Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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XXXII.

Das Haus der Rue Saint-Gilles.

Vor der Thüre des Aufsehers fand Philipp einen Miethwagen und sprang hinein.

»Rue Neuve Saint-Gilles,« sagte er zum Kutscher, »und rasch gefahren.«

Ein Mann, der sich so eben geschlagen und eine siegreiche Miene behalten hat, ein kräftiger Mann, dessen Gestalt den Adel verkündigt, ein Mann in bürgerlicher Kleidung, dessen Tournure einen Militär verräth, das war mehr als es brauchte, um den ehrlichen Kutscher anzueifern, dessen Peitsche, wenn nicht, wie der Dreizack Neptuns, das Scepter der Welt, doch wenigstens für Philipp ein sehr wichtiges Scepter war.

Der Kutscher zu vierundzwanzig Sous durchflog also den Raum und brachte Philipp ganz bebend nach der Rue Saint-Gilles vor das Hotel des Grafen von Cagliostro.

Das Hotel war von einer großen äußern Einfachheit, von einer großen Majestät der Linien, wie die Mehrzahl der unter Ludwig XIV. errichteten Gebäude, nach den verschrobenen, bizarren Bauten von Marmor oder Backstein, welche unter ber Regierung Ludwigs XIII. bei der Renaissance errichtet wurden.

Ein großer, mit zwei Pferden bespannter Wagen schaukelte sich auf seinen weichen Federn in einem geräumigen Ehrenhofe.

Der Kutscher schlief auf seinem Bock, in einen weiten, mit Fuchspelz ausgeschlagenen Oberrock gehüllt; zwei Bediente, von denen einer einen Hirschfänger trug, gingen schweigsam auf der Freitreppe auf und ab.

Außer diesen handelnden Personen erschien kein Lebenszeichen im Hotel.

Der Fiaker Philipps, obgleich nur Fiaker, hatte Befehl erhalten, hinein zu fahren; er rief den Portier an, und dieser machte sogleich die Angel des massiven Thores krächzen.

Philipp sprang zu Boden, eilte gegen die Freitreppe und wandte sich zugleich an die beiden Bedienten mit der Frage:

»Der Herr Graf von Cagliostro?«

»Der Herr Graf ist im Begriff auszufahren,« antwortete einer der Bedienten.

»Ein Grund mehr, daß ich mich beeile,« sagte Philipp, »denn ich muß ihn nothwendig sprechen, ehe er ausfährt. Melden Sie den Chevalier Philipp von Taverney.«

Und er folgte dem Lakai so hastig, daß er zu gleicher Zeit mit ihm in den Salon kam.

»Der Chevalier Philipp von Taverney!« wiederholte nach dem Bedienten eine zugleich männliche und sanfte Stimme. »Lassen Sie ihn eintreten.«

Philipp trat unter dem Einflusse einer gewissen Gemüthsbewegung, welche diese so ruhige Stimme in ihm veranlaßt hatte, ein.

»Entschuldigen Sie, mein Herr,« sagte Philipp, indem er einen Mann von hohem Wuchse, von ungewöhnlicher Stärke und Frische begrüßte, der keine andere Person war, als diejenige, welche wir nach und nach an der Tafel des Marschalls von Richelieu, bei der Kufe Mesmers, im Zimmer von Mademoiselle Oliva und auf dem Opernball erscheinen sahen.

»Sie entschuldigen, mein Herr! Und worüber?« erwiderte er.

»Darüber, daß ich Sie im Ausfahren abhalte.«

»Sie hätten sich entschuldigen müssen, wenn Sie später gekommen wären, Chevalier.«

»Warum?«

»Weil ich Sie erwartete.«

Philipp faltete die Stirne.

»Wie, Sie erwarteten mich?«

»Ja, ich war von Ihrem Besuche in Kenntniß gesetzt.«

»Von meinem Besuche waren Sie in Kenntniß gesetzt?«

»Ja, seit zwei Stunden. Nicht wahr, es müssen etwa zwei Stunden sein, daß Sie hieher kommen wollten, als ein von Ihrem Willen unabhängiger Zufall Sie nöthigte, die Ausführung Ihres Vorhabens zu verzögern?«

Philipp zog die Fäuste zusammen; er fühlte, daß dieser Mann einen seltsamen Einfluß auf ihn gewann.

Aber ohne im Mindesten die Nervenbewegungen zu bemerken, welche Philipp schüttelten, sagte der Graf:

»Ich bitte Sie, setzen Sie sich, Herr von Taverney.«

Und er rückte Philipp einen Lehnstuhl zu, der vor dem Kamin stand.

»Dieser Lehnstuhl ist für Sie hieher gestellt worden,« fügte er bei.

»Lassen wir die Scherze, Herr Graf,« erwiderte Philipp mit einer Stimme, welche er so ruhig zu machen suchte, als die von Cagliostro war, aus der er aber ein leichtes Zittern nicht zu entfernen vermochte.

»Ich scherze nicht; ich erwartete Sie, sage ich Ihnen.«

»Genug jetzt der Charlatanerie, mein Herr; sind Sie ein Wahrsager, so bin ich doch nicht gekommen, um Ihre Wahrsagerkunst auf die Probe zu stellen; sind Sie ein Wahrsager, desto besser für Sie, denn Sie wissen schon, was ich Ihnen sagen will, und können sich zum Voraus schützen.«

»Mich schützen ...« versetzte der Graf mit einem seltsamen Lächeln, »und wovor, wenn es beliebt?«

»Errathen Sie, wenn Sie ein Wahrsager sind.«

»Gut. Um Ihnen Vergnügen zu machen, will ich Ihnen die Mühe, mir den Beweggrund Ihres Besuches auseinander zu setzen, ersparen: Sie kommen, um Streit mit mir zu suchen.«

»Sie wissen das?«

»Allerdings.«

»So wissen Sie auch, aus welcher Veranlassung!« rief Philipp.

»Wegen der Königin. Nun ist aber die Reihe an Ihnen. Fahren Sie fort, ich höre Sie.«

Diese letzten Worte wurden nicht mehr mit dem höflichen Ausdruck des Wirthes, sondern mit dem trockenen, kalten Tone des Gegners gesprochen.

»Sie haben Recht, mein Herr,« sagte Philipp, »und das ist mir lieber.«

»So kommt die Sache vortrefflich.«

»Mein Herr, es gibt ein gewisses Pamphlet ...«

»Es gibt viele Pamphlete, mein Herr.«

»Veröffentlicht durch einen gewissen Zeitungsschreiber.«

»Es gibt viele Zeitungsschreiber.«

»Warten Sie ... dieses Pamphlet ... wir werden uns mit dem Zeitungsschreiber später beschäftigen.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, mein Herr,« unterbrach Cagliostro mit einem Lächeln, »Sie haben sich schon mit ihm beschäftigt.«

»Es ist gut, ich sagte also, es gebe ein gewisses gegen die Königin gerichtetes Pamphlet.«

Cagliostro machte ein Zeichen mit dem Kopf.

»Sie kennen dieses Pamphlet?«

»Ja, mein Herr.«

»Sie haben sogar tausend Exemplare davon gekauft?«

»Ich leugne es nicht.«

»Diese tausend Exemplare sind zum großen Glück nicht in Ihre Hände gelangt.«

»Was bringt Sie auf diesen Gedanken, mein Herr?«

»Daß ich dem Commissionär, der den Ballen trug, begegnet bin, daß ich ihn bezahlt und in mein Haus geschickt habe, wo mein Bedienter, zuvor benachrichtigt, ihn empfangen mußte.«

»Warum besorgen Sie Ihre Angelegenheiten nicht selbst bis zum Ende?«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, sie würden besser besorgt.«

»Ich habe meine Angelegenheiten nicht bis zum Ende abgemacht, weil ich, während mein Bedienter diese tausend Exemplare Ihrer sonderbaren Bibliomanie zu entziehen beschäftigt war, den Rest der Ausgabe zerstörte.«

»Sie sind also sicher, daß die für mich bestimmten tausend Exemplare nicht zu mir gekommen sind?«

»Ich bin dessen sicher.«

»Sie täuschen sich, mein Herr.«

»Wie so?« versetzte Taverney mit einer Beklemmung des Herzens, »und warum sollten sie nicht bei mir sein?«

»Weil sie hier sind,« erwiderte ruhig der Graf, indem er sich an den Kamin anlehnte.

Philipp machte eine drohende Geberde.

»Ah! Sie glauben,« sprach der Graf so phlegmatisch, als Nestor, »Sie glauben, ich, ein Wahrsager, wie Sie mich nennen, lasse so ein Spiel mit mir treiben? Sie glaubten einen Gedanken gehabt zu haben, als Sie den Commissionär bestachen? Wohl! ich habe einen Intendanten; mein Intendant hat auch einen Gedanken gehabt. Ich bezahle ihn hiefür; er hat errathen; das ist ganz natürlich, daß der Intendant eines Wahrsagers erräth; er hat errathen, daß Sie zu dem Zeitungsschreiber kommen, dem Commissionär begegnen und ihn bestechen würden; er folgte dem Commissionär und drohte ihm, er werde ihn zur Herausgabe des Geldes zwingen, das er von Ihnen erhalten: der Mann bekam Angst, und statt seinen Weg nach Ihrem Hause fortzusetzen, folgte er meinem Intendanten hierher. Sie bezweifeln das?«

»Ich bezweifle es.«

»Vides pedes, vides manus! hat Jesus zum heiligen Thomas gesagt. Ich sage Ihnen, Herr von Taverney: Sehen Sie den Schrank und befühlen Sie die Broschüren.«

So sprechend, öffnete er einen bewunderungswürdig geschnitzten Schrank von Eichenholz, und in dem Hauptfach zeigte er dem erbleichenden Chevalier die noch von dem schimmligen Geruch des feuchten Papiers geschwängerten tausend Exemplare der Broschüre.

Philipp näherte sich dem Grafen. Dieser rührte sich nicht, obgleich die Haltung des Chevalier äußerst drohend war.

»Mein Herr,« sagte Philipp, »Sie scheinen mir ein muthiger Mann zu sein, ich fordere Sie auf, mir mit dem Degen in der Hand Genugthuung zu geben.«

»Genugthuung, wofür?« fragte der Graf.

»Für die der Königin widerfahrene Beleidigung, eine Beleidigung, deren Sie sich mitschuldig machen, indem Sie auch nur ein Exemplar von diesem Blatt behalten.«

»Mein Herr,« erwiderte Cagliostro, ohne seine Stellung zu verändern, »Sie sind in der That in einem Irrthum begriffen, der mir leid thut. Ich liebe die Neuigkeiten, die ärgerlichen Gerüchte, die ephemeren Dinge. Ich sammle dergleichen, um mich später an tausend Dinge zu erinnern, die ich ohne diese Vorsicht vergessen würde. Ich habe diese Zeitungen gekauft; wie können Sie ersehen, daß ich durch diesen Kauf irgend Jemand beleidigt habe?«

»Sie haben mich beleidigt!«

»Sie?«

»Ja, mich! mich, mein Herr; verstehen Sie?«

»Nein, bei meiner Ehre, ich verstehe nicht.«

»Ich frage Sie, warum sind Sie mit einem solchen Eifer darauf bedacht, eine so garstige Broschüre zu kaufen?«

»Ich habe es Ihnen schon gesagt, die Manie der Sammlungen.«

»Ist man ein Mann von Ehre, mein Herr, so sammelt man keine Schändlichkeiten.«

»Sie werden mich entschuldigen, mein Herr, ich bin nicht Ihrer Ansicht über die Betitelung dieser Broschüre: es ist vielleicht ein Pamphlet, aber es ist keine Schändlichkeit.«

»Sie werden wenigstens gestehen, daß es eine Lüge ist?«

»Sie täuschen sich abermals, mein Herr, denn Ihre Majestät die Königin ist bei Mesmers Kufe gewesen.«

»Das ist falsch, mein Herr.«

»Sie wollen damit sagen, ich habe gelogen?«

»Ich will es nicht sagen, ich sage es.«

»Wohl! da es so ist, so antworte ich Ihnen mit einem einzigen Wort: Ich habe sie gesehen.«

»Sie haben sie gesehen?«

»Wie ich Sie sehe, mein Herr.«

Philipp schaute dem Grafen in's Gesicht; er wollte mit seinem so treuherzigen, so edlen, so schönen Blick gegen den leuchtenden Blick von Cagliostro kämpfen, doch dieser Kampf ermüdete ihn am Ende, er wandte das Gesicht ab und rief:

»Nun denn, ich beharre nicht minder auf der Behauptung, daß Sie lügen.«

Cagliostro zuckte die Achseln, als ob er von einem Narren beleidigt worden wäre.

»Hören Sie mich nicht?« sprach Philipp mit dumpfem Tone.

»Im Gegentheil, mein Herr, ich habe kein Wort von dem, was Sie sagen, verloren.«

»Nun wissen Sie nicht, was die Beschuldigung einer Lüge heißt?«

»Doch, mein Herr,« erwiderte Cagliostro, »es gibt sogar ein französisches Sprichwort, welches sagt: auf die Beschuldigung einer Lüge gebühre eine Ohrfeige.«

»So wundere ich mich über Eines.«

»Worüber?«

»Daß ich Ihre Hand noch nicht zu meinem Gesicht sich erheben sah, während Sie Edelmann sind und das französische Sprichwort kennen.«

»Ehe mich Gott zum Edelmann gemacht und das französische Sprichwort gelehrt hat, hat er mich zum Menschen gemacht und mir meines Gleichen zu lieben befohlen.«

»Mein Herr, Sie verweigern mir also Genugthuung mit bewaffneter Hand?«

»Ich bezahle nur, was ich schuldig bin.«

»Sie werden mir also auf eine andere Weise Genugthuung geben?«

»Wie dies?«

»Ich werde Sie nicht schlimmer behandeln, als ein Mann von Adel einen andern behandeln soll; ich verlange nur von Ihnen, daß Sie in meiner Gegenwart alle in diesem Schrank vorhandenen Exemplare verbrennen.«

»Und ich, ich weigere mich dessen.«

»Bedenken Sie wohl ...«

»Ich habe bedacht.«

»Sie werden mich in die Notwendigkeit versetzen, gegen Sie zu verfahren, wie ich gegen den Zeitungsschreiber verfahren bin.«

»Ah! Stockschläge,« sagte Cagliostro lachend und ohne daß er sich mehr rührte, als eine Bildsäule gethan hätte.

»Weder mehr noch weniger, mein Herr; oh, Sie werden Ihre Leute nicht rufen.«

»Ich? ah! bah! warum sollte ich meine Leute rufen? das geht sie nichts an, ich werde wohl meine Sachen selbst abmachen. Ich bin stärker, als Sie; Sie bezweifeln es? Ich schwöre es Ihnen. Bedenken Sie es also Ihrerseits. Nähern Sie sich mit Ihrem Stocke, so nehme ich Sie beim Hals und beim Rückgrat und schleudere Sie zehn Schritte von mir, und zwar, verstehen Sie wohl, dieß so oft, als Sie wieder an mich zu kommen versuchen werden.«

»Spiel des englischen Lord, das heißt Reffträgerspiel. Wohl! es sei, mein Herr Hercules; ich nehme es an.«

Und außer sich vor Wuth, warf sich Philipp auf Cagliostro, doch plötzlich steifte dieser seine Arme wie zwei stählerne Klammern, packte den Chevalier am Hals und am Gürtel und schleuderte ihn ganz betäubt auf einen Haufen von Polster, die auf einem Sopha in einer Ecke des Salons lagen.

Nach dieser Probe wunderbarer Stärke stellte er sich wieder vor den Kamin und nahm seine vorige Haltung an, als ob gar nichts vorgefallen wäre.

Philipp erhob sich bleich und schäumend, doch die Rückkehr kalter Beurtheilung gab ihm rasch seine moralischen Fähigkeiten wieder. Er stand auf, richtete seinen Rock und seine Manchetten zurecht und sprach mit düsterem Tone:

»Sie sind in der That so stark wie vier Männer, mein Herr, doch Ihre Logik ist nicht so nervig, als Ihre Faustgelenke. Indem Sie mich behandelten, wie Sie es so eben gethan, vergaßen Sie, daß ich, besiegt, gedemüthigt, für immer Ihr Feind, das Recht erlangt habe, Ihnen zu sagen: Den Degen in die Hand, Graf, oder ich tödte Sie.«

Cagliostro rührte sich nicht.

»Den Degen in die Hand, sage ich Ihnen, oder Sie sind ein Mann des Todes,« fuhr Philipp fort.

»Mein Herr, Sie sind noch nicht nahe genug bei mir, daß ich Sie behandle, wie das erste Mal,« erwiderte der Graf, »und ich werde mich nicht der Gefahr aussetzen, verwundet, sogar getödtet zu werden, wie der arme Gilbert.«

»Gilbert!« rief Philipp wankend, »Sie sprechen da...

»Zum Glück haben Sie dießmal kein Schießgewehr, sondern einen Degen.«

»Mein Herr!« rief Philipp, »Sie sprechen da einen Namen aus ...«

»Ja, nicht wahr, der ein furchtbares Echo in Ihren Erinnerungen erweckt hat?«

»Mein Herr!«

»Einen Namen, den Sie nicht mehr zu hören glaubten, denn Sie waren allein mit dem armen Jungen in jener Grotte der Azorischen Inseln, als Sie ihn ermordeten, nicht wahr?«

»Oh!« rief Philipp, »vertheidigen Sie sich! vertheidigen Sie sich!«

»Wenn Sie wüßten,« entgegnete Cagliostro, Philipp anschauend, »wenn Sie wüßten, wie leicht es wäre, den Degen aus Ihren Händen fallen zu machen!«

»Mit Ihrem Degen?«

»Ja, vor Allem mit meinem Degen, wenn ich wollte.«

»Auf denn! auf denn!«

»Oh! ich werde mich nicht dem aussetzen, ich habe ein sichereres Mittel!«

»Ich sage Ihnen zum letzten Mal, den Degen in die Hand, oder Sie sind ein Mann des Todes!« rief Philipp, gegen den Grafen springend.

Doch dießmal von der kaum drei Zoll von seiner Brust entfernten Degenspitze bedroht, nahm der Graf aus seiner Tasche ein Fläschchen, entpfropfte es und spritzte Philipp den Inhalt in's Gesicht.

Kaum hatte die Flüssigkeit den Chevalier berührt, als dieser wankte, den Degen fallen ließ, sich um sich selbst drehte, auf die Kniee fiel, als hätten seine Beine die Kraft verloren, ihn zu tragen, und einige Secunden lang gänzlich den Gebrauch seiner Sinne verlor.

Cagliostro verhinderte ihn, ganz und gar zu Boden zu fallen, hob ihn auf, übergab ihm seinen Degen in der Scheide, setzte ihn in einen Lehnstuhl, wartete, bis seine Vernunft völlig wiedergekehrt war, und sagte dann:

»In Ihrem Alter macht man keine Tollheiten mehr; hören Sie also auf, närrisch zu sein wie ein Kind, und hören Sie mich.«

Philipp schüttelte sich, stemmte sich an, vertrieb die Ermattung, die sich seines Gehirnes bemächtigt hatte, und murmelte:

»Oh! mein Herr, ist es das, was Sie eines Edelmanns Waffen nennen?«

Cagliostro zuckte die Achseln und erwiderte:

»Sie wiederholen immer dieselbe Phrase. Wenn wir Leute vom Adel unsern Mund weit geöffnet haben, um das Wort Edelmann durchzulassen, so ist Alles gesagt. Was nennen Sie eines Edelmanns Waffen? Etwa Ihren Degen, der Sie so schlecht gegen mich bedient hat? Oder Ihr Schießgewehr, das Sie so gut gegen Gilbert bedient hat? Was macht die erhabenen Männer, Chevalier? Glauben Sie, es sei das klangvolle Wort: Edelmann? Nein. Es ist vor Allem die Vernunft, sodann die Stärke und endlich die Wissenschaft. Dieß Alles habe ich Ihnen gegenüber benützt; mit meiner Vernunft habe ich Ihren Beleidigungen Trotz geboten, im Glauben, daß Sie mich anhörten; mit meiner Stärke habe ich Ihrer Stärke getrotzt; mit meiner Wissenschaft habe ich zugleich Ihre körperlichen und moralischen Kräfte ausgelöscht; es bleibt nur noch übrig, Ihnen zu beweisen, daß Sie, indem Sie mit Drohungen im Munde hierher kamen, zwei Fehler begingen.«

»Sie haben mich vernichtet,« erwiderte Philipp, »ich kann mich nicht mehr bewegen, Sie haben sich zum Herrn meiner Muskeln und meines Geistes gemacht und fragen mich nun, ob ich Sie anhören will, während ich nichts Anderes thun kann?«

Da nahm Cagliostro ein goldenes Fläschchen, das ein auf dem Kamin stehender Aesculap von Bronze hielt, und sprach mit einer Sanftheit voll Adel:

»Riechen Sie an diesem Fläschchen, Chevalier.«

Philipp gehorchte; die Dünste, die sein Gehirn verdunkelten, zerstreuten sich, und es kam ihm vor, als ob die Sonne, in die Wände seines Schädels herabsteigend, alle Ideen darin erleuchtete.

»Oh! ich werde wiedergeboren!« sagte er.

»Und Sie fühlen sich wohl, das heißt frei und stark?«

»Ja.«

»Mit der Erinnerung an das Vorgefallene?«

»Oh! ja!«

»Und da ich es mit einem Manne von Herz zu thun habe, der Geist besitzt, so gewährt mir diese Erinnerung, die bei Ihnen wiederkehrt, jeden Vortheil bei dem, was zwischen uns vorgegangen ist?«

»Nein,« sagte Philipp, »denn ich handelte kraft eines Lebensprincips, kraft eines heiligen Princips.«

»Was thaten Sie denn?«

»Ich vertheidigte die Monarchie.«

»Sie, Sie vertheidigten die Monarchie?«

»Ja, ich.«

»Sie, ein Mann, der nach America gegangen ist, um die Republik zu vertheidigen! Ei! mein Gott, seien Sie doch offenherzig, oder es ist nicht die Republik, was Sie dort vertheidigten, oder es ist nicht die Monarchie, was Sie hier vertheidigen.«

Philipp schlug die Augen nieder.

»Lieben,« fuhr Cagliostro fort, »lieben Sie diejenigen, welche Sie verachten; lieben Sie diejenigen, welche Sie vergessen; lieben Sie diejenigen, welche Sie hintergehen ... es ist das Eigenthümliche großer Seelen, daß sie in ihren großen Zuneigungen verrathen werden; es ist das Gesetz Jesu Christi, Böses mit Gutem zu vergelten. Sie sind ein Christ, Herr von Taverney.«

»Mein Herr!« rief Philipp ganz erschrocken, daß er Cagliostro so in der Vergangenheit und in der Gegenwart lesen sah, »kein Wort mehr, denn wenn ich das Königthum nicht vertheidige, so vertheidige ich die Königin, d. h. eine achtungswerthe, unschuldige Frau, achtungswerth noch, wenn sie es nicht mehr wäre, denn es ist ein göttliches Gesetz, die Schwachen zu vertheidigen.«

»Die Schwachen! Nennen Sie eine Königin ein schwaches Wesen? eine Frau, vor welcher achtundzwanzig Millionen lebendiger denkender Wesen das Knie beugen? oh! gehen Sie!«

»Mein Herr! man verleumdet sie.«

»Was wissen Sie davon?«

»Ich will es glauben.«

»Sie denken, das sei Ihr Recht?«

»Allerdings.«

»Wohl! mein Recht ist, das Gegentheil zu glauben.«

»Sie handeln wie ein böser Geist.«

»Wer sagt Ihnen das?« rief Cagliostro, dessen Auge plötzlich funkelte und Philipp mit Glanz übergoß, »woher kommt die Vermessenheit, zu glauben, Sie haben Recht und ich habe Unrecht? Woher kommt die Kühnheit, Ihr Princip dem meinigen vorzuziehen? Sie vertheidigen das Königthum! Wohl! wenn ich die Menschheit vertheidigte? Sie sagen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist; ich sage: Gebt Gott, was Gottes ist. Republikaner von America, Ritter vom Cincinnatusorden, ich erinnere Sie an die Liebe zu den Menschen, an die Liebe zur Gleichheit. Sie gehen auf den Völkern, um den Königinnen die Hände zu küssen; ich, ich trete die Königinnen mit Füßen, um die Völker um einen Grad zu erhöhen. Ich störe Sie nicht in Ihren Anbetungen, stören Sie mich nicht in meiner Arbeit. Ich lasse Ihnen das große Licht des Tages, die Sonne des Himmels und die Sonne der Höfe; lassen Sie mir den Schatten und die Einsamkeit. Sie begreifen die Stärke meiner Sprache, wie Sie vorhin die Stärke meiner Individualität begriffen haben. Sie sagten zu mir: Stirb, da Du den Gegenstand meiner Verehrung beleidigt hast; ich sage: Lebe, obschon Du meine Anbetungen bekämpfst, und wenn ich dieß sage, so geschieht es, weil ich mich mit meinem Princip stark fühle, weil weder Sie, noch die Ihrigen, so sehr Sie sich auch anstrengen mögen, mich nur einen Augenblick in meinem Gange aufhalten werden.«

»Mein Herr! Sie erschrecken mich,« sagte Philipp; »mit Ihrer Hilfe bin ich vielleicht der Erste in diesem Land, der die Tiefe des Abgrundes erblickt, dem das Königthum zuläuft.«

»Seien Sie klug, wenn Sie den Absturz gesehen haben.«

»Sie, der Sie mir dieß sagen,« erwiderte Philipp, bewegt durch den väterlichen Ton, mit dem Cagliostro zu ihm gesprochen hatte, »Sie, der Sie mir so furchtbare Geheimnisse enthüllen, Sie ermangeln noch des Edelmuthes; denn Sie wissen wohl, daß ich mich in den Schlund werfen werde, ehe ich diejenigen, welche ich vertheidige, hineinfallen sehe.«

»Wohl denn! ich werde Sie gewarnt haben und wasche mir, wie jener Präfect des Tiberius, die Hände, Herr von Taverney.«

»Wohl! ich!« rief Philipp, mit einer fieberhaften Heftigkeit auf Cagliostro zulaufend, »ich, der ich nur ein schwacher und Ihnen gegenüber untergeordneter Mensch bin, ich werde mich gegen Sie der Waffen des Schwachen bedienen, ich werde Sie mit feuchtem Auge, mit zitternder Stimme und gefalteten Händen ansprechen; ich werde Sie anflehen, mir nur dießmal Gnade für den Gegenstand Ihrer Verfolgung zu gewähren. Ich werde Sie für mich bitten, hören Sie wohl, für mich, der ich mich, ich weiß nicht warum, nicht daran gewöhnen kann, in Ihnen einen Feind zu sehen; ich werde Sie erweichen, ich werde Sie überzeugen, ich werde es endlich bei Ihnen erlangen, daß Sie mich nicht dem Gewissensbiß preisgeben, den Untergang der armen Königin gesehen und ihn nicht beschworen zu haben. Kurz, mein Herr, nicht wahr, ich werde es bei Ihnen dahin bringen, daß Sie das Pamphlet verbrennen, das einer Frau Thränen auspressen wird; ich werde das von Ihnen erlangen, oder, bei meiner Ehre, bei der unseligen Liebe, die Sie so wohl kennen, mit diesem gegen Sie ohnmächtigen Degen durchbohre ich mir das Herz zu Ihren Füßen.«

»Ah!« murmelte Cagliostro, indem er Philipp mit Augen voll beredten Schmerzes anschaute: »ah! warum sind sie nicht Alle, wie Sie sind! ich würde ihnen gehören und sie wären nicht verloren!«

»Oh! mein Herr! ich bitte Sie, antworten Sie auf meine Frage.«

»Zählen Sie,« erwiderte Cagliostro nach einem Stillschweigen, »zählen Sie, ob die tausend Exemplare wirklich da sind, und verbrennen Sie dieselben bis auf das letzte.«

Philipp fühlte, daß sein Herz zu seinen Lippen aufstieg; er lief zu dem Schrank, zog die Broschüren heraus, warf sie in's Feuer, drückte Cagliostro voll Innigkeit die Hand und sprach:

»Gott befohlen, mein Herr, hundertmal Dank für das, was Sie für mich gethan haben.«

Und er entfernte sich.

»Ich war dem Bruder,« sagte Cagliostro, als er ihn weggehen sah, »ich war dem Bruder diese Entschädigung für das schuldig, was die Schwester ausgestanden hatte.«

Und die Achseln zuckend, rief er:

»Meine Pferde!«

 


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