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Sein Modell

Wer kennte es nicht, das alte einstöckige Haus in der Tiergartenstrasse, mit seinem verwitterten gelblichen Anstrich, seinem altmodischen Uhrwerk und dem steiflinigen Balkongeländer des Oberstocks, den breiten Platanen und grünen Rasenflächen zwischen der weit zurückliegenden Hausfront und der Strassenbreite, dem alten, halb verwilderten Park dahinter, der sich bis zum Landwehrkanal hinüberzieht und ungezählte lauschige, verwachsene Plätzchen, weidenumschattete Teiche, alte, von Epheu überwucherte Urnen und Vasen birgt, von denen heut kein Mensch mehr weiss, zu wessen Erinnerung sie einst errichtet wurden.

Jahrzehntelang hatten zwei alte Paare in dem alten Hause gewohnt. Die Männer waren einst Geschäftscompagnons gewesen, dann hatten sie ihren Lebensabend dort draussen, damals weit entfernt von der Stadt, in friedlichem Behagen genossen. Hochbetagt waren die vier alten Leutchen kurz nacheinander gestorben. Lange Zeit war das Haus leer geblieben, bis man plötzlich an einem Januarmorgen dieses Jahres wieder Gardinen an den Fenstern sah. Kommerzienrat Feiler, der älteste Enkel des ursprünglichen Besitzers, nun auch schon ein Mann in den Fünfzigern, hatte das Grundstück mit dem gesamten Inventar übernommen und, ohne viel daran zu ändern und zu modeln, es mit seiner einzigen Tochter und einer ziemlich zahlreichen Dienerschaft bezogen. Nach langen Jahren war wieder Leben in das alte stille Haus gekommen.

Ein ungewöhnlich warmes Frühjahr begünstigte den regen Verkehr munterer Jugend in den langen Baumalleen, zwischen den weidenumstandenen Teichen, in den ältesten, verwildertsten Partien des Parkes, zwischen denen die jungen Mädchen in ihren hellen, luftigen Frühjahrskleidern mit Vorliebe umhertollten wie bunte Falter über morastigen dunkeln Grund.

Heut, an einem sommerwarmen Maitag, der schon in den Abend zu sinken begann, hatte sich die Jugend vorn auf dem grossen Rasenplatz zwischen den Platanen zum Lawn Tennis versammelt, während in den hinteren, einsamen Parkpartien die älteren Herrschaften lustwandelten. Es war die erste grössere Gesellschaft die Herr Feiler in seiner neuen Behausung gab, und zu der feierlich geladen worden war.

Die rostigen Zeiger der alten Uhr zeigten auf zehn Minuten vor acht, als der Kommerzienrat durch den buchsbaumgefassten Gang, der den Hintergarten mit dem Vordergarten verband, auf seine Tochter zutrat. Das junge Mädchen, das heut nicht so eifrig als sonst wohl am Spiel teilgenommen hatte, blickte mit einem seltsam gespannten Blick über die Köpfe der Spielenden fort auf die Strasse hinaus.

»Hedda, aber Hedda!«

Der Kommerzienrat musste seine Tochter zweimal anrufen. Dann fuhr sie erschreckt herum.

»Was ist denn, Papa?«

»Nichts zum Erschrecken, Kind. Wer wird gleich so nervös sein! Du sollst aufhören lassen. Wir wollen zu Tisch gehen!«

»Schon, Papa? Es ist kaum acht Uhr!« Etwas wie Enttäuschung stieg in dem feinen, blassen Gesichtchen auf.

»Hat die Franke Dir zu sagen vergessen, dass um acht gegessen werden soll? Du weisst doch, Kindchen, ich liebe die späten Stunden nicht.«

»Ach ja!« seufzte Hedda resigniert.

Der Kommerzienrat lächelte.

»Ja, ja, meine altmodischen Ansichten sind Dir ein Dorn im Auge, mein Kind, aber Du musst Deinen Vater nun einmal verbrauchen wie er ist.«

Hedda wurde rot.

»Ach, so meinte ich's ja gar nicht, Papa.«

»Na, lass gut sein und sorge, dass die jungen Leute« – er warf einen Blick auf die alte Uhr – »in fünf Minuten im Gartensaal sind.«

Hedda nickte stumm und richtete dabei einen neuen langen, gespannten Blick auf die Strasse hinaus. Dann löste sie die Partie auf und bat die jungen Damen und Herren, ihr in den Gartensaal zu folgen, der einfach und ländlich ausgestattet, dafür aber mit einer Fülle seltener Blumen geschmückt war.

Die vorher festgesetzte Tischordnung machte das Arrangement leicht. Binnen weniger Augenblicke hatte die ziemlich zahlreiche Gesellschaft ihre Plätze eingenommen. Der Sitz zur Linken Heddas war leer geblieben.

»Eine verspätete Absage,« meinte sie verlegen. Allein die Thatsachen straften ihre Worte Lügen. Die mit einer kräftigen Bouillon gefüllten Empiretassen waren noch nicht ausgetrunken, als ein junger, schlanker Mensch, etwa um Anfang dreissig, nach einer flüchtigen Begrüssung und Entschuldigung bei dem Kommerzienrat, den leeren Sitz neben Hedda einnahm.

Der junge Mann, obwohl in der Oeffentlichkeit schon eine ziemlich bekannte Persönlichkeit, war unter den Gästen des Feilerschen Hauses gänzlich fremd. Da Hedda in ihrer Verlegenheit keine Anstalten machte, ihn vorzustellen, übernahm er selbst diese Aufgabe und verbeugte sich gegen seine nächste Umgebung, indem er seinen Namen, Fritz Halden, nannte.

»Der Maler Halden?«

»Jawohl.«

»Ich habe die Ehre gehabt, die Herrschaften im Sommer im Gebirge kennen zu lernen. Den Winter über war ich in Capri, habe daher erst selten den Vorzug genossen, in diesem Hause zu verkehren.«

Das Nennen seines Namens hatte Aufsehen erregt.

»Halden? Ist das nicht der Halden, der voriges Jahr die kleine goldene Medaille bekommen hat?«

»Natürlich ist er das. Sehr interessant.«

»Gehört ja wohl zu den Allermodernsten?«

»Ich glaube, ja. Impressionist oder Sezessionist?«

»Wenn ich nicht irre, gehört er zu den Elfern.«

»Hübscher, patenter Kerl.«

So ging es im Kreise herum bis zu dem Kommerzienrat.

»Ein angenehmer, feiner Mensch. Mir zu modern freilich, aber sonst nichts auszusetzen. Er ist aus einer guten Münchener Familie, sonst hätte ich ihm mein Haus nicht geöffnet. Dunkle Künstlerexistenzen sind nicht mein Fall. Haus reinhalten ist stets mein vornehmster Grundsatz gewesen. Mag heut altmodisch klingen, aber wenn man eine hübsche junge Tochter und einen guten alten Namen zu hüten hat – conditio sine qua non.«

Der Kommerzienrat stiess mit seiner Nachbarin, einer behäbigen Dame aus einer guten alten Berliner Bürgerfamilie an und brach das Gespräch ab, während es in unmittelbarer Nähe des Malers noch immer ziemlich ungeniert fortgeführt wurde.

Halden selbst hörte nichts davon. Er hatte sich mit Hedda in eine halb geflüsterte Unterhaltung vertieft, die gerade kein heiteres Thema zu behandeln schien, denn die beiden jungen Leute machten sehr ernsthafte Gesichter, und Hedda war noch um einen Schatten bleicher geworden, als sie zuvor schon gewesen.

Das junge Mädchen bemerkte zuerst die aufmerksamer werdenden Blicke ihrer nächsten Umgebung und fing sogleich lauter, von gleichgiltigen. Dingen zu sprechen an, die zunächst Sitzenden in das Gespräch ziehend.

Als man sich um zehn Uhr gesegnete Mahlzeit wünschte, flüsterte der Maler Hedda zu, dass er die unterbrochene Unterhaltung durchaus noch fortsetzen müsse.

»Es soll noch eine Bowle im Garten getrunken werden,« gab sie zaghaft zurück. »Da findet sich Gelegenheit.«

Anfangs schien es, als wolle diese Behauptung Hedda Feilers durchaus keine Bestätigung finden. Nach und nach aber löste die Gesellschaft sich in kleineren Gruppen auf und ohne sonderlich aufzufallen, konnte Halden mit dem jungen Mädchen ein paarmal zwischen den Platanen auf und nieder gehen. Eine ganze Weile lief er ingrimmig und ratlos neben ihr her. Dann stiess er hervor:

»Nichts, gar nichts. Aussichtslos. Ich werde mit dem Bilde niemals fertig werden und mit leeren Händen dastehen, während die andern in Paris mit der deutschen Kunst Siege feiern.«

Dabei warf er einen wilden, vorwurfsvollen Blick auf die reizende, elegante Gestalt, auf das fein geschnittene, pikante Köpfchen und das schwarze, wundervolle, leicht gewellte Haar des neben ihm schreitenden Mädchens.

Hedda hatte seinen Blick nicht gesehen oder nicht sehen wollen. Nach einer kurzen, schwülen Stille fragte sie, immer noch stockend:

»War's im Apollotheater auch wieder nichts?«

Er lachte beinah höhnisch auf.

»Lächerlich. Grobsinnliche, geistlose Züge, plumpe Formen. Sind das Modelle für eine Pariser Demi-mondaine? Sie wissen ja ganz gut, was ich suche, Fräulein Hedda.«

Er sah sie wieder vorwurfsvoll von der Seite an.

Sie aber ging mit tief gerenktem Haupte neben ihm, als ob seine Worte sie nicht nur moralisch, sondern auch körperlich zu Boden drückten.

Nach einer langen Weile erst sagte sie:

»Und morgen? Sie sprachen vorher von morgen?«

»Morgen geht die alte Geschichte von vorn an. Zuerst kommt die kleine französische Lehrerin, die ein Kollege mir empfohlen hat. Dass sie nicht zu brauchen ist, weiss ich von vornherein. Höchstens für die eine unbehandschuhte Hand etwa. Dann werd' ich in den Wintergarten auf die Probe fahren. Grosse Dinge hat man mir da verheissen –« er lachte wieder auf – »nichts wird es sein, wie alles nichts war und ist, bis auf – Ach was – lassen wir die dumme Geschichte! Am Ende ist es ja auch ganz gleichgiltig ob das Bild gemalt wird oder nicht.«

Sie wollte jedenfalls etwas Tröstliches sagen, aber er liess sie nicht dazu kommen.

»Sie sehen blass aus, Fräulein Hedda. Fehlt Ihnen etwas?« Es kam nicht sehr anteilsvoll heraus, mehr wie eine höfliche Redensart, die auf ein andres Gebiet überleiten sollte.

Sie verneinte lebhaft.

»So gut wie im Gebirge sieht man ja hier niemals aus.«

Er seufzte ungeduldig.

»Ja, das Gebirg'! Da ist's gut sein!« Und bei sich dachte er: »Hätte ich die schöne Zeit nur besser ausgenutzt. Da oben war der Alte nicht so philisterhaft ängstlich, und dies feine Geschöpfchen nicht so scheu und mit Vorurteilen vollgepfropft. Hätte ich nur eine Skizze mitgebracht –«

»Gehen Sie dies Jahr wieder ins Gebirge?« fragte sie leise, nur um etwas zu sagen.

»Nicht eine Stunde. Ich male den ganzen Sommer im Atelier. Finde ich kein Modell für den »Korso«, will ich wenigstens versuchen, eine alte Skizze auszuführen, ein Motiv aus Capri. Freuen thut mich's nicht, und Hoffnungen setze ich auch nicht drauf, aber immerhin, man kommt nicht mit ganz leeren Händen, ist nicht ganz ausgestossen aus der Gemeinschaft.«

Hedda wollte noch etwas erwidern, als sie ihren Vater von der Terrasse her rufen hörte. Ein Teil der Gesellschaft war im Aufbruch begriffen, andre folgten nach, so war sie den Rest des Abends über in Anspruch genommen.

Halden verliess als einer der letzten mit mehreren jungen Leuten zugleich den Garten. Als er Hedda die Hand zum Abschied reichte, sagte er in förmlichem Ton: »Ihr Herr Vater, gnädiges Fräulein, hat mich ersucht, dieser Tage wegen der Restaurierung der alten Bilder im Esssaal vorzusprechen. Ich werde mir die Ehre geben.«

Sie nickte nur stumm mit dem Kopf. Gern hätte sie ihm noch ein gutes Wort für den kommenden Tag mit auf den Weg gegeben, aber er sah so steif und unzufrieden aus, dass sie es nicht wagte und scheu das Wort von den Lippen drängte.

Am nächsten Sonntag gegen Abend, es war zufällig kein Besuch anwesend, wurde Herr Halden gemeldet.

Der Kommerzienrat empfing den Maler mit lebhafter Freude, denn, trotzdem er im allgemeinen nicht viel Kunstverständnis besass, lag ihm die Restaurierung des Speisesaals wirklich am Herzen.

Wenn auch Herr Halden den alten, verblichenen Landschaften aus der Düsseldorfer Schule schwerlich selbst ein neues Gesicht würde geben wollen, so konnte er doch Rat erteilen, was damit geschehen sollte.

Hedda wurde aus dem Garten herbeigerufen; gerade wollte man zusammen den Saal aufsuchen, als dem Kommerzienrat ein Telegramm überbracht wurde.

»Doch nichts Unangenehmes, Papa?«

Herr Feiler schmunzelte.

»Ganz im Gegenteil. Dr. Eberhard ist für ein paar Stunden auf der Durchreise in Berlin und bittet mich, ihn im Klub zu treffen, wohin er auch seine übrigen alten Freunde geladen hat. Da werden Sie mich schon entschuldigen müssen, lieber Halden, wenn es heut mit der Besichtigung nichts wird. Dr. Eberhard ist einer meiner ältesten Jugendfreunde und ein seltener Gast.«

»Aber ich bitte, Herr Kommerzienrat.« Halden machte ein verstimmtes Gesicht und nahm seinen Hut.

»In diesen Tagen gebe ich Ihnen wieder Nachricht, lieber Halden. Also bis bald.«

Nachdem Halden gegangen war, küsste der Kommerzienrat seine Tochter flüchtig auf die Stirn.

»Lass Dir die Zeit nicht lang werden, Herzchen. Vielleicht kommt noch eine Deiner Freundinnen. Für mich wird es wohl eine lange Sitzung werden.«

»Viel Vergnügen, Papa.«

Hedda sah ihrem Vater zerstreut und augenscheinlich mit ganz andern Dingen beschäftigt nach. Dann nahm sie ein Buch und schritt auf den einsamen Platz im Park zurück, an dem sie gesessen hatte, als der Diener sie ins Haus gerufen. Aber sie fing nicht wieder zu lesen an, sondern hielt die Hände müssig im Schoss gefaltet, während das geschlossene Buch neben ihr auf der alten Steinbank lag. Welch ein unglückseliger Zufall, dass ihr Vater gerade heut abberufen werden musste! Es würde sich doch vielleicht im Lauf des Abends Gelegenheit zu einem Wort zwischen Halden und ihr gefunden haben, das sie längst gern ausgesprochen hätte und das widrige Zwischenfälle oder ihre eigne Scheu immer wieder zurückgedrängt hatten. Heut, als sie von seinem Kommen hörte, hatte sie sich fest vorgesetzt zu sprechen. Er durfte nicht wieder so vorwurfsvoll und verstimmt von ihr gehen wie das letzte Mal. Und nun sollte es wieder nicht zu einer Aussprache kommen, wieder sollte sie ihm nicht sagen dürfen, dass sie selbst ja gern seinen Wunsch erfüllt hätte, wenn nur nicht gerade das Bild, für das er ihren Kopf brauchen wollte –! Glutröte übergoss ihr feines Gesichtchen. Nein, es ging nicht, es war unmöglich – für solch ein Geschöpf! – Sie verbarg das Gesicht in beiden Händen. Sie schämte sich für sich und glaubte sich für ihn mit schämen zu müssen. Lange sass sie so, grübelnd, sinnend. Sie sah, wie er litt und kämpfte, wie schwer es ihm ankam, dies Bild, an dem seine ganze Seele hing vielleicht unvollendet lassen zu müssen, sie hätte ihm gern Trost und Hilfe gebracht, aber durfte, konnte sie es? Selbst wenn sie sich so weit überwand, hinter dem Rücken ihres Vaters zu handeln, würde sie die Scham jemals überwinden, dass ihre Züge, ihre Gestalt als – eine solche im Bilde festgehalten würden für alle Zeit. Ein Schauer überflog sie, als ob sie friere an dem warmen Maiabend. Sie hielt die Augen zu Boden gesenkt, die Hände krampfhaft ineinandergeschlungen, als ob sie sich etwas abringen wollte, was über das Mass ihrer Kräfte ging. Langsam fing es zu dunkeln an, und noch immer sass sie so. Ein Schritt wurde auf einem der Wege in ihrer Nähe laut. Sie schreckte auf. Es durfte niemand sie so sehen.

»Fräulein Hedda!«

»Um Gott – Herr Halden –«

»Erschrecken Sie doch nicht so. Ich bin zurückgekommen, ja, das ist doch kein Verbrechen!«

»Wenn Papa –«

Er seufzte ungeduldig auf.

»Er wird es nicht erfahren, ich habe dafür gesorgt.«

Sie rückte ein wenig zur Seite, aber er setzte sich nicht, sondern lief unruhig vor der Bank auf und ab. Eine ganze Weile sprach er kein Wort, dann sagte er heftig:

»Wieder nichts, nichts. Ich muss verzichten, wenn nicht –« Jetzt war er vor ihr stehen geblieben und starrte ihr ins Gesicht, und obwohl sie die Augen nicht zu ihm aufhob, fühlte sie doch, dass der Ausdruck seiner Züge immer finsterer wurde.

»Lockern Sie das Haar ein wenig und streichen Sie es über die Ohren,« sagte er dann plötzlich schroff. »Ich bat Sie schon so oft darum. Wie kann man eine so spiessbürgerliche Frisur tragen, wenn man einen so wunderbaren Haaransatz hat.«

Sie gehorchte stumm. Dann sah sie mit einem halben Lächeln durch die mehr und mehr zunehmende Dunkelheit zu ihm auf.

»Ist es gut so?«

Er seufzte.

»Sehr gut.«

Er zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche und zeichnete mit dem silbernen Bleistift, den er an der Uhrkette trug, ein paar Striche hin. Dann schüttelte er unmutig den Kopf, steckte das Büchelchen wieder zu sich und setzte sich neben sie.

»Sagen Sie, Fräulein Hedda, wäre es nicht möglich, da drin bei Lampenlicht eine ganz kleine Skizze zu machen? Ich bin durch Ihren fortgesetzten Widerstand schon so heruntergekommen, dass ich mit dem Geringsten zufrieden bin. Sie haben gerade heut einen Ausdruck – dazu das so geordnete Haar – wenn ich eine kleine Bleistiftskizze von Ihnen hätte, und dann fände sich ein Modell, das nur einigermassen möglich wäre – vielleicht könnte ich's dann doch noch durchführen.«

Hedda war aufgestanden und schritt stumm neben ihm her dem Hause zu.

Nach einer kleinen Weile fragte sie beklommen:

»Man wird es nicht erkennen, bestimmt nicht? Nicht wahr, nein?«

»Wenn Sie es nicht wünschen, gewiss nicht.« Er sagte es ganz ruhig und höflich, um sie nicht wieder zu verscheuchen. Innerlich aber dachte er: »Der Teufel hole die spiessbürgerliche Philisterei!«

Hedda liess im Speisesaal Licht machen und setzte sich Halden an dem grossen runden Esstisch gegenüber.

Er zog Skizzenbuch und Stifte aus der Tasche und fing eifrig zu zeichnen an. Sobald er bei der Arbeit war, wurde er ein ganz andrer. Er begann lebhaft über die Motive und die künstlerischen Absichten seines Bildes zu sprechen. Er schilderte Hedda das schon vollendete, die Wagen, Pferde und Kutscher, die Blumenfülle in und um die eleganten Equipagen, vor allem die weissen Lilien, mit denen der Wagen der Demi-mondaine geschmückt war. Ungeniert, als ob er einen guten Kameraden vor sich habe, erzählte er von dem Leben, das diese »Damen« in Paris führen und welch eine Rolle sie in der Gesellschaft spielen, bis Heddas nach und nach mit immer dunklerer Glut übergossenes Gesichtchen ihn daran mahnte, wer seine Zuhörerin sei. Allgemach liess seine gute Laune wieder nach. Er warf das Buch auf den Tisch, sprang auf, nahm es wieder zur Hand, verglich die Zeichnung mit dem Original und warf sie wieder fort.

»Nein, so geht's nicht – die Farbe fehlt, das Licht, die Stimmung. Aber ich danke Ihnen doch, Fräulein Hedda; ich weiss, Sie haben mir schon damit ein grosses Opfer gebracht.« Er reichte ihr beide Hände und hielt die ihren einen Augenblick in den seinen fest. »Sehen Sie, so, so möcht' ich Sie haben: Mit diesem schwermütigen Blick, dem nur noch etwas Wärme fehlt, das pikante Gesichtchen, mit seinem Farbenschmelz, die feine Gestalt –«

Er sezierte mit Blicken und Worten ganz ungeniert ihre gesamte Persönlichkeit, ohne zu ahnen, wie peinlich das scheue Geschöpf, vor dem niemand sonst sich auch nur bis zu einem banalen Kompliment wagte, davon berührt werden musste. Dann plötzlich, für Hedda ganz unmotiviert, flog etwas wie ein Lächeln über seine Züge.

»Diese nonnenhafte Kleidung, Fräulein Hedda, passt freilich nicht zu dem Bilde, das mir vorschwebt. Ich denke mir ein leichtes Florkleid, ultramarinblau, am Hals ein wenig geöffnet, überall lose, weiche, weite Falten, nirgends etwas Steifes, in konventionelle Formen Gepresstes. Das ganze Weib muss etwas Weiches, Fliessendes, Hingebendes haben.«

Er wartete einen Augenblick auf eine Antwort. Da sie nicht kam, liess er ihre Hände aus den seinen, packte seine wenigen Gerätschaften zusammen und schickte sich an zu gehen.

»Gute Nacht, Fräulein Hedda, und nochmals besten Dank.«

Sie holte tief Atem, als ob sie nach einem besonderen Wort oder Ausdruck ränge, aber sie kam nicht weiter als bis zu einem scheuen, gedrückten »Gute Nacht.«

Hedda konnte in dieser Nacht kein Auge schliessen. Alles, was ihr schon vor Haldens Rückkehr auf der einsamen Gartenbank Kopf und Herz bewegt hatte, drang jetzt mit verstärkter Gewalt auf sie ein. Gewöhnung und Erziehung, ein ganzes Leben in den Grenzen bürgerlichen Herkommens verbracht, schien in seinen Grundfesten erschüttert werden zu sollen. In der selbstverständlichsten Weise wurde plötzlich von Dingen vor ihr gesprochen, die ihr bisher sorgsam fern gehalten worden waren, und von denen sie nur dunkel geahnt hatte, dass sie da seien und einen starken Anteil haben mussten an dem, was man das Leben hiess. Wie der Sturmwind über einen eng umhegten, still blühenden Garten war Haldens sorgloser Egoismus über ihr junges Dasein gefahren, zerstörend und vernichtend, zugleich aber neue, fruchtbringende Saaten herbeitragend. Vom ersten Tage an hatte sie gefühlt, dass ihr Leben bisher leer wie ein unbeschriebenes Blatt, jetzt erst seinen Inhalt erhalten habe, hatte sie gefühlt, dass mit seinem Kommen sich ein unbestimmtes Sehnen erfüllt habe, das das Leben erst wert mache gelebt zu sein. Aber keine Stunde des Glückes hatte ihr dies erfüllte Sehnen bisher gebracht, nichts als Bedenken und Kämpfe, ein fortwährendes Hinausgestossenwerden aus der Gewöhnung des Daseins. Haldens Eigenart, sein ungebärdiges Künstlerblut, sein glühender Ehrgeiz fesselten und hielten sie in ihrem Bann, gleichzeitig aber schreckten seine, ihr brutal erscheinenden Forderungen sie zurück und machten sie so scheu, dass sie sich mit ihrer eigenen, unbewusst starken Persönlichkeit bis in den tiefsten Winkel ihres Herzens vor ihm verkroch.

Nach diesem letzten Abend aber hatte sich doch eine starke Wandlung in ihr vollzogen.

Wieder war etwas Neues an sie herangetreten, das sie bisher nur unklar empfunden, das Gefühl, dass auf ihre Schultern etwas Besonderes und Schweres gelegt sei: die Verantwortung für einen grossen Gewinn oder erheblichen Verlust an einer Künstlerschaft. Diese Erkenntnis stand heute, losgelöst von allem Persönlichen, zum erstenmal klar vor ihren Augen. Heut erst empfand sie auch, dass Haldens Begehren an sie mit den Gunstbezeigungen, die sonst ein Mann wohl von einem Mädchen verlangt, nicht das geringste zu schaffen habe, und dass seiner Forderung, die ihr bisher so brutal erschienen war, kein Gran kindischen Trotzes, Versagtes zu erreichen, beigemischt war. Es war ihm mit heiligem Ernst um ihre Person für sein Kunstwerk zu thun, das mit ihrem Willen entstehen konnte, ohne denselben vergehen musste. Von dieser Ueberzeugung ganz durchdrungen, kämpfte sie Tage und Nächte hindurch. Der Umstand, der sie vordem erschreckt, dass sie hinter dem Rücken des Vaters würde handeln müssen, war völlig in den Hintergrund getreten. Es handelte sich nur noch darum, was stärker in ihr war, die Abneigung, ihm ihre Person hinzugeben als Vorbild für ein Geschöpf, das ihr einen beinah körperlichen Widerwillen einflösste, oder der heisse Wunsch, seiner Kunst einen werkthätigen Dienst zu erweisen. –

So rang und schwankte sie noch, als nach einer Woche etwa ein Brief Haldens an ihren Vater eintraf, die Antwort auf die Aufforderung des Kommerzienrats, ihn dieser Tage wieder aufzusuchen, um die kürzlich versäumte Rücksprache nachzuholen.

Haldens Brief war kurz und steif gefasst. Er kündete den Besuch eines Kollegen statt seiner an, der befähigt sei, die Restaurierung gleich selbst vorzunehmen. Er selbst müsse jeder Ablenkung aus dem Wege gehen. Da er seinen »Korso« aus Mangel an einem passenden Modell nicht vollenden könne, habe er ein altes Motiv wieder aufgenommen, in das er sich erst mühsam hineinleben müsse. Bis dahin sei er gezwungen, jede Zerstreuung zu vermeiden.

Der Kommerzienrat war über diesen Brief augenscheinlich sehr verstimmt. Er brummte etwas von Künstlermarotten und Künstlerempfindlichkeiten, und es verbesserte seine Laune keineswegs, dass seine Tochter an diesem Tage nicht bei Tisch erschien, sondern sich mit heftigen Kopfschmerzen entschuldigen liess. Hätte er Hedda während dieser Stunden zu sehen Gelegenheit gehabt, der Aerger über den Maler würde vor der Sorge um sein Kind bald verflogen sein. Blass bis in die Lippen, mit grossen, starren, übernächtigen Augen sass sie da, reglos durch Stunden. Dann erhob sie sich, schüttelte sich, als ob sie etwas körperlich Schweres von sich abwälzen wollte, strich das Haar aus der Stirn, stürzte ein Glas Wasser herunter und klingelte nach ihrer Jungfer. Das Mädchen, eine diskrete und anständige Person, die schon jahrelang im Hause war, erhielt die Anweisung, Heddas Schneiderin aufzusuchen und ihr den Auftrag zu überbringen, heute abend noch mit blauen Florproben zu ihr zu kommen. Nachdem das Mädchen gegangen war, kleidete sich Hedda um und ging zu ihrem Vater hinunter, der mit der ›Vossischen Zeitung‹ auf der Gartenterrasse sass. Der Kommerzienrat schien den Aerger über Haldens Ablehnung noch nicht verwunden zu haben. Er fing gleich wieder von dem Brief zu sprechen an und teilte Hedda seinen Entschluss mit, den von Halden empfohlenen Maler abzulehnen.

»Ich will keine fremden Leute im Hause haben. Wer weiss, was das für ein Windhund ist. Kommt er nicht selbst, um mir Genaueres über den Empfohlenen zu sagen, mögen die Bilder bleiben wie sie sind.«

Hedda sagte nichts dafür und nichts dagegen. Bei sich aber dachte sie mit einem Gefühl schmerzlich-süsser Erleichterung: ›Er wird wohl selbst kommen und deinen Wunsch befriedigen.‹

Das blaue Florkleid war bestellt. Als Hedda es zum erstenmal anlegte, ganz so, wie Halden es ihr geschildert, am Hals ein wenig geöffnet, in weichen, weiten, losen Falten, dazu das Haar, so wie er es angeordnet, in lockeren Wellen über dem Ohr, fuhr sie erschreckt vor ihrem eigenen Spiegelbild zurück. War sie das wirklich noch, sie, Hedda Feiler?

Sie kannte sich selbst kaum mehr. Etwas Fremdes sah sie aus dem Bilde an, etwas, das sie ihm, dem fremden Manne, immer näher rückte und sie selbst immer weiter von sich entfernte.

Sie liess eine geschlossene Droschke rufen, gab der Jungfer Befehl, sie zu begleiten, und stieg, in einen weiten Mantel gehüllt, hinunter, um ihrem Vater zu sagen, dass sie der Einladung einer Freundin für den Nachmittag folge. Sie, die niemals den Schatten einer Unwahrheit über die Lippen gebracht hatte, errötete nicht einmal bei dieser ersten bewussten Lüge ihres Lebens. So ungeheuerlich dünkte ihr, was sie vorhatte, so ganz durchdrungen war sie von der Mission, der sie das Zarteste und Keuscheste in sich zum Opfer brachte, dass diese vorbereitende Unwahrheit ihr kaum bemerkenswert erschien.

Eine Viertelstunde später hielt die Droschke in einer Privatstrasse vor dem Hause, in dem Halden sein Atelier hatte. Unterwegs hatte sie der Jungfer mitgeteilt, dass Herr Halden sie zur Ueberraschung für ihren Vater male, und ihr strenge Verschwiegenheit anbefohlen.

Sie hatte Halden seit jenem Abend, an dem er die kleine Bleistiftskizze von ihr gemacht hatte, nicht wiedergesehen. Kein schriftliches Wort war zwischen ihnen gewechselt worden, auch von dem, wozu sie sich durchgerungen, hatte sie ihm keine Mitteilung gemacht. Sie hatte gefürchtet, dass irgend etwas sie wieder von ihrem Entschluss zurückschrecken würde, wenn sie ihm vorher davon sprach. Was dies Etwas sein würde, wusste sie nicht, aber sie fühlte, dass ihr Vorhaben keine vorbereitenden Erörterungen vertrug. Es musste ausgeführt werden, rasch und impulsiv, ohne Rückschau oder Vorschau, sollte es überhaupt dazu kommen. Dass sich irgend ein störender Umstand zwischen Absicht und Ausführung würde stellen können, wenn sie, ohne dass er es ahnte, zu ihm kam, daran dachte sie nicht einmal, so völlig war sie hingenommen von dem, was der Entschluss innerlich für sie bedeutete.

So war sie völlig sprach- und fassungslos, als der öffnende Diener die Antwort gab, dass Herr Halden nicht zu Hause sei, auch nicht gesagt habe, wann er zurückkomme. Sobald Marie, die Jungfer, diese Fassungslosigkeit ihrer Herrin bemerkte, bemächtigte sie sich gutmütig der Situation.

»Wir sind herbestellt, der Herr Halden will ein Bild von dem Fräulein machen. Er wird sicher gleich wieder kommen.«

Der Diener warf einen vielsagenden schmunzelnden Blick auf das pikante Köpfchen Heddas, auf ihre unter dem Mantel hervorsehende leichte Gewandung und öffnete die Thür zum Atelier. Während das Fräulein voranschritt, flüsterte er der Jungfer zu:

»Sie, das hätten Sie doch gleich sagen können, dass es ein Modell ist. Warum haben Sie denn so eklig vornehm gethan?«

Marie zuckte die Achseln, sie begriff kein Wort von dem, was der junge Mensch flüsterte und ging ihrer Herrin nach, die mitten in dem massig geräumigen, hellen und luftigen Raum stand und sich mit grossen, fragenden Augen umsah, wie in einer fremden, nie gekannten Welt.

Wirklich hatte Hedda Feiler nie vordem den Fuss in eine Künstlerwerkstatt gesetzt. So benommen war sie von diesem Fremden und Unerwarteten, dass sie Marie, die sich ihr näherte, winkte, zurückzubleiben, um allein und ungestört sich ganz den Eindrücken hinzugeben, die auf sie eindrangen. Ohne dass sie es merkte, war ihr der Mantel von den Schultern geglitten. Marie hob ihn auf und legte ihn in eine Ecke auf eine alte Truhe. Dann schlich sie sich selbst zu dem Diener hinaus.

Das ganze Treiben ihres Fräuleins war ihr unheimlich geworden. Vielleicht konnte der junge Mensch da draussen Aufklärung geben.

Erst als Hedda mehr fühlte als sah, dass sie allein gelassen war, rührte sie sich vom Fleck und trat langsam und scheu vor die Staffelei, die dicht an das einzige grosse Fenster gerückt stand.

Die Arbeit an dem Bilde schien erst kürzlich unterbrochen worden zu sein, die Farben auf der Palette sowohl als auf der Leinwand waren noch feucht. Der Malstock lehnte, wie eben aus der Hand gestellt, gegen den Rand des Bildes, Farbentuben und Lackfläschchen lagen und standen auf den vorspringenden Leisten der Staffelei umher.

Hedda erkannte auf den ersten Blick, dass das Bild das Motiv aus Capri vorstellte, von dem Halden ihr gesagt, dass er es ohne Lust und Freudigkeit statt des ›Korso‹ schaffen würde, nur um nicht mit ganz leeren Händen zu kommen. Diese Unlust an dem Werk schien keine leere Redensart gewesen zu sein. Wirklich sah sie etwas Trauriges, Zerfahrenes, Unfrohes aus dem Bilde an, etwas, das ganz und gar nicht zu dem blauen südlichen Himmel passen wollte. Wieder legte sich das Gefühl einer schweren Last der Verantwortung auf Heddas Brust und wich erst von ihr, als sie sich wieder bewusst wurde, zu welchem Zweck sie hergekommen sei. Weiter schweiften ihre Blicke von dem unfrohen Bilde fort, durch den Raum, der mit seiner scheinbar schlichten Einrichtung in englischem Stil einen überaus harmonischen Eindruck machte. Drüben an der Wand lehnte, in verhüllende Tücher eingeschlagen, eine grosse längliche Leinwand. Nach dem Format und der Grösse zu urteilen, zweifellos das zurückgestellte Bild des ›Korso‹. Ein leichter Schauer überflog Hedda, als sie davor hintrat. Es war ihr plötzlich vor diesem, in graue Tücher gewickelten Kunstwerk, als ob ein Totes sie anstarre. Würde er es auferwecken können zu neuem Leben, oder hatte sie zu lange gezögert? Waren ihm Stimmung und die rechte Freudigkeit dafür in dem langen Kampf verloren gegangen?

Müde von all den gegeneinander anstürmenden Empfindungen, die während der letzten Tage auf sie eingedrungen waren, ermattet von der Wucht des Entschlusses, zu dem sie sich aufgestachelt hatte, sank sie in einen Stuhl und schloss auf Minuten die Augen. Eine unsägliche Erschlaffung hatte sich ihrer bemächtigt. Wie losgelöst hingen ihr die Glieder schwer herab, und ihre Gedanken umkreisten träge nur noch den einen Punkt: »Würde dies nun endlich den Frieden bringen?«

Die Thür ihr gegenüber öffnete sich geräuschvoll. Sie hatte nicht die Kraft sich zu rühren. Unbeweglich blieb sie in dem Sessel sitzen, nur ihre Augen gingen mit ernster, eindringlicher Frage zu dem Eintretenden hin. Fritz Halden stand auf der Schwelle. Regungs- und bewegungslos wie sie. Wie ein vom Himmel herabgefallenes Wunder starrte er das schlanke, schwarzhaarige Weib mit den müden, melancholischen Augen, in dem blauen, fliessenden Gewande an. Dann stiess er einen leisen, unartikulierten Schrei aus und stürzte auf Hedda zu. Er beugte sich über die bleichen Hände der still Dasitzenden und bedeckte sie mit heissen Küssen. »Dank, Dank,« murmelte er kaum hörbar.

Sie entzog ihm die Hände und fragte mit leiser, müder Stimme:

»Ist es gut so?«

Er nickte stumm und verschlang das Bild, das er so lange geträumt, und das er nun leibhaftig vor sich sah, mit seinen Blicken.

Eine Weile hielt sie abwechselnd errötend und erbleichend seinen Blicken stand. Dann bat sie flüsternd:

»Bitte, malen Sie nun gleich. Ich darf nicht zu lange ausbleiben.«

Er bewegte kaum merklich verneinend den Kopf. Nach und nach ging eine seltsame Veränderung mit ihm vor. Aus der feurigen, naiven Begehrlichkeit des Künstlers, der endlich gefunden, wonach er lange hoffnungslos gesucht und in dem Gefundenen jubelnd ein Stück hellgewordener Zukunft begrüsst, wurde eine grosse, selbstquälerische Frage, und aus der Frage eine herbe, vorwurfsvolle Selbstanklage. Jetzt, nachdem sie endlich zu ihm gekommen war, nachdem sie sich zu dem Entschluss durchgerungen, ihm zu Willen zu sein, fühlte er erst, was er von diesem feinen, sensibeln Geschöpf eigentlich verlangt hatte, und wie brutal seine Forderung einer solchen Weibnatur gegenüber gewesen war. Ihre müde Haltung, ihre traurigen Augen, sprachen beredter von dem, was er ihr angethan, als ihre Lippen es je vermocht. Gleichzeitig aber kam ihm die beglückende Erkenntnis, welch eine Fülle von Verständnis und aufopfernder Zuneigung dazu gehört haben musste, dies junge Weib zu vermögen, ihm ihre scheue, zarte, duftige Eigenart für ein Motiv zu bieten, das sie verabscheuen musste.

Zu Boden gedrückt von diesen beiden zugleich auf ihn einstürmenden, machtvollen Empfindungen stürzte er vor ihr nieder, stammelnd und bittend, ihre Verzeihung für die Qual zu erflehen, die er ihr auferlegt, Anklage auf Anklage gegen sich häufend. Sie wehrte der Heftigkeit seiner Vorwürfe, sie versuchte ihn zu beruhigen und bat ihn flehentlich an die Arbeit zu gehen. Sollte das, was er selbst ein Opfer nannte, vergebens gewesen sein?

Halden aber schüttelte heftig verneinend das Haupt, und sich wieder aufrichtend, hob er sie sanft aus dem Sessel auf. Sie bei beiden Händen haltend, sah er ihr tief in die Augen, die scheu fragend in den seinen ruhten.

»Erst, Hedda, sagen Sie mir, dass Sie meine Brutalität verzeihen können, die niemals bedacht, was sie verlangte, sondern nur rücksichtslos immer das eigene Ziel im Auge hatte. Wenn Sie mir das gesagt haben, dann will ich Sie etwas anderes fragen, und von Ihrer Antwort wird es abhängen, ob mein Bild da drüben in seinen Leichentüchern stecken bleiben wird, oder ob es durch Sie Leben erhalten darf!«

Fester presste er ihre Hände zwischen den seinen, da sie nicht sprach.

»Hedda!«

Sie senkte die Augen, aber sie liess die Hände in den seinen ruhen.

»Sie wissen ja, dass ich Ihnen verzeihe. Wäre ich sonst gekommen?« Und sich aufraffend aus der weichen, hingebenden Stimmung, die sie überkommen hatte, fügte sie, ihm ihre Hände entziehend und sich zum Scherz zwingend, hinzu: »Und nun malen Sie, malen Sie; Sie kommen sonst mit leeren Händen nach Paris!«

Er sah ihr erst lange und ernst in die Augen mit einem Blick, den sie nie zuvor in den seinen gesehen.

»Nein, Hedda, ich nehme das Opfer nicht an, es sei denn, Sie gäben mir ein Recht dazu, das kein Wägen und Feilschen kennt, das alles nehmen darf, weil es alles giebt, – das Recht der Liebe.«

Sie war ein paar Schritte weit vor ihm zurückgewichen und hielt sich mit bebenden Fingern an der Stuhllehne fest, in der sie zuvor gesessen. Ein Schleier zerriss vor ihren Blicken, eine Binde fiel von ihren Augen, die sie selbst künstlich darum gelegt.

Wäre sie denn überhaupt im stande gewesen, sich ihm darzubieten für seine Kunst, wenn sie ihn nicht geliebt hätte, fast vom ersten Augenblick an, da sie sich gesehen?

Die Hände waren ihr von der Lehne gesunken. Schlaff und weich hingen sie an dem blauen Gewand herab. Ihre Lippen bewegten sich kaum, aber ihre Augen sprachen eine Sprache, die nicht misszuverstehen war.

Halden stürzte auf sie zu und schloss sie in seine Arme, und das schöne, scheue Geschöpf wehrte ihm nicht, als er diese stummen Lippen wieder und wieder küsste und ihren durch den leichten Flor weiss leuchtenden Körper so fest in seinen Armen hielt, als ob er ihn nie wieder lassen wollte.

Die Liebe hatte den Riegel, der ihre ganze Wesenheit verschlossen gehalten hatte, gesprengt, und Liebe und wieder Liebe nahmen und gaben diese jungfräulichen Lippen.

Die Dämmerung sank herein, als sie den stillen, alten Park betraten. Wie verschlafen lag das gelbliche, verwitterte Haus; nur die Zeiger der alten Uhr zwischen den steifliniegen Gitterstäben tickten rastlos fort.

Der Kommerzienrat war noch nicht aus der Stadt zurück. In wortlosem Glück traten die beiden auf die Gartenterrasse hinaus. Lautlos standen die Zweige der alten Baumriesen. Nur hinten, von den weidenumstandenen Teichen her wurde ab und zu eine halbverschlafene Tierstimme laut.

Eng aneinander gelehnt standen die beiden Glücklichen und blickten in die Stille. Sie hatten sich wenig gesagt bisher, nur ihre Augen und ihre Hände hatten stumm beredte Zwiesprache geführt. Jetzt fragte sie, sich an ihn drückend, mit ihrer leisen Stimme:

»Wann wirst Du mich malen, Fritz?«

»Wenn Du mein Weib bist,« flüsterte er zurück, »und begriffen und verziehen haben wirst.«

Er küsste sie heiss und lange, aber sie floh nicht vor ihm zurück. Sie fühlte, dass die Liebe, die sie gab und empfing, so gross und rein war, dass die Lösung des dunklen Lebensrätsels durch diesen Mann sie nicht verletzen würde.


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