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In den ersten Tagen des neuen Jahres kehrte Frau Wohlgebrecht nach fast einjähriger Abwesenheit nach Berlin zurück.

Wer der guten Frau vorhergesagt hätte, dass ihre freiwillig übernommene Liebessorge sie so lange von ihrem Berliner Pflichtenkreis fernhalten würde, wäre schlecht bei ihr angekommen. Niemals würde sie es für möglich gehalten haben, dass sie ihr Geschäft so lange im Stich lassen könne, insbesondere da der Schlingel von Gerhart gleichfalls fahnenflüchtig geworden war. Den freilich entschuldigte der grosse Erfolg seines Frühlingsdramas, auf den Frau Wohlgebrecht, trotz all ihrer unverändert bestehenden Antipathie gegen die moderne Richtung in der Literatur, doch unbändig stolz war. Für einen so berühmten Dichter schickte es sich freilich nicht mehr, hinter dem Ladentisch zu stehen und Bücher auszuleihen. In den Gedanken hatte Frau Wohlgebrecht sich in ihrer westpreussischen Verbannung schon gefunden. Aber dass er nicht einmal in Berlin war, als sie jetzt endlich zurückkam, das ging ihr doch gegen den Strich.

Umständlich berichtete der neue Gehilfe, der seine Sache übrigens ganz ordentlich gemacht hatte und in seiner Geschäftspraxis genau so altmodisch war, wie Frau Wohlgebrecht es nur wünschen konnte, dass Herr Schmittlein schon seit Ende November fort sei. Zuerst in Leipzig, wo sein Frühlingsdrama auch ein grosser Erfolg gewesen sei.

Jetzt sei er in München, um dort die Aufführung vorzubereiten. Das Fräulein, das hier die Hauptrolle gespielt habe, sei auch mit, weil sie in München ebenfalls auftreten sollte. Von München aus, so hätte Herr Schmittlein ihm aufgetragen zu sagen, würde er an die Frau Tante ausführlich schreiben. Er würde wohl bis zum Frühjahr dort bleiben. Herr Schmittlein solle, so viel er wisse, da ein neues Theater gründen helfen. Das Theater der Intimen oder so etwas Aehnliches. Er wisse es nicht genau. Nur so viel wisse er, dass es noch freier sein sollte als die freie Bühne hier.

Nun also, wenn es einmal so war, musste sie sich auch darein finden. Frau Wohlgebrecht war nicht die Frau dazu, sich über einmal feststehende Dinge noch den Kopf zu zerbrechen. Behaglich war es ja freilich nicht, jetzt, nachdem sie fast ein Jahr lang in der Familie ihrer Nichte gelebt hatte und an stete Gesellschaft gewöhnt war, hier mit Minna allein zu sitzen. Ordentlich ängstlich sah sie sich in ihrem kleinen Zimmerchen um. Das alte schwarze Rosshaarsofa kam ihr unheimlich gross vor, seit Gerhart nicht mehr in der anderen Ecke sass und mit blassem Gesicht und grossen, brennenden Augen moderne Dichtungen verschlang. Lange würde sie es so nicht aushalten. Das fühlte sie schon am ersten Abend. Am besten wäre es schon, gleich ein Ende zu machen und sich Lotte herum holen zu lassen, nach der sie fast ebenso grosse Sehnsucht empfand wie nach dem treulosen Schlingel, dem Gerhart.

Als Frau Wohlgebrecht Minna den Auftrag gab, zu Fräulein Weiss zu gehen, war sie äusserst betroffen, von dem Mädchen zu hören, dass die Schwestern, die eine seit dreiviertel, die andere seit einem halben Jahre, nicht mehr in der Zimmerstrasse wohnten. Weshalb hatte weder Gerhart noch Lotte ein Wort von diesen Veränderungen geschrieben?

Minna zuckte die Achseln. Sie wisse nichts genaues, aber man rede so allerhand in der Nachbarschaft. Dem Fräulein Lottchen solle es nicht zum besten gehen. Sie habe fast nichts mehr verdient, habe all ihre Sachen verkaufen müssen und sei in eine Dachwohnung weit raus nach Schöneberg gezogen. Jetzt hätte sie schon seit Monaten nichts mehr von ihr gehört. Dem anderen Fräulein ginge es aber dafür desto besser. Die hätte einen Blumenladen in der Potsdamerstrasse und solle ein feines Geschäft machen. Wie das so gekommen sei, könne sie auch nicht sagen. Die Köchin von den Wirtsleuten, bei denen die Fräuleins nebenan gewohnt hätten, würde die Adresse von dem Fräulein wohl kennen – Frau Wohlgebrecht wisse schon, die immer die Bücher austauschen käme – die Jette mit den dicken roten Armen.

Minnas ziemlich teilnahmloser Bericht traf die gutmütige Frau bis ins Herz. So schlecht erging es dem armen Kinde, und sie hatte nichts davon erfahren, hatte nicht raten, nicht helfen können! Wie rasch mochte es da bergab gegangen sein! Als sie vor nun einem Jahr, kurz vor ihrer unerwartet schnellen Abreise nach Westpreussen, mit Lottchen über den Stand ihrer Angelegenheiten gesprochen, hatte es zwar nicht zum besten gestanden, aber von wirklicher Not, von bitterem Elend war doch noch nicht die Rede gewesen. Armes, armes, kleines, verlassenes Ding! Das würde sie dem Gerhart nie verzeihen, dass er sie darüber im unklaren gelassen hatte. Gleich morgen mit dem frühesten wollte sie hinaus und nach Lotte sehen, und wenn's notthat, sie gleich mit sich nehmen. Gerharts Zimmer und Bett war ja frei, und sie brauchte jemand, für den sie sorgen, den sie hegen und pflegen konnte.

Sie schickte Minna sofort zu der Köchin mit den dicken roten Armen herum und liess Lottes Adresse holen.

Das Fräulein soll Monate lang schwer krank gewesen sein, brachte das Mädchen mit dem Bescheid zurück.

Auch das noch, Armut und schwere Krankheit!

Ganz früh machte Frau Wohlgebrecht sich auf, um die weite Reise nach dem Westen anzutreten. Erst aber kaufte sie noch allerhand gute Sachen ein, wie sie sich für eine Rekonvalescentin schicken. Sie wollte ihr Lottchen schon wieder gesund päppeln. Gott weiss, ob der Wurm nicht vor purem Hunger krank geworden war!

Nicht ohne Anstrengung keuchte Frau Wohlgebrecht die vier steilen Treppen, die eigentlich fünf waren, bis, unter das Dach zu Lottes kleiner Wohnung hinauf. Auf den engen, dunklen Treppenflur mündeten zwei Thüren. Die linker Hand trug auf einem aufgeklebten Zettel die Aufschrift: Korn, Schlosser, die andere Lottchens wohlbekanntes weisses Thürschild mit den grossen schwarzen Buchstaben: Charlotte Weiss, Putzmacherin.

Als Frau Wohlgebrecht die Klingel zog, trat ihr eine grosse robuste Person entgegen. Fast schüchtern brachte die kleine Frau ihr Anliegen, Fräulein Weiss zu sprechen, vor.

Die grosse Starkknochige schien trotz ihres gutmütigen Gesichts anfangs davon nicht viel wissen zu wollen. Erst als Frau Wohlgebrecht ihren Namen nannte, zog sie eine willfährigere Miene auf.

»Sie sind die Frau Wohlgebrecht aus der Zimmerstrasse – das ist was anderes. Na, dann treten Sie man näher.« Und leise fügte sie hinzu:

»Aber wundern Sie sich über nichts, und machen Sie keine Bemerkung über Lottchens Aussehen. Das arme Ding ist sehr krank gewesen, von Ende Oktober bis Weihnachten. Sie hat Nervenfieber gehabt, wir haben alle geglaubt, es sei aus mit ihr. Na, nun ist sie ja aber wieder gesund geworden, nur noch ein bischen schwach, das kommt wohl, weil sie noch gar nicht an der Luft gewesen ist.«

Frau Wohlgebrecht stellte ihren Kober bei Seite, wischte sich die Augen aus und trat dann durch das erste ärmliche, aber sauber aufgeräumte Zimmer in die Küche, in der Lotte in einem alten Lehnstuhl sass. Die Küche war der am leichtesten zu erwärmende Raum.

Es war gut, dass die Schlossersfrau es Frau Wohlgebrecht zur Pflicht gemacht hatte, sich über nichts zu wundern und keine Bemerkung zu machen, sie hätte sonst schwerlich ihre Erregung über die Veränderung zurückgehalten, die mit Lotte vorgegangen war.

Sie küsste die schwach Errötende nur, streichelte ihr die Wangen und fragte mit heiserer Stimme, weil ihr die dicken Thränen, die sie nicht weinen durfte, in der Kehle sassen:

»Na, mein Schäfchen, wie geht es denn? Ich höre, Sie sind so krank gewesen? Wie ist das denn so gekommen, mein armes Kind?«

Lotte liefen die Thränen über die eingefallenen Backen und während sie Frau Wohlgebrechts Hand fest umschlossen hielt, bat sie:

»Ach, fragen Sie gar nicht danach, liebe Frau Wohlgebrecht. Ich kann es Ihnen nicht sagen.«

»Das sollen Sie ja auch nicht, Kindchen, wenn Sie nicht wollen. Wie so was kommt, ist ja auch Nebensache. Das war eine ganz dumme Frage von mir. Die Hauptsache ist, dass Sie rasch gesund werden. Passen Sie 'mal auf, ich habe Ihnen was mitgebracht, das Ihnen gut thun wird.«

Geschäftig lief die kleine rundliche Frau in das Zimmer nebenan und holte ihren Kober.

»Sehen Sie 'mal hier, Lottchen, das ist was für Sie!« Und sie entkorkte eine Flasche Tokayer. »Und da guter roher Schinken, fein gewiegt, den dürfen Sie doch gewiss essen? Und ein paar frische Eier und ein bischen Eingemachtes. Und morgen mach' ich Ihnen ein kleines Wein- oder Hühnergelee, was Sie lieber wollen. Lassen Sie die Wohlgebrecht man machen, die hat schon ganz andere Kranke auf den Damm gebracht. So, sehen Sie, wie Ihnen der Schluck schon gut gethan hat. Meine Nichte hätten Sie sehen sollen. Keinen Dreier hätte man für ihr Leben gegeben, nachdem ihr das Malheur passiert war. Und jetzt? Wie der Deibel wirtschaftet die kleine Frau wieder im Hause herum. Wäre nicht Weihnachten dazwischen gekommen, sie hätte mich längst nach Hause geschickt. Seit vier Wochen schon besorgt sie ihre Wirtschaft und ihren Mann wieder allein. Nur zum Luxus haben sie mich über Weihnachten noch dabehalten. Aber Sie arbeiten doch nicht etwa schon wieder, Lottchen?« unterbrach sie sich, nach einem Nähkörbchen neben Lottes Armstuhl greifend.

»Ein Kinderhemdchen! Sieh, sieh, lieber Gott, das hätte meine kleine Nichte nicht sehen dürfen. Das hätte gleich Thränen gegeben. Haben Sie sich jetzt auch aufs Kinderzeugnähen geworfen? Ganz vernünftig, das bringt oft mehr ein, als die Putzmacherei. Aber was haben Sie denn, Lottchen? Das ist doch kein Grund zum Weinen. Na, na, na, wie kann man so nervös sein! Da, trinken Sie noch 'nen ordentlichen Schluck. Sehen Sie, so, so, es wird schon besser. Und nun will ich gehen. Ich sehe, Besuch greift Sie noch an. Morgen komme ich wieder und bis dahin müssen Sie sich schon ein bischen 'rausgefüttert haben. Dann bringe ich Ihnen das Gelee, und sobald es der Doktor erlaubt und ein schöner Tag ist, fahren wir zusammen spazieren. Nach dem Grunewald oder so. Sie wohnen ja hier schon beinahe auf dem Lande, da haben wir's nicht allzuweit. Und noch ein paar Tage weiter, nehme ich Sie zu mir herein und pflege Sie gründlich aus. Nein, nein, da giebt's keinen Widerspruch. Ich habe ja Platz dazu und Zeit mehr als genug.«

Sie küsste Lottchen, ergriff ihren Kober und trippelte eilends davon.

Frau Korn hatte sie fortgehen hören. Sobald sie Lotte allein wusste, ging sie wieder hinüber. Gott weiss, wie nötig sie da wieder war! Wenn's das Unglück wollte, hatte die Frau in ihrer Arglosigkeit von dem Schwarzkopf gesprochen.

Richtig fand sie Lotte in Thränen aufgelöst.

»Na, na, Lottchen. Sie haben's ihr wohl gesagt? Hm?«

Lotte schüttelte den Kopf und weinte weiter.

»Das hätten Sie ruhig thun sollen. Die hätte Ihnen den Kopf deswegen nicht abgerissen. Die sieht ja aus, wie die Güte selbst. Ei und was für feine Sachen! Die können wir gerade brauchen, um schneller gesund zu werden und endlich zu unserem Luischen herauszukommen, 'n süsser Balg ist das Gör. Ich kann's gar nicht mehr erwarten, bis Sie's zu sehen kriegen. Wenn Sie mir blos sagen wollten, was es eigentlich zu weinen gibt, Lottchen?«

Lotte trocknete ihre Thränen.

»Ach, liebe Frau Korn, es ist nur – ich weiss nicht, ob Sie mich verstehen werden – sehen Sie, wenn jemand so gut zu einem ist, wie Frau Wohlgebrecht – und man muss ihn dann belügen für all' seine Güte, – das ist zu schrecklich, Frau Korn.«

»Warum soll ich das nicht verstehen? Ich würde die Frau auch nicht belügen. Der sagte ich die Wahrheit gerade heraus. Lieber heute wie morgen.«

»Sie würde es mir nie vergeben, nie wieder freundlich mit mir sein –«

»Das wollen wir abwarten.«

»Und dann – ich – ich kann ihn doch nicht beschuldigen, gerade ihr gegenüber nicht. Sie liebt ihn so und ist so stolz auf ihn.«

»Auch was rares, um drauf stolz zu sein«, brummelte Frau Korn vor sich hin. Aber sie kam vorerst nicht wieder darauf zurück. So grosse Eile hatte das Geständnis ja am Ende nicht. Viel wichtiger war es, dass Lotte nun endlich ganz gesund wurde.

An Frau Wohlgebrecht lag es jedenfalls nicht, wenn Lottes Genesung einstweilen noch nicht die gewünschten Fortschritte machte. Sie hegte und pflegte Lotte, wie man ein eigenes Kind nicht besser hätte hegen und pflegen können. Ganz wunderbar war es, wie die grenzenlose Güte dieser kinderlosen Frau die feinsten Mutterinstinkte in ihr ersetzte. Sie las in Lottes Herzen wie nur eine Mutter im Herzen eines geliebten Kindes liest. So hatte sie auch bald mit unbeirrbarer Sicherheit herausgefunden, dass Lottes Krankheit sowohl, wie ihre gesamten herabgekommenen Verhältnisse, weit mehr im Seelischen als im Körperlichen ihren Ursprung hatten, weit mehr durch innere, denn durch äussere Gründe veranlasst waren, und lange brauchte sie nicht zu suchen, um sich vollständig klar darüber zu sein, dass ihr Neffe zum mindesten nicht schuldlos an diesem Schiffbruch des lieben Mädchens war. Wenn dies überhaupt noch möglich gewesen wäre, hätte sie ihre Güte verdoppeln mögen, um wieder gut an ihr zu machen, was Gerhart schlecht gemacht. Wie das alles zusammenhing, wie und woraus sich die augenblicklichen Verhältnisse entwickelt hatten, wie weit es mit den beiden gekommen war, danach forschte sie nicht. Es genügte ihr, dass Lotte krank und unglücklich war, um sich ganz auf die Seite des Mädchens zu stellen. Wenn sie das liebe Geschöpf nur erst heraus gehabt hätte aus diesen vier armseligen Wänden! Aber davon wollte das eigensinnige kleine Ding ja nichts wissen, nicht um die Welt. Nun, wenn sie erst gesund sein würde und einen kleinen Puff vertragen könnte, würde man ein Wort deutsch mit ihr reden. Hier durfte sie in keinem Falle bleiben.

Von Gerhart sprachen die Beiden während ihrer häufigen Zusammenkünfte niemals ein Wort. Ein einziges Mal hatte Frau Wohlgebrecht von ihm angefangen. Vielleicht dass Lottchen sich danach sehnte, dass es ihr gut that. Aber als sie sich erbleichend abgewandt und sich mit einer ganz gleichgültigen Sache zu thun gemacht hatte, hatte Frau Wohlgebrecht sich's zugeschworen, das Gespräch nie wieder auf ihren Neffen zu bringen. Dass er der allein Schuldige sei, stand seit dieser Stunde bei ihr fest. Niemand hätte es vermocht, sie davon abzubringen.

Um Ende Januar – Lotte hatte, wie Frau Wohlgebrecht nachträglich erfuhr, am Vormittag ihre erste Ausfahrt mit Frau Korn gemacht – traf Frau Wohlgebrecht bei einem ihrer häufigen Besuche Lena oben bei Lotte an. Sie freute sich, dass die Schwestern trotz der veränderten Lebensverhältnisse beider noch so herzlich zu einander hielten, ja es kam Frau Wohlgebrecht so vor, als ob das heut eigentlich mehr denn sonst der Fall sei.

Sie überraschte sie nämlich in einer scheinbar sehr intimen Unterhaltung, die die Schwestern stockend und errötend unterbrachen, als sie ins Zimmer trat. Gehört hatte sie von dem, was gesprochen worden war, nichts weiter als den warmen Ausdruck Lottes: »Du glaubst es nicht, Lena, wie lieb es ist!«

Frau Wohlgebrechts gutmütiger Takt half den beiden ziemlich schnell, ihre Fassung zu gewinnen. Um das Gespräch rasch in Fluss zu bringen, that denn auch Lena das ihre, und erzählte Frau Wohlgebrecht, die sie seit jenem Dezemberabend nicht wieder gesehen, als sie Lotte zum Weihnachtsfest einzuladen kam, dass ihnen beiden eine grosse Freude bevorstehe. Sie würden endlich einmal jemand aus der Heimat wiedersehen!

Ob der Vater auf Besuch käme? erkundigte sich teilnehmend Frau Wohlgebrecht.

Lena lachte hell auf bei dem Gedanken.

»Vater und eine Reise machen. Da kennen Sie unseren Alten schlecht. Der wird aus Karstens warmer Stube gehen und seine Pfeife und seinen Korn auch nur auf ein paar Stunden entbehren! Nein, Vater geht nicht aus seiner Ofenecke 'raus, der macht keine Reise. Wir erwarten einen Jugendfreund, der sein Geschäft zu Hause verkauft hat und, da er zu Vermögen gekommen ist, sich hier etablieren will. Er kommt in vierzehn Tagen bis drei Wochen, um ein Geschäftslokal zu suchen. Sorgen Sie nur, Frau Wohlgebrecht«, fügte Lena neckend hinzu, »dass Lotte bis dahin ganz mobil ist. Er ist ein grosser Verehrer von ihr.«

Lotte wurde rot.

»Ach, lass doch, Lena, wie kannst Du so etwas sagen.«

Frau Wohlgebrecht aber klopfte die Unwillige wohlgefällig auf die Schulter.

»Warum soll Ihre Schwester so was nicht sagen? Sie hat ganz recht. Ganz mobil wollen wir werden bis dahin, und dann, wer weiss?«

Frau Wohlgebrecht sah Lena schmunzelnd an. Dabei fiel es ihr auf, dass Lena, die sonst den Vergleich mit Lottes sanfter, poetischer Schönheit nicht ausgehalten hatte, jetzt die bei weitem Hübschere von ihnen war.

»Zum Fressen nett sieht die Kröte aus«, dachte Frau Wohlgebrecht. »Die weiss, was sie will. Kein Wunder, dass die ihren Weg gemacht hat.«

Das Mädchen, das sie früher nicht hatte leiden können, flösste Frau Wohlgebrecht jetzt plötzlich Interesse ein. Es war doch alles mögliche, was diese Lena erreicht hatte, und eine gute Portion Fleiss und Tüchtigkeit gehörte bei allem Glück dazu, es so weit zu bringen.

Frau Wohlgebrecht fragte nach diesem und jenem, und Lena machte es ein ungeheures Vergnügen, von den wirklich hübschen materiellen Erfolgen, die sie in dieser Saison schon erzielt hatte, zu erzählen.

Lena berichtete über ihre schöne Kundschaft aus den besten Gesellschaftskreisen, rechnete Frau Wohlgebrecht in grossen Zügen ihre Aktiva und Passiva vor und versicherte sie, dass es der glücklichste Tag ihres Lebens sein würde, wenn sie das Kapital, das Herr Bornstein – sie nannte ihn ganz ungeniert als ihren Geldgeber – ihr für die Geschäftsbegründung vorgestreckt habe, einstmals würde herauszahlen können. Es dem Vertrag gemäss zu verzinsen, dazu habe es ja gottlob bisher immer ausgereicht, fügte sie am Ende hinzu.

Frau Wohlgebrecht empfahl sich heut unter dem Vorwande, noch Geschäftswege machen zu müssen, früher als sonst. Sie hatte das Gefühl, dass die beiden Mädchen sich noch manches zu sagen hätten, was keinen Dritten etwas anginge. Vielleicht handelte es sich um Lotte und den Jugendfreund. Was würde sie darum geben, wenn das Kind in diesem Manne Glück und Frieden finden könnte! –

Sobald die Thür sich hinter Frau Wohlgebrecht geschlossen hatte, fing Lotte genau da wieder an, wo sie bei ihrem Eintritt aufgehört hatte. Mit demselben Eifer, mit derselben warmen Freudigkeit.

»Du glaubst nicht, Lena, wie lieb es ist. So rund und niedlich, und so reizende blaue Augen wie es hat, und wenn es erst lacht gar! Lange lass' ich's der Frau da draussen nicht, wenn sie es auch noch so gut pflegt.«

»Um Gotteswillen, Lotte, mach nur keinen Unsinn wieder. Bis jetzt ist alles so hübsch glatt gegangen. Du wirst doch Luischen nicht etwa zu Dir nehmen wollen? Dann wäre der Skandal fertig.«

Lotte schüttelte den Kopf.

»Nein, aber ich will zu Luischen gehen, irgend wohin, wo es hübsch still und einsam ist und niemand uns kennt und niemand nach uns fragt.« Dabei erinnerte sie sich plötzlich des Häuschens und des Blumengartens, von dem Gerhart am Tage ihres Geständnisses im Wald am Müggelsee zu ihr gesprochen hatte. Etwas heisses stieg ihr in den Augen auf. Aber sie unterdrückte es schnell. Nur keine Erinnerungen, keine neue Schwäche! Ihre ganze Kraft brauchte sie jetzt für das liebe kleine Geschöpf da draussen, das niemanden hatte als sie auf der Welt. Ihm wollte und musste sie fortan gehören, niemandem sonst.

Lena hatte sich inzwischen heftig ereifert.

»Was das für phantastische Gedanken sind, Lotte! Du solltest doch nun endlich klug geworden sein! Sich mit dem Kinde irgendwo vergraben, das wäre das rechte! Verhungern kannst Du dabei und das Wurm dazu. Hier bleibst Du, wo Du Dein bischen Arbeit endlich gefunden hast, und Frau Korn ist und Frau Wohlgebrecht und ich und später der Franz. Wir werden Dich schon durchbringen, und das Kind mit Dir. Bleib' mir blos mit den sentimentalen Geschichten vom Leibe. Du hast ja doch gesehen, was dabei herauskommt.«

Lotte erwiderte nichts, aber in ihrer stillen Art dachte sie sich ihr Teil. Allzumächtig hatte sich heute die Mutterliebe in ihr geregt, als sie das kleine Geschöpf zum erstenmal wieder im Arm gehalten, zum erstenmal wieder gewartet hatte. Die Mutterliebe und die Eifersucht, die Niemandem ihr Kleinod gönnt als sich selbst. –

Der Winter liess sich im ganzen so milde an, dass Lotte trotz ihrer noch immer sehr zarten Gesundheit es wagen durfte, ihrem Herzen zu folgen und jede Woche ein paarmal nach Schmargendorf hinauszufahren. Sie hatte sogar durch Vermittlung von Luischens Pflegemama draussen etwas Kundschaft bekommen, so dass sie sich nicht allzuviel Skrupel über den Zeitaufwand zu machen brauchte, den die Besuche bei Luischen ihr kosteten.

Heute, an einem fast frühlingswarmen Tage zu Ende Februar hatte sie die kurze Stunde draussen doppelt genossen. Wohlverwahrt hatte sie die Kleine in das sonnige Gärtchen der Tischlersleute hinausgetragen. Unter den kahlen Fliederbüschen, die nun bald Knospen ansetzen würden, um die bescheidenen Beete, auf denen noch die verfaulten Stauden der Herbstblumen standen, die nun bald den ersten Schneeglöckchen und Veilchen würden Platz machen müssen, war sie mit ihr umhergegangen. Das war eine Lust gewesen! Ganz allein mit ihrem Herzensschatz, unter Gottes reinem, blauen Himmel! Niemand, der, wie in dem engen Zimmer der Tischlersleute, ihre Liebkosungen beobachtete, niemand, dem die Hälfte von Luischens Lächeln gehörte, niemand, der mit ihr des Kindes Thränen trocknete. In leidenschaftlicher Lust hatte sie das Kind an die Brust gepresst und zum Dank hatte Luischen sie angelächelt mit ihren blauen, sonnigen Augen, und ihre kleinen rosigen Lippen hatten süsse, unverständliche Laute gelallt. Lotte aber hatte das Lächeln und das Lallen zu verstehen geglaubt. Es hiess ihr: was brauchen wir andere, Du und ich, wenn wir nur uns haben!

Mit einer stillen Sicherheit, mit einem ruhigen Glücksgefühl, wie sie es seit Jahren nicht gekannt, nie mehr, seit sich das Mutterauge ihr geschlossen hatte, war sie heute von ihrem Kinde fortgegangen. Was sie in Liebe und Zorn für Gerhart empfunden, war ausgelöscht in ihr. Sie hatte nur noch ein Gefühl für ihn, das der Dankbarkeit, dass er ihr dies Kleinod geschenkt, und dass er kein Verlangen danach trug, es mit ihr zu teilen. Unbewusst gab sie in ihrem tiefsten Herzen Frau Korn zum erstenmale recht, dass es unter Umständen besser sei, solch ein Kindchen vaterlos für sich zu besitzen, als eine Ehe zu erzwingen, deren Schicksale vielleicht schwerer zu ertragen waren, als ein zweifelhaftes Ansehen vor der Welt.

Als Lotte so, noch im vollen Mittagssonnenschein, in gehobener Stimmung nach Haus zurückkam, froh und frei wie seit langen Monaten nicht, fand sie einen Gast auf ihrem Zimmer. Franz Krieger war angekommen.

Zuerst befiel sie wieder ein zager Schrecken, als sie den Freund so unerwartet vor sich sah. Aber die Stunde mit ihrem Kinde hatte ihr eine wundersam nachwirkende Kraft verliehen.

Niemals hätte Lotte es für möglich gehalten, dass sie dem Freunde so ruhig und gefasst würde entgegentreten können, als sie es nach einer kurz aufwallenden, Franz kaum bemerkbaren Bewegung über sich gewann. Wie hatte sie gezittert vor diesem Augenblick des Wiedersehens und mit wieviel selbstverständlicher Natürlichkeit vollzog er sich nun!

Franz hatte sich sehr verändert. Das Tastende, Unsichere, das ihn Lotte gegenüber stets befallen, das ihn oft fast knabenhaft hatte erscheinen lassen, war einer selbstsicheren Männlichkeit gewichen, und so sehr sich ihm bei Lottes Anblick, bei der Betrachtung ihrer dürftigen Umgebung das Herz zusammenkrampfte, er verriet sich nicht und bewahrte seine Haltung.

Er war mit dem festen Vorsatz nach Berlin gekommen, dies Mädchen, das er seit seinen Knabenjahren mit unveränderter Treue liebte, für sich zu gewinnen. Nicht nur seine grosse Neigung zu Lotte, auch alle äusseren Verhältnisse sprachen für eine baldige Ehe. Er war unverhofft schnell zu einem ansehnlichen Besitztum gelangt. Sein Haus verlangte nach einer Hausfrau, ihn selbst, bei der starken Inanspruchnahme, die eine ausgedehnte Geschäftsführung mit sich bringt, nach einem traulichen Herd, an dem sich's ausruhen liess von des Tages Mühen. Wenn er dies Ziel erreichen wollte, musste er Schritt für Schritt vorgehen. Lotte war keine Natur, die sich im Sturm erobern liess. Er durfte sich nicht verraten, sich keine Blösse geben, wie früher so oft, wenn seine Hoffnung sich erfüllen sollte. Sie durfte in ihm nur den Freund, nicht den Bewerber sehen, wollte er sie nicht vorzeitig einschüchtern.

Schwerer als er es vermutet hatte, wurde ihm diese selbst auferlegte Zurückhaltung. Hätte er Lotte wiedergefunden, wie er sie wiederzufinden geglaubt, in einer kleinen aber gesicherten Stellung, gesund und zufrieden in der selbstgewählten Lebenslage, es würde ihm nicht so sauer angekommen sein, seine tiefe Zärtlichkeit für sie zurückzuhalten. So aber, wie er sie fand, zart und schwach nach langer Krankheit, die Heiterkeit, die sie zur Schau trug, auf den ersten Blick ein Ergebnis der Resignation, oder schlimmer noch, eine gut gespielte Komödie, dazu die äussere Not, die ihn aus allen Ecken und Enden angrinste, musste er an sich halten, um sie nicht in seine Arme zu schliessen und ihr mit aller Innigkeit, die er für sie im Herzen barg, zu sagen: »Komm mit mir. Ich will Dich gesund machen und stark. Ich will Dir Ruhe und Behagen geben. Du sollst bei mir wohl geborgen sein, armes, verflogenes Vögelchen Du.«

Trotzdem bewahrte er seine Ruhe; er erzählte ihr von den Absichten, die er für seine Geschäftsbegründung in Berlin habe, von der Heimat, vom Vater, von den Gräbern ihrer und seiner Mutter. Sie hörte ihm zu mit ihrem sanften, stillen Blick, der zuweilen etwas fremdes annahm, das ihn beunruhigte, weil er es nicht enträtseln konnte.

Von sich selbst sprach Lotte so gut wie gar nicht. Nur von Lena erzählte sie, wie weit sie's gebracht in Berlin, und wie stolz sie sein würde, ihm alles zu zeigen, was sie erreicht, gerade weil er an ihrem Fortkommen so starke Zweifel gehegt hatte. Sie hatte dabei ihr liebes Lächeln um den feinen Mund, das er hätte festküssen mögen für alle Zeiten.

Von Lena sprach sie so viel, dass es am Ende etwas krankhaft Gewolltes bekam. Sie lobte die Schwester unausgesetzt über Gebühr und setzte sich selbst wie mit absichtlichem Nachdruck immer mehr hintenan.

Aber Franz wollte sie nicht verstehen. Sein Herz rebellierte dagegen. Je mehr sie Lenas Geschäft und ihre Häuslichkeit herausstrich, desto mehr lobte er alles, was sie selbst umgab: die hübsche freie Aussicht, das ruhige Zimmerchen, das man so still nur unter dem Dach haben könne, die gute Luft hier draussen, die Blumen vor den schmalen Fensterchen. Am Ende gelang ihm, was er gewollt, ihr den Eindruck zu geben, dass nichts bei ihr ihn enttäuscht und gewundert habe. Dass er so, wie er sie gefunden, gehofft habe, sie wiederzufinden.

Eine Last fiel ihr von der Seele. Gottlob, sein Mitleid blieb ihr erspart, das Mitleid für ihre selbstverschuldete armselige Lage, das ihr am wehesten gethan hätte von ihm, gegen dessen schweigende Bewunderung sie sich jahrelang kindisch trotzig aufgelehnt hatte.

Der sonnige Tag hielt sich auf seiner Höhe.

Franz schlug Lotte vor, eine Spazierfahrt mit ihm zu machen; heute müsse sie aus alter Freundschaft schon einmal Feiertag ansetzen und die Kunden warten lassen. Dann wollten sie zusammen essen und am späten Nachmittag, es war inzwischen schon zwei Uhr geworden, zusammen zu Lena gehen.

Nach kurzem Besinnen willigte Lotte ein. Nach der sonnigen Stunde im Garten zu Schmargendorf war ihr selbst heute so festtäglich zu Mute, dass sie nicht das Herz hatte, die Dinge mit dem ihr gewohnten engen Massstab zu messen. Und dann, was sie von dem Wiedersehen mit Franz am meisten gefürchtet, war augenscheinlich nicht mehr der Fall. Franz liebte sie nicht mehr; er hatte den Gedanken, sie zu besitzen, aufgegeben. Sie that kein Unrecht, wenn sie freundschaftlich annahm, was freundschaftlich geboten schien. Jetzt, da sie selbst die Liebe mit all ihren Wonnen und Qualen, all ihren Höhen und grauenvollen Abgründen kannte, hätte sie es weniger denn je übers Herz gebracht, Hoffnungen zu erwecken, nur um sie dann wieder vernichten zu müssen.

Ein paar herzliche Stunden verbrachten sie mit einander. Dann trennten sie sich. Lotte war nicht zu bewegen, mit Franz zu Lena zu gehen. Sie schützte notwendige Arbeit vor. Im Grunde war es ein anderes, was sie trieb, etwas, das, nachdem sie Franz wiedergesehen, ihr weit schwerer wurde, als sie es irgend vorausgesehen hatte.

Franz und Lena sollten allein sein bei diesem ersten Wiedersehen. Lena hatte Franz immer besonders gern gehabt. Sie war es ja auch gewesen, die auf seine Uebersiedelung nach Berlin gedrungen hatte. Welch' ein Glück für Lena, wenn Franz, da er sie ja nicht mehr liebte, Lena sein braves, ehrliches Herz zuwendete. Die Schwester würde nicht immer allein bleiben wollen. Gäste, selbst Hausfreunde ersetzen die Familie auf die Dauer nicht. Und diese Hausfreunde! Lotte wollte ganz und gar nichts mehr von ihnen wissen seit jenem Abend in Dahlow, wo Leutnant Kurt ihr so dreist zu nahe getreten war. Sollte Bornstein aus so ganz anderem Holz geschnitten sein? Schwerlich! Arme Lena! Nein, sie sollte nicht auch geopfert werden. Eines braven Mannes glückliche Frau sollte sie werden, und was Lotte dazu thun konnte, sollte gewiss geschehen.

So ging Franz allein nach der Potsdamerstrasse. Ungern genug. Nachdem er Abschied von Lotte genommen und ein Wiedersehen für den kommenden Tag verabredet hatte, sah er ihr mit brennenden Augen nach. Wie sie so durch den leichten, lichtdurchschimmerten Nebel von ihm fortschritt, war es ihm, als ob sein Glück von ihm ginge, weiter, immer weiter, in eine nebelhafte ungewisse Ferne hinaus.

Er musste sich einen ordentlichen Ruck geben, um Lena wirklich aufzusuchen. Wenn er es Lotte nicht versprochen gehabt hätte, würde er den Weg nach dem Blumengeschäft sicherlich nicht gefunden haben. Er hätte viel darum gegeben, da er mit Lotte nicht sein durfte, wenigstens allein zu bleiben.

Am Ende aber erwies sich der Besuch bei Lena als eine angenehme Enttäuschung. Franz hätte nicht selbst ein so vortrefflicher Geschäftsmann sein müssen, um an dem Aufblühen von Lenas Unternehmen nicht seine helle Freude haben zu sollen. Ueberdies imponierte ihm, wie Lena es ja nicht anders erwartet hatte, der äussere Apparat gewaltig. Das war in der That grossstädtischer Zuschnitt. Laden, Wohnraum und nicht zuletzt Lena selbst in ihrem dunkelroten, mit schwarzem Pelzwerk besetzten, eng anschliessenden Kostüm. Alle Wetter, hier konnte man lernen, wie es gemacht wurde, um in Berlin in die Höhe zu kommen.

Ganz klein geworden, bat er Lena sein Misstrauen gegen ihre Fähigkeiten ab. Sie lachte und vergab ihm grossmütig. Es machte ihr ein ungeheures Vergnügen, dass auch dies wieder ganz so gekommen war, wie sie es gewünscht und vorausgesehen hatte. Ihre Laune war prächtig, und sie wünschte nur, dass weder Bornstein noch Kurt noch irgend einer ihrer andern Stammgäste kommen möchten, um ihr tête-à-tête mit Franz zu stören! Nachdem er alles eingehend besichtigt hatte, bat Lena den Jugendfreund in ihr türkisches Boudoir zu einer Tasse Thee und einer Cigarette. Sie selbst hütete sich, eine anzuzünden. Sie war viel zu klug, um den ausgezeichneten Eindruck zu zerstören, den sie ersichtlich auf Franz gemacht hatte. »Trotz seiner Liebe zu Lotte«, fügte sie triumphierend hinzu. Franz Krieger war immer ein Faktor gewesen, mit dem Lena gerechnet hatte. Sie hatte stets eine kleine Schwäche für ihn gehabt. Vielleicht nur aus dem Grunde, weil er im Gegensatz zu allen übrigen Menschen sich nur um Lotte und nicht im geringsten um sie gekümmert hatte. Wäre Franz nicht zu Selbständigkeit und Vermögen gekommen, sie würde diese Schwäche zweifellos unterdrückt haben. Jetzt sah sie keinen Grund mehr dafür ein. Die letzte Nummer in ihrem Programm war eine Ehe als gute Versorgung, mit vollständiger Wahrung ihrer persönlichen Rechte und Freiheiten. Schon am ersten Abend des Wiedersehens zweifelte sie nicht mehr daran, dass Franz Krieger der Mann dazu geworden sei, den man für diese letzte Programmnummer in Betracht ziehen könne.

Seine Liebe zu Lotte würde ihr dabei nicht dauernd im Wege sein. Wie die Dinge bei Lotte lagen, würde sie nie daran denken, Franz Krieger zu heiraten. Für sie selbst freilich wäre die Affaire Gerhart Schmittlein, falls sie überhaupt im stande gewesen wäre, jemals eine solche Dummheit zu begehen, kein Hinderungsgrund gewesen; Lotte dagegen würde nach allem Vorhergegangenen sich niemals zu diesem Schritt entschliessen können. Fortgesetzt ohne Aussicht auf Erfolg zu werben, ist nicht Mannessache. Franz würde von dieser Regel schwerlich eine Ausnahme machen.

Dem starken russischen Thee waren appetitlich hergerichtete Brötchen, Bier und Cognac gefolgt. Der Laden war längst geschlossen. Zehn Uhr war vorüber, als Franz sich endlich zum Fortgehen rüstete. Wie im Fluge waren ihm die Stunden vergangen. Wie war es nur möglich gewesen, dass die kleine Zauberin ihn so lange festgehalten hatte! Träumte er, oder war die junge weltsichere Dame, der er jetzt in einer Anwandlung von Zärtlichkeit, wärmer als notwendig gewesen wäre, zum Abschied die Hand küsste, wirklich Lena, das kleine, schnippische, selbstsüchtige, launenhafte Geschöpf, das er nie hatte leiden mögen, weil es ihm bei Lotte stets im Wege gewesen war?

Draussen in der kalten Nachtluft erst wurde er wieder Herr seiner aufgeregten Sinne. Die schwüle Luft in dem kleinen blumendurchdufteten Gemach, der starke Thee und der alte Cognac, die schweren türkischen Cigaretten mussten ihn völlig umnebelt haben, dass er in Lena ein so begehrenswertes Geschöpf gesehen hatte. Er machte eine heftige Bewegung, als wenn er etwas abschütteln wollte, was nicht zu ihm gehörte. Es gelang ihm nur zum Teil. Der feine Duft, der Lenas Kleidern entströmte, der eigentümlich lockende Blick ihrer schwarzen Augen, der Druck ihrer feinen weissen Hand, die er länger in der seinen gehalten hatte, als es sich mit einer blossen Jugendfreundschaft vertrug, liess etwas durch seine Sinne nachzittern, das ihn bis in seine Träume verfolgte.

Gegen morgen erst fand er seinen festen gesunden Schlaf wieder, und als er Lotte mittags aufsuchte, erinnerte er sich seines Rausches überhaupt nicht mehr. Lotte selbst brachte ihn erst wieder darauf, als sie von Lena zu sprechen begann. Aber er wollte nichts davon hören, die schwüle Stunde sich nicht wieder ins Gedächtnis zurückrufen lassen, die bei seiner tiefen Neigung zu Lotte beschämend für ihn war. So brachte er das Gespräch bald auf andere Dinge, zu Lottes geringer Befriedigung. Sie hatte sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, diese beiden zusammenzubringen, koste es ihr was es wolle!

An demselben Tage hatte Franz ein geeignetes Geschäftslokal gefunden. Freilich nicht wie Lena geplant hatte, in der Französischenstrasse, der Friedrichstrasse oder Unter den Linden, sondern im Südosten der Stadt, nahe dem Moritzplatz.

Am nächsten Morgen sollte der Mietskontrakt abgeschlossen werden. Mit dem letzten Zuge wollte Franz dann zurück, um die Uebersiedelung zu Ende März vorzubereiten. Diesen letzten Tag wollte er noch ganz mit Lotte verleben, Lena wieder zu begegnen mied er.

Im Gegensatz zu dem sonnigen Tage ihres ersten Wiedersehens war der Abschiedstag grau und regenschwer. Förmliche Aprillaune zeigte dieser Februar. Sonnenschein und Regen wechselten fast übergangslos ab; der heutige Tag aber schien sich völlig auf Regen eingeschworen zu haben.

Lottes Stimmung war nicht besser als die Stimmung draussen in der Natur. Frau Korn versuchte vergebens zu trösten. Grau und schwer wie der Himmel draussen schien ihr heute das Leben zu sein. Nichts mehr von jener freudigen Gehobenheit, die sie vor wenig Tagen noch beseelt hatte, war übrig geblieben.

Luischen war krank gewesen. Sie mochte sie doch wohl zu lange im freien umhergetragen haben. Franz' häufiger Anwesenheit wegen hatte sie nicht hinausgekonnt, hatte sie auch nicht hinausgewollt, in der Furcht, sich ihm unter dem Eindruck unmittelbarer Erlebnisse zu verraten. Nun erfuhr sie erst heute, dass ihr Liebling gelitten und sie ihn nicht hatte pflegen dürfen. Nur rasch ein Ende machen mit dieser unerträglichen Zwiespältigkeit des Daseins! Wenn es sein musste, allen zum Trotz. Wer riet? Wer half? Nur einen einzigen andern Ratgeber noch haben, als ihr eigenes, verlangendes Herz!

Franz, Frau Wohlgebrecht! Das war's ja gerade, was an ihr frass, dass diese beiden liebsten Menschen nichts von ihrem eigensten innersten Leben wissen durften. Mochte die ganze Welt erfahren, dass sie Mutter sei, wenn nur diese beiden nicht darum wussten, an deren Achtung ihr mehr gelegen war als an der der ganzen übrigen Welt.

Frau Korn war gerade über diesen Punkt nach wie vor ganz anderer Meinung. Beinahe im Zorn hatte sie ihren Schützling heute verlassen.

Da sass die Lotte nun und quälte und härmte sich, anstatt das natürlichste und einfachste zu thun und sich den beiden Menschen anzuvertrauen, die es sichtbarlich so gut mit ihr meinten! Der hübsche stattliche Mann aus der Heimat gewiss nicht minder als die herzensgute Frau Wohlgebrecht! Es war ein rechtes Kreuz mit dem Mädchen!

Lotte sass am Fenster und starrte mit thränenlosen Augen in den grauen Himmel, auf die immer gleichmässig leise niederrinnenden Tropfen. Das Herz war ihr übervoll. Sie sehnte sich so unendlich nach einem andern Herzen, das ganz mit dem ihren fühlte, das alle ihre Nöte und Sorgen verstand. Gottlob, dass Franz sie nicht mehr liebte! Wo hätte sie in ihrer Verlassenheit die Kraft hernehmen sollen, stark gegen diese Liebe zu sein!

Wie sie so dasass, tief in Gedanken verloren, über vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges nachdenkend, wurde es ihr zum erstenmal ganz klar, mit wie verschiedener Liebe Gerhart und Franz sie geliebt hatten. Der eine mit selbstsüchtiger Leidenschaft, die vor der ersten sittlichen Forderung aufgeflogen war wie Spreu vor dem Winde, der andere mit herzlich selbstloser Neigung, die sterben musste, weil sie hoffnungslos war. Und während ihr die Thränen langsam über die Wangen rannen, fühlte sie mit stechendem Schmerz, dass sie heute Franz' Liebe hätte erwidern können, wenn sie sie noch besessen hätte und ihrer würdig gewesen wäre.

Wäre sie rein geblieben, heute würde diese Liebe ihr Glück und, was mehr noch war, der Friede und die Kraft ihres Lebens gewesen sein.

Da klopfte es leise an ihre Thür.

Franz trat herein, in der Hand einen feuchten, süssduftenden Veilchenstrauss. Das Wasser lief ihm vom Rock und von der Hutkrämpe herab, auf seinem Gesicht aber stand der Sonnenschein heiterer Zuversicht. In allen Dingen war ihm das Glück in Berlin so hold gewesen, warum sollte es ihm gerade bei Lottchen untreu werden? Seit den letzten vierundzwanzig Stunden stand es bei ihm fest, ohne ihr Jawort nicht abzureisen. Die letzten Tage hatten ihm Mut gemacht. Seiner gesamten Zukunft gewiss, wollte er nach Haus zurückkehren.

Er war sehr bestürzt, als er Lottes blasses, verweintes Gesicht sah. Aber sie blickte ihn lieb und herzlich an, und je näher er zusah, je mehr fand er von der alten Lotte in ihr, von dem zaghaften, hilflosen, lieblichen Geschöpf, das er so schweren Herzens nach Berlin hatte ziehen lassen. Das stärkte seinen Mut. Wenn nur das erste Wort erst gefunden war!

Lotte war so tief in ihre eigenen Gedanken versunken, dass ihr der Wechsel in dem Wesen des Freundes nicht besonders auffiel. Der Gedanke, dass er sie nicht mehr liebte, hatte sich so völlig in ihr festgesetzt, dass sie nicht einmal daran dachte, noch nach möglichen Symptomen einer Neigung zu suchen. Die fürsorgende Zärtlichkeit, die er heute für sie an den Tag legte, dünkte ihr nichts als selbstverständliche Freundschaft zu sein. Hätte sie diese Freundschaft nur durch volles Vertrauen lohnen können!

Je weniger sie ihn verstand, desto mehr wuchs seine Unruhe und Ungeduld. Er riss die Uhr aus der Tasche. Gleich drei! Um sieben Uhr ging der Zug. Er wollte doch auch noch etwas von seiner Braut haben, und aufschieben liess sich die Abreise nicht. Es war eigentlich lächerlich, so feige zu sein und nicht gerade heraus zu sprechen. Das schlimmste war doch, dass sie »nein« sagte, und darauf war er früher ja stets gefasst gewesen. Warum jetzt nicht mehr? Warum trug er sich plötzlich mit den unsinnigsten Hoffnungen? Und wenn sie dennoch fehlschlugen? Etwas merkwürdig Ahnungsvolles stieg bei diesen Gedanken in ihm auf und legte sich ihm schwer auf die Brust. Es würde ein grosses Unglück für ihn sein. Nicht nur, dass Lotte nicht sein Weib wurde, noch ein anderes, unheilschwangeres Schicksal schien sein Haupt mit dunklen Fittigen zu umkreisen. Das Herz schnürte sich ihm zusammen. Die Last auf seiner Brust wuchs zentnerschwer. Er fühlte, dass alles Blut ihm zum Herzen zurücktrat. Er musste wohl auch merkwürdig und sehr entstellt aussehen, denn Lotte fragte plötzlich schreckhaft durch die Stille hindurch:

»Ist Dir nicht wohl, Franz? Du siehst ja totenbleich aus!«

Da hielt es ihn nicht länger. Er wollte, er musste Gewissheit haben. Die Leidenschaft übermannte den sonst so ruhigen, besonnenen Mann, und mit einer verzweifelten Glut, deren er sich selbst nicht für fähig gehalten hätte, flehte er Lotte um ihre Liebe, um ihre Hand.

So plötzlich war das gekommen, dass Lotte wie versteinert dastand. Sie hörte ihm mit grossen, weitgeöffneten Augen zu und sagte sich immer nur das eine und wieder das eine:

»Nur nicht schwach werden, nicht schwach werden! Du darfst ihn nicht erhören, Du hast das Recht verwirkt!«

Bis er zu Ende war, hatte sie sich wirklich gefasst.

Ganz ruhig trat sie ein paar Schritte von ihm fort und leise, um die Thränen nicht zu verraten, die ihr in der Kehle sassen, sagte sie:

»Ich danke Dir für Deine Liebe, Franz, aber ich kann Deine Frau nicht werden!«

Er riss den Stuhl an sich, auf dem er zuerst gesessen hatte, von dem er dann, hingerissen von seiner Leidenschaft, aufgesprungen war, um ihr ganz nahe zu sein, sie in seine Arme schliessen zu können. Die morsche Lehne zerbrach unter dem wuchtigen Druck seiner Hand.

Aber auch seine Stimme blieb ruhig, so heiss auch die fürchterliche Enttäuschung in ihm tobte.

»Und kannst Du mir sagen, weshalb Du meine Frau nicht, werden kannst?«

Aufs Geratewohl gab sie die Antwort:

»Weil ich Dich nicht liebe, wie man einen Mann lieben muss.«

Es war ja doch alles eine grosse Lüge. Warum erst lange nach Worten suchen und wägen?

»Liebst Du einen andern, Lottchen?«

Sie hatte es auf der Zunge zu sagen:

»Ein anderes ja, dem mein ganzes Leben gehört, um dessentwillen ich Dir entsagen muss –«

Aber sie schwieg und schüttelte statt jeder Antwort langsam den feinen blonden Kopf.

»Und dies ist Dein letztes Wort?«

»Mein letztes, Franz.«

»Und Du glaubst nicht, dass es jemals anders werden kann?«

»Niemals – nie!«

Er nahm den regenschweren Rock über den Arm, den Hut in die Hand und verbeugte sich steif, ohne einen Schritt näher auf sie zuzugehen, ohne ihre Hand zu berühren.

»Lebwohl, Lotte.«

Sie hatte ein paar Schritte auf ihn zu gemacht. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn so gehen zu lassen. Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er zögernd ergriff, und wie eine Liebkosung klang ihre Stimme, als sie jetzt sagte:

»Adieu, Franz, und auf Wiedersehen! Gebe Gott, dass Du verschmerzt hast, was ich Dir anthun musste, bis wir wieder beisammen sind.«

Er sagte nichts mehr, sondern starrte sie nur aus trostlosen Augen an, dann wandte er sich kurz und zog die Thür rasch hinter sich zu.

Sie drückte den Veilchenstrauss an die Lippen und blickte ihm schmerzverloren nach, aber sie brach nicht zusammen. Das Bewusstsein hielt sie aufrecht, den schwersten Sieg errungen zu haben, den ein Mensch zu erringen vermag, den Sieg über sich selbst!

Lena hatte Franz' Besuch täglich erwartet. Sie war sehr ungehalten darüber, dass er ausblieb. Vernachlässigung war sie nicht gewöhnt. Aber gerade, dass sie ihr einmal zu teil wurde, steigerte ihren Wunsch, Franz zu gewinnen bis ins unermessliche.

Sie stieg zu Lotte herauf, die sie jetzt selten genug besuchte. Wenn sie sich getäuscht haben sollte, wenn diese beiden dennoch einig mit einander geworden wären!

Lena überzeugte sich bald von dem Gegenteil.

Franz war längst abgereist, und Lotte schien nicht das geringste Interesse weder an dieser Abreise, noch an Franz überhaupt zu nehmen.

Sie hatte nur Sinn für Luischen.

Luischen war ihr drittes Wort. Ob Lena denn nicht endlich einmal mit ihr nach Schmargendorf heraus wolle, das liebe kleine Geschöpf kennen zu lernen?

»Im Frühjahr, ja. Hat Franz nicht gesagt, wann er zurückkommt?«

»Ich glaube, um Ende März.«

Das war alles, was sie aus Lotte herausgebracht hatte. Daran musste sie sich bis auf weiteres genügen lassen, aber ihre Laune wurde durch dies negative Ergebnis ihrer Nachfragen nicht gerade verbessert.

Am schwersten hatte Bornstein unter Lenas Stimmung zu leiden, und da er sie noch immer wirklich gern hatte, litt er in der That. Zuweilen schalt er sich einen ausbündigen Narren, dass er noch immer um ein Mädchen sich bemühte, das trotz allem was er für sie gethan hatte, nicht gewillt schien, auch nur um Haaresbreite seinen Wünschen entgegen zu kommen.

Aber gerade das reizte ihn. Sollte er nun, da er so lange um sie geworben hatte, unverrichteter Sache wieder abziehen? Er wollte sich wenigstens sagen dürfen, dass er einmal sein Herrenrecht geltend gemacht, dass er sie einmal besessen hatte.

Einstweilen schien er indess weniger Aussicht zu haben denn je, seine Stellung Lena gegenüber zu verbessern.

Hatte sich die kleine Launenhafte den ganzen Winter über nicht gerade hingebend gezeigt, hatte sie den meisten seiner Wünsche einen unbeugsamen Trotz entgegengestellt, war es ihr niemals eingefallen, Rücksicht darauf zu nehmen, dass er doch wohl das Recht habe, ihre Gesellschaft zuweilen allein zu geniessen, hatte sie, im ausgesprochensten Gegensatz zu diesen seinen Wünschen, sich nur um so häufiger mit einer förmlichen Schar von Verehrern und Freunden umgeben, so schien Lena jetzt nach dem Frühjahr zu dies alles noch zuspitzen zu wollen.

Bornstein war so gereizt, dass er schon daran gedacht hatte, sie vor die bündige Entscheidung zu stellen: »Entweder Du änderst Dich, oder wir sind geschiedene Leute.« Da er aber Lena dazu im stande hielt, dem letzteren Vorschlag mit ihrem pikantesten und überlegensten Lächeln zuzustimmen, verschob er den entscheidenden Schritt von Tag zu Tag.

Um die zweite Hälfte März musste Bornstein nach Dahlow hinaus. Es war nicht unmöglich, dass er vierzehn Tage dort festgehalten werden würde. Neuanlagen, Umbauten waren zu besprechen. Der Verwalter war nicht mehr so auf dem Posten wie früher, die Leute nicht mehr ordentlich im Zuge. Es war höchste Zeit, dass er selbst mal nach dem Rechten sah.

Er ging schwereren Herzens denn je. Wenn er nur jemanden gehabt hätte, der ihm während seiner Abwesenheit zuverlässigen Bericht über Lena hätte zugehen lassen! Er schwankte lange, schliesslich bat er Kurt um diesen Freundschaftsdienst.

Strehsen war selbstverständlich, wie stets bereit, Bornstein zu willen zu sein.

Selbst wenn Kurt nicht gewollt hätte, er hätte nicht anders gekonnt, denn er war mit der Zeit völlig abhängig von Bornstein geworden. Er hätte einfach quittieren oder sich eine Kugel durch den Kopf schiessen müssen, wenn der Freund die Hand von ihm abgezogen hätte. Ein Bedenken, ob er den delikaten Auftrag übernehmen oder ablehnen solle, gab es also nicht. Es blieb Kurt keine Wahl, als Bornstein auf Ehrenwort zu versichern, dass er ein aufmerksames Auge auf Lena haben und ihm alles auffällige unverzüglich melden würde.

Verhältnismässig beruhigt fuhr Bornstein ab. Er wusste, er durfte sich auf Kurt verlassen.

Er wollte ja auch nichts weiter, als, nachdem er weit über ein Jahr um Lena geworben hatte, nicht gerade einen andern die Früchte pflücken sehen, die für ihn stets zu hoch gehangen hatten.

So war Kurt jetzt täglicher Gast bei Lena, Oberspion, wie er selbst sich nannte. Seine Besuche waren ihr augenscheinlich ebenso gleichgültig, wie die aller andern. Sie machte keinen Unterschied und behandelte jeden, der über ihre Schwelle kam, mit derselben kühlen Nachlässigkeit. Kurt konnte die beruhigendsten Berichte nach Dahlow schicken. Dass Lena auf einen wartete, der noch immer nicht wiederkommen wollte, dass sie aus diesem Grunde für niemand sonst etwas übrig hatte, das freilich ahnte der wachthabende Leutnant nicht.

Zehn Tage etwa mochte Bornstein von Berlin abwesend sein, als an einem Nachmittag zu Ende März die Thür zu dem türkischen Boudoir für jeden Besucher, auch für Kurt, verschlossen blieb. Vergeblich ersuchte der Leutnant das blondgekrauste Ladenmädchen, ihn zu melden. Er bot seine ganze, noch immer recht knabenhafte Autorität auf, vergebens. Selbst gegen ein ansehnliches Trinkgeld blieb der blonde Cerberus unerbittlich. So dreist das Mädchen gegen jeden war, vor ihrer jungen Prinzipalin hatte sie einen heillosen Respekt; nicht um die Welt hätte sie einem Gebot von ihr getrotzt.

Als Kurt sah, dass ihm der Eintritt verweigert blieb, fing er an, sie auszufragen. Aber auch damit hatte er wenig Glück. Wer denn bei Fräulein Lena drin sei?

Das Mädchen zuckte die Achseln.

»Herr Bornstein selbst etwa?«

Sie lachte frech auf.

»Ein Fremder?«

»Ja!« Mehr wisse sie nicht, er solle sie nun in Ruhe lassen.

Kurt ging, weil ihm nichts anderes übrig blieb. Am liebsten hätte er gleich an Bornstein telegraphiert, dass Gefahr im Verzuge sei. Aber er hatte ja nicht den geringsten Beweis dafür, dass es wirklich so war. Der Fremde konnte ebenso gut ein Geschäftsmann sein, der mit Lena zu thun hatte, als ein neuer unbekannter Verehrer. Warum sollte sie gerade diesen bei verschlossenen Thüren empfangen, da sie es mit einem von ihnen niemals gethan hatte, nicht einmal mit Bornstein!

Er wollte gegen Abend noch einmal hinausfahren und Lena gewissenhaft aufs Korn nehmen. Zeigte sich dann irgend etwas Verdächtiges, war es immer noch Zeit, Bornstein zu benachrichtigen.

Als Kurt zwei Stunden später wiederkam, war die Luft rein, und Lena gerade so kühl, ruhig und überlegen, wie sie es in letzter Zeit stets zu sein pflegte. Ungefragt erzählte sie ihm mit grösster Kaltblütigkeit von dem Besuch eines Landmannes, den sie nachmittags gehabt habe. Er sei Geschäftsmann und wolle sich hier etablieren. Da er ihren Rat in verschiedenen geschäftlichen Dingen erbeten, habe sie während seiner Anwesenheit niemand sonst empfangen können. Es thue ihr leid, dass er gerade um diese Zeit und vergebens bei ihr vorgesprochen habe.

Kurt war sehr zufrieden, dass er in seiner Herzensangst nicht gleich zum Telegraphenamt gestürzt war. Es wäre eine schöne Blamage gewesen.

Weniger kaltblütig wie Lena, brachte Franz Krieger die Stunden nach dem langen Beisammensein unter vier Augen mit ihr zu.

Merkwürdig war es ihm bei diesem Mädchen ergangen. Während der drei Wochen, die er nach Lottes Abweisung noch zu Haus hatte zubringen müssen, war Lena so gut wie vergessen gewesen.

Die Wunde, die Lotte ihm geschlagen hatte, sass zu tief, brannte zu schmerzlich, als dass ein anderer Gedanke daneben hätte aufkommen können. Er litt unsäglich, aber er litt ruhig und gefasst, in einer Art stumpfer Betäubung. Sie liebte ihn nicht, er musste lernen es zu ertragen. Erst seit er in Berlin war, hatte sein Schmerz einen durchaus andern Ausdruck angenommen. Vorbei war es mit der Ruhe, der Fassung, der Resignation. Hier, wo er geglaubt hatte, mit ihr glücklich zu sein, war eine peinigende Unruhe über ihn gekommen, ein brennendes Verlangen zu vergessen, was sie ihm angethan hatte. Was sollte er hier in dieser heiss-pulsierenden mächtig sich regenden Stadt mit seinem totwunden Herzen? Sollte er als ein bleicher, abgestorbener Schatten sein neues Leben beginnen, um es willensunfähig gleich wieder mit einem Schiffbruch enden zu lassen? Müde und gebrochen in eine Schaffensperiode treten, die den ganzen Mann forderte?

Nein, was es auch kostete, er musste seines Schmerzes Herr werden, musste sich herausreissen aus der dumpfen Betäubung, aus der er noch immer nicht erwacht war, seit er die vier steilen Treppen von Lottes Dachstübchen heruntergestiegen war.

Er suchte Vergnügungen auf; so neu und ungewohnt sie ihm waren, sie ekelten ihn an. Er trank mit fremden Kneipkumpanen – Bekannte und Freunde hatte er nicht in Berlin – zu dem schweren Herzen gesellte sich ein schwerer Kopf und machte ihn noch arbeitsunfähiger, als sein Kummer ihn ohnedies gemacht hatte. Endlich fiel ihm Lena ein. Ja, Lena war das rechte! Wenn irgendwo, so war es möglich, bei ihr das Vergessen zu lernen. Und vergessen wollte er.

Lenas kaum verhehlte Freude ihn wiederzusehen, rührte ihn beinah. Ja, sie hatte ihn wirklich gern, sie hatte es nie vor ihm verborgen. Wie im Fluge waren die Stunden mit ihr wiederum vergangen. Das erste Mal, seit Lotte jede Hoffnung, jede Lebensfreude in ihm ertötet hatte, dass er den langsamen, schleichenden Gang der Zeit nicht empfunden hatte. An Lena wollte er sich halten. In ihrer Nähe vergass er die nagende Pein um Lotte. Sie wirkte auf ihn wie starker Wein, süss und berauschend.

In diesem Rausch lief er stundenlang umher, bis er den Weg zu seiner entfernten Wohnung im Südosten der Stadt wiedergefunden hatte. Er dachte nichts anderes und wollte nichts anderes denken, als an den lockenden, verheissenden Blick ihrer schwarzen Augen, an die weichen Formen ihrer zur Ueppigkeit neigenden Gestalt, an den Druck ihrer feinen, mit funkelnden Steinen geschmückten Hand, der ihm noch in der Erinnerung, wie ein elektrischer Schlag durch die Glieder ging.

Am Sonntag hatte sie ihm erlaubt wiederzukommen. Heute war erst Donnerstag! Eine lange Zeit für einen, der sich vor seinen Gedanken fürchtet.

Als er am Sonntag den Laden betrat, tönten ihm aus dem türkischen Boudoir Stimmen und Lachen entgegen. Er wollte sofort die Flucht ergreifen. Lena in Gesellschaft anderer zu sehen, war ihm ein unerträglicher Gedanke. Er fühlte instinktiv, dass sie nur unter vier Augen jene alles vergessende Wirkung würde auf ihn ausüben können, deren er bedurfte, um zu leben, zu arbeiten. Aber das blonde Mädchen liess ihn nicht fort.

»Das Fräulein hat's mir extra eingeschärft, Sie hereinzuführen. Unangemeldet sogar«, fügte sie mit ihrem dreistesten Lächeln hinzu.

Als Franz eintrat, verstummte die Unterhaltung. Lena stand auf und begrüsste ihn mit stark betonter Liebenswürdigkeit. Dann stellte sie ihn als einen lieben Jugendfreund, der sich soeben in Berlin etabliert habe, den übrigen Anwesenden vor und bat Kurt in ihrer kurzen Art, die keinen Widerspruch duldete, Herrn Krieger den Platz an ihrer Seite abzutreten.

Kurt erhob sich sofort, aber er zog seine schärfste Spähermiene auf.

Jetzt galt es aufzupassen. Das also war der Geschäftsfreund, der bei verschlossenen Thüren empfangen worden war. Dies war am Ende doch eine Sache, die Bornstein etwas anging. Wer weiss, was nicht schon verfehlt war dadurch, dass er neulich nicht gleich telegraphiert hatte! Er liess die beiden nicht mehr aus den Augen, und genug gab es für ihn zu hören und zu sehen. Lena gab sich nicht die geringste Mühe, ihre Vorliebe für diesen Jugendfreund zu verbergen, und er war so vollständig in ihrem Bann, dass er alles andere darüber vergass. Je länger die Intimität der beiden dauerte, um so unbehaglicher wurde es Kurt zu Mut. Schliesslich sass er wie auf Kohlen. Die übrigen Besucher hatten sich längst verabschiedet.

Nur dieser täppisch verliebte Mensch und er sassen noch immer mit Lena an dem kostbar eingelegten Tisch und rauchten eine Cigarette nach der andern. Was sollte er thun? Es war höchste Zeit, an Bornstein zu telegraphieren, wenn der Freund morgen mit dem ersten Zug abfahren sollte. Und das schien Strehsen nicht nur geraten, nein, geradezu gebotene Notwendigkeit. Wie aber sollte er es anfangen, ohne die beiden allein zu lassen?

Endlich sah Lena auf die Uhr.

»Schon zehn? Mein Gott, darum bin ich auch so müde. Ich muss Sie jetzt entlassen, meine Herren. Auf Wiedersehen, Herr von Strehsen.« Sie reichte ihm flüchtig die Fingerspitzen zum Kuss.

Dann stahl sie ihre Hand zu Kurts Entsetzen ganz ungeniert in die des »provinziellen Menschen« und sagte mit ihrem verführerischsten Lächeln:

»Du kommst wohl morgen abend um acht, wie wir verabredet haben, lieber Franz?«

Draussen nahm Kurt sich kaum Zeit, sich von dem Friedensstörer zu verabschieden. Wie ein Verfolgter stürzte er auf den nächsten Taxameter zu und schrie ihn an, so schnell die Mähre laufen könne, nach dem Haupt-Telegraphenamt zu fahren. –

Mit einem der Vormittagszüge traf Bornstein ein. Da er Kurt telegraphisch davon benachrichtigt hatte, erwartete ihn der Leutnant auf dem Bahnhof.

Bornstein kochte vor Grimm, nachdem er Kurt gehört hatte. Dennoch nahm er sich Zeit. Seinen letzten Trumpf durfte er nicht leichtsinnig ausspielen.

Um acht Uhr hatte sie diesen Menschen zu sich bestellt. Er würde warten bis dahin. In flagranti würde er sie ertappen. Und dann, dann sollte reiner Tisch zwischen ihnen gemacht werden. Er hielt dieses Leben nicht mehr länger aus. Entweder oder. Biegen oder Brechen. Sie hatte ihn lange genug gefoppt. Seine Geduld war zu Ende.

Um ein viertel auf neun schritt er durch den Laden, ohne den Gruss des blonden Mädchens zu erwidern, gerade auf das türkische Zimmer zu, in dem Lena ausnahmslos ihre Besuche zu empfangen pflegte. Das Mädchen rief ihm etwas nach, was er nicht verstand. Er hörte auch gar nicht auf sie. Er riss die Thür auf. Das Zimmer war leer.

Da erst wandte er sich zu der jetzt dicht an seiner Seite Stehenden um.

Sie erschrak vor dem Ausdruck seines sonst so gutmütigen phlegmatischen Gesichts. Wie Wetterleuchten zuckte es darüber hin. Das spärliche rötliche Haar unter dem weit aus der Stirn zurückgeschobenen Hut schien sich förmlich zu sträuben.

Mit eisernem Griff umfasste er die Hand des Mädchens.

»Wo ist Fräulein Weiss? Lügen Sie nicht, ich rate es Ihnen.« Weit stiess er sie von sich und spuckte in einem grossen Bogen vor ihr aus.

»Pfui, Sie – Sie Gelegenheitsmacherin Sie!«

Das dreiste rohe Geschöpf zitterte an allen Gliedern. Sie glaubte nicht anders, als dass Bornstein plötzlich wahnsinnig geworden sei.

»Fräulein ist schon in ihrem Schlafzimmer. Sie wollte früh schlafen gehen. Sie sagte, sie wäre sehr müde!«

Er lachte laut und höhnisch auf.

»Wie Du schlau bist, Kröte! Aber es hilft Dir nichts. Glaubst Du, ich wüsste nicht, dass jemand bei ihr ist? Marsch, mach' Platz, ich will hinein!«

Er stiess sie zur Seite wie eine giftige Natter und stürzte durch den kleinen Gang, der von dem Laden zu Lenas Wohnung führte. Die Verbindungsthür war schon verschlossen. Er riss an der Klingel, einmal, zweimal. Als nicht gleich jemand kam, donnerte er mit den Fäusten dagegen.

Jetzt wurde der Riegel zurückgeschoben. Lenas Köchin stand vor ihm.

Er schob sie bei Seite und schlug die Thür hinter sich zu.

»Wo ist das Fräulein?« Ganz heiser war er vor Wut. Die grossen runden Augen quollen ihm förmlich aus dem Kopf.

Das Mädchen, eine dumme, gutmütige Person, blieb ganz arglos.

»So viel ich weiss, ist das Fräulein schon beim Auskleiden.«

Er stürzte an ihr vorbei auf Lenas Schlafzimmer zu. Da erst sah ihm das Mädchen mit grossen, angsterfüllten Augen nach. Auch sie glaubte nichts anderes, als dass der Herr plötzlich den Verstand verloren habe.

Als Bornstein die Thür erreicht hatte, wurde sie auch schon von Innen geöffnet.

Lena trat auf die Schwelle in einem scheinbar rasch übergeworfenen, losen weissen Morgengewand, das prachtvolle schwarze Haar aufgelöst im Nacken. Sie zog die Thür rasch wieder hinter sich zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und sagte mehr erstaunt als geärgert:

»Was soll denn der Lärm bedeuten? Wo kommen Sie plötzlich her, Bornstein?«

Ihre Ruhe empörte ihn noch mehr. Dabei war sie so verführerisch schön in ihrem nachlässig übergeworfenen Anzug, der ihre ganze blühende Jugend ahnen liess, dass er den letzten Rest von Fassung verlor. War er der Narr dazu, einem anderen zu gönnen, was er selber nie besessen hatte!

Er packte Lena beim Arm und versuchte sie von der Thür zurückzureissen.

»Mach' Platz«, schrie er, weiss vor Wut. Als sie sich nicht rührte, stiess er sie bei Seite und streckte die Hand nach der Thürklinke aus.

Aber sie war schneller als er. Mit einer raschen Bewegung drehte sie den Schlüssel im Schloss um, zog ihn ab und liess ihn in ihre Tasche gleiten.

»Wirst Du gleich öffnen«, knirschte er.

Sie sah ihn von oben bis unten mit einem grenzenlos verächtlichen Blick an.

»Hab' ich Ihnen je mein Schlafzimmer geöffnet? Wie soll ich heute dazu kommen?«

»Mir nicht, aber einem andern«, schrie er bebend vor eifersüchtiger Wut. »Mach' auf, oder ich schlage Dich tot!«

Sie zog den Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn selbst ins Schloss.

»Bitte«, sagte sie ruhig.

Er sah sie verblüfft an. Einen Augenblick schwankte er, ob er von seinem Verlangen zurücktreten sollte, dann drehte er den Schlüssel im Schloss und öffnete die Thür. Pah! Diese geheuchelte Ruhe war nichts als eine Finte, ihn auf andere Fährte zu locken. Aber er war nicht so dumm, darauf hereinzufallen. Ohne Zweifel hielt sie den Elenden in ihrem Schlafzimmer versteckt. Gnade ihm und ihr!

Er stürzte hinein, besinnungslos mit vorgestrecktem Kopf wie ein Hund, der einem Wild auf den Fersen ist. Mit untergeschlagenen Armen stand sie überlegen lächelnd dabei. Innerlich frohlockte sie, dass es so gekommen war. Dies war Freiheit, war Erlösung.

Er durchstöberte jede Ecke, jeden Winkel, der einen Versteck hätte bieten können. Nur an ihr unberührtes Lager wagte er sich nicht heran.

Nichts, nirgends auch nur eine Spur.

Sie wartete ruhig, bis er fertig sein würde. Sie regte sich nicht und sprach kein Wort. Nur der Spott um ihren Mund sprach eine beredte Sprache.

In demütiger, gebeugter Haltung kam er zu ihr zurück.

Er kroch mehr, als er ging.

»Verzeih' mir, Lena, Kurt hat mich rasend gemacht – er sagte – er glaubte –«

Er hob den Blick zu ihr auf, aber ihre ihm begegnenden Augen sahen ihn so verächtlich an, dass die Rede ihm stockte. Er verbeugte sich und schritt stumm über die Schwelle. Als er aus dem Zimmer war, rief sie ihn noch einmal an:

»Wir sind nach diesem wohl fertig mit einander, das werden Sie selbst einsehen.«

Er wollte etwas sagen, aber sie unterbrach ihn rasch.

»Bedanken Sie sich bei Ihrem Freunde dafür, nicht bei mir. Und nun, gute Nacht, ich bin müde.«

Sie zog die Thür nachlässig ins Schloss. Er hörte noch, wie sie den Riegel vorschob. Wie ein geprügelter Hund schlich er davon.

Erst draussen machte er seinen Gefühlen Luft. Ohne auf die Menschen zu achten, die in Richten Scharen die Potsdamer Strasse belebten, hob er die Faust auf und schrie laut:

»Warte Kurt, den Freundschaftsdienst sollst Du mir büssen!«

Lena entkleidete sich sehr langsam, nachdem sie die Ordnung in ihrem Zimmer wieder hergestellt hatte. Ein befriedigtes Lächeln umspielte ihren vollen Mund.

Als sie im Bett lag, nahm sie einen zusammengelegten, beschriebenen Zettel von ihrem Nachttisch. Es war ein Gruss von Franz. Er hatte ihn als Antwort auf den Brief geschickt, in dem sie ihre Verabredung von heut auf morgen verlegt hatte.

Diese Veränderung, von einer Laune diktiert, war ihr zum Schicksal geworden. Der Würfel war gefallen und, wie es schien, wieder einmal zu ihren Gunsten. Seit sie Franz wiedergesehen, hatte sie nach einem Bruch mit Bornstein gelechzt.

Behaglich streckte sie sich in ihren weissen Kissen aus. Ein langweilig gewordenes Buch war bei Seite geworfen, ein neues aufgeschlagen worden. Würde es auf die Dauer fesselnder sein?

* * *

 


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