Hans Dominik
Der Wettflug der Nationen
Hans Dominik

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Eine Sturmnacht

Um die achte Abendstunde des dritten Renntages funkte der Readingsender von Radio City:

»Trinidad 7 Uhr 10 Minuten abends amerikanischer Ostzeit ›Eagle 2‹ gewassert. Gesamtflugstrecke 23 100 Kilometer. Flugzeit 55 Stunden 19 Minuten. Durchschnittsgeschwindigkeit fast 420 Stundenkilometer.«

Die Herren Harrow & Bradley hatten zwar keine Lichtmeldungen mehr, aber der Riesenlautsprecher in ihrer Office schrie die Nachricht immer noch weit genug auf die Straße hinaus, und mit fiebernden Pulsen vernahm sie die Menge, die sich dort auf den Bürgersteigen drängte. Tausende zogen ihre Notizbücher heraus und prüften betroffen die Eintragungen nach, die sie sich über den bisherigen Stand des Rennens gemacht hatten. Der ›Eagle 2‹ nicht mehr an der Spitze des Rennens, sondern in gleicher Höhe mit der deutschen ›Seeschwalbe‹?! Die Nachricht ging den Yankees schwer ein. Nur allmählich besannen sie sich darauf, daß die Reading-Maschine durch ihren Unfall in den Kordilleren einen Vorsprung von rund 2500 Kilometer eingebüßt hatte. Aber jetzt lag sie ja wieder im Rennen. Jetzt flog sie wieder mit wenigstens 470 Stundenkilometer. In kurzer Zeit würde sie die von Hause aus langsamere deutsche Maschine wieder hinter sich lassen . . .

An tausend Stellen begann ein eifriges Rechnen. Die Gesichter gerötet von der Aufregung und Spielleidenschaft, dividierten und addierten die Wettlustigen, um eine neue Stundenzahl herauszurechnen, auf die sie bei Harrow & Bradley ihre Dollars setzen könnten. Und dann hub ein neuer Sturm auf die Schalter dieser geschäftstüchtigen Firma an. Diesmal waren es die Zahlen von 91 bis 94, auf welche Harrow & Bradley im Laufe der nächsten Stunden mehr als 100 000 Dollar einkassieren konnten.

In ihrem Privatkontor saßen die beiden Firmeninhaber vor einem Stapel von Zahlentabellen und statistischen Kurven.

»Unser Buch wird wieder rund«, bemerkte Bradley vergnüglich. »Alles was früher auf die Zahlen bis 90 gesetzt wurde, dürfte uns sicher sein.«

»Gott sei Dank, Bradley! Die Zahlen von 85 bis 88 haben mir eine schlaflose Nacht gemacht.«

Bradley warf seinem Kompagnon einen verstohlenen Blick zu. Sollte sich der biedere Roger Harrow auf seine alten Tage noch so etwas wie ein Gewissen zugelegt haben, dachte er bei sich. Dann sollte er bald mal zum Doktor gehen. So etwas kann in seinem Alter gefährlich werden. Laut fuhr er fort:

»Was fehlt Ihnen denn? Sie sehen ja so verdrossen aus!«

Harrow strich sich mit einem Seufzer über die Stirn.

»Wir haben einen Fehler gemacht, Bradley. Wir hätten es vorher bekanntmachen sollen, daß wir Einsätze nur bis zu einem bestimmten Termin annehmen. Das haben wir leider versäumt. Jetzt werden die Narren uns die nächsten zwei Tage überlaufen und noch bis in die letzte Stunde des Rennens ihre Einsätze machen. Sie können sich ja selber sagen, was dabei für uns herauskommt.«

»Hm, hm!« Bradley legte die Stirn in Falten. »Allerdings faul . . . oberfaul, Harrow, wenn die Geschichte so kommt. Das müssen wir irgendwie verhindern.«

»Leicht gesagt, aber schwer getan, Bradley. Das Volk lyncht uns, wenn wir unsere Schalter schließen.«

Ein breites Grinsen lag auf Bradleys Gesicht, als er antwortete:

»Wir werden unsere Schalter nicht schließen, Harrow. Wenigstens vorläufig nicht. Nach unseren Bedingungen zahlen wir die Gewinne erst an dem Tage aus, der auf die offizielle Bekanntgabe des Siegers und seiner Flugzeit durch Mr. Sharp folgt. Das bedeutet für uns einen Zeitgewinn von 24 Stunden.«

»Schon gut, Bradley. Was dann?«

Bradley griff nach einem Bankbuch. Seine Augen glitten über Zahlenreihen und Firmennamen.

»Wir haben ganz gut transferiert, Harrow. Zwei Millionen in Melbourne, eine in Kalkutta . . . drei in London . . . In Kanada sollten wir nicht so viel stehenlassen. Kanada ist zu nahe bei den Vereinigten Staaten. Es darf nur als Zwischenstation für die weiteren Transfers benutzt werden. Was heute nacht noch an Wettgeldern eingeht, muß auch gleich über die Grenze gebracht werden. Einer von uns muß morgen mittag nach Kanada fliegen.«

Harrow schüttelte abwehrend den Kopf.

»Wenn Sie es nicht wollen, Harrow, bringe ich das Geld dorthin.« Er unterbrach sich und lauschte einen Augenblick. »Hören Sie den Lärm da draußen an den Schaltern? Das Volk kann seine Dollars nicht schnell genug loswerden. Vielleicht kommt in den nächsten 24 Stunden noch mal eine Million zusammen.«

Bradley hatte recht gehört. Das Gedränge an den Wettschaltern in den unteren Räumen war beinahe lebensgefährlich und ließ auch während der Nacht nicht nach. Diese dritte Nacht des großen Rennens konnte ja vielleicht schon eine entscheidende Wendung bringen. Viel, ja vielleicht alles kam darauf an, wie die Überquerung des südlichen Atlantik von Brasilien nach Afrika den amerikanischen und japanischen Piloten gelang.

Für den ›Eagle 2‹ hatten die Wettlustigen sich von Trinidad bis zur Walfischbay eine Flugdauer von 10 Stunden errechnet. Etwa um 5,30 Uhr morgens nach New-Yorker Zeit konnte er dort sein. Etwa zur gleichen Zeit konnten auch die japanischen Flieger, deren Route sich hier mit der amerikanischen kreuzte, die afrikanische Küste erreichen. Sollte man da etwa zu Bette gehen und das spannende Wettrennen verschlafen? Die große Mehrzahl verneinte die Frage. Noch belebter als während der ersten beiden Nächte blieben die Straßen der New-Yorker City in dieser Nacht. Wo immer ein Lautsprecher sich hören ließ, da stauten sich die Massen, um die letzten Nachrichten zu vernehmen. –

Nachrichten kamen, aber sie klangen anders, als man sie erhofft hatte. Ein schwerer orkanartiger Oststurm tobte in dieser Nacht über dem Südatlantik.

Um drei Uhr morgens traf ein Funkspruch von der Insel St. Helena in Radio City ein: Zwei von den drei im Rennen befindlichen japanischen Maschinen von ihrem Kurs nach Norden vertrieben, mit schweren Pannen auf St. Helena zur Notlandung gezwungen. Die dritte japanische Maschine vorläufig verschollen. Ein SOS-Ruf das letzte, was man von ihr gehört hatte.

In New York nahm man die Kunde mit gemischten Gefühlen auf. Das Unglück der Japaner ließ die Menge ziemlich kalt. Sie lagen ja im Rennen weit zurück und wurden kaum noch als eine ernsthafte Konkurrenz betrachtet. Aber der Sturm, dessen Opfer sie geworden waren, konnte auch der amerikanischen Maschine gefährlich werden, und das gab der Nachricht ein besonderes Gewicht. Waren die Volksmassen in der City von New York bisher nur sportlich erregt gewesen, so schlug die Stimmung jetzt in ernste Sorge um das Schicksal des ›Eagle 2‹ um. Vergeblich wartete man auf neue Nachrichten, während Stunde um Stunde verrann. Schon kündigte ein lichter Schein im Osten die nahende Morgendämmerung an, als der Reading-Sender eine neue Nachricht funkte.

Deutsches Stratosphärenschiff meldet unter 10 Grad West, 20 Grad Süd:

›Eagle 2 kämpft mit Motorstörungen. Halten uns zur Hilfeleistung in seiner Nähe.‹

Wie der Stab des Wanderers im Ameisenhaufen wirkte die Depesche auf die in der New-Yorker City versammelten Volksmassen. Stärker schwoll der Lärm auf, Gruppen bildeten sich, erregte Gespräche wurden geführt. Was war mit dem ›Eagle 2‹ los? . . . Wieder ein Sabotageakt, wie beim ›Eagle 1‹? . . . Oder was sonst? . . . Wieder war das geheimnisvolle deutsche Stratosphärenschiff dabei . . . hatte das einen tieferen Zusammenhang? . . . Waren die Deutschen an diesen Unfällen schuld? . . . Hunderttausend Köpfe und ebensoviele verschiedene Meinungen, die hier wild durcheinanderschwirrten. –

Während in New York eben die Dämmerung aufkam, herrschte am Standort von ›St 2‹ bereits heller Tag, soweit man in dem dichten Regengewölk von einem Tag sprechen konnte.

Das deutsche Schiff hatte sein eigentliches Gebiet, die ewig stille, allen Stürmen entrückte Stratosphäre, verlassen. Sobald Beckmann mit seinem Empfänger die ersten bedenklichen Nachrichten von ›Eagle 2‹ hörte, war ›St 2‹ zu dessen Standort hingestürmt. Und dann, als die Depeschen des ›Eagle‹ immer schlimmer, immer hoffnungsloser lauteten, schraubte das Stratosphärenschiff sich im Vertrauen auf seine starken erprobten Maschinen aus der Höhe hinunter in das brodelnde, sturmgepeitschte Wolkenmeer, in dem der ›Eagle‹ um sein Leben kämpfte.

In höchster Erregung, die Zähne in die Lippen gepreßt, daß sie bluteten, stand Frank Kelly hinter Beckmann, der an der Funkanlage saß. Vorbei war es mit dem ruhigen glatten Flug in der Stratosphäre. Auch der starke Rumpf von ›St 2‹ wurde im Aufruhr der Elemente wild hin und her geschüttelt, daß Kelly sich oft an Beckmanns Sessel festklammern mußte.

Sie funkten und peilten, suchten und peilten weiter, bis sie fanden, was sie suchten. Bis sie den Motorlärm des ›Eagle‹ vernahmen, ihm näher und näher kamen, die amerikanische Maschine endlich für kurze Augenblicke in Sicht halten. Und dann kam das Schwerste. Während ›St 2‹ sich dicht über dem ›Eagle‹ hielt, lief eine kräftige Stahltrosse aus seinem Heck. Wild schwankte sie im Sturm hin und her. Pendelte weit aus, drohte sich in den Propellern des ›Eagle‹ zu verfangen, bis es der Besatzung der amerikanischen Maschine schließlich gelang, das Seil zu fangen und am Bug des ›Eagle‹ festzumachen.

Absturz und Verderben konnte das Seil bringen, solange es noch frei vor dem ›Eagle‹ in der Luft schwang. Rettung bedeutete es, sowie es festgemacht war. Die Rettung kam keinen Augenblick zu früh. Kaum war die Verbindung hergestellt, als auch die letzten Zylinder des ›Eagle‹, die bis dahin noch notdürftig gearbeitet hatten, aussetzten. Aber da lag der ›Eagle 2‹ schon im Schlepptau des Stratosphärenschiffes. Da wirbelten dessen Dieselmaschinen die Propeller schon mit voller Gewalt durch die Luft und rissen auch die amerikanische Maschine im schnellen Flug hinter sich her, immer weiter, unwiderstehlich immer weiter nach Osten. –

Heller wurde der Tag, lichter das Gewölk, schwächer der Sturm. Es schien, als ob er genug an den Opfern dieser Nacht und dieses Tages habe und nun zur Ruhe gehen wolle. Schon stahl sich vereinzeltes Blau durch die Wolken. Noch eine Stunde und noch eine halbe, dann lag das Gewölk hinter ihnen im Westen, und die See unter ihnen wurde ruhiger. Noch eine halbe Stunde, da war sie fast glatt.

›Wir wollen runtergehen und wassern‹, funkte Beckmann dem ›Eagle‹, und Heinecken sagte das gleiche zu Kelly. Der blickte zu Boden und schwieg. Zu viele Gedanken stürmten ihm durch den Kopf, die er nicht in Worte zu fassen vermochte. Heinecken ahnte, was der denken mochte, und sprach weiter: »Wir sind nur noch eine halbe Stunde von der Küste ab. Es macht einen besseren Eindruck, Mr. Kelly, wenn der ›Eagle‹ Swakopmund unter eigenem Dampf ansteuert.«

Kelly rang nach Worten. Schließlich fand er sie, stieß sie heraus.

»Der ›Eagle‹ ist nicht mehr im Rennen, Mr. Heinecken. Er mußte sich von Ihnen schleppen lassen.«

Heinecken zuckte die Achseln und lachte.

»Lieber Mr. Kelly, wenn alle Maschinen aufgeben müßten, die in den letzten Tagen von unsern St-Schiffen geschleppt wurden, dann wären nicht mehr viele im Rennen. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen. Jetzt wollen wir erst mal zusehen, daß Ihr ›Eagle‹ möglichst schnell wieder flugfähig wird.«

In langsamem Gleitflug ging ›St 2‹ nieder, und fast gleichzeitig mit ihm setzte der ›Eagle‹ auf die Seefläche auf. Hier, schon ziemlich dicht unter Land, war das Meer fast völlig ruhig. Bald schwammen die beiden Maschinen vertäut dicht nebeneinander. Bei beiden wurden die Türen geöffnet.

Ein wehmütiges Wiedersehen gab es zwischen den Besatzungen der beiden ›Eagle‹-Maschinen. Seit ihrer letzten gemeinsamen Landung an der südamerikanischen Ostküste hatten sich Kelly und Thomson nicht mehr gesehen. Während sie sich die Hand drückten, gedachten beide des Schicksals, das sie inzwischen betroffen hatte. Der Sturz des ›Eagle 2‹ in den Amazonas, der Sturz und Untergang des ›Eagle 1‹ im Atlantik, und nun auch der ›Eagle 2‹ nur mit knapper Not und fremder Hilfe der Vernichtung entgangen. Wahrlich, es stand nicht mehr gut um die Sache der Reading-Werke in diesem Rennen.

Heinecken riß die beiden amerikanischen Piloten aus ihren Gedanken.

»Time, gentlemen, time! Alle Hände an die Instandsetzung Ihrer Maschine!«

Thomson schüttelte hoffnungslos den Kopf.

»Es waren wieder die Kerzen«, sagte er mehr zu Kelly als zu Heinecken. »Wir haben keine frischen Kerzen mehr an Bord. Meine Leute setzten die letzten ein, bevor uns das deutsche Flugschiff fand.«

Heinecken kratzte sich die Stirn.

»Dumme Geschichte, Mr. Thomson. Allen anderen Kram haben wir in ›St‹ doppelt und dreifach an Bord, mit Kerzen können wir Ihnen nicht dienen. Das Zeug haben wir für unsere Diesel-Maschinen Gott sei Dank nicht nötig. Dann mal frisch alle Mann an die Reinigung eines Satzes alter Kerzen. Die halbe Stunde bis Swakopmund werden Sie damit schon noch schaffen. Dort werden Sie ja alle Ersatzteile reichlich vorfinden.«

Die zielbewußten Worte Heineckens taten ihre Wirkung. Bald verkündete metallischer Klang von Werkzeugen aus dem Rumpf des ›Eagle‹, daß viele Hände dabei waren, den Rat des deutschen Piloten zu befolgen. –

*

Die dritte Nacht des Rennens war vorüber. Hunderttausende hatten sie in den Straßen der New-Yorker City verbracht, harrend und immer wieder hoffend, daß eine Nachricht über das Schicksal des ›Eagle‹ käme. Längst stand die Sonne wieder hoch am Himmel. Schon nahte die Stunde, zu der die meisten dieser übernächtigten, fieberhaft erregten Menschen wieder in ihre Büros mußten, und noch immer war keine Nachricht gekommen, weder vom ›Eagle‹ noch auch von jenem deutschen Stratosphärenschiff, das sich in seiner Nähe aufhalten sollte.

Immer hoffnungsloser wurde die Menge, je weiter die Zeit vorschritt. Schon begann die begeisterte Stimmung der früheren Tage hier und dort in ihr Gegenteil umzuschlagen, schon sprachen es einzelne offen aus, dieses Fliegerrennen um den Erdball hieße nicht anderes als Gott versuchen. Schon nannten andere den verstorbenen Morgan Reading einen Narren, der um einer überspannten Idee halber die besten Sportsleute und Ingenieure aller Nationen in den Tod jage.

Kurz nach acht Uhr morgens kam John Sharp wieder in sein Büro im Reading-Haus. Es war ihm anzumerken, daß er in dieser Nacht nicht viel Schlaf gefunden hatte. Er griff zum Telephon und ließ sich mit Mr. Bourns, dem Chef des Reading-Senders in Radio City verbinden. Die Nachrichten, die ihm Bourns durch den Draht zusprach, waren erschütternd.

Man wußte jetzt, daß eine japanische Maschine mit ihrer Besatzung im Atlantik brennend abgestürzt war und die beiden anderen als hoffnungslose Wracks auf St. Helena lagen.

»Haben Sie etwas von den Deutschen gehört, Bourns?« fragte Sharp.

»Nichts Direktes, Sir«, kam die Antwort aus der Telephonmuschel. »Wir hatten Schiffsmeldungen, daß die beiden deutschen Maschinen in einen der gefährlichen Mauritius-Orkane geraten sind. Ich fürchte, Mr. Sharp, ihr Schicksal ist besiegelt.«

John Sharp umklammerte den Telephonhörer, als wolle er ihn zerbrechen.

»Was machen die Italiener?« fragte er heiser.

»Wir haben seit der Wasserung bei den Haymet-Klippen nichts mehr von ihnen gehört, Sir. Ihre Rennroute führt jetzt über den vereisten antarktischen Kontinent.«

John Sharp schloß die Augen, aber auch mit geschlossenen Lidern glaubte er die drei noch im Rennen befindlichen Gamma Romea-Maschinen gescheitert, zerschmettert, verbrannt irgendwo in einer unwirtlichen eisigen Einöde liegen zu sehen.

Die Stimme von Bourns riß ihn aus seiner Vision.

»Der französische Papillon und zwei Fisher-Ferguson-Maschinen befinden sich seit 18 Stunden auf dem Seeflug über den Pazific nach Ekuador. Letztes Funkgespräch kam vor zehn Stunden.«

John Sharp griff nach dem Taschentuch und wischte sich die nasse Stirn. Während Bourns von den französischen und englischen Maschinen berichtete, hämmerte nur der einzige Gedanke in Sharps Hirn; warum spricht Bourns nicht vom ›Eagle‹?

»Vielleicht schlechte Ätherverhältnisse über dem Pazifik, Sir«, sagte Bourns gerade, »nach dem letzten Funkspruch war bei den Franzosen und Engländern alles wohl an Bord . . .«

»Der ›Eagle‹, Sir! der ›Eagle‹!« schrie ihm Sharp in seine Rede. »Haben Sie Nachrichten vom ›Eagle‹?«

»Leider nein, Sir! Wir wissen nur, daß das deutsche Stratosphärenschiff in seiner Nähe ist.«

»Danke sehr. Rufen Sie mich gleich wieder an, wenn Sie Nachricht haben. Ich bin in meiner Office im Reading-Haus.«

Sharp legte den Hörer auf. Den Kopf in die Hände gestützt, ließ er seine Gedanken laufen, wie sie wollten. Dunkle Gedanken waren es. Mit einer Katastrophe sah er das große Reading-Rennen enden, wie sie in der Geschichte des Flugwesens bisher nicht ihresgleichen hatte. Vielleicht, daß schließlich doch die eine der wenigen noch im Rennen befindlichen Maschinen ihr Ziel erreichte. Eine englische vielleicht, oder eine französische . . . in wenigen Tagen würden dann Engländer oder Franzosen die Herren des ganzen großen Reading-Vermögens sein. Fremde würden hier zu bestimmen haben. Er selber, John Sharp, der Freund und beste Mitarbeiter des verstorbenen Morgan Reading, der den gewaltigen Konzern in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut hatte . . . er würde hier nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu tun haben . . .

Mit einem Ruck riß Sharp sich zusammen. Er griff nach den Aktenstücken, die den großen Schreibtisch bedeckten, und zwang sich mit Gewalt zur Arbeit. Bis zur letzten Stunde wollte er seine Pflichten als Leiter des großen Konzerns erfüllen. –

Das Telephon meldete sich. Bourns war am Apparat.

»Hallo Sharp, gute Nachricht! ›Eagle‹ 10 Uhr 30 New-Yorker Zeit wohlbehalten in Swakopmund gewassert.«

Sharp griff sich an die Brust. Er glaubte seinen Herzschlag stocken zu fühlen.

»Ist es wahr, Bourns? Der ›Eagle‹ ist heil in Swakopmund angekommen?«

»Er ist da, Sharp! Ein Wunder Gottes, daß er da ist. Es war ein fürchterlicher Sturmflug über den Atlantik. Man merkt es an der Zeit. Reichlich 15 Stunden für eine Strecke, die in 10 Stunden gemacht werden sollte. Gesamtflugdauer für den ›Eagle‹ 70 Stunden und 30 Minuten. Gesamte Flugstrecke 27 800 Kilometer. Durchschnittliche Stundengeschwindigkeit 395 Kilometer. Wir müssen bescheiden werden, mein lieber Sharp.«

»›Bescheiden‹, sagen Sie, Bourns. Nein! Stolz bin ich, daß unser ›Eagle‹ sich im Sturm gehalten hat, in dem die anderen scheiterten. Jetzt habe ich wieder Hoffnung, daß er das Rennen doch noch gewinnt. Rufen Sie mich wieder an, wenn neue Nachrichten kommen.«

John Sharp legte den Hörer auf und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. –

*

Langsam verstrichen die Vormittagsstunden. Die Straße vor dem Reading-Haus bot das gewohnte Bild. Menschenmengen drängten sich auf den Bürgersteigen und stauten sich vor den Büros von Harrow & Bradley. Nur spärlich liefen Meldungen vom Rennen ein. Gegen Mittag kamen Funksprüche von den im Indischen Ozean stationierten italienischen Schiffen. Drei Gamma-Romea-Maschinen lagen wieder zusammen. Sie hatten das antarktische Festland glücklich überflogen und setzten ihren Weg über das offene Meer nach Südafrika fort. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit für die ganze bisher zurückgelegte Strecke betrug 421 Stundenkilometer. Das amerikanische Publikum nahm die Nachricht ohne besonderes Interesse hin. Die italienischen Maschinen lagen ja hinter dem ›Eagle‹. Vergeblich wartete man auf Meldungen über die deutschen Flugzeuge. Je weiter die Zeit vorrückte, um so mehr gewann die Ansicht Boden, daß sie in jenem Orkan bei Mauritius untergegangen seien. –

Die Uhr im Reading-Haus zeigte ein Uhr Mittag an, als ein gut gekleideter Herr in die Vorhalle trat und Mr. Sharp zu sprechen wünschte. Der in einer prunkhaften Livree steckende Neger an der Drehtür wies ihn nach dem Anmelderaum. Er konnte sich weiter nicht um ihn kümmern, weil im gleichen Augenblick schon drei weitere Personen in die Vorhalle kamen und dicht an ihn herantraten. Er wollte ihnen die gewünschte Auskunft geben, als er plötzlich stutzte, staunte, Mund und Augen aufriß.

Unmittelbar hinter den dreien war noch ein vierter durch die Drehtür gekommen. Ein Neger, genau so schwarz und wollköpfig wie der Türsteher des Reading-Hauses und in genau der gleichen prunkvollen Livree. Und dann sauste ein schwerer Gummiknüppel mit blitzartiger Schnelle auf den Schädel des überrumpelten Schwarzen nieder. Sechs kräftige Arme packten zu und schleppten ihn in den Anmeldungsraum, während der falsche Türsteher seine Stelle einnahm. Vergnüglich grinsend dienerte er vor sechs weiteren Herren, die jetzt durch die Drehtür kamen und von denen einer unverkennbar Mr. Hyblin war.

Auch diese sechs begaben sich sofort in die Anmeldung. Dort hatten die zuerst gekommenen vier bereits saubere Arbeit gemacht. Gut verschnürt, solide Knebel im Mund, lagen die beiden Beamten des Empfangsraumes und der schwarze Türsteher in einer Ecke des Raumes, durch einen Tisch so verdeckt, daß man sie beim Eintreten nicht sehen konnte.

Jack Hyblin drückte sich den Melonenhut fester in die Stirn.

»Der erste Teil hat geklappt, Boys. Jetzt ran an den Tresor! Sie wissen hier am besten Bescheid, Gill, Sie übernehmen die Führung. Ihr vier da bleibt für alle Fälle in der Anmeldung.«

Mr. Gill hatte plötzlich eine stählerne Beißzange in der Hand und ließ sie wie spielend durch die Finger gleiten.

»Erst mal den Generalalarm abkneifen, Mr. Hyblin. Das Kabel liegt neben den Fahrstühlen. Warten Sie hier, bis ich zurück bin.«

Gill riß ein Blatt von einem der Meldeblocks und füllte es flüchtig aus. Mit diesem Papier in der Hand, das die Legitimation für jeden regulär gemeldeten Besucher des Reading-Hauses war, schlenderte er gemächlich durch die Vorhalle bis zu der Wand, an der die zehn Fahrstühle des Reading-Hauses lagen. Einen Augenblick blieb er dort stehen, lehnte gegen das Mauerwerk. Dann, als hätte er sich anders besonnen, kehrte er wieder zur Anmeldung zurück.

»So, Gentlemen! der Alarm ist außer Betrieb. Wir können gehen.«

Schon während er es sagte, trat er wieder in die Vorhalle und ging zu einer Tür an der rechten Seite. Sie war verschlossen, aber Mr. Gill war ja nicht umsonst eine Woche lang im Reading-Haus als Fahrstuhlführer tätig gewesen. Ein kleiner blinkender Schlüssel, den er aus der Westentasche holte, öffnete sie schnell und lautlos.

Sechs Männer gingen hindurch. Als letzter ließ Hyblin die Tür wieder ins Schloß fallen. Erst ein kurzes Stück Gang, dann eine schmale Wendeltreppe. Auf steilen Stufen ging es in die Tiefe. Ein Stockwerk, ein zweites und noch ein drittes. Im dritten Tiefkeller war der Tresor eingebaut, der den kostbaren Nachlaß Morgan Readings barg.

An das Ende der Treppe schloß sich wieder ein Gang an. Er war dunkel, aber die ungebetenen Gäste hatten sich darauf eingerichtet. Jeder von ihnen führte eine starke elektrische Taschenlampe mit sich.

»Hier!« sagte Gill im Vorbeigehen, »hier liegen die Sperren mit dem ultravioletten Licht. Hätten wir das Kabel nicht abgekniffen, wäre jetzt der Teufel los. Generalalarm im Reading-Haus und im Hauptquartier der Polizei. Na, den Spaß haben wir den Blauen versalzen.«

Noch etwa 50 Schritt weiter, und der Gang schien plötzlich zu Ende zu sein. Verdutzt starrte Hyblin auf die glatte Betonwand, die ihn abschloß. Gill lachte.

»Feine Anlage, die Mr. Sharp hier bauen ließ. Wer's nicht wüßte, würde hier niemals einen Tresor vermuten.«

Während der letzten Worte begann Gill bereits, die Wand mit seiner Taschenlampe abzusuchen. Jetzt schien er etwas gefunden zu haben. Eine winzige graue auf dem Beton der Mauer kaum sichtbare Platte. Unter Gills geschickten Fingern glitt sie zur Seite. Ein Schlüsselloch wurde sichtbar. Eine Sekunde später steckte der erste der drei Tresorschlüssel in seinem Schloß. Ein paar weitere Minuten mußte Gill suchen. Dann lagen die beiden anderen Schlüssellöcher frei, auch die beiden anderen Schlüssel steckten in den für sie bestimmten Öffnungen.

Dreimal drehte Gill jeden der Schlüssel nach rechts herum, dann fingerte er wieder an der Wand. Eine große runde Platte war dort durch das Schließen mit den drei Schlüsseln beweglich geworden. Auch sie ließ sich zur Seite schieben. Dahinter kam ein Handrad zum Vorschein. Mr. Gill drehte es solange nach rechts herum, bis er auf Widerstand stieß. Dann trat er zur rechten Seitenwand des Ganges und suchte mit seiner Taschenlampe, bis er einen winzigen Schaltknopf entdeckte. Auf den drückte er.

Es war still in dem Gang. Keiner der sechs Männer sprach ein Wort. Kaum hörbar zu atmen wagten sie, während die Lichtkegel ihrer Lampen über die Abschlußwand des Ganges hin und her huschten.

Würde der Panzerschrank sich jetzt auftun? Würden die Schätze Morgan Readings frei und ungeschützt vor ihnen liegen? Alle jene Kostbarkeiten, die man hier unter einem solchen Aufwand von Sicherheitsmaßnahmen verwahrte?

Während sie noch wie gebannt auf die Wand starrten, wurde ein feiner kreisförmiger Riß sichtbar. Zusehends wurde er stärker, verbreiterte sich immer mehr. Der elektromotorische Antrieb arbeitete, die mächtige runde Panzertür schwenkte aus der Wand heraus, bis sie senkrecht dazu stand.

Das Innere des Reading-Tresors lag frei vor den Eindringlingen. –

Zur gleichen Zeit zog in dem Saloon an der nächsten Straßenecke Tredjakoff seine Uhr aus der Westentasche.

»Ein Viertel nach eins, Bunnin. Jetzt müßte Hyblin die Pläne wohl schon haben, wenn . . .«

»Es ist kein ›Wenn‹ dabei«, fiel ihm Perow in die Rede. »Unsere Nachschlüssel sind absolut genau. Gill weiß über alles Bescheid. Hyblin hat versprochen, einen von seinen Leuten hierher zu schicken, wenn die Sache erledigt ist. Warten wir noch ein Weilchen, in einer Viertelstunde kann sein Bote hier sein.«

»Gedulden wir uns, Tredjakoff«, pflichtete Bunnin Perow bei, »Hyblin hat seinen Plan so durchdacht, daß er gelingen muß.« –

In der Tat war Hyblins Plan auch ganz vorzüglich. Er berücksichtigte alles, was Gill während seiner achttägigen Gastrolle im Reading-Haus über die Sicherungen des Tresors in Erfahrung gebracht hatte. Aber etwas konnten die Herren Hyblin und Gill nicht wissen. Den Umstand nämlich, daß John Sharp nach dem Besuch des Unbekannten bei seinem Banksafe einen gewissen unbestimmten Verdacht gefaßt hatte und eine kleine Änderung an den Sicherheitsvorrichtungen vornehmen ließ.

Sie war wirklich äußerst geringfügig. Bestand sie doch nur darin, daß man einerseits in eine bestimmte Gasleitung, die durch John Sharps Privatkontor ging, einen Hahn einbaute und andererseits den elektrisch gesteuerten Verschluß dieser Leitung im Innern des Tresors so umschaltete, daß er sich auf jeden Fall gleichzeitig mit der Tresortür öffnen mußte. Sharp hatte sich damals folgendes gesagt: Wenn der Tresor rechtmäßig geöffnet wird, muß ich selbst mit meinem Schlüssel unbedingt dabei sein. Für diesen Fall kann ich vorher in mein Kontor gehen und dort den Hahn in der Gasleitung schließen, wonach die Öffnung des Schrankes gefahrlos geschehen kann. Bin ich aber bei der Öffnung nicht dabei, dann erfolgt sie bestimmt unrechtmäßig, und dann kann es nur gut sein, wenn dieser Hahn offensteht. –

Das war nun heute der Fall. In dem Augenblick, in dem die Tresortür voll aus der Wand herausschwenkte, öffnete sich auch das Ende der Gasleitung im Tresor. Ihr Verschluß wurde ja von einer Trockenbatterie betätigt, die sich im Innern des Tresors befand und den Zugriffen Gills daher entzogen war.

Die Tresortür stand weit offen. Hinter ihr zeigte sich ein großes Regal. Man mußte einen guten Schritt in den Panzerschrank hinein treten, um zu dessen Fächern zu gelangen. Mehrere eiserne Kassetten standen in den Fächern, gebündelte und verschnürte Akten lagen daneben. Dort im Mittelfach ein Paket mit der Aufschrift: ›Für den Gewinner des Reading-Preises.‹

Gill wollte vortreten, um sich dieses Päckchens zu bemächtigen, an dem den Russen so viel lag. Hyblin wandte sich zu seinen Leuten: »Der Aktenkram hat keinen Zweck für uns. Die vier eisernen Kassetten da nehmen wir uns mit.«

Während Hyblin sprach, war Gill in den Schrank getreten und wollte nach dem Paket mit den Plänen Morgan Readings greifen. Da sah Hyblin ihn taumeln, schwanken, bewußtlos zusammenstürzen.

»Teufel, Jungens! . . . Was ist denn das? Was ist . . .«

Hyblin konnte nicht weitersprechen. Das betäubende Gas war schon aus dem Tresor heraus in den Gang gedrungen und tat seine Wirkung auch an ihm und seinen Leuten. Noch ehe sie wußten, was geschah, brauste es ihnen in den Ohren, wurde es ihnen schwarz vor den Augen. Sie wankten, stürzten nieder. In wirrem Durcheinander lagen ihre bewußtlosen Leiber vor der offenen Tresortür. –

John Sharp wurde durch ein leises Klicken an der Wand bei seiner Arbeit gestört. Er blickte zu der Wand hin, von der das Geräusch kam. Neben mehreren andern Meßinstrumenten, die mit den verschiedenen Installationen des Reading-Hauses in Zusammenhang standen, befand sich dort auch ein Manometer, das den Druck in jener zu dem Tresor führenden Gasleitung anzeigte.

Unverrückt hatte der Zeiger dieses Instrumentes stets auf der »Vier« gestanden, denn vier Atmosphären herrschten in der Leitung. Jetzt war er – Sharp sah es mit einem Blick – bis auf die Null zurückgegangen. Die Leitung war drucklos. Im nächsten Augenblick hatte Sharp das Telephon in der Hand und sprach mit dem Polizeihauptquartier. –

»Polizeiwagen . . . Überfallkommando«, sagte in dem Saloon an der nächsten Ecke Tredjakoff zu Bunnin.

»Wird wieder irgendeine Schweinerei bei Harrow & Bradley sein«, meinte der achselzuckend. –

Bunnin irrte sich. Die beiden Polizeiwagen fuhren an der Office von Harrow & Bradley vorüber und hielten vor dem Reading-Haus.

Der Türhüter, ein livrierter Neger, sah sie. Mit einem Satz war er auf der Straße und wollte über den Fahrdamm laufen. Da hatten ihn schon zwei Polizisten am Kragen. Im nächsten Moment klirrten die stählernen Fesseln um seine Handgelenke.

»Schlechtes Geschäft, Jimmy«, meinte der Sergeant, der sie ihm anlegte, »kalkuliere, die Sache wird euch für zehn Jahre nach Sing-Sing bringen.«

Aus der Anmeldung stürmten vier Männer in die Vorhalle. Sie sahen, daß der Ausgang des Reading-Hauses bereits von der Polizei besetzt war und wollten über die Treppe neben den Fahrstühlen in die oberen Stockwerke entkommen. Ein scharfer Ruf hinter ihnen: »Hands up!« Im nächsten Augenblick dröhnte ein Schuß durch den Raum. Scharf pfiff die Kugel an den Banditen vorbei und schlug in die Wand des Treppenhauses ein. Da gaben sie das ungleiche Spiel auf und ließen sich gefangennehmen.

In der Anmeldung fanden die Polizisten die drei von Hyblins Bande geknebelten Leute und befreiten sie aus ihrer unangenehmen Lage. Dann gab es ein Telephongespräch zwischen der Anmeldung und John Sharp, und danach kam der schwierigste Teil des Unternehmens.

Nur mit Gasmasken konnten die Polizeibeamten durch den vergasten Gang zu dem Tresor vordringen und die sechs dort in schwerer Betäubung liegenden Eindringlinge ins Freie schaffen. Das Gas, das John Sharp für den Schutz seines Panzerschrankes gewählt hatte, war keines jener fürchterlichen Kriegsgase, die jeden lebendigen Organismus sofort vernichten. Es besaß nur die Eigenschaft, diejenigen, die es einatmeten, in eine tiefe Narkose zu versenken. Bei längerer Wirkung freilich konnte der Schlummer, den es erzeugte, auch leicht in den ewigen Schlaf übergehen.

Eine halbe Stunde verging mit Wiederbelebungsversuchen. Dann kamen Hyblin und seine Leute allmählich wieder zu sich und erkannten, daß sie sich in der Obhut der ihnen zutiefst verhaßten New Yorker Polizei befanden.

Während im Reading-Haus die Ventilatoren arbeiteten und saugten, rückte die Polizei wieder ab. –

Das Glas, das Tredjakoff eben zum Munde führen wollte, entglitt seiner Hand und zerschellte auf dem Fußboden. Unter den Zivilisten, die auf dem Polizeiwagen draußen vorbeigefahren wurden, hatte er Gill und Hyblin erkannt.

»Was gibt's? Was haben Sie, Tredjakoff?« fragte ihn Bunnin, der dem Fenster den Rücken zuwandte.

»Das Spiel ist verloren, Bunnin«, kam es dumpf von Tredjakoffs Lippen. »Eben fuhr die Polizei mit Hyblin und seinen Leuten vorbei.«

Ein langes Schweigen folgte seinen Worten. Alle drei waren erblaßt, alle drei wußten, was das Mißlingen des Planes für sie zu bedeuten hatte. Einen Mißerfolg verzieh Moskau seinen Agenten nicht. Von heute an würden sie den Machthabern im Kreml verdächtig sein. Von heute an würde ihre Freiheit gefährdet, ihr Leben bedroht sein.

*

In den Straßen New Yorks riefen die Zeitungsboys noch die Extrablätter über den versuchten Einbruch in das Reading-Haus aus, als der Sender von Radio City wieder eine Nachricht funkte.

»Obia, Somaliküste. Deutsches Flugzeug ›Seeschwalbe‹ zwei Uhr mittags amerikanischer Ostzeit gewassert. Bisherige Flugstrecke 31 000 Kilometer. Gesamtflugdauer 74 Stunden. Durchschnittsgeschwindigkeit 420 Stundenkilometer.«

John Sharp hörte den Funkspruch aus dem Lautsprecher in seinem Arbeitszimmer und seine Stirn krauste sich. Die ominöse Zahl von 420 Stundenkilometer . . . in allen Meldungen über die ›Seeschwalbe‹ war sie immer wieder unverändert aufgetreten . . . mit einer geradezu verblüffenden Beharrlichkeit hielt das deutsche Flugzeug seine Anfangsgeschwindigkeit bei, während alle anderen Maschinen während der vielen Stunden, die das Rennen nun schon dauerte, ganz erheblich an Schnelligkeit eingebüßt hatten . . .

Sharp war zu anständig, um der ›Seeschwalbe‹ geradezu einen Unfall zu wünschen, aber eine Verringerung ihrer Geschwindigkeit würde er doch mit Genugtuung begrüßt haben, denn wie die Dinge jetzt lagen, war sie für den ›Eagle‹ ein gefährlicher Wettbewerber.

Wo blieb der ›Eagle‹? Warum kam keine Meldung von ihm? Sharps Unruhe stieg, während die Stunden verstrichen. Da endlich kurz nach halb sechs Uhr nachmittags meldete sich das Telephon auf seinem Schreibtisch. Bourns war am Apparat.

»Hallo Mr. Sharp! Nachricht von Thomson. Der ›Eagle‹ ist um 5 Uhr 30 amerikanischer Ostzeit in Mozambique angekommen . . .«

»Wie ist die bisherige Durchschnittsgeschwindigkeit?« rief Sharp ins Mikrophon.

»Leider nicht so, wie sie sein sollte, Sir. Bisherige Flugstrecke 30 800 Kilometer. Flugdauer 77 Stunden und 30 Minuten. Durchschnittsgeschwindigkeit fast 400 Stundenkilometer.«

»Verdammt Bourns! Das ist zu wenig, die deutsche ›Seeschwalbe‹ hat 420.«

»Weiß ich, Mr. Sharp, läßt sich nicht ändern. Die deutsche Maschine hat einen Vorsprung von 1500 Kilometer vor dem ›Eagle‹. Warten Sie einen Augenblick, eben kommt ein neuer Funkspruch. Hören Sie? Lohaja, Arabien. 5 Uhr 30 amerikanische Ostzeit. ›Seeschwalbe‹ hat Lohaja überflogen.«

»Der Teufel soll die Schwalbe holen!« knurrte Sharp ärgerlich.

»Fluchen ist unchristlich und eines Gentleman nicht würdig«, lachte Bourns am anderen Ende der Leitung, »im übrigen, Mr. Sharp, hat die ›Seeschwalbe‹ immer noch 7500 Kilometer bis zum Ziel zurückzulegen. Es kann noch mancherlei passieren, was unserm ›Eagle‹ wieder Chancen gibt.«

»Ich will Ihnen ganz genau sagen, was passieren wird«, schrie Sharp erbost in sein Mikrophon. »Die deutsche Satansmaschine wird die 7500 Kilometer in 17 Stunden und 48 Minuten zurücklegen, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von . . . hören Sie gut zu . . . von 420 Stundenkilometer. Danach werde ich dann das Vergnügen haben, Herrn Professor Eggerth aus Deutschland den Preis zu übergeben und ihn als den neuen Chef des Reading-Konzerns zu begrüßen. Nette Aussichten sind das, Bourns. Haben Sie mir sonst noch was zu sagen?«

»Jawohl, Mr. Sharp. Machen Sie mich bitte nicht persönlich für die Nachrichten verantwortlich, die unsere Station über das Rennen empfängt. Es sieht nachgerade wirklich so aus, als ob die ›Seeschwalbe‹ den Preis gewinnen könnte . . .«

»Um Himmels willen, Bourns, haben Sie schlechte Nachrichten vom ›Eagle‹?«

»Nein, Gott sei Dank nicht. Aber die schärfsten Konkurrenten der deutschen Maschinen haben Pech gehabt. Die drei italienischen Flugzeuge, die noch im Rennen sind, hatten mit sturmartigen Gegenwinden zu kämpfen. Sie liegen jetzt bei dem unter dem 60. Grad südlicher Breite stationierten Mutterflugschiff und nehmen Treibstoff. Es wäre ein Wunder, wenn eine von ihnen noch den Preis gewinnen sollte.«

Die unmutigen Züge Sharps glätteten sich.

»Schadet denen gar nichts, Bourns. Die Kerle glaubten, den Sieg schon in der Tasche zu haben.«

John Sharp wollte den Hörer auflegen, als Bourns sich mit einer neuen Nachricht meldete.

»Hallo! Sharp! Hören Sie! Die Franzosen sind auch erledigt. Ihr letztes Pferd im Rennen, die Papillon-Maschine ist mit einer gebrochenen Kurbelwelle auf der Osterinsel niedergegangen.«

»Auf der Osterinsel, sagen Sie, Bourns? Verdammt einsame Gegend sonst. Meines Wissens kommt ungefähr alle zwei Jahre einmal ein Schiff vorbei.«

Bourns lachte.

»Solange werden die Herren in Paris ihre Piloten nicht unter den Eingeborenen der Osterinsel sitzen lassen, Sharp.«

Sharp knurrte etwas Unverständliches in die Mikrophonmuschel.

»Wie meinten Sie, Sharp?«

»Ich meine, Bourns, die Bilanz unseres Rennens ist nicht sehr erbaulich. Russen, Japaner und Franzosen ausgeschieden. Italiener und Engländer im Hintertreffen. Unsere einzige Hoffnung, der ›Eagle‹. Wenn er für den Rest der Rennstrecke wieder an 500 Stundenkilometer herankäme, kann er den Preis noch gewinnen.«

»Hoffen wir es«, sagte Bourns, und Sharp legte den Hörer nun wirklich auf die Gabel. –

Die Nacht des vierten Renntages brach über New York an. Sie bot ein ähnliches Bild wie die vorangegangenen drei andern. Immer mehr spitzte sich der große Weltflug Morgan Readings zu einem Duell zwischen dem amerikanischen ›Eagle‹ und der deutschen ›Seeschwalbe‹ zu.

Um die vierte Morgenstunde verbreitete der Reading-Sender einen Funkspruch: »Eagle hat 3 Uhr 30 amerikanische Ostzeit den Äquator überflogen. Flugstrecke seit Mozambique 4700 Kilometer. Durchschnittsgeschwindigkeit auf dieser Strecke 495 Stundenkilometer.«

Endlose Heil- und Cheerrufe in den Straßen. Heller Jubel vor Tausenden von Lautsprechern. Der ›Eagle‹ kam wieder auf Touren, die glorreiche amerikanische Maschine hatte ihre alte Geschwindigkeit wieder gewonnen. Sie konnte das Rennen noch machen. Sie würde es machen.

Die ›Seeschwalbe‹?! Seitdem sie Lohaja überflogen, hatte man von ihr nichts mehr gehört. Vielleicht war die Teufelsmaschine endlich von ihrem Schicksal ereilt worden? Vielleicht lag sie mit einer Panne irgendwo in der arabischen Wüste und konnte dem amerikanischen Flugzeug nicht mehr gefährlich werden. Manch einer unter den Millionen in New York hoffte es im stillen, ohne es laut auszusprechen. –

Auch die Herren Yoshika und Hidetawa verbrachten diese voraussichtliche letzte Nacht des großen Rennens schlaflos.

»Alles vergeblich«, seufzte Hidetawa, »wer konnte damit rechnen, daß der Sturm im Atlantik alle unsere Maschinen aus dem Rennen werfen würde.«

»Ein Glück für uns, Hidetawa, daß es so kam. Man wird uns jetzt in Tokio keine Vorwürfe mehr machen können. Was würde es jetzt noch nutzen, wenn wir auch die ›Seeschwalbe‹ und den ›Eagle 2‹ wirklich unschädlich gemacht hätten. Irgendein anderer, wahrscheinlich der Engländer, hätte dann den Preis bekommen.«

»Die Russen waren klüger, Yoshika. Sie wollten sich den Preis von Anfang an lieber direkt aus dem Tresor des Reading-Hauses holen.«

»Die Russen? Wie kommen Sie darauf, Hidetawa? Es waren New Yorker Gangsters.«

»Haben Sie die letzten Ausgaben der Abendzeitungen nicht gelesen, Yoshika. Man hat Mr. Hyblin acht Stunden lang nach dem dritten Grad verhört. Anerkennenswert, daß er die Folter acht Stunden lang ausgehalten hat. Dann entschloß er sich zu einem Geständnis. Einige Russen, einen gewissen Tredjakoff und noch zwei andere nannte er als seine Auftraggeber.«

Yoshika strich sich über die Stirn. Tredjakoff? Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor. Nach einigem Nachdenken entsann er sich, daß er vor längerer Zeit einmal mit dem Mann zu tun hatte.

»Woran denken Sie?« fragte Hidetawa.

»Ich denke, daß die Russen mit ihrem Plan auch kein Glück gehabt haben. Es wäre uns ebenso gegangen. Mr. Sharp hat seinen Tresor so gesichert, daß kein Gangster herankommt.«

»Mag sein, Yoshika. Ob unsere Leute in Arabien und Kleinasien noch etwas gegen die ›Seeschwalbe‹ unternehmen werden? Kyushu hat alles vorbereitet. Schmirgel in das Treiböl, Wasser in den Vergaser. Die ›Seeschwalbe‹ würde bestimmt in Arabien liegenbleiben.«

»Es hat keinen Zweck mehr«, sagte Yoshika achselzuckend, »ob die ›Seeschwalbe‹ oder sonst eine Maschine gewinnt, kann uns jetzt gleichgültig sein.«

*

Sowohl in Arabien wie auch in Kleinasien hatte Kyushu, der nach dem Besuche der drei Japaner in den Eggerth-Werken in Europa zurückgeblieben war, eine vorzügliche Organisation aufgezogen. Aber trotzdem würde er kaum einen Erfolg damit erzielt haben.

Gleich nach dem Start in Obia an der Somaliküste fand in dem Geheimkode des Bitterfelder Werkes ein langes Funkgespräch zwischen Professor Eggerth und der Besatzung der ›Seeschwalbe‹ statt, das danach auch auf die beiden Stratosphärenschiffe ›St 1‹ und ›St 3‹ ausgedehnt wurde. Und dann geschah es, daß man die ›Seeschwalbe‹ nirgends mehr landen oder wassern sah.

Nur das wurde gelegentlich noch gemeldet, daß sie diese oder jene Ortschaft überflogen habe. Aber diese Nachrichten blieben unsicher, denn die ›Seeschwalbe‹ selbst meldete sich nicht mehr und wer wollte es einem Flugzeug, das in 2000–3000 Meter Höhe flog, sicher ansehen, ob es wirklich die ›Seeschwalbe‹ war.

»Die Satansmaschine muß doch schließlich mal irgendwo niedergehen!« knirschte John Sharp ingrimmig, als Stunde auf Stunde verrann, ohne daß ein Lebenszeichen von dem deutschen Flugzeug kam.

Aber die ›Seeschwalbe‹ ging nicht nieder, und das hatte seine guten Gründe. Professor Eggerth hatte die Sprengölaffäre von San Pedro nicht vergessen, und er hatte sich seine ganz bestimmte Meinung über die Vorgänge beim Untergang des ›Eagle 1‹ gebildet. Sabotage durch mißgünstige Konkurrenten war überall zu fürchten, doch für ganz besonders gefährlich hielt der Alte in Bitterfeld die Strecke durch Arabien, Kleinasien und die Balkanhalbinsel. Da hieß es besonders vorbeugen. Deshalb hatte er jenes lange Gespräch mit den Besatzungen seiner Flugzeuge geführt, und nach seinen Anweisungen wurde jetzt verfahren. –

In New York ging es eben erst auf die Mitternachtsstunde, während die Sonne die Ostküste des Mittelmeeres bereits in ihren Strahlen erglänzen ließ. In Haifa, der alten Hafenstadt an der Küste von Palästina sollte die ›Seeschwalbe‹ nach dem ursprünglichen Programm der Eggerth-Werke frischen Treibstoff nehmen. Doch vergeblich wartete man dort auf ihre Ankunft. In einer Höhe von 4000 Metern fliegend, ein verschwindender Punkt in dem lichtblauen Morgenhimmel, hatte sie, von niemand gesehen, zwischen Haifa und Jaffa bereits die Küste verlassen und stieß mit Nordwest-Kurs auf Cypern zu. Schon kam neblig verschwommen die Silhouette der Insel weit voraus in Sicht.

Am Steuer der ›Seeschwalbe‹ saß Hein Eggerth. Neben ihm bediente Schmieden die Funkanlage. Immer lebhafter klapperte die Morsetaste unter seinen Fingern. Immer häufiger schaltete er vom Senden aufs Empfangen und dann wieder zurück zum Senden.

Dann kam es achtern von oben herangebraust und trommelte und donnerte über der ›Seeschwalbe‹. Ganz dicht über ihr in einem Abstand von kaum 20 Metern flog auf dem gleichen Kurs und mit gleicher Geschwindigkeit ein deutsches Stratosphärenschiff. Eine kurze Zeit noch geringfügige Schwankungen im Abstand, dann hatten sich die Flugzeuge aufeinander eingespielt. Als ob sie nur ein einziger Körper wären, brausten sie durch den Äther dahin.

Ein feines Drahtseil, an dessen Ende eine schwere Bleikugel hing, senkte sich aus dem Rumpf von ›St‹ hinab. Länger und länger wurde es. Jetzt pendelte die Kugel dicht neben der ›Seeschwalbe‹, jetzt konnte Bert Röge sie greifen und mit ihr das untere Ende des Seiles in den Rumpf der ›Seeschwalbe‹ hineinziehen. Während er zog, quoll es dicker aus dem Leib des Stratosphärenschiffes. Ein starker Füllschlauch glitt an dem Drahtseil, das nun die beiden Flugzeuge fest verband, hinab. Ein paar Handgriffe von Röge, ein Winken seiner Rechten nach oben. Dort schraubte Berkoff ein Ventil auf. In breitem Strahl ergoß sich der Treibstoff aus den Tanks des Stratosphärenschiffes durch den Schlauch in die Behälter der ›Seeschwalbe‹.

Eine Viertelstunde blieben die beiden Flugzeuge so verbunden, während das eine aus den Adern des anderen neue Kraft sog. Dann war die Treibstoffübernahme in der Luft vollendet, die Verbindung wurde wieder gelöst.

In einer weiten Kurve drehte ›St 1‹ nach Südost zurück, während die ›Seeschwalbe‹ allein nach Nordwesten weiterjagte.

Der deutsche Tankwart in Haifa rieb sich die Augen, als das Stratosphärenschiff zum zweiten Male bei ihm wasserte und sich die Tanks von neuem vollaufen ließ, doch weder aus Wolf Hansen noch aus Georg Berkoff konnte er eine Erklärung herausholen. Als das Stratosphärenschiff schon wieder am Nordwesthorizont verschwunden war, zerbrach er sich noch den Kopf darüber, wie es in so kurzer Zeit fünf Tonnen besten Treibstoffes verbrauchen konnte.

Seine Verwunderung wurde nicht geringer, als das Stratosphärenschiff eine Stunde später schon wieder erschien. Diesmal fuhr er selbst mit der Barkasse zu dem Flugschiff hin und mußte dabei eine Entdeckung machen, die ihn für den Rest des Tages vollkommen aus seinem seelischen Gleichgewicht brachte.

Es waren auf einmal ganz andere Leute in diesem verrückten Stratosphärenschiff als vorher. Ein energischer dicker Herr, der sich als Pilot Kraus vorstellte, verlangte Treibstoff.

»Aber Sie haben doch erst . . . Sie haben doch sogar schon zweimal . . . heute morgen . . .« stammelte der Tankwart.

»Sie irren sich, mein Lieber«, erwiderte Kraus, »›St 1‹ und ›St 2‹ haben vielleicht. Wir sind ›St 3‹, das dritte Stratosphärenschiff der Eggerth-Werke.«

Auf diese Erklärung hatte der Tankwart keine Entgegnung mehr. Schweigend sah er zu, wie sich auch ›St 3‹ acht Kubikmeter Treibstoff in die Behälter pumpen ließ und danach auf Nordwestkurs davonstürmte. –

In New York trafen während der vierten Nacht des Rennens nur spärliche Nachrichten ein. Fast drei Stunden waren seit jener letzten Meldung verstrichen, daß der ›Eagle‹ den Äquator passiert habe. Schon rötete der Morgenschein des jungen Tages die Gipfel der Wolkenkratzer, als der Sender von Radio-City wieder zu funken begann.

»Privatmeldung aus Gleiwitz, Deutschland. Die ›Seeschwalbe‹ soll um 5 Uhr 30 morgens nach New Yorker Zeit über der Stadt gesehen worden sein. Amtliche Bestätigung fehlt. Vom Flugzeug liegt kein Funkspruch vor.«

Aus eigenem fügte der amerikanische Sender noch hinzu, daß die Strecke von Gleiwitz bis zur Schreckensbucht noch 3300 Kilometer betrüge. Auf das Publikum wirkte die Nachricht im ersten Moment wie ein Keulenschlag. Der ›Eagle‹, um dessen Sieg soviel amerikanische Herzen zitterten, noch über dem Indischen Ozean . . . noch beinahe 5000 Kilometer von seinem Ziel entfernt . . . das deutsche Flugzeug schon wieder über Deutschland . . . Geographie war niemals die starke Seite der New Yorker . . . Deutschland und die Schreckensbucht, das lag nach der allgemeinen Volksmeinung schon verteufelt nahe beieinander.

Vereinzelt kamen während der nächsten Zeit Funksprüche von den Engländern und Italienern. Die letzte Fisher-Ferguson-Maschine, die noch im Rennen lag, hatte im Hafen Port of Spain auf Trinidad zu einer Motorreparatur niedergehen müssen. Es war noch unbestimmt, wie lange die Wiederherstellungsarbeiten dauern würden. Für den Preis kam das englische Flugzeug danach kaum mehr in Betracht. Die drei italienischen Maschinen hielten sich tapfer und hatten den afrikanischen Kontinent inzwischen erreicht. Aber die Zeitverluste über dem Indischen Ozean hatten ihre Durchschnittsgeschwindigkeit auf 398 Stundenkilometer herabgesetzt. Die ›Seeschwalbe‹ lag jetzt mit einem erheblichen Vorsprung vor ihnen im Rennen. Für die Volksmenge in New York war es jetzt schon eine ausgemachte Sache, daß das Rennen nur noch zwischen dem ›Eagle‹ und der ›Seeschwalbe‹ lag. Zweifelhaft blieb, wie es zwischen denen ausgehen würde. Ob es der amerikanischen Maschine gelingen könnte, dank ihrer an sich höheren Geschwindigkeit den Vorsprung der ›Seeschwalbe‹ vor dem Ziel noch aufzuholen.

Während die Zeit vorrückte, stieg die Spannung von Minute zu Minute. Da endlich kurz nach acht Uhr morgens ein neuer Funkspruch des Reading-Senders: »Salang auf Malaka, Hinterindien. ›Eagle‹ acht Uhr morgens nach amerikanischer Ostzeit gewassert. Durchschnittliche Geschwindigkeit während der letzten Stunden 500 Kilometer. Reststrecke Malaka–Manila 2500 Kilometer.«

Unendlicher Jubel brauste durch die Straßen der Hudson-Metropole. Der ›Eagle‹ . . . der unüberwindliche Eagle hatte seine alte Stundengeschwindigkeit wieder erlangt. Nur noch 2550 Kilometer waren es bis zum Ziel, dem Flugplatz von Manila. In fünf Stunden konnte er sie schaffen, wenn er die wiedergewonnene Schnelligkeit beibehielt.

Noch dröhnte der Jubel der begeisterten Menge durch die Straßen, als die Lautsprecher eine neue Nachricht herausschrien:

»Privatmeldung aus Stavanger, Norwegen. Ein deutsches Flugzeug, vermutlich die ›Seeschwalbe‹, hat vor acht Uhr morgens nach New Yorker Zeit die skandinavische Küste mit Kurs auf die Färöer verlassen. Vom Flugzeug selbst keine Funkmeldung.«

Auch hier machte der Sender einen Zusatz, daß es von Stavanger nach der Schreckensbucht noch 2000 Kilometer weit sei. –

An vielen Hunderttausenden von Lautsprechern vernahmen Millionen von Menschen auf dem ganzen Erdball die beiden letzten Funkmeldungen.

Nach mitteleuropäischer Zeit war es nach zwei Uhr mittags, als Professor Eggerth sie mit Oberingenieur Vollmar in seinem Arbeitszimmer in Bitterfeld abhörte. Vollmar rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Der Professor arbeitete mit dem Rechenschieber und warf Zahlen auf ein Blatt Papier.

»Was ist Vollmar? Haben Sie was auf dem Herzen?«

»Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Herr Professor?«

»Bitte, lieber Vollmar, sprechen Sie.«

»Ich möchte raten, ›St 1‹ einzusetzen.«

»Ich sehe keinen Grund dafür. Unsere ›Seeschwalbe‹ wird das Rennen machen.«

»Vielleicht . . . vielleicht auch nicht, Herr Professor. Das wird noch ein scharfes Rennen. Es geht hart auf hart.«

Professor Eggerth griff nach dem Papierblatt.

»Ich sehe vorläufig keinen Grund, ›St‹ einzusetzen. Der ›Eagle‹ hat noch 2500 Kilometer zu machen. Selbst wenn er seine alte Geschwindigkeit beibehält, braucht er fünf Stunden dafür. Die ›Seeschwalbe‹ hat noch 2000 Kilometer vor sich. Mit 420 Stundenkilometer kann sie sie in vier Stunden 45 Minuten schaffen. Sie wird das Ziel 15 Minuten vor dem ›Eagle‹ erreichen.«

Oberingenieur Vollmar erhob sich. Er war mit der Entscheidung des Professors nicht einverstanden.

»Auf jeden Fall, Herr Professor, möchte ich an ›St 1‹ höchste Alarmbereitschaft funken.«

»Das können Sie tun, Herr Vollmar, aber erinnern Sie Hansen bei der Gelegenheit noch einmal sehr deutlich an seine Instruktion.« –

Zwischen Island und den Färöer zogen ›St 1‹ und ›St 3‹ auf Nordwestkurs dahin.

»Ein nervös machendes Leichenwagentempo!« sagte Hansen verdrießlich zu Berkoff.

»Hilft nichts, Wölfchen. Die Instruktion verlangt, daß wir der ›Seeschwalbe‹ in der Kielluft folgen sollen. Ergo dürfen wir nur 440 Stundenkilometer machen.«

Der Unmut Hansens war nicht ganz unberechtigt. In der Stratosphäre zwischen 12–14 Kilometern Höhe hätte das Flugschiff mit dem gleichen Brennstoffaufwand bequem 1000 bis 1300 Stundenkilometer gemacht. Aber in diesen Höhen hätte es auch so schnell fliegen müssen. Bei einem Tempo von 440 Stundenkilometer wäre es in der so stark verdünnten Luft jener Höhen leicht durchgesackt. Nur wenn es mit der hohen Geschwindigkeit ständig Kreise abflog, hätte es sich in der Nähe der ›Seeschwalbe‹ halten können.

In Kenntnis dieser Tatsache hatte Professor Eggerth in seine Segelanweisung den nach Hansens Meinung niederträchtigen Passus gesetzt, daß die Stratosphärenschiffe vom 60. Grad nördlicher Breite an der ›Seeschwalbe‹ in der Kielluft zu folgen hätten. Das hieß in der gleichen Höhe wie die ›Seeschwalbe‹ fliegen, hieß infolge der hier herrschenden dichteren Luft auch notgedrungen langsamer fliegen, und das langsame Fliegen machte Wolf Hansen nervös.

»Möchte wohl wissen, wie der Alte zu der blödsinnigen Anweisung gekommen ist?« brummte er ärgerlich vor sich hin.

Der Alte in Bitterfeld aber wußte sehr genau, warum er gerade diese Anweisung gegeben hatte. Er kannte die jungen ehrgeizigen Piloten seiner Stratosphärenschiffe gut genug. Zu groß wäre für sie die Versuchung gewesen, jetzt mit Höchstgeschwindigkeit auf die Schreckensbucht vorzustoßen und schon lange vor der ›Seeschwalbe‹ dort niederzugehen. Gerade das sollte seine Anweisung verhindern, über die in diesen Stunden an Bord von ›St 3‹ Petersen und Kraus nicht weniger schimpften wie Hansen in ›St 1‹.

Berkoff griff zum Schreibblock und stenographierte die Worte mit, die Oberingenieur Vollmar in Bitterfeld in die Morsetaste hämmerte.

»Da hast du's noch mal schriftlich«, sagte er und hielt Hansen das Papier vor die Nase. »Nur im äußersten Notfalle vor der ›Seeschwalbe‹ in der Schreckensbucht wassern. Er hat sich's nun mal in den Kopf gesetzt, daß die ›Seeschwalbe‹ das Rennen machen soll.«

»In Gottes Namen ja!« knurrte Hansen. »Funke nach Bitterfeld zurück, daß wir uns natürlich an ihre Vorschriften halten.« –

Während dies Gespräch an Bord von ›St 1‹ geführt wurde, überflogen die drei Maschinen der Eggerth-Werke bereits Island. An mehr als einer Stelle wurden sie beobachtet, und bald darauf begann der dänische Sender von Reykjavik zu funken. Ungefähr zur gleichen Zeit, zu der auch der französische Sender von Saigon in Annam eine Meldung an die amerikanische Station in Radio City weitergab. Fast gleichzeitig wurden die beiden Funksprüche in New York aufgenommen und auf die Lautsprecher weitergegeben.

»Reykjavik, Island, 11 Uhr 20 amerikanische Ostzeit. Drei Flugzeuge mit Kurs zur Schreckensbucht über der Insel. Vermutlich ›Seeschwalbe‹ und Stratosphärenschiffe dabei!«

Die Meldung aus Saigon lautete:

»Cap Varella, Annam, 11 Uhr 10 amerikanische Ostzeit, ›Eagle‹ verläßt mit Kurs auf Manila das Festland.«

 


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