Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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LIII.

Genesung.

Die Königin war indessen gerade auf den Lehnstuhl Charny's zugegangen.

Dieser erhob den Kopf beim Geräusche der Pantoffeln, welche auf dem Boden krachten.

»Die Königin,« murmelte er, indem er aufzustehen suchte.

»Die Königin, ja, mein Herr,« erwiderte rasch Marie Antoinette. »Die Königin, welche weiß, wie Sie daran arbeiten, die Vernunft und das Leben zu verlieren, die Königin, welche Sie in Ihren Träumen und wachend beleidigen, die Königin, welche für ihre eigene Ehre, und für Ihre Sicherheit, mein Herr, besorgt ist. Darum kommt sie zu Ihnen, mein Herr, und Sie sollten sie nicht so empfangen.«

Charny war zitternd, verwirrt aufgestanden, dann, bei den letzten Worten war er auf seine Kniee gesunken, so zermalmt durch den physischen und den moralischen Schmerz, daß er, gebeugt wie ein Schuldiger, sich weder erheben wollte noch konnte.

»Ist es möglich,« fuhr die Königin, gerührt von dieser Ehrfurcht und diesem Stillschweigen, fort, »ist es möglich, daß ein Edelmann, den man einst den loyalsten beizählte, sich wie ein Feind an den Ruf einer Frau hängt! Denn bemerken Sie wohl, Herr von Charny, schon bei unserem ersten Zusammensein war es nicht die Königin, was Sie gesehen, und was ich Ihnen gezeigt habe, es war eine Frau, und das hätten Sie nie vergessen müssen.«

Hingerissen durch diese aus dem Herzen hervorgegangenen Worte, wollte Charny versuchen, etwas zu seiner Verteidigung zu sprechen, aber Marie Antoinette ließ ihm nicht Zeit dazu.

»Was werden meine Feinde thun,« sagte sie, »wenn Sie das Beispiel des Verraths geben?«

»Verrath!« stammelte Charny.

»Mein Herr, wollen Sie wählen? entweder sind Sie ein Wahnsinniger, und ich werde Ihnen das Mittel, Schlimmes zu thun, entziehen, oder Sie sind ein Verräther, und ich werde Sie bestrafen.«

»Madame, sagen Sie nicht, ich sei ein Verräther. Im Munde der Königin geht diese Anklage dem Todesurtheil voran, im Munde einer Frau entehrt sie. Als Königin tödten Sie mich, als Frau schonen Sie mich.«

»Sind Sie bei gesundem Verstande, Herr von Charny?« sagte die Königin mit bewegter Stimme.

»Ja, Madame.«

»Haben Sie das Bewußtsein Ihres Unrechts gegen mich, Ihres Verbrechens gegen den König?«

»Mein Gott!« murmelte der Unglückliche.

»Denn Ihr vergeßt es zu leicht, Ihr Herren Edelleute, der König ist der Gemahl der Frau, die Ihr Alle beleidigt, indem Ihr die Augen zu ihr erhebt; der König ist der Vater Eures zukünftigen Herrn, meines Dauphin. Der König ist ein größerer und besserer Mann, als Ihr Alle, ein Mann, den ich verehre und liebe.«

»Oh!« murmelte Charny, einen dumpfen Seufzer ausstoßend; und um nicht vollends niederzustürzen, war er genöthigt, eine seiner Hände auf den Boden zu stützen.

Sein Schrei durchdrang das Herz der Königin. Sie las in dem erloschenen Blick des jungen Mannes, daß er auf den Tod getroffen war, wenn sie nicht rasch den Pfeil, den sie gegen ihn abgedrückt, aus der Wunde zog.

Barmherzig und sanft, erschrack sie deßhalb über die Blässe und Schwäche des Schuldigen, und sie war einen Augenblick nahe daran, um Hilfe zu rufen.

Aber sie bedachte, der Doctor und Andrée würden diese Ohnmacht des Kranken schlecht deuten. Sie hob ihn mit ihren Händen auf und sagte:

»Sprechen wir, ich als Königin, Sie als Mann. Der Doctor Louis hat es versucht, Sie zu heilen; diese Wunde, welche nichts war, verschlimmert sich durch die Ausschweifungen Ihres Gehirns. Wann wird sie geheilt sein, diese Wunde? Wann werden Sie aufhören, dem Doctor das ärgerliche Schauspiel einer Tollheit zu geben, die ihn beunruhigt? Wann werden Sie vom Schlosse abreisen?«

»Madame,« stammelte Charny, »Eure Majestät jagt mich fort ... Ich gehe! ich gehe!«

Und er machte eine so heftige Bewegung, um wegzugehen, daß er, aus seinem Gleichgewicht herausgeworfen, sich schwankend in den Armen der Königin drehte, die ihm den Weg versperrte.

Kaum hatte er die Berührung dieser glühenden Brust, die ihn zurückhielt, gefühlt, kaum hatte er sich unter dem unwillkürlichen Drucke des Armes, der ihn trug, gebogen, als seine Vernunft ihn eilig verließ, als sein Mund sich öffnete, um einen verzehrenden Hauch durchzulassen, der kein Wort war und kein Kuß zu sein wagte.

Durch diese Berührung selbst versengt, durch diese Schwäche bewegt, hatte die Königin nicht die Zeit, den leblosen Körper auf seinen Stuhl zurückzustoßen. Sie wollte entfliehen, aber Charny's Kopf war rückwärts gefallen; er schlug an das Holz des Stuhles, eine leichte rosenrothe Nuance färbte den Schaum seiner Lippen, ein lauer rosenfarbener Tropfen war von seiner Stirne auf die Hand der Königin gefallen.

»Oh! so ist es gut,« murmelte er, »so ist es gut! ich sterbe von Ihrer Hand.«

Die Königin vergaß Alles. Sie kam zurück, nahm Charny in ihre Arme, preßte seinen todten Kopf an ihren Busen und legte eine eiskalte Hand auf das Herz des jungen Mannes.

Die Liebe bewirkte ein Wunder. Charny erwachte wieder. Er öffnete die Augen. Die Erscheinung verschwand. Die Frau erschrack, eine Erinnerung da zurückgelassen zu haben, wo sie nur ein letztes Lebewohl zu geben glaubte. Sie machte drei Schritte gegen die Thüre mit einer solchen Hast, daß Charny kaum Zeit hatte, den Saum ihres Kleides zu ergreifen und auszurufen:

»Madame, bei all meiner Verehrung für Gott, die weniger groß ist als meine Verehrung für Sie ...«

»Leben Sie wohl!« rief die Königin.

»Madame! oh! verzeihen Sie mir!«

»Ich verzeihe Ihnen, Herr von Charny!-

»Madame, einen letzten Blick!«

»Herr von Charny,« sprach die Königin zitternd vor Aufregung und Zorn, »wenn Sie nicht der elendeste Mensch sind, so werden Sie heute Abend oder jedenfalls morgen entweder todt oder vom Schlosse abgereist sein.«

Eine Königin bittet, wenn sie in solchen Ausdrücken befiehlt. Charny faltete voll Trunkenheit die Hände und schleppte sich auf den Knieen bis zu den Füßen von Marie Antoinette.

Diese hatte schon die Thüre geöffnet, um schneller der Gefahr zu entfliehen.

Andrée, deren Augen diese Thüre seit dem Anfang der Unterredung verschlungen, sah den jungen Mann niedergeworfen, die Königin schwankend; sie sah die Augen jenes vor Stolz und Hoffnung glänzen, die Blicke dieser sich erloschen gegen den Boden senken.

Im Herzen getroffen, verzweiflungsvoll, erfüllt von Haß und Verachtung, beugte sie den Kopf nicht. Als sie die Königin zurückkommen sah, schien es ihr, Gott habe dieser Frau zu viel gegeben, indem er ihr als Ueberfluß einen Thron und die Schönheit gegeben, da er ihr so eben nun auch diese halbe Stunde mit Herrn von Charny geschenkt.

Der Doctor sah zu viele Dinge, um eines zu bemerken.

Ganz dem Erfolg der gepflogenen Unterhandlung entgegenhaltend, begnügte er sich, zu fragen:

»Nun, Madame?«

Die Königin brauchte eine Minute, um sich zu erholen und ihre durch die Schläge ihres Herzens erstickte Stimme wiederzuerlangen.

»Was wird er thun?« wiederholte der Doctor.

»Er wird abreisen,« murmelte die Königin.

Und ohne auf Andrée, welche die Stirne faltete, und auf Louis zu achten, der sich die Hände rieb, durchschritt sie rasch die Flur und die Gallerie, hüllte sich maschinenmäßig in ihre Mantille mit einer Spitzenkrause, und kehrte in ihre Wohnung zurück.

Andrée drückte dem Doctor, der wieder zu seinem Kranken eilte, die Hand; dann kehrte sie ebenfalls, mit einem Schritt so feierlich wie der eines Schattens, gesenkten Kopfes, starren Auges und abwesenden Geistes, in ihr Zimmer zurück.

Es war ihr nicht einmal eingefallen, die Königin nach ihren Befehlen zu fragen. Für eine Natur wie Andrée ist die Königin nichts, die Nebenbuhlerin Alles.

Wieder der Sorge von Louis anheimgegeben, schien Charny nicht mehr derselbe Mensch wie am Tage vorher zu sein.

Stark bis zur Uebertreibung, kühn bis zur Prahlerei, richtete er an den guten Doctor so dringende, so energische Fragen über seine nahe bevorstehende Genesung, über die zu befolgende Diät, über die Transportmittel, daß Louis glaubte, es sei ein noch gefährlicherer Rückfall, hervorgebracht durch eine Manie anderer Art, eingetreten.

Charny enttäuschte ihn bald; er glich jenen im Feuer gerötheten Eisen, deren Färbung sich vor dem Auge in dem Maße schwächt, in welchem die Hitze an Intensität abnimmt. Das Eisen ist schwarz und spricht nicht mehr zu dem Blick, aber es ist noch glühend genug, um Alles zu verzehren, was man ihm darbieten wird.

Louis sah den jungen Mann wieder seine Ruhe und seine Logik aus den guten Tagen annehmen. Charny war in der That so vernünftig, daß er sich für verpflichtet hielt, dem Arzt die plötzliche Veränderung seines Entschlusses zu erklären.

»Die Königin,« sagte er, »hat mich, indem sie mich beschämte, mehr geheilt, als Ihre Wissenschaft, mein lieber Doctor, dieß mit vortrefflichen Mitteln gethan hätte. Wer mich bei der Eitelkeit packt, sehen Sie, der bändigt mich wie man ein Pferd mit dem Gebiß bändigt.«

»Desto besser, desto besser,« murmelte der Doctor.

»Ja, ich erinnere mich, daß ein Spanier – sie sind prahlerisch genug – eines Tags, um mir seine Willensstärke zu beweisen, zu mir sagte, bei einem Duell, in dem er verwundet worden, habe es für ihn genügt, sein Blut zurückhalten zu wollen, damit sein Gegner sich nicht am Anblick seines Blutes habe erlaben können. Ich habe über diesen Spanier gelacht, indessen bin ich ein wenig wie er: wenn mein Fieber, wenn das Delirium, das Sie mir vorwerfen, wiedererscheinen wollten, so würde ich sie, darauf wette ich, verjagen, indem ich sagte: Delirium und Fieber, ihr werdet nicht wiedererscheinen.«

»Wir haben Beispiele von diesem Phänomen,« sprach der Doctor mit ernstem Tone. »Jedenfalls erlauben Sie mir, daß ich Ihnen Glück wünsche. Sie sind nun moralisch geheilt.«

»Oh! ja.«

»Wohl! Sie werden alsbald sehen, welcher Zusammenhang zwischen dem moralischen und dem physischen Theil des Menschen stattfindet. Das ist eine schöne Theorie, die ich in einem Buche ausführen würde, wenn ich Zeit dazu hätte. Gesund an Geist, werden Sie in acht Tagen auch körperlich gesund sein.«

»Lieber Doctor, ich danke Ihnen.«

»Und um anzufangen: werden Sie also abreisen?«

»Wann es Ihnen beliebt. Auf der Stelle.«

»Wir wollen diesen Abend abwarten. Mäßigen wir uns. Mit Extremen zu Werke gehen, heißt Alles auf's Spiel setzen.«

»Warten wir bis zum Abend, Doctor.«

»Werden Sie weit gehen?«

»Bis an's Ende der Welt, wenn es sein muß.«

»Das ist zu weit für einen ersten Ausflug,« sprach der Doctor mit demselben Phlegma. »Begnügen wir uns vorerst mit Versailles.«

»Versailles, es sei, da Sie es wollen.«

»Mir scheint, die Heilung Ihrer Wunde ist für Sie kein Grund, das Land zu verlassen.«

Diese studirte Kaltblütigkeit bewog Charny vollends, auf seiner Hut zu sein.

»Es ist wahr, Doctor, ich habe ein Haus in Versailles.«

»Gut! das ist es, was wir brauchen, man wird Sie heute Abend dahin bringen.«

»Sie haben mich nicht recht verstanden, Doctor, ich wünschte eine Fahrt nach meinen Gütern zu machen.«

»Ah! ja wohl. Ihre Güter, was Teufels, Ihre Güter sind nicht am Ende der Welt.«

»Sie liegen an der Gränze der Picardie, fünfzehn bis zwanzig Meilen von hier.«

»Ah! Sie sehen wohl.«

Charny drückte dem Doctor die Hand, als wollte er ihm für alle seine Zartheiten danken.

Am Abend trugen die vier Knechte, die er bei ihrem ersten Versuche so heftig zurückgeschlagen hatte, Charny bis zu seinem Wagen, der ihn vor dem Pförtchen des Gesindehauses erwartete.

Der König hatte den ganzen Tag gejagt, sodann zu Nacht gespeist und schlief nun. Charny, welcher ein wenig darüber besorgt war, daß er sich, ohne Abschied zu nehmen, entfernte, wurde durch den Doctor vollständig beruhigt; dieser versprach ihm, seinen Abgang zu entschuldigen und durch das Bedürfniß der Ortsveränderung zu motiviren.

Ehe Charny in seinen Wagen stieg, gab er sich die schmerzliche Befriedigung, bis zum letzten Augenblick nach den Fenstern der Wohnung der Königin zu schauen. Niemand konnte ihn sehen. Einer von den Lakaien, der eine Fackel in der Hand trug, beleuchtete den Weg, ohne das Gesicht zu beleuchten.

Charny traf auf den Stufen nur mehrere Officiere, seine Freunde, welche zeitig genug benachrichtigt worden waren, daß sein Abgang nicht das Ansehen einer Flucht hatte.

Von diesen heiteren Gefährten bis an den Wagen begleitet, konnte Charny seinen Augen wohl erlauben, an den Fenstern umherzuschweifen; die der Königin glänzten von Licht. Ein wenig leidend, hatte Ihre Majestät die Damen in ihrem Schlafzimmer empfangen. Düster und schwarz, verbargen die Fenster Andrée's hinter den Falten ihres Damastvorhangs eine ganz angsterfüllte, ganz zitternde Frau, welche, ohne bemerkt zu werden, jeder Bewegung des Kranken und seines Geleites folgte.

Der Wagen fuhr endlich ab, doch so langsam, daß man jedes Hufeisen der Pferde auf dem schallenden Pflaster hörte.

»Wenn er nicht mir gehört, so gehört er doch wenigstens Niemand mehr,« murmelte Andrée.

»Erfaßt ihn wieder die Lust, zu sterben,« sagte der Doctor, während er in seine Wohnung zurückkehrte, »so wird er doch wenigstens weder bei mir, noch in meinen Händen sterben. Der Teufel hole die Seelenkrankheiten, man ist nicht der Arzt von Antiochus und Stratonice, um solche Krankheiten zu heilen.«

Charny kam gesund und wohlbehalten in seinem Hause an. Der Doctor besuchte ihn am Abend und fand ihn so gut, daß er ihm sogleich ankündigte, es sei dieß sein letzter Besuch.

Der Kranke aß von einer Hühnerbrust und einen Löffel voll eingemachtes Obst von Orleans.

Am andern Tag erhielt er einen Besuch von seinem Oheim, Herrn von Suffren, einen von Herrn von Lafayette, sowie von einem Abgesandten des Königs. Es war ungefähr dasselbe am zweiten Tag, und dann kümmerte man sich nicht mehr um ihn.

Er stand auf und ging in seinen Garten.

Nach acht Tagen konnte er ein frommes Pferd besteigen; seine Kräfte waren wiedergekehrt. Da sein Haus noch nicht ganz verlassen war, so verlangte er nach dem Arzte seines Oheims, und ließ den Doctor Louis um Erlaubniß bitten, nach seinen Gütern abreisen zu dürfen.

Louis antwortete mit Zuversicht, die Bewegung von einem Ort zum andern sei der letzte Grad der ärztlichen Behandlung der Wunden: Herr von Charny habe einen guten Wagen, die Straße nach der Picardie sei glatt wie ein Spiegel, und es wäre eine Narrheit in Versailles zu bleiben, wenn man so gut und so glücklich reisen könne.

Charny ließ einen großen Wagen mit Gepäcke beladen, verabschiedete sich beim König, der ihn mit Aeußerungen seines Wohlwollens überhäufte, bat Herrn von Suffren, der Königin seine Ehrfurcht zu bezeugen, stieg dann vor dem Thore des königlichen Schlosses in seinen Wagen und reiste nach dem Städtchen Villers-Cotterêts ab, von wo aus er das Schloß Boursonnes erreichen sollte; dieses lag eine halbe Meile von dem Städtchen, welches die ersten Poesien von Demoustier bereits verherrlichten.


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