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16. Die Rettung mehrerer anderer vergewaltigter Opfer von dem sicheren Untergange

Wir können nicht umhin, unsere Schilderung über die empörende Vergewaltigung Drake's hier auf kurze Zeit zu unterbrechen und unsere Blicke zunächst auf andere unglückliche Opfer zu richten, die sich inzwischen an Drake – durch seine Streitschrift aufmerksam geworden – in großer Anzahl um Rath und Hilfe gewandt hatten. Von diesen vielen Fällen wollen wir hier nur einige derselben wiedergeben, um den weiteren Beweis zu liefern, in welch' großer Gefahr der Staatsbürger täglich schwebt, ohne es zu ahnen.

Eines Tages erschien ein Herr bei Drake im höchsten Grade aufgeregt: »Mein Name ist Krumbogen aus Zwickau,« stellte er sich vor. »Ich habe wohl die Ehre, Herrn Drake vor mir zu sehen?«

»Der bin ich, was führt Sie zu mir?«

»Ich habe Ihre Broschüre gelesen, ich bin Leidensgefährte von Ihnen, Sie müssen mir helfen, mein lieber Herr Drake, Sie müssen mir helfen aus meiner verzweifelten Lage. Die verdammte Advokatenbrut hat mich belogen, bestohlen und obendrein will man mich gänzlich verschwinden lassen, O! was habe ich Alles ertragen müssen, es ist entsetzlich!« u. s. w.

Der Mann schilderte in seiner Aufregung in einer Hast seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Leidensgeschichte, wobei er ab und zu die Kraftausdrücke »studirte Schwindler, Advokatenbrut!« gebrauchte. Mit einem Beweise suchte er den anderen als Beweis seiner Unschuld zu übertreffen, kurz, er entwickelte einen Redefluß, ein Durcheinander, daß derjenige, der nie einen Einblick in das Getriebe von Bosheit und Niedertracht bekommen hat, unwillkürlich sich sagen mußte, er habe hier in der That es mit einem Verfolgungswahnsinnigen zu thun. Nach etwa 15 Minuten konnte der Sprecher nicht mehr weiter, er hielt erschöpft inne und rang förmlich nach Athem.

»Sie dürfen sich nicht so aufregen!« begann Drake besänftigend, der dem Vortrage mit großer Aufmerksamkeit gefolgt war, »Sie schädigen dadurch nicht allein Ihre Gesundheit, sondern Ihre Gegner beuten Ihre Erregtheit auch gegen Sie aus als Beweis der Ihnen angedichteten Geisteskrankheit, Die Richter und Aerzte, mit denen Sie zu thun gehabt, würden Ihre Schilderung der Sache, in der hastigen Weise, wie geschehen, gar nicht verstehen, weil diese Leute vom praktischen Leben keine blasse Ahnung haben und sich in die Lage eines Gemaßregelten nicht hineinversetzen können. Ich glaube indessen den Kardinalpunkt Ihrer Leidensgeschichte aus Ihrem Vortrage herausgefunden zu haben. Der kurze Sinn Ihrer Leidensgeschichte ist: »Sie haben in Ihrer Jugend das Gewerbe eines Müllers erlernt, dann wurden Sie Werkmeister in einer großen Mühle. Dieses Gewerbe vertauschten Sie mit einem Kohlenhandel en gros. Sie schlossen große Lieferungen mit den Kohlenwerken im Bezirk Zwickau ab und brachten dann die Kohlen wieder an den Mann, entweder bei Fabriken oder an Kohlenhändler. Bei diesem Geschäft sind Sie vermögend geworden. Einen Theil des erworbenen Vermögens gaben Sie ans zwei Hypotheken in eine Landwirthschaft und ließen sich zu Ihrer Sicherheit noch durch eine dritte Person Bürgschaft leisten.

Ihr erster Schuldner, der Landwirth, gerieth recht bald in Concurs und Sie hatten keinerlei Aussicht, von diesem Ihr Geld zu bekommen. Sie verklagten deshalb Ihren Bürgen, weil dieser nicht freiwillig zahlen wollte, auf Zahlung der einen Hypothek im Werthe von 3000 Mark, der Beklagte wurde verurtheilt und Sie erhielten Ihr Geld. Jetzt machten Sie eine weitere Klage auf Zahlung der zweiten Hypothek – ebenfalls 3000 Mark werth – gegen den Verurteilten anhängig. Bei Ihrem letzten Vorgehen stießen Sie jedoch auf Widerstand. Ihr Schuldner zahlte einen, Theil der von Ihnen eingeklagten Forderung an seinen Vertreter, der dann mit Ihrem Advokaten den Betrag theilte. Beide Vertreter machten jetzt gemeinsame Sache gegen Sie, es wurde eine Schiebung gemacht und Sie wurden mit Ihrer Klage abgewiesen, Ihrem Anwalt haben Sie über die unehrliche Führung Ihrer Sache Vorwürfe gemacht, ihm geradezu erklärt, daß er Sie belogen und betrogen hat, dieser hat Ihnen in frechster Weise erwidert: »Sie haben schon genug von dem Gelde bekommen, Sie können ganz zufrieden sein, Andere wollen auch leben.« Den Richter, der Ihre Sache geführt, haben Sie gleichfalls einer unreellen Handlungsweise bezichtigt, weil derselbe Ihr Beweismaterial unterschlagen und die Akten falsch geführt habe. Sie haben sich auch in beleidigender Form über diesen Richter bei seiner vorgesetzten Behörde beschwert. Der denuncirte Richter hat Sie dann wegen Beleidigung verklagt, Sie bekamen Vorladung zu einem Termin in dieser Sache, um sich zu verantworten. Sie erboten sich, den Beweis der Wahrheit zu führen. Es kam indessen nicht zur Verhandlung in dieser Sache, sondern es wurde einfach ein Verfahren gegen Sie eingeleitet auf Entmündigung und Einsperrung in ein Irrenhaus mit der Begründung, daß Sie an querulanten Wahnsinn litten. Diese Verhandlung kam heran, Sie leisteten der Ihnen zu derselben zugesandten Einladung Folge. Im Vorraum des Gerichtsgebäudes empfing Sie bereits der Kreisphysikus und gerichtliche Sachverständige. Dieser reichte Ihnen freundlich die Hand und tröstete Sie mit salbungsvollen Worten, sich nicht zu fürchten, Ihnen könne nichts Unangenehmes geschehen, weil Sie sich jedenfalls in Ihrem Rechte befänden und völlig gesund seien. Sie müßten ihm nur den Sachverhalt unumwunden mittheilen, damit er genügende Anhaltspunkte habe, um Ihre völlige Gesundheit in einem schriftlichen Gutachten konstatiren zu können, Sie ließen sich nun durch die Ihnen gestellte Leimruthe fangen und erzählten dem liebenswürdigen Kreisphysikus in Ihrer Vertrauensseligkeit wahrheitsgetreu, wie Ihnen mitgespielt sei. Der liebenswürdige Sachverständige verschwand recht bald durch eine Seitenthür und Sie wurden zur Verhandlung ins Terminzimmer gerufen. Während Sie vernommen, durch Kreuz- und Querfragen von dem Richter auf die Folter gespannt oder kurz ins Kreuzfeuer genommen wurden, bemerkten Sie im Nebenzimmer hinter der Thür den menschenfreundlichen Kreisphykus stehen, sich eiligst Notizen auf einem Stück Papier machend. Sie wurden entlassen, ohne daß man Ihnen das Resultat der Verhandlung mittheilte.

Schon zwei Tage später bekamen Sie ein Erkenntniß zugestellt, in welchem angegeben war, daß Sie nach dem Zeugniß des gerichtlichen Sachverständigen an unheilbarem Verfolgungswahn litten und deshalb Ihre Entmündigung habe ausgesprochen werden müssen. Verhält sich die Sache so, Herr Krumbogen, oder habe ich mich in einzelnen Punkten geirrt?«

»Ganz genau, ganz genau so ist der Hergang der Sache!« erklärte der Gefragte zustimmend.

»Noch eine Frage! In dem Erkenntniß über Ihre Entmündigung, das Sie mir hierher gelegt haben, finde ich angegeben, Sie zittern ununterbrochen mit der Zunge, ist diese Angabe begründet?«

»Gewiß zittere ich mit der Zunge; das ist aber keine Krankheit, sondern meine Zunge bewegt sich aus Wuth und Bosheit über die Schmach, die man mir angethan hat.«

»Was geschah nun weiter mit Ihnen?«

»Während voller acht Tage ließ man mich ganz zufrieden; aber gestern Abend in der siebenten Stunde kam ein Gerichtsdiener, der früher 'mal bei mir gewohnt hatte und mir sehr zugethan ist, und überbrachte mir die ungeheuerliche Nachricht, daß er und zwei Krankenwärter, die bereits mit einem Wagen aus der Irrenanstalt eingetroffen seien, beauftragt wären, mich an demselben Abend um 10 Uhr abzuholen und mich nach der Irrenanstalt für unheilbare Geisteskranke zu transportiren.

»Sie können sich meinen Schreck denken. Ich eilte sofort in's Nebenzimmer und unterrichtete meine Frau von dem beabsichtigten Raube meiner Person. Die Situation, die jetzt entstand, trotzt jeder Beschreibung. Meine Frau stand wie gelähmt, keines Wortes mächtig, vor mir. Eine Ohnmacht bemächtigte sich ihrer; ich führte sie nach dem Sopha, auf dem sie wie betäubt niedersank.«

Der Sprecher hielt wieder inne und bedeckte sein Antlitz mit den Flächen seiner Hände. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.

»O, meine arme Frau!« kam es wiederholt über seine Lippen. »Ich mußte die Arme in diesem trostlosen Zustande zurücklassen, mußte mich von ihr, von meinem Hab und Gut trennen, ich konnte nur durch schleunige Flucht meine Person in Sicherheit bringen. Die nöthigen Reisesachen waren bald eingepackt und ebenso schnell befand ich mich auf dem Bahnhof, wo ich mit dem nächsten Zuge nach Berlin abdampfte. Zu Ihnen, Herr Drake, war mein Ziel, auf Sie allein habe ich meine Hoffnung gesetzt. Helfen Sie mir aus meiner verzweifelten Lage!« –

»Ich kann und will Ihnen helfen.«

»Sie können mir helfen? O, mein Gott! Mein halbes Vermögen stelle ich Ihnen zur Verfügung!« rief der Flüchtling jubelnd und schickte sich an, Drake in seine Arme zu schließen. Doch dieser wehrte ab und fuhr in ruhigem Tone fort:

»Vom Hergeben Ihres Vermögens kann hier nicht du Rede sein, die Menschenpflicht gebietet es mir, Ihnen zu helfen und ich werde Ihnen helfen. Aber Sie müssen sich zunächst einer Probe unterwerfen, bevor ich in Ihrer Sache Schritte unternehme. Ich will mich zunächst selbst von Ihrer geistigen Gesundheit überzeugen.

Diese Prüfung, der Sie sich zu unterwerfen haben, besteht darin, daß wir eine volle Woche hindurch jeden Tag gemeinsame Spaziergänge unternehmen, Sie während dieser Zeit niemals von Ihrer Leidensgeschichte sprechen, oder die zwischen uns geführte Unterhaltung auf diesen Punkt hinleiten dürfen. Sie sollen zeigen, daß Sie die Kraft besitzen, sich selbst zu beherrschen, sich nicht willenlos allen inneren und äußeren Eindrücken hingeben und sich ihnen nicht widerstandslos fügen. Sie sollen zeigen, daß Sie ein ganzer Mann sind, der jedem Schicksal die Stirn bietet, und der mit Ruhe und Ueberlegung alle Hindernisse zu beseitigen sucht. Haben Sie diese Probe bestanden, dann ist der Beweis geliefert, daß Sie völlig gesund, aber diejenigen Personen verrückt oder gemeingefährlich sind, die Sie in Ihre entsetzliche Lage gebracht haben. Ueberlegen Sie sich also bis morgen, ob Sie sich meinen Anordnungen fügen wollen.«

»Gerne, sehr gerne will ich mich dieser Probe unterziehen,« erklärte der Flüchtling zustimmend, »wenn ich nur gerettet werden kann; aber,« fuhr er gedehnt fort, »wenn man meine Spur verfolgt, mich hier ergreift und fortschleppt?«

»Diese Gefahr haben Sie vor der Hand nicht zu fürchten! Im Nebenhaus wohnt ein Bekannter von mir, der wird Ihnen ein Zimmer auf kurze Zeit überlassen, sagen Sie nur, Sie kommen auf meine Veranlassung und wollen sich zum Besuch hier aufhalten. Sprechen Sie aber keine Silbe über Ihre Leidensgeschichte, damit Sie sich nicht verrathen und finden Sie sich morgen um 3 Uhr bei mir wieder ein.«

Der unglückliche Krumbogen that wie ihm gerathen und verabschiedete sich mit vielen Dankesworten.

Am nächsten Tage pünktlich zur festgesetzten Zeit erschien Krumbogen bei Drake in Begleitung eines andern Mannes.

»Verzeihung, Herr Drake,« begann Krumbogen, »Sie haben sich meiner so warm angenommen, hier ist noch ein Leidensgefährte, Herr Mäther, ebenfalls aus Zwickau, er ist heute Morgen angekommen, nehmen Sie doch den Verfolgten noch mit in Ihren Schutz.« –

»Also beide von einem Orte, das unsaubere Geschäft scheint ja dort ebenfalls en gros betrieben zu werden,« erwiderte Drake kopfschüttelnd und forderte Mäther auf, sein Schicksal vorzutragen.

Etwas schüchtern und zaghaft begann der neue Ankömmling: »Ich handle auf den Märkten mit Spielwaaren und Honigkuchen. Der Marktvogt in Zwickau wies mir stets einen schlechten Stand an. Die Ursache hierzu war nach meiner Ueberzeugung, ich traktirte ihn nicht, wie es andere Händler thaten. Auf dem letzten Markt hat mich der Beamte auf alle mögliche Weise schikanirt, er behauptete u. A., daß meine Bude zu schlecht wäre, um damit auf dem Markt stehen zu können, eine Sache, die ihn doch überhaupt nichts angeht. Ich habe mich schließlich bei der Polizeihauptmannschaft beschwert und die ganze Handlungsweise des Marktvogts, mir gegenüber, klargelegt. Ich bekam eine Vorladung in der Sache. Der Polizeihauptmann, bei dem ich erscheinen mußte, herrschte mich barsch an. Er behauptete, meine Angaben wären sämmtlich erlogen und ich hätte mir dadurch eine schwere Beleidigung gegen den betreffenden Beamten zu Schulden kommen lassen, er würde dafür sorgen, daß ich meiner verdienten Strafe nicht entginge. Der Polizeihauptmann bediente sich hierbei der gröbsten Ausdrücke. Selbstredend habe ich mir das nicht gefallen lassen, ich habe ihm mit derselben Münze zurückgezahlt. Schließlich drohte er mit meiner Verhaftung. Ja, er bediente sich noch beleidigender Worte, als ich bereits sein Zimmer verlassen hatte, die ich hier gar nicht wiedergeben mag. Es, ist möglich, daß ich mich in meinem gerechten Zorn zu Aeußerungen habe hinreißen lassen, die ich in gewöhnlichen Verhältnissen nicht gewählt hätte. Mit diesem höchst unliebsamen Auftritt wurde nun ein anderer Umstand verbunden. Ich lebte nämlich mit meinem Schwiegervater – Stiefvater meiner Frau – seit zwei Jahren auf feindlichem Fuße; derselbe behauptet, mein Haus, das meine Frau von ihrem rechten Vater geerbt hat, gehöre ihm, und verlangt er die Abtretung des Grundstücks an ihn. Dieser Biedermann, mein Schwiegervater, hatte recht bald Kenntniß von dem Vorfall bei der Polizei erhalten und er beutete jetzt diesen Umstand gegen mich aus. Er machte die falsche Anzeige bei dieser Behörde, daß ich meine Frau gemißhandelt hätte; ja, er hat sogar die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt, daß ich stets sehr aufgeregt und unbedingt wahnsinnig sein müsse, weshalb die Einsperrung meiner Person in ein Irrenhaus nothwendig sei.«

»Haben Sie denn wirklich Ihre Frau gemißhandelt?« forschte Drake.

»Gemißhandelt habe ich sie durchaus nicht, allerdings habe ich einen bösen Auftritt mit ihr gehabt; die Gründe hierzu sind folgende: Eines Morgens komme ich unerwartet vom Geschäft nach Hause und finde zu meiner großen Ueberraschung den jungen Mann, der bei mir ein möblirtes Zimmer bewohnt, in unserem gemeinsamen – meinem und meiner Frau – Schlafzimmer vor, indem er entkleidet eben dabei war, sich zu waschen. Natürlich habe ich den jungen Mann an die Luft gesetzt und meiner Frau, die das erlaubt und geduldet, das Unschickliche gründlich, vor Augen geführt.

Diese energische Zurechtweisung meiner Frau, die Feindschaft mit meinem Schwiegervater und die Affaire bei der Polizei wurden jetzt in einen Topf geworfen und aus diesem so entstandenen Brei fabrizirte nun die Polizei eine Anklage, gegen mich auf Entmündigung und Einsperrung meiner Person in ein Irrenhaus, mit der ungeheuerlichen Angabe, ich sei verfolgungswahnsinnig. Der Kreisphykus und gerichtliche Sachverständige in Zwickau hat diese Behauptungen in einem schriftlichen Gutachten bestätigt, ohne daß mich dieser Held untersucht hat. Das Gericht hat dann umgehend hierzu die Hand gereicht, mich laut Erkenntnis; für wahnsinnig erklärt und zugleich meine Unterbringung in's Irrenhaus verfügt. Jetzt sollte der Schlußakt gegen mich ausgeführt werden. Seit dieser Wahnsinnerklärung waren bereits 10 Tage verstrichen, nichts wurde gegen mich unternommen, schon glaubte ich, die ganze Angelegenheit sei im Sande verlaufen; aber gestern Abend sollte ich eines Anderen belehrt werden. Etwa um 10 Uhr war ich noch aus gewissen Gründen in meinem Garten und hörte in der Ferne ein eigenthümliches Wagengerassel. Ich blickte über die Mauer und bemerkte in einiger Entfernung vom Hause einen omnibusartigen Wagen anhalten, dem drei Männer, ein Polizist und drei Civilisten mit Beamtenmütze, entstiegen und sich bedächtig und vorsichtig meinem Hause näherten. Deutlich hörte ich die Worte mit gedämpfter Stimme von einem der Männer: »Nur vorsichtig, daß uns dieser Vogel nicht ebenso davon fliegt, wie es dem schlauen Krumbogen gelungen ist.« Jetzt war ich über mein Schicksal klar. Man hatte vor, mich und Herrn Krumbogen zugleich nach der Irrenanstalt zu transportiren. Ich stand kurze Zeit wie gebannt auf der Stelle, keiner Handlung fähig vor Schreck. Doch ich gewann bald meine Fassung wieder; schnell zog ich mir die Stiefel von den Füßen, eilte durch meinen Garten, sprang über die Mauer in den Nachbarsgarten, wo ich mich behutsam im Gesträuch verbarg. Es waren entsetzliche Augenblicke, welche ich hier verbrachte. Ich mußte erwarten, daß man meinen, wie auch den Nachbarsgarten absuchen und mich in meinem Versteck erhaschen würde. Nach einer Stunde entsetzlicher Qual hörte ich jedoch den Wagen davon fahren. Ich athmete wieder freier auf; aber die Gefahr war noch nicht ganz vorüber, mein Haus konnte umstellt sein. Ich setzte deshalb meine Flucht fort durch mehrere andere Gärten und gelangte so nach Herrn Krumbogen's Hause, dessen Schicksal mir einer meiner Verfolger verrathen hatte, als ich in meinem Garten lauschte.

Hier bekam ich von Frau Krumbogen Kenntniß von Ihrer Broschüre, Herr Drake, sowie Näheres über die Flucht und das Reiseziel ihres Mannes. Kurz entschlossen reiste ich heute Morgen mit dem ersten Zuge nach hier ab, und war auch so glücklich, Herrn Krummbogen gleich nach meiner Ankunft hier zu treffen. Nun, Herr Drake, ich sehe, ich bin bei Ihnen gut aufgehoben, ich lege mein Schicksal in Ihre Hand und helfen Sie mir aus meiner verzweifelten Lage.« So schloß das zweite Opfer seinen Vortrag.

»Haben Sie Akten über Ihre Vergewaltigung?«

»Nur das gerichtliche Erkenntniß habe ich bei mir!«

Drake prüfte das ihm überreichte Dokument und fand in demselben die Angaben Mäthers in der Hauptsache bestätigt.

»Ich werde Ihnen helfen. Aber ich muß mir zunächst selbst ein klares Bild über Ihren Zustand verschaffen. Sie müssen sich deshalb ebenso wie Herr Krumbogen einer Prüfung unterziehen und sich voll und ganz meinen Anordnungen fügen.«

»Sehr gern will ich thun, was Sie von mir verlangen. Herr Krumbogen hat mir schon mitgetheilt, worin die Prüfung besteht!« rief Mäther hocherfreut.

»Gut so, dann habe ich nicht mehr nöthig, Ihnen die einzelnen Punkte meines Vorhabens auseinander zu setzen, schließen Sie sich also uns an.«

Der Spaziergang wurde unternommen nach dem Grunewald. Die Unterhaltung lenkte Drake u. A. auf die Jugendzeit, die Familien und das Geschäftsleben der beiden Opfer, überall aber erhielt er prompte und logisch richtige Antworten. Die Wanderer waren im Grunewald an der Stelle angelangt, wo man den Halensee in seiner ganzen Schönheit übersehen kann. Krumbogen blieb plötzlich stehen und bewundernd begann er:

»O, wie herrlich liegt hier zu unseren Füßen der See, wie majestätisch stehen die schlanken Bäume rings um denselben; wie herrlich und friedlich ist doch die Natur, weshalb können die Menschen nicht auch so friedlich nebeneinander leben?« Er streckte die geballte Faust nach oben und rief mit vollem Brustton:

»O, diese Advokatenbrut, wie hat mir diese Bande mitgespielt,!« –

Drake blieb gleichfalls stehen und sah den Sprecher scharf an.

»Sie haben schlecht Wort gehalten,« begann er dann vorwurfsvoll. »Sie haben soeben Ihrer Gemüthsstimmung über Ihre Peiniger freien Lauf gelassen, dadurch haben Sie bewiesen, daß Sie sich nicht beherrschen können. Meinem Wunsche, über Ihre Leidensgeschichte so lange zu schweigen, bis ich Sie darnach befrage, haben Sie nicht entsprochen, deshalb muß ich jeden weiteren Schritt, Ihnen zu helfen, unterlassen.«

»Bester Herr Drake! Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, ich habe mich hinreißen lassen, mein Herz war voll zum Zerspringen, es soll nicht wieder vorkommen!«

»Mag dieses Mal Ihr Benehmen als ungeschehen gelten; aber ich muß in Ihrem Interesse für künftig streng an meinem Vorhaben festhalten!«

»Aber Landsmann,« ließ sich jetzt Mäther hören, »wir wollen doch zeigen, daß wir Männer sind, wir wollen uns nicht ärgern, sondern den Banditen zu Hause wollen wir das überlassen, wenn wir uns erst aus ihren Klauen befreit haben.«

»Ihre Ansicht ist die richtige,« bestätigte Drake und forderte auf zum Weitergehen.

Am nächsten Tage wurde eine Tour nach Tegel unternommen. In der Forst unweit des Sees angelangt, begann Krumbogen abermals:

»Welch' schöne Umgegend hat Berlin aufzuweisen, die großen Wälder, die vielen Seen und überall die prächtigsten Villen. Wie glücklich müssen sich die Besitzer derselben fühlen. – Aber wenn die verfluchte Advokatenbr...« – Er biß sich plötzlich auf die Zunge und hielt inne. Ein Seitenblick Drake's hatte genügt, um den Sprecher an seine Prüfung zu erinnern. Jener murmelte vor sich hin: »Es soll unbedingt das letzte Mal sein, daß ich mich vergessen habe.«

Mehrere Ausflüge folgten noch. Mit großer Genugthuung bemerkte Drake, daß die ursprüngliche gedrückte Stimmung seiner Schutzbefohlenen nach und nach einem freieren Auftreten Platz machte und ein heiteres Wesen von Tag zu Tag in den Vordergrund trat. Am sechsten Tage befanden sich beide in solch' heiterer Stimmung, daß sie sich sogar auf freiem Felde umfaßten und einen förmlichen Freudentanz ausführten. Drake gab seiner Freude über sein gelungenes Werk durch Beifallsklatschen Ausdruck.

»Jawohl, Herr Drake!« riefen beide wie aus einem Munde, »Ihnen, danken wir unsere gute Laune, Sie sind der beste Doktor der Welt. Sie verstehen Leute zu beurtheilen, in ihrer verzweifelten Lage zu trösten, zu belehren und auf dem rechten Wege zu führen. Wir fühlen uns bei Ihnen so wohl, daß wir am liebsten für immer bei Ihnen bleiben möchten!«

Krumbogen stimmte das Lied an: »Wo man singt, da laß dich ruhig nieder.« »Aber Advokaten haben keine Lieder,« warf Drake ein, um seinen Schutzbefohlenen an seiner wunden Stelle zu prüfen. »Lassen Sie mich mit den Advokaten zufrieden,« gab jener launig zurück. »Ich bin Mensch und als solcher habe ich das Recht zu leben; ich fühle mich heute glücklich, alles Uebrige geht mich nichts mehr an.« »Auch ich fühle mich glücklich und theile ganz die Ansicht meines Landsmannes,« ergänzte Mäther. »Sehr gut so! Auf diesen Standpunkt wollte ich Sie bringen, jetzt befinden Sie sich auf dem rechten Wege. Sie haben mir beide jetzt den Beweis geliefert, daß Sie Ihre Lage richtig beurtheilen, sich beherrschen können und deshalb völlig gesund sind. Morgen werde ich zu Ihrer Rettung einen Schritt weiter gehen, finden Sie sich nur wieder bei mir ein.« So endete die erste Probe.

Beide Flüchtlinge fanden sich am nächsten Tage bei Drake wieder ein.

»Nachdem Sie beide die erste Probe bestanden,« begann Drake seine weitere praktische Belehrung, »werde ich Sie jetzt in das Getriebe des Verrücktmachungssystems einweihen, Sie mit den Ursachen und Wirkungen, die Sie ins Verderben gestürzt haben, bekannt machen, damit Sie immer mehr ein klares Bild von Ihrer gegenwärtigen Lage bekommen und sich in dieselbe hineinfinden lernen. Denn nur durch zielbewußtes Streben, durch eiserne Willenskraft und durch kluges und vorsichtiges Handeln können Sie sich aus den Klauen Ihrer Peiniger retten.

Hören Sie mich also aufmerksam an: Auf dem Gebiete der sogenannten Geisteskrankheit giebt es keine Wissenschaft, der Arzt fischt hier überall im Trüben, die von ihm aufgestellten Behauptungen erweisen sich bei näherer Betrachtung überall als leere Vermuthungen. Kurz, es wird auf diesem Felde unendlich viel gesündigt und viele Menschen fallen dieser Unwissenheit zum Opfer. Woher soll der Arzt auch in diesem Punkte seine Wissenschaft nehmen? Unterricht ist bis vor Kurzem in dieser Beziehung nirgend ertheilt worden. Allerdings ist vor 4 Jahren der Professor Mendel als Lehrer für das Irrenwesen an der Berliner Universität angestellt worden. Dieser Herr droscht aber auch nur leeres Stroh. Das Irrenwesen war ursprünglich ganz okkupirt von der Religion; denn der Geisteskranke galt für einen vom Teufel Besessenen im alten, für einen Seligen im neuen Testament. »Selig sind die Armen im Geiste; denn ihrer ist das Himmelreich« lehrte Christus, und was ein Geisteskranker sprach, wurde in prophetischem Sinne aufgenommen. Noch sind beide Anschauungen nicht ausgerottet, hier lebt diese, dort jene fort. Man war lange Zeit hindurch im Unklaren darüber, ob man dem Priester oder dem Arzt die Behandlung eines Geisteskranken überlassen sollte. Schließlich wurde jedoch – vor 50 Jahren – der Geisteskranke nicht allein zur Heilung, der alleinigen Aufgabe des Arztes, sondern auch zur Verurteilung einer Freiheitshaft an den Arzt überliefert. Nicht das körperliche allein, sondern auch das rechtliche Moment des Irrenwesens fiel an den Arzt. Wer die Gewalt hat, über den Geist seiner Mitmenschen zu urtheilen, der besitzt diese große geheimnißvolle Macht. Diese Gewalt hatten zuerst die Priester, sie urtheilten, heilten und trösteten, heute haben sie die Aerzte, sie urtheilen und heilen. Es ist aber der Beruf des Priesters nur zu trösten, der des Arztes nur zu heilen und der des Richters zu urtheilen.

Es liegt im Interesse der Machtstellung des ärztlichen Standes, sein Metier als eine geheimnißvolle Kunst zu erhalten: wie die katholische Kirche, so hüllen auch sie sich in den Mantel einer todten Sprache, um geheimnißvoll und unverstanden zu bleiben. Der Arzt richtet den Todtschläger, den Mörder, den Brandleger, er vermag ihn vom Tode zu befreien, indem er ihn als geisteskrank erklärt; er entzieht den Verbrecher seinem ordentlichen Richter, eine Machtentfaltung, welche dem Geiste der Staatsgrundgesetze in's Gesicht schlägt. Der Arzt ist nicht allein Arzt, er ist auch insbesondere Richter, und das ist, wie überall, wo zwei Stellungen, die sich gegenseitig stützen, in einer Hand verbunden sind, der Grund einer Macht, die gewöhnlich zu Mißbrauch verleitet. Der Arzt vermag zu befreien, er vermag auch zu verurtheilen. Wen er als geisteskrank erklärt, gilt durch den ärztlichen Ausspruch allein als solcher und verliert seine persönliche und wirthschaftliche Freiheit, sein ganzes sittliches Dasein – – er verliert mehr als der Verbrecher. –

Das ist eine ganz gefährliche Macht

Das Interesse des ärztlichen Standes spielt nun auf dem Gebiete des Irrenwesens ein große Rolle. Je mehr es Geisteskranke giebt, desto mehr Irrenärzte kann es geben. Es liegt also im Interesse des Standes, die Grenzen, innerhalb welcher ein Mensch für geisteskrank erklärt werden kann, recht weit auszudehnen. Nun kommt noch hinzu die Eitelkeit unter den Aerzten, welche schon manches Unheil angerichtet hat. Die Eitelkeit, sich durch ein geistreiches Gutachten auszuzeichnen, bei welchem die betroffene Person durchaus Nebensache, das medizinische Pensum die Hauptsache ist. So entstehen medizinische Gutachten, die eine sehr schöne, theoretisch werthvolle Arbeit darstellen mögen, die jedoch auf den gegebenen Fall nicht passen und dennoch passend gemacht werden. Gutachten, in welchen oft ein ganzes Kapitel aus der Medizinischen Viertel-Jahresschrift – sogenanntes Lehrbuch – abgeschrieben ist, welche die Bewunderung der Kollegen erregen und dennoch in Bezug auf die betroffene Person ganz und gar unrichtig sind. – In den Händen solch' eitler Aerzte ist ein solches Buch wie ein Rasirmesser in der Hand eines nachahmungssüchtigen Affen vor einem Spiegel. Nach diesem Gutachten wird der angebliche Kranke betrachtet und beurtheilt, es ist die Grundlage der Beobachtung und Behandlung. Und nun glaubt man, eigenthümliche Beobachtung gemacht zu haben. Der Kranke stellt sich gesund! Ein Satz, wie er unsinniger in keiner Wissenschaft aufgestellt worden ist, der so recht lebhaft an die mittelalterlichen Hexenprozesse erinnert und wirklich auch mit nichts Anderem verglichen werden kann.

Und nun zum Schlüsse noch eine Betrachtung über die Wahrung der Standesehre unter den Aerzten, und diese ist gerade von weittragender Bedeutung. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß es eine Anzahl fleißige gewissenhafte Aerzte giebt, die aber an dem Vorurtheil der Standesehre festhalten, ja es als Schmach ansehen würden, gegen die Standesehre zu handeln. Wie ist es da möglich, daß ein falscher Geisteskranker gegenüber dem Arzt, der als Sachverständiger ihn dafür erklärt hat, vor irgend einem Forum mit einer Beschwerde wegen ungerechtfertigter Beschränkung der persönlichen Freiheit Recht erhält?

Wenn auch im Beschwerdeverfahren neue Sachverständige befragt werden, sie werden ihren Collegen nicht unrecht geben, sie werden die Standesehre wahren. Dieses ärztliche Vorurtheil macht jede Beschwerde wegen Verletzung eines subjektiven Rechts unter dem Vormunde der Geisteskrankheit geradezu unmöglich und zwecklos. Der Richter kümmert sich nicht darum, ob die ihm vom Arzt unterbreiteten Gutachten den Thatsachen entsprechen, er sagt sich einfach, der Arzt ist vom Staat angestellt, und seine Urtheile sind mir maßgebend, selbst wenn solche Gutachten den allergrößten Blödsinn enthalten. Unter diesen gegebenen Verhältnissen ist jeder Versuch, durch eine Beschwerde oder Berufungsklage bei Ihrem zuständigen Land- und Oberlandesgericht Ihre Vergewaltigung hinfällig zumachen, von vornherein aussichtslos. Im Gegentheil, würden Sie durch solches Vorgehen nur die Aufmerksamkeit Ihrer Verfolger auf sich lenken und Sie dadurch der Gefahr ausgesetzt sein, jeden Augenblick hier ergriffen und in's Irrenhaus transportirt zu werden. Sie können sich aus Ihrer entsetzlichen Lage nur dadurch befreien, wenn Sie so schnell als möglich beim hiesigen Gericht eine Gegenklage auf Aufhebung Ihrer unschuldigen Verurtheilung anhängig machen, die aber nur erfolgen kann auf Grund ärztlicher Zeugnisse, die Ihre Gesundheit beweisen. Ueberlegen Sie sich also die Sache und theilen Sie mir dann Ihren Entschluß mit.«

So schloß Drake seine praktische Belehrung.

»Ja, wenn die Sachen so liegen,« bemerkten beide Flüchtlinge kleinlaut, »dann befinden wir uns ja in einer ganz fürchterlichen Lage,« und fügten nach einigem Zögern tief aufathmend hinzu: »Wir wollen uns ganz Ihrer Leitung unterwerfen, und uns bedingungslos Ihren Anordnungen fügen.« »Gut, dann begeben Sie sich beide sofort zum Professor A. Eulenburg hier und bitten Sie denselben in meinem Namen, Sie einer Untersuchung auf Ihren Geisteszustand zu unterziehen und Ihnen über das Ergebniß Zeugnisse auszustellen. Setzen Sie diesem Herrn Ihre Leidensgeschichten in möglichst kurzen Umrissen auseinander, bewahren Sie auf jeden Fall Ihre Ruhe und schweifen Sie bei Ihrem Vortrage nicht vom Wege ab. Dieser Herr besitzt zwar große Menschenkenntnisse und weiß die Gemüthsstimmung der Gemaßregelten zu, würdigen, indessen würden Sie durch Hineinziehen allzuviel nebensächlicher Dinge denselben nur langweilen.«

Beide Opfer versprachen, dieser Weisung strengstens zu folgen. Schon nach dem fünften Besuche, den sie bei dem Sachverständigen hatten machen müssen, kamen sie zu Drake geeilt und jubelten: »Wir haben Zeugnisse bekommen, in denen wir für völlig gesund erklärt sind, jetzt sind wir gerettet.«

»Noch nicht,« erwiderte Drake beruhigend. Er fertigte sofort Gegenklagen an auf Wiederaufhebung der über die Opfer ausgesprochenen unschuldigen Verurtheilung, die er durch Beifügung der Gutachten des Professor Eulenburg unterstützte. »Diese Anträge,« wandte er sich jetzt wieder an seine Schutzbefohlenen, »sind an das Gericht in Berlin gerichtet, eine Verhandlung wird in Ihren Sachen stattfinden, zu der Sie geladen und in der Sie die Hauptprobe zu bestehen haben. Die Akten werden zu dieser Verhandlung aus Zwickau eingefordert, aus denen hervorgeht, weshalb Sie verurtheilt wurden. Ein beim hiesigen Gericht angestellter sachverständiger Arzt wird noch zu der Verhandlung geladen und dieser wird Sie auf Grund der Akten in's Kreuzfeuer nehmen, er wird alle erdenkliche Fragen an Sie stellen, immer auf den einen Punkt gerichtet, der zu Ihrer Verurtheilung verwandt worden, kurz, er wird ein förmliches Bombardement nach allen Richtungen hin auf Sie eröffnen und wenn Sie sich hierbei nicht wie ein unverwundbarer Siegfried zeigen, eine unerschütterliche Ruhe und Kaltblütigkeit bewahren, dann ist es schlimm um Sie bestellt. Die meisten Unglücklichen scheitern an dieser Klippe und gehen, dann unrettbar zu Grunde. Der Arzt hat für dieses Foltern den technischen Ausdruck: »die Wunde, an der der Kranke gelitten, muß sorgfältig untersucht werden, ob sie noch schmerzt.« Ein Verfahren, das ebenso unsinnig, als unmenschlich ist. Nun, Herr Krumbogen! Wenn in dem kommenden Termin der Sachverständige an Sie die Frage richtet, »ob Sie glauben, Ihr eigener Anwalt habe Sie um Mark 3000 betrügen helfen, der Richter in Zwickau Sie ungerecht behandelt und Ihre Anzeige gegen letzteren gerechtfertigt war, daß man Ihnen also Unrecht gethan habe« – diese Frage wird unbedingt an Sie gestellt – welche Antwort werden Sie darauf geben?«

»Ich würde der Wahrheit die Ehre geben und diese Frage im vollen Umfange mit Ja und als richtig bestätigen.«

»Mit dieser Antwort wäre Ihr ganzes Schicksal sofort besiegelt, denn der Arzt würde sein Gutachten dahin abgeben, daß Sie noch im vollen Maße an der Geisteskrankheit leiden, wegen der Sie für unheilbar geisteskrank erklärt worden sind.«

»Nun, dann werde ich sagen, ich weiß das nicht mehr, ich habe die Einzelheiten im Laufe der Zeit vergessen.«

»Der Arzt sagt in diesem Falle: »Krumbogen weiß sich seiner Vergangenheit nicht mehr zu erinnern, er ist deshalb blödsinnig.

So werden die Leute auf die Folter gespannt, die gewissen Leuten unbequem geworden und deshalb bei gesundem Verstand beseitigt werden. Aber ebenso gefährlich ist dieses Verfahren Seitens der Aerzte für diejenigen Personen, die durch Gram und Kummer oder sonstige Ursachen etwas haltlos, defect im Schädel geworden sind. Wenn diese Armen sich mit Aufbietung aller Kraft wirklich aus ihrer trostlosen Lage befreien, die Wunden, die man ihnen geschlagen und an denen sie gelitten haben, nach und nach vernarbt sind, der Arzt aber nach dem bekannten System mit allen erdenklichen Mitteln immer wieder und wieder auf diese soeben vernarbte Wunde eindringt, so muß doch jedem klaren Verstande einleuchten, daß die zarte Haut wieder gesprengt wird und die freigelegte Wunde im verstärkten Maaße zu schmerzen beginnt. Welches Menschenkind freut sich nicht, unliebsame Vorkommnisse beseitigt zu sehen und nie wieder daran erinnert zu werden. Nicht so beim Arzt, Dieser hat auf der Universität durch sein eingepauktes Pensum medicinischer Weisheit seinen Schädel mit viel konfusem Zeug angefüllt, und der gesunde, klare Menschenverstand ist ihm dabei abhanden gekommen, deshalb sitzen auch die Irrenhäuser voll gesunder Menschen, die man nach diesem verwerflichen System nach und nach zu Tode martert. Sie können sich nur einzig und allein dadurch retten, wenn Sie den Sachverhalt ruhig und klar in kurzen Umrissen vortragen, in den Punkten aber, die man auf raffinirte Weise zu Ihrer Verurteilung angewandt, zugeben, daß Sie sich vielleicht im Irrthum befunden haben und daß Sie es heute bereuen, so gehandelt zu haben. Der Sachverständige sagt dann: Krumbogen ist heute von seiner Krankheit befreit, er räumt ein, sich bei der Affaire, die zu seiner Geisteskrankerklärung geführt, im Irrthum befunden zu haben, er ist deshalb fähig, über seine Verhältnisse selbstständig Verfügen zu können.«

»Ich soll also mit, dieser Angabe der Wahrheit in's Gesicht schlagen?«

»Man hat Sie auf eine heimtückische Weise in's Verderben gestürzt, und Sie können heute nicht anders, als Ihre Gegner mit gleicher Münze heimzuzahlen, eine Lüge ist bei Nothwehr, die bei Ihnen thatsächlich vorliegt, gestattet. Wenn Sie sich erst befreit haben, können Sie die geeigneten Maßregeln zur Wahrnehmung Ihrer Rechte ergreifen.«

»Obgleich es mir schwer wird, die Wahrheit abzuläugnen, so will ich mich doch in meiner Lage Ihren Anordnungen überall fügen,« erklärte Krumbogen zustimmend.

»Und was sagen Sie, Herr Mäther?« wandte sich Drake jetzt an das zweite Opfer.

»Auch ich bin gern bereit, mich Ihren Vorschlägen zu fügen, wenn ich nur gerettet werden kann,« gab dieser zur Antwort.

»Also nochmals, halten Sie sich streng an meine Instruction und damit Gott befohlen.«

So endete Dralls Belehrung.

Die Termine kamen heran. Beide folgten der Ladung und kehrten von der Verhandlung überglücklich zurück mit der frohen Botschaft, daß sie freigesprochen wären und ihre unschuldige Verurtheilung wieder aufgehoben sei. Beide bestätigten, daß sich die Verhandlung völlig so abgespielt, wie Drake ihnen vorher gesagt.

Ueber die Freude und den Jubel der beiden Geretteten wollen mir uns hier nicht weiter äußern, darüber wird sich der geneigte Leser selbst ein Bild machen können. Waren es doch zwei Menschenkinder, die vor zwei Monaten noch laut Richterspruch an den jähen Abgrund getrieben, der schon seinen Schlund öffnete, um die Opfer für immer zu verschlingen, und jetzt nach der kurzen Zeit frei, frei wie der Vogel in der Luft, alle Ketten und Banden von sich abgestreift. Krumbogen sowohl als auch Mäther kehrten in ihre Vaterstadt zurück.

In wiederholten Briefen theilten sie Drake mit, daß sie ihre Geschäfte wieder aufgenommen und sich glücklich fühlten.

Drake hatte die Freude, nicht allein seine Person, sondern auch Krumbogen und Mähter, sowie weitere fünf unglückliche Opfer vor dem sicheren Untergange zu retten. Ja, es gelang ihm sogar, zwei von den letztgenannten fünf unschuldigen Personen aus dem unheimlichen Irrenhause zu retten, welche verurtheilt waren, ihr ganzes Leben hindurch in der Anstalt zu schmachten.

Diese höchst wichtigen Fälle werden wir in unserer nächsten Herausgabe eingehend beleuchten. Drake hatte durch sein praktisches Eingreifen viel erreicht. Es waren Erfolge, die ein Arzt, trotz seiner eingebildeten Wissenschaft, bisher nicht aufzuweisen hatte.

Durch das von Drake eingeschlagene praktische Verfahren dürfte auch gewissermaßen das ganze Problem des bisher so tief verschleierten Irrenwesens gelöst sein. Täglich gehen heute noch Leute bei ihm ein und aus, um seinen Rath in Anspruch zu nehmen. Sein Wirken war in weiten Kreisen bekannt geworden. Aber in den höchsten Kreisen hatte man ihn scharf im Auge behalten. Bezeichnend hierfür ist die offene Erklärung des Kultusministers v. Goßler in einer Audienz, die Drake bei demselben hatte: »Es ist uns hinreichend bekannt, daß täglich Leute bei Ihnen kommen, die für geisteskrank erklärt wurden und sich bei Ihnen Rath holen.«

Hatte Drake doch durch sein erfolgreiches Handeln das gemeingefährliche Treiben der gerichtlichen Sachverständigen an's Tageslicht gezerrt, die medizinische Wissenschaft auf dem Gebiete der Geisteskrankheit, sowie die vielgepriesene Unparteilichkeit als blauen Dunst und Nebelgebilde enthüllt.« Was Wunder, wenn von Neuem gegen ihn mit allen erdenklichen Mitteln vorgegangen wurde. Die Autorität sollte oben bleiben, weil die Interessen des Staates, nach Ansicht dunkler Existenzen, dies erheischten.


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