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17. In Zelle Nr. 6

Gegen Drake schwebte noch eine Beleidigungsklage, über die er vom Untersuchungsrichter Hollmann vernommen worden war, der sich bei dieser Vernehmung sehr zu seinen Gunsten äußerte. Er war höchst gespannt auf den Verlauf dieser Sache und hatte sich wiederholt erkundigt, ob denn die Angelegenheit Fortschritte gemacht habe, oder überhaupt niedergeschlagen sei. Aber nichts konnte er darüber erfahren. Die Angelegenheit schien durch seine Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter ihre gänzliche Erledigung gefunden zu haben.

Von diesem jahrelangen, ungleichen Kampfe mit seinen vielen Gegnern, in dem es sich um Leben und Tod gehandelt hatte, an Leib und Seele ermüdet und abgespannt, reiste Drake in ein Seebad, um in den heilkräftigen Wellen der See und in der wohlthuenden, frischen Luft neue Kräfte zu sammeln. Die Wirkung des Bades war außerordentlich erfolgreich.

Nach einem Aufenthalte von sechs Wochen kehrte er wunderbar gestärkt nach Berlin zurück

Doch welche Ueberraschung sollte ihm hier zu Theil werden!

Als er des Abends von der Reise in seine Wohnung zurückkehrte, kam ihm seine Wirthin mit ängstlichen Mienen und sonderbaren Bewegungen entgegengeeilt.

»Es ist gut, daß Sie kommen, Herr Drake! Mein Gott! Mein Gott! was ist nicht Alles geschehen in Ihrer Abwesenheit.«

»Was ist denn geschehen? Was ist vorgefallen? Drücken Sie sich doch deutlicher aus!« erwiderte Drake auf die ängstliche Anrede.

»Ja, denken Sie sich nur, vorgestern ist die Kriminalpolizei hier gewesen. Dieselbe hat Ihre sämmtlichen Sachen durchschnüffelt und Ihre sämmtliche Papiere, welche sich vorfanden, beschlagnahmt und mitgenommen.«

»Nun, die werden sie, mir schon wiedergeben. Das hat weiter nichts auf sich,« erwiderte er, um die Frau zu beruhigen. »Das ist ja mehr als sonderbar,« sagte er sich. »Es ist nicht anders möglich, ein neuer Schurkenstreich Deiner Gegner liegt vor. Ein wahres Glück, daß ich die Originalschriftstücke sicher untergebracht habe, denn die Polizei hat nur Abschriften gefunden, die ich entbehren kann. Offenbar war es darauf abgesehen, Deine beweiskräftigen Dokumente über die Thatsache, daß mehrere vom Staate angestellte Personen gegen Dich gemeine Verbrechen verübt haben, Dir fortzunehmen, um auf diese Weise jede Spur der Thatsachen zu vermischen.«

»Hat denn die Polizei keine Aeußerung weiter gemacht?« wandte er sich an die Frau, welche ihn immer noch Verwirrt und sprachlos ansah.

»Ja, ja, es ist gut, daß Sie mich darnach fragen. Es fällt mir eben ein, daß der Polizeikommissar einen rothen, bedruckten Zettel vorzeigte und erklärte, das sei ein Haftbefehl gegen Ihre Person. Er fügte hinzu, falls Sie sich innerhalb drei Tagen nicht von selbst stellten, würde hinter Ihnen ein Steckbrief erlassen. Dann hat er einen Zettel hier gelassen, hier ist er. Auf demselben steht sein Name und die Nummer seines Arbeitszimmers.«

Drake nahm denselben in Empfang und sagte: »Das ist eine ganz überraschende Neuigkeit. Es ist und bleibt mir allerdings ein Räthsel. Nun, die Sache wird sich aufklären, beruhigen Sie sich nur, liebe Frau! Ich werde morgen früh selbst zur Kriminalpolizei gehen und mich über die Ursachen der Haussuchung und der geplanten Verhaftung in Kenntniß setze.«

Mit der größten Ruhe verzehrte er sein Abendbrot und begab sich, von der Reise ermüdet, bald zu Bett. In dem ruhigen Bewußtsein, er habe nichts verbrochen und sei sich keines Unrechts bewußt, verfiel er bald in einen süßen und wohlthuenden Schlummer, aus dem er am nächsten Morgen, in der siebenten Stunde, neu gestärkt und gekräftigt erwachte. Seine Wirthin erschien bereits mit banger Miene und brachte ihm den Kaffee.

Eine Weile stand sie verlegen, endlich begann sie schüchtern:

»Ich muß wirklich Ihre Ruhe bewundern, Herr Drake! Wäre mir das passirt, ich hätte in der ganzen Nacht kein Auge zuthun können, Sie aber haben geschlafen wie ein Bär, wie ich vernommen habe.«

»Liebe Frau, den Kopf kann es ja nicht kosten,« bemerkte Drake beruhigend, »es wird nicht so schlimm sein, wie Sie glauben. Es muß unbedingt ein Irrthum vorliegen.« –

In der zehnten Stunde ging Drake zur Kriminalpolizei am Molkenmarkt und begab sich sofort in das auf dem Zettel bezeichnete Zimmer.

Er erblickte an einem Pult sitzend einen Herrn, es war selbst im Sitzen eine Riesengestalt. –

»Habe ich die Ehre, den Herrn Kriminalkommissar vor mir zu sehen?«

»Der bin ich. Was wünschen Sie?«

»Mein Name ist Drake! Ich komme gestern Abend von der Reise und erfahre von meiner Wirthin, daß Sie mich gesucht, ja sogar einen Haftbefehl gegen meine Person vorgezeigt haben, verhält sich die Sache so?«

»Äh, Herr Drake sind Sie! Es ist gut, daß Sie kommen. Können Sie sich durch ein Schriftstück legitimiren?«

»Gewiß! hier sind meine Militärpapiere.«

Der Kommissar nahm das ihm gereichte Papier, überflog es flüchtig und bemerkte hastig:

»Bitte, nehmen Sie einen Augenblick Platz.«

Schnell eilte er an einen Klingelzug, den er kräftig in Bewegung setzte.

Kurz darauf öffnete sich eine zweite Thür, und ein ebensolcher Riese, wie der Anwesende, trat in's Zimmer und setzte sich auf ein gegebenes Zeichen des Kommissars sofort hinter Drake auf einen Stuhl.

»Behalten Sie noch einen Augenblick Platz,« wandte er sich abermals an Drake und verließ darauf das Zimmer. Nach etwa fünfzehn Minuten kehrte er zurück.

»Ich habe in Ihrer Angelegenheit,« sprach er zu Drake gewandt, »mit dem Herrn Präsidenten Rücksprache genommen, habe demselben Ihre Militärpapiere vorgezeigt, aber wir können nicht selbstständig handeln. Es ist uns von dem Untersuchungsrichter Hollmann die Aufforderung zugegangen, Sie zu verhaften, und wir sind verpflichtet, dieser Verfügung nachzukommen. Ich muß Sie deshalb im Namen des Gesetzes für verhaftet erklären, Sie sind also mein Arrestant!«

»Ohne daß mir mitgetheilt wird, was ich verbrochen, werde ich verhaftet? Das sind ja sonderbare Dinge!« erwiderte Drake empört.

»Die Ursachen, welche dazu geführt haben, kenne ich nicht; die Gründe für Ihre Verhaftung werden Sie von dem Untersuchungsrichter erfahren, der dieselbe angeordnet hat. Sie können sich dann sofort über denselben beschweren, Bitte, folgen Sie mir nur.«

»Der Gewalt weiche ich und werde folgen.«

Der Kommissar schritt voran, Drake folgte, und den Schluß bildete der zuletzt erschienene Beamte. So ging es zum Zimmer hinaus, über einen weiten Korridor, eine holprige Treppe hinab und dann über einen weiten Hofraum hinweg, auf dem sich zahlreiche Schutzleute befanden und den so transportirten Drake schmunzelnd betrachteten.

»Ah! wieder einer von den Verbrechern abgefaßt,« mochten sich die behelmten und bewaffneten Männer wohl sagen, die ja in der Regel Jedermann für einen Spitzbuben halten.

Ein tieferliegendes Hintergebäude tauchte vor seinen Blicken auf. Auf der großen, weiten Vorderdiele desselben angelangt, griff der Kommissar an einen Klingelapparat, und eine schwere, eiserne Thür öffnete sich.

»Folgen Sie mir gefälligst,« kam es auffordernd aus dem Munde des Voranschreitenden.

Drake folgte, hinter ihm her der zweite Begleiter. Und krachend schlug die Thür wieder in's Schloß.

Weiter ging es über einen langen Korridor und dann, am äußersten Ende desselben, betrat man ein drei Fuß tiefer liegendes Zimmer. Hier wurde Drake zwei robusten Gefangnißwärtern zur Bewachung übergeben.

Der Kriminalkommissar wechselte einige leise Worte mit einem am Schreibtisch sitzenden Beamten und entfernte sich dann mit seinem Begleiter.

Drake war also Gefangener. Warum? das wußte er immer noch nicht und sollte es auch sobald nicht erfahren.

Der Beamte am Schreibtisch wandte sich mit barscher Stimme an ihn:

»Ich fordere Sie als Gefangenen auf, Ihre sämmtlichen Gegenstände, wie auch Geld und Uhr, Schlüssel und Messer, welche Sie bei sich tragen, mir abzugeben.«

Drake kam der an ihn ergangenen Aufforderung nach.

»Untersuchen Sie den Gefangenen weiter, ob er noch verborgene Gegenstände bei sich hat!« befahl er darauf den anwesenden Gefangenaufsehern.

Jetzt begann eine peinliche körperliche Untersuchung, daß es nur so seine Art hatte. Die beiden griffen in sämmtliche Kleidertaschen, betasteten das Futter derselben, öffneten sämmtliche Kleider und untersuchten den also Gemaßregelten schließlich noch auf dem nackten Körper.

»Nichts Verdächtiges vorgefunden, Herr Inspektor!« erfolgte darauf die kurze und ehrerbietige Meldung.

»Sie haben mir Ihren Vor- und Zunamen, Tag und Jahr der Geburt, Geburts- und gegenwärtigen Wohnort auf das Sorgfältigste anzugeben,« herrschte der mit Inspektor Angeredete Drake an.

Bereitwillig kam dieser der Aufforderung nach.

»Schaffen Sie den Gefangenen in die Zelle Nr. 6!« erging, nach Erledigung dieser Formalitäten, der Befehl an die Aufseher.

»Folgen Sie gefälligst,« befahl Einer derselben, während der Andere schon die Thür öffnete.

Der Eine der Aufseher eröffnete den Reigen, Drake befand sich in der Mitte, der Andere folgte auf dem Fuße nach.

Wiederum ging es mit dem so Vergewaltigten einen langen dunkeln Korridor entlang, dann vier Stufen hinab in einen tiefer gelegenen Raum, nach Zelle Nr. 6.

Eine schwere, eiserne Thür öffnete sich und Drake blickte schaudernd m einen spärlich erhellten Raum, welchen er sich zu betreten scheute.

»Hineintreten!« rief barsch der vorausgehende, bewaffnete Gefangenaufseher.

Zögernden Fußes trat er ein, und sofort fiel die schwere, eiserne Thür hinter ihm wieder in's Schloß, während die Tritte seiner Begleiter nach und nach in der Ferne verhallten.

Jetzt war er thatsächlich ein Gefangener.

Eine dumpfe Atmosphäre umgab ihn und benahm ihm fast den Athem.

Forschend überflog er seine Umgebung. Sein Blick schweifte zunächst nach der kleinen Oeffnung, welche sich in einer dicken Mauer befand, und dem Räume einzig und allein ein höchst spärliches Licht zuführte. Diese war nach innen mit einem engen Drahtgeflecht versichert, dahinter mit einer von Schmutz und Spinngewebe überzogenen Glasscheibe versehen, vor welcher nach außen starke Eisenstäbe angebracht waren, um das etwaige Ausbrechen eines Gefangenen unmöglich zu machen.

Eine mehr als einfache hölzerne Bank lehnte sich an die eine Seite der Wand, daneben in der Ecke befand sich ein ebenso einfacher, hölzerner, kleiner Tisch.

Längs der anderen Wand – dieser Theil der Zelle war fast ganz dunkel – stand eine eiserne Bettstelle, in welcher anscheinend ein Strohsack lag.

Während er tief in Gedanken versunken nachdachte, welche Schandthaten man gegen ihn wieder in's Feld führen würde, zuckte er plötzlich zusammen; ein lautes, knisterndes Geräusch drang von dem Strohlager her aus der dunkeln Ecke an sein Ohr. Seine Augen richteten sich forschend nach dieser Stelle, aber die herrschende Dunkelheit ließ nichts erkennen. Ein unverständliches Murmeln, welches mehr einem Wimmern glich, wurde jetzt lautbar. Neugierig tastete Drake im Dunkel des Raumes umher, um die Ursache desselben zu erforschen. Wiederum ließ sich ein unverständliches Murmeln vernehmen und die schwachen Umrisse einer menschlichen Gestalt wurden auf dem Strohsack sichtbar: es war, wie sich später herausstellte, ein taubstummer Ungar, der nach seiner Heimath abgeschoben werden sollte und in dieser Zelle untergebracht war, um auf seinem weiten Transport hier einen Rasttag zu genießen. –

Es war Mittags ein Uhr. Drake war während des ganzen Vormittags von den Beamten in Anspruch genommen worden und hatte nicht die geringste Gelegenheit gefunden, den Bedürfnissen seines Körpers gerecht zu werden. Sein Magen knurrte und machte energisch seine Rechte geltend. Er klopfte einige Male heftig an die Thür, denn einen anderen Weg, sich der Außenwelt bemerklich zu machen, gab es nicht; kein Tritt ließ sich vernehmen. Er klopfte heftiger, da endlich näherten sich seiner Zelle Schritte. Eine kleine runde Klappe, welche eine kreisförmige Oeffnung in der Thür verdeckte, wurde zurückgeschoben, eine rauhe Stimme rief barsch hinein:

»Was wollen Sie?«

»Kann man hier für Geld und gute Worte nicht etwas zu essen bekommen?« fragte Drake.

»Mittag giebt's nicht mehr! Da mußten Sie früher kommen!«

Der draußen Stehende entfernte sich, und die Klappe fiel wieder zu.

Drake mußte sich wohl oder übel in sein Schicksal fügen. Er setzte sich auf die Bank und stützte sein sorgenvolles Haupt auf die Hand.

»Hilflos, von aller Welt verlassen, sitzt Du da, der Willkür und Bosheit preisgegeben,« hauchte er.

Der Nachmittag verstrich langsam. Die Dämmerung nahte sich mit leisem Flügelschlag und verstohlen huschte noch ein vereinzelter Sonnenblick durch das trübe Fenster der Zelle!

Endlich wurde das Rasseln eines schweren Schlüsselbundes vernehmbar. Eine größere Klappe in der eisernen Thür öffnete sich und eine dampfende zinnerne Schüssel ward durch dieselbe hindurchgeschoben.

»Hier ist Suppe! Schnell zugreifen!« erscholl es von draußen. Drake zögerte.

»Wenn Sie nicht wollen, giebt's gar nichts!« erklang es polternd von Neuem.

Der taubstumme Ungar schien diese Aufforderung bemerkt zu haben. Wie elektrisirt schoß er von seinem Lager und griff begierig nach der Suppenschüssel, welcher ein Stück Schwarzbrod folgte. Eiligst trug er die erhaltene Schüssel nach dem Tische und kehrte sofort nach der Thür zurück, um die zweite Portion in Empfang, zu nehmen.

Die Klappe in der Thür wurde wieder geschlossen.

Der Taubstumme machte sich hastig an die Schüssel und verzehrte deren Inhalt mit größtem Appetit, ebenso das eine Stück Brot.

Drake prüfte wohl den Inhalt, führte auch versuchsweise einige Löffel zum Munde, um seinen Hunger gewaltsam damit zu stillen, aber vergeblich – sein Magen gab die Flüssigkeit, welche ihm widerstand, wieder von sich. Der Geschmack war ein äußerst widerlicher.

Der taubstumme Zellengenosse war indessen mit seiner Portion recht bald fertig und machte sich an die Vertilgung der zweiten Schüssel, wozu ihn Drake noch besonders aufmunterte.

Völlige Dämmerung war eingetreten. Jetzt galt es, das Nachtlager aufzusuchen, ohne Unterstützung eines Lichtes, welches in diesen Räumen für überflüssig gilt.

Ein Strohsack und eine schmutzige wollene Decke waren zu diesem Zwecke vorhanden.

Drake trug berechtigtes Bedenken, die ihm zugewiesene Lagerstätte aufzusuchen; denn er sagte sich: »wie viel hundert Personen mögen ihr sorgenschweres Haupt schon darauf niedergelegt haben, von denen mancher wohl mit einer ansteckenden Krankheit behaftet oder mit Ungeziefer besetzt war.«

Aber der Körper des Menschen verlangt unerbittlich seine Rechte, der Schlaf wollte ihn übermannen und zögernd legte er sich angekleidet auf das schmutzige Lager, indem er nur den Unterkörper mit der wollenen Decke gegen die feucht-kalte Luft schützte. An einen wohlthuenden Schlaf war jedoch nicht zu denken; in halbwachem Zustande verbrachte er die Nacht und sehnsüchtig erwartete er den anbrechenden Morgen.

Es mochte etwa früh sechs Uhr sein, als in derselben Weise, wie am Abend zuvor, eine unsichtbare Hand zwei Schüsseln mit einer ähnlichen Flüssigkeit und zwei Stücke Brot durch die Klappe reichte. Der Taubstumme griff wiederum gierig danach und verzehrte davon soviel, als er konnte. Drake machte abermals einen Versuch, davon zu genießen, aber seine Natur ließ sich dazu nicht zwingen.

Eine Stunde später wurden mit lautem Geräusch die schweren, eisernen Thüren der nebenliegenden Zellen geöffnet, und eine rauhe Stimme rief fortwährend: »Alle raustreten auf den Korridor!« Auch die Thür zu Drake's Zelle öffnete sich dann, und derselbe Ruf schallte in dieselbe.

Drake trat hinaus, während sein Zellengenosse wieder eingeschlossen wurde.

Auf dem Korridor befanden sich jetzt sechs Gefangene. Ein bewaffneter Aufseher stand vor dem Vordersten derselben und kommandirte mit lauter, Stimme:

»Alle mir folgen!«

Vorwärts ging es und ein zweiter Aufseher schloß den Zug. Ueber endlose Korridore bewegte sich derselbe, endlich ging es zehn Stufen tiefer in einen Keller hinab. Dieser Raum hatte ein noch spärlicheres Tageslicht als die Zelle. In demselben befanden sich drei Badewannen, welche anscheinend mit warmem Wasser gefüllt waren.

»Alle ausziehen!« kommandirte die rauhe Stimme des bewaffneten Aufsehers, »und' je zwei Mann in eine Wanne zusammen zum Baden!«

Alle folgten dieser Aufforderung, nur Drake nicht. Kopfschüttelnd stellte er Betrachtungen über diesen Vorgang an.

Die Uebrigen hatten sich entkleidet und stiegen in die Wannen hinein. Der bewaffnete Aufseher musterte Drake mehrere Augenblicke von oben bis unten. Plötzlich herrschte er ihn an:

»Wollen Sie sich nicht ausziehen? Was stehen Sie da noch? Was fällt Ihnen ein? Habe ich Ihnen nicht befohlen, sich auszuziehen und in die Badewanne zu gehen?«

Der so Angefahrene blickte den Sprecher fest an und entgegnete dann:

»Sie meinen doch nicht im Ernst, daß auch ich da hineingehen soll?«

»Wie können Sie solche Frage an mich stellen? Sie haben ein für alle Mal meinen Befehlen Folge zu leisten!«

»Wollen Sie mir vielleicht sagen, was dieses Baden für einen Zweck haben soll?«

»Das ist nicht Ihre Sache, darnach zu fragen. Es ist Vorschrift; Jeder, der hier eingeliefert wird, muß gebadet werden! Die Vagabunden haben in der Regel so viel Läuse, daß dieses Ungeziefer mit ihnen wegkriecht.«

»Aber Mann,« sagte Drake lächelnd, »Sie werden doch einsehen, daß die vermeintlichen Läuse durch das warme Wasser nicht beseitigt werden, sondern daß es für dieses Ungeziefer eine wahre Wohlthat ist. Wenn nun zwei in einer Wanne baden, und der Eine von ihnen hat nur welche, so bekommt der Andere unbedingt welche ab. Es ist also keine Reinigung, sondern vielmehr eine regelrechte Besetzung sämmtlicher Gefangenen mit diesem Ungeziefer.«

»Herr, ich fordere Sie nochmals auf, sofort meinem Befehl nachzukommen!« Unwillkürlich griff er nach seinem Säbel, wie um anzudeuten, daß er davon Gebrauch machen werde, falls sein Befehl nicht ausgeführt würde.

Drake lachte hell auf bei diesem Gebahren und erklärte:

»Sie werden, doch nicht etwa glauben, daß ich Ungeziefer habe; und ich habe durchaus nicht Lust, mir solches in dem Wasser aufzusacken. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich unter keiner Bedingung da hineingehe, mögen Sie machen, was Sie wollen.«

Der bewaffnete Aufseher knirschte mit den Zähnen und rief:

»Herr, was glauben Sie denn, wer Sie sind? Sie bilden sich wohl ein, Sie sind mehr als andere Leute? Wenn Sie sich nicht auf der Stelle ausziehen und in's Bad gehen, werde ich Sie melden!«

»Thun Sie, was Sie nicht lassen können.« –

Endlich war die peinliche Baderei beendet, ohne daß Drake an derselben gezwungen Theil genommen hätte, und zurück ging es auf demselben Wege, wie er gekommen, nach Zelle Nr. 6. Mit lautem Krachen flog die schwere, eiserne Thür hinter ihm wieder in's Schloß. Wieder vergingen lange, bange Stunden, doch endlich gegen elf Uhr wurde er hier erlöst und mittelst des bekannten grünen Wagens nach Moabit transportirt.

Hier wurde er in eine Isolirzelle gesperrt. Es war ein Raum, der mit allen Vorsichtsmaßregeln, wie auch mit den notwendigsten Gebrauchsgegenständen für einen Gefangenen ausgerüstet war.

Die Anstaltskleider warteten bereits auf den Eintretenden; Drake mußte dieselben mit seinen eigenen vertauschen. Er betrachtete die ungewohnte Kleidung, welche aus grau- und blau gestreifter Leinwand bestand, mit lächelnden Blicken und mußte sich selbst eingestehen, daß er in derselben eine höchst komische Figur abgab. Die Beinkleider reichten ihm nur bis zum Knie; die Socken bedeckten kaum die halben Waden; der Rock war so eng, daß er seinen Oberkörper nicht umhüllte, und die Aermel desselben reichten eben über die Ellenbogen.

Während dieser Besichtigung viel sein Blick auf einen neben der Thür angebrachten Klingelapparat. Sofort setzte er diesen in Bewegung. Kurze Zeit darauf wurde eine in der schweren und starken Thür befindliche Klappe von außen geöffnet, und eine harte Stimme rief hinein:

»Was wollen Sie?«

»Sind denn hier für Geld Speisen und Getränke zu haben?«

»Da mußten Sie früher kommen! Mittagszeit ist vorüber!« verkündete ihm auch hier wieder die, Stimme eines Aufsehers.

Gefangener, wie er einmal war, mußte er sich ruhig und ergeben in seine harte Lage fügen. Nur in seinem Innern brauste es von Zeit zu Zeit grollend auf gegen all' die Vergewaltigungen, denen er sich preisgegeben sah. Seit zwei Tagen hatte er keine Speise zu sich genommen; neben der geistigen Abspannung trat nun auch körperliche Erlahmung ein. Der Körper verlangte stürmisch sein Recht, die Eingeweide knurrten ihm unaufhörlich. Schon halb verzweifelt, wurde ihm endlich gegen die siebente Stunde des Abends in einem Blechgefäß eine Roggenmehlsuppe mit einem Stück Schwarzbrot durch ein Loch in der Thür verabreicht.

Mit Widerwillen, doch von dem wüthenden Hunger getrieben, nahm Drake nach kurzer Ueberlegung die Speise zu sich.

Eine Müdigkeit überfiel ihn jetzt, er wollte sich durch einen erquickenden Schlaf stärken, um dann gekräftigt an Leib und Seele seiner Vernehmung entgegen zu sehen, die innerhalb 24 Stunden nach dem Gesetz stattfinden mußte.

Das Lager, welches sich ihm als Ruhestätte darbot, war keineswegs einladend. Eine dünne Matratze, deren Inhalt ein äußerst zweifelhafter war, ein Kopfkissen von demselben Stoff und eine wollene Decke bildeten das Ganze der Lagerstätte.

Obgleich übermüdet, konnte er keine wohlthuende Ruhe finden. Es war nur ein dumpfes Gefühl, ein Gefühl der Erlahmung seiner Glieder, welches ihn überkam.

Doch eine Hoffnung durchzog leise sein Gemüth und regte seine Lebensgeister von Neuem an. Heute würde ohne Zweifel seine Vorladung erfolgen, heute würde er endlich aufgeklärt werden, weshalb seine Vergewaltigung stattgefunden hatte. Und dann würde man ihn, von seiner Unschuld überzeugt, entlassen.

Seine Hoffnung sollte sich in einem Punkte bestätigen.

In der elften Stunde des Vormittags wurde er durch einen Aufseher vor den Untersuchungsrichter Hollmann geführt, welcher, wie schon oben angeführt, vor etwa 5 Monaten sich bei der Vernehmung Drake's über seine Flugschrift deutlich dahin geäußert hatte, daß, wenn es in seiner Macht stände, er die eingeleitete Beleidigungsklage abweisen und die Gegner dafür verhaften lassen und deren schwere Bestrafung bewirken würde.

Kaum erblickte dieser Richter den als Gefangenen vorgeführten Drake, als er schnell von seinem Stuhle, wie von einer Feder getrieben, aufsprang, sich vergnügt die Hände rieb und mit höhnischem Lächeln rief:

»Ah, sieh' da! da ist ja der unsaubere Vogel mit seinen spitzen Federn!

»Ich werde Ihnen zeigen, was es heißt, eine Anzahl Richter, Advokaten und Aerzte in einer Flugschrift derartig zu geißeln und öffentlich an den Pranger zu stellen!«

Bei diesen Worten lief er gleich einem Besessenen im Zimmer umher und dann auf Drake zustürzend, schrie er mit erhobener Stimme:

»Warten Sie nur, jetzt sind Sie gefangen, ich werde Ihnen schon bessere Sitten beibringen. Man hat noch Mittel, solche Quälgeister mürbe zu machen!«

Drake traute seinen Ohren kaum; die Kreatur vor ihm sollte derselbe Richter sein, der ihm einst in so wohlwollender Weise entgegenkam?

Und unwillkürlich trat ihm die Gewißheit vor die Augen: »Auch dieser Richter, welcher sich früher als ein edler Mann gezeigt und das gegen Dich verübte Unrecht gebührend gebrandmarkt hat, ist durch den weit reichenden Einfluß jener Schurken gegen Dich gewonnen, er ist unfehlbar gekauft und Dein Untergang ist beschlossene Sache.

»Die Fäden der Verbrecher sind unzweifelhaft bis in die höchsten Kreise gesponnen. Eine weit reichende Hand ist im Spiel und leitet das Ganze gegen Dich.«

»Was haben Sie denn nun gegen Ihre Verhaftung einzuwenden?« frug der bestochene Richter frohlockend.

»Mir liegt zunächst daran, zu wissen,« erwiderte Drake, »weshalb ich verhaftet worden, und womit diese willkürliche Handlung begründet werden kann.« –

»Ha! Gründe wollen Sie auch noch wissen? Fluchtverdächtig sind Sie, und deshalb habe ich Sie in Sicherheit gebracht!« –

»Was sagten Sie?« fragte Drake gedehnt, »für fluchtverdächtig halten Sie mich? Ich sollte fliehen wollen?« –

»Ja wohl! Fluchtverdacht liegt gegen Sie vor,« kam es mit scharfer Betonung, aus der Kehle des Hollmann.

Erstaunt schüttelte Drake den Kopf und machte geltend:

»Dazu liegt bei mir nicht die geringste Veranlassung vor! Allerdings würde meine Flucht verschiedenen Personen sehr erwünscht sein, weil dadurch die Schwindeleien jener Elenden mit einem Schlage mit dem Mantel der Liebe bedeckt wären.

Nicht doch! so leicht räume ich den Kampfplatz nicht, auf dem ich mir einmal den Sieg errungen habe. Die Ursachen, welche zu meiner Verhaftung geführt haben, sind anderweitig zu suchen. Es ist hier ein Gewaltstreich gegen mich ausgeführt worden, und zwar allen Gesetzvorschriften zum Hohn! –

Im Gesetz ist ausdrücklich vorgeschrieben, daß Personen wegen einfacher Beleidigung, deren ich bezichtigt bin, nur dann in Untersuchungshaft genommen werden dürfen, wenn dieselben Ausländer, Heimathlose oder Landstreicher oder nicht im Stande sind, sich über ihre Personen auszuweisen. Alle die angeführten Gründe treffen bei mir nicht zu.

Wie Ihnen aus den Akten bekannt sein dürfte, bin ich in diesem Lande geboren, erzogen und habe hier auch meiner Militärpflicht genügt. Seit fünfzehn Jahren betreibe ich hier ein umfangreiches kaufmännisches Geschäft, und daß ich als Kaufmann während dieser Zeit eine feste Wohnung mit festem Wohnsitz habe, ist wohl selbstverständlich.

Was berechtigt Sie nun dazu, mich verhaften und in Untersuchungshaft sperren zu lassen, und mit welcher Berechtigung konnten Sie meine Papiere in Beschlag nehmen lassen? Durch diesen letzten Gewaltakt sind mir 8000 Mk. abhanden gekommen oder gestohlen worden. Ich werde Sie für Alles verantwortlich machen!«

Mit aufgesperrtem Munde und stieren Augen hatte Hollmann den Ausführungen Drake's zugehört. Er rang nach Athem und fand in der That keine Worte, um diese berechtigte Antwort zu widerlegen. Dann lief er wie ein aufgestachelter Löwe im Zimmer umher, warf Tisch und Stühle bei Seite, stellte sich dann erschöpft in eine imponirende Positur und mit vor Wuth unterdrückter Stimme rief er, mit dem Zeigefinger aus die nach vorn gedrängte Brust tippend:

»Herr, wie können Sie sich erlauben, in solchem Tone hier zu sprechen; wissen Sie nicht, wer vor Ihnen steht? Ich, der Untersuchungsrichter Hollmann bin es, ich, der Rath Hollmann, habe Sie verhaften lassen, und ich bin es gewesen, der Ihre Papiere mit Beschlag belegte. Und nun werde ich Ihnen zeigen, wie weit meine Macht geht, wie weit sich meine Gewalt erstreckt, Sie sollen vor mir zittern!«

Drake, der wohl einen solchen Ausbruch der Wuth vermuthet hatte, hörte mit ruhiger Miene den Drohungen des wüthenden Richters zu und setzte sich, durch Anstrengungen erschöpft, auf einen Stuhl nieder.

Dadurch wurde die Wuth Hollmann's auf's Höchste gesteigert. Gleich einem Besessenen sprang er auf den so ruhig Sitzenden zu, ballte die Hände und mit gellender Stimme kreischte er:

»Herr, wie können Sie sich erdreisten, einen Stuhl für sich in Anspruch zu nehmen! Wie dürfen Sie es wagen, sich in meiner Gegenwart zu setzen. Zum Teufel, vergessen Sie nicht, daß Sie Angeklagter sind!« –

»Aber noch lange nicht verurtheilt!« erwiderte Drake lächelnd. »Eben so gut, wie ich mit dem übrigen Raubgesindel fertig geworden bin, werde ich auch Ihnen erfolgreich die Spitze bieten. Die Stühle sind zur Benutzung des Publikums vom Staate geliefert, und hat Jeder das Recht, darauf Platz zu nehmen.«

Kopfschüttelnd über diese Zurechtweisung durchmaß der Richter schnellen Schrittes das Zimmer und warf von Zeit zu Zeit wüthende Blicke auf Drake.

Endlich machte Hollmann seiner Wuth dadurch Luft, daß er den Amtsdiener rief und befahl:

»Führen Sie diesen Menschen sofort wieder in's Gefängniß zurück.« –

»Ich verlange zunächst meine Beschwerde über diesen Gewaltakt zu Protokoll zu nehmen,« machte Drake geltend. »Ihre amtliche Vernehmung ist hiermit beendet!«

Drake's Lage hatte sich durch diesen Auftritt noch verschlimmert. Er fertigte eine Schrift an, in der er sich über seine Vergewaltigung, seine Freiheitsberaubung bei der zuständigen Behörde beschwerte. Leider sind besondere Bestimmungen erlassen, nach welchen die Beschwerden, Briefe und Anträge eines Untersuchungsgefangenen dem Richter – seinem Peiniger –, der seine Verhaftung angeordnet hat, zunächst vorgelegt werden müssen. Und in dessen Willkür liegt es dann, die Schriftstücke zu vernichten oder an ihre Adresse gelangen zu lassen.

Drake's Beschwerde fand, wie vorauszusehen war, ihre Erledigung im Papierkorb des Untersuchungsrichters Hollmann.

Die unerwartete Vergewaltigung und Freiheitsberaubung Drake's drang blitzschnell zu seiner Familie. Eine allgemeine Entrüstung über die neuen Schurkereien machte sich geltend.

Eines Tages wurde er vor den Untersuchungsrichter Hollmann geführt.

»Na, wie geht's jetzt?« begann er höhnisch, als Drake eintrat.

»Es hat sich Ihre Schwester gemeldet, die Sie sprechen will. Ich habe ihr bedingungsweise zugesagt, Sie vorführen zu lassen; dieselbe wird gleich hier erscheinen. Sie haben das Gespräch mit Ihrer Schwester hier in meiner Gegenwart laut und deutlich zu führen, so daß ich jedes Wort verstehen kann.«

Auf ein gegebenes Zeichen Hollmann's an den Gerichtsdiener öffnete dieser die Thür. Die Dame trat herein, näherte sich verlegen ihrem Bruder und begann heftig zu schluchzen; sie stammelte in ihrer Erregung, wie nicht anders zu erwarten war, einige unverständliche Worte.

»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen laut sprechen mit dem Gefangenen. Wenn Sie meinem Befehle nicht nachkommen, muß ich Ihnen die weitere Unterredung versagen!« kreischte Hollmann aus vollem Halse die Dame an.

Diese bebte vor Schreck am ganzen Körper und fing laut an zu schluchzen.

Der verrückte Richter, der Schurke, stand immer noch unmittelbar vor der Dame und starrte ihr scharf in's Gesicht, als wollte er jeden Augenblick wie ein Habicht auf sein Opfer stürzen.

Drake begann das Blut in den Adern zu kochen über diese gemeine Frechheit und Rohheit dieses studirten Schurken einer Dame gegenüber. Er trat zwischen seine Schwester und den tollen Gesellen und hatte demselben unbedingt auf die Fußspitzen getreten, wenn jener nicht eiligst einige Schritte, zurückgewichen wäre. Ja, er war in eine solche Aufregung versetzt, daß er sich versucht fühlte, ohne Weiteres auf diesen Buben loszustürzen und ihn mit geballter Faust auf den Schädel zu schlagen, wie er es verdient hatte. Aber Drake bekämpfte mannhaft die augenblickliche Wallung und ließ die schon erhobene Faust wieder sinken. Er wandte sich jetzt zärtlich an seine Schwester und sprach beruhigend zu derselben:

»Mache Dir keine Sorge um mich; ich will schon mit dieser Sorte Menschen fertig werden.«

Die Dame versuchte, immer noch schluchzend, einige, Worte als Warnung an ihren Bruder zu richten, die darauf hinzielten, doch vorsichtiger in seinen Aeußerungen zu sein.

Der bestochene Hollmann spitzte die Ohren, und als wiederum ein leiser Laut über die Lippen der Dame kam, sprang er in dem Zimmer wie ein wüthend gewordenes Thier hin und her, blieb plötzlich neben Drake's Schwester stehen und schrie derselben aus voller Kehle in's Ohr:

»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen laut sprechen! Wenn Sie das nicht können, so werde ich Sie sofort hinausbringen lassen.«

Drake mußte bei diesen Worten seinen Zorn mit Aufbietung aller seiner Willenskraft meistern und beruhigend wandte er sich an seine Schwester:

»Du siehst, mit welchem Menschen Du hier zu thun hast, gehe nur nach Hause, hier setzest Du Dich doch nur weiteren Rohheiten dieses gebildeten Richters aus. Sei unbesorgt, ich will mich schon aus den Händen dieses Unholdes befreien.«

Diese Worte hatte Drake laut und mit erhobener Stimme gesprochen.

Hollmann warf giftige Blicke auf den Gefangenen und rief wuthschnaubend wiederholt aus:

»Aus meinen Händen kommen Sie nicht wieder, das schwöre ich Ihnen! Sie befinden sich ausschließlich in meiner Macht und meiner Gewalt, Ich, der Untersuchungsrichter Hollmann,« fügte er höhnisch hinzu, »werde Sie mürbe machen!«

Drake wurde wieder in's Gefängniß abgeführt.

So waren etwa vierzehn Tage verstrichen, seitdem der Gefangene sich in Haft befand, ohne daß er einen stichhaltigen Grund für seine Einsperrung erfahren hätte.

Mit Bangen zählte er Tage und Stunden, daß eine Antwort auf seine Beschwerde einlaufen sollte, welche ihm, so hoffte er, die Freiheit bringen würde. Doch vergebliches Hoffen!

Er beantragte endlich die Vorführung vor den Untersuchungsrichter Hollmann, in dessen Gewalt er sich nun einmal ausschließlich befand. Sein Anliegen wurde gewährt.

»Na, immer noch so das große Wort? Oder ist die Stimmung schon etwas gedrückter geworden?« empfing ihn Hollmann mit höhnischem Lächeln.

»Die Antwort auf diese Frage bleibe ich Ihnen schuldig. Denken Sie darüber wie Sie wollen, ich bin zu dem Zwecke nicht hier. Ich beantrage, zu Protokoll zu nehmen, daß ich meine kurz nach meiner Verhaftung abgegebene Beschwerdeschrift über meine Einsperrung hiermit wiederhole und ersuche ausdrücklich, daß von Amtswegen diese zweite Beschwerdeschrift abgesandt wird.«

»Weiter haben Sie nichts zu sagen?«

»Nein, diesmal nicht!«

»Ich erklärte Ihnen neulich schon, daß Sie aus meinen Händen nicht wieder kommen. Mit der Beschwerdeschrift von Amtswegen ist es nichts, darauf machen Sie sich gar keine Hoffnung.«

»Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet als Untersuchungsrichter; Sie sind auch dazu verpflichtet, mich jeder Zeit zu hören und meine Wünsche zu Protokoll zu nehmen.«

»Das ist ganz und gar meine Sache. ob ich das will oder nicht. Ich habe als Untersuchungsrichter die Macht, über Sie zu verfügen, wie ich es für gut befinde. Ihre Anträge in Form einer Beschwerdeschrift über mich gelangen ausschließlich in meine Hände, und wie ich mit solchen Schriftstücken von Ihnen verfahre, darüber giebt Ihnen vielleicht der Papierkorb – er zeigte auf den in der Ecke befindlichen – »Auskunft, denn in demselben finden diese ihre alleinige Erledigung.«

»Nach Ihrer selbstbewußten Meinung,« begann Drake »bin ich also Ihrer völligen Willkür ausgesetzt und Ihren Chikanen preisgegeben, so daß Sie mit mir Ihr Spiel treiben können, wie es boshafte und nichtswürdige Buben in der Regel machen, die der Bestechung zugänglich sind.«

Diese Worte schicken dem tollen Mann wie ein Blitz in die Krone zu fahren. Seine Farbe wechselte und das Zucken seiner Lippen deutete an, daß er etwas Außergewöhnliches hervorbringen wollte. Doch Drake kam ihm zuvor. Er erklärte mit drohender Stimme:

»Wenn das so gemeint ist, dann befinde ich mich ja bei Ihnen in einer hilflosen Lage und in Lebensgefahr! Sie haben mich meiner Freiheit beraubt, ohne einen stichhaltigen Grund dafür anheben zu können. Sie haben ferner wiederholt die Drohung ausgestoßen, mich nie wieder aus Ihren Klauen zu lassen. Sie haben mithin die Absicht, mich für immer im Gefängniß unschädlich zu machen. Und dieses beabsichtigte Vorhaben ist ein direkter Mord. Wie denken Sie nun darüber, wenn ich meine Handlungen Ihnen gegenüber nach dem Paragraphen im Strafgesetzbuch einrichte, der da lautet:

»Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung durch Nothwehr geboten war. – Nothwehr ist diejenige Vertheidigung, welche erforderlich ist, um einen, gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Anderen abzuwenden – die Überschreitung der Nothwehr ist nicht strafbar, wenn der Thäter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Vertheidigung hinausgegangen ist.«

Bei den letzten Worten erhob sich Drake plötzlich von seinem Stuhl und unwillkürlich hob er die geballte Faust nach vorn.

»Was meinen Sie zu dieser Nothwehr? denn in eine solche haben Sie mich tatsächlich versetzt.«

Hollmann, der auf der entgegengesetzten Seite des Tisches saß und alle Bewegungen Drake's scharf beobachtet hatte, verließ plötzlich seinen Platz und, wie von einer Wespe gestochen, eilte er dem Fenster zu, an dessen Seite ein Schreibtisch stand, an welchem ein Beamter arbeitete, hinter dessen Rücken er seine Person in Sicherheit brachte. Er wechselte mit diesem einige leise Worte. Der Beamte erhob sich langsam und begab sich zur Thür hinaus und ruf den Amtsdiener.

Der Gerufene trat in's Amtszimmer.

»Bringen Sie den Gefangenen wieder fort,« sagte Hollmann kleinlaut.

»Der Gefangene ist unstreitig verrückt, denn kein anderer Mensch würde solche Aeußerungen mir, dem Rath Hollmann, gegenüber wagen und gegen meine Person drohend die Faust erheben. Verrückt, verrückt ist der Kerl!« hörte man die Kreatur im Richterrock noch kreischen, als Drake bereits das Zimmer verlassen hatte.

Schnell war die Einladung an den Sachverständigen ausgefertigt und wurde durch einen Gerichtsdiener demselben sofort zugestellt.


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