Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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LII.

Delirium.

Gott hatte ohne Zweifel das Gebet Andrée's gehört. Herr von Charny unterlag seinem Fieberanfall nicht.

Am andern Tage, als sie voll Gierde alle Nachrichten verschlang, die ihr von dem Verwundeten zukamen, ging dieser durch die Wege des guten Doctors Louis vom Tode zum Leben über. Die Entzündung hatte der Energie und dem Gegenmittel nachgegeben. Die Heilung begann.

Sobald Charny gerettet war, beschäftigte sich Louis um die Hälfte weniger mit ihm; der Gegenstand hörte auf, interessant zu sein. Für den Arzt ist der Lebende sehr wenig, besonders wenn er in der Genesung begriffen ist, oder wenn er sich wohl befindet.

Nach Verlauf von acht Tagen jedoch, in denen sich Andrée völlig beruhigte, hielt es Louis, der alle Offenbarungen des Kranken während der Krise auf dem Herzen hatte, für gut, Charny an einen entfernten Ort bringen zu lassen. Er wollte das Delirium in eine andere Gegend versetzen.

Aber Charny weigerte sich bei den ersten Versuchen, welche gemacht wurden. Er schlug von Zorn funkelnde Augen zum Doctor auf und sagte ihm, er sei beim König, und Niemand habe das Recht, einen Mann wegzujagen, dem Seine Majestät ein Asyl gebe.

Der Doctor, der gegen widerspänstige Genesende nicht geduldig war, ließ ganz einfach vier Knechte eintreten und befahl ihnen, den Verwundeten aufzuheben.

Aber Charny klammerte sich an das Holz seines Bettes an, schlug heftig einen der Männer und bedrohte die Anderen wie Carl XII. bei Bender. Der Doctor versuchte es mit vernünftigem Zureden. Charny war Anfangs ziemlich logisch; als aber die Knechte beharrlich ihre Arbeit fortsetzen wollten, machte er eine so gewaltige Gegenanstrengung, daß seine Wunde sich wieder öffnete und mit seinem Blute seine Vernunft entfloh. Er war in einen Anfall von Delirium zurückgekehrt, der heftiger wurde, als der erste.

Da fing er an zu schreien, man wolle ihn entfernen, um ihn der Visionen zu berauben, die er im Schlafe gehabt, aber es sei vergebens, die Visionen lächeln ihm immer zu, man liebe ihn und werde trotz des Doctors kommen, um ihn zu besuchen: diejenige, welche ihn liebe, sei von einem Range, daß sie keines Menschen Zurückweisung fürchte.

Bei diesen Worten schickte der Doctor zitternd in aller Eile die Knechte weg, legte einen Verband auf die Wunde, und versetzte, entschlossen die Vernunft mit dem Körper zu pflegen, die Wunden in einen befriedigenden Zustand, hielt aber das Fieber nicht auf, was ihn zu erschrecken anfing, in Betracht, daß der Kranke von der Verirrung des Verstandes zur Tollheit übergehen konnte.

Alles verschlimmerte sich an einem Tag, so daß der Doctor Louis an die heroischsten Mittel dachte. Der Kranke stürzte nicht nur sich, sondern auch die Königin in's Verderben; dadurch, daß er viel sprach, schrie er; dadurch, daß er sich viel erinnerte, erfand er; das Schlimmste dabei war, daß Charny in seinen lichten Augenblicken, und er hatte deren viele, toller war, als in seiner Tollheit.

Im höchsten Grad verlegen, beschloß Louis, der sich nicht auf die Autorität des Königs stützen konnte, denn der Kranke stützte sich auch darauf, zu der Königin zu gehen und ihr Alles zu sagen, und er benützte, um diesen Schritt zu thun, einen Augenblick, wo Charny, müde durch das Erzählen seiner Träume und das Herbeirufen seiner Vision, schlief.

Er fand Marie Antoinette ganz nachdenklich und ganz strahlend zugleich, denn sie dachte, der Doctor würde ihr gute Nachricht von seinem Kranken bringen. Aber sie war sehr erstaunt; gleich bei ihrer ersten Frage antwortete Louis gerade heraus, der Kranke sei sehr krank.

»Wie!« rief die Königin, »gestern ging es so gut.«

»Nein, Madame, es ging sehr schlecht.«

»Ich schickte doch Misery zu ihnen, und Sie antworteten durch ein gutes Bulletin.«

»Ich gab mich einer tollen Hoffnung hin und wollte Sie hoffen lassen.«

»Was soll das bedeuten?« erwiderte die Königin sehr bleich; »wenn es schlecht geht, warum es mir verbergen? Was habe ich Anderes zu fürchten, Doctor, als ein leider allzu gewöhnliches Unglück?«

»Madame ...«

»Und wenn es gut geht, warum mich in eine Unruhe versetzen, die ganz natürlich ist, da es sich um einen guten Diener des Königs handelt? Antworten Sie also offenherzig mit ja oder nein. Wie steht es mit der Krankheit, wie steht es mit dem Kranken? Ist Gefahr vorhanden?«

»Für ihn noch weniger, als für Andere, Madame.«

»Da fangen die Räthsel an!« rief die Königin ungeduldig. «Erklären Sie sich.«

»Das ist schwer,« antwortete der Doctor. »Es genüge Ihnen, zu erfahren, daß das Uebel des Grafen von Charny lediglich ein moralisches ist. Die Wunde ist nur eine Beigabe zu dem Leiden, ein Vorwand für das Delirium.«

»Ein moralisches Uebel! Herr von Charny!«

»Ja, Madame, und ich nenne moralisch Alles, was sich nicht mit dem Zergliederungsmesser analysiren läßt. Erlassen Sie mir, Eurer Majestät mehr zu sagen.«

»Sie meinen, der Graf ...« versetzte die Königin.

»Sie wollen?«

»Gewiß, ich will.«

»Ich will sagen, der Graf sei verliebt, das will ich sagen. Eure Majestät fordert eine Erklärung; ich erkläre mich.«

Die Königin machte eine kleine Bewegung mit den Schultern, welche bedeutete: eine schöne Geschichte!

»Und Sie glauben, man genese hievon, wie von einer Wunde?« fuhr der Doctor fort; »nein, das Uebel wird schlimmer, und vom vorübergehenden Delirium wird Herr von Charny in eine tödtliche Monomanie verfallen. Dann ...«

»Dann, Doctor?«

»Dann werden Sie den jungen Mann in's Verderben gestürzt haben, Madame.«

»In der That, Doctor, man muß sich wundern über Ihre Manieren. Ich werde diesen jungen Mann in's Verderben gestürzt haben! Bin ich die Ursache, wenn er verrückt ist?«

»Allerdings.«

»Sie empören mich, Doctor.«

»Sind Sie nicht in diesem Augenblick schuld,« fuhr der unbeugsame Doctor, die Achseln zuckend, fort, »so werden Sie es später sein.«

»Geben Sie also einen Rath, wie dieß Ihr Gewerbe ist,« sagte die Königin ein wenig besänftigt.

»Das heißt, ich soll eine Verordnung machen?«

»Wenn Sie wollen.«

»Hören Sie, Madame. Der junge Mann werde durch den Balsam oder durch das Eisen geheilt; die Frau, deren Namen er jeden Augenblick anruft, tödte oder heile ihn.«

»Das sind wieder Ihre Extreme,« unterbrach die Königin, auf's Neue in ihre Ungeduld verfallend. »Tödten! ... heilen! ... große Worte! Tödtet man einen Mann mit einer Härte? heilt man einen armen Narren mit einem Lächeln?«

»Ah! wenn Sie auch ungläubig sind, so habe ich nichts mehr zu thun, als Eurer Majestät meinen unterthänigsten Respect zu bezeugen.«

»Lassen Sie vor Allem hören, handelt es sich um mich?«

»Ich weiß nichts davon und will nichts davon wissen; ich wiederhole Ihnen nur, daß Herr von Charny ein vernünftiger Narr ist, daß die Vernunft zugleich wahnsinnig machen und tödten kann, daß die Tollheit zugleich vernünftig machen und heilen kann. Wenn Sie also dieses Schloß von Schreien, von Träumen und von Aergerniß befreien wollen, so werden Sie einen Entschluß fassen.«

»Welchen?«

»Ah! ja, welchen? Ich mache nur Verordnungen und rathe nicht. Bin ich ganz sicher, gehört zu haben, was ich gehört habe, gesehen zu haben, was meine Augen gesehen?«

»Nehmen Sie an, ich verstehe Sie, was wird daraus hervorgehen?«

»Ein zweifaches Glück: das eine, das Bessere für Sie wie für Alle, ist, daß der Kranke, durch das untrügliche Stilett, welches man die Vernunft nennt, im Herzen getroffen, seinen Todeskampf, welcher beginnt, endigen sieht; das andere ... nun wohl ... das andere ... Oh! Madame, entschuldigen Sie mich, ich habe mir das Unrecht zu Schulden kommen lassen, zwei Ausgänge aus dem Labyrinth zu sehen. Es gibt nur einen für Marie Antoinette, die Königin von Frankreich.«

»Ich verstehe Sie, Sie haben offenherzig gesprochen, Doctor. Die Frau, für welche Herr von Charny die Vernunft verloren hat, soll ihm diese Vernunft gutwillig oder mit Gewalt zurückgeben.«

»Sehr gut, das ist es.«

»Sie soll den Muth haben, ihm seine Träume, das heißt, die nagende Schlange, zu entreißen, welche aufgerollt im tiefsten Grunde seines Herzens liegt.«

»Ja, Eure Majestät.«

»Lassen Sie Jemand benachrichtigen; Fräulein von Taverney zum Beispiel.«

»Fräulein von Taverney?« versetzte der Doctor.

»Ja, Sie werden Alles einrichten, daß uns der Kranke auf eine geziemende Weise empfängt.«

»Das ist geschehen, Madame.«

»Ohne irgend eine Schonung?«

»Es muß wohl sein.«

»Aber, Doctor,« murmelte die Königin, »es ist trauriger, als Sie glauben, so das Leben oder den Tod eines Menschen aufzusuchen.«

»Das thue ich alle Tage, wenn ich eine unbekannte Krankheit anfasse. Werde ich sie durch das Mittel angreifen, welches das Uebel tödtet, oder durch das Mittel, das den Kranken tödtet?«

»Sie, Sie sind sicher, die Krankheit zu tödten?« fragte bebend die Königin.

»Ei!« erwiderte der Doctor mit düsterer Miene, »wenn auch ein Mann für die Ehre einer Königin stärbe, wie viele sterben nicht alle Tage für die Laune eines Königs? – Gehen wir, Madame.«

Die Königin seufzte und folgte dem alten Doctor, ohne daß sie Andrée hatte finden können.

Es war elf Uhr Morgens. Charny schlief ganz angekleidet in einem Lehnstuhl nach der Aufregung einer furchtbaren Nacht. Sorgfältig geschlossen, ließen die Laden nur einen schwachen Reflex des Tageslichtes durch. Alles war darauf eingerichtet, von dem Kranken die nervöse Empfindlichkeit, die erste Ursache seines Leidens, abzuhalten.

Kein Lärm, keine Berührung, kein Anblick. Der Doctor Louis faßte geschickt alle Vorwände zu einem Wiederaufleben krankhafter Erscheinungen an, und dennoch wich er, entschlossen einen großen Schlag zu thun, nicht vor einer Krise zurück, die seinen Kranken tödten könnte. Allerdings konnte sie ihn auch retten.

In einem Morgenkleide, mit einer ganz nachlässigen Eleganz frisirt, trat die Königin ungestüm in die Hausflur, welche zu Charny's Zimmer führte. Der Doctor hatte ihr empfohlen, nicht zu zögern, nicht zu versuchen, sondern auf der Stelle mit einer Entschlossenheit zu erscheinen, um eine heftige Wirkung hervorzubringen.

Sie drehte so rasch den ciselirten Knopf der ersten Thüre des Vorzimmers um, daß eine Person, die sich gegen die Thüre von Charny's Zimmer neigte, eine in ihre Mantille gehüllte Frau, nur Zeit hatte, sich aufzurichten und eine Haltung anzunehmen, deren Ruhe ihr verstörtes Gesicht und ihre zitternden Hände Lügen straften.

»Andrée!« rief die Königin erstaunt. »Sie hier!«

»Ich!« antwortete Andrée, bleich und ängstlich, »ja, Eure Majestät. Doch ist Eure Majestät nicht auch selbst hier?«

»Ho! ho! Verwickelung!« murmelte der Doctor.

»Ich suchte Sie überall,« sagte die Königin; »wo waren Sie?«

Es lag in diesen Worten der Königin ein Ausdruck, welcher nicht der ihrer gewöhnlichen Güte war. Es war wie das Vorspiel eines Verhörs, wie das Symptom eines Verdachtes.

Andrée hatte bange; sie fürchtete besonders, ihr unüberlegter Schritt könnte den Schlüssel zu ihren für sie so furchtbaren Gefühlen geben. So stolz sie auch war, so entschloß sie sich doch, zum zweiten Male zu lügen.

»Hier, wie Sie sehen.«

»Allerdings, doch, wie hier?«

»Madame,« erwiderte sie, »man hat mir gesagt, Eure Majestät lasse mich suchen; ich bin gekommen.«

Die Königin war nicht am Ende mit ihrem Mißtrauen, sie blieb beharrlich und fuhr fort:

»Wie haben Sie es gemacht, um zu errathen, wohin ich ging?«

»Das war leicht, Madame; Sie waren mit dem Doctor Louis, und man hatte Sie durch die kleinen Gemächer gehen sehen; von da an hatten Sie kein anderes Ziel, als diesen Pavillon.«

»Gut errathen,« erwiderte die Königin, immer noch unentschieden, aber ohne Härte, »gut errathen.«

Andrée strengte sich gewaltig an und sprach lächelnd:

»Madame, wenn es die Absicht Eurer Majestät war, sich zu verbergen, so hätte sie sich nicht auf den unbedeckten Gallerieen zeigen müssen, wie sie es so eben gethan, um hieher zu kommen. Schreitet die Königin über die Terrasse, so sieht Fräulein von Taverney sie von ihrer Wohnung aus, und es ist nicht schwierig, Jemand zu folgen oder voranzugehen, den man von ferne gesehen hat.«

»Sie hat Recht,« sagte die Königin, »und zwar hundertmal Recht. Ich habe eine unglückliche Gewohnheit, welche darin besteht, daß ich nie errathe; wenig nachdenkend, glaube ich nicht an die Reflexionen der Andern.«

Die Königin fühlte, sie würde vielleicht der Nachsicht bedürfen, weil sie der Vertrauten bedurfte.

Ihre Seele war überdieß keine Zusammensetzung von Coketterie und Mißtrauen, wie die der gewöhnlichen Weiber; sie hatte Glauben an ihre Freundschaften, denn sie wußte, daß sie lieben konnte. Die Frauen, welche sich selbst mißtrauen, mißtrauen noch viel mehr den Andern. Ein großes Unglück, das die Coketten bestraft, ist, daß sie sich nie von ihren Liebhabern geliebt glauben.

Marie Antoinette vergaß also sehr rasch den Eindruck, den Fräulein von Taverney vor Charny's Thüre auf sie gemacht hatte. Sie nahm Andrée bei der Hand, ließ sie den Schlüssel dieser Thüre umdrehen und drang mit einer außerordentlichen Schnelligkeit in das Zimmer des Kranken, während der Doctor mit Andrée außen blieb.

Kaum hatte diese die Königin verschwinden sehen, als sie zum Himmel einen Blick voll Zorn und Schmerz erhob, einen Blick, dessen Ausdruck einer wüthenden Verwünschung glich.

Der gute Doctor nahm ihren Arm, durchschritt mit ihr die Flur und sagte:

»Glauben Sie, daß es ihr gelingen wird?«

»Gelingen? mein Gott! was?« rief Andrée.

»Den armen Narren, der hier sterben wird, wenn sein Fieber noch ein wenig fortdauert, anderswohin bringen zu lassen.«

»Anderswo wird er also genesen?« fragte Andrée hastig.

Der Doctor schaute sie erstaunt, unruhig an und antwortete: »Ich glaube, ja.«

»Oh! dann möge es ihr gelingen!« rief das arme Mädchen.


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