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Der schöne Ede

»Jotte doch, Mächens, wat is denn los! Ihr mumpitzt hier ja rum, als ob Ihr auf'n Subskriptions-Ball machtet!«

Frau Lütke stand in der Thür zu der Kammer ihrer Töchter, deren engen, schmalen Rahmen sie mit ihrer Leibesfülle nahezu ausfüllte und sah der Toilette ihrer beiden Jüngsten zu, von denen die eine mit dem Gesicht in der Waschschüssel steckte und die andere sich ein paar kokette Stirnlocken brannte, während sie den Mund voll Haarnadeln hatte.

Das eine schmale Bett war mit Röcken, Blusen, Gürteln, Hüten und Jacketts vollständig bedeckt.

»Na, wird's bald? Wat jiebt et denn?«

Kläre, die ältere und lebhaftere der beiden Mädchen, spuckte die Haarnadeln auf das wacklige Tischchen, vor dem sie sass.

»Was feines, Mutter.«

Das Brenneisen glitt durch ihren blonden Wuschelkopf.

»Marthe und ich haben 'ne Einladung nach 'em Franziskaner.«

Obwohl die enge Kammer kaum Platz für zwei hatte, schob Frau Lutke sich vollends durch die Thür und sie hinter sich zuziehend, pflanzte sie sich mit ihrem breiten Rücken dagegen, mit dem einen Ellenbogen das schmale Bett, in dem beide Mädchen schliefen, mit dem andern Marthes noch immer im Wasser 'rumpudelnde Arme berührend.

»Ist et denn wat Reelles?«

»Na ob,« pruschte Marthe aus der grau emaillierten Schüssel hervor.

»Wie'n Dreckfink sieht man aus, wenn man aus das schmutzige Geschäfte kommt. Was die Berliner dämlich sind mit ihre olle Warenhäuser. Blos hinter die Kulissen gucken sollen se 'mal!«

Kläre war inzwischen mit ihrer Frisur fertig geworden. Sie reckte sich in den Hüften und die Hände um die schlanke, graziöse Taille spannend, die ein gut sitzendes Mieder eng umschloss, wiegte sie sich vergnüglich hin und her.

»Meiner is jedenfalls was reelles. Bankhaus in der Spandauerstrasse, Strille heisst er, Walter Strille, Berliner von Geburt, aber lange in England gewesen, erst seit kürzlich wieder hier, mächtig Moos hat er.«

»Weest es ooch jenau, Kläreken, Joldmächen? Dass de Dir nich verplämperst, rat ick Dir.«

Kläre drückte sich an der Mutter vorbei, um an das Bett zu gelangen, auf dem die Abendtoiletten der Mädchen ausgebreitet waren. Rechter Hand Kläres: eine etwas hartblaue seidene Bluse und ein schwarzer Rock, dazu das schwarze Jackett und der weisslich graue Filzhut mit dem genialen Knuff in der Mitte und der schmalen Goldtresse um den Kopf.

»I wo wer ich denn,« lachte sie, »das wär' auch das erste Mal. Wir sind doch helle, wir Lutkes Mächen.«

»Is ooch nötig, Kinderckens – das Geschäfte alleen thut's nich – bei die teuren Zeiten – denkt man blos, de Butter is seit jestern wieder um 3 Pf. teurer jeworden – ick wer den Dicken in die jute Stube schon wieder mit's Frühstück steijern müssen.«

»Steijer'n man, Mutter,« bemerkte Marthe in ihrer phlegmatischen Art, »alles steijert, unsere Konfektioneuse« – Marthe sprach es durch die Nase mit zusammengespitzten Lippen – »hat uns auch wieder jesteigert bei die blauen Blusen.«

Die Alte schlug sich auf die Schenkel, dass es klatschte.

»Nu hört's aber uff, so'n verdammtiges Aas.«

Dann liess sie sich bekümmert auf den Bettrand nieder, dass er krachte und während sie Kläre den schmalen Goldgürtel im Rücken feststeckte, stöhnte sie schwer auf.

»Ne waraftig, Sorjen wohin man tippt,« und ihre männliche Stimme zu einem Flüsterton dämpfend: »Det schlimmste is mit'n Ede.«

»Was is denn mit'n Ede?« riefen die Schwestern wie aus einem Munde, ihre Toilette unterbrechend.

»Pst doch, wat soll denn sein? Verschwunden is er mal wieder und Jeld hat er auch keins jeschickt.«

»Dass Du ihm nicht etwa'n Bums machst, Mutter, wenn er wieder kommt!« sagte Kläre drohend.

»Ick wer doch'n Ede keenen Bums machen, so'n juten, lieben, scheenen Jungen. Aber ick ängstje mir.«

»Was denn nich noch, Mutter! Um Ede ängstigen! Der wird feste zu thun haben.«

»Na, wolln's hoffen. Wie heisst denn Deiner, Marthe? Mächen, biste verrückt, Dich so einzuknallen? So wat hätt' ick mir riskieren sollen.«

Die beiden Mädchen lachten aus vollem Halse, mit ihren Blicken die unförmliche Taille der Mutter umspannend.

»Ihr seid wohl nich janz bei Euch! Wat jlaubt Ihr wohl, wat ick als Mächen vorne Taillenweite jehabt habe!« Die Mädchen lachten noch immer.

»Seid doch nich so dämlich, höchstens 78. Habt man erst sechs Kinder un nischt zu präpeln als Brot, Kartoffeln und Kohl. Na ja, nu reisst Ihr die Mäuler auf. Siebzehn war ick knapp, als Vater mir jenommen hat. Da jab's nischt mehr von Restorangs mit warmet Abendbrot. Aber ich jönn's Euch, waraftig, ich jönn's Euch.«

Die Mädchen küssten sie, jede auf eine fleischige Backe.

»Na lasst jut sein. Also, Marteken, wat is denn Deiner?«

Marthe zuckte die runden Schultern.

»Viel weiss ich nich von ihm, Mutter. Mit Klären ihren is mehr los. Aber Herr Martin is'n jefühlvoller und'n schöner Mensch, beinah so schön wie unser Ede. Ausserdem ist er in'n Druckereijeschäft.«

»Dann kann er wat sein und kann auch nischt sein. Nu macht aber endlich, dass Ihr aus'n Bau kommt. Waraftig, jleich neune. Es is nich nötig, dass der Dicke Euch so fein wejjehen sieht. So'n oller Philister denkt sich jleich wat und jlaubt, er is nich bei anständje Leute.«

Kläre lächelte schlau.

»Aber, Mutter, wo wird er denn so was denken!«

»Man kann nie wissen, wie dämlich einer is!«

Die Mädchen waren fertig.

»Na Adjö auch, Kinderkens.«

Die Alte zog das schwammige Gesicht in ernste Falten. »Und dass Ihr mir keene Dummheiten macht! Jleich nach's Abendbrot wird nach Hause jekommen, höchstens noch'n Schlückchen Kaffee Unter de Linden.«

»Ja, ja, Mutter.«

Kläre und Marthe waren schon auf der ersten Treppenstufe. »Wenn der Ede nach Hause kommt, grüss' ihn auch schön.« – – –

Strille und Martin sassen schon seit einer halben Stunde im Franziskaner und warteten ungeduldig. Sie hatten die Mädchen am Sonntag in der Alhambra kennen gelernt und gegenseitig gleich grossen Gefallen an einander gefunden. Heute war Sonnabend. Es schien den beiden eine kleine Ewigkeit seit sie Kläre und Marthe nicht gesehen hatten. Es waren aber auch wirklich ein paar ganz reizende kleine Käfer, hübsch und fesch, gesund und lustig, durchaus bescheiden und mit keinem überflüssigen Gemütsballast beschwert. Ein paar Mädels, mit denen man sich amüsieren konnte, so lange man wollte und die nicht schwer wieder los zu werden sein würden.

Zuerst hatten sich die jungen Leute alle beide auf die schlanke, blonde Kläre gestürzt. Dann hatte Strille sie mit seiner zähen Energie so ganz für sich beansprucht, dass Martin nichts übrig blieb, als sich an die brünette, etwas zur Ueppigkeit neigenden Marthe zu halten. Er hatte sich auch sehr wohl dabei befunden und erwartete sie heute womöglich noch ungeduldiger als Strille sein blondes Schlankchen.

Die ersten beiden Halben hatten die Beiden in schweigender Erwartung geleert. Als die Mädchen immer noch nicht kamen, warf Martin, der jüngere und unerfahrenere von Beiden, – Strille war mit allen Hunden gehetzt – die Frage nach den möglichen Familien-Verhältnissen der Schwestern auf.

»Na im Gothaschen wirst Du sie nicht gerade finden, Martin. Vielleicht nicht mal im Adressbuch. Ist ja auch gar nicht nötig. Ich wenigstens bin mit dem, was mir die Kläre erzählt, vollkommen zufrieden. Ich glaube nicht, dass das Mädchen schwindelt und wenn schon. Blumenfabrik Köpnickerstrasse, Mutter Zimmervermieterin in der Lottumstrasse, Vater tot, bleibt noch der vielgeliebte Bruder Ede, hinter dessen Metier ich noch nicht gekommen bin. Muss wohl ganz was extras sein, da die Mädchen sich so mit ihm haben. Uebrigens ein paar muntere, bescheidene Dinger, oder hast Du mit Deinem Dickchen andere Erfahrungen gemacht?«

Martin war sittlich entrüstet.

»Marthe ist das liebste, beste, bescheidenste Geschöpfchen auf der Welt – und mollig!«

»Na, na,« machte der junge Bankbeamte, von so viel Enthusiasmus überrascht. »Lauf nur nicht gleich mit ihr aufs Standesamt.«

In diesem Augenblick betraten Kläre und Marthe das Lokal. Strille hatte sich so gesetzt, dass er den Eingang im Auge hatte. Er sprang auf und trat rasch auf sie zu, Martin hinter ihm her.

»Na da seid Ihr ja endlich, Mädchens.«

Martin presste Marthe verstohlen die Hand. Er wollte seine Gefühle vor dem ewig spöttelnden Strille nicht zum zweiten Mal preisgeben.

»Endlich,« flüsterte er, seine Hand mit der ihren zusammen zärtlich in die Falten ihres Kleiderrocks drückend.

Die Herren halfen den Mädchen die Jaketts abnehmen.

»Hü,« meinte Strille, »mächtig fein habt Ihr Euch gemacht.« Martin bewunderte im Stillen. Marthe gefiel ihm heute womöglich noch besser als Sonntag in der Alhambra.

Nach dem fidelen Abendbrot – Kaviarschnitten mit Zwiebeln, Filet-Beefsteaks mit Bratkartoffeln, Schweizer Käse – »üppig«, schnalzte Kläre, die sich beim Essen nicht zu menagieren brauchte, da sie absolut keine Disposition zum Starkwerden zeigte – brach das Quartett auf und pendelte nach den Linden. Kläre brannte auf »Westminster«. Da waren am Sonntag zwei ihrer Kolleginnen gewesen und ganz weg davon. Marthe wollte ins Viktoria-Café. Endlich entschied Kläre.

»Kinder, geht hin, wo Ihr wollt. Wir gehen ins Westminster. Nicht wahr, Strilleken? Wir werden uns schon alleine amüsieren!«

»Und wie komm' ich ins Haus?« klagte Marthe.

Kläre griff in die Tasche. »Na, weil Du's bist, Marthe,« und sie händigte ihr einen zweiten, fürsorglich eingesteckten Hausschlüssel ein.

Ehe sie sich trennten, wurde für Montag – Martin hatte für Sonntag plädiert, aber da hatte Strille eine Einladung zu seinem Chef, die er nicht ablehnen konnte – um neun Uhr Rendez-vous Mittelstrasse Hotel Janson vereinbart. Zur Abwechslung würde ein Schoppen Brauneberger nicht schlecht schmecken.

Am Montag Morgen, als Strille an seinem Pult stand und Kurse notierte, wurde er von einem der Diener abgerufen. Draussen sei ein Dienstmann mit einem wichtigen Brief, den er nur an Herrn Strille selbst abgeben dürfte.

»Von einem Fräulein,« sagte der Express vertraulich, und händigte Strille einen schwarz umränderten Briefumschlag ein.

»Ist Antwort?«

»Jawohl!«

Strille, der keine Ahnung hatte, von wem der Trauerbrief mit der ungebildeten Handschrift kommen konnte, riss den Umschlag auf und sah nach der Unterschrift. »Ihre ergebene Kläre Lütke.«

Nanu, was war denn da plötzlich passiert? Sie hatten sich doch erst Sonntag gegen Morgen getrennt!

 

»Lieber Herr Strille! Denken Sie nur, welch' ein schreckliches Unglück uns betroffen hat. Unser lieber Bruder Ede ist heute um 5 Uhr morgens plötzlich im blühendsten Jünglingsalter gestorben. Meine arme Mutter is ganz weck for Kummer. Wenn sie so gut sein möchten, mir für den ersten Schreck 5 Märker zu schicken!

Wir sind alle man grade knapp. Mit heute abend bleibt es bei unserem Rendefuh. Marthe und ich freuen uns ser, Sie und Herrn Marthin bei Jansen wiederzusehen.

Ihre ergebene
Kläre Lütke.«

 

»Nu schlag einer lang hin,« dachte Strille und fasste nach seinem Portemonnaie. »Auch eine Sorte von Familientrauer.«

Als er den Brief einstecken wollte, sah er, dass noch eine Nachschrift vorhanden war.

»Der Dienstmann is ganz sicher; er is 'n oller Onkel von uns.«

Einen Augenblick unterlag Strille der Versuchung, den »ollen Onkel« nach dem plötzlichen Tod des schönen Ede zu fragen, aber der kleine Vorgang hatte schon so viel lächelnde Aufmerksamkeit erregt, dass Strille der Sache lieber schnell ein Ende machte und dem Dienstmann die von der trauernden Hinterbliebenen erbetenen fünf Mark einhändigte. Die Mädchen würden ihm ja wohl die Details über den plötzlichen Tod des schönen Ede nicht lange vorenthalten.

Die Neugierde trieb Strille rechtzeitig zu Janson. Es war noch niemand von den anderen dort. Um sich die Zeit zu vertreiben, liess sich Strille eine Zeitung geben, in der er ausser der leidigen Chinafrage und den laufenden Prozessen nichts besonderes fand, höchstens interessierte noch die Nachricht von einem Einbruchsdiebstahl in einem grossen Bankhaus im Centrum der Stadt. Es war nur das Faktum konstatiert. Bis auf den Umstand, dass der Einbruch in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag schon einmal versucht und durch die Wachsamkeit des Bankwächters vereitelt worden war, dann in der Nacht vom Sonntag zum Montag ausgeführt worden war, schien man noch nichts Näheres zu wissen.

Gerade hatte Strille zu Ende gelesen, als Martin eintrat, der durch einen spät eingelaufenen Druckauftrag aufgehalten worden war. Wenige Augenblicke nach ihm kamen die Lütke's Mädchen.

Strille hatte nur gerade noch Zeit gehabt, Martin von dem plötzlichen Unglücksfall in Kenntnis zu setzen, als Kläre und Marthe auch schon eintraten, beide in tiefer Trauerkleidung mit langen schwarzen Crêpeschleiern auf den Hüten.

Martin kondolierte feierlich. Strille nicht ganz ohne losen Spott. Die Mädchen waren wirklich bewegt; sie klagten unausgesetzt über ihren lieben, schönen Ede und sein jähes Ende; er war ein gar zu lieber Junge gewesen.

Ein wahres Glück, dass Strille vorher ein Zimmer bestellt hatte, zu dem keine anderen Gäste Zutritt fanden. Besonders Kläre fing immer wieder von vorn mit ihren Klagen an, während Marthe, Martins Hand in der ihren, still vor sich hinweinte.

»Und dass nun alles in die Zeitungen kommt,« schluchzte die Blonde ganz unvermittelt in das dritte Taschentuch.

»So lasst doch keine Annonce einrücken, wenn Euch das so schrecklich ist,« sagte Strille endlich ungeduldig.

Kläre sah ihn verständnislos an.

»Na also, wenn Euch die Sache so nahe geht, hättet Ihr auch zu Hause bleiben können!« Strille stand auf und drückte auf den Knopf in der Wand. »Eine Flasche Pommery, Karl.« Vielleicht half das über den Schmerz fort. Dieses Gewimmer fiel ihm gräulich auf die Nerven,

Wirklich that die erste Flasche Pommery halb, die zweite ganz ihre Schuldigkeit.

Nachdem beide leer geworden waren, verliess das Quartett Jansons Hotel und je zu zweien ging man wieder seine eigenen Wege. Marthe hatte heute aus eigenem Ermessen einen Hausschlüssel eingesteckt.

Am nächsten Morgen, als Strille nach einer lustigen, etwas wüsten Nacht mit benommenem Kopf beim Kaffee sass, fiel ihm bei einem flüchtigen Einblick in die Zeitung die folgende Notiz in die Augen: Schnelle Justiz. Aus Gründen, die bisher die Polizeibehörde für gut befunden, uns zu verschweigen, sind bis gestern Abend spät die Details des Einbruchs in das Bankhaus David und Sperling – auch der Name des Bankhauses wurde erst heute bekannt – verheimlicht worden. Der Thatbestand, den wir nicht ohne Mühe zu ermitteln vermochten, ist der folgende: Obwohl seit zwei Jahren von der Bildfläche, oder wenigstens aus der Oeffentlichkeit verschwunden, werden sich die meisten unserer Leser noch des berüchtigten Einbrechers, genannt der »schöne Ede« erinnern.«

Strille stockte das Blut. Es ward ihm dunkel vor den Augen. Er riss sich krampfhaft zusammen und atemlos las er weiter.

»Das lang Erwartete ist zum Ereignis geworden. Der schöne Ede fand sich nach langer Pause zu einer Gastrolle in Berlin wieder ein. Das Schicksal wollte, dass es seine letzte sein sollte!

Polizei und Wächter hatten zwar trotz der Warnung von Sonnabend Nacht den Einbruch dieses, in seinem Fach überaus talentvollen jungen Menschen, nicht zu verhindern vermocht, doch war ihnen noch so viel Aufmerksamkeit geblieben, dem Thäter sofort nach vollbrachter That auf die Spur zu kommen. Der schöne Ede setzte sich wütend zur Wehr. Nachdem seine Trics erschöpft waren, zog er blitzschnell einen Revolver aus der Tasche, um ihn auf den Schutzmann abzudrücken, der ihn bei der Brust gepackt hielt. Im Stande der Notwehr zog der Polizist blank und verwundete den schönen Ede tötlich. Wie wir hören, hauchte dieser moderne Rinaldo Rinaldini gegen fünf Uhr morgens seinen erfinderischen Geist aus.«

Strille sprang auf und stiess den Stuhl weit hinter sich fort. Wie ein Besessener lief er im Zimmer umher, Kopfschmerz und Kater waren vergessen.

Gott's Donner, da war ja noch eine Nachschrift. War es denn noch nicht genug?

»Wie wir nachträglich erfahren, heisst der schöne Ede mit seinem bürgerlichen Namen Eduard Lutke. Seine Mutter ist Zimmer-Vermieterin in der Lottumstrasse, zwei seiner Schwestern sollen in hiesigen grossen Geschäften angestellt sein.«

Strille setzte sich wieder. Das war zu stark. Dass ihm, dem mit allen Hunden Gehetzten so was passieren konnte! Er musste ein paar mal heftig schnaufen, ehe er wieder zu sich kam. Eine verfluchte Geschichte! Ein wahres Glück, dass nur Martin darum wusste, der in derselben Lage war wie er. Der würde ja wohl reinen Mund halten.

Strille nahm das Zeitungsblatt zum vierten Mal wieder auf.

»David & Sperling!« Auch das noch, ein Bankhaus in der Königstrasse, keine zehn Minuten von dem seinen. Wenn dieser schöne Ede statt bei »David & Sperling« bei seinem Chef eingebrochen hätte und er und die blonde Kläre in der Verhandlung –! Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Ihm war zu Mute wie dem Reiter über'm Bodensee. Er schenkte sich mit zitternden Händen eine frische Tasse heissen Kaffee ein und nahm rasch ein paar Schluck. Ah, das that gut!

Wenn er die Sache bei Licht besah, war es eigentlich sehr rücksichtsvoll von dem schönen Ede gewesen, da er schon einmal in diesem Viertel gearbeitet, gerade zu »David & Sperling« zu gehen. Er hatte alle Ursache, dem lieben, von Kläre und Marthe vergötterten Kerl, noch im Tode dafür dankbar zu sein.

Wirklich, die Lutkes waren honorige Leute! Ehre ihrem Andenken!


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