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11. Drake's unschuldige Verurtheilung und geistige Ermordung

Diese schwerwiegende Thatsache paßte den studirten Helden natürlich nicht in ihren Plan.

»Offener Verrath!« zischte der Richter Bart wiederholt, als er das notariell beglaubigte Schriftstück las.

»Ein verfluchtes Ding; dahinzu kommt noch, daß nach einigen Tagen die Ehescheidungsklage mit seiner Frau ausgesprochen werden soll; der Mensch wird es doch noch fertig bringen, sich aus der Schlinge zu ziehen, ohne daß wir es hindern können.« Er durchschritt bedächtig das Zimmer und wiederholt stieß er hervor:

»Wahrhaftig, die ganze Sache ist eine höchst bedenkliche geworden! – Aber, mag da kommen, was da wolle,« fuhr er im Selbstgespräch nach einer Weile fort, »ich werde ihm den endgiltigen Todesstoß geben!« –

Schleunigst fertigte er folgende Verfügung aus:

»An den Kaufmann Drake in Berlin.

Sie werden hierdurch aufgefordert, sich am 28. d. Mts., Vormittags 10 Uhr, an hiesiger Gerichtsstelle zum Termin, der in Ihrer Sache anberaumt worden ist, unbedingt einzufinden. Im Falle Ihres Ausbleibens wird Ihre Verurtheilung ohne Weiteres erfolgen,

Altona, 24. Juli 1885. Königliches Amtsgericht. Bart!«

Drake erkannte sofort heraus, als er diese Verfügung zugestellt bekam, worauf es abgesehen war, und daß die Sache für ihn ihren Höhepunkt erreicht hatte. Er hing jetzt an einem seidenen Faden. Irgend ein Umstand, ein kluger Einfall, eine klare Geistesgegenwart konnte ihn nur noch vor dem sicheren Untergänge retten.

Es mußte ihm jetzt daran liegen, unter allen Umständen den von dem Richter Bart angesetzten Termin zu hintertreiben und die Aussetzung desselben auf irgend eine Weise zu erwirken, bis die beantragte Scheidung von seiner Frau in Berlin erfolgt war.

Drake's Hirn arbeitete unablässig, um irgend einen Anhaltspunkt zu seiner Rettung zu finden; er mußte Gegenmaßregeln ergreifen, um der ihm drohenden Gefahr zu entgehen.

Ein guter Gedanke schoß plötzlich durch sein Hirn! Eiligst begab er sich zu einem Arzt – er hatte sich bei der großen Hitze einen Fuß wund gelaufen – und ließ sich ein Zeugniß darüber ausstellen, daß er zur Zeit die Reise nach dem weit entfernten Orte aus Gesundheitsrücksichten zu dem Termine nicht unternehmen könne. Dieses Attest mit dem Antrage um Verlegung des Termins ließ er durch Rechtsanwalt Breede dem Richter Bart überreichen.

Doch vergeblich war die Mühe.

Trotz des ärztlichen Zeugnisses, trotz des Antrages hielt der Richter den Termin ab, verhandelte in demselben ohne Drake's Anwesenheit, und verurtheilte ihn, ohne ihn protokollarisch vernommen zu haben, trotzdem das Gesetz eine persönliche Vernehmung des Angeklagten ausdrücklich vorschreibt.

Die Begründung des Erkenntnisses lautete:

»Die angestellten Ermittelungen haben ergeben, daß der Kaufmann Drake unheilbar geisteskrank ist und deshalb vom hiesigen Gericht eine Entmündigung über ihn ausgesprochen werden mußte. Von Rechts wegen.«

Der parteiische Richter hatte es so eilig, daß er schon mit der nächsten Post das Erkenntniß. mit dem er Drake den Todesstoß beigebracht hatte, an das Gericht sandte, bei dem die Scheidungsklage schwebte.

Noch am selben Tage erhielt Drake von seiner Vergewaltigung Kenntniß.

Eine Gänsehaut überlief ihn bei dieser Nachricht: »Du bist unheilbar verrückt!« –

»Noch ist nicht Alles verloren,« sagte er sich, »das hiesige Gericht hat und kann noch keine Kenntniß haben von diesem Bubenstreich!« –

Er begab sich zum Termin, in dem die Scheidung von seiner verschwundenen Frau ausgesprochen werden sollte.

Doch welche Täuschung, welche Ueberraschung sollte er hier erfahren.

Der Vorsitzende des Gerichtshofes, welcher die Ehescheidungsklage leitete, sprach seine Mißstimmung offen aus.

»Das Gericht in Altona hat gegen den Kläger einen Entmündigungs-Prozeß geführt, und das Verfahren fast volle zwei Jahre hingeschleppt, ohne zum Ziel zu gelangen, und jetzt plötzlich vier Tage vor dem Termin, in welchem die Ehescheidung ausgesprochen werden sollte, hat der betreffende Amtsrichter den Kläger laut Erkenntniß für geisteskrank erklärt. Insbesondere ist es mehr als auffällig, daß uns die Akten mit dem Erkenntniß von dem betreffenden Richter sofort eingesandt wurden, ohne daß wir sie gefordert haben! Obgleich aus den Akten ersichtlich, um was es sich hierbei handelt, so sind wir doch verpflichtet, die Sache auszusetzen, so lange, bis die über den Kläger verhängte Verurtheilung beseitigt worden ist.«

Das Schicksal Drake's war also besiegelt; seine Feinde hatten ihn besiegt, ihn geistig ermordet und auf die Stufe eines Wahnsinnigen gestellt, mit einem Wort, er war in seiner Existenz zu Grunds gerichtet worden.

Wie ein schauerliches Gespenst umschwebte ihn der furchtbare Gedanke: »Du bist als gesunder Mensch von einem vom Staat angestellten Schurken für unheilbar wahnsinnig erklärt.«

Zähneknirschend, drohend die Faust in der Luft, rief er:

»Einem einzigsten Menschen im Richterrock, einem Schurken die Macht über das Leben, über die Freiheit und die ganze Existenz eines Staatsbürgers in die Hand zu geben, das ist die Rechtspflege in dem vielgepriesenen Staate, der die erste Rolle in der Weltgeschichte spielen will. Es ist empörend, und Menschen, die solche mangelhafte Gesetze schaffen, kann man nur mit Achselzucken bedauern!«

Indessen hatte er das Vertrauen zu der Unparteilichkeit des ganzen Richterstandes noch nicht verloren, er sagte sich, es können unmöglich auf jedem Richterstuhl gegen ihn eingenommene Leute sitzen. –

Er hoffte durch einen höheren Gerichtshof einen günstigen Ausgang seiner Sache zu erzielen.

Er hoffte es!! – Aber? Aber? –

Gegen diesen offenbaren Justizmord erhob er Beschwerde und Berufung bei der zuständigen vorgesetzten Behörde und beantragte zugleich die Vernehmung seiner wiederholt vorgeschlagenen Zeugen, durch welche das ganze Verfahren als Schwindel enthüllt werben mußte. Der Jubel im Lager seiner Feinde war unbeschreiblich über die endliche Niederlage ihres Todfeindes. Drake war hilflos gemacht, das Gesetz schützte ihn nicht mehr, er war der Spielball seiner Verschworenen geworden.

Diese seine hilflose Lage wurde im verschärften Maße nach allen Richtungen hin ausgebeutet.

Wie die Raben und Geier schossen die Mitglieder der Gesellschaft auf ihr Opfer los, jeder wollte den Löwenantheil von dem gemeinsamen Raube erbeuten. Eine förmliche Hetzjagd begann! Den Reigen eröffnete wieder der unselige Richter Bart, indem er abermals namhafte Summen für angebliche Gerichtskosten einzog. Diesem Beispiel folgten die übrigen Raubritter. Was der Gemaßregelte nicht freiwillig hergab, wurde ihm durch Zwangsvollstreckung abgenommen. So mußte er zahlen und immer wieder zahlen. Denn dies war ja der Kardinalpunkt der an ihm verübten Vergewaltigung.

Die Horde von Advokaten drang zugleich darauf, dem Verfolgten einen Curator aus ihrer Mitte zu stellen, dem die Rolle zugeteilt werden sollte, Drake's Vermögen und sein Geschäft zu verwalten und zugleich über seine Person zu wachen, um dadurch mit einem Schlage in den Besitz von seinem Hab und Gut zu gelangen.

Daß dieses Unternehmen mit einem förmlichen Sturm in Angriff genommen ward, wird am Ende auch demjenigen einleuchten, der den hier berichteten, streng und wörtlich auf Wahrheit beruhenden Thatsachen mit dem Kopfschütteln des Zweifels und dem Verneinen des Mißtrauens gegenüber steht.

Es geht aus den Akten die Thatsache hervor, daß allein in Hamburg gegen Drake in dieser Kuratellsache nicht weniger als fünf Advokaten – Wex, Banks, Bellmonte, Angerstein und Goldschmidt – thätig waren.

Aber der Unverzagte parirte jeden ihrer Schritte mit bewunderungswürdiger Sicherheit.

Ein recht fataler Punkt für die Advokaten war der, daß Drake's Wohnsitz schon längst in Berlin war und ihm dort der gesetzliche Vormund gestellt werden mußte. Aber die fünf Advokaten hätten keine ausgefeimtem Rabulisten sein müssen, wenn sie sich dadurch hätten zurückschrecken lassen sollen. Wozu hätten sie denn die Rechte studirt, wenn sie nicht zur Ueberwindung einer jeden Gesetzesvorschrift ein Hinterthürchen zu entdecken verständen.

Durch solches Hinterthürchen wurde auch im vorliegenden Falle geschritten. Der geriebenste der fünf Rabulisten hatte eine spitzfindige Beweisführung aufgebaut, daß Drake in Hamburg, wo er sein Geschäft habe und sich viel aufhalte, in Wirklichkeit seinen Wohnsitz habe, und drang – mit seinen Beweisen durch. Das Gericht erkannte, Drake in Hamburg einen Kurator zu bestellen!

Aber damit waren alle Schwierigkeiten noch nicht beseitigt! – Wie war nun der Beschluß, laut dessen der Curator bestellt morden, dem für wahnsinnig Erklärten zuzustellen? Eine Wohnung besaß er in Hamburg nicht, auch war er dort polizeilich nicht gemeldet. Die studirten Ritter mußten auch hier Rath.

Im Auftrage der Sippe wurde Drake von einigen der rohesten Gesellen, wie wir deren schon genügend kennen gelernt, verfolgt und auf offener Straße der Beschluß ihm gewaltsam in die Tasche geschoben, um damit die rechtskräftige Wirksamkeit desselben zu erzielen.

Gegen diese unheimliche, ungeheure Verfolgungswuth konnte sich Drake nicht anders schützen als durch eine sofortige Beschwerde beim Obergericht, zugleich ein Dekret von seiner zuständigen Behörde überreichend, laut dessen er seinen allgemeinen Gerichtsstand in Berlin habe.

Glücklicherweise wurde diese Beschwerde mit Erfolg gekrönt.

Das Obergericht hob die ganze Curatell-Affaire, die dem ganzen schurkischen Vernichtungsplan die Krone aufsetzte, wieder auf. Ein Umstand, den die Feinde nicht erwartet hatten, und wuthschnaubend begannen sie wieder im Dunkeln ihr ebenso gemeines, wie gefährliches Treiben.

Doch es schien, als ob jeder ihnen entgegengesetzte Widerstand die Gegner nur zu immer größeren und verzweifelteren Gewaltthätigkeiten reize.

Aber auch Drake griff jetzt zu den äußersten Gegenmaßregeln. Er sagte sich: »Ich befinde mich außerhalb des Schutzes der Menschheit! Des Schutzes und der Wohlthaten des Gesetzes hat man mich beraubt, obgleich ich mich in einem Rechtsstaats befinde. Alles ist mir genommen, jede Hilfe mir versagt. Noch lebe ich, ich werde deshalb ferner von dem mir von der Natur verliehenen Rechte der körperlichen und geistigen Kraft Gebrauch machen.

»Wohlan denn, Kampf auf Leben und Tod!! –«

Drake verfaßte eine geharnischte Broschüre zur Warnung seiner Mitmenschen über das gemeingefährliche Treiben seiner Gegner, um zugleich auch dem Gesindel der studirten Sippe die Larve vom Gesicht zu reißen und sie hinzustellen vor aller Welt als das, was sie ihrer Handlungsweise nach waren.

Die Flugschrift erschien und ward zahlreich gekauft.

Eine weit über Erwartung hinausgehende Sensation rief sie hervor und unermeßbar war die Wirkung der mit kühner Feder in flammenden Worten der Wahrheit geschriebenen und in vielen Tausenden von Exemplaren über das ganze Land verbreiteten Broschüre!

Die in derselben ausgetheilten Geißelhiebe saßen und hatten die wundesten Stellen getroffen; heulend krümmten sich unter ihnen die getroffenen Schurken.

Das war ein eisiges Sturzbad, eine kalte, durchdringende und athembrechende Douche, wie man sie von keiner Seite geahnt und gefürchtet hatte.

Das Tagesgespräch drehte sich Wochen lang nur um Drake, um die in der Broschüre enthaltenen entsetzlichen Enthüllungen.

Einige Dutzend Aufgeregter hatten es fertig gebracht, das Haus des Advokaten Wex zu umstellen und demselben, falls sie seiner habhaft werden konnten, schlagende Beweise der ihm dargebrachten Volksgunst zu geben.

*

Als sich jedoch dieser Held durch eilige Flucht der rächenden Volksjustiz entzogen, zertrümmerten sie ihm die Fenster mit Steinen.

Von höchstem Interesse war es auch, wie sich unter diesem moralischen Drucke der Oeffentlichkeit die einzelnen Glieder der Bande benahmen.

Der uns von seinem famosen Gutachten her noch bekannte Kreisphysikus Doktor Hendemann erklärte beispielsweise das Folgende zu seiner Rechtfertigung, als der Rechtsanwalt Breede bei ihm darüber vorstellig wurde:

»Mir kann keiner, sagt der Lateiner! Ich habe mir den Rücken bei Zeiten dermaßen gedeckt, daß mir so leicht keiner etwas anhaben kann!«

Der Advokat Breede entgegnete:

»Ich kenne den Verfasser der Broschüre, Drake, sehr genau. Ich weiß, er ist ein überaus energischer, resoluter und entschlossener Charakter! Er hat die ganze Affaire der Oeffentlichkeit zur Beurtheilung übergeben und dadurch den sachgemäßen Weg eingeschlagen. Er wird auch ganz sicher und zweifellos sein Ziel erreichen.

»Einen nicht zu unterschätzenden Faktor, die öffentliche Meinung, hat er schon auf seiner Seite. Er wird den Betheiligten noch zu schaffen machen. Beweis davon, daß er weiß, was er will, hat er abgelegt.

»Es ist nicht ausgeschlossen, daß er den Kampf mit seinen Gegnern bis auf's Messer führt, und nicht eher ruht, bis er sie sämmtlich in's Zuchthaus gebracht hat.«

Der Angeredete entgegnete kleinlaut:

»Es ist eine peinliche Geschichte und da nun dieselbe den skandalsüchtigen Lesern, den radauliebenden Staatsbürgern zur Beurtheilung überlassen ist, so ist es uns Allen im höchsten Grade fatal. Wer kann wissen, was uns dieser Mensch noch anthut, was er Alles im Schilde führt?«

Nach einer Pause des Nachdenkens und gleich wie zur Entschuldigung seiner Person fügte er hinzu:

»Jedenfalls haben die Anderen viel mehr Schuld an der unangenehmen Geschichte als ich. Im Uebrigen wollen wir uns nicht bange machen lassen! Noch ist Drake nicht Sieger! Wir müssen doch erst ruhig abwarten, ob es ihm gelingen wird, sich zu befreien, die Ketten zu durchbrechen, mit welchen wir ihn gefesselt.

»Entmündigt und für geisteskrank erklärt zu werden, ist wohl das Schlimmste, was einem Menschen begegnen kann und unter Hunderten, denen es widerfährt, gelingt es kaum Einem, sich aus diesem Netz wieder herauszuwinden.

»Eine mehr als gewöhnliche Willenskraft, eine unzerstörbare, unbeugsame und eiserne Ruhe sind dazu nöthig.

»Die weitaus meisten von diesem Geschick Betroffenen vermögen sich indessen in ihrer furchtbaren Lage nicht im Mindesten zurechtzufinden. Sie werden aufgeregt, verbittert und verfeindet mit der ganzen Welt.

» Sie werden gewaltsam in die Raserei und Nacht der Geistesverwirrung, des grausen Wahnsinns, hineingetrieben und werden verrückt, wenn sie es auch noch nicht waren.

»Und dann, offen eingestanden, unter dem Brennspiegel dieser Anschuldigung und Behauptung der Geisteskrankheit erscheinen harmlose, einfache Neigungen und Gewohnheiten verdächtig.

»Und wer in aller Welt wüßte sich wohl im Ernst ganz davon frei? Die Neigung zum Erzählen und Scherzen wird dann als Größenwahnsinn, ängstliches Gemüth als Verfolgungswahnsinn, Großmuth und Herzensgüte, Generosität als Verschwendungssucht, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit als Geiz ausgelegt und der Irrenarzt müßte ein erbärmlicher Stümper sein, dem es so nicht gelingen sollte, Einen, den er verrückt haben will, verrückt zu machen

»Alles dieses, so richtig es sein mag, haben Sie, mein Herr, bei Drake nicht zu fürchten,« versetzte der Angeredete, »denn wenn Jemand auf der Welt im Stande ist, diese Fesseln zu sprengen, sich aus diesem Labyrinthe zu befreien, so glauben Sie mir, Drake ist es!

»Ich kann Ihnen deshalb nur den wohlgemeinten Rath geben: Sehen Sie sich vor mit ihm! Ich an ihrer Stelle würde den Abschied nehmen!«

Mit dieser Warnung endete die Unterredung dieser beiden Herren.

Unter einer Fülle von Briefen, Zuschriften und sonstigen Mittheilungen erhielt Drake auch ein Schreiben folgenden Inhalts:

»Ihre Broschüre habe ich mit regem Interesse, zugleich aber auch mit großer und bei jeder Seite steigender Entrüstung von Anfang bis zu Ende mehr denn einmal durchgelesen.

»Ich erinnerte mich bei dieser fesselnden Lektüre sofort an eine Mittheilung, welche mir vor einem halben Jahre schon über genau dieselbe Angelegenheit gemacht worden. Der Berichterstatter ist in dem Weinkeller von W. auf St. Pauli Oberkellner und hat die Berathungen und geheimen Abmachungen einer Gesellschaft, welche fast an jedem Abend dort verkehrt, gehört. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß Ihnen dieser Kellner Näheres über Ihre Sache, des Ferneren auch über die gesammten Namen der an der Gesellschaft Theilnehmenden mittheilen wird, falls Sie sich mit demselben in Verbindung setzen wollen.«

Dieser hier gegebene Wink war für Drake höchst werthvoll.

An einem der nächsten Tage schon, nach Empfang dieses anonymen Briefes, machte er sich auf den Weg nach Hamburg nach dem in dem Briefe angegebenen Keller.

Drake stieg kurz entschlossen die wenigen Stufen zu dem Weinkeller hinab und betrat den Raum, wo er sich an einem, der mit roth und blau getäfelten hübschen Decken behangenen Eisentische niederließ, eine Flasche leichten Moselweins begehrend.

In dem Gemache herrschte eine anheimelnde Temperatur; der Duft frischen Rheinweines, die blitzsaubere Ausstattung des ganzen Raumes, mit den patriotischen Schlachtenbildern, den alten charakteristischen Portraits des »alten Fritz«, die Tigerdecken unter den Tischen, Alles wirkte harmonisch zusammen, den Aufenthalt zu einem überaus gemächlichen und behaglichen zu gestalten.

Drake zog das Cigarren-Etui aus der Brusttasche und zündete sich eine Cigarre an.

Wenn die bläulichen Rauchwolken gekräuselt in die Höhe steigen, läßt es sich schön nachdenken. Indessen hier galt es zunächst und vor Allem, mit Vorsicht und Klugheit nachzuforschen.

Der gewandte und intelligent aussehende Kellner brachte und entkorkte den aromatischen Wein.

Bald hatte Drake auch den Gesprächigen in ein zunächst ziemlich gleichgiltiges und harmloses Gespräch verwickelt.

Bereitwillig und fast erfreut über die Ehre, deren er damit gewürdigt worden, war der Kellner mit allem Eifer auf das Gespräch eingegangen und er diskutirte die hochwichtige Frage über die Witterung des abgelaufenen Tages und die voraussichtlichen Wetteraussichten des kommenden mit einer Wichtigkeit, als säße er in einer Kommission, die über Krieg und Frieden zu entscheiden hat.

Vom Wetter kam man auf die Sensationsnachrichten und nach und nach kam dann Drake auf das ihm so überaus am Herzen liegende Thema.

Der Kellner ward zurückhaltend. Mit wichtiger Miene zuckte er die Achseln und sagte:

»Ich kenne die ganze Sache schon längst und sehr genau. All' jene Herren, welche in der Schrift namhaft gemacht werden, sind unsere Stammgäste, dieselben haben fast jeden Abend hier verkehrt und ich habe dieselben bedient, mußte somit Zeuge der auch mich fesselnden Gespräche werden, die bei mancher Flasche weißen und rothen Rheinweines und frischen Austern ungenirt gepflogen wurden.

»Indessen, ich kann nicht gut darüber sprechen. Wenn Sie etwas Näheres über die Sache hören wollen, kaufen Sie einfach die Broschüre, da bekommen Sie ein ausführliches, wenn auch just nicht eben sehr angenehmes Bild von der ganzen Sache!«

»Die Broschüre habe ich gelesen,« erwiderte Drake. »Die Sache ist Stadt- und Landgespräch geworden, so daß sich Niemand, meiner Ansicht nach, mehr zu scheuen braucht, darüber zu sprechen!«

Dieses geschickt angeführte Argument schien auch dem Kellner einzuleuchten.

Ein gutes Trinkgeld bei Bezahlung des Weines schien den Kellner obendrein den Wünschen Drake's noch zugänglicher zu machen, denn als er fortfuhr:

»Ich habe überdies kein persönliches Interesse daran. Aber der ganze in der Broschüre enthaltene Plan ist so schlau eingeleitet und durchgeführt zum Verderben des Verfolgten, daß Jedermann, auch wenn er der ganzen Sache fern steht, neugierig ist, in Erfahrung zu bringen, wer denn eigentlich die Betreffenden sind.

»Uebrigens habe ich auch vernommen, daß außer den in der Broschüre nahmhaft gemachten, noch eine ganze Anzahl anderer Personen bei der Ausführung des Planes mitbeteiligt sind. Jedenfalls sind es sämmtlich feine und kluge, was man so sagt, gebildete Leute, die das Gesetz genau kennen. Denn ich bin der Meinung, daß gewöhnliche Leute hier weniger verkehren.

»Die ganze Einrichtung dieses Weinkellers ist ja so wunderbar! Ich möchte beinahe behaupten, daß es der schönste Keller der Stadt ist.

»Auch Ihre Weins stehen im besten Ruf und wie ich mich selbst zu überzeugen Gelegenheit habe, sind dieselben nicht schlechter, als ihr Ruf und machen dem Lokal Ehre!«

»Selbstverständlich verkehren hier nur die Aristokratie, die Vornehmen, mit einem Worte die feinsten Leute. Hier in diesem Zimmer verkehren zwar nur die Nobeln, aber dort im Nebenzimmer die Vornehmen,« erwiderte der Kellner.

Drake mußte lächeln.

»Jawohl, ich kann Ihnen Namen nennen von einflußreichen Aerzten, berühmten Rechtsanwälten! Da ist zum Exempel der Herr Richter Bart und Landgerichtsdirektor Römer, Stanmann, die Rechtsanwälte Wex, Banks, Bellmonte, Heymann, Goldstein, die Aerzte Wallach, Everts, Jessen u. s, w,, sie alle ohne Ausnahme sind doch als sehr gescheit bekannt.«

Plötzlich hielt der Sprecher erröthend inne und legte sich mit einem schnellen Ausdruck des Erschrockenseins die Hand auf den indiskreten Mund. Er hatte in seinem allzugroßen Mittheilungsdrange die Namen Aller genannt.

Drake half ihm aus der Verlegenheit und sagte: »Sehen Sie wohl, das ist hübsch von Ihnen, dass Sie offen und rückhaltslos mit der Sprache herausgetreten sind und mir so unumwunden die Namen der Bösewichter nennen. Und nun ein ernstes Wort an Sie, mein Freund: Ebenso, wie jene Aerzte und Advokaten in dem Separatzimmer ein Complott gebildet und teuflische Pläne geschmiedet haben, um ihre Mitmenschen zu vernichten, so wollen denn auch wir Beide, Sie und ich einen Bund schließen, von ehrlichem Streben erfüllt und auf rechtlichen Grundsätzen basirt. Wir wollen diese schändliche Gesellschaft unschädlich machen! Mein Name ist Drake, ich bin der Verfasser der so vielfach genannten Broschüre.«

»Mein Gott! Ist es möglich?« rief der Angeredete und blieb starr und fast regungslos stehen.

»Beruhigen Sie sich, trinken Sie ein Glas Wein,« sagte Drake besänftigend. »Es sollen Ihnen keine Nachtheile entstehen, und sollte es wirklich eintreffen, so will ich für Ihr ferneres, gutes Fortkommen Sorge tragen. Wie Sie ja selbst wissen, ist das Publikum über diese Unholde im höchsten Maße erbittert.

»Die Umstände, ja Ihre einfache Menschenpflicht gebieten es Ihnen deshalb dringend, daß Sie mir über das lichtscheue Treiben dieser vornehmen Bösewichter Aufklärung geben. Es soll Ihr Schade wahrlich nicht sein; überdem auch werde ich zunächst Ihre Mittheilungen als ein Geheimniß betrachten.«

Ermuthigt und beruhigt durch diese Versicherungen, erwiederte darauf der Kellner:

»Ich bin jetzt selbst empört über diese Personen. Ich habe die Gesellschaft stets zu bedienen gehabt und dabei die geradezu haarsträubendsten Dinge hören müssen. In meiner direkten Gegenwart ist allerdings nur dann gesprochen worden, wenn der Feuerwein, dem sie zeitweilig sehr reichlich, theilweise sogar unmäßig zusprachen, die übermüthigen Köpfe schon erhitzt hatte.

»Man hätte oft kaum glauben mögen, daß Alles das, was man dann anzuhören bekam, auf Thatsachen beruhe und nicht die Ausgeburt einer wirren Phantasie sei.

»Anfangs, es kann ungefähr ½ Jahr sein, da ich dieses Thema zum ersten Male berühren hörte, dachte ich an einen schlechten Scherz. Im Laufe der Zeit aber, als ich wieder und immer wieder Ihren Namen hörte, da kam mir, der sich eigentlich um die Gespräche und Unterhaltungen der Gäste nicht zu bekümmern hat, die Sache doch verdächtig vor und unwillkürlich horchte ich aufmerksamer hin, war bemüht, Sinn und Zusammenhang in die aufgefangenen Redebrocken zu bringen. Das gelang mir denn auch gar bald. Ganz besonders wurde mein Interesse durch ein Gespräch geweckt, das zwei Personen führten, es muß bei Besprechung der ersten Schritte gewesen sein, die gegen Sie unternommen werden sollten.

»Beide führten sich durch Karten des Advokaten Wex bei den übrigen zu dem Complott Gehörenden ein. »Es wurde denselben darauf hin, nachdem ich erst ihre Namen gemeldet, der Zutritt in den Kreis gestattet.

»Meyer und van Rha, das waren die Namen der beiden Legitimirten, schienen von den übrigen Komplizen mit Spannung erwartet zu werden und mit Interesse lauschte man ihren Nachrichten, um dieselben, wie aus dem Gespräch hervorging, wiederum an andere, mit dem Complott in Verbindung stehende Personen zu übermitteln.

»An dem erwähnten Abend aber erhielten diese beiden Kundschafter den Auftrag, in Gemeinschaft mit noch vier anderen Personen an einem Abend eines bestimmten Tages nicht nur Ihren Garten, sondern auch sämmtliche Eingänge zu Ihrem Haufe zu besetzen und auf jeden Fall für Ihre Unschädlichkeit Sorge zu tragen. Und – wenn es Blut kosten sollte!

»So waren die Worte, die thatsächlich von den Lippen des Advokaten Wex kamen.

»Mich, den so leicht nichts, am wenigsten ein Kneipgespräch schrecken kann, überlief doch eine Gänsehaut Sie können sich wohl denken, daß ich mich klugerweise so stellte, als höre ich Nichts von dem Gesagten.

»Man muß mich oftmals für einen völlig geist- und verständnißlosen Automaten gehalten haben. Ich verlieh, wenn dergleichen Gespräche an der Reihe waren, mit gleichgiltiger Miene das Zimmer, um dann hinter der Glasthür mit gespitzten Ohren zu lauschen. Derartige Gespräche habe ich vielfach vernommen, nicht allein in Bezug auf Sie, sondern auch auf andere Personen.«

Drake hatte mit begreiflichem Interesse diesen Mittheilungen gelauscht.

»Diese Enthüllungen sind mir von unschätzbarer Wichtigkeit und Sie können sich versichert halten, daß ich Sie dafür lohnen werde,« sagte er, »ich hoffe aber, nunmehr auch ganz bestimmt darauf, daß Sie in Zukunft diesen Berathungen und Plänen der Gesellschaft noch mehr Aufmerksamkeit schenken werden, als bisher.« Drake entfernte sich.

Der Zufall,, der so oft im Leben seine Rolle gespielt, wollte es, daß ihm auf dem Rückwege aus dem Weinkeller ein ihm bekannter Criminalbeamter begegnete. Treuherzig reichte der Beamte Drake die Hand und erklärte: »Ihre Broschüre hat wunderbare Wirkung gehabt; daß Sie diese Bande so an den öffentlichen Pranger gestellt, haben Sie recht gemacht. Aber zu meinem Bedauern muß ich Ihnen leider mittheilen, daß auch ich in Ihr Schicksal verwickelt gewesen bin.«

»Wie kamen Sie dazu?« fragte Drake gespannt.

»Ich mit einem meiner Kollegen bekamen vor acht Tagen von unserem Inspektor den Auftrag, Sie unter allen Umständen zu verhaften, In Begleitung eines gewissen Meyer, Alten Steinweg 79, und eines gewissen Pape, Steindamm in Hamburg, suchten wir unseren Auftrag auszuführen. Eines Morgens, schon in aller Frühe, beobachteten wir das Haus, in welchem Sie sich in der Regel bei Ihrer Anwesenheit aufhalten, in der Voraussetzung, daß Sie sich in der neunten Stunde in's Geschäft begeben würden. Aber vergeblich warteten wir bis um 10 Uhr. Schließlich erblickten wir den Vizewirth vor der Thür. Ich näherte mich demselben und fragte, ob Sie zu Hause wären, da ich Ihnen eine Bestellung zu machen hätte. Der Gefragte, ein ganz Schlauer, wie mir später klar geworden, hat jedenfalls unser Vorhaben vermuthet, denn er hat uns gründlich am Narrenseil umher gezogen. Er behauptete nämlich, Sie wären um 11 Uhr am Bahnhof und 11½ Uhr am Hafen, um Güter verladen zu lassen; ganz bestimmt wären Sie Mittag an der Börse zu treffen. Selbstredend verfolgten wir Ihre Spur, aber vergeblich war unsere Arbeit. Unglücklicher Weise mußten wir an der Börse noch den Advokaten Wex und Bellmonte in die Hände laufen, die dort nach Clienten umherlungerten. Wex zog mich bei Seite, wußte eine ganze Reihe Häuser anzugeben, in welchen Sie angeblich zu verkehren pflegten; er versprach uns sogar noch ein Extrahonorar, falls Ihre Festnahme gelinge. Wir haben unsere Nachforschungen bis spät in die Nacht fortgesetzt. Am nächsten Morgen umstellten wir abermals das Haus, in dem Sie gewohnt haben und wiederum führte uns der Vizewirth auf Irrwege, indem er angab, Sie wollten zuerst nach der Uhlenhorst, dann Wandsbeck, dann nach Ottensen und schließlich nach Harburg.«

»Und haben Sie alle diese Wege verfolgt?« warf Drake lächelnd ein.

»Gewiß, wenigstens zum Theil; denn nach Harburg war uns doch zu umständlich; aber nirgends entdeckten wir Ihre Spur. Auf Verabredung trafen wir uns schließlich in einem Restaurant, um uns das Ergebniß mitzutheilen. Wir bestiegen dann die Pferdebahn, um nochmals in Ihrer bisherigen Wohnung nachzuforschen. Plötzlich rief Pape: »Da ist er, da geht er ja auf dem Trottoire!« Ebenso schnell wie er dies gesprochen, sprang er vom Pferdebahnwagen, der in voller Fahrt begriffen war, und stürzte der Länge nach auf's Pflaster. Ein Schmerzensschrei entrang sich seiner Brust. Mein Kollege eilte dem von Pape Bezeichneten nach, faßte ihn beim Arm und erklärte: »Sie folgen mir, Herr Drake! Im Namen des Gesetzes!« »Nanu?« rief der Angeredete im Umwenden, »Herr Drake? Der Teufel ist Ihr Drake! Was fällt Ihnen ein, Herr? Wie heißen Sie, und wer sind Sie? Ich werde mich beim Senator über Ihre Unverschämtheit beschweren!««

»Also fehl geschossen,« sagte Drake laut auflachend.

»Gründlich hineingefallen.«

»Und was war mit Pape vorgefallen?«

»Der hatte sich den Arm gebrochen. Und ein Konstabler, der Pape zur Hilfe geeilt war, erlöste uns endlich von der Verfolgung. Dieser erklärte uns, nachdem er unser Vorhaben erfahren, er habe Sie vorgestern Abend 11 Uhr mit dem Schnellzuge nach Berlin abdampfen sehen.« »Und Sie waren die Gefoppten,« warf Drake frohlockend ein.

»Gewiß waren wir die Hineingefallenen,« fuhr der Beamte fort. »Aber, nachdem ich Ihre Schrift gelesen, in welcher die gegen Sie ausgeführte Schandthat so klar zu Tage tritt, bin ich herzlich froh, daß unser Unternehmen gegen Sie resultatlos verlaufen ist.«

»Besteht denn der Haftbefehl gegen mich nicht mehr? Sie hätten doch jetzt die beste Gelegenheit, mich zu verhaften!«

»Der Haftbefehl ist nach dem Erscheinen Ihrer geharnischten Schrift sofort ad acta gelegt und in Hamburg wird Ihnen Seitens der Polizei nicht ein Haar mehr gekrümmt werden.«

»Von wem ist denn der Antrag auf meine Verhaftung ausgegangen?«

»Von dem Advokaten Banks. Leider hat unser Inspektor diesem Menschen Gehör geschenkt.«

»Und wenn Sie nun Gelegenheit fanden, mich zu verhaften, was sollte dann mit mir geschehen?« forschte Drake weiter.

»Wir hatten den Auftrag, Sie nach der Wache zu bringen, hier sollte Ihnen das Geld abgenommen werden, und zwei andere Beamten sollten Sie dann sofort in's Irrenhaus transportiren.«

Drake wurde über diese schauderhafte Enthüllung sehr ernst gestimmt, er bedankte sich bei dem Beamten über die Mittheilung und entfernte sich.


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