt. Als es dann, um weniges später, in Stühlingen losging und er vernahm, daß allerorten die Bauern gegen Adel und Pfaffen aufständen, da folgte er der schwarzrotgelben Hauptfahne und lief erst dem Hans Müller von Bulgenbach und dann dem Jäcklein Rohrbach von Böckingen nach und warf mit dem »hellen Haufen« Stadt und Burg Neuenstein nieder. Zu Weinsberg sah er den Grafen Helfenstein in die Speere rennen und warf mit den anderen die Kappe in die Luft, als die edle Frau Gräfin auf dem Mistkarren an ihm vorbei nach Heilbronn geführt wurde.

Nun sollte der Bauer Herr sein, jahrhundertelanger Zwang sollte gebrochen, unbillige Gülten, Zehnten, Steuern, Frondienste sollten abgetan werden auf immer, und von den zwölf Artikeln, die er mehr als einmal bei der Verlesung vernommen hatte, stand ihm der vierte noch fest im Gedächtnis: »Wild, Vögel und Fische zu fangen steht jedermann frei.« Dazu war ihm mancher Satz aus dem Evangelium zu Ohren gekommen, der dem Reichen nicht wohl will, dem Armen aber das Himmelreich verheißt, und dem Letzten verspricht der Erste zu werden. Unter den Führern glühte wohl mancher in hoher Begeisterung für die Befreiung des armen Volkes aus unerträglicher Knechtschaft und Drangsal, aber wenn Marx und seinesgleichen Weib und Kind verließen und das Leben aufs Spiel setzten, hatten sie nur die Vergangenheit im Sinn und die erlittene Unbill, und es beherrschte sie das grimme Verlangen, die feinen Quälgeister mit den groben Bauernfüßen zu Boden zu treten.

So helle Feuer wie damals hatte der Köhler noch nie entzündet, so fettes Fleisch und so würzigen Wein wie in jener Zeit seiner Tage nicht zu schmecken bekommen, und die Rache, die hatte noch besser gemundet als alles andere! Wenn die Burg zusammengestürzt war und die Edelfrau um Gnade bettelte, dann hatte es den Vorgeschmack des verheißenen Paradieses zu kosten gegeben. Der Teufel hat eben auch sein Eden mit glutroten Rosen; aber sie blühen nicht lange, und wenn sie welken, treiben sie harte Stacheln. Die bekamen die Bauern auch zeitig genug zu spüren, denn bei Sindelfingen fanden sie in dem Hauptmann Georg Truchseß von Waldburg den Meister.

Marx fiel seinen Reisigen in die Hände und wurde an den Galgen geknüpft, aber nur zum Spott und als Warnung für andere; denn bevor es mit ihm und seinen Kumpanen vorbei war, nahmen die Knechte sie wieder ab, schnitten ihnen die Schwurfinger von den Händen und jagten sie mit Rutenstreichen in die alte Knechtschaft zurück.

Als er endlich heimkehrte, war sein Haus den Seinen abgepfändet worden, und er fand sie in tiefem Elend wieder. Da löste der Vater des Schmiedes Adam, dem er früher die Kohlen geliefert, das Haus für ihn ein, gab ihm Arbeit, und als später einmal eine reisige Schar in die Stadt kam, um nach aufsässigen Bauern zu suchen, verwehrte der alte Meister ihm nicht, sich drei Tage lang in seinem Schuppen verborgen zu halten.

Seitdem war alles ruhig in Schwaben, doch mit der Freiheit war es weder im Wald, noch im Wasser, noch auf der Weide etwas geworden.

Marx hatte für sich allein zu sorgen, denn sein Weib war tot und seine Söhne führten als Flößer Tannenstämme nach Mainz und Köln und bisweilen sogar bis nach Holland. Dem Schmied Adam und nur diesem war er zu Dank verpflichtet, und dafür zeigte er sich in seiner Weise erkenntlich, denn er lehrte den Sohn des Meisters allerlei Dinge, welche einem Knaben nichts taugen, wenn sie ihm auch zur Lust gereichen, und dabei vergaß er auch nicht den eigenen Vorteil. Jetzt war Ulrich schon fünfzehn und wußte die Armbrust zu führen und sein Ziel wie ein gelernter Weidmann zu treffen, und weil es dem Jungen an Jagdlust nicht fehlte, gönnte Marx ihm den Spaß. Was er auch immer über das gleiche Recht der Menschen vernommen hatte, impfte er in die Seele des Knaben, und als Ulrich heute zum hundertsten Male seinem Bedenken, ob es denn kein Raub sei, das Wild, das doch dem Grafen gehöre, zu fällen, Worte verliehen hatte, schob der Köhler den Mund zurecht und sagte: »Wald, Wasser und Weide sind frei. Du weißt's ja.«

Der Bube schaute eine Weile überlegend zu Boden und fragte dann: »Auch das Feld?«

»Das Feld?« wiederholte Marx überrascht. »Das Feld? Mit dem Feld hat es eine andere Bewandtnis.« Dabei blinzelte er zu dem Haberfeld hin, auf dem seine Saat schon fröhlich zu keimen begann. »Das Feld, das ist Menschenwerk und gehört dem, der es bestellt hat; aber den Wald und das Wasser und die Weide hat Gott gemacht. Verstehst du? Was Gott für Adam und Eva geschaffen, das ist jedermanns Eigen.«

Als die Sonne höher stand und der Kuckuck die Stimme zu erheben begann, wurde Ulrichs Name im Wald laut und mehrmals schnell hintereinander gerufen. Nun flog der Pfeil, an dem er geschnitzt hatte, in die Ecke, und nach einem eiligen: »Wenn es dämmert, Marxle!« jagte Ulrich in den Forst und hatte bald seine Spielgefährtin Ruth erreicht.

Langsam und froh des herrlichen Morgens schlenderten beide den Bach entlang durch den Wald. Sie pflückten Blumen, um der Mutter einen Strauß nach Hause zu bringen. Die Kleine tat es zierlich mit spitzen Fingern; er wollte ihr helfen und riß mit der ganzen Hand die zarten Stengel buschweise von den Wurzeln. Dabei stand beiden die Zunge nicht still. Er erzählte ihr ruhmredig, daß Pater Benediktus sein Bild ihres Vaters gesehen, es sogleich erkannt und dazu etwas gemurmelt habe. Das Blut der Mutter war mächtig in ihm, seine Vorstellungswelt eine ganz andere als die der engköpfigen Buben vom Richtberg.

Der Vater hatte ihm viel und der Doktor noch viel mehr von der weiten, weiten Welt, von Königen, Künstlern und großen Helden erzählt. Von dem Hangemarx wußte er, daß er gleiches Recht und gleiche Hoheit wie alle anderen Menschen besitze, und die wunderbare Einbildungskraft Ruths bevölkerte auch die seine mit den seltsamsten Gebilden und Gestalten. Sie machte aus Kränzen Königskronen, aus der kleinen Reisighütte, die er hinter dem Hause des Doktors aufgebaut hatte, einen schimmernden Kaiserpalast, aus runden Kieseln Dukaten und goldene Zechinen, aus Brot und Äpfeln fürstliche Mahlzeiten, und wenn sie zwei Schemel vor die hölzerne Bank gestellt hatte, auf der sie mit Ulrich saß, wurde daraus eine silberne Krönungskutsche mit milchweißen Schimmeln davor. Wenn sie die Fee war, mußte er den Zauberer spielen, nannte sie sich die Königin, war er der König.

Wenn Ulrich, um sich auszutoben, mit den Buben vom Richtberge spielte, führte er sie an, von der kleinen Ruth ließ er sich lenken. Er wußte, daß der Doktor ein verachteter Jude und sie ein Judenkind sei, aber sein Vater ehrte den Hebräer, und das Fremdartige, die vornehme, abgeschlossene Stille, die das Haus des einsamen Gelehrten umgab, wirkten seltsam auf ihn.

Wenn er es betrat, so durchschauerte es ihn leise, und es war ihm, als ob er sich in ein verbotenes Heiligtum dränge. Er war der einzige unter all seinen Spielgefährten, welcher diese Schwelle übertreten durfte, und auch das empfand er wie einen Vorzug, denn trotz seiner Jugend fühlte er doch, daß der stille Doktor, der alles kannte, was im Himmel und auf Erden lebte, und dabei so mild und gütig war wie ein Kind, hoch, hoch über den armseligen Schächern stand, die auf dem Richtberg mit schwieligen Händen um das nackte Dasein rangen. Er traute ihm alles zu, selbst das Unerhörte; und auch Ruth war für ihn ganz etwas Besonderes, ein feines Kunstwerk, mit dem man ihm, und ihm allein, zu spielen erlaubte.

Wohl mochte es vorkommen, daß er sie, wenn sie ihn gereizt hatte, ein garstiges Judending schalt, aber es hätte ihn doch kaum gewundert, wenn sie ihm plötzlich als Prinzeß oder Wundervogel vor Augen gestanden hätte.

Als der Richtberg schon dicht unter ihnen lag, setzte sie sich auf einen Stein und legte ihre Blumen in den Schoß. Ulrich warf die seinen hinzu, und als das Sträußchen sich rundete, hielt sie es ihm entgegen, und er meinte, daß es recht hübsch sei, sie aber seufzte laut auf und sagte: »Ich wollte, es wüchsen Rosen im Walde, aber keine flattrigen Heckenrosen, nein, solche, wie sie in Portugal wachsen, voll, rot und mit dem richtigen Duft; es riecht gar nichts besser.«

So ging es immer zwischen den beiden. Sie überflog ihn mit ihrem rastlosen Verlangen und Wünschen, und das lockte ihn dann, ihr zu folgen.

»Eine Rose,« wiederholte Ulrich. »Was für Augen du machst!«

Ihr Wunsch erinnerte ihn an das Zauberwort, von dem sie gestern geredet, und während des ganzen Heimgangs sprachen sie von ihm, und er erzählte, daß er um des Wortes willen dreimal in der Nacht aufgewacht sei. Da fiel sie ihm lebhaft in die Rede und rief:

»Mir ist's auch wieder eingefallen, und wenn einer mir's sagte, jetzt wüßt' ich erst recht, was ich mir wünschte. Wir müßten ganz allein sein auf der Welt, es dürfte keine andere Menschenseele sonst geben als ich und du und mein Vater und meine Mutter.«

»Und mein Müetterl,« fügte Ulrich dringend hinzu.

»Und auch dein Vater.«

»Ja freilich, der auch,« sagte der Knabe, als habe er schnell wieder gutzumachen, was er versäumt.


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