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Zufällig allein

Eine moderne Geschichte.

Grau liegt die Nacht auf Strasse und Haus,
Die bleichen Laternen löscht man schon aus.
In kahler Dachkammer, umheult vom Wind
Hockt, halb verschlafen, ein junges Kind.
Vor Kälte zitternd, die Lider schwer
Seufzt's: »Kommt denn die Mutter heut gar nicht mehr?«
Die Nachbarin steckt den Kopf durch die Thür:
»Na, Kleene, noch immer alleene hier?«
»Mütterchen ging wohl ein Stündchen aus
Arbeit suchen im reichen Haus.«
Sie höhnt und grinst und brummt vor sich hin
Die hässliche, böse Nachbarin:
»Auf Arbeit bei Nacht! Wird was rares sein,
Liess Dich wohl – hihi – bloss zufällig allein?«

Durchs Fenster lugt schon des Tages Schein,
Da schleicht sich die Mutter leise ein.
Auf der Schwelle steht sie. O Gott wie schön!
So hab ich sie niemals sonst gesehn.
Verschlafen blinzle ich zu ihr hin,
Geschmückt ist sie wie eine Königin:
In Seide und Spitzen mit schimmerndem Schein,
Im Goldhaar glänzt ihr ein Demantstein.
Den Hals schmückt glitzernde Perlenschnur,
Wer gab ihr alle die Schätze nur?
Und näher tritt sie – das Antlitz blass,
Auge und Wangen von Thränen nass.
Sie will mich herzen – da hält sie ein
»Ach, dass ich ihn fand – zufällig allein.«

Aus Tag und Stunden wuchs Jahr zu Jahr.
Bin Backfisch, höhere Tochter gar.
Trag chicke Kleider, schmücke mich gern
Manchmal schauen auf mich schon die Herrn.
Wir wohnen im Villenviertel, pompös,
Die Einrichtung fesch, der Stil luxuriös.
Bewirten Gäste in Prunk und Staat
Und täglich kommt – der Kommerzienrat.
Dick wie sein Bauch ist sein Portemonnaie,
Den Schnurrbart wichst er à l'emp'reur in die Höh'.
Er ist sehr lieb mit der schönen Mama.
In stillen Stunden sag' ich ihm »Papa«.
Doch bin ich, soll ich ganz ehrlich sein –
Nicht gerne mit ihm – zufällig allein.«

Der Sommer blüht, es lacht die Au,
Rotrosen stehn duftig im Morgenthau.
Ich liege im Walde, im Sonnengold
Und träume ein Märchen wunderhold.
In den Adern klopft mir das junge Blut,
Ich träume von einem, der wär' mir gut.
Und einmal treff ich ihn wirklich auch
Abends beim weissen Jasminenstrauch.
Ich frage nicht: Bist Du der oder wer?
Die durstigen Lippen reich' ich ihm her.
Er küsst sie mir heiss, er küsst sie mir rot,
Wir lieben uns, lieben uns bis zum Tod.
Und trunken flüstert er in mich hinein:
»Ach, dass ich Dich fand – zufällig allein!«

»Komm mit zur Mutter, dass ich's ihr vertrau.«
Wir wollen ja werden Mann und Frau.
Sie lacht uns aus und macht uns klar,
Dass nichts zu nichts stets Thorheit war.
Ich trotze und drohe, er bittet und fleht,
Die Mutter mit bitterem Lächeln steht:
»Ein armes Mädel, ein armer Mann,
So fängt das Elend, die Schande an.« –
Er wendet sich stolz, raunt leise mir zu:
»Ich warte auf Dich, Du Liebste Du!«
Zwei Monate später meldet sich schon
Der ältliche, reiche Schwiegersohn.
In der Brautnacht erst – es muss wohl so sein,
Liess man uns beide – zufällig allein.

Er geht in den Klub, er pokert, gewinnt,
Ist gichtisch und königstreu gesinnt.
Ich fahre zum Schneider und in die Soirée,
Bin Star und Attraction beim five o'clock Thee.
Ich extravagiere und lebe chick,
Und flirte und mache überall Glück.
Zuweilen – ich hoffe, man glaubt mir die Mär –
Geht es bei mir auch ernsthaft her.

Zum Beispiel: der Boxie ist ohne Appetit
Und Foxie fastet aus Freundschaft mit.
Neulich sah's sogar gefährlich aus:
Man brachte mir nachts den Mann nach Haus
Mit Indigestionen und Zipperlein.
Zum Glück war ich gerade – zufällig allein.


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