Hans Dominik
Der Wettflug der Nationen
Hans Dominik

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Der Startschuß fällt

Mitte Juli tagte das Kuratorium wieder einmal vollzählig.

»Uff, Gentlemen!« stöhnte der dicke Henrik Juve und fuhr sich mit einem rotseidenen Taschentuch von achtunggebietenden Dimensionen über die Stirn. »Ist ja mal wieder eine Bullenhitze in unserem alten New York. Kalkuliere, heute haben wir draußen wenigstens hundert Grad im Schatten. War eine glänzende Idee vom seligen Morgan, daß er das ganze Reading-Haus für elektrische Kühlung einrichten ließ. Immer schön gleichmäßig achtundsechzig Grad Fahrenheit, egal wie warm oder kalt es draußen ist. Heut mag die Sitzung meinetwegen lange dauern, hier läßt sich's aushalten.«

»Wird auch wahrscheinlich der Fall sein«, sagte Präsident Stangland, »die Tagesordnung ist ziemlich lang.«

»Gentlemen«, eröffnete John Sharp die Sitzung, »zu Punkt eins der Tagesordnung möchte ich Sie über die Maßnahmen orientieren, die wir für die Sicherung unserer eigenen Route treffen wollen und zum Teil schon getroffen haben. Wie Sie wissen, starten wir von Manila nach Osten.« Bei diesen Worten deutete er auf den großen Globus, der mit einem Netz verschiedenfarbiger Schnüre bespannt und mit zahlreichen Flaggen der konkurrierenden Nationen besteckt war. »Im Stillen Ozean legen wir Brennstoffdepots in Asuncion, Wake und Hawai sowie auf den Gallego- und Galapagos-Inseln an. Außerdem wird die Regierung drei Kreuzer unserer Pazific-Flotte auf diesem Teil der Flugstrecke stationieren. In Payta, an der peruanischen Küste, wo sich unsere Strecke mit der englischen kreuzt, in Cruz do Sul und Santa Madueira in Brasilien liegen die nächsten Landdepots.

Danach kommt der Kontrollpunkt. Ich berichtete Ihnen bereits, daß er betriebsfertig ist. Während der letzten Monate hat sich dort nichts von Belang ereignet. Die Indianer sind aus der Nachbarschaft vollkommen verschwunden. Zwischen dem Kontrollpunkt und Porto Alegre legen wir zwei Brennstoffdepots auf brasilianischem Gebiet in größeren Siedlungen an. Sie können die Einzelheiten auf dem Globus sehen. Auf dem weiteren Wege über den Süd-Atlantik berührt unsere Route nur die Insel Trinidad, auf der wir selbstverständlich ein Depot haben. Auf der restlichen Wasserstrecke bis zur Walfisch-Bay, die immerhin fast fünftausend Kilometer lang ist, werden drei Kreuzer unserer Atlantik-Flotte patrouillieren. Der Sicherheit halber haben wir auch ein Depot auf Sankt Helena vorgesehen, doch dürfte es nur im dringendsten Falle benutzt werden, da es fast tausend Kilometer aus dem Wege liegt. Die afrikanische Landstrecke von der Walfisch-Bay bis Moçambique ist mit zwei Zwischenstationen ausgerüstet. Es kommt danach die Wasserstrecke über den Indischen Ozean. Hier sind Brennstoffdepots auf Madagaskar, den Tschagos-Inseln und Atschin auf der Nordspitze Sumatras vorgesehen. Für alle Fälle sollen auch zwei Kreuzer unserer Philippinen-Flotte auf dieser Strecke und weiter ein Kreuzer im südchinesischen Meer patrouillieren . . .«

Während John Sharp sprach, waren die meisten seiner Zuhörer an den Globus getreten und verfolgten dort seine Ausführungen. Die blau-rot-weiße Schnur, welche die amerikanische Route markierte, war nicht zu übersehen und die kleinen Sternenbanner an den einzelnen Brennstoffdepots machten es leicht, die von Sharp genannten Orte zu finden.

»Ich glaube, Gentlemen«, fuhr er fort, »wir haben, von unserer Regierung aufs beste unterstützt, alles Erdenkliche für die Sicherheit unserer Piloten und Flugzeuge getan. Unsere Route vermeidet, ich darf wohl sagen recht geschickt, alle Gegenden mit ungünstigen Witterungsverhältnissen, wie beispielsweise die Fundlandsbänke. Wirkliche Gefahrpunkte kann ich auf der ganzen Strecke nirgends entdecken. Gleichviel, ob unser Volk den Preis gewinnt oder nicht, glaube ich die sichere Hoffnung aussprechen zu dürfen, daß uns der Wettflug keine Menschenleben kosten wird . . .«

Cheers und Händeklatschen der Anwesenden begleiteten seine letzten Worte und steigerten sich noch, als er schloß: »Ich hoffe aber auch, daß Piloten und Maschinen unseres Landes den Preis erringen werden.«

Es dauerte geraume Zeit, bis der dröhnende Beifall nachließ und noch viel länger, bis John Sharp weitersprechen konnte. Fragen und Antworten schwirrten durch den Raum, und die Person Frank Kellys war Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. War etwas Wahres an den Gerüchten, die sich schon seit Wochen mit einer seltenen Hartnäckigkeit erhielten? Bereiteten die Reading-Werke in Bay City einen ganz großen Schlag vor, durch den der Reading-Preis an den Reading-Konzern fallen würde? Die Antwort Kellys auf alle diese Fragen war sehr allgemein gehalten. ›Selbstverständlich würden die Reading-Werke ihr Bestes tun, um den Preis zu gewinnen.‹ Aber das vielsagende Lächeln, mit dem er diese Auskunft gab, ließ vermuten, daß doch etwas an den Gerüchten war, daß man sich auf erfreuliche Überraschungen gefaßt machen durfte.

»Warum spielen Sie den Geheimnisvollen, Kelly?« rief Juve. »Wir gehören doch zum Bau. Vor uns können Sie Ihre Trümpfe offen auf den Tisch legen.«

»Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, Juve, als ich schon gesagt habe. Die Reading-Werke werden mit zwei Maschinen in das Rennen gehen, die alles, was wir früher herausgebracht haben, an Schnelligkeit und Betriebssicherheit weit hinter sich lassen.«

»Haben wir also sichere Aussichten, den Preis zu gewinnen?«

Frank Kelly zuckte die Achseln.

»Das hängt von der Konkurrenz ab. Wenn andere ebenso zuverlässige noch schnellere Maschinen ins Rennen schicken, dann« . . . er machte eine zweifelnde Handbewegung.

»Meinen Sie die Deutschen, Kelly? Glauben Sie, daß die Eggerth-Werke das etwa könnten?«

Mit einigem Zögern antwortete Kelly: »Das glaube ich nicht, Juve. Wenigstens bis jetzt nicht. Nach den letzten Berichten unserer Agenten sind die Eggerth-Maschinen um achtzig Stundenkilometer langsamer als unsere.«

»Hurra, Kelly!« Der dicke Juve sprang auf und vollführte einen Freudentanz. »Die Eggerth-Maschinen sind langsamer als unsere! Mir fällt ein Stein vom Herzen, Kelly. Das sind die einzigen Konkurrenten, die ich wirklich fürchte. Jetzt glaube ich bestimmt, daß wir das Rennen machen werden.«

Frank Kelly schüttelte den Kopf. »Triumphieren Sie nicht zu früh, Juve. Es wohnen auch noch andere Leute hinter den Bergen. Die Engländer, Franzosen und Italiener sind nicht zu verachtende Gegner.«

»Ich hörte, Gentlemen«, mischte sich John Sharp in das Gespräch, »daß in England nach der Katastrophe von Fisher & Ferguson große Entmutigung herrschen soll.« Kelly nickte ihm zu.

»Das stimmt bis zu einem gewissen Grade, Mr. Sharp. Fisher & Ferguson haben eingesehen, daß ihre Konstruktion ausschiebbarer Schwingen für einen Wettbewerb von der Größe des Reading-Rennens noch nicht genügend betriebssicher ist. Aber auch mit ihren anderen Maschinen bleiben sie gefährliche Konkurrenten. Was unsere Vertreter über die letzten Leistungen der Gamma-Romea-Maschinen aus Italien melden, ist auch nicht auf die leichte Achsel zu nehmen. Das eine kann ich Ihnen jedenfalls schon heut sagen. Dieses Rennen wird das schwerste und schärfste werden, das es seit der Erfindung des Flugzeuges jemals gegeben hat. Gewinnen kann es wirklich nur der beste Mann auf der besten Maschine, wie es Morgan Reading wollte.«

Dahl Juve schlug ihn auf die Schulter. »Ich bin sicher, Kelly, die Reading-Werke werden diese beste Maschine und den dazugehörigen besten Mann stellen. Wir werden den Preis selber gewinnen, und dann bleibt in unserm Konzern Gott sei Dank alles beim alten.

Wirklich, meine Herren, ich muß es offen sagen, die Unsicherheit, in der wir nun schon seit mehr als acht Monaten leben, geht mir nachgerade an die Nerven. Der Gedanke, daß hier vielleicht in kurzer Zeit Fremde zu befehlen haben könnten, wirkt nicht gerade ersprießlich auf die Führung der Geschäfte.«

»Ich glaube, Sie befinden sich da in einem Irrtum«, unterbrach ihn John Sharp. »Auch wenn die Reading-Werke in Bay City den Preis gewinnen, würde nicht alles beim alten bleiben.«

»Wie meinen Sie das, Sharp?« fragte Juve verwundert.

»Das meine ich so. Wenn die Reading-Werke den Preis gewinnen, werden sie nach dem Wortlaut des Testaments Besitzer des ganzen Konzernvermögens. Mr. Kelly wäre dann unser Generaldirektor. Das Kuratorium hätte ihn nur darauf zu kontrollieren, ob er das Vermögen im Sinne des Erblassers verwendet.«

Frank Kelly machte eine abwehrende Bewegung. »Ich bitte Sie, meine Herren, wir wollen doch das Fell des Bären nicht verteilen, bevor wir ihn erlegt haben.«

»Sie haben recht«, stimmte ihm Sharp bei. »Kehren wir lieber zu unserer Tagesordnung zurück. Es ist am besten, wir gehen wieder zu dem Globus. An den gespannten Schnüren können Sie am bequemsten die Routen der verschiedenen Teilnehmer verfolgen. Die Fluglinien liegen jetzt zum größten Teil fest.

Sehen Sie hier die englische Linie. Sie läuft von Gibraltar über das Mittelmeer nach Jaffa und Jerusalem, dann weiter südlich von Maskat über die Nordostecke Arabiens. Danach überschneidet sie die Südspitze von Vorderindien, geht über die Kokos-Inseln und trifft den australischen Kontinent bei der Stadt Onslow. Sie verläßt ihn wieder bei Sidney, um in Neuseeland den Kontrollpunkt zu erreichen. Die zweite Hälfte des englischen Fluges geht über die Oster-Insel nach Payta in Peru, das auch von unserer Route berührt wird, über dem Orinoco-Delta verläßt sie das amerikanische Festland und führt über den Atlantik nach Gibraltar zurück.

Da die französischen Start- und Kontrollpunkte den englischen verhältnismäßig nahe liegen, haben sich die Franzosen zu einem Entschluß aufgerafft, den man bei der ewigen Eifersüchtelei der beiden Nationen kaum erwarten konnte. Sie haben ihre ganze Fluglinie möglichst dicht an die englische herangebracht, so daß zum Teil eine gemeinsame Etappenorganisation möglich wird. Wie sie hier auf dem Globus sehen, verlaufen die englische und französische Route fast parallel, auf einer größeren Teilstrecke sogar in einem Abstand von noch nicht 100 Kilometern.«

Kelly schüttelte den Kopf.

»Was würde wohl Morgan Reading zu diesem Abkommen sagen, Sharp? Der meinte immer, zwei Konkurrenten auf demselben Weg, das täte niemals gut.«

»Soll nicht unsere Sorge sein«, rief Juve, »wie die Herrschaften dabei fahren oder richtiger gesagt fliegen werden.«

»Immerhin dürfte das Rennen zwischen England und Frankreich verteufelt scharf werden«, warf Kelly mit einem Blick auf den Globus ein. »Beide werden im Moment des Startschusses nach Osten abfliegen. Marseille liegt fast tausend Kilometer östlicher als Gibraltar. Sobald der Engländer auf dem langen Wege den Franzosen einholt, hat der das Rennen eigentlich schon verloren . . . steht zum mindesten in Gefahr es zu verlieren, wenn er seinen Vorsprung nicht zurückgewinnt. Ich glaube, Gentlemen, da dürfen wir uns auf ein spannendes Duell zwischen England und Frankreich gefaßt machen.«

Noch lange Zeit standen die Mitglieder des Kuratoriums um den großen Globus herum, auf dem ihnen John Sharp die Fluglinien der übrigen Konkurrenten erläuterte. Den russischen Flug, der von Udinsk in südwestlicher Richtung über Gibraltar und die Ostküste von Brasilien zum Kontrollpunkt in Patagonien gehen sollte. Die deutsche Strecke, die von der Schreckensbucht nach Südwesten über Baffinsland und Los Angeles führte, um den Kontrollpunkt nach einem langen Flug über den Stillen Ozean zu erreichen. Auch der deutsche Rückflug enthielt eine lange Seestrecke bis zum Golf von Aden. Die Route lief dann über Arabien, Kleinasien und das Schwarze Meer zur Schreckensbucht zurück.

»Etwas viel Geographie heute«, stöhnte Dahl Juve und fächelte sich die Stirn mit seinem rotseidenen Tuch. »Schlimmer war's auf der Schule auch nicht, Sharp. Sind Sie bald fertig mit Ihrem Segen?«

»Nur noch die japanische Strecke, Juve, dann sind Sie erlöst«, beruhigte ihn Sharp, »über diese Strecke brauche ich nicht viel zu sagen. Ähnlich wie die englischen und französischen liegen auch die japanischen und unsere eigenen Kontrollpunkte dicht zusammen, und die Japaner haben sich eine Strecke gesucht, die von unserer nicht sehr entfernt liegt. Wir haben aber dafür gesorgt, daß sie uns nicht allzu dicht auf den Leib rücken. Im allgemeinen bleiben die beiden Strecken doch fast tausend Kilometer auseinander. Daß sie zwei Schnittpunkte haben, den einen in Hawai, den anderen an der Ostküste Südafrikas, läßt sich ja nach den Gesetzen der Geometrie nicht vermeiden.«

Mit der Bekanntgabe der japanischen Strecke war die Tagesordnung erschöpft.

»Verflucht viel Land auf diesem Globus! Viel zu wenig davon amerikanisch!« brummte Juve, als er mit den anderen aufbrach. –

John Sharp kehrte in sein Arbeitszimmer zurück, um sich den laufenden Geschäften des Kuratoriums zu widmen, über einen Mangel an Tätigkeit brauchte er sich dabei nicht zu beklagen. Jede neue Post brachte bündelweise Korrespondenz, die das Rennen betraf. Fast unaufhörlich arbeiteten die Morseapparate im Hause, ständig war er genötigt, wichtige Entscheidungen zu treffen.

Eben legte ein Boy ein Radiogramm von der amerikanischen Kontrollstation am Juruena vor ihn hin. Er überflog es und runzelte die Stirn. Herr des Himmels, was hatten die Leute in ihrer Wildnis alles für Wünsche und Bedürfnisse. Da hatte er früher einmal gedacht, im Urwald können die ja Gott sei Dank nichts ausgeben, und jetzt lief die Sache doch höllisch ins Geld. Er griff zum Telephon, um mit Mr. Jefferson, einem der Leiter der First Saving Bank die Finanzdispositionen zu besprechen. Nach wenigen Sekunden war er mit dem verbunden, aber das Gespräch verlief anders, als er gedacht.

»Oh, Mr. Sharp, freut mich Ihre Stimme zu hören. Sind Sie wohlauf? Ich glaubte, Sie wären ernstlich erkrankt.«

»Was meinen Sie, Jefferson? Ich krank? Ich denke gar nicht daran. Wie kommen Sie zu der Vermutung?«

»So . . . Sharp . . . Sie waren gar nicht krank? . . . Hm . . . hm . . . das ist ja merkwürdig . . . recht merkwürdig . . .«

»Sagen Sie mal, Jefferson«, unterbrach ihn Sharp ärgerlich, »haben Sie etwa selber unter der augenblicklichen Hitze gelitten? Wie kommen Sie denn auf die Idee?«

»Deshalb Sharp, weil vor zwei Stunden ein Bevollmächtigter von Ihnen hier war, um etwas aus Ihrem Safe zu holen. Er sagte uns, Sie wären erkrankt, könnten nicht selber kommen.«

»Was, Jefferson, mein Bevollmächtigter? . . . War an meinem Safe? Hören Sie mal, das können wir hier am Telephon nicht erledigen. Ich fahre sofort zu Ihnen.« –

Eine Viertelstunde später saß Sharp in der First Saving Bank. Mit Staunen und wachsender Besorgnis hörte er, was da geschehen war. Um die gleiche Zeit, zu der er mit den Mitgliedern des Kuratoriums die Sitzung abhielt, war ein Herr in der Bank erschienen, der sich durch ein ordnungsgemäßes Dokument und außerdem durch die Kenntnis des Paßwortes und den Besitz des Safeschlüssels einwandfrei als der Bevollmächtigte von John Sharp auswies . . .

»Durch den Besitz des Schlüssels?« Sharp fuhr in die Tasche und holte ein Bund heraus. »Hier ist mein Safeschlüssel. Ich habe ihn niemals aus der Hand gegeben.«

Jefferson pfiff leise vor sich hin. »Dann müßte man annehmen, daß noch ein zweiter Schlüssel existiert, denn der Mann ist unten in der Stahlkammer gewesen und hat Ihren Safe aufgeschlossen.« John Sharp sprang auf. »Ist mir ganz unbegreiflich! Was hat der Mensch da zu suchen gehabt? Wertgegenstände im eigentlichen Sinne habe ich in meinem Safe nicht. Bevor wir weiterreden, Jefferson, muß ich erst selber in die Kammer gehen und nachsehen, was genommen wurde.«

In Begleitung des Direktors fuhr er zu den Kellergewölben hinab. Derselbe Beamte, der vor zwei Stunden den Mann mit der Vollmacht bedient hatte, geleitete ihn in den Saferaum. Gleichzeitig steckten Sharp und der Beamte ihre Schlüssel in die Stahltür. Das Schloß sprang auf, Sharp griff nach der Blechkassette, die in dem Safe stand, und ging mit ihr zu einem Tischchen. »Bleiben Sie nur hier«, sagte er zu dem Bankbeamten, der sich diskret zurückziehen wollte. »Ich habe keine Geheimnisse hier drin.«

In der Kassette lag etwa ein halbes Dutzend Mappen. John Sharp nahm eine nach der anderen heraus. Sie enthielten, wie die Aufschriften auf den Deckeln zeigten, lediglich Privatpapiere. Da in der ersten sein Vertrag mit dem Reading-Konzern, seine Ernennung zum Testamentsvollstrecker und seine Bestallung als Kurator. Dann weiter seine Abmachungen mit den verschiedenen Gesellschaften des Konzerns, in deren Aufsichtsrat er saß. Die nächste Mappe enthielt Familienpapiere, die dritte Aufzeichnungen über sein Vermögen und so ging es bis zur letzten weiter.

Sorgfältig durchblätterte er Mappe um Mappe, und konnte bald feststellen, daß kein Schriftstück, nicht einmal ein einzelnes Blatt fehlte. Kopfschüttelnd band er die Mappen wieder zu. Die Kassette war leer. Auf ihrem Boden lagen nur noch ein paar Kleinigkeiten. Ein billiges silbernes Medaillon, ein Erbstück seiner Mutter, das er hier verwahrte, ein paar verblaßte Photographien und ein kleiner stählerner Schlüssel . . . er erinnerte sich jetzt, das war der dritte Schlüssel zu dem Tresor im Reading-Haus, in dem die Konstruktionspläne lagerten.

Kopfschüttelnd nahm er die einzelnen Gegenstände in die Hand. Immer unlöslicher wurde das Rätsel. Hatte der mysteriöse Unbekannte hier in seinem Privatsafe Kostbarkeiten vermutet und war enttäuscht wieder abgezogen, als er sie nicht fand . . . oder was sonst war der Grund für dies unerklärliche Unternehmen? . . .

Langsam packte er die verschiedenen Gegenstände wieder in die Kassette und stellte sie in den Safe zurück. Der Bankbeamte sah ihn fragend an. Sharp zuckte die Achseln. »Es fehlt nichts. Es fehlt absolut nichts. Ich habe keine Erklärung für das Ganze. Sie haben doch mit dem Manne gesprochen. Was war das für ein Mensch? . . . Ich meine, war irgend etwas Auffallendes an ihm, was uns helfen könnte, ihn zu fassen?«

Der Beamte schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte, Mr. Sharp. Der Herr sah aus, wie hundert andere auch, denen man auf dem Broadway oder im Central-Park begegnet . . .«

»Damit kommen wir nicht weiter«, unterbrach ihn Sharp ungeduldig, »ich meine, hatte er irgend etwas Besonderes an seiner Kleidung oder in seiner Sprache?«

»Kleidung . . . nein, Sir, das war die richtige amerikanische Kleidung . . . aber seine Sprache . . . ein geborener Amerikaner war's bestimmt nicht. Auch kein Kanadier oder Engländer. Er sprach mit einem fremden Akzent . . . ein Dutchman oder ein Dago war's aber auch nicht. Eher etwas Polnisches oder Russisches. Ich kenne hier ein paar russische Emigranten. So ähnlich wie die hat der Herr auch gesprochen.«

Mißmutig brach John Sharp die Unterhaltung ab. Er verließ das Bankgebäude, nachdem er den strikten Auftrag gegeben hatte, jeden Menschen, der noch einmal mit einer Vollmacht zu seinem Safe wollte, sofort verhaften zu lassen. Doch die Gelegenheit dazu sollte sich nicht bieten. Es blieb bei diesem einmaligen Vorkommnis. –

In einer kleinen Werkstatt oben im nördlichen New York am Harlem River sahen Tredjakoff und Bunnin Perow interessiert bei seiner Arbeit zu. Er betätigte sich fachkundig mit Schleifscheiben und Mikrometermaßen, bis er Tredjakoff einen blinkenden Stahlschlüssel in die Hand legen konnte, den dritten Schlüssel zum Reading-Tresor.

*

Der Flugzeugschlosser Schulze 3 – oder wie in seinem richtigen französischen Paß zu lesen stand Ingenieur Jacques Philippe Beumelé de Strasbourg – hatte bei allem Pech doch noch einiges Glück entwickelt. Wie ein gehetztes Wild war er damals nach seinem Ausbruch aus dem Sicherheitsraum der Eggerth-Werke querfeldein in der Richtung auf die Stadt davongelaufen.

Im Schutze der ersten Häuser blieb er keuchend stehen. Was sollte er tun? So wie er hier ging und stand, in der schmierigen Werkstattskleidung, ohne nennenswerte Geldmittel in der Tasche war eine sofortige Flucht mit der Eisenbahn unmöglich. Er mußte erst zurück in seine Wohnung . . . aber die war in diesem Augenblick vielleicht schon von der Kriminalpolizei besetzt. Und selbst wenn das noch glückte, bestand nicht die andere Gefahr, daß er auch auf dem Bahnhof Polizeibeamten und Leuten aus dem Werk, die ihn genau kannten, in die Hände fiel?

Nur eine Möglichkeit sah er in diesem Dilemma. Den Mittelsmann der Japaner treffen, dem er an den vorhergehenden Abenden seine Skizzen übergeben hatte. Doch wie den finden? Bisher hatten sie sich jeden Abend um neun Uhr an einer Straßenecke der Innenstadt getroffen. Da würde der ihn auch heut wieder erwarten, aber bis dahin waren es noch acht Stunden. Würde es ihm möglich sein, sich so lange zu verbergen und unerkannt zu der verabredeten Stelle zu gelangen? Gelegenheiten, sich hier in dieser fast baumlosen eintönigen Gegend zu verstecken, gab es kaum.

Während er noch stand und alle Möglichkeiten überdachte, sah er ein starkes Auto auf der Landstraße von den Eggerth-Werken herkommen. Erschreckt duckte er sich hinter einen Zaun. Waren die aus dem Werk vielleicht schon mit Kraftwagen hinter ihm her? Dann standen die Dinge ja noch schlimmer für ihn als er bisher gefürchtet. Mit klopfendem Herzen beobachtete er durch eine Lücke zwischen den Zaunplanken den Wagen. Auffallend langsam fuhr der, nach einer Verfolgung sah das eigentlich nicht aus. Jetzt, noch etwa hundert Meter von dem Zaun entfernt, hielt der Wagen sogar. Behutsam beugte Monsieur Jacques Beumelé sich etwas vor, und was er da erblickte, ließ ihn noch schärfer hinschauen. Da stand ein Mann in dem Auto und beobachtete durch ein fernrohrartiges Instrument irgend etwas am Himmel.

Das Gehirn des Flüchtlings arbeitete fieberhaft. Was konnte der da mit dem Glas in der Höhe suchen? . . . ›St 1‹?! Das Stratosphärenflugzeug? . . . Das hätte er auf dem Flugplatz einfacher haben können. Also gehörte der Mann wohl nicht zu den Werken, ein Fremder . . . der hier auch spionierte? . . . Ein Spion? Das konnte ihm helfen. Nur die anständigen Leute und die Polizei hatte Monsieur Beumelé im Augenblick zu fürchten.

Der Mann im Auto hatte seine Beobachtungen beendet. Wie er das Instrument jetzt zusammenklappte, konnte der Flüchtling auch erkennen, daß es ein kompletter Höhenmesser war, ein Fernrohr in Verbindung mit einem Winkelkreis.

Langsam setzte sich der Wagen wieder in Bewegung, auf die Stadt zu. Jetzt oder nie! dachte Monsieur Beumelé, als das Gefährt an dem Zaun vorbeikam. Mochte es kommen wie es wollte, es war die einzige Möglichkeit einer Rettung. Mit einem Satz sprang er in den Weg und rief den Wageninsassen an. Der stutzte und hielt. Die große Autobrille wirkte wie eine Maske und machte sein Gesicht ziemlich unerkenntlich, aber der Klang der Stimme, die jetzt zu Beumelés Ohren drang, war dem wohlbekannt. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Das war ja der mysteriöse Herr Schmidt, jener Mittelsmann, an den er seine Skizzen weitergegeben hatte. In fliegender Hast erzählte er, was eben im Werk passiert, daß er selbst auf der Flucht und in größter Gefahr wäre. Ein Wink von Schmidt und er saß in dessen Wagen, der sofort mit großer Geschwindigkeit nach der Innenstadt fuhr. –

In Schmidts Wohnung erhielt Beumelé andere Kleidung und Reisegeld. Dann brachte ihn Schmidt im Kraftwagen nach Halle und setzte ihn dort in den Personenzug nach Frankfurt am Main mit dem gemessenen Befehl, den Zug schon in Offenbach zu verlassen und mit der Straßenbahn weiterzufahren. –

Die Frankfurter Adresse, die ihm Schmidt mitgegeben hatte, lautete auf ein Haus in der Bockenheimer Landstraße. Er suchte es auf und stand dem Japaner Kyushu gegenüber, der ihn in Straßburg angeworben hatte. Kyushu war über das Wiedersehen nicht besonders erfreut. Man hatte damals verabredet, daß Beumelé etwa vier Wochen in den Eggerth-Werken bleiben und das vollständige Konstruktionsmaterial von ›St 1‹ liefern solle. Das war nun mißlungen, die Möglichkeit, einen anderen Spion in das Werk hineinzuschmuggeln so gut wie ausgeschlossen. Dabei wußte der Straßburger schon zu viel über die japanische Flugzeugspionage in Deutschland; es war nicht mehr angängig, ihn ohne weiteres abzuschütteln. –

Die nächsten Tage blieb Beumelé im Hause in der Bockenheimer Landstraße. In dieser Zeit hatte er längere Unterredungen mit seinem Gastgeber, die sich vorzugsweise um Betriebsstoffe drehten. Die wirklich gediegenen Fachkenntnisse, die er dabei entwickelte, bestärkten Kyushu in der Auffassung, daß sein unfreiwilliger Gast doch noch vorteilhaft für die japanischen Pläne und Absichten zu verwenden wäre. –

Vierzehn Tage später wurde Herrn Yoshika in New York ein Besuch gemeldet. Die gedruckten Worte auf der Visitenkarte: Jacques Philippe Beumelé, Strasbourg, sagten ihm nicht viel, desto mehr aber die wenigen mit Bleistift in eine Ecke der Karte gekritzelten japanischen Buchstaben. Er ließ den Herrn sofort bitten und hatte eine Unterhaltung mit ihm, die merkwürdigerweise ebenfalls Betriebsstofffragen betraf.

Vor allen Dingen wünschte Herr Yoshika möglichst Genaues über das Aussehen und die äußere Beschaffenheit der von den Eggerth-Werken für ihre Flugzeugmotoren benutzten Treiböle zu wissen, und da konnte ihm Monsieur Beumelé von seiner früheren Tätigkeit als ›Schulze 3‹ her auch ganz gute Auskunft geben. So verlief diese Besprechung durchaus zur beiderseitigen Zufriedenheit, und zum Schluß konnte Monsieur Beumelé eine hübsche Anzahl Zehndollarnoten in seine Brieftasche stecken. Er verließ die Wohnung Yoshikas mit dem Auftrag, sich in der Nähe einzumieten und für die nächste Zeit zur Verfügung zu halten. –

Nordwestlich von New York, etwa fünfzehn Kilometer von der Stadt entfernt, liegt das Landstädtchen Hackensack. Hier hatten die Herren Yoshika und Hidetawa ein einzeln stehendes Landhaus gemietet, in dem sie auch unter anderem ein kleines Laboratorium unterhielten. Es sah nicht gerade verlockend in diesem Labor aus und roch auch nicht gut darin. Fettflecken aller Formen und Farben verrieten, daß hier mit Ölen gearbeitet wurde. Verschiedene Säureballons und ein gewisser an bittere Mandeln erinnernder Geruch deuteten darauf hin, daß man die Fette einer weiteren chemischen Behandlung unterzog. Wer sich mit diesen Arbeiten befaßte, war nicht zu ersehen, denn es befand sich niemand in dem Labor, als Yoshika und Hidetawa es an einem der ersten Tage des August in Gesellschaft des Monsieur Beumelé betraten. Auf einem Tisch war eine größere Anzahl gläserner Schalen aufgebaut und mit Treibölen in verschiedenen Färbungen gefüllt.

»Erinnern Sie sich bitte recht genau, Herr Beumelé«, sagte Hidetawa in deutscher Sprache, »es liegt uns sehr viel daran, genau den Farbenton des Eggerth-Öls zu treffen. Finden Sie hier in den Gläsern die richtige Farbe?«

Der Gefragte beschaute die Schalen lange und prüfte sie sorgfältig. Dann wies er auf zwei Gefäße.

»Diese beiden Öle hier, meine Herren. Dies tiefschwarze entspricht vollkommen dem Teeröl, das die Werke aus dem Rheinland beziehen, dies hellere hier einem Leuna-Öl, das sie außerdem verwenden.«

Yoshika ergriff die beiden Schalen und stellte sie auf einen anderen Tisch. »Sie irren sich bestimmt nicht?« fragte Hidetawa.

»Unter keinen Umständen. Je länger ich die Öle ansehe, um so sicherer werde ich meiner Sache.«

»Das genügt uns für heute, wir danken Ihnen. Unser Chauffeur wird Sie nach New York zurückbringen.«

Beumelé verließ den Raum. Die beiden Japaner blieben allein zurück.

»Sie glauben, Hidetawa, daß die Nitrierung der Öle die richtige ist?«

Hidetawa verzog das Gesicht zu einem maskenhaften Lächeln. »Ich habe nicht umsonst vier Semester Chemie in Deutschland gehört, Yoshika. Doch ich will es Ihnen gleich in der Explosionsbombe demonstrieren.«

Mit einem großen Schraubenschlüssel drehte er den Verschlußkopf eines bombenartigen Stahlgefäßes auf. Unter Benutzung eines Glastrichters goß er eine winzige Ölmenge aus der einen Schale hinein und schraubte danach den Verschluß wieder zu.

»Achten Sie auf das Manometer, Yoshika. Ich gebe Zündung.«

Während er es sagte, drückte er auf einen elektrischen Knopf. Einen Augenblick war's, als ob ein Ruck durch den schweren Stahlkörper der Bombe ging. Im gleichen Augenblick schnellte der Zeiger des Manometers auf 350 Atmosphären.

Der nickte beifällig. »Wir müssen natürlich mit einer beträchtlichen Verdünnung unseres Öles rechnen. Die Deutschen werden vielleicht schon tanken, wenn ihre Behälter noch halbvoll sind. Trotzdem, Hidetawa, ich glaube die Brisanz dieses Treibstoffes wird genügen. Auch bei der Verdünnung mit gewöhnlichem Öl wird der Explosionsdruck noch übermäßig stark sein. Die Motoren dürften dadurch nach wenigen Kilometern betriebsunfähig werden.«

»Das ist sicher. Es ist gut, daß die Eggerth-Maschinen Dieselmotoren haben. Bei einfachen Explosionsmotoren würden sie die Sache durch das Klopfen in den Zylindern zu schnell merken. So werden sie erst dahinter kommen, wenn es zu spät ist. Fragt sich nur noch, ob es uns gelingen wird, den Franzosen und unser Öl in die deutsche Etappe in Los Angeles hineinzubekommen.«

»Das lassen Sie meine Sorge sein, Hidetawa. Es ist alles bestens organisiert. Sie haben es ja selbst gehört, der Mann spricht deutsch wie ein Deutscher. Wir haben einen guten deutschen Paß für ihn besorgt und alles andere vorbereitet. Der Mann wird zur rechten Zeit auf seinem Posten in Los Angeles sein und nach unseren Weisungen arbeiten.«

Hidetawa zog die Uhr. »Ich denke, der Chauffeur muß bald zurück sein. Ich habe Sehnsucht nach dem Broadway und der Bowery. Es ist kein reines Vergnügen, hier wochenlang im Labor zu stecken.« Der Klang einer Hupe vor dem Hause zeigte, daß seine Vermutung richtig war. Yoshika und Hidetawa waren in recht zufriedener Stimmung, während der schnelle Wagen sie nach New York brachte. –

Viel weniger zufrieden waren die Herren Tredjakoff, Bunnin und Perow. Die hatten leider feststellen müssen, daß sie auch im Besitz der drei Tresorschlüssel noch recht weit von dem ersehnten Ziel entfernt waren. Durch einen Zufall hatten sie erfahren, daß schwere Zeitschlösser den Tresor im Reading-Hous dreiundzwanzig Stunden des Tages sperrten und nur für die Mittagszeit von eins bis zwei freigaben. Jeder Versuch, sich nachts mit den glücklich erbeuteten Nachschlüsseln an den Panzerschrank zu machen, wurde dadurch illusorisch. Sie hatten lange und vorläufig noch fruchtlose Beratungen, um einen Ausweg aus dieser fast hoffnungslosen Lage zu finden.

*

Seit den ersten Tagen des September hatten die Frontseiten aller Zeitungen der Welt nur noch Platz für das Reading-Rennen. Mochten sich noch so großartige Bankbrüche, noch so saftige Korruptionsskandale ereignen, mochten politische Neuordnungen ihren Urhebern noch so bedeutend erscheinen, sie wurden doch von den Redaktionen unerbittlich auf die zweite Seite geschoben, denn die Redakteure wußten genau, was ihre Leser verlangten. Die wollten nur täglich, stündlich und wenn der Rundfunk einsprang viertelstündlich das Neueste vom Kriegsschauplatz des Reading-Rennens erfahren. Dieser Schauplatz aber faßte die ganze Erde.

Fieberhaft wurden die Reisen der verschiedenen Teilnehmer zu ihren Startpunkten verfolgt und ihre Ankunft dort ausführlich beschrieben. Die Namen der amerikanischen Zeitnehmer, die das Kuratorium zu den Start- und Kontrollpunkten entsandte, waren jetzt mehr in aller Munde als diejenigen der berühmtesten Filmstars und Boxer. Fast schien eine weitere Steigerung der allgemeinen Spannung und Aufregung nicht mehr denkbar zu sein und doch ging die Kurve dieses Sensationsfiebers, von dem die ganze Welt befallen war, noch immer weiter in die Höhe. Am 18. September entschlossen sich die Rundfunkgesellschaften der Vereinigten Staaten zu einem permanenten Dienst, um ihren Hörern auch zu jeder Nachtstunde das Neueste bringen zu können. Am 19. folgten sämtliche europäischen Sendegesellschaften dem amerikanischen Beispiel. Die Zeitungen überboten sich in der Ausgabe von Extrablättern, um dem Funkdienst einigermaßen nachzukommen.

In Eisenbahnen und Autobussen hörte man von nichts anderem als dem Reading-Rennen. Wildfremde Menschen sprachen sich auf der Straße an und je nach dem Temperament der betreffenden war bald eine friedliche Debatte oder der schönste Streit im Gange. An den Börsen und in den Büros, gleichviel ob in Europa oder in Australien, erlitt die Abwicklung der Geschäfte empfindliche Störungen. Die Nachricht etwa von einem geringfügigen Rohrbruch an einer der englischen Maschinen wurde viel ernsthafter behandelt, als ein Umsatz von tausend Kuxen. Die Meldung, daß einer der italienischen Piloten sich den Daumen verstaucht habe, erregte viel größere Beunruhigung, als der Sturz des Weltpreises für Kupfer um fünf Punkte

Das Geschäft der Herren Harrow & Bradley hatte einen Aufschwung und Umfang angenommen, den sich die Begründer in ihren kühnsten Träumen nie zu erhoffen gewagt. Vergeblich, daß sie zwei Nachbarhäuser dazu mieteten und die Anzahl ihrer Angestellten verdreißigfachten. Sie konnten dem lawinenartigen Andrang ihrer Kundschaft doch nicht genügen. Trotzdem auch sie einen permanenten Dienst einführten, war die Straße vor ihren Geschäftslokalen Tag und Nacht überfüllt und verstopft.

Und neben Harrow & Bradley gab es tausend andere, die sich in den letzten Wochen diesem lukrativen Geschäft zugewandt hatten. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Europa schossen die Buchmacherbüros wie Pilze aus der Erde. Längst waren jene Milliardensummen, die der Russe Tredjakoff einmal John Sharp als den voraussichtlichen Wettumsatz genannt hatte, um ein Vielfaches überschritten.

Wie im Taumel verstrichen die beiden letzten Tage, dann kam die Sonne des 22. September über den Atlantik herauf. Dieselbe Sonne, die schon seit Tagen die Stationen in den arktischen Gegenden, in der Schreckensbucht und in Claryland mit einem fahlen Dämmerlicht übergoß, leuchtete die Wolkenkratzer der Hudson-Metropole im feurigen Frührot an. Und immer höher stieg sie, immer näher kam sie jener Stelle ihrer Bahn, die den Mittagspunkt für die American Eastern Time bedeutete. –

In Millionen von Privatwohnungen, in allen Redaktionen der Welt waren die Empfänger eingeschaltet. Seit elf Uhr lief der große Reading-Sender im Rockefeller-Haus der New-Yorker Radio-City. Im Senderaum waren die Mitglieder des Kuratoriums, an ihrer Spitze John Sharp, versammelt. Nur Frank Kelly fehlte. Der weilte bereits seit zwei Wochen mit seinen Mannschaften und einem großen Maschinenpark in Manila auf Luzon.

In der Mitte des Senderaumes hing das schwere Blockmikrophon. Zwei große astronomische Standuhren an der Stirnwand des Raumes zerteilten die Zeit mit langsamem Pendelschlag in Sekunden. Die eine von ihnen stand mit der Sternwarte auf dem Mount Hamilton, die andere mit der Warte von Pasadena in direkter Kabelverbindung. So war Vorsorge getroffen, daß keine dieser beiden Uhren um mehr als eine Hundertstel Sekunde von der wahren Ostzeit abweichen konnte.

In absolutem Gleichmaß schwangen die beiden Pendel, im Gleichmaß drehten sich die Sekundenzeiger, langsam krochen die Minutenzeiger über die Zifferblätter . . . noch zehn Minuten bis zwölf . . . noch fünf . . . noch drei . . . noch zwei . . . noch eine.

John Sharp trat vor das Mikrophon. In jeder Hand eine Pistole. Sollte der Startschuß aus der ersten versagen, konnte er sofort mit der zweiten feuern. Die Blässe seines Gesichtes, ein Zucken in seinen Mienen verriet, daß auch er, dessen Ruhe sonst sprichwörtlich war, von der allgemeinen Nervosität ergriffen wurde.

Noch fünf Sekunden . . . zwei Sekunden . . . eine Sekunde . . . ein Schuß dröhnte durch den Raum, der Startschuß zum Reading-Rennen. Ein Schuß, auf den Millionen in allen Erdteilen gewartet hatten, ein Schuß, dessen Knall an Millionen Punkten des Erdballes vernommen wurde. Ein Schuß, der viele Tausende von Pferdekräften zum Flug durch den Äther freigab. –

Mr. Natanael Jenkins, der Bevollmächtigte des Kuratoriums für den deutschen Start, war mit dem Dampfer »Fulton« in die Schreckensbucht gekommen. Tagelang fuhren Motorbarkassen zwischen dem Dampfer und dem Lande hin und her und luden endloses Material aus. Über Stufen, die man in das Eis hauen mußte, wurden die Bauteile auf das vergletscherte Plateau geschleppt und von fleißigen Händen zusammengefügt. Nur etwa hundert Meter von der deutschen meteorologischen Station entfernt, wuchs hier auf dem Eise ein geräumiges Gebäude mit doppelten gut isolierten Wellblechwänden empor. Geschickte Facharbeiter bauten eine Zentralheizung ein und montierten Maschinenaggregate für die Versorgung mit elektrischem Licht. In Stunden beinahe entstand hier ein wohnliches Heim, in dem die amerikanische Delegation sich ebenso wohlfühlen konnte wie in irgendeinem New-Yorker Wolkenkratzer.

Mächtige Motorbohrer fraßen sich viele Meter tief in das harte Gletschereis, um sichere Fundamente für zwei hohe Funktürme zu schaffen. Schon am dritten Tage konnte man die Antenne zwischen den Türmen hissen und den direkten Funkverkehr mit dem Reading-Haus in New York aufnehmen, wonach die Antenne des »Fulton« für andere Zwecke frei wurde.

Mr. Jenkins, der typische, lange, dürre Yankee, schob seinen Kaugummi in die andere Backentasche und unterdrückte nur schwer einen Fluch, als er über die neue Station die erste Depesche aus dem Reading-Haus empfing. Es war eine Abänderung der Rennmeldung der Eggerth-Werke. Die zogen eine Maschine vom Typ der ›Seeschwalbe‹ zurück und würden dafür mit einem anderen Flugzeug der Type »St« in das Rennen gehen.

»Damned Dutchmen!« kam es zwischen seinen Lippen heraus. Er hatte den Fluch doch nicht zurückhalten können. Mit der Depesche in der Hand trat er an das Fenster und blickte auf die Bucht hinaus. Auf dem eisfreien Wasser wiegten sich da in einem leichten Seegang die deutschen Maschinen, darunter auch eine vom Typ der »Seeschwalbe«. Morgen wollte er mit der Abnahme der Flugzeuge für das Rennen beginnen. Das bedeutete immerhin einige Arbeit. Die Fabrikationsnummern der Motoren und aller Zusatzapparate mußten in das Rennprotokoll eingetragen, eine Anzahl von Einzelteilen plombiert werden. Jetzt machte ihm die Depesche einen Strich durch sein Programm, denn von der gemeldeten neuen Type ›St‹ war weit und breit noch nichts zu sehen. Vielleicht stand die noch irgendwo in den Eggerth-Werken und es konnte wer weiß wie lange dauern, bis sie hierher kam.

»Damned Dutchmen!« fluchte Jenkins noch einmal und zog sich seinen Pelz an. Er wollte zum Depot der Eggerth-Werke hinübergehen, um wegen der veränderten Dispositionen Rücksprache zu nehmen. Brummend griff er nach dem schweren Eisstock und trat ins Freie. Er konnte den Pelz während des kurzen Ganges offenlassen. Der Herbst war in diesem Jahr außergewöhnlich mild, kaum zwei Grad stand das Thermometer unter dem Nullpunkt und, so weit der Blick reichte, dehnte sich die blaue Meeresfläche frei von Schollen und Packeis.

Das Depot der Eggerth-Werke lag jetzt dicht vor ihm. Ein Wellblechschuppen für die Unterkunft der Mannschaften, ein anderer größerer für die Lagerung der Betriebsstoffe. Von einem Mast wehte die deutsche Flagge. Jenkins blieb stehen und blickte zu der großen Unionsflagge zurück, die über seiner eigenen Station an der Spitze des einen Funkturmes flatterte. Welch erhebender Gedanke für ihn, daß das Sternenbanner als ein Zeichen amerikanischer Führerschaft und Überlegenheit in diesen Tagen an so vielen Stellen des Erdballes aufgepflanzt wurde. Noch hingen seine Augen an dem wallenden Fahnentuch, da kniff er plötzlich die Lider zusammen, starrte schärfer in die wolkenlose Höhe.

Drei winzige schimmernde Punkte hatte er dort erschaut, die einen Kreis am Firmament beschrieben. Waren es Vögel . . . oder waren es Flugzeuge? Unmöglich, es mit bloßem Auge zu unterscheiden.

Jetzt trennte sich der eine Punkt von den beiden anderen. Während die sich nach Süden entfernten, kam der dritte in einer Spirale aus seiner Höhe hinunter, wurde dabei groß und immer größer. Jetzt waren Schwingen und Rumpf zu unterscheiden, jetzt konnte Jenkins in den Strahlen der tiefstehenden Sonne das blinkende Spiel der Propeller erkennen, jetzt strich das Flugzeug über die Wasserfläche hin und setzte dicht neben der Eggerth-Maschine auf. ›St 1‹ war angekommen.

Jenkins sah, wie drei Leute aus dem Wohnschuppen der Eggerth-Werke ins Freie stürmten, mit einer halsbrecherischen Geschwindigkeit über die Eisstufen hinab an den Strand liefen und in ein Motorboot sprangen. In der nächsten Minute rauschte das Boot über die Wasserfläche zu dem eben angekommenen Flugzeug hin. Eine Tür in dessen Rumpf wurde geöffnet, Menschen sprangen heraus und fielen denen im Boot in die Arme. Noch ein kurzer Aufenthalt, bis die neue Maschine an einer Boje vertäut war, dann kehrte das Boot mit sechs Insassen zum Ufer zurück.

Mr. Jenkins schritt langsam bis zum Rand des Plateaus und sah sie über die Eistreppe heraufkommen. –

»Verflucht glatt hier bei euch, Hein!« schimpfte Wolf Hansen und rieb sich das Schienbein. »Sag mal eurem Mr. Jenkins, er soll ordentlich streuen lassen. Der ist doch hier sozusagen der Hauswirt.«

»Wird sich schwer machen lassen«, lachte Hein Eggerth. »Wenn du hier Streusand haben willst, mußt du ihn schon mit einem Bagger vom Seegrund heraufholen. Auf dem Lande gibt's nur Eis und Schnee. Da oben steht übrigens Mr. Jenkins. Du wirst gleich seine Bekanntschaft machen, bei der Gelegenheit kannst du's ihm ja selber sagen.«

Dann standen sie auf dem Plateau und schüttelten dem Amerikaner die Hand.

›Verdammt kräftig, solche Pilotenfäuste‹, dachte der Yankee, als er sich den Pelzhandschuh wieder über die Rechte zog, und dann versuchte er im Gespräch allerlei zu erfahren, was ihn interessierte. Aber aus Hein und seinen Begleitern Hansen und Berkoff war nicht eben viel herauszuholen.

Gewiß, Mr. Jenkins hätte ganz richtig gesehen, sie hatten die Schreckensbucht mit drei Maschinen angeflogen. Nur ›St 1‹, die für das Rennen bestimmte Maschine, wäre niedergegangen, die beiden anderen hätten sofort den Rückflug angetreten . . .

Konstruktion und Besonderheiten von ›St 1‹? . . . Nun, Mr. Jenkins würde es ja bei der Abnahme sehen. Ein Stratosphärenflugzeug, wie es die Eggerth-Werke jetzt eben bauten und wie es auch in den ihm sicher bekannten Patenten beschrieben wäre.

Ob die Maschine denn auch schon genügend erprobt und betriebssicher sei, um in solch ein Rennen zu gehen? . . . O ja! . . . Sie hofften es doch. Es wäre ja auch nicht das erstemal, daß sie hier seien. Schon öfter als einmal hätten die drei Stratosphärenschiffe über der Schreckensbucht gekreuzt. Erst vorgestern zum Beispiel . . .

»Aber man hat nichts von ihnen gesehen und gehört«, platzte Jenkins heraus.

»In zehn Kilometer Höhe sind wir unsichtbar und unhörbar«, erwiderte Wolf. »Sie haben die anderen heut nur gesehen, weil sie mit uns bis auf fünf Kilometer hinuntergingen.«

Noch vieles andere wünschte der Amerikaner zu erfahren, aber da wurden die drei Piloten von ›St 1‹ immer wortkarger. Nur das konnte er sich aus ihren Antworten zusammenreimen, daß sie in einer außerordentlich kurzen Zeit von Bitterfeld bis hierher geflogen sein mußten. Noch auf dem Rückwege zu seiner eigenen Behausung versuchte er es immer wieder, sich irgendeinen genaueren Zahlenwert aus den kurzen und zweideutigen Antworten zu konstruieren, die er auf seine Fragen erhalten hatte . . . vorgestern waren die hier gewesen. Gestern war die Maschine noch einmal gründlich in Bitterfeld überholt worden. Jetzt waren sie schon wieder da. In welcher Zeit vermochte denn die Teufelsmaschine den reichlich dreitausend Kilometer langen Weg von Bitterfeld bis zur Schreckensbucht zurückzulegen? Wenn ihn nicht alles trog, drohte dieses deutsche Stratosphärenschiff ein recht bedenklicher Konkurrent für die »Eagle«-Type der Reading-Werke zu werden.

Er hielt es für angebracht, im Geheimkode des Konzerns ein langes Telegramm über die Angelegenheit an John Sharp zu senden, der den Inhalt sofort an Frank Kelly in Manila weiterfunken ließ. Kellys Antwort lautete so, wie sie nach Lage der Dinge nur lauten konnte: ›In achtundvierzig Stunden beginnt das Rennen. Wir können an der Sache nichts mehr ändern!‹ –

Natanael Jenkins überprüfte noch einmal alle Vorbereitungen, die er für den Start getroffen hatte. Ein Raum seines Hauses zeigte in der Einrichtung eine gewisse Ähnlichkeit mit dem New-Yorker Senderaum. Auch hier zwei große astronomische Standuhren in ihrem Gang durch Radiosignale ständig und automatisch auf kleinste Bruchteile einer Sekunde reguliert. Die eine zeigt die amerikanische Ostzeit, die andere die Ortszeit der Schreckensbucht. Da die Schreckensbucht vierzig Längengrade östlich von New York liegt, ging die zweite Uhr gegen die erste um zwei Stunden und vierzig Minuten vor. Sie würde bereits zwei Uhr vierzig Minuten nachmittags zeigen, wenn man des Mittags in New York den Startschuß abfeuerte. Äußerlich machte der Zeitunterschied kaum etwas aus, da die Sonne hier in diesen Herbsttagen noch ständig über dem Horizont blieb.

Das Blockmikrophon des New-Yorker Senderaums war in Mr. Jenkins Zimmer freilich durch einen großen dynamischen Lautsprecher ersetzt. Donnerartig würde der den Knall des Schusses in dem gleichen Augenblick wiedergeben, in dem er in New York abgefeuert wurde. Man hätte wohl auch einen zweiten noch größeren Lautsprecher, einen der mächtigen Blatthaller draußen auf dem Klippenrande aufstellen können, aber Jenkins hatte eine andere Anordnung vorgezogen. Auf einem Tisch vor dem Lautsprecher stand eine Morsetaste. Von ihr lief eine Kabelleitung zu einem starken Böller, der draußen am Rande des Plateaus stand. Ein Böllerschuß, so meinte er, würde ein besseres, schärferes Signal für den Start sein als das Dröhnen eines Lautsprechers. –

Der Zeitpunkt des Startes rückte heran. Draußen auf dem Wasser lagen die konkurrierenden Maschinen weit auseinandergezogen, die Nasen ostwärts auf die Mündung der Bucht in die offene See gerichtet, so daß keine die andere beim Start behindern konnte. Alle Piloten auf ihren Sitzen am Steuer. Schon liefen alle Motoren mit gedrosselter Tourenzahl, schon zerrten alle Flugzeuge ungeduldig an den Haltetauen, die sie noch mit den Ankerbojen verbanden. –

Im Lautsprecherraum der amerikanischen Delegation drängten sich die deutschen Ingenieure und Mechaniker um Jenkins und seine Leute. Gespannt hingen alle Blicke am Zifferblatt der Uhr, welche die New Yorker Zeit gab. Sie folgten dem Sekundenzeiger, der jetzt die Sekunden der letzten Minute durcheilte. In dem Moment, da er auf die sechzig sprang, dröhnte der Lautsprecher durch den Raum. Im selben Moment drückte Jenkins die Morsetaste nieder. Ein Böllerschuß dröhnte über die Bucht. Die elektrische Zündung hatte gut funktioniert. –

Im gleichen Augenblick fielen draußen auf der Bucht die gelösten Haltetaue ins Wasser, heulten die Motoren auf, stürmten die Maschinen über die Seefläche. Wenige Sekunden noch flockende Schaumwellen vor den Schwimmern, dann lösten sie sich vom Wasser und stiegen empor in ihr eigentliches Element. Stiegen hoch und immer höher, drehten in weitem Bogen um nach Westen, verschwanden allmählich am Horizont. Schon arbeitete der Sender in der Schreckensbucht und funkte die Nachricht nach Radio City, daß der Start geglückt, alle deutschen Maschinen im Rennen seien. –

Es war nicht die einzige Nachricht dieser Art, die in Radio City aufgenommen wurde. Ganz ähnliche Meldungen strömten dort zur gleichen Minute von einem halben Dutzend über den ganzen Erdball verteilter Punkte zusammen. In Gibraltar und Marseille, in Tripolis und Udinsk, in Manila und auf Jap, überall dort, wo Startpunkte waren, hatte das Rennen in der gleichen Sekunde planmäßig begonnen. –

Nach Osten hin waren die deutschen Maschinen aus der Schreckensbucht vorgestoßen. Als eine der ersten vollendete die »Seeschwalbe« ihren Halbkreis. Immer noch steigend flog sie auf Westkurs wieder das grönländische Festland an. Am Steuer saß Hein Eggerth, neben ihm Bert Röge, hinter ihnen an der Morsetaste des Kurzwellensenders Kurt Schmieden. Sie waren durch Mikrophon und Telephon miteinander verbunden, um sich bei dem Motorengedröhn verständigen zu können.

Die Gesichter aller drei hatten ein hartes eckiges Aussehen bekommen. Wohl war die ungeheure Spannung der letzten Minuten vor dem Rennen von ihnen gewichen. Doch dafür jetzt der andere noch viel aufpeitschendere Gedanke: Wir sind im Rennen . . . hundert andere mit uns. Die Minuten, die Sekunden sind kostbar . . . werden wir's schaffen? . . . Wir müssen es schaffen . . . wir werden es schaffen . . .

Hein Eggerth beobachtete abwechselnd den Kompaß und die Landkarte vor sich. Bert Röge ließ den Tourenzeiger und die Manometer der Speisepumpen nicht aus dem Auge. Nur ab und zu schob er die Telephone von den Ohren, um das Trommeln der Motoren abzuhören, nur bisweilen warf er einen schnellen Blick auf das vergletscherte Land da tief unter ihnen und spähte nach anderen Flugzeugen aus. Die kamen allmählich außer Sicht. Einige blieben zurück, einige entfernten sich auf anderen Kursen.

Ganz allmählich begann der ungeheure Druck von den dreien zu weichen. Während Minuten sich zu Viertelstunden summten, kehrte die alte Ruhe und Sicherheit wieder, die sie sich in Tausenden von Flugstunden erworben hatten. Präzise wie die Uhrwerke arbeiteten die Motoren der ›Seeschwalbe‹ und sangen ihr dröhnendes Lied in die klare Polarluft. Gelehrig und gelenkig gehorchte der eherne Vogel jedem Druck des Steuers, zuverlässig zeigten die drei Kompasse sofort die geringste Kursabweichung an. Die Überzeugung kam ihnen, daß sie in der besten Maschine des Rennens saßen. Nun auch die besten Männer des Rennens sein, feste Nerven und ruhiges Blut behalten, darauf kam jetzt alles an. Dann würde ihnen doch vielleicht der Preis zufallen, den Morgan Reading für den besten Mann auf der besten Maschine ausgesetzt hatte. Mit solchen Gedanken überwanden sie die Spannung und machten sich wieder frei von dem Druck, der sie in den ersten Minuten fast zu lähmen gedroht.

Der Höhenmesser der ›Seeschwalbe‹ zeigte zweitausend Meter an. In endloser Weite dehnte sich unter ihnen die Eiswüste. Hier ein Versagen der Maschine, hier landen zu müssen . . . es wäre gleichbedeutend mit Bruch und Vernichtung. Doch fort mit solchen Gedanken! Das Herz ihrer Schwalbe pochte ja in starkem, gesundem Schlag. Zwar fehlten in der eisigen Öde dort unten Landmarken und Anhaltspunkte, doch nach dem Stand der Tourenzeiger stürmte das Flugzeug mit mehr als vierhundert Stundenkilometern durch den Äther. Nach der Berechnung Hein Eggerths mußte die ›Seeschwalbe‹ den Weg von der Schreckensbucht bis nach Holstenborg, einer Niederlassung an der grönländischen Westküste, in knapp zwei Stunden zurücklegen.

Kurt Schmieden deutete nach unten.

»Hier ist der Schweizer de Quervain 1912 mit seiner Expedition von Angmagsalik an der Ostküste nach Christianshaab am Westufer über das Eis gezogen. Drei Monate war er unterwegs.«

»Nansen hat es 1888 schneller geschafft«, meint Bert Röge. »Wenn ich mich recht erinnere, gelangte der von der Kjögebucht im Osten in knapp vier Wochen nach Godthaab.«

»Stimmt schon, Bert! Aber de Quervain pilgerte mit seiner Expedition geruhsam als Wetterforscher über das Eis. Fridtjof Nansen, damals eben erst siebenundzwanzig Jahre alt, in vollster Jugendkraft – wir kennen ihn ja nur noch als den greisen Philanthropen und Schöpfer des Nansen-Passes – der ging mit einem einzigen Begleiter auf Skiern los und brachte an jedem Tage fast zwanzig Kilometer hinter sich. Eine überwältigende sportliche Leistung auf dem zerrissenen und zerklüfteten Inlandeis. So konnte er den langen Weg in knapp vier Wochen zurücklegen.«

»Ich denke, wir werden es in zwei Stunden schaffen«, warf Hein Eggerth ein.

»Was mag sich hier vor Hunderten oder vor Tausenden von Jahren abgespielt haben«, fragte Röge. »Grönland, das heißt doch das grüne Land. Es muß doch mal grün gewesen sein, wie käme es sonst zu dem Namen? Und jetzt ist nur Eis, unendliches Eis hier. Wie ist solche Wandlung zu erklären?«

»Das hätte dir vielleicht der deutsche Professor Wegener sagen können, Bert, der dort im Norden«, Kurt Schmieden wies mit der Hand nach Steuerbord, »ein Opfer seines Forscherdranges, auf dem Inlandeis gestorben ist. Er hat vor seinem Tod noch festgestellt, daß eine drei Kilometer starke Eisdecke auf dem grönländischen Felsmassiv lastet. Da wir vorher des Schweizers de Quervain und des Norwegers Nansen gedachten, so wollen wir auch des Deutschen Alfred Wegener nicht vergessen, der so viel für die Erforschung dieses Landes hier unter uns getan hat.« –

Hein Eggerth behielt mit seiner Behauptung recht. Die Borduhr der ›Seeschwalbe‹, nach New Yorker Ostzeit gestellt, zeigte ein Uhr und vierundfünfzig Minuten, als im Westen das Meer in Sicht kam. Wenige Minuten nur noch, und sie hatten die offene See unter sich. Nur vereinzelt war Treibeis zu sehen. In ihren letzten Ausläufern wirkte sich die großartige Warm-Wasserheizung des Golfstromes auch hier aus. –

»Soll ich dich am Steuer ablösen, Hein«, fragte Röge.

Der schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Bert. Wir wollen uns die 3700 Kilometer bis zum Winnipeg-See brüderlich teilen. Ich denke, wir werden sie in knapp neun Stunden hinter uns bringen. Wenn jeder von uns drei Stunden am Steuer sitzt, wird's für keinen zu viel werden.«

»Den letzten beißen natürlich mal wieder die Hunde«, lachte Schmieden. »Da steuert ihr bis sechs Uhr abends Ostzeit bei Helligkeit und ich habe nachher das zweifelhafte Vergnügen, die letzten drei Stunden im Dunkeln zu fliegen.«

»Wird nicht so schlimm werden, Kurt«, tröstete ihn Röge. »Winnipeg hat schon amerikanische Central Time. Ein bis anderthalb Stunden wirst du auch noch Helligkeit haben. Und nachher, wenn's vom Winnipeg-See weiter nach Los Angeles geht, da sind wir anderen ja wieder dran und werden noch genug Dunkelheit genießen.«

Schmieden tat einen langen Zug aus der Thermosflasche und reichte sie danach Röge hin.

»Na! Denn prost Kinder! Denn macht nur weiter, wie ihr wollt, damit wir bald um den lausigen Globus rumkommen.« –

In der Schreckensbucht war es nach dem Abflug der deutschen Geschwader einsam geworden. Nach den Anstrengungen der letzten Tage und Stunden vor dem Rennen hatten die Mannschaften der konkurrierenden Werke endlich wieder Ruhe . . . auf wie lange? . . . Wer wußte das vorauszusagen? Wie viele Tage, wie viele Wochen mochten vielleicht vergehen, bis der Startpunkt zum Zielpunkt wurde und Flugzeuge nach dem langen Rennen um den Erdball hier wieder eintrafen . . .

Im Augenblick herrschte Ruhe . . . Die Ruhe nach dem Sturm . . . vor dem Sturm? Wer konnte es sagen? –

Nur die Funker hatten Arbeit. In den Depots der Werke waren sie emsig bemüht, die Kurzwellenverbindung mit ihren Fliegern aufrechtzuerhalten. Im Radioraum der amerikanischen Delegation hatten sie alle Hände voll mit der Aufnahme von Hunderten von Renndepeschen zu tun. –

Mr. Jenkins hatte sich nach den Aufregungen des Startes erst einmal ein tüchtiges Diner geleistet. Jetzt saß er behaglich in einem Klubsessel, eine gute Zigarre zwischen den Zähnen, Whisky und Soda neben sich, und überflog die Depeschen aus dem Rockefeller Building, die ein Bote aus dem Funkraum ihm in kurzen Zwischenräumen auf den Tisch legte. Ein vergnügtes Lächeln lief dabei über sein faltiges, zerknittertes Gesicht. Bisher stand die Sache für die United States jedenfalls nicht schlecht. Die amerikanischen Maschinen hatten sofort nach dem Aufstieg in Manila in der Richtung auf die Insel Asuncion hin unter sich ein erbittertes Rennen ausgefochten, bei dem die beiden Eagle-Flugzeuge der Bay-City-Werke überlegene Sieger geblieben waren. Schon seit einer halben Stunde hatten sie die anderen Maschinen weit hinter sich aus der Sicht verloren und stürmten mit 500 Stundenkilometer über den Stillen Ozean nach Osten.

Eben wurde Jenkins wieder eine Depesche vorgelegt, über den New-Yorker Reading-Sender kam sie von Frank Kelly, der selbst am Steuer des ›Eagle 1‹ saß. Kelly meldete, daß er um fünf Uhr sieben Minuten nachmittags nach amerikanischer Ostzeit bei Asuncion wassern und Betriebsstoff einnehmen werde.

Natanael Jenkins legte die Depesche zu den anderen. »O Ke!«, kam es zwischen zwei Rauchringen von seinen Lippen. »Die Boys sind all right. Werden ihre Sache schon machen.«

Er maß die Entfernung Manila-Asuncion auf einer großen Wandkarte ab . . . 2560 Kilometer . . . Kelly flog demnach mit 500 Stundenkilometern.

Befriedigt ließ er sich in den Sessel fallen. 500 Stundenkilometer . . . das war mehr als irgendeine der anderen Maschinen bisher geleistet hatte . . . wahrscheinlich überhaupt zu leisten vermochte.

Wieder wurde ihm ein Telegramm gebracht. Er las es: Holstenborg Westküste Grönlands. Ein Uhr 55 Minuten amerikanischer Ostzeit überfliegt deutsche Eggerth-Maschine den Hafen. Noch einmal ging er zur Karte, maß ab, rechnete, warf dann den Bleistift vergnügt auf das Papier . . . eine Stunde 55 Minuten für 800 Kilometer . . . 420 Stundenkilometer gegen 500 des Eagle . . . arme ›Seeschwalbe‹, laß dich begraben!

Immer neue Radiogramme häuften sich auf seinem Schreibtisch. Meldungen von der englischen, französischen und japanischen Strecke. In einer recht guten Zeit hatten die Italiener das Mittelmeer überflogen. Aber das alles kam an die Leistungen der Eagle-Type nicht heran. Über eins mußte er sich dabei wundern. Von den Russen kamen so gut wie gar keine Meldungen. Vergeblich suchte er nach einer Erklärung dafür. Die russische Strecke ging von Udinsk nach Westen über Samarowsk und Dünaburg nach Gibraltar. Gewiß, in ihrem ersten Teil führte sie über die fast menschenleeren sibirischen Steppen. Aber trotzdem, es hätte den Piloten doch möglich sein müssen, Standortmeldungen an die Sender von Tomsk oder Tobolsk zu geben. Was mochte der Grund sein, daß die Nachrichten so gänzlich ausblieben? Bereiteten die Russen irgendeine besondere Überraschung vor, oder stimmte da etwas nicht? . . . Niemand kannte sich ja mit den vertrackten Verhältnissen in Sowjetrußland so richtig aus.

Ein wenig gelangweilt durchflog er den letzten Depeschenstoß. Besonders Aufregendes war nicht darunter. Bisher hatte keiner der Teilnehmer einen Zwischenfall oder eine Panne zu melden. Jenkins warf den Rest seiner Zigarre in den Aschbecher und zog sich den Pelz über. Er spürte das Bedürfnis, ein wenig ins Freie zu gehen. Gemächlich schlenderte er am Rand des Plateaus entlang. Da lag die Bucht vor ihm, von allen Flugzeugen verlassen, jetzt nur noch ein Tummelplatz für Tausende von Möwen und Eiderenten. Noch stand er da und blickte in die Runde, als etwas silbrig Glänzendes aus der Höhe hinabschoß und klatschend auf den Wasserspiegel aufsetzte.

Natanael Jenkins glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Das war doch ›St 1‹, das mysteriöse Stratosphärenschiff der Eggerth-Werke, das er hier mit den anderen Maschinen zusammen vor reichlich zwei Stunden vom Start entlassen hatte. War denn der Teufel in die Kerle gefahren, daß die sich hier in der Schreckensbucht rumtrieben, anstatt sich um ihr Rennen zu kümmern?

Jenkins fand keine Antwort auf seine Fragen. Er sah, wie ›St 1‹ zu einer Ankerboje hintrieb und dort festmachte, sah, wie vom Rumpf des Stratosphärenschiffes ein leichtes Aluminiumboot gelöst wurde, in dem ein einzelner Mann an Land ruderte. Der stieg jetzt die Eistreppe hinauf, und als er näher kam, erkannte ihn Jenkins. Das war ja Mr. Hansen, von dem er schon lange vor dem Start zu diesem Rennen so mancherlei gehört hatte. Der Konstrukteur und jetzt der Pilot dieses Stratosphärenschiffes, das die Eggerth-Werke noch in letzter Stunde in das Rennen geschickt hatten.

Was mochte die Ursache sein, daß der jetzt wieder hier war? Alle Möglichkeiten ließ Jenkins sich durch den Kopf gehen. Nur eine Lösung fand er. ›St 1‹ mußte über dem Grönlandeis eine Betriebsstörung gehabt haben, die den Piloten nötigte, zur Schreckensbucht zurückzukehren, um hier die Hilfe der deutschen Mechaniker in Anspruch zu nehmen . . .

»Hallo Mr. Hansen! Was ist los?« rief er den Deutschen an, der jetzt dicht vor ihm stand. »Panne gehabt? Umkehren müssen? . . . Schlimme Sache. Die anderen sind schon mächtig voraus.«

Wolf Hansen nickte ihm vergnügt zu. »Macht nichts, Mr. Jenkins. Die werden wir schon wieder einholen.«

Jenkins zuckte mit den Achseln und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Drei Stunden, Mr. Hansen! Die Reading-Flieger haben 1500 Kilometer Vorsprung. Selbst Ihre ›Seeschwalbe‹ ist Ihnen gut 1200 Kilometer voraus . . . Jetzt noch reparieren . . . wer weiß, wie lange das dauert? Sie werden sich verteufelt daranhalten müssen, wenn Sie das wieder gutmachen wollen.«

»Ist nicht so schlimm, Mr. Jenkins . . . Pannen . . . Reparaturen . . . Das gibt's bei ›St 1‹ nicht.«

»In the name of the Deuce, Mr. Hansen! Warum sind Sie dann zurückgekommen?«

»Gott, mein lieber Mr. Jenkins! Nehmen Sie an, was Sie wollen. Etwa, ich hätte meine Handschuhe hier vergessen, oder ich hätte große Sehnsucht nach der Schreckensbucht.«

Mr. Jenkins richtete sich steil auf und stieß den schweren Stock mit der Stahlspitze vor sich in das Eis.

»Mr. Hansen! Als Bevollmächtigter für das Reading-Rennen habe ich Sie auf die Bedingungen der Konkurrenz verpflichtet. Sie sind gehalten, das Rennen ehrlich und nach besten Kräften auszufliegen. Ich weiß nicht, ob ich es dulden darf, Sie hier ohne Grund an der Startstelle herumlungern zu lassen. Sie sind im Rennen, Mr. Hansen!«

»Das ist mir seit heute mittag nicht mehr neu, Mr. Jenkins!«

»Sie müssen mir einen triftigen Grund für Ihren Aufenthalt hier angeben, Mr. Hansen!«

»Well, dann nehmen Sie an, ich hielte es für unehrlich, mit ›St 1‹ gleich mit voller Kraft in das Rennen zu gehen. Sie verlangten ja eben ehrliches Spiel.«

»Den Einwand kann ich nicht gelten lassen, Mr. Hansen. Wenn Sie es aus irgendwelchen überspannten deutschen Ideen für angebracht halten, Ihren Konkurrenten einen Vorsprung zu geben, dann warten Sie Ihre Vorgabezeit gefälligst irgendwo anders ab.«

»Wenn Sie den Grund nicht gelten lassen wollen, dann vielleicht einen anderen. Ich möchte gern wissen, was die Russen machen. Haben Sie Nachrichten von der russischen Strecke?«

Jenkins horchte auf. »Leider nein, Sir. Weiß der Teufel, was da los ist. Wir haben eigentlich nur die Nachricht unseres Vertreters vom geglückten Start.«

»Würde es Sie interessieren, Mr. Jenkins, etwas Näheres über den Flug der Russen zu hören?«

»Sicher, Mr. Hansen! New York hat schon angefragt, ob wir vielleicht irgendwelche russischen Meldungen aufgefangen haben.«

»Darf ich Sie einladen, mit in unsere Funkstation zu kommen. Ich glaube, nach unseren Bordmeldungen, da werden wir mancherlei Interessantes hören.«

»Ich begreife Sie nicht, Mr. Hansen. Sie sind im Rennen. Alle anderen versuchen in jeder Minute möglichst viele Kilometer hinter sich zu bringen, und Sie gehen hier herum, als ginge Sie die ganze Sache gar nichts an. Aber wenn Sie wollen . . . ich bin bereit.« –

Dann saßen sie zusammen in der Funkerbude des Eggerth-Schuppens und Natanael Jenkins verlor fast die Sprache, als er die vielen Depeschen und Meldungen . . . es waren eher Notrufe als Meldungen . . . las, welche die russischen Piloten schon auf der verhältnismäßig kurzen Strecke Udinsk-Samarowsk in den Äther gefunkt hatten. Jetzt begriff er, warum keine dieser Meldungen von den großen russischen Sendern an das Rockefeller Building in New York weitergegeben worden war. Das war ja mehr als eine Pechserie . . . als eine Pechsträhne . . . das war ja schon beinahe Katastrophe . . .

Mit sechs großen russischen Maschinen neuester Bauart waren die Russen von Udinsk aus in das Rennen gegangen. Herr des Himmels, was war da alles im Laufe von kaum vier Stunden passiert? . . . Vergaserbrände . . . Rohrbrüche . . . festgefressene Kolben . . . Kurzschluß in den Zündungen . . . wenn es so um die russische Industrie des fünften Fünfjahresplanes aussah, dann hatten die übrigen Staaten kaum etwas von ihr zu fürchten.

Immer wieder durchblätterte Jenkins die Depeschen, die ihm Hansen in die Hand gedrückt hatte . . . vier von den russischen Maschinen mit schweren Havarien notgelandet . . . zwei noch in der Luft, aber mit Motorreparaturen beschäftigt. Von den sechs gestarteten Flugzeugen überhaupt nur noch zwei intakt und mit einer Stundengeschwindigkeit von wenig mehr als 300 Kilometern zwischen Samarowsk und Dünaburg im Rennen. Wenn das so weiter ging, wie bisher, würden auch die kaum die russische Grenze erreichen . . .

Der Amerikaner legte die Telegramme auf den Tisch zurück. »Tolle Geschichte das mit den Russen, Mr. Hansen! Es ist mir unbegreiflich, daß unsere Funker keine von diesen Nachrichten aufgefangen haben.«

»Tja, Mr. Jenkins! So einfach ist das nicht. Dazu braucht man nicht nur prima Kurzwellenapparate, sondern auch erstklassige Funker, die das Letzte aus den Apparaten herausholen. Unser Herr Schmidt hier«, er deutete auf einen jungen Menschen, der die Kopfhörer an den Ohren vor einem Empfänger saß, »ist ein wirklicher Künstler in seinem Fach. Wenn sich irgendwas im Äther rührt, er fängt's sicher mit seiner Antenne ein.«

Hansen war während dieser Worte zu dem Funker Schmidt getreten und las, was der eben auf seinen Block schrieb. »Hören Sie mal, Mr. Jenkins, jetzt wird's interessant . . . Erbittertes Wettrennen zwischen den beiden Eagle-Maschinen und der Nachhut der japanischen Flieger in der Gegend der Marianen-Inseln. Freund Kelly scheint mächtig Dampf aufzudrehen.«

Jenkins schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich verstehe nicht recht. Die japanische Strecke trifft sich mit unserer erst in Hawai. Bei den Marianen-Inseln verlaufen sie meines Wissens noch mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt.«

»Sie vergessen die Funkpeilung, lieber Jenkins«, fiel ihm Hansen ins Wort. »Ihre Leute auf den Eagle-Maschinen peilen natürlich auf Teufelkommraus und die Japaner machen es ebenso. Sie müssen's ja auch, um ihre Standorte und Geschwindigkeiten festzustellen. Dabei kann es natürlich nicht ausbleiben, daß die beiden Parteien auch ihre gegenseitige Position ermitteln. So hat sich das Wettrennen entwickelt. Ich kann es mir deutlich vorstellen, wie Kelly jetzt das Äußerste aus seinen Maschinen herausholt und den Japanern einen Kilometer nach dem anderen abnimmt. Hoffentlich überanstrengt er seine Motoren nicht.«

Jenkins griff wieder nach den Depeschen. »Gestatten Sie es mir, Mr. Hansen, diese Nachrichten an das Rockefeller Building weiterzugeben?«

»Bitte sehr, bedienen Sie sich. Herr Schmidt wird Ihnen nach meinem Abflug zur Verfügung stehen. Lassen Sie sich auch alle späteren Telegramme von ihm geben.«

»Ja, was ist mit Ihnen, Mr. Hansen? Was soll ich jetzt über ›St 1‹ nach New York melden?«

Hansen lachte. »Funken Sie in Gottesnamen, daß ›St 1‹ wegen einer Panne noch einmal wassern mußte und um . . .« er sah auf seine Uhr . . . »um fünf Uhr amerikanischer Ostzeit wieder aufgestiegen ist.«

Er schüttelte Jenkins zum Abschied die Hände und kehrte zu seinem Flugzeug zurück. Der Amerikaner blieb am Plateaurand stehen und verfolgte den Aufstieg. In einer engen Spirale schraubte das Stratosphärenschiff sich über der Bucht in die Höhe. Mr. Jenkins mußte den Kopf weit zurückbiegen, um es verfolgen zu können. Immer winziger wurde der flimmernde Punkt im Äther fast senkrecht über ihm. Eben glaubte er ihn noch zu sehen . . . und sah ihn doch nicht mehr. Hansen hatte recht mit seiner Behauptung, daß ›St 1‹ in zehn Kilometer Höhe unsichtbar und unhörbar war.

Die Depeschen der Eggerth-Station in der Hand, wanderte Mr. Jenkins gedankenvoll zu seiner Behausung zurück.

*

Unablässig spritzten aus der Antenne des Reading-Senders die Rennachrichten in den Äther, überall in der zivilisierten Welt wurden sie aufgenommen und durch die Ortssender weitergegeben. Nach mitteleuropäischer Zeit war der Startschuß des Rennens um sechs Uhr abends gefallen. Gegen zwölf Uhr nachts erfuhr man in Deutschland, daß das Stratosphärenschiff der Eggerth-Werke wegen einer Betriebsstörung nach dem Start noch beinahe sechs Stunden in der Schreckensbucht gelegen hatte.

Die Nachricht löste allgemein Bedauern aus. Vernichtet schienen alle Hoffnungen, die man auf dies letzte und vollkommenste Erzeugnis deutscher Ingenieurkunst gesetzt hatte. Sechs Stunden Verlust . . . wie sollten die dreitausend Kilometer Vorsprung der amerikanischen Maschinen wieder gutgemacht werden? Die andere Maschine der Eggerth-Werke, die »Seeschwalbe« . . . gewiß, sie hatte sich bis jetzt brav gehalten. Unter den deutschen Maschinen war sie wohl die beste. Aber gegen die Engländer und Franzosen und vor allem gegen die amerikanischen Maschinen der Eagle-Type würde sie nicht aufkommen können. Man kannte die Zeit ihrer Zwischenlandung auf dem Lake Winnipeg und ihre letzte Standortmeldung auf dem Fluge nach Los Angeles. Unschwer ließ sich daraus eine Stundengeschwindigkeit von 420 Kilometern errechnen. Zweifellos eine wundervolle Leistung, aber . . . was half's, wenn die amerikanischen Maschinen 500 Stundenkilometer machten?

Während man in Europa noch die Aussichten der Deutschen diskutierte, gab der Reading-Sender die Nachricht von den russischen Unfällen bekannt. Ihre Wirkung in den einzelnen Staaten war echt verschieden.

In Moskau schäumten die Machthaber. Wie war es möglich, daß New York diese Nachrichten verbreiten konnte? Hatte man nicht vom Beginn des Rennens an eine strenge Zensur über die sibirischen Sender verhängt? Hatte man nicht den strikten Befehl gegeben, jede russische Bordmeldung erst auf dem Draht nach Moskau zu senden? Daß andere außerrussische Stationen die Meldungen direkt aufgefangen hätten, war wenig wahrscheinlich. Irgendwie mußte Sabotage im Spiele sein. Hatten die Leiter der sibirischen Sender gegen ihre Instruktionen gehandelt . . . oder war dort etwa ein Geheimsender in Betrieb?

Der Telegraph zwischen Moskau und Sibirien arbeitete fieberhaft. Eine scharfe Untersuchung wurde eingeleitet, doch an der Tatsache, daß der russische Mißerfolg in seiner vollen Größe bekannt war, ließ sich nichts mehr ändern. Und was fast noch schlimmer war, diese Meldungen hörten nicht auf. Auch jede weitere Panne der russischen Flieger wurde mit einer unheimlichen Pünktlichkeit durch den Reading-Sender in der Welt verbreitet. Das hörte erst auf, als die Moskauer Regierung ihren wenigen noch im Rennen befindlichen Piloten alle Bordmeldungen über Betriebszwischenfälle glatt untersagte.

In der übrigen Welt löste das russische Mißgeschick ein gewisses Gefühl der Befriedigung aus. Man wußte ja so wenig über die wirklichen Leistungen der großen Industrie, welche die Moskauer Machthaber im fernen Osten des russischen Riesenreiches in wenigen Jahren aus dem Boden gestampft hatten. Die gewaltigen Fabriken in Udinsk und Irkutsk, die mächtigen Wasserkraftwerke an den sibirischen Strömen . . . würden sie bald alle kapitalistischen Staaten der Erde mit ihren billigen Massenerzeugnissen überschwemmen und ruinieren . . . oder waren es doch nur Potemkinsche Dörfer wie so vieles andere in Rußland? Mit wachsender Unruhe hatte man die letzten russischen Meldungen vor dem Startschuß gelesen. Mit sechs großen ultrastarken Maschinen gleicher Type, den Erzeugnissen einer neuen Serienfabrikation der Udinsker Werke, würden die Russen ins Rennen gehen. Was ihre Agenturen noch in den letzten Stunden vor dem Beginn des Rennens über die Leistungen dieser Type verbreiteten, hatte den Flugzeugkonstrukteuren in Europa und Amerika schwer zu denken gegeben.

Und nun dies schauerliche Fiasko! An sämtlichen Kinderkrankheiten, die es im Motoren- und Flugzeugbau gab, schienen diese Parademaschinen zu leiden. Die russische Konkurrenz war man jedenfalls los. Es würden sich Dinge und Wunder ereignen müssen, wenn die sibirischen Maschinen noch als ernsthafte Wettbewerber auftreten sollten. –

Eine ganz besondere Wirkung hatten die russischen Meldungen auf die Herren Tredjakoff, Bunnin und Perow. Immer brennender wurde der Auftrag, mit dem sie von Moskau nach New York geschickt worden waren. Hielten die Amerikaner ihr fabelhaftes Tempo durch, dann konnte ja das große Rennen in wenig mehr als achtzig Stunden beendet sein. Handeln hieß es jetzt, um jeden Preis schnell handeln, wenn man die wertvollen Pläne noch rechtzeitig für Moskau erbeuten wollte.

Aber wie? Das war die schwere Frage, zu der die Antwort immer noch fehlte. –

In einem bescheidenen Teeraum in der Christopher Street saß Tredjakoff mit zwei Leuten, die äußerlich durchaus den Eindruck ehrsamer Bürger machten. Daß der Tee in ihren Gläsern einen hohen Prozentsatz Whisky enthielt, war durch die besondere Eigenart des Lokals bedingt. Daß das Gespräch zwischen Tredjakoff und den Herren Gill und Smyther mit gedämpfter Stimme geführt wurde, hatte auch seinen guten Grund, denn für Polizeiohren war es ganz und gar nicht bestimmt.

»Die Sache wird nicht zu machen sein«, sagte Mr. Smyther zu dem Russen. »Nur während der Mittagsstunde von eins bis zwei geben die Zeitschlösser den Tresor frei. Zu jeder anderen Zeit ist er durch die schweren Riegel dieser Schlösser verbarrikadiert.«

Mr. Smyther war ebenso wie sein Kollege Gill ein Geldschrankknacker von Format und durfte für seine Äußerungen die Autorität des Fachmannes beanspruchen. Tredjakoff schlug ungeduldig mit der Hand auf den Tisch.

»Zum Teufel, Mr. Smyther. Sie lassen mich im Stich, auch Gill hat Bedenken. Ich muß aber die Papiere haben. Zehntausend Dollar, wenn Sie sie mir bringen.«

Auch der dritte im Bunde, Mr. Gill, zuckte die Achseln.

»Zehntausend Dollar, Sir. Schöne Sache, würden sie gern verdienen. Aber . . .«

»Aber! Sie sagen immer aber«, er beugte sich zu Smyther und flüsterte dem die nächsten Worte ins Ohr. »Ich weiß doch, wie schön Sie den großen Panzerschrank bei Baxter in Detroit aufgeschweißt haben . . .«

»Pst! Still!« Mr. Smyther warf ihm einen bösen Blick zu, seine Hand zuckte nach der rechten Hosentasche.

»Nun gut«, beschwichtigte ihn Tredjakoff, »lassen wir das. Aber warum soll's im Reading-Haus nicht ebensogut gehen. Ihre Schweißapparate haben Sie ja hier.«

»Es geht nicht, Mr. Tredjakoff«, fiel ihm Smyther ins Wort. »Es sind nicht die Zeitriegel allein. Mit denen würden wir vielleicht fertig werden. Aber der Reading-Tresor hat noch andere stärkere Sicherungen. Wir sind genau unterrichtet. Umsonst hat Gill nicht acht Tage als Liftführer im Reading-Haus gearbeitet.«

»Andere Sicherungen? Sie meinen Alarmvorrichtungen? Da muß man eben die Leitungen vorher durchschneiden.«

»Ist hier nicht möglich«, erklärte Gill. »In dem Kellergang zum Tresor liegen zwei Sperren mit ultraviolettem Licht. Verdammt raffinierte Sperren, sage ich Ihnen, Mr. Tredjakoff. Man kommt nicht dran vorbei. Jeder, der außerhalb der Zeit von eins und zwei durch den Gang will, muß sie mit seinem Körper unterbrechen und den Generalalarm auslösen. Generalalarm, Sie wissen, was das heißt. Hundertpferdige Sirenen im Reading-Haus, Rasselglocken im Hauptquartier der Polizei. In fünf Minuten sind die Überfallwagen da. Noch ehe einer vor dem Tresor steht, legt man ihm die Armbänder an.«

Tredjakoff biß sich auf die Lippen.

»Von irgendeiner anderen Seite an den verfluchten Tresor rankommen, Gentlemen.«

Smyther und Gill schüttelten die Köpfe.

»Durch meterstarken Eisenbeton . . . man würde wochenlang brauchen, um da heranzukommen.«

Entmutigt schwieg Tredjakoff. Er sah die letzte Möglichkeit entschwinden, sich der Pläne zu bemächtigen. Smyther winkte dem Barkeeper. Mit einer besonderen Handbewegung bestellte er eine neue Auflage Tee, die diesmal hundertprozentig whiskyhaltig war. Der scharfe Stoff schien seine Phantasie zu befruchten.

»Well«, begann er nach einigem Überlegen, »Sie müssen einsehen, daß wir das Geschäft mit Ihnen nicht machen können, so gern wir Ihre Dollars verdienen möchten.«

Der Russe machte ein mißmutiges Gesicht, Smyther fuhr fort: »Wie hoch würden Sie uns honorieren, wenn wir Ihnen einen anderen sicheren Typ geben und Sie mit Leuten zusammenbringen, die Ihnen die Pläne verschaffen können?«

Tredjakoff besann sich eine Weile. »Wir wollen ganz offen und ehrlich miteinander reden«, sagte er dann. »Ich habe Ihnen keinen Hehl daraus gemacht, daß der Besitz dieser Pläne für mich und meine Auftraggeber von großer Wichtigkeit ist. Wenn ich sie mit Ihrer Unterstützung wirklich bekomme, will ich Ihnen die ursprünglich verabredete Summe von zehntausend Dollar ohne Abzug auszahlen.«

Smyther und Gill nickten sich gegenseitig zu.

»All right, Mr. Tredjakoff! Bliebe nur noch ein Punkt zu regeln: Welche Anzahlung geben Sie uns jetzt, bevor wir Ihnen unseren Plan entwickeln und die nötigen Verbindungen herstellen?«

»Sagen wir tausend Dollar für jeden von Ihnen.«

Der Russe zog seine Brieftasche, eine Anzahl Banknoten wanderten in die Taschen von Gill und Smyther.

»Nun hören Sie zu«, begann der letztere. »Wie Sie sagten, können Sie mit Ihren Nachschlüsseln den Tresor während der bewußten Mittagsstunde ohne alle Schwierigkeiten in wenigen Sekunden öffnen.«

»Das ist richtig. Unsere Nachschlüssel gleichen den echten auf den Hundertstel Millimeter.«

»Gut, Mr. Tredjakoff. Nehmen Sie weiter an, kurz nach ein Uhr fahren einige Autos vor dem Reading-Haus vor. Ein Dutzend tüchtiger Kerle . . . Gangsters . . . Gunmen . . . Sie verstehen, erstklassige Revolvermänner . . . springen aus den Wagen und halten mit ihren Waffen eine Viertelstunde lang alles in Schach, was ihnen im Reading-Haus in den Weg tritt. Was hindert Sie, in dieser Zeit zu dem Tresor zu gehen, ihn aufzuschließen und sich Ihre Pläne zu holen? Sie können längst damit in Sicherheit sein, bevor die Gangsters den Rückzug antreten.«

»Hm . . . hm . . .!« Tredjakoff preßte das Kinn in seine Rechte und überlegte.

»Ihr Plan hat viel für sich, Sir. Nur in einem Punkt möchte ich ihn abändern. Ich möchte mich und meine Freunde nicht unnötig exponieren. Sie müssen bedenken, daß wir nicht amerikanische Bürger sind. Es wäre mir lieber, wenn Sie und Mr. Gill die Sachen aus dem Tresor holten.«

Wieder ein Blickwechsel zwischen Smyther und Gill. Unausgesprochen, hatten sie die gleichen Gedanken . . . Im Haupttresor des Reading-Konzerns werden außer diesen Plänen sicher auch noch andere realere Wertgegenstände zu finden sein. Warum sollen wir nicht ein Nebengeschäft für eigene Rechnung machen, wenn der Russe uns die Schlüssel anvertraut?

Ein kurzes Zögern, ein Nicken. »Wir sind bereit, das für Sie zu besorgen, Bedingung bleibt: Achttausend Dollar bei Übergabe der Pläne.«

»Achttausend in Ihre Hand bei Übergabe der Pläne«, bestätigte Tredjakoff das Abkommen.

»Well, Sir! Dann ist das nächste, daß wir Sie mit Texas-Billy bekannt machen. Wenn die Sache in achtundvierzig Stunden steigen soll, ist keine Zeit mehr zu verlieren. Am besten, wir fahren sofort zu ihm. Sind Sie bereit?«

»Mit Vergnügen, Mr. Smyther. Mein Wagen parkt nebenan in der West Street. Wir können sofort aufbrechen.«

»Noch eins, Mr. Tredjakoff! Haben Sie genügend Bargeld bei sich? Eventuell ein Scheckbuch?«

Tredjakoff klopfte sich auf die linke Brusttasche. »Alles in Ordnung, Gentlemen!«

»Dann wollen wir losfahren. Wir haben einen ziemlich weiten Weg. Unser Freund William Hyblin, alias Texas-Billy, hat Gründe«, Smyther kniff bei dieser Mitteilung das linke Auge zu, »etwas eingezogen zu leben. Wir müssen ihn in seinem Schlupfwinkel in Bronxville aufsuchen.« –

Es waren verschiedene tausend Dollar, die Tredjakoff in die Hände von Mr. Hyblin legte. Dafür kehrte er mit der angenehmen Hoffnung nach New York zurück, daß die Reading-Pläne noch rechtzeitig in seinen Besitz kommen würden.

*

Um fünf Uhr nachmittags funkte der Reading-Sender: »Geschlossen von Südosten kommend hat das italienische Geschwader Rom überflogen. In allen Kirchen wurden die Glocken geläutet. Um vier sechsunddreißig amerikanischer Ostzeit hat das Geschwader zwecks Betriebsstoffergänzung im Hafen von Ostia gewassert. Um vier Uhr sechsundfünfzig ist es in nordwestlicher Richtung weitergeflogen.

Als Professor Eggerth die Meldung aus dem Lautsprecher hörte, war gerade Oberingenieur Vollmar bei ihm. Der Professor arbeitete eine Weile mit Zirkel und Maßstab auf seinem Globus und nahm dann den Rechenschieber zur Hand. Als er ihn wieder beiseite legte, huschte ein Lächeln über seine Züge.

»395 Stundenkilometer, lieber Vollmar, für die Strecke Tripolis–Rom. 375 Kilometer, wenn wir die Zeit der Zwischenlandung hinzurechnen. Ich glaube gegenüber dem italienischen Geschwader stehen die Chancen unserer ›Seeschwalbe‹ nicht gerade ungünstig.«

Der Oberingenieur zuckte die Achseln. »Es ist und bleibt eine riskante Geschichte, daß wir nur die eine ›Seeschwalbe‹ im Rennen haben und die Italiener sechs Maschinen ihrer Gamma-Romea-Type. Es beunruhigt mich auch, daß wir gar nichts von ›St 1‹ hören. Weiß der Teufel, was in Hansen und seine Leute gefahren ist.«

»Ich sehe keinen Grund zur Sorge, Herr Vollmar. Seien Sie sicher, ›St 1‹ und Hansen werden zur rechten Zeit da sein, wenn sie gebraucht werden.« –

Mr. Jenkins hatte sich den langen Tag in seiner Station mit dem Abhören des Reading-Senders und einigen Whisky-Soda vertrieben. Als die Uhr nach der Ortszeit der Schreckensbucht Mitternacht schlug, faßte er den Entschluß, sich ins Bett zu legen. Wenn nur diese ewige Helligkeit nicht gewesen wäre. Auch jetzt noch kroch der Sonnenball am Horizont entlang und übergoß das Eis und die Bucht mit einem rötlichen Dämmerlicht.

Er trat an das Fenster, um die Läden zu schließen. Als ehrbarer amerikanischer Bürger legte Natanael Jenkins Wert darauf, daß zur Nachtzeit die vorschriftsmäßige Dunkelheit in seinem Schlafraum herrschte. Gerade wollte er die hölzernen Läden anlegen, als das tiefe Brummen einer Sirene über die Bucht hin dröhnte. Was mochte da kommen? Um diese Stunde erwartete er weder aus der Luft noch zu Wasser Besuch. Neugierig klappte er die Läden wieder auf. Ein großer Dampfer war in die Bucht eingelaufen. Auf mindestens sechstausend Tonnen taxierte Jenkins das Schiff. Immer näher kam das heran. Jetzt konnte er die italienische Trikolore am Maste erkennen. Bald auch am Schiffsrumpf den Namen ›Re Vittorio Emanuele‹. Nun ließ der Dampfer den Anker rasselnd in die Tiefe gehen und lag still.

Der Amerikaner griff sich an die Stirn. Wie hatte er die Italiener vergessen können? Er erinnerte sich der letzten Meldungen. Über Metz, über Rotterdam und an der englischen Ostküste war das Geschwader gesichtet worden. In seiner Verlängerung führte der Kurs von der Oase Abunaim in Tripolis über Rom und Rotterdam ja genau in die Bucht. Kein Zweifel, daß das italienische Geschwader in den kommenden Morgenstunden hier niedergehen und sich vom ›Re Vittorio Emanuele‹ aus mit neuem Brennstoff versorgen würde.

Eine kurze Weile überlegte er. Das warme weiche Bett lockte. Er spürte allmählich, daß er seit achtzehn Stunden auf den Beinen war und einen reichlich aufregenden Tag hinter sich hatte. Auf der anderen Seite . . . er war hier der Repräsentant des Reading-Kuratoriums. War es nicht seine Pflicht, die Teilnehmer des großen Rennens gebührend zu empfangen? . . . Ah . . . Bah! Bettzipfel hin, Bettzipfel her! Er griff zum Telephon und machte seinen Bootsführer wieder mobil, der längst in den Federn lag. –

Eine Viertelstunde später stieß eine Motorbarkasse vom Ufer ab, an deren Heck das Sternenbanner flatterte, von deren Mast die Hausflagge des Reading-Konzerns wehte. –

Der Erste Offizier, Alessandro Pascoli, empfing Mr. Natanael Jenkins am Fallreep und geleitete ihn an Bord des ›Re Vittorio‹. Die Begrüßungsansprache des Amerikaners erwiderte Kapitän Roberto Mussala mit herzlichen Worten und machte ihn mit den Offizieren und Ingenieuren des Schiffes bekannt. Kurz danach saß Jenkins zwischen den neuen Bekannten im Salon des ›Re Vittorio‹ und genoß die in der ganzen Welt berühmte italienische Gastfreundschaft. Bei einem wunderbaren Frascati und dem schäumenden Astiwein entwickelte sich schnell eine lebhafte Unterhaltung, erleichtert durch den Umstand, daß die Offiziere des ›Re Vittorio‹ wie alle seebefahrenen Leute die englische Sprache fließend beherrschten.

Fast unmerklich glitt die Zeit dahin. Es ging bereits auf die dritte Morgenstunde, als Jenkins sich endlich aus der angenehmen Gesellschaft losriß, um zu seiner Station zurückzukehren. Noch ein Grüßen und Winken zu der abfahrenden Barkasse, dann waren die Italiener unter sich, und im Augenblick wich die heitere Sorglosigkeit, mit der sie den Amerikaner bewirtet hatten. Kein einziger von ihnen dachte an Ruhe oder Schlaf. In emsiger Tätigkeit wurde in der großen Werkstatt, die der ›Re Vittorio‹ in seinem Zwischendeck barg, alles für die Reparaturen vorbereitet, die nach den letzten Radiogrammen den meisten Flugzeugen des italienischen Geschwaders bitter not taten.

Auf langen Tischen lagen da alle Einzelteile der Gamma-Romea-Motoren. Zylinder, Kolben und Kolbenringe, Kurbelwellen und Kurbelstangen, Vergaser, Kompressoren und viele andere Stücke. Aber diese Teile kamen nicht frisch aus der Werkstatt. Es waren die Einzelteile von vollständigen Motoren, die bereits in hundertstündigem Lauf im Prüfstand erprobt waren und die man dann wieder auseinandergenommen hatte. Auf spiegelnden Hochglanz hatten sich während des langen Probelaufes alle bewegten Teile eingeschliffen. Man durfte hoffen, daß sie, als Ersatzstücke in die havarierten Maschinen des Geschwaders eingebaut, dauernd gut arbeiten würden. –

Unaufhörlich tickten die Morseapparate im Funkraum des ›Re Vittorio‹ und nahmen die Meldungen des anfliegenden Geschwaders auf. Unablässig eilten Boten mit den letzten Depeschen zu der Werkstatt. Schon wurden dort in Sammelkästen die Ersatzteile zusammengelegt, welche die einzelnen Flugzeuge telegraphisch anforderten. –

Der Ingenieur der Romea-Werke, Giuseppe Tomaseo, stand, die letzten Depeschen in der Hand, neben dem Kapitän Mussala. Seine Mienen verrieten deutlich, wie nahe ihm die Pannen des italienischen Geschwaders gingen.

»Maladetto diavolo, Signor Kapitano! Die Pannen haben unser Geschwader fatal aufgehalten. Wir müssen die Reparaturen mit größter Geschwindigkeit erledigen.«

Der Kapitän blickte prüfend nach dem südlichen Horizont.

»Per certo, mio caro! Doch dazu müssen unsere Flugzeuge erst heran sein. Noch ist nichts von ihnen zu sehen.«

»Trotzdem, Signor Mussala, müssen wir unsere Maßnahmen treffen. Es wird in diesem Rennen um die Sekunden gehen. Ich bitte Sie jetzt schon, sechs von Ihren Booten zu Wasser zu lassen und die Mannschaften bereitzuhalten. Ich werde auch unsere Monteure mit allem Werkzeug und den für die einzelnen Flugzeuge angeforderten Ersatzteilen immer in die Boote bringen. Sobald unsere Maschinen wassern, müssen wir ihnen sofort entgegenrudern, und unmittelbar mit den Reparaturarbeiten beginnen.« –

In der fünften Morgenstunde lagen sechs vollbesetzte Beiboote um den ›Re Vittorio‹ herum auf dem Wasser, die Matrosen bei ihren Riemen bereit, auf das erste Kommando loszufahren. Dann hörte man von der deutschen Station auf dem Plateau her eine Uhr sechsmal schlagen. In ihre letzten Schläge mischte sich Motordröhnen. Von Südosten her kamen die drei ersten Flugzeuge des italienischen Geschwaders heran.

Kaum hatten sie gewassert, als ihnen auch schon drei Boote entgegenruderten. Taue wurden geworfen, Planken gelegt. Eilig sprangen Monteure auf die Schwimmer der Flugzeuge über. Kurze hastige Rede und Gegenrede über die Art der Havarien. Schon klangen Kommandos über die Bucht, schon zerriß das Kreischen von Feilen, das Dröhnen von Hammerschlägen die Stille des langen Polartages. Auf den drei zuerst angekommenen Maschinen waren die Reparaturarbeiten in vollem Gange. –

Es dauerte geraume Zeit, bis der Rest des Geschwaders die Bucht erreichte. Erst nach einer halben Stunde kam das vierte, eine Stunde später das fünfte Flugzeug. Es wurde acht Uhr morgens, als endlich das letzte, nur noch mit wenigen Zylindern arbeitend, sich in die Bucht schleppte.

Mit schwerem Herzen verfolgte Ingenieur Tomaseo den Gang der Dinge. Das war ihm ja von Anfang an klar, daß die Ausbesserung der zuerst angekommenen, nur leicht havarierten Maschinen viel weniger Zeit in Anspruch nehmen würde, als diejenige der viel schwerer beschädigten Nachzügler, und die Tatsachen gaben ihm recht. Die ersten beiden Maschinen waren bereits wieder flugfertig und mit neuem Betriebsstoff versehen, als die letzte erst niederging.

Durfte er die ersten auf die letzten warten lassen? Es war eine Gewissensfrage für ihn. Nach den Dispositionen der Romea-Werke und auch nach denen der italienischen Regierung sollte das große Rennen um den Erdball als Geschwaderflug durchgeführt werden. In geschlossener Formation sollten die sechs Romea-Maschinen die . . . jetzt ach noch so weite . . . Kontrollstation bei den Haymet-Klippen erreichen. Geschlossen sollten sie auch das Ziel . . . als Sieger, wenn es das Schicksal erlaubte . . . passieren.

Die unvorhergesehenen Pannen schon im ersten Teil des Rennen machten einen bösen Strich durch den stolzen Plan. Das Geschwader jetzt noch zusammenhalten bedeutete ja nichts anderes, als seine Geschwindigkeit dem langsamsten der sechs Flugzeuge anzupassen. Aber Zeit war bei Gott nicht mehr zu verschenken. Nach den letzten Meldungen aus dem Rockefeller-Haus stürmten die Reading-Maschinen in ungebrochener Kraft mit beinahe 500 Stundenkilometer über den Stillen Ozean, verfolgte die eine Eggerth-Maschine . . . die andere schien ja verschollen zu sein . . . ihren Kurs unverändert mit 420 Stundenkilometern. Die letzte am schwersten havarierte italienische Maschine aber hatte die Schreckensbucht nur noch mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 330 Stundenkilometern erreicht.

Unmöglich der Gedanke, bei dieser Sachlage das Geschwader noch zusammenzuhalten! Was hieß hier noch Prestige? Das Reading-Rennen war eben ein reines Schnelligkeitsrennen. Auch jede der sechs italienischen Maschinen mußte es von jetzt an für sich allein auskämpfen, sonst war an einen Sieg nicht mehr zu denken.

So gab Giuseppe Tomaseo den Flugzeugen des italienischen Geschwaders den Start einzeln frei, sobald sie wieder betriebsfähig waren. Kurz vor acht Uhr morgens stiegen die beiden ersten Maschinen wieder auf. In längeren Zwischenräumen folgten die übrigen, die letzte erst um zwölf Uhr mittags.

Solange sie am Westhorizont sichtbar blieben, schaute die ganze Besatzung des ›Re Vittorio Emanuele‹ ihnen nach. Heiße Wünsche stiegen auf, daß das Unheil gebannt sei, ihr weiterer Flug unter einem günstigeren Stern stehen möge.

*

Die Borduhr der ›Seeschwalbe‹ zeigte die dritte Morgenstunde nach New Yorker Zeit, als Röge das Steuer an Schmieden abgab. Behaglich ließ er sich in den Sessel neben dem Piloten fallen und zündete sich eine Zigarette an.

»Uff, Herrschaften!« kam es zwischen den ersten Rauchwolken von seinen Lippen. »Man merkt nachgerade, daß man was getan hat. Jetzt sind wir fünfzehn Stunden im Rennen. Ich fühle allmählich meine Knochen.«

Kurt Schmieden zog sich die Hörer des Kurzwellenempfängers von den Ohren und reichte sie ihm hin.

»Hallo Bert! Keine überflüssigen Reden an dein Volk. Kümmere dich lieber um unseren Funk. Es ist mal wieder allerlei im Äther los.«

Einen Augenblick hielt Röge die Hörer zaudernd in der Hand.

»Nanu, Kurt? Jetzt soll ich die Funkerei besorgen? Was macht denn Hein?«

»Dreh dich mal um! Da wirst du es sehen. Der Junge geruht tief und traumlos zu schlummern. Sofort, nachdem du ihm vor drei Stunden das Steuer abnahmst, hat er es sich da hinten bequem gemacht. Trotz allem Motorradau schläft er wie ein Murmeltier.«

Röge wandte den Kopf und besah sich das Bild.

»Na, lassen wir ihn, Kurt! Wer schläft, sündigt nicht. Übrigens eine praktische Idee, sich die Steppdecke so um die Ohren zu wickeln. Das werde ich nachher mal ebenso machen.«

Eine Weile schwiegen sie. Schmieden beobachtete den Kompaß und die Landkarte, Röge lauerte auf Morsezeichen im Kopfhörer. Unablässig sangen die starken Motoren der ›Seeschwalbe‹ ihr dröhnendes Lied in die Nacht. Wie ein Stoßvogel schoß die Seeschwalbe mit 420 Stundenkilometern auf ihrem Kurs nach Südwesten dahin. Sternklar wölbte sich das Firmament über ihnen. Vom Licht des fast vollen Mondes übergossen, zog zweitausend Meter unter ihnen das Gelände dahin. Jetzt wurde Steuerbord voraus etwas weißes Zackiges am Horizont sichtbar . . . die ewigen Schneegipfel der Sierra Nevada.

Schmieden deutete auf einen Punkt der Karte. »In etwa zehn Minuten werden wir das Todestal überfliegen, Bert.«

Der beugte sich zu dem Seitenfenster und blickte in die Tiefe.

»Eine böse Gegend unter uns, Kurt! Noch heute erzählt man in Kalifornien von den Unglücklichen, die im Tal des Todes umkamen. Brütende Hitze zwischen den Talwänden . . . brennender Durst . . . langsames Verschmachten . . . Fieberdelirien . . . schließlich das Ende, von dem nur die gebleichten Knochen von Menschen und Tieren ein Zeugnis geben, über alle Vorstellungen entsetzlich muß es gewesen sein.«

Schmieden hatte inzwischen das Höhensteuer betätigt. Die Seeschwalbe stieg. Jetzt in dreitausend, jetzt in viertausend Meter Höhe zog sie ihren Kurs.

»Warum so hoch, Kurt?«

»Die Owens-Berge, Bert. 3400 Meter. Wir müssen sie überfliegen.«

Der Bleistift in Röges Hand begann über den Schreibtisch zu gleiten.

»Höre mal, Kurt! ›St 1‹ meldet sich. Hansen scheint des trockenen Tons jetzt satt zu sein. Der muß ja mächtig Dampf aufgedreht haben. Er funkt eben seinen Standort über North Dakota.«

»Dürfte auch allmählich Zeit werden, Bert. Ich verstehe nicht, warum er noch so viele Stunden in der Baffinbay vertrödelt hat.«

Bert Röge zuckte die Achseln. »Ich kann dir's auch nicht verraten. Ich glaube, unser Alter hat Hansen sehr genaue Instruktionen mit auf den Weg gegeben. Das Wölfchen machte zuletzt in Bitterfeld noch eine Bemerkung, die nicht gerade schmeichelhaft für uns war. Na, lassen wir das!«

»Nein, Bert! Geheimnisse gibt's hier nicht! Bitte, ich möchte auch wissen, was Hansen zu dir gesagt hat.«

»Du lieber Gott, Kurt. Das war mehr so eine allgemeine Bemerkung. Ein bißchen nichtsnutzig, ein bißchen bissig . . . du weißt ja, wie Wölfchen sein kann. Es kam dem Sinne nach darauf hinaus, daß der Professor ihn so gewissermaßen als eine Mischung von Schutzengel und Kindermädchen für uns mit ›St 1‹ in das Rennen geschickt hat. Brauchst darum nicht gleich so ein wütendes Gesicht zu machen, alter Junge.«

Schmieden pfiff vor sich hin. »Ich hoffe, Bert, wir werden Hansen und dem Alten zeigen, daß wir keine Gouvernante nötig haben.«

Er sah auf die Karte, warf dann einen Blick auf die Borduhr. »Kannst übrigens jetzt Funkmeldung nach Los Angeles geben, daß wir um vier Uhr morgens nach New Yorker Zeit in San Pedro wassern werden.«

Röge griff hinter sich und zog die Morsetaste heran, schaltete vom Empfänger auf den Sender und nahm die Verbindung mit Los Angeles auf.

»So! Unsere Leute sind informiert. Man wird uns mit warmen Würstchen und kalifornischem Lagerbier empfangen . . .«

». . . und vor allen Dingen mit anständigem neuen Brennstoff, Bert«, unterbrach ihn Schmieden mit einem Blick auf die Benzinuhr. »Unsere vorderen Behälter werden bei der Ankunft gerade leer sein. Wir müssen kräftig tanken. Es ist ein verdammt langer Weg von Los Angeles bis zu den Manihiki-Inseln.« –

In San Pedro, dem Hafen von Los Angeles, war unmittelbar am Wasser die deutsche Etappenstation für das Reading-Rennen eingerichtet. Ein Schuppen am Quai enthielt ein paar bescheidene Unterkunftsräume. Den größeren Teil beanspruchten die vielen eisernen Fässer, in denen die Treibstoffe für die verschiedenen deutschen Maschinen lagerten.

Das letzte Radiogramm von der ›Seeschwalbe‹ in der Hand, kam der Leiter der Station aus seiner Office. Als dessen Vater vor vierzig Jahren auf Ellis Island in der Bay von New York landete, hieß er noch Steinfeld. Der Sohn nannte sich Stonefield und fühlte sich hundertprozentig als Amerikaner. Das Pennsylvaniadeutsch, in dem er jetzt seine Leute zusammenrief, verriet wenig von einer deutschen Abstammung.

»Hallo, Mr. Beumelé! Alles zum Tanken bereitmachen! Die ›Seeschwalbe‹ will in dreißig Minuten wassern.«

Der Gerufene griff an die Mütze. »All right, Sir! Weiß Bescheid! Spezialöl für Eggerth-Dieselmotoren. Die roten Fässer vorn links im Schuppen. Werde sie gleich in die Barkasse bringen lassen.«

»All right, Sir!« Mit kurzem Gruß zog sich Mr. Stonefield in seine Office zurück. Er hatte den Job, die deutsche Etappenstation in San Pedro während des Rennens zu leiten, zwar als gutbezahlte Gelegenheitsarbeit mitgenommen, aber er war keineswegs gewillt, sich dabei ein Bein auszureißen und recht erfreut, daß ihm der Zufall eine so tüchtige und so billige Hilfskraft wie Mr. Beumelé in den Weg geführt hatte. Mit welchem Eifer hatte dieser Mensch sich während der letzten Woche um das Lager gekümmert und sogar persönlich die Anfuhr der Ölfässer überwacht. –

In seiner Office konnte Mr. Stonefield vernehmen, wie der Kran draußen zu arbeiten begann und eins der schweren Eisenfässer nach dem anderen in die Barkasse lud, wie dann weiter auch die Ölpumpe über das Holperpflaster der Uferstraße heranrollte und verstaut wurde. Dann hörte er Beumelé wieder im Wohnraum wirtschaften, wo er Sandwiches zurechtmachte und alles für eine Bewirtung der Flieger bereitstellen ließ. Nicht mit Gold ist der Kerl zu bezahlen, dachte Stonefield und führte sich selbst eine Flasche kalifornischen Biers zu Gemüte. –

Im Gleitflug kam die ›Seeschwalbe‹ in Spiralen aus zweitausend Meter Höhe hinab und setzte auf dem Wasser des Hafenbeckens auf. Im Augenblick, da sie still lag, war die Barkasse auch schon neben ihr. Mr. Beumelé, den schweren Füllschlauch hinter sich ziehend, kletterte an Bord, steckte das Schlauchende in die Füllöffnung des Tanks und gab ein Kommando zur Barkasse. Schon begann dort die Ölpumpe zu arbeiten und drückte den fettigen, tiefschwarz glänzenden Treibstoff in breitem Strahl in den Tank. Ein neues Kommando von ihm zur Kaimauer hin. Ein kleineres Motorboot kam heran und machte an der anderen Seite der ›Seeschwalbe‹ fest.

So herzlich und dringend war die Einladung Beumelés zu einem guten Supper und Drink im Stationsschuppen an die drei Piloten, daß sogar Hein Eggerth ihr nicht widerstehen konnte, als er sich endlich aus seinem Bärenschlaf ermuntert hatte. Die Herren könnten ganz unbesorgt an Land fahren, versicherte Beumelé. Er selbst würde hier bei der Maschine bleiben und die Ölübernahme beaufsichtigen. Mr. Stonefield erwarte sie bereits, begierig ihre Bekanntschaft zu machen.

So fuhren sie denn an Land und mußten bald zugeben, daß die Bewirtung wirklich vorzüglich war. Zwar standen unter anderem die schon durch Funkspruch angekündigten ›Warmen Würstchen‹, die berüchtigten ›Hot Doggs‹ der Amerikaner, auf dem Tisch, aber daneben auch ein gediegenes warmes Abendbrot, das ihnen nach dem sechzehnstündigen Flug großartig mundete und Kräfte zu neuen Taten gab. –

Während sie hier tafelten, ging draußen im Hafen die Ölübernahme flott vonstatten. Nicht ohne Genugtuung konstatierte Beumelé, daß der vordere, drei Kubikmeter fassende Tank der ›Seeschwalbe‹ fast restlos leer war. Der neue Treibstoff, den die Pumpe hier in stetem Strahl hineinwarf, würde keine Gelegenheit finden, sich mit altem Öl zu vermischen . . . Nur der Geruch des neuen Öls irritierte ihn ein wenig. Er war so eigentümlich, streng aromatisch, ganz anders als der des gewöhnlichen Dieselöls. Wie gut, daß die Herrschaften drüben bei Tische saßen und nichts davon in die Nase bekamen! War der Tank erst gefüllt und wieder verschraubt, waren die letzten Ölflecken sorgfältig weggewischt, dann hatte das ja nichts mehr zu bedeuten. Dann mochten sie in Gottesnamen wieder auf die Reise gehen. Irgendwo auf dem langen Wege über den Stillen Ozean würden ja auch diese Tanks einmal in Betrieb kommen, würde die chemische Kunst Yoshikas und Hidetawas ihre Wirkungen äußern. –

Nur dreißig Minuten dauerte der Aufenthalt der ›Seeschwalbe‹ in San Pedro. Um vier Uhr morgens New-Yorker Zeit, das heißt um ein Uhr nach Pazificzeit, war sie angekommen. Es war noch tiefe Nacht, als das Flugzeug sich wieder erhob und auf Südwestrichtung über den Ozean davonschoß. Die dritte Etappe des Rennens, die 6000 Kilometer lange Seestrecke Los Angeles–Manihiki-Inseln, hatten für die Eggerth-Maschine ihren Anfang genommen. –

Die amerikanische und japanische Route kreuzten sich bei den Hawaiinseln und für beide waren hier Zwischenlandungen für die Betriebsstoffaufnahme vorgesehen. Die Etappenstützpunkte der beiden konkurrierenden Nationen lagen jedoch mehr als 200 Kilometer voneinander entfernt, und das hatte seine guten Gründe.

Die Inselgruppe gehörte ja der Union, und in Voraussicht möglicher kriegerischer Auseinandersetzungen hatten die Amerikaner auf Hawai Befestigungswerke errichtet, die zu den modernsten und stärksten ihrer Art gehörten. Man konnte wohl die Piloten des eigenen Landes die so gefestigte Hauptinsel anfliegen und dort Station machen lassen. Aber es war vollkommen ausgeschlossen, das auch den Japanern zu gestatten, denn gegen diese richteten sich die Fortifikationen in erster Linie. –

So lag der amerikanische Stützpunkt bei der Hafenstadt Kealakekua an der Ostküste der Hauptinsel, während der japanische sich auf einer der kleineren Nebeninseln im Nordwesten befand. Die Regierung in Washington hatte darauf bestanden, die Fluglinien so zu legen, und wohl oder übel hatte man sich in Tokio fügen müssen. –

Je mehr die erste Nacht des Rennens sich dem Morgen näherte, desto aufgeregter wurden die Menschenmengen in den Straßen New Yorks. Hunderttausende bewegte die gleiche Frage: Wie wird der erbitterte Zweikampf der Maschinen verlaufen? Jener Zweikampf, der nun schon seit so vielen Stunden auf der Strecke Marianen–Hawaiinseln über dem Stillen Ozean ausgefochten wurde? Wenn Frank Kellys Adler-Maschinen zuerst Kealakekua . . . wenn die japanischen Flugzeuge zuerst ihre Station Lanai erreichten?

Kaum eine Viertelstunde, in der Radio-City nicht die neuesten Standmeldungen der Gegner in die Welt funkte. In den Schaufenstern von Harrow & Bradley wurden die Fähnchen auf der großen Weltkarte ständig umgesteckt. In Massen strömte das Publikum trotz der Nachtstunden in das Büro, um seine Wetten anzubringen. Aber obwohl die Firma Harrow & Bradley den beiden Konkurrenten gleiche Chancen gab und die Odds nur Eins zu Eins legte, konnte sie des Geschäfts nicht recht froh werden. Es wollte ihr nicht gelingen, ihr Buch rundzumachen, denn von tausend Wettenden setzten hier 999 auf Frank Kelly. Wenn der wirklich zuerst Kealakekua erreichte, würden die Herren Harrow Bradley sehr tief in den Beutel greifen müssen. –

Als die Uhr der alten Trinity Church die dritte Morgenstunde kündete, lagen die japanischen und amerikanischen Maschinen ungefähr auf dem gleichen Längengrad. Schon jetzt ließ sich voraussehen, daß ihre Ankunftszeiten auf den Hawaiinseln nur um Viertelstunden differieren konnten. Aber mochten auch die Japaner um diese Zeitspanne früher ihren Stützpunkt erreichen, ein schöner Sieg für die Eagle-Maschinen des Reading-Konzerns würde es immer noch sein. Der amerikanische Startpunkt bei Manila war ja 1800 Kilometer weiter von den Hawaiinseln entfernt als der japanische auf Jap. In siebzehn Flugstunden achtzehnhundert Kilometer gegen den Konkurrenten aufholen, das gab gute Aussichten auf den Endsieg. –

Längst war über New York der Mond verblaßt. Schon rötete sich der Horizont über der Bucht im Osten, als der Reading-Sender die Nachricht verbreitete: Zwei Maschinen der Eagle-Type halb zwölf Uhr nachts Hawai Time, fünf Uhr morgens American Eastern Time, in Kealakekua gewassert! – Erst zwanzig Minuten später kam die Meldung aus Lanai, daß die ersten drei japanischen Maschinen fast gleichzeitig um elf Uhr zweiundvierzig nachts Hawai Time niedergegangen seien. –

Noch immer waren die Straßen der Hudson-Metropole belebt. Zu Hunderten strömte das Publikum in die Büros von Harrow & Bradley. In diesen Stunden wurde die Firma um eine halbe Million ärmer. Ein Glück für sie, daß der größte Teil der ausgezahlten Gelder gleich wieder auf neue Wetten angelegt wurde, die für die Buchmacher bessere Chancen boten. –

Als in New York der Morgen graute, als die Volksmenge dort den Sieg Frank Kellys und seiner Maschinen bejubelte, strahlte über Hawai der Mond noch fast senkrecht vom Zenit herab. Erst eine halbe Stunde vor Mitternacht war's dort, als zwei Eagle-Maschinen von Osten her aus der Höhe hinabschossen und unter eigener Propellerkraft in den Hafen von Kealakekua einfuhren. Das dröhnende Brüllen der Motoren, das ihren Piloten seit siebzehn Stunden in den Ohren lag, schwieg endlich. Nur noch wie ein leises Säuseln und Fächeln kam ihnen das Motorspiel vor, das die Maschinen über die breite Hafenfläche bis zum Kai trieb. –

»Man erwartet uns, Hobby. Die Beleuchtung ist nicht schlecht.« Vergnügt lachend deutete Frank Kelly auf die lange Reihe der tausendkerzigen Magnesiumfackeln, die den Kai umsäumten.

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als die Töne einer Musikbande vom Ufer her zu ihnen drangen. Die spielte auf ihren Blechinstrumenten mehr schlecht als recht das Lied vom »Star spangled Banner«, um danach über das Yankee Doodle zu »Hail Columbia« überzugehen. Frank Kelly stieß Hobby in die Rippen.

»Hobby! Mann! Hören Sie? Hail Columbia, der Lieblingssong von unserem dicken Juve. Ich möchte zehn Dollar wetten, daß er hier ist und uns erwartet.«

»Wetten Sie nicht, Hobby!« mischte sich Pender, der dritte Mann von der Besatzung der ersten Eagle-Maschine, ins Gespräch. »Ich sehe da drüben vom Kai her was Rotes winken. Das kann nur Juves Taschentuch sein. Es gibt kein zweites Exemplar von gleicher Größe in den Vereinigten Staaten.«

Langsam trieben die beiden Maschinen bis dicht an die Kaimauer heran. Ein Tusch der Kapelle klang auf, als Leinen hinübergeworfen und die Flugzeuge vertäut wurden. Ein kräftiges Händeschütteln dann zwischen ihren Besatzungen und der Stationsmannschaft der Reading-Werke, die mit allem Nötigen bereitstand, sich sofort über die Flugzeuge herzumachen.

Im Triumph führte Dahl Juve die Piloten zur Station, wo Speise und Trank ihrer harrten. Bald saßen sie an der Tafel und taten dem Dargebotenen alle Ehre an. Rede und Gegenrede flogen über den Tisch. Juve erhob sein Glas zu einem schwungvollen Toast und feierte die Adlermaschinen als die besten Flugzeuge, ihre Besatzungen als die mutigsten und schnellsten Flieger der Welt. In die brausenden Cheers, in die seine Rede ausging, mischten sich Worte aus dem Lautsprecher.

Die letzten Meldungen aus ›Radio City‹ über den Stand des Rennens: Die englischen Maschinen über den Bahr-el-Benat-Inseln im persischen Meerbusen. Die Franzosen in Maskat am Golf von Oman für Treibstoffergänzung gelandet. Die deutsche Eggerth-Maschine vor einer Stunde in Los Angeles wieder abgeflogen. Kein Zweifel war mehr möglich. Bis zu dieser Stunde waren die beiden Maschinen der Bay-City-Werke bei weitem die besten im Rennen. Mit einem Vorsprung von 800 Kilometern lagen sie vor den Engländern an der Spitze, um 1300 Kilometer hatten sie die deutschen, um weit über 1800 Kilometer die japanischen Maschinen geschlagen. Was wunder, daß die Stimmung an der Tafel nach solchen Meldungen noch höher stieg.

Frank Kelly beteiligte sich an dem Trubel und Jubel nicht. Der saß neben James Thomson, dem Chefpiloten der zweiten Adlermaschine, und war mit dem in ein Gespräch über technische Dinge verwickelt. Beide hatten ihre Bordbücher vor sich liegen und verglichen ihre Eintragungen.

Thomson hob sein Glas, um Dahl Juve zuzutrinken. Frank Kelly schüttelte leicht den Kopf. »Ich liebe die Vorschußlorbeeren nicht, Thomson! Gewiß! Unsere Maschinen haben sich bis jetzt wunderbar gehalten. Aber wir sind noch längst nicht über den Berg. Achttausend Kilometer sind noch nicht vierzigtausend!«

»Sie haben recht, Kelly! Der Weg vor uns ist noch lang. Irgendein dummer Zufall, eine lächerliche Panne könnten uns weit zurückwerfen. Vor zwei Stunden war mir wirklich nicht wohl zumute. Da wollten drei Zylinder der Steuerbordmaschinen anfangen zu bocken. Sehen Sie hier . . .« er wies auf eine Eintragung in seinem Bordbuch.

»Was haben Sie gemacht, Thomson?«

»Die Zündkerzen ausgewechselt, Kelly. Es war keine angenehme Geschichte. Bei unserem Höllentempo zu den Motoren hinzuklettern und die Auswechselung vorzunehmen.«

»Aber es hat geholfen?«

»Gewiß! Meine Vermutung war richtig. Sie wissen es auch, Kelly! Bei der hohen Kompression unserer Maschinen kommt es gelegentlich zu einer Graphitbildung an den Kerzen. Es entsteht allmählich eine leitende Brücke, die Funkenbildung wird unregelmäßig, der Zylinder fängt an zu stottern.«

Kellys Augen gingen prüfend über die Eintragungen in den beiden Bordbüchern. »Aha! Hier steht es ja. Das war vor zwei Stunden. Wir wunderten uns, daß Sie zurückblieben. Sie haben aber wieder gut aufgeholt.«

»Gott sei Dank, daß es möglich war! Ich habe hier sofort Auftrag gegeben, in alle Zylinder meiner Motoren neue Kerzen einzuschrauben. Kann Ihnen nur raten, das gleiche zu tun.«

»Das ist ein Ratschlag, den ich sofort befolgen werde, mein lieber Thomson.«

Frank Kelly stand auf und verließ den Raum. Nach kurzer Zeit kam er zurück und legte eine Anzahl von Kerzen auf den Tisch.

»Wie gut das war! Sehen Sie mal hier, Thomson. Fast überall kleine Ansätze von Graphitkristallen. Im Augenblick noch nicht störend. Aber hätte unser Flug noch einige Stunden länger gedauert, hätte ich wahrscheinlich auch was davon verspürt. Jetzt dürfen wir wohl hoffen, daß wir unsere nächste Etappe bis zu den Galapagos-Inseln ohne Störungen hinter uns bringen werden.«

Thomson nickte. »Trotz alledem, Kelly, empfehle ich Ihnen, sich hier noch möglichst reichlich mit Reservekerzen zu versehen. Ich habe mir hundert Stück einpacken lassen.«

»Hundert Stück, Thomson? . . . außer denen, die Sie schon an Bord haben? Ist das nicht ein bißchen reichlich?«

»Wir wollen uns unter uns hier nichts vormachen, lieber Kelly. Die neuen Motoren der Adler-Type sind über alles Lob erhaben. Aber sie haben infolge der hohen Kompression eine gewisse Neigung, die Kerzen zu verrußen . . . oder richtiger gesagt, zu vergraphitieren. Das ist eine Schwäche der sonst so gelungenen Konstruktion. Mit der Tatsache müssen wir rechnen, aber wir kennen ja das einfache Mittel dagegen. Die Kerzen an jedem verdächtigen Zylinder sofort auswechseln . . . und zu dem Zweck einen genügenden Kerzenvorrat mitnehmen. Lieber ein paar Dutzend zuviel als zuwenig, denn eine Reinigung der gebrauchten Kerzen . . . lassen Sie sich während des Fluges darauf lieber nicht ein.« –

Vom Hafen kam der Boß der Reading-Kolonne in das Zimmer und meldete, daß die Maschinen flugbereit seien. Eine Uhr in den Speichergebäuden am Kai hub eben an, Mitternacht zu schlagen, als die beiden Adler-Maschinen aus dem Hafen herausrauschten. In weitem Bogen drehten sie nach Norden ab, hoben sich im Silberlicht des Mondes von der schimmernden Wasserfläche, schwangen sich hoch und immer höher in den Äther und stürmten auf Nordostkurs von dannen. Fast eine Stunde verging noch, bevor auch die ersten japanischen Flugzeuge in Lanai wieder aufstiegen. Hier hatte die Untersuchung der Maschinen die Notwendigkeit ergeben, mehrere Ventile nachzuschleifen, und trotz größter Beschleunigung beanspruchten die Reparaturen eine reichliche Stunde.

*

Mr. Stonefield in San Pedro vergnügte sich nach dem Abflug der ›Seeschwalbe‹ zunächst damit, einigen Bierflaschen auf den Grund zu gehen. Dann machte er es sich auf der Couch in seiner Office bequem. Nach den vorliegenden Radiogrammen waren in den nächsten Stunden keine Flugzeuge zu erwarten. Bald zeigten seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge, daß er in einen gesunden Schlaf gefallen war.

Monsieur Beumelé hielt sich ebenfalls an die Getränke, die in der Station für die Rennflieger bereitstanden; nur daß er dabei seiner Herkunft aus Straßburg entsprechend einen guten kalifornischen Wein bevorzugte. Er dachte noch nicht ans Schlafen.

In einem Winkel des Öllagers studierte er beim Schein einer Glühlampe Ziffernreihen in seinem Notizbuch. Hübsche runde Zahlen waren es, die Summen, die ihm Yoshika und Hidetawa in New York in die Hand gedrückt hatten. Wie bescheiden nahmen sich dagegen die Lohnschecks aus, die er hier wöchentlich von Mr. Stonefield in Empfang nehmen durfte. Schade, daß der schöne Job schon so schnell zu Ende ging . . . Ob es nicht irgendeine Möglichkeit gab, mit den neuen Geschäftsfreunden weiter in Verbindung zu bleiben? Vielleicht machten die öfters solche dunklen Geschäfte . . . vielleicht ließ sich ein bißchen nachhelfen . . . Ein bißchen Druck dahinter setzen? . . .

Seine Gedanken liefen weiter. Etwas von dem verdächtigen Treiböl beiseite schaffen? Später mit Enthüllungen drohen?! Es war ein ganz sauberes Plänchen, das Monsieur Jacques Philippe Beumelé sich da in Gedanken zurechtlegte. Wenn er es wirklich ausführte, mit den Ölproben und seinen Erzählungen etwa zu den stets sensationshungrigen amerikanischen Reportern ging, konnte sich ein Skandal erster Größe daraus entwickeln. Eine Affäre, für deren Vermeidung seine Auftraggeber wahrscheinlich eine anständige Summe auf den Tisch legen würden. –

In seine Spekulationen vertieft, hatte Beumelé nichts von dem vernommen, was inzwischen draußen im Hafen vorging. Er fuhr zusammen, als es an die Schuppentür donnerte und eine kräftige Stimme nach dem Lagerverwalter und nach Betriebsstoff rief. Schnell schob er sein Notizbuch in die Tasche, öffnete die Tür und wunderte sich nicht wenig.

Da schaukelte ja breit und nahe ›St 1‹ im Mondschein auf den Wellen. Ohne die Ankunft vorher durch Funkspruch zu melden, war das Stratosphärenschiff hergekommen und im Hafen niedergegangen. Noch unangenehmer war die andere Überraschung. Der Mann, der vor Beumelé in der Tür stand, war Wolf Hansen, der Konstrukteur der Stratosphärenschiffe. Wie oft hatte er den in der großen Montagehalle der Eggerth-Werke gesehen, wenn er an seiner Feilbank vorbeikam. Verdammte Geschichte, wenn der sich sein Gesicht gemerkt hatte und den ehemaligen Flugzeugschlosser Schulze 3 wiedererkannte. –

Zum Glück schien das nicht der Fall zu sein. Hansen wiederholte nur seine Forderung nach Treibstoff und kehrte in dem leichten Aluminiumboot von ›St 1‹ zum Flugschiff zurück. Beumelé rief seine Leute zusammen und gab Befehl, alles für das Tanken zurechtzumachen.

Nachdenklich stand er eine Weile im Lagerraum. Eine ganz dumme Sache war das. Die Leute von ›St 1‹ würden offenbar gar nicht in den Erfrischungsraum kommen. Wenn die beim Einfüllen des Nitroöls Unrat witterten? . . . Die Geschichte konnte oberfaul werden.

Aus seinen Gedanken riß ihn das Poltern seiner Leute. Die schleppten schon Ölfässer in die Barkasse . . . die roten Fässer mit dem nitrierten Öl . . . Verdammt! Da war nichts mehr zu machen. Jetzt nur beim Einfüllen recht vorsichtig sein, daß der Geruch des Treibstoffes nicht zum Verräter wurde . . .

Beumelé stand selbst am Tank des Stratosphärenschiffes und hielt den Schlauch in die Füllöffnung. Sorgfältig hatte er ein paar alte Säcke um den Schlauch und über die Öffnung gebreitet, um jedes Verspritzen und Verdunsten des gefährlichen Stoffes nach Möglichkeit zu unterdrücken. Mit Befriedigung stellte er fest, daß Hansen und Berkoff im Pilotenraum blieben und dort aus den Vorräten des Schiffes ein tüchtiges Mahl hielten. Bis dahin würde der nichtsnutzige Geruch aus dem Tank wohl kaum dringen. Seine Leute in der Barkasse rollten eben die beiden letzten Ölfässer zur Pumpe. Nur noch wenige Minuten, dann konnte er die Füllöffnung wieder zuschrauben, und die Gefahr war überwunden. –

Hansen griff eben nach einer Thermosflasche. »Verfluchte Schweinerei!«

»Was gibt's denn, Wolf? Warum so giftig?«

»Na, sieh mal hier, Georg. Die ganze linke Pfote mit Teer versaut! Weiß der Teufel, was ich da eben am Bollwerk für einen Dreck angefaßt habe.«

Georg Berkoff besah sich prüfend die Hand, die Hansen ihm unter die Nase hielt.

»Hast recht, Wolf. Ist guter solider Teer. Geht aber mit Butter oder Öl wieder ab.«

Hansen wollte nach der Butterdose greifen, aber Berkoff fiel ihm in den Arm. »Halt, mein Junge! Bei dir rappelt's wohl? Unsere gute Butter gibt's dafür nicht. Die soll bis Claryland reichen! Hier, da!« er drückte ihm einen Bausch Putzwolle in die Hand. »Bemühe dich damit gefälligst zum Tankloch und säubere dir deine Flossen mit Treiböl.«

Beumelé griff eben nach dem Deckel, um die Füllöffnung wieder zuzuschrauben. Einen Moment fühlte er seinen Herzschlag aussetzen, als plötzlich Hansen neben ihm auftauchte.

»Augenblick mal, Mister! Brauche eben etwas Öl.«

Hansen beugte sich nieder, tauchte den Bausch Putzwolle in den vollen Tank und begann sich damit die beschmutzte Hand abzuwaschen. »Schöne Schmiere scheint ihr hier zu haben«, bemerkte er dabei. »Ein Glück, daß unsere Dieselmotoren so ziemlich alles schlucken.«

Er bückte sich wieder, um die Putzwolle von neuem zu tränken. Der Teer ging doch nicht so leicht ab, wie er gedacht hatte. Während er auf dem Flecken rieb, begann er zu schnuppern.

»Pfui Deibel! Wie stinkt denn das Zeug? Wo habt ihr den Stoff her?«

Beumelé drehte sich so, daß sein Gesicht im Dunkeln blieb. Ihm war alles andere als wohl zumute. Nur mit Mühe fand er eine Antwort.

»Mr. Stonefield hat ihn von der Standard Oil Company gekauft . . . Vom Lager in Los Angeles. Ich denke, die Company führt nur gute Ware.«

»Na, den alten Rockefeller in allen Ehren«, meinte Hansen und tunkte die Wolle zum dritten Male in die Flüssigkeit, »aber sein Öl stinkt kannibalisch. Wenigstens hilft's jetzt.«

Der Teerfleck war endlich verschwunden und Hansens Linke wieder einigermaßen sauber. Er wollte die gebrauchte Putzwolle über Bord werfen, als ihm ein spitzbübischer Einfall durch den Kopf schoß. ›Ah, bah, Berkoff kann auch was von dem Gestank abkriegen. Warum soll's der besser haben als ich?‹

Die Hand mit der Putzwolle auf dem Rücken kam er in den Pilotenraum zurück.

»Na, Wölfchen, ist der Dreck abgegangen?«

»Restlos, mein Junge. Aber du sollst mal was raten. Mach mal die Augen zu und sage, was ich hier habe.«

Etwas mißtrauisch schloß Berkoff die Augen. Hansen hielt ihm den Wollbausch unter die Nase. »Na, zieh mal kräftig die Luft ein, was ist's denn?«

Berkoff hatte die Augen wieder aufgemacht und blickte verdutzt auf die Wolle. »Siehst du, Georg, du hast's nicht geraten. Stinkt lieblich, was? Unser neuer Brennstoff ist's . . . von der Standard Oil Company, wie ich hörte. Freut mich, daß du auch eine Nase davon genommen hast.«

Er wollte den Bausch aus der Kabine werfen, aber Berkoff nahm ihn ihm aus der Hand und roch noch einmal daran.

»Nanu, Georg! Kannst dich wohl von dem Odeur gar nicht trennen?« Er stockte, als er die veränderte ernste Miene Berkoffs sah. »Was hast du? Was ist denn?«

»Das wollen wir gleich sehen, Wolf.« Bei diesen Worten zupfte Berkoff einige Fasern aus der Putzwolle, legte sie auf seinen Teller und brachte ein brennendes Streichholz heran. In dem Augenblick, in dem die Flamme die Fasern berührten, verpufften sie wie Schießpulver. Noch ein paarmal wiederholte Berkoff den Versuch mit kleineren und größeren Proben.

»Zum Teufel, Georg, was ist das? Was hat das zu bedeuten?«

Berkoff pfiff durch die Zähne. »Nitroöl, mein Lieber. Stark explosives Nitroöl. Was meinst du, wie der Stoff unseren Motoren bekommen, wie bald er die Zylinder zerschlagen würde?«

»Nitroöl? Ich verstehe immer noch nicht, Georg . . . Sprengöl . . . Wie kommt der gefährliche Stoff in unseren Tank?« Berkoff wollte antworten, als er plötzlich erblaßte.

»Herrgott im Himmel, Wolf, wir stehen hier und schwätzen wie die alten Weiber. Unsere ›Seeschwalbe‹ ist vor einer Stunde hier fortgeflogen, sicherlich mit demselben Höllenzeug in den Tanks.«

Schon während der letzten Worte war er zum Rundfunk des Schiffes gestürzt. Die Morsetaste des Senders trommelte unter seiner Hand, er schaltete auf Empfang . . . warf den Schalter wieder zum Sender hinüber und nahm die Verbindung mit der ›Seeschwalbe‹ auf. –

In New York war es sechs Uhr morgens. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchteten die Spitzen der Wolkenkratzer und ließen sie im Purpurschein glühen wie die Berggipfel in den Alpen. Auch die Borduhr der ›Seeschwalbe‹ zeigte sechs Uhr. Aber über dem 125. Grad westlicher Länge, den das Flugzeug eben passierte, war noch Nacht, nur durch den Mond erhellt.

Hein Eggerth saß am Steuer, Bert Röge neben ihm bediente das Funkgerät. Hinter ihnen hatte es sich Schmieden zu einem gesunden Schlaf bequem gemacht.

Endlos dehnte sich unter ihnen die See. Den Ozean und immer wieder den Ozean würden sie jetzt unter sich haben . . . viel Stunden . . . viele Tage hindurch, über 30 000 Kilometer lang war ja jener Teil der deutschen Route, der von Los Angeles über die Manihiki-Inseln nach dem Kontrollpunkt in Claryland und dann weiter über den Indischen Ozean nach Aden führte. Eintönig, beinahe einschläfernd der gleichmäßige schnelle Flug über den stahlblauen Schild des erdumgürtenden Ozeans. Das letzte, was Röge in seinem Empfänger vernommen, war die Kunde von der Ankunft der Amerikaner und Japaner auf den Hawai-Inseln gewesen. Die Kurse dieser beiden Konkurrenten würden sie in etwa drei bis vier Stunden schneiden. Vielleicht, daß man das eine oder andere von ihren Flugzeugen sichten und dadurch ein wenig Abwechselung haben könnte.

Plötzlich drückte er die Kopfhörer fester an die Ohren, schrieb ein paar Worte auf seinen Block, gab durch den Bordsender Antwort, stellte dann wieder auf Empfang um. Immer schneller eilte dabei sein Bleistift über das Papier. Jetzt funkte er wieder zurück, hörte, funkte noch einmal . . . hörte dann lange.

»Wer gibt's, Bert? Mit wem sprachst du eben?«

»Mit Berkoff. ›St 1‹ liegt noch in San Pedro, wo er eben Brennstoff genommen hat . . .« Röge betrachtete die Benzinuhren der verschiedenen Tanks auf dem Apparatenbrett. »Ein Glück, Hein, daß wir mit unserem alten Brennstoff aus dem Hecktank weitergeflogen sind . . . eine tolle Sache, die Berkoff mir eben funkte. Hör zu, aber laß nicht etwa vor Schreck das Steuer los. ›St 1‹ haben sie in San Pedro explosives Nitroöl in den Tank gepumpt. Nur durch einen glücklichen Zufall haben Hansen und Berkoff es gemerkt. Berkoff vermutet, daß es bei uns ebenso ist. Er warnt uns.«

»Warnen? . . . Warnen? Ja, was will er denn? Was sollen wir tun? Jetzt etwa umkehren? Nach San Pedro? Neuen Stoff nehmen? Das heißt die besten Chancen aus der Hand geben.«

»Das verlangt Berkoff nicht. Er warnt nur, den Tank mit dem Nitroöl in Betrieb zu nehmen. Wir sollen mit unserem alten Öl . . . ich habe ihm gefunkt, daß es noch für sieben Stunden reicht . . . auf unserem Kurs weiterfliegen. Hansen und Berkoff wollen den Saustall in San Pedro ausheben, die Saboteure, soweit sie sie fassen können, der Polizei übergeben, neuen guten Triebstoff nehmen und uns dann mit ihrer höchsten Geschwindigkeit nachkommen.«

Hein Eggerth schüttelte den Kopf und kratzte sich hinter dem rechten Ohr.

»Pfui Teufel, Junge. Ist das eine Situation. Hundert Meilen vom nächsten Land ab, zwei Kilometer hoch . . . einen Tank mit drei Kubikmetern Sprengöl hinter sich . . . ich kann mir was Schöneres denken.«

Röge hatte keine Zeit zum Antworten, er mußte sich um den Funk kümmern. Erst nach Minuten tat er den Mund auf. »Du, Hein, das ist interessant. Weißt du, wer der Saboteur in San Pedro ist? Du wirst's nicht erraten. Unser verflossener Schulze 3 aus Bitterfeld ist's, der damals aus dem Sicherheitsraum ausrückte. Na, Hansen und Berkoff scheinen dem das Leder ja nicht schlecht vollgehauen zu haben.«

»Schade um jeden Schlag, der daneben geht«, knurrte Hein Eggerth wütend vor sich hin. »Wollen bloß hoffen, daß auch alles andere klappt, könnten sonst eklig in die Tinte geraten.« –

In San Pedro hatten die Dinge eine sehr plötzliche und für Monsieur Beumelé sehr unangenehme Wendung genommen. Beruhigt war der mit seiner Barkasse zum Kai zurückgekehrt. Gott sei Dank, die beiden Piloten von ›St 1‹ hatten keinen Verdacht geschöpft, hatten ihm den Schwindel von der Standard Oil Company geglaubt. Hoffentlich flogen sie endlich los, damit er sich wieder in Ruhe seiner Weinflasche widmen konnte. Doch vergeblich lauschte er auf das Motorgeräusch. Immer noch lag ›St 1‹ im Hafen . . . und jetzt . . . ja zum Teufel, die beiden kamen ja wieder . . .

Noch während er's dachte, waren die schon neben ihm. Eine Flut von Fragen ließ Berkoff auf ihn niederprasseln. Was das für ein Treiböl wäre? . . . Woher sie's bezogen hätten? . . . Wo die Lieferscheine seien? Die müßten sie vor allen Dingen sehen . . . Wo Mr. Stonefield steckte, der verantwortliche Leiter der Station . . . Mit dem müßten sie ein kräftiges Wort Deutsch sprechen.

Noch versuchte Beumelé, Antwort auf alle Fragen zusammenzufinden. Während er sie stockend herausbrachte, stand sein Plan schon fest. Die beiden gefährlichen Menschen Mr. Stonefield auf den Hals schicken und dann selber schnellstens und spurlos verschwinden. Wenn es ihm glückte, den Frühzug nach Chikago zu erwischen, der in zwanzig Minuten von San Pedro abging, war er in Sicherheit . . . Aber in diesem Moment faßte ihn Hansen schärfer ins Auge . . . und dann . . . ehe er sich's versah, knallten ihm von links und rechts ein paar Maulschellen in die Visage, daß er gegen die Schuppenwand flog.

»Schulze 3! Der Schweinehund aus Bitterfeld!« schrie Hansen und packte ihn von neuem bei der Binde.

»Was?! Schulze 3!« Noch während er es rief, fiel Berkoff von der anderen Seite über Monsieur Jacques Philippe Beumelé her. –

Neben der Arbeit trieb man in Bitterfeld auch gesunden Sport. Es gab da eine Fußballmannschaft, die auch von internationalen Wettspielen schon manchen schönen Preis nach Hause gebracht hatte. Das waren die berühmten »Elf der Eggerth-Werke«. In dieser Mannschaft war Berkoff der Torwächter, Hansen einer der Stürmer. Das Spezialpech des Herrn Beumelé fügte es, daß er diesen gut trainierten Sportsleuten in die Hände geriet, und die trieben nun ein rohes Spiel mit ihm. Seine beiden Hände genügten nicht annähernd, um alle die Körperstellen zu decken, auf die es Hiebe setzte. Während der nächsten fünf Minuten vertrimmten und verwalkten die beiden den Monsieur Beumelé, daß er am Leben verzagte . . . Bis schließlich Mr. Stonefield, durch diese etwas lärmende Lynchjustiz aus seinem Schlummer gerissen, in der Schuppentür erschien.

Der wollte erst aufbegehren, aber er verstummte, als er etwas von Explosivöl und Sabotage hörte, und wurde ganz klein, als ihm Berkoff an einigen Ölfässern des Lagers die gefährlichen Eigenschaften des nitrierten Treibstoffes praktisch vorführte. Nervös wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn, während Berkoff noch eine größere Ölprobe vor seinen Augen verpuffen ließ. Eine böse Suppe war das ja, die ihm dieser Beumelé da eingebrockt hatte. Den Kerl mußte er vor allen Dingen festsetzen lassen. Im Interesse seiner eigenen Rechtfertigung mußte er dafür sorgen, daß dieser Verbrecher seine gerechte Strafe erhielt. Aber als er sich nach ihm umdrehte, war weit und breit kein Monsieur Beumelé mehr zu sehen.

Der hatte die Zeit, während der Berkoff im Lagerschuppen seine Experimente machte, dazu benutzt, sich schleunigst zu drücken. Sein Anzug war zerrissen, das Blut lief ihm aus Mund und Nase und bei jedem Schritt fühlte er seine Knochen. Aber Monsieur Beumelé wußte, daß er um seine Freiheit lief, und setzte seine letzte Kraft ein. Während die drei beim Schuppen noch nach ihm suchten, erreichte er in letzter Minute den Chikagoer Zug und ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf eine Wagenbank fallen. –

»Es hat keinen Zweck mehr. Der Schweinehund ist weg«, sagte Wolf Hansen zu Mr. Stonefield. »Lassen wir ihn in Teufels Namen laufen. Seine Hiebe hat er und die muß er nach Lübischem Stadtrecht behalten, die nimmt ihm keiner ab.« –

Kurz darauf herrschte rege Tätigkeit am Kai und im Hafen von San Pedro. Die Ölpumpe saugte den gefährlichen Stoff aus den Behältern des Stratosphärenschiffes und warf ihn in die leeren Fässer zurück. Dann brachte die Barkasse andere Gefäße heran. Sorgfältig überzeugte sich Berkoff bei jedem einzelnen, daß es auch wirklich reines unverdächtiges Treiböl enthielt, mit Hochdruck arbeiteten Mr. Stonefields Leute, und bald konnte ›St 1‹ mit frisch gefüllten Tanks wieder aufsteigen. –

Gegen die Mittagsstunde verließ John Sharp das Reading-Haus, um Mr. Bourns in Radio City aufzusuchen, dem das Funkwesen für das große Rennen unterstellt war. Als praktischer Amerikaner dachte Sharp gar nicht daran, für den kurzen Weg bis zum Rockefeller Building sein Auto zu benutzen. Es war ihm ja zur Genüge bekannt, daß man in den überfüllten Straßen der Innenstadt sein Ziel immer noch am schnellsten zu Fuß erreichte.

Als er an dem Haus von Harrow & Bradley vorbeikam, wurde dort gerade ein großes Plakat emporgehißt. In riesigen, übermannsgroßen Lettern knallte ihm der Text entgegen: ›Die Ersten im Rennen‹, die Vereinigten Staaten! Frank Kelly und James Thomson auf Eagle-Maschinen der Reading-Werke an der Spitze! Letzte Standortmeldung 14 Grad nördlicher Breite 135 Grad westlicher Länge. Zurückgelegte Strecke in vierundzwanzig Stunden 11 300 Kilometer. Durchschnittliche Stundengeschwindigkeit 470 Kilometer.

In dichten Scharen staute sich die Menge vor dem Plakat. In wenigen Minuten war die Straße überfüllt in ihrer ganzen Breite, jeder Fahrverkehr auf dem Damm unmöglich geworden. In hellen Haufen strömte das Volk in die Büros von Harrow & Bradley, um seine letzten Dollars auf die drei Stundenzahlen 84, 85 und 86 zu setzen. Die Clerks hinter den Zahltischen arbeiteten wie die Maschinen, um dem plötzlichen Ansturm gerecht zu werden. In wenigen Stunden flossen Wettgelder im Betrage von vielen Tausenden in die Kassen von Harrow & Bradley, aber den Inhabern der Firma war dabei gar nicht wohl zumute. Sie durften es in diesem Augenblick nicht wagen, die bisherigen langen Odds zu verkürzen. Sie hätten es dabei riskiert, von der vom Wettfieber ergriffenen Menge zerrissen zu werden.

Und doch wäre eine Kürzung jetzt sehr am Platze gewesen. Denn würde wirklich eine der drei plötzlich so stark belegten Stundenzahlen die Zeit des Siegers und müßten alle Einsätze darauf hundertfach zurückgezahlt werden, dann kam für die Buchmacher ein schwerer Verlust heraus. 1:3 wären jetzt für die drei Zahlen die richtigen Odds gewesen.

In unglaublich kurzer Zeit verbreitete sich die Meldung, daß die Reading-Maschinen an der Spitze des Rennens lägen, in der gewaltigen Stadt. Millionen amerikanischer Herzen waren von dem heißen Wunsch bewegt, daß es so bleiben, daß Kelly und Thomson als Sieger aus dem Rennen hervorgehen möchten. Zwei Personen waren jedoch anderer Meinung, wenn sie sie auch nicht laut zu äußern wagten.

»Ich wollte«, sagte Elihu Bradley in der Privatoffice zu Roger Harrow, »daß die Eagle-Maschinen eine ordentliche Panne hätten.« Harrow nickte ihm zu. »Eine Panne, Bradley, daß sie von den verfluchten drei Zahlen runterkommen. In 87 Stunden dürfen sie das Rennen meinetwegen machen.«

Mit gemischten Gefühlen lasen auch zwei Japaner in New York die Nachricht.

»Es ist mir unverständlich«, sagte Hidetawa, »daß man damals in Tokio auf unser Telegramm aus Bay City nicht reagiert hat.«

Yoshika zuckte die Achseln. »Es ist nicht unser Aufgabe, darüber nachzudenken. Wir haben unsere Pflicht erfüllt und die Geschwindigkeit des Eagle sofort gemeldet. Wenn unsere Herren in Tokio weiter keinen Wert darauf legen, haben wir zu schweigen.«

»Trotzdem, Yoshika, muß ich fragen, warum wurden wir gegen die viel langsamere ›Seeschwalbe‹ der Deutschen eingesetzt? Nach der letzten Meldung ist ihre Position im Rennen gegenüber den Eagle-Maschinen aussichtslos.«

»Die Herren in Tokio werden wissen warum, Hidetawa. Hoffen wir, daß unsere Arbeit ihre Früchte trägt und die ›Seeschwalbe‹ über dem großen Ozean verschwindet . . . für immer verschollen bleibt.«

»Vielleicht ist sie schon verschwunden, Yoshika. Seit sechs Stunden, seit ihrem Abflug von San Pedro ist keine Nachricht mehr von ihr gekommen. Vielleicht hat unser Sprengöl schon gewirkt.« –

Noch vier andere Menschen in der Zehnmillionenstadt besprachen erregt das Riesenplakat an der Hausfront von Harrow & Bradley. Das waren die drei Russen, Tredjakoff, Bunnin und Perow, die sich mit William Hyblin gegen halb ein Uhr mittags in einem Salon nahe beim Reading-Haus getroffen hatten.

»Verdammte Geschichte!« fluchte Tredjakoff halblaut vor sich hin. »Wollen Sie uns im Stich lassen, Mr. Hyblin?«

Der deutete durch die Fensterscheibe auf das Haus von Harrow & Bradley gegenüber, vor dem sich die Menge staute.

»Sie sehen's doch selber, Gentlemen! Die Sache ist im Augenblick unmöglich. Wir haben drei gute Panzerwagen einen Block weiter in der Seitenstraße stehen. Aber was hilft's? Sie würden bei dem Gedränge noch nicht einmal an das Reading-Haus herankommen können. An ein schnelles Wegkommen nachher ist überhaupt nicht zu denken. Wenigstens einigermaßen frei muß die Straße sein, wenn wir die Sache mit Aussicht auf Erfolg unternehmen wollen.«

Tredjakoff sah auf die Uhr. »Noch zwanzig Minuten, dann geben die Zeitschlösser den Tresor frei. Wenn das blöde Volk sich nur bald verlaufen wollte. Zu dumm, die Yankees mit ihrer Wettleidenschaft.«

Hyblin schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, Mr. Tredjakoff, daß heute noch was zu machen ist. Ein paar Stunden wird das Gedränge da drüben noch wenigstens dauern.«

Die drei Russen steckten die Köpfe zusammen.

»Dumm! Zu dumm! Die Zeit brennt uns auf den Nägeln. In spätestens dreimal vierundzwanzig Stunden muß die Sache besorgt sein . . . morgen muß es gehen . . .! Wird's morgen gehen, Mr. Hyblin?«

Hyblin zuckte die Achseln. »Gentlemen, ihr Plan hat leider eine Lücke. Sie haben die Office von Harrow & Bradley nicht in ihre Rechnung eingesetzt. Wenn es den Herren gefällt, morgen mittag wieder so ein Plakat auszuhängen, wird wahrscheinlich dasselbe Gedränge wie heute sein.«

»Verflucht!« schrie Tredjakoff und schlug mit der Faust auf den Tisch, »der Teufel soll Harrow & Bradley holen! Ich fürchte, die werden uns jedesmal einen Strich durch unseren Plan machen. Was meinen Sie, Mr. Hyblin?«

»Wer kann das wissen, Mr. Tredjakoff? Es wird ganz vom weiteren Verlauf des Rennens abhängen. Wenn unsere Leute Pech haben, werden Harrow & Bradley sich ihre dicken Plakate sparen.«

»So mag der Himmel den Eagle-Maschinen ein paar gesunde Pannen schicken«, warf Bunnin dazwischen. Er sprach den Wunsch fast in derselben Sekunde aus, zu der ihn die Herren Harrow & Bradley in ihrer Office äußerten. –

John Sharp hatte sich seinen Weg durch die Menge bis zum Rockefeller-Building gebahnt und ließ sich dort zum 40. Stockwerk emporfahren. Hier war das Reich, in dem Phileas Bourns unumschränkt herrschte. Hier standen hundert hochwertige Empfangsapparate, durch welche die Verbindung mit den Teilnehmern des Rennens und den festen Stationen aufrechterhalten wurde. Nicht ohne Mühe war es Bourns gelungen, die Kurzwellen von 50 bis 60 Meter auf der ganzen Erde reserviert zu bekommen. Durch zwischenstaatliche Abmachung war für die Dauer des Rennens die Benutzung dieser Wellen grundsätzlich verboten worden. Nur die Teilnehmer des Reading-Rennens und die Reading-Stationen durften sie während dieser Zeit benutzen und auf diese Stellen waren sie nach einem besonderen Schlüssel verteilt worden.

Glücklich hatte sich dabei der Umstand ausgewirkt, daß man im Bereich der Kurzwellen viel mehr Funkstationen unterbringen kann als in demjenigen der Langwellen. Hat doch die Sechzig-Meter-Welle eine Schwingungszahl von 5000 Kilohertz, die von 50 Meter eine Frequenz von 6000 Kilohertz. Dem geringen Unterschied von nur zehn Metern in den Wellenlängen entsprach also ein Frequenzband von 1000 Kilohertz. Phileas Bourns konnte jedem seiner Sender und Empfänger eine Frequenzbreite von zehn Kilohertz zugestehen. Ein sauber getrennter Empfang für seine hundert Apparate war auf den ihm freigegebenen Wellenlängen gesichert.

Da standen nun die hundert Apparate in dem riesigen Saal, den John Sharp jetzt an der Seite von Bourns betrat. Den Antennenwald freilich, der dazu gehörte, den hatte das Dach des Rockefeller-Building allein nicht aufnehmen können. Fächerförmig spannten sich die Drähte von dessen 400 Meter über dem New-Yorker Straßenpflaster gelegenen Turmspitze nach allen Seiten hin zu Gipfeln der benachbarten Wolkenkratzer aus. In denen fing sich die Energie der vielen Sender, die in den Flugzeugen durch den Äther rasten oder auf den Kontrollstationen des Konzerns über die ganze Erde verteilt waren. Millionenfach vergrößert trat sie aus den Verstärkern der Empfangsapparate heraus, um die Morseschreiber in Tätigkeit zu setzen, die mit ihnen verbunden waren.

Hundert Empfänger und hundert solcher elektromagnetischer Schreiber vor ihnen standen in langen Reihen in dem großen Saal, und fast stets klapperten wenigstens ein Dutzend dieser Magnetschreiber und brachten die Nachricht zu Papier, die irgendwo auf dem Erdball ein Teilnehmer des Rennens aus seiner Antenne spritzen ließ. Und noch mehr taten diese Apparate. Sie schrieben die Botschaften nicht nur in Morseschrift, sondern stellten sie auch zur gleichen Zeit auf einem zweiten Papierstreifen in Lochschrift her. Die zweite Ausfertigung brauchte dann nur in den mechanischen Geber des großen Reading-Senders gesteckt zu werden und sofort lief das Telegramm auf dessen Welle weiter in die Welt zu allen Empfangsstationen des amerikanischen Kontinents und zu denen über See.

»Unsere Organisation klappt, Mr. Sharp«, sagte Phileas Bourns und deutete auf das blinkende Spiel der vielen Morseschreiber. »Fast mit allen Piloten, die im Rennen sind, haben wir laufend Verbindung.«

»Fast mit allen? . . . Warum nicht mit allen?« fragte Sharp.

Bourns wiegte den Kopf. »Mit den russischen Fliegern ist die Verbindung seit zehn Stunden vollkommen unterbrochen. Sie melden sich auch auf unseren Anruf nicht mehr. Ich habe die Überzeugung, daß das auf direkte Weisung von Moskau geschieht. Die Russen wünschen offenbar nicht, daß die Welt noch mehr von ihrem Pech erfährt.«

»Lassen wir die Russen, Mr. Bourns! Wir wissen ja Bescheid über sie. Wie ist die Verbindung mit den übrigen?«

Bourns trat zu einem Tisch, auf dem das große Protokollbuch der Station lag. Hier waren alle Telegramme hintereinander der Zeit nach, zu der sie aufgenommen wurden, handschriftlich eingetragen. Er blätterte einige Seiten zurück. In bunter Reihenfolge waren da Standortmeldungen von Piloten der verschiedenen Nationen zu lesen. Englische und französische, japanische und italienische Meldungen. Er schien eine Weile etwas zu suchen. Kopfschüttelnd wandte er sich dann zu Sharp. »Es ist merkwürdig, daß die beiden deutschen Maschinen der Eggerth-Werke so wenig von sich hören lassen. ›St 1‹ kann fast als verschollen gelten. Das Stratosphärenschiff ist vor achtzehn Stunden in der Schreckensbucht aufgestiegen. Seitdem haben wir kein Lebenszeichen mehr von ihm bekommen.«

»Oh, Mr. Bourns, wie ist das möglich?«

»Ich befürchte irgendeinen ernsten Unfall, Mr. Sharp. Nach allem, was uns Jenkins funkte, scheint die Type doch noch nicht richtig durchkonstruiert zu sein. Professor Eggerth in Deutschland ist als ein vorsichtiger Mann bekannt. Ich verstehe nicht, wie er seine St-Type in das Rennen schicken konnte. Das Schiff hat gleich bei seinem Aufstieg eine Panne gehabt und sechs Stunden für die Reparatur gebraucht. Wer weiß, was ihm inzwischen zugestoßen ist? Am Ende eine schwere Notlandung, durch die auch seine Funkanlage in Unordnung geriet.«

Sharp schüttelte den Kopf.

»Das wäre nicht gut, Mr. Bourns. Ich habe den lebhaftesten Wunsch, daß dies Rennen ohne Verluste an Menschenleben beendet wird. Je genauer ich's mir jetzt betrachte, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß es doch ein reichlich gefährliches Unterfangen ist . . . Sie sagten, daß auch von der anderen Eggerth-Maschine Nachrichten fehlen?«

Bourns blätterte in dem Protokollbuch, bis sein Finger auf einer Meldung haften blieb.

»Hier ist die letzte Nachricht von ihr. Los Angeles–San Pedro fünf Uhr früh New-Yorker Zeit . . . ist auch schon über acht Stunden her. Seitdem haben wir keine Standortmeldung mehr bekommen. Sie müßte inzwischen die amerikanische Route und die der Japaner gekreuzt haben. Die einzelnen Flugzeuge hätten sich dabei unter Umständen in Sicht kommen können. Aber weder von unseren Leuten noch von den Japanern ist irgendeine Meldung über die ›Seeschwalbe‹ eingelaufen.«

John Sharp starrte bedrückt auf die große Weltkarte an der Wand, auf der die Fluglinien der einzelnen Nationen eingetragen waren.

»Was haben Sie, Sharp?« riß ihn Bourns aus seinem Nachdenken.

»Das sieht hier alles so einfach auf der Karte aus, Bourns. Wir sehen da die Routen, ihre Schnittpunkte, und vergessen ganz die riesigen Entfernungen und die Größenverhältnisse. Sie sagen, daß die deutsche Linie die amerikanischen und japanischen Routen hier auf dem halben Weg zwischen Hawai und Mexiko kreuzt. Ja, das ist richtig, aber an dieser Stelle ist unsere Route von der japanischen bereits um 400 Kilometer entfernt, obwohl sie auf der Karte doch so dicht beieinander zu liegen scheinen. Da kann niemand was von den anderen sehen. Ein Flugzeug, Bourns, und wäre es das größte, ist im Maßstab dieser Karte ein Punkt von unvorstellbarer Winzigkeit, kleiner als irgendeine jener Bakterien, die wir nur mit den stärksten Mikroskopen sichtbar machen können. Ein verlorner Punkt im Weltmeer, wenn ihm etwas zustößt . . . ganz und gar verloren, wenn auch seine Funkanlage versagt . . .«

»Sie wird nicht versagen, Mr. Sharp. Ich traue den Deutschen einiges zu. Bis zu ihrer letzten Meldung war die ›Seeschwalbe‹ unser schärfster Konkurrent. Sie lag der Zeit nach etwas vor den Italienern und nur ganz wenig hinter den Engländern und Franzosen. Ich glaube, sie wird das Rennen besser durchstehen, als es unseren Bay-City-Leuten am Ende lieb ist.«

»Hoffen wir es, mein lieber Bourns. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß ich in Sorge bin. Durch das Testament unseres unvergeßlichen Morgan Reading waren wir ja bei der Ausschreibung des Rennens gebunden. Wir mußten es jeder Nation überlassen, sich ihre eigene Route zu wählen. Aber jetzt, da das Rennen seit 24 Stunden im Gange ist, denke ich doch über manches anders. Die Sicherheit könnte viel größer sein, wenn alle Teilnehmer dieselbe Strecke abflögen. Man hätte dann die Etappenstationen viel dichter legen können.«

Während er die letzten Worte sprach, deutete Phileas Bourns auf einen Morseschreiber, der eben zu klappern begann.

»Der Empfänger für die ›Seeschwalbe‹, Mr. Sharp. Sie meldet sich. Hören wir, was sie zu sagen hat.«

Ein Funker kam mit dem Telegrammstreifen, um ihn in das Protokollbuch zu übertragen. Über dessen Schulter gebeugt, las John Sharp: ›Seeschwalbe auf Kurs Los Angeles – Manihiki-Insel, passiert zwei Uhr mittags Ostzeit 10. Grad nördlicher Breite.‹

»Also sie ist wieder da«, lachte Bourns und klopfte ihm auf die Schulter. »Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.«

John Sharp hatte nicht unrecht mit seiner Bemerkung, daß die Dinge, die sich auf der Landkarte oder dem Globus dicht zusammendrängen, in Wirklichkeit ganz gewaltige Dimensionen annehmen. Auf einem scheinbar winzigen Fleck zwischen dem 10. und 20. Grad nördlicher Breite und dem 130. und 150. Grad westlicher Länge schnitten sich die Fluglinien von vier Nationen. Von Rom her über die Schreckensbucht kommend, steuerten die Italiener auf einem größten Erdkreis die Haymet-Klippen an. Ebenfalls von der Schreckensbucht her waren die Deutschen auf dem Fluge zu diesen Klippen. Aber ihr Kurs lag auf einem anderen Kreis und verlief zwischen den eben genannten Breitengraden etwa tausend Kilometer östlich von dem italienischen entfernt. Diese beiden in Nordsüd-Richtung laufenden Kurse wurden in Westost-Richtung von den Routen der Amerikaner und Japaner geschnitten.

Auf der Weltkarte, die John Sharp so nachdenklich gestimmt hatte, gab das Schnittbild der vier Kurse ein kleiner Viereck, das man mit einem Fingerglied bequem zudecken konnte, und stellte sich nur als ein winziger Teil der gewaltigen Fläche des Stillen Ozeans dar. In Wirklichkeit aber war es ein Gebiet, das ungefähr eins halbe Million Quadratkilometer umfaßte und in seiner Größe etwa dem Deutschen Reich entsprach. Nur an den vier Ecken dieser Fläche, an denen die Kurse sich schnitten, wäre eine direkte Begegnung möglich gewesen, aber sie war wenig wahrscheinlich, da diese Punkte von den verschiedenen Teilnehmern des Rennens ja zu verschiedenen Zeiten erreicht werden mußten.

*

Winzige, in der Unendlichkeit verlorene Punkte waren die einzelnen Maschinen über dem grenzenlosen Weltmeer. Nur durch ihre Funkgeräte konnten sie Lebenszeichen geben, Nachrichten empfangen, untereinander und mit der übrigen Welt in Verbindung treten. Fast alle im Rennen befindlichen Flugzeuge machten von dieser Möglichkeit Gebrauch, nur ›St 1‹ zog es vor, sich auch weiter in Schweigen zu hüllen.

Das Stratosphärenschiff ging und kam wie es ihm beliebte, ohne sich vorher anzumelden. Um fünf Uhr dreißig Minuten morgens nach New-Yorker Zeit hatte es San Pedro mit frischem Öl in den Tanks verlassen, um der ›Seeschwalbe‹ auf ihrem Kurs nachzujagen. Schon um sieben Uhr dreißig Minuten, was für Los Angeles immer noch halb fünf Uhr morgens war, wurde Mr. Stonefield schon wieder aus seinem sauer verdienten Schlummer gerissen. Neuen Treibstoff forderten Hansen und Berkoff von ihm. Kopfschüttelnd gab Stonefield seine Befehle, kopfschüttelnd sah er, wie Faß um Faß in den Bauch des Flugzeuges gepumpt wurde. Bis auf den letzten Tropfen schienen dessen Behälter leer zu sein. Vergeblich suchte er für das alles eine Erklärung, denn undenkbar schien es ihm, daß ›St 1‹ in der kurzen Zeit von wenig über zwei Stunden die ›Seeschwalbe‹ einholen, mit Treiböl versehen und sogar schon wieder zurück sein könne. Als die Füllung beendet war und die Barkasse mit den leeren Fässern zum Kai zurückkehren wollte, riskierte er eine Frage. Wolf Hansen machte eine beruhigende Handbewegung.

»Alles in Ordnung, Mr. Stonefield! Die ›Seeschwalbe‹ ist das Sprengöl los. Das infame Zeug liegt im Pacific. Einen hübschen Fettfleck hat's da in der See gegeben. Good bye, farewell, sir!« –

Während die Barkasse zum Kai zurückkehrte, nahm Mr. Stonefield seine Finger zu Hilfe, um etwas auszurechnen, doch er kam damit nicht zu Rande. In seiner Office griff er nach Papier und Bleistift und versuchte es noch einmal. Im Grunde war es eine jener ziemlich einfachen Aufgaben, wie man sie in den Mathematikbüchern für die mittleren Klassen zu Dutzenden findet. Sie lautete etwa so:

Von einem Ort geht ein Flugzeug mit 420 Kilometer Stundengeschwindigkeit ab. Anderthalb Stunden später fliegt ihm von der gleichen Stelle ein anderes, schnelleres nach, holt es ein, kehrt wieder zum Ausgangsort zurück und erreicht den zwei Stunden nach seinem Abflug. Wie groß war die Stundengeschwindigkeit des zweiten Flugzeuges?

Mr. Stonefield rechnete einmal, zweimal . . . zum drittenmal und warf dann den Bleistift verzweifelt auf das Papier. War er verrückt geworden, oder was war sonst eigentlich los? Dreimal war er bei seiner Rechnung zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Mit tausend Stundenkilometer mußte das Stratosphärenschiff geflogen sein . . . wenn nicht etwa . . . eine Idee ging ihm durch den Kopf. War die ›Seeschwalbe‹ schon früher niedergegangen und hatte auf ›St 1‹ gewartet? Aber warum? . . . Zu welcher Zeit? . . . Irgendwie gewarnt? . . .

Alles Fragen, auf die Mr. Stonefield keine Antwort fand. Und doch mußte irgend etwas Ähnliches geschehen sein, denn das war ja bestimmt ausgeschlossen, daß ›St 1‹ etwa diese wahnsinnige Geschwindigkeit von tausend Stundenkilometer, die er eben ausgerechnet hatte, wirklich erreicht haben sollte. Würde er etwas Derartiges an das Rockefeller-Haus melden, man würde ihn dort für übergeschnappt halten und wahrscheinlich sofort von seinem Posten abrufen. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Der Job hier war gut, und solange es ging, wollte er ihn ausnutzen. –

Sollte er überhaupt etwas nach New York melden? Nach den Rennvorschriften war es die Aufgabe der Piloten, selbst ihre Standorte zu funken. Mochte sich ›St 1‹ in der Welt umhertreiben, wo es Lust hatte, was ging's ihn schließlich an? Seine Aufgabe war erfüllt, wenn er die San Pedro–Los Angeles passierenden deutschen Flugzeuge mit dem nötigen Brennstoff versorgte.

So geschah es, daß von seiner Seite aus keine Meldung nach New York ging, und daß Mr. Bourns gegen ein Uhr mittags zu Sharp erklären konnte: »›St 1‹ kann fast als verschollen gelten.« –

›St 1‹ mochte vielleicht Gründe dafür haben, seinen Sender so gut wie gar nicht zu gebrauchen. Seinen Empfänger strengte es dafür um so stärker an. Während Hansen am Steuer saß, hatte Berkoff die Hörer am Ohr und ließ die Einstellung des Gerätes im Bereich der 50-Meter-Wellen fortwährend hin und her wandern. Von allen Seiten nahm er die Nachrichten auf, die der Äther ihm zutrug, und notierte alles Wichtige auf seinem Schreibblock.

Hansen sah ihn schreiben, fragte gelegentlich: »Was Neues von Wichtigkeit, Georg?«

»Nichts von Belang, Wolf. Bis jetzt läuft alles vorschriftsmäßig. Die Amerikaner an der Spitze. Bisherige Durchschnittsgeschwindigkeit 460 Kilometer. Ich habe den Eindruck, daß ihre Motoren etwas nachgelassen haben. Trotzdem . . . wenn sich nicht noch besondere Zwischenfälle ereignen, wird die ›Seeschwalbe‹ kaum gegen sie aufkommen können. Dann werden wir beide mit ›St 1‹ am Ende doch noch scharf in das Rennen gehen müssen.«

»Vorläufig hat's damit noch gute Weile, Georg«, sagte Hansen und drosselte die Motoren stark ab. »Einstweilen genügt es, wenn wir ebenso schnell wie die ›Seeschwalbe‹ vorwärtskommen und uns in ihrer Nähe halten. Wir schonen dabei unsere Motoren und Ölvorräte und kommen immer noch rechtzeitig nach Claryland.« –

Nur noch mit halber Kraft trommelten die Maschinen von ›St 1‹. In dem druckfest geschlossenen Rumpf des Stratosphärenschiffes war von ihrem Arbeiten nur sehr wenig zu hören. In dieser Höhe von 10 Kilometer war die Atmosphäre bereits so stark verdünnt, daß sie das Geräusch der auspuffenden Explosionsgase kaum noch weiterleitete.

»Jetzt könnte man eigentlich mal an einen ordentlichen Schlaf denken«, nahm Berkoff das Gespräch wieder auf. »Wir haben seit zwanzig Stunden kein Auge zugetan. Nimm die Kopfhörer. Ich haue mich da hinten ein paar Stunden aufs Ohr. Nachher löse ich dich am Steuer ab und du machst auch ein Nickerchen.«

»Meinetwegen, Georg. Aber nimm erst noch das Besteck. Jetzt ist's noch Zeit. In einer Stunde wird die Sonne heraufkommen.«

»Bon!« sagte Berkoff, »wird gleich gemacht.«

Er schob Hansen die Kopfhörer hin und ging in den Mittelteil des Schiffes zurück. In der Decke des Rumpfes war ein Ausschnitt von etwa zwei Quadratmetern verglast, so daß man das Firmament, an dem die Sterne bei dieser Flughöhe in wunderbarer Stärke und Klarheit erglänzten, gut sehen konnte. Gerade für ein Stratosphärenschiff war ein solcher Beobachtungsstand unbedingt notwendig. Waren doch seine Piloten mehr als bei jedem anderen Flugzeug auf astronomische Ortsfeststellungen angewiesen, da eine Orientierung nach Landmarken bei den großen Flughöhen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit bot.

Dieser Teil der Konstruktion hatte Professor Eggerth und seinen Mitarbeitern ziemliche Schwierigkeiten bereitet. Die Verglasung mußte natürlich luftdicht und druckfest sein. Zollstarke Spiegelscheiben, durch Duraluminiumträger abgesteift, waren dafür verwendet worden. So vermochte die Verglasung den inneren Überdruck, der in zehn Kilometer Flughöhe gut sieben Tonnen auf den Quadratmeter betrug, sicher aufzunehmen. Aber auch noch eine zweite Schwierigkeit hatte man überwinden müssen. Für die astronomische Ortsbestimmung, zu der sich Berkoff, den Spiegelsextanten in der Hand, eben anschickte, mußte ja die Winkelhöhe verschiedener Sterne mit möglichst großer Genauigkeit gemessen werden. Bei der Höhenmessung durch das starke Glas hindurch konnten sich aber Beobachtungsfehler einschleichen, wenn die Scheiben nicht vollkommen planparallel waren. Viel Mühe und Geld hatte es gekostet, bis Professor Eggerth endlich ein Glas erhielt, das allen Ansprüchen genügte und eine fehlerfreie Ortsbestimmung vom Innenraum des Schiffes her gestattete.

Berkoff machte seine Beobachtungen und schrieb die abgelesenen Winkel auf ein Blatt Papier. Dann griff er nach einem Buch, dessen Seiten mit Sternnamen und endlosen Zahlenreihen bedeckt waren. Ein kurzes Suchen in den Tabellen, und er konnte den Standort von ›St 1‹ notieren. Fünf Grad nördlicher Breite 133 Grad westlicher Länge. Zusammen mit der New-Yorker Zeit schrieb er die Zahlen in das Bordbuch von ›St 1‹.

»So, Wolf! Hier ist das Besteck. Jetzt gute Nacht. Ich gehe schlafen.«

»Tu das, mein Lieber. Drei Stunden gebe ich dir Zeit dafür.«

Während es sich Berkoff zwischen Kissen und Decken behaglich machte, saß Hansen am Steuer, die Kopfhörer an den Ohren. Der Mond war inzwischen untergegangen. Er sah nur die graublaue Unendlichkeit von Meer und Luft, wenn er durch die Scheiben vor sich hinausblickte. Die drei Kompasse des Schiffes und die Seekarte waren in dieser Dämmerstunde seine einzigen Führer durch die schweigende Einsamkeit. –

 


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