Georg Ebers
Ein Wort
Georg Ebers

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Sechzehntes Kapitel

Ulrich war nun siebzehn Jahre alt, und seit vier Monaten durfte er malen.

Sanchez Coello erschien nur noch selten in der Werkstatt, denn er war zu dem Architekten Herrerra in die Lehre gekommen; Isabella wetteiferte mit Ulrich und wurde von dem Deutschen schnell überflügelt.

Es war, als hätte er die Fähigkeit, den Pinsel zu führen, mit auf die Welt gebracht, und das Mädchen folgte seinen Fortschritten mit ungeheuchelter Freude. Wenn Moor ihn beim Zeichnen hart anließ, wurden ihr die guten Augen feucht, wenn der Meister Ulrichs Farbenstudien schmunzelnd ansah und mit beifälligen Worten Sofonisba wies, wurde sie so froh, als hätte das Lob ihr selbst gegolten.

Die Cremoneserin kam nach wie vor alle Tage ins Schatzhaus, um zu malen, mit Moor zu plaudern oder Schach mit ihm zu spielen; Ulrichs Fortschritte machten ihr Freude, und sie gab ihm manchen nützlichen Wink.

Als der junge Künstler ihr einmal klagte, daß er kein gutes Modell habe, bot sie ihm heiter an, ihm zu sitzen. Das war ein neues, unerwartetes Glück!

Tag und Nacht dachte er an nichts als an Sofonisba.

Die Sitzungen begannen.

Sie erschien in einem roten Kleide mit Goldstickerei. Die hohe weiße Spitzenkrause berührte beinahe die Wangen. Das braune wellige Haar schloß sich dicht um das schöne Oval des Hauptes, der volle Zopf bedeckte in Windungen das Hinterhaupt; kleine Löckchen umspielten das Ohr und paßten gut zu dem liebenswürdigen, schelmischen Zug am Munde, der ihr alle Herzen gewann. Die braunen, klugen Augen zu malen war nichts Leichtes, und sie forderte Ulrich auf, sich mit ihrem kleinen, etwas hervortretenden Kinn, das nichts weniger als schön sei, in acht zu nehmen und ihre ohnehin überhohe und breite Stirn nicht augenfällig zu machen; sie habe das Perlendiadem nur aufgesetzt, um ihm dies zu erleichtern.

Mit feuriger Begeisterung stürzte sich der junge Künstler auf diese Arbeit, und der erste Entwurf gelang über alle Erwartung.

Don Fabbrizio fand das Bild »zum Erschrecken« ähnlich; Moor war nicht unzufrieden, aber er fürchtete, daß die Arbeit des Schülers bei der Ausführung die kecke Frische, die ihr in seinen Augen einen gewissen Reiz verlieh, einbüßen würde, und war darum froh, als die Glocke erklang und bald darauf der König erschien, dem er das Werk Ulrichs zu zeigen gedachte.

Philipp war lange nicht in der Werkstätte gewesen, aber der Meister hatte Ursache, ihn zu erwarten; denn gestern mußte der Monarch einen Brief von seiner Hand erhalten haben, in dem er gebeten wurde, ihn in Gnaden aus Madrid zu entlassen.

Moor war lange genug in Spanien gewesen, und Weib und Kind drängten zur Heimkehr. Dennoch fiel ihm das Scheiden schwer, besonders um Sofonisbas willen; aber gerade weil er empfand, daß sie ihm mehr war als eine geliebte Schülerin und ein teures Kind, hatte er den Aufbruch zu beschleunigen beschlossen.

Alle Anwesenden wurden schnell entfernt, die Riegel vorgeschoben, und Philipp erschien.

Er war bleicher als sonst, angegriffen und müde.

Moor begrüßte ihn ehrerbietig und sagte: »Das Schatzhaus hat Eure Majestät lange entbehrt.«

»Nicht Majestät; für dich bin ich Philipp,« fiel ihm der König ins Wort. »Und du, Meister Antonio, du willst mich verlassen? Nimm den Brief zurück! Jetzt darfst du nicht gehen.«

Und nun erging sich der Monarch, ohne eine Antwort abzuwarten, in Klagen über sein mühevolles, aufreibendes Amt, die Unfähigkeit der Beamten, den Eigennutz, die Bosheit und Gemeinheit der Menschen. Er beklagte, daß Moor ein Niederländer sei und kein Spanier, nannte ihn den einzigen Freund, den er unter dem rebellischen Gesindel in Holland und Flandern besitze, und schnitt ihm das Wort ab, als er für seine Landsleute einzutreten versuchte; aber er versicherte wiederholentlich, daß der Umgang mit ihm seine beste Freude sei, seine einzige, wahre Erholung; Moor müsse bleiben aus Freundschaft, aus Mitleid mit ihm, dem Sklaven im Purpur. Nachdem der Maler versprochen, in den nächsten Tagen nicht wieder von Aufbruch zu reden, begann Philipp an einem Heiligen, den der Künstler vorgezeichnet hatte, zu malen. Nach einer halben Stunde warf er den Pinsel wieder aus der Hand. Er hieß sich pflichtvergessen, weil er seiner Neigung nachgebe, statt im Dienst des Staates und der Kirche das Hirn zu brauchen und die Hände zu rühren. Die Pflicht sei sein Tyrann, sei sein Zwingherr. Wenn der Tagelöhner den Karst über die Schulter werfe, so sei der arme Schächer der Lasten und Sorgen quitt; ihn aber verfolgten sie überall, bei Tag und Nacht. Sein Sohn sei ein Scheusal, seine Untertanen Rebellen oder wedelnde Hunde. Wie Maulwürfe oder sinnlose Stiere untergrüben und bestürmten die Ketzerbanden das Fundament der Throne und den Hort der Gesellschaft: die Kirche. Zertreten, Niederschlagen sei sein Beruf, und Haß sein Lohn auf Erden. Dann schwieg er einen Augenblick, wies gen Himmel und rief wie verzückt: »Dort, dort, bei ihm, bei ihr, bei den Heiligen, für die ich kämpfe!«

In solcher Stimmung war der König selten ins Schatzhaus gekommen. Er schien das auch zu fühlen und sagte, nachdem er sich wieder gesammelt:

»Bis hierher verfolgt mich's, der Farbenduft schlägt heute nicht an. Hast du etwas Neues vollendet?«

Moor wies nun dem Könige zuerst ein Bildnis von der eigenen Hand, und nachdem Philipp dies lange und mit Verständnis betrachtet und klug beurteilt hatte, führte ihn der Maler vor Ulrichs Porträt Sofonisbas und fragte nicht ohne Spannung: »Was sagt Eure Majestät zu diesem Versuche?«

»Hm,« machte der Monarch. »Ein wenig Moor, etwas Tizian und doch auch manches Eigene. Der blaugraue Bleiton hier kommt wohl aus deiner Apotheke. Nichtswürdig ähnlich ist das Ding. Sofonisba, wie sie ein Gärtnerbursch sieht. Wer hat das gemacht?«

»Mein Schüler Ulrich Navarrete.«

»Wie lange malt er?«

»Erst einige Monate, Sire.«

»Und du glaubst, er wird etwas Rechtes?«

»Vielleicht. In manchen Stücken übertrifft er meine Erwartungen, in anderen bleibt er hinter ihnen zurück. Es ist ein eigenartiger Gesell.«

»Immerhin etwas.«

»Für den künftigen Künstler nichts Kleines. Was er mit Eifer beginnt, hat ein großes, vielverheißendes Aussehen; aber bei der Ausführung schrumpft es zusammen. Sein Gemüt ergreift, erbeutet das, was er darzustellen begehrt, mit einem einzigen raschen Griffe ...«

»Etwas zu derb, sollt' ich meinen.«

»In seinen Jahren kein Fehler. Was er besitzt, macht mich weniger besorgt, als was ihm fehlt. Ich kann den sinnenden Künstlergeist noch nicht an ihm entdecken.«

»Du meinst den Geist, der in sich abklärt, was er aufgenommen, und in stiller Erwägung die Linien ordnet und den Farben den rechten Platz anweist, kurz den eigenen Kunstgeist.«

»Auch den Euren, Sire. Würdet Ihr früh zu malen begonnen haben. Ihr hättet das besessen, was Ulrich fehlt.«

»Vielleicht. Sein Mangel ist übrigens einer von denen, der mit den Jahren schwindet. In deiner Schule, mit Eifer und Mühe ...«

»Wird er erwerben, meint Ihr, was ihm gebricht. Das dachte ich gleichfalls! Aber ich sagte es schon: er ist aus wunderlichem Holze geschnitten. Was Ihr mir mehr als einmal zugegeben, wovon wir ausgingen bei hundert Gesprächen – er kann es nicht fassen: die Form ist ihm nicht das Wesen der Kunst.«

Der König zuckte die Achseln und wies sich auf die Stirn; Moor aber fuhr fort: »Alles, was er schafft, soll von vornherein widerspiegeln, was er beim ersten Anschauen des Vorbildes empfand. Manchmal gelingt ihm der erste Wurf, aber wenn er mißglückt, sucht er ohne Rücksicht auf Wahrheit und Treue mit kleinlichen und wunderlichen Hilfsmitteln zustande zu kommen. Empfinden und immer empfinden! Linien und Farben sind alles, sind unsere Worte. Wer die bemeistert, kann auch das Größte mit ihnen sagen.«

»Recht, recht! Laß ihn zeichnen und immerfort zeichnen. Gib ihm Mäuler, Augen und Hände zu malen.«

»Das soll in Antwerpen geschehen.«

»Nichts von Antwerpen! Du bleibst, Antonio, du bleibst. Weib und Kind – alle Ehre! Ich habe das Bildnis deiner Hausfrau gesehen. Gutes, nahrhaftes Brot! Hier hast du Ambrosia und Manna. Du weißt, wen ich meine; Sofonisba ist dir gewogen; die Königin sagt es.«

»Und ich empfind' es mit Dank. Es ist hart, sich von einem gütigen Herrn und einer Sofonisba zu trennen; aber das Brot, Sire, das Brot – es gehört nun einmal zum Leben. Hier lasse ich Freunde, teure Freunde zurück – neue zu finden hält schwer, sehr schwer in meinen Jahren.«

»Das sind auch die meinen, und eben darum bleibst du, wenn du mein Freund bist! Nichts weiter! Auf Wiedersehen, Antonio; vielleicht schon morgen, trotz einem Wust von Geschäften. Glücklicher, der du bist! Bis man Tausend zählt, schwelgst du schon wieder in Farben, und mich, mich drückt das Joch, das eherne Joch.«

Moor glaubte, nachdem ihn der König verlassen, ungestört bei der Arbeit bleiben zu können, und öffnete die Riegel.

Nach Tisch stand er vor der Staffelei und malte, da wurde plötzlich und ohne das gewöhnliche Zeichen die aus dem Gang in das Schatzhaus führende Tür aufgerissen und Philipp trat wiederum in die Werkstatt.

Diesmal waren seine Wangen weniger bleich als am Morgen, und sein Gang zeigte nichts von der gravitätischen Feierlichkeit, die ihm zur zweiten Natur geworden.

Wie heiter, wie fröhlich er aussah!

Aber das stand ihm schlecht.

Es war, als trüge er ein geborgtes, fremdartiges Kleid, in dem er sich nicht frei zu bewegen verstand.

Mit der hocherhabenen Rechten schwenkte er ein Blatt, und während er mit der Linken darauf hinwies, rief er:

»Sie kommen! Diesmal zwei Wunderwerke auf einmal. Unser gnädiger Heiland betend im Gethsemanegarten und dann Diana im Bade. Sieh her, sieh hierher! Schon das ist ein Schatz. Diese Zeilen, sie sind von seiner, von der eigenen Hand Tizians.«

»Ein Greis ohnegleichen,« begann Moor; Philipp aber unterbrach ihn mit Eifer: »Greis, Greis? Ein Jüngling, ein Mann, ein rüstiger Mann. Wie bald zählt er neunzig, und dennoch – dennoch: wer tut es ihm nach?«

Der Monarch war bei den letzten Worten vor das Porträt Sofonisbas getreten und fuhr nun, indem er mit dem ihm eigenen höhnischen Kichern darauf hinwies, heiter fort:

»Da schreit mir gleich die Antwort entgegen. Dieses Rot! Deinem Obenhinaus scheinen die Lorbeeren des Venezianers den Kopf zu verdrehen. Ein gräßliches Bild!«

»So schlecht will mir's nicht scheinen,« entgegnete Moor. »Es steckt sogar etwas drin, das mir zusagt.«

»Dir, dir?« rief Philipp. »Arme Sofonisba! Diese Karfunkelaugen! Und ein Mund, als könnte sie nichts als Zuckerwerk naschen. Ich weiß nicht, was mich heute kitzelt. Her die Palette! Die Formen sind ja so leidlich beisammen, die Farben schreien laut genug. Aber welcher Knabe kann ein ganzes Weib, ein Weib wie deine Freundin, begreifen! Ich übermale das Unding, und wenn es nicht Sofonisba wird, so wird's vielleicht eine Seeschlacht.«

Der König hatte dem Künstler die Palette aus der Hand genommen, tauchte den Pinsel in Farbe und wollte sich lachend ans Werk begeben; Moor aber stellte sich zwischen die Leinwand und ihn und rief heiter: »Bemale mich, Philipp; aber verschone das Bildnis.«

»Nein, nein; es geht an die Seeschlacht,« kicherte der König, und während er den Künstler zurückdrängte, schlug ihn dieser, fortgerissen von der seltenen Ausgelassenheit des Monarchen, mit dem Malerstock leicht auf die Schulter.

Da zuckte der Monarch zusammen, seine Wangen und Lippen erblichen, die kleine, aber vornehme Gestalt richtete sich auf, und im Nu hatte sich die menschlich ungezwungene Haltung in unnahbare, eiskalte Würde verwandelt.

Moor fühlte, was in dem Herrscher vorging.

Ein leiser Schauer überlief ihn, aber sein ruhiger Geist blieb unerschüttert, und bevor der beleidigte Herrscher Zeit fand, seinem Unwillen in Worten Ausdruck zu geben, sagte er schnell, und als habe sich etwas begeben, das der Erwähnung kaum wert sei:

»Unter Kunstgenossen geht es wunderlich her. Der Malerkrieg ist zu Ende! Eröffnet die Seeschlacht, Sire, oder besser, legt in die Mundwinkel mehr Reiz und Feinheit. Der Schüler hat es besonders mit dem Kinn versehen; an dieser Klippe könnten auch Geübtere scheitern. Diese Augen! Vielleicht haben sie einmal so und nicht anders geglänzt, aber darin sind wir ja eins: das Bildnis soll das Original nicht in einem gegebenen Augenblick, von einer bestimmten Empfindung beherrscht, oder bei einer gewissen Handlung darstellen, sondern die Summe des gesamten Tuns und Denkens, der Gesinnung und Handlungsweise des Abgebildeten ziehen. König Philipp, wie er verwickelte politische Kombinationen durchdenkt, das würde ein fesselndes historisches Gemälde geben, aber kein Bildnis –«

»Gewiß nicht,« sagte der König mit leiser Stimme, »das Porträt soll das Innere nach außen kehren; dem meinen muß man auch ansehen, wie innig Philipp die Kunst und seine Künstler liebt. Ich bitte, nimm die Palette! Es ist an dir, dem großen Meister, und nicht an mir, dem überbürdeten, stümpernden Liebhaber, das Werk talentvoller Schüler zu bessern.«

Es hatte etwas schmeichlerisch Süßliches in dem Klang dieser Worte gelegen, und das war dem Maler nicht entgangen.

Philipp war in der Schule der Verstellung längst Meister geworden, aber Moor kannte ihn durch und durch und verstand die Kunst, in den Herzen zu lesen.

Diese Redeweise des Königs erschreckte ihn mehr als ein stürmischer Ausbruch der Wut. So sprach er nur, wenn er verdeckte, was in ihm gärte. Dazu kam etwas anderes. Der Niederländer hatte geflissentlich ein Kunstgespräch begonnen, und es war beinahe unerhört, daß Philipp nicht auf ein solches einging. Der Schlag war kaum fühlbar gewesen, aber die Majestät duldet keine Berührung.

Philipp wollte es jetzt nicht mit dem Künstler verderben, doch er trug ihm das Geschehene nach, und wehe ihm, wenn der Herrscher sich in einer düsteren Stunde der Beleidigung erinnerte, die ihm hier widerfahren! Schon der leiseste Schlag von der Tatze dieses gemessen dahinschleichenden Tigers konnte tiefe Wunden reißen und töten.

Blitzschnell waren diese Gedanken dem Künstler gekommen und spannen sich in ihm fort, als er die Palette ehrerbietig zurückwies und sagte: »Ich bitte Euch, Sire, behaltet Pinsel und Farben und berichtigt, was Euch mißfällt.«

»Das hieße dies ganze Bild übermalen, und meine Zeit ist gemessen,« entgegnete Philipp. »Ihr habt einzustehen für das, was Eure Schüler verbrechen, wie für eigene Versehen. Jedem sei gewährt, gelassen, angetan, was ihm zukommt; nicht wahr, teurer Meister? Auf ein andermal denn. Ihr sollt von mir hören.« In der Tür warf der Monarch dem Künstler noch eine Kußhand zu, dann verschwand er.


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