Hans Dominik
Der Wettflug der Nationen
Hans Dominik

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Das Rennen geht weiter

In der Schreckensbucht ließ Giuseppe Tomaseo die einzelnen italienischen Maschinen so starten, wie sie mit ihren Reparaturen fertig und wieder flugfähig wurden. Als erste war die ›Gamma Romea 3‹ aufgestiegen und lag seitdem mit einem weiten Vorsprung vor ihren Schwesterflugzeugen im Rennen. Mit einer Geschwindigkeit, die derjenigen der Eagle-Type nur wenig nachstand, jagte sie auf Nordsüd-Kurs durch den Äther. Auf der Höhe von Vancouver gab es eine kurze Wasserung neben einem italienischen Etappenschiff, um neuen Betriebsstoff zu fassen. Dann ging der Flug sofort weiter, Kurs auf die Haymet-Klippen.

Die Gamma-Romea-Maschinen waren Musterleistungen des modernen Flugzeugbaues. Ausgesprochene Rennmaschinen mit starken Motoren, ausgerüstet mit allem, was es an erprobten Konstruktionen und Hilfsmitteln gab. Nur leider – das hatten die Ereignisse auf dem Flug von Tripolis bis zur Schreckensbucht erwiesen – war die Betriebszuverlässigkeit doch nicht ganz hundertprozentig. Man konnte nicht wissen, ob etwas Ähnliches nicht noch einmal sich ereignen würde, und dieser Umstand drückte auf die Stimmung der Besatzung von ›Gamma Romea 3‹. Bis jetzt hatte sich ihr Chefpilot Agostino Carducci noch keine Sekunde Schlaf gegönnt. Doch nun arbeiteten die Motoren ja schon wieder seit langer Zeit regelmäßig und fehlerfrei wie die Uhrwerke. Es schien, als ob man dem Schicksal mit jenen ersten Pannen seinen Tribut entrichtet habe und von nun an ein Rennen ohne weitere Zwischenfälle erhoffen dürfe. So übergab er gegen zehn Uhr morgens nach New-Yorker Zeit das Steuer dem zweiten Piloten Gino de Martino, um einige Stunden der Ruhe zu pflegen. Auch der erste Funker Montanovi legte sich nieder und überließ die Bedienung der Station seinem Kollegen Goldoni.

In tausend Meter Höhe verfolgte das Flugzeug seinen Kurs. Mit Vollgas ließ de Martino die Motoren laufen, mit gespannter Aufmerksamkeit suchte Goldoni jede Nachricht über den Stand der Amerikaner zu erhaschen. Die Amerikaner, die beiden Eagle-Maschinen der Reading-Werke, das waren ja die gefährlichen Gegner. Unbestritten lagen sie bisher an der Spitze des Rennens, und wenn kein Zwischenfall eintrat, würden sie wohl auch als die ersten das Ziel erreichen. Nur wenn man das letzte aus den Motoren herausholte, wenn man sie mit Vollgas und höchster Tourenzahl laufen ließ, bestand vielleicht die Möglichkeit, aufzuholen und den großen Preis für Rom zu gewinnen.

Carducci, der Chefpilot, hatte das noch nicht riskiert. Den hatte die Erinnerung an die ersten Pannen in der Nähe der Schreckensbucht davon abgehalten. De Martino, ein bekannter Rennflieger und Sieger in vielen Konkurrenzen, wagte es, weil er sich sagte, daß nur durch ein restloses Einsetzen aller Motorkraft ein Sieg über die schnellen Amerikaner zu erringen sei.

Bisher war das Wagnis geglückt. Unter Höchstlast arbeiteten die Maschinen und rissen das Flugzeug mit einer Geschwindigkeit vorwärts, die kaum noch hinter derjenigen der Amerikaner zurückblieb. Ging es so weiter, dann würde sich die Schale des Sieges vielleicht doch zugunsten Roms neigen. –

Eine Unregelmäßigkeit im bisher so regelmäßigen Trommelfeuer der Motoren ließ Gino de Martino aufhorchen . . . Was war das? . . . Ein Aussetzen der Zündungen bei der Steuerbordmaschine? . . . Ja . . . nein . . . ja doch, die Zündungen setzten aus, aber auch noch etwas anderes war es. Er kannte diesen knirschenden, zermalmenden Klang. Die Kurbelwelle der Steuerbordmaschine war gebrochen. Schlimm war das, viel schlimmer noch die Katastrophe, die unmittelbar darauf einsetzte . . .

Vom Zwang der Kurbelführung befreit, zerschmetterten zwei Kolben explosionsartig ihre Zylinderköpfe. Wie die Sprengstoffe einer berstenden Granate sausten die Trümmer nach allen Richtungen auseinander und schlugen in der nächster Sekunde dem Propeller der Backbordmaschine einen Flügel ab. Im Moment sprang das Unheil auch auf diese Maschine über. Der nur noch mit einem Flügel arbeitende Backbord-Propeller wirkte wie ein riesiger Exzenter und riß den ganzen Motor aus seiner Befestigung, bevor Gino de Martino das Gas abstellen konnte. Der Funker Goldoni hatte sich im ersten Moment der Katzstrophe über die Morsetasten geworfen und hämmerte in fliegender Hast das SOS, den Hilferuf aller in Seenot Befindlichen. Doch nicht lange Zeit blieb ihm dazu. Schwer und massig stürzte der aus seinen Fundamenten gerissene Motor auf die Backbordschwinge und brach sie dicht am Rumpf der Maschine ab. Wie ein fallendes Blatt trieb die Schwinge davon, wie ein fallender Lindensamen wirbelte ›Gamma Romea 3‹ in die Tiefe . . .

SOS . . . SOS . . . schrie der Sender noch unter den Händen Goldonis, dann schlug das Wrack des Flugzeuges wie ein Stein auf die Seefläche. Die Wogen brachen in den Rumpf ein, überfluteten Menschen, Maschinen, Akkumulatoren. Der Sender verstummte. –

Tief und immer tiefer schwamm der wracke Rumpf. Schon tauchte er unter. Wenige Minuten ragte die Steuerbordschwinge noch aus den Fluten. Dann verschwand auch sie, ›Gamma Romea 3‹ war weggesackt . . .

Vier Menschen trieben in der endlosen Wasserwüste, verschlossen jede Rettungsmöglichkeit, unabwendbar ihr Tod in den Fluten . . .

Da . . . kaum hundert Meter von ihnen entfernt etwas Schimmerndes, Schaukelndes auf den Wogen. Die Backbordschwinge ihres Flugzeuges. Ein schwaches, schwankendes Floß nur, die letzte Ausflucht, die ihnen geblieben. Sie schwammen darauf zu und erreichten es. Die große Hohlschwinge besaß genügend Schwimmkraft, um alle vier zu tragen. Sie klammerten sich daran, sie zogen sich hinauf, banden sich fest, so gut es eben ging. Dem augenblicklichen Tod waren sie entronnen. Doch wie würde das Ende sein? Mit entsetzlicher Klarheit ließ es sich voraussehen. Wenn nicht ein Wunder geschah, stand ihnen ein schlimmer Tod bevor . . . ein langsames Verschmachten inmitten der Salzflut. –

Hansen am Steuer von ›St 1‹ sah, wie der Horizont im Osten sich langsam zu verfärben begann. Erst gelb, dann rosenfarbig wurde dort die Grenze von Luft und Wasser. Rot ergoß es sich über den grauen Ozean, und dann tauchte der Sonnenball strahlend aus den Fluten. Wohlig empfand es der einsame Mann am Steuer des Stratosphärenschiffes, als die Sonnenstrahlen hell und warm in den Raum fielen.

Während er das wunderbare Naturschauspiel auf sich wirken ließ, drehten seine Finger wie spielend den Abstimmknopf des Empfangsgerätes.

Da plötzlich . . . er zuckte zusammen . . . Der aufregende Morserhythmus! Kurz Kurz Kurz Lang Lang Lang Kurz Kurz Kurz war an sein Ohr gedrungen. Wer funkte hier SOS? Wer schrieb hier den höchsten Notruf in den Äther? . . .

Er stellte den Empfänger noch schärfer ein, lauschte weiter. Noch einmal und immer wieder die drei Buchstaben SOS des Morsealphabetes . . . SOS . . . Save Our Souls! . . . Rettet unsere Seelen! . . . wer war in Not? . . . wer rief um Hilfe? . . .

Jetzt kamen andere Zeichen. Zeichen, die Laute und Worte bildeten. Italienische Worte waren es. ›Gamma Romea 3‹ verstand Hansen. Schwere Havarie . . . Bruch einer Kurbelwelle . . . zehn Nord 153 West . . . Absturz . . .

Mechanisch wie ein Automat drehte Hansen den Kurs des Schiffes nach Steuerbord. Seine Rechte griff nach den Brennstoffventilen, öffnete sie weit. In vollem Strom floß das Öl zu den Maschinen. Ein leichtes Schüttern ging durch den metallenen Schiffsrumpf. Dröhnend und trommelnd trieben die starken Motoren das Schiff auf dem neuen Kurs mit tausend Stundenkilometer dahin.

Jetzt hätte Hansen vier Arme haben müssen, um alles zu tun, was zu tun war. Den Punkt, von dem die SOS-Rufe kamen, auf der Seekarte eintragen, den neuen Kurs auf ihr einzeichnen, das Flugzeug steuern . . . Den Sender in Betrieb setzen . . . Die Funkverbindung mit den Schiffbrüchigen aufnehmen. Es wäre zu viel für einen Mann gewesen, Berkoff kam ihm zu Hilfe. Den hatte das Dröhnen der wieder mit voller Kraft arbeitenden Maschinen aus seinem kurzen Schlummer gerissen.

»Was ist los, Wolf? Warum jagen wir wieder? . . .«

»SOS-Rufe von ›Gamma Romea 3‹. Abgestürzt . . . hier . . .« Hansen deutete auf einen Punkt der Seekarte.

Berkoff überschlug die Entfernung von ihrem jetzigen Standort bis dorthin.

»Fast tausend Kilometer, Wolf. In einer knappen Stunde können wir da sein.«

Hansen schob ihm die Hörer hin und stellte die Motoren von ›St 1‹ auf äußerste Kraft ein. Wie eine gespannte Saite dröhnte und tönte der Rumpf des Schiffes unter dem verstärkten Propellerdruck. Wie ein Meteor schoß ›St 1‹ durch die Stratosphäre auf sein Ziel zu. –

Berkoff griff zum Sextanten. Er maß die Sonnenhöhe und machte neue Eintragungen auf der Karte. Hansen nickte nur, während er den Kurs danach um ein weniges änderte.

»In zwölf Minuten können wir da sein, Wolf.«

»Wenn's dann nicht zu spät ist, Georg.« –

Noch einmal Sonnenmessungen, neue Eintragungen auf der Karte. Dann schoß das Stratosphärenschiff in weiten Spiralen aus seiner Höhe hinab. Immer näher kam es dem Ozean und allmählich gewann die spiegelglatte blaue Fläche Bewegung. Jetzt konnten sie sehen, daß das Meer in einer langen Dünung wogte. Es war nicht so ruhig, wie es aus zehn Kilometer Höhe geschienen hatte. –

Jetzt nur noch tausend, jetzt nur noch fünfhundert Meter über dem Wasser. Mit scharfen Gläsern suchten sie die Fläche ab. Da . . . backbord voraus ein heller Punkt in dem Stahlblau des Weltmeeres. Sie hielten darauf zu, kamen näher und erkannten, was es war. Die Schwinge eines Flugzeuges im Ozean treibend, ein Spielzeug für die Wellen. –

Vier Menschen klebten daran, ohnmächtig, fast erstickt von den brandenden Wellen, schon dicht an der Grenze, die Tod und Leben scheidet. –

Es war keine leichte Arbeit, die Hilflosen von der treibenden Schwinge in den Rumpf von ›St 1‹ zu schaffen. Lange Zeit verstrich danach, in der das Stratosphärenschiff selbst wie ein Spielball auf den Wogen trieb, indes sich Hansen und Berkoff mit allen Mitteln mühten, die Schiffbrüchigen ins Leben zurückzurufen . . . bis es gelang, bis die Geretteten wieder zu atmen, zu sprechen vermochten. –

Der italienische Dampfer ›Garibaldi‹ kreuzte nordwestlich von der Weihnachtsinsel, als der SOS-Ruf des abstürzenden Flugzeuges zu seinem Empfänger drang.

Kapitän Felice Villari fuhr aus dem Schlaf, als ihm das Telegramm mit den wenigen verhängnisvollen Worten gebracht wurde. Kaum nahm er sich die Zeit, einen Mantel überzuwerfen. Um ein Haar wäre er so, wie er aus dem Bett sprang, auf die Kommandobrücke geeilt.

Dann stand er auf der Brücke, und der Maschinentelegraph rasselte unter seinen Fäusten: »Volldampf voraus« befahl der Telegraphenzeiger im Maschinenraum. »Volldampf voraus« gaben die Maschinisten den Befehl in den Kesselraum weiter. Berge von Kohlen wurden in die Feuerungen gestürzt, unendlicher Qualm entströmte den Schloten des ›Garibaldi‹.

»Kurs Nordost zu Ost« befahl Villari dem Wachtoffizier auf der Brücke, lief dann, so schnell ihn seine Füße trugen, die Treppe zur Funkerkabine hinauf.

»Was Neues, Madelena?« rief er den Funker an.

Der schüttelte den Kopf. »Nichts Neues, Signor Capitano«, er deutete auf den Durchschlag der Depesche, die Villari schon kannte, »das war das letzte, die Verbindung ist abgebrochen.«

»Versuchen Sie, sie unter allen Umständen wieder herzustellen, Madelena . . . versuchen Sie es! . . . Sie müssen . . .!« der Funker zuckte die Achseln.

»Absturz, Capitano . . . vielleicht das Ende . . .«

»Unmöglich! Undenkbar, Madelena! Versuchen Sie alles. Funken Sie mit größter Kraft. Versuchen Sie die Verbindung mit allen Mitteln wieder zu bekommen. Wir müssen ›Gamma Romea 3‹ finden . . . retten.« Der Funker deutete auf die Zahlen in dem Telegramm. »Absturzstelle ist bekannt. Hier . . .«

Kapitän Villari griff in die Manteltasche und zog die zerknitterte Originaldepesche heraus. Ja . . . da standen Zahlen . . . er hatte es in der ersten Aufregung ganz übersehen. Breite und Länge der Unglücksstelle hatte der Funker des abstürzenden Flugzeuges noch geben können.

Mit der Depesche in der Hand kehrte der Kapitän zur Kommandobrücke zurück und ging zu der Seekarte. Der Standort des ›Garibaldi‹ war eingezeichnet. Er trug auch den Ort der Katastrophe ein, zog die Verbindungslinie zwischen beiden Stellen und ließ das Lineal erschrocken auf das Papier fallen. Täuschten ihn seine Augen oder war es wirklich so? Fast vierhundert Seemeilen von der Weihnachtsinsel bis zur Absturzstelle . . . er täuschte sich nicht. Die Entfernung war wirklich so groß. Auch bei forcierter Fahrt würde der ›Garibaldi‹ vierundzwanzig Stunden bis dorthin gebrauchen. Vierundzwanzig Stunden . . . einen Tag. Eine lange Zeit . . . viel zu lang, um noch Schiffbrüchige zu retten, die verloren im Ozean trieben.

Villari zermarterte sich den Kopf. Was konnte er sonst noch zur Rettung der Besatzung von ›Gamma Romea 3‹ tun? Die nächsten italienischen Stationsschiffe waren der Unfallstelle nicht näher als sein Schiff. Die Möglichkeit blieb, an die anderen Flugzeuge zu funken. Die nächsten italienischen Maschinen konnten nur wenige Stunden von der Stelle des Unfalls entfernt sein. Denen mußte man sofort die genaue Ortsbestimmung funken. Vielleicht, daß es ihnen glückte, die schiffbrüchig im Ozean Treibenden zu sichten, zu retten. –

Im Laufe der nächsten Stunde gelang es dem Funker des ›Garibaldi‹, die Verbindung mit vier Romea-Maschinen aufzunehmen. Die Piloten versprachen, ihr Äußerstes zu tun. Aber leider war auch die nächste Maschine immer noch mehr als drei Stunden von der Absturzstelle entfernt.

Aufgeregt lief Kapitän Villari auf der Kommandobrücke hin und her. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. War es nicht unsinnig . . . zwecklos, mit höchster Maschinenkraft die Unfallstelle anzusteuern, die andere viel früher erreichen müßten? Seine Unruhe trieb ihn wieder in die Funkerkabine.

»Versuchen Sie es noch einmal, auf der Welle von ›Gamma Romea 3‹. Es wäre denkbar, daß das Flugzeug treibt, daß es der Besatzung gelungen ist, ihre Radioanlage wieder in Ordnung zu bringen. Es ist doch möglich, versuchen Sie es!«

Die Worte des Kapitäns ließen in Madelenas Herz ein Hoffnungsfünkchen aufglimmen. Während er an seinen Geräten hantierte, gingen ihm Erinnerungen an alte so oft erzählte Funkergeschichten durch den Kopf. Wie war's damals mit den Schiffbrüchigen der Nobile-Expedition auf ihrer Eisscholle gewesen? Tagelang hatte ihr Sender nicht funktioniert. Dann hatten sie ihn wieder in Ordnung gebracht. Dann war er wieder außer Betrieb, konnte dann wieder senden und schuf schließlich doch die rettende Verbindung mit der Außenwelt . . . Vielleicht hatte Kapitän Villari recht . . . Vielleicht konnte es auch hier so gehen.

Madelena schaltete den Sender ein und morste den Ruf nach ›Gamma Romea 3‹ in den Äther. Dann warf er den Schalter wieder auf Empfang um, und lauschte . . . zuckte zusammen, stellte noch schärfer ein und schrieb auf den Block, was in Morsezeichen auf der Welle von ›Gamma Romea 3‹ aus den Kopfhörern kam:

»›Gamma Romea 3‹, 10 Grad Nord 153 Grad West abgestürzt, untergegangen. Vier Mann Besatzung von ›St 1‹ an Bord genommen, unverletzt.«

Georg Berkoff zog die Hand von der Morsetaste. Er war mit dem italienischen Text fertig, den ihm Goldoni aufgeschrieben hatte.

»So, Wölfchen! Jetzt müssen die Italiani wissen, wie's um ihr Flugzeug und die Besatzung steht. Die werden sich vielleicht was wundern. Wollen mal hören, was sie darauf zu antworten haben.«

Er warf den Schalter wieder auf Empfang, fast in der gleichen Sekunde, in der Madelena auf dem ›Garibaldi‹ seinen Apparat aus Senden umstellte. Mit der Rechten notierte Berkoff die Zeichen, schrieb dabei italienische Worte, deren Sinn er nicht verstand, mit der Linken winkte er Goldoni zu sich, stülpte dem die Hörer über die Ohren, schlüpfte von seinem Sessel und drückte den Italiener darauf nieder.

Die Morsetaste war in Berkoffs Hand nicht langsam gewesen, aber in der Goldonis wurde sie noch um ein gutes Teil rascher. Der funkte, hörte, hörte und funkte mit einer Lebhaftigkeit, wie sie nur südlich des Tiber zu finden ist.

In der Kabine des ›Garibaldi‹ betätigte sich Madelena nicht minder lebhaft. Hinter ihm stand Kapitän Villari und verschlang mit den Augen die Buchstaben so, wie sein Funker sie niederschrieb.

»Ecco, ecco, Madelena! Sie sind gerettet! Sagen Sie, daß wir ihnen mit Volldampf entgegenfahren. Wo werden wir sie treffen? Wir müssen die deutsche Flugroute ansteuern.«

Während er noch sprach, hatte Madelena den Apparat schon wieder auf Senden gestellt. Jetzt nahm er die Antwort auf seine Fragen auf. Villari las sie.

»Ich verstehe nicht, Madelena? Wir sollen unsere Kohlen sparen? Ihnen nur unseren augenblicklichen genauen Standort funken?«

Schon bei den letzten Worten eilte er die steile Stiege herunter zur Kommandobrücke und ließ ein Ortsbesteck machen. Mit den neuen Positionsangaben kam er in die Funkerkabine zurück, hörte und sah weiter, was dort auf Ätherwellen zwischen dem ›Garibaldi‹ und dem fernen deutschen Flugzeug hin und her ging. –

Madelena schob den einen Hörer vom Ohr fort. »Merkwürdig, Signor Capitano, wie stark die Zeichen von dem deutschen Flugzeug kommen! Gar nicht, als ob wir viele hundert Seemeilen auseinander wären. Wie starker Ortsempfang klingt es.«

Villari blickte auf die Uhr neben dem Empfänger. »Eine gute Stunde ist's erst her, seit wir die erste Meldung von dem deutschen Flugzeug bekamen. Wenn es so schnell wie der ›Adler‹ der Amerikaner wäre . . . es müßte noch sehr weit entfernt sein.«

Ein Schreien vom Vorderdeck des ›Garibaldi‹ her klang zwischen die letzten Worte Villaris. Verwundert trat er aus der Kabine heraus auf die eiserne Stiege. Vorn auf dem Deck standen Leute der Freiwache, schrien, gestikulierten, wiesen mit den Händen in den Himmel. Unwillkürlich folgten Villaris Blicke der Richtung.

Ein schimmerndes Pünktchen dort oben, das weite Spiralen um den ›Garibaldi‹ zog, immer tiefer kam, immer größer wurde.

Madelena blickte verwirrt auf die Depesche, die er eben niedergeschrieben hatte. War denn sein Landsmann Goldoni am Sender des deutschen Flugzeuges übergeschnappt? War dem die unverhoffte Rettung aufs Gehirn geschlagen? Eine andere Erklärung ließ sich für die Depesche kaum finden. Er funkte: »Haltet euer Schiff an! Sind über euch. Fallen euch in den Schornstein, wenn ihr nicht stoppt.«

›Vollkommen verrückt!‹ dachte Madelena, als er mit der Depesche zum Kapitän ging. Aber der schien anderer Meinung zu sein.

Kaum hatte er einen Blick auf das Blatt geworfen, als er flink wie ein Wiesel über die steile Stiege zur Kommandobrücke hinabglitt und zum Maschinentelegraphen lief. Ein Rasseln, ein Klirren, »Stopp, langsam rückwärts« ging das Kommando in den Maschinenraum. Unter dem Druck der rückwärts schlagenden Schrauben kam der ›Garibaldi‹ zum Stillstand. Keine Minute zu früh. Nur hundert Meter weit ab von ihm setzte ein langes schnittiges Flugzeug auf. Ein schimmerndes Aluminiumboot löste sich von dessen Rumpf. Von Ruderschlägen getrieben, kam es in der Dünung auf- und abschwebend an die Leeseite des ›Garibaldi‹ heran. Fünf Männer brachte es zu dem italienischen Dampfer. Die geretteten vier von der Gamma Romea und Wolf Hansen. Das Fallreep fiel über die Bordwand des ›Garibaldi‹ nach unten. Die Italiener im Boot wollten Hansen den Vortritt lassen. Der winkte lachend ab.

»Après vous, Messieurs, après vous!« rief er ihnen in der Sprache zu, in der sie sich während des gemeinsamen Aufenthaltes an Bord von ›St 1‹ verständigt hatten. Und als die vier oben auf dem Deck des ›Garibaldi‹ standen, von ihren Landsleuten begrüßt und umarmt wurden, trieb er das Boot bereits mit kräftigen Ruderschlägen zu ›St 1‹ zurück. –

»Der deutsche Flieger ist schon wieder fort, Signor Capitano«, sagte Madelena, während er Villari eine Depesche gab. »Hat, wie es scheint, wo anders zu tun. Wünscht uns glückliche Reise.«

Als Villari das Telegramm sinken ließ, war ›St 1‹ senkrecht über dem ›Garibaldi‹ unsichtbar geworden, von der leichten Bläue des Morgenhimmels verschluckt, aufgesogen. –

Ein langes Rätselraten hub an. Es begann an Bord des ›Garibaldi‹, wo Kapitän Villari alle Navigationsoffiziere für Pfuscher, die ganze Navigationswissenschaft für blanken Schwindel erklärte. Es ging weiter im Reading-Haus und schließlich in der ganzen Welt, als man immer wieder auf das gleiche Resultat kam, daß ›St 1‹ eine Strecke von 1500 Kilometern in fünfviertel Stunden durcheilt haben müsse. –

Daß etwas Derartiges völlig ausgeschlossen war, lag natürlich auf der Hand. Es gab nur die eine Erklärung, daß irgendeinem der Beteiligten bei der Ortsbestimmung ein grober Rechenfehler unterlaufen war. Der ›Garibaldi‹ lag bei der Weihnachtsinsel, als ihn die SOS-Rufe trafen. Ein Fehler seiner Ortsbestimmung konnte sich deshalb nur in geringen Grenzen bewegen. So blieb die andere Möglichkeit, daß der Funker der abstürzenden Romea-Maschine falsche Werte gegeben hatte. In der Tat hatte diese Annahme viel für sich, wenn man die Verwirrung und Aufregung während der grauenhaften Sekunden des Absturzes in Betracht zog. Im Moment der Katastrophe hatte Goldoni nur an seine Pflicht gedacht, hatte den SOS-Ruf gegeben, hatte, während die zerbrochene Maschine schon im jähen Absturz war, Sekunden nur noch vor dem Aufprall auf die See die Position aus dem Gedächtnis gefunkt. Da war ein Irrtum, eine Verwechselung vielleicht mit einer früheren Ortsfeststellung, nur allzu leicht möglich. Zweifellos, so mußte es gewesen sein!

Freilich hatte auch das deutsche Stratosphärenschiff die gleiche Position für den Ort der Katastrophe gefunkt, und es hatte die Schiffbrüchigen tatsächlich gefunden und gerettet. Das blieb eine brüchige Stelle in den Erklärungsversuchen, die man in New York und den anderen Orten anstellte. –

Es gab eine längere erregte Debatte zwischen John Sharp und Phileas Bourns, bevor man sich im Rockefeller Building über die Fassung einigte, in der man die Meldung von der Katastrophe der ›Gamma Romea 3‹ und der Rettung ihrer Besatzung durch ›St 1‹ in die Welt geben wollte.

»Eine ehrliche Berichterstattung verlangt es, Mr. Sharp, die Ortsmeldungen so weiterzugeben, wie sie von den Beteiligten wirklich gefunkt worden sind«, erklärte Bourns.

»Der Teufel hole alle Ehrlichkeit, wenn wir damit unsere Rennflieger und die ganze übrige Welt verrückt machen«, rief Sharp dagegen. »Es ist doch vollkommen klar, daß die Ortsmeldungen falsch sind . . . falsch sein müssen, Bourns. Stellen Sie sich vor, die Zahlen wären richtig! Dann müßten wir folgerichtig schließen, daß ein Flugschiff im Rennen liegt, das allen anderen an Schnelligkeit um mehr als das Doppelte überlegen ist. Der Gedanke wäre ja zu absurd, um ernstlich gedacht zu werden.«

»Aber die Ortsmeldung, Mr. Sharp, die tatsächlich gefunkt wurde. Von zwei Stellen gefunkt wurde . . . nach der man die Unfallstelle gefunden hat . . .«

Sharp machte eine Handbewegung, als ob er etwas wegwischen wolle.

»Zufall, Bourns! Ein glücklicher Zufall im Unglück! Denken Sie daran, wie es auf die Teilnehmer des Rennens, auf unsere Piloten wirken müßte, wenn wir funken, daß eine derartig überlegene Maschine im Rennen liegt.« –

Es war nicht leicht, die widerstreitenden Meinungen unter einen Hut zu bringen. Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiß. Der Reading-Sender gab zwar den Ort der Katastrophe nach den Depeschen der ›Romea‹ und des Stratosphärenschiffes bekannt, aber er teilte gleichzeitig mit, daß hier in den Ortswerten ein Fehler des Telegraphisten unterlaufen sei. –

Die Welt nahm diese Feststellungen gutgläubig auf. Nur an zwei Stellen machte man sich besondere Gedanken darüber. Einmal in San Pedro, wo Mr. Stonefield vergnügt auf den Tisch schlug, als er die Meldung aus Radio City hörte.

›All right, Jimmy‹, sagte er zu sich selber, ›also doch richtig gerechnet! Stimmt doch, was ich damals für Blödsinn hielt! Die Satansmaschine kann mehr als tausend Stundenkilometer schaffen. By Jove! Es wird noch Überraschungen in diesem Rennen geben.‹ –

Fünf Minuten später ging ein Telegramm aus San Pedro an Harrow & Bradley in New York ab. Mr. Stonefield wettete 50 Dollars auf eine Siegerzeit von 40 Stunden. Er war nicht der einzige, der es tat. Eine beträchtliche Anzahl ähnlicher Wetten konnten die Herren Harrow & Bradley an diesem Tage in ihre Bücher eintragen. –

Die andere Stelle, an der man die Reading-Meldung mit wissenden Augen las, lag in Deutschland.

»Eine gute Leistung von ›St 1‹«, sagte in Bitterfeld Professor Eggerth zu seinem Oberingenieur. »Das Schiff muß auf 1200 Stundenkilometer gekommen sein.«

»Eine vorzügliche Leistung«, stimmte ihm Vollmar bei. »Ich fürchte nur, Herr Professor, daß durch den Zwischenfall vorzeitig zuviel über ›St 1‹ bekannt wird.«

»Sie können vielleicht recht haben. Aber in dem Fall ging es ja nicht anders. Es war Menschenpflicht, den Abgestürzten mit höchster Maschinenkraft zu Hilfe zu eilen.«

»Gewiß, Herr Professor! Das schon! Aber es war nicht nötig, danach mit größtmöglicher Geschwindigkeit zum ›Garibaldi‹ zu fliegen. Dadurch ist die Geschichte eigentlich erst öffentlich geworden.«

Professor Eggerth krauste die Stirn. »Tja, Herr Vollmar?! Ich muß Ihnen recht geben. Unseren Freund Hansen scheint der Hafer zu stechen. Wir wollen versuchen, direkte Funkverbindung zu bekommen und ihn ein wenig zu bremsen.« –

In der ›Segelanweisung‹, die Professor Eggerth seinen Piloten für das Rennen mitgegeben hatte, stand unter vielem anderen auch der Passus: ›Der Bordempfänger ist alle Uhr null Minuten und alle Uhr dreißig Minuten New-Yorker Zeit auf die Kurzwelle des Werksenders einzustellen.‹

Georg Berkoff hatte gerade ein Paar interessante Neuigkeiten vom englischen und französischen Kriegsschauplatz aus dem Äther gefischt, als ihn Hansen anstieß.

»He, was ist, Wolf?«

»Zwölf Uhr dreißig, Georg! Werkwelle nehmen! Vielleicht haben die in Bitterfeld was für uns.«

Berkoff stellte den Empfänger auf die verabredete Welle und schaltete die letzten Verstärkerstufen ein. Eine leichte Aufgabe war es gewiß nicht, hier auf dem Stillen Ozean von der entgegengesetzten Seite des Erdballes her brauchbaren Empfang von Bitterfeld zu erhalten. Höchste Verstärkung, schärfste Abstimmung und ein leistungsfähiges Antennennetz waren die unentbehrlichen Voraussetzungen dafür. Er drückte auf Relaisknöpfe, durch die außenbords weitere Antennendrähte ausgelassen wurden, schaltete, stimmte ab, horchte angespannt und schrieb.

Es war ein langer Text, der mehrere Seiten des Notizblockes füllte. Einzeln, wie sie fertig wurden, schob er sie Hansen hin. Der las sie und zog dazu ein Gesicht, wie wenn er einen Schluck Essig getrunken hätte. Aber nicht allzulange. Er bewegte die Lippen, als ob er etwas Saures ausspuckte.

»Genug, Georg! Dreimal genug! Beruhige unseren Alten.« –

Zwei Minuten später hielt Professor Eggerth einen Funkspruch in der Hand:

»All right, Professor! Werden vorsichtiger sein. Hansen, Berkoff.« –

Um die Mittagsstunde eines sonnenheißen Tropentages war die Depesche über den Pazifik gefunkt worden. In der zwölften Stunde einer stürmischen, regnerischen Märznacht traf sie in Bitterfeld ein . . . und hatte für den Weg um die halbe Erde doch kaum eine fünfzehntel Sekunde gebraucht. –

Professor Eggerth las sie und gab sie mit einem leichten Lächeln seinem Oberingenieur.

»Jugend hat keine Tugend, mein lieber Vollmar. Ich sagte es Ihnen schon. Die Jungen sticht der Haber . . . trotz allem, ich muß anerkennen, daß sie sich an die Segelanweisung halten. Das Bewußtsein, daß ich sie jede halbe Stunde anfunken kann, ist mir viel wert. Haben Sie vielleicht die letzten Meldungen von ›St 2‹ und ›St 3‹ bei der Hand?«

Der Oberingenieur suchte in einem Stoß von Telegrammen.

»Hier, Herr Professor. Der letzte Funkspruch von ›St 2‹ kam vor anderthalb Stunden aus der Äquatorgegend zwischen Ceylon und Sumatra. Das Schiff treibt sich da zwischen den Engländern und Franzosen rum. Hat es bisher verständigerweise vermieden, sich sehen zu lassen. ›St 3‹ war zuerst den Russen nachgegangen. Nach dem russischen Fiasko ist es über den Pol nach Kolumbien geflogen.«

»Über den Pol?« Der Professor schüttelte verwundert den Kopf. »Haben Sie Einzelheiten, wie sich die Kompasse in den hohen Breiten verhielten?«

Der Oberingenieur schob ihm ein anderes Blatt hin. »Hier sind die Berichte, Herr Professor. Ich habe sie im einzelnen noch nicht auswerten können. Es scheint jedoch festzustehen, daß in diesen hohen Breiten um die Tag- und Nachtgleiche nur die Sonne in Verbindung mit einer genauen Uhr eine Steuerung erlaubt. ›St 3‹ hatte Glück, weil das Wetter klar war.«

»Hm, Vollmar, das ist nicht uninteressant. Daß der Magnetkompaß da oben verrückt wird, das wissen wir ja. Der Erdinduktor war immer eine zweifelhafte Sache. Aber auch der Kreiselkompaß? . . .«

»Ich bitte Sie, Herr Professor! Senkrecht über der Erdachse! Die Richtkraft wird da gleich Null. Aber die Sonne, die gerade jetzt zur Tag- und Nachtgleiche in vierundzwanzig Stunden einmal um den Horizont wandelt, und dazu ein gutes Chronometer können jeden anderen Kompaß vollkommen ersetzen, wenn das Wetter klar ist.«

»Nun gut, mein lieber Vollmar! ›St 3‹ ist der Polflug geglückt. Hoffen wir, daß die Teilnehmer des Rennens, die auch durch die hohen Breiten müssen, ebenso vom Glück begünstigt werden.«

Professor Eggerth wollte sich aus seinem Sessel erheben, als ihm ein Zug im Gesicht seines Oberingenieurs auffiel, den er von früher her kannte.

»Was haben Sie, Vollmar. Sie sehen so aus, als ob Sie wieder so einen Ihrer . . . Genieblitze haben. Raus mit der Sprache! An was denken Sie im Augenblick?«

»Eine Idee, Herr Professor. Ob es eine geniale ist, wage ich nicht zu entscheiden.«

»Was ist es denn? Ohne Ihnen zu schmeicheln, lieber Vollmar, Ihre Ideen waren manchmal nicht ohne.«

»Ja, ich meine, Herr Professor, man könnte unsere St-Schiffe tarnen. Warum soll sich ›St 1‹ als Nummer 1, ›St 2‹ als Nummer 2 überall zu erkennen geben. Die Kennzahlen sind leicht zu überdecken. Mögen unsere drei Stratosphärenschiffe auf dem ganzen Globus auftreten, wo und wie sie wollen. Die Hauptsache für uns bleibt, daß ›St 1‹ zu einer angemessenen Zeit die Kontrollstelle in Claryland passiert und unsere ›Seeschwalbe‹ auf ihrem Wege betreut. Die beiden anderen Stratosphärenschiffe können das Rennen verfolgen, wo und wie es ihnen beliebt. Hauptsache, daß wir sie stets erreichen und im Ernstfalle einsetzen können.«

Eine lange Zeit saß der Professor vor seinem Schreibtisch, den Kopf in beide Arme gestützt. Als er sich aufrichtete, lag ein leichter Glanz in seinen Augen.

»Sie haben recht, Herr Vollmar. So werden wir es machen. In den nächsten Stunden wollen wir versuchen, mit den drei Stratosphärenschiffen in Verbindung zu kommen und ihnen neue Anweisungen geben.«

Professor Eggerth stand auf und trat zu einer Weltkarte, die den größten Teil der Längswand seines Arbeitszimmers bedeckte. Mit bunten Fähnchen war darauf der Stand des Rennens nach den ersten vierundzwanzig Stunden markiert. Eine Tabelle in Handschrift daneben gab auch die zahlenmäßigen Werte.

Weit voran an erster Stelle lagen die beiden Eagle-Maschinen der Reading-Werke mit einer durchschnittlichen Stundengeschwindigkeit von 470 Kilometern und einer Gesamtflugstrecke von 11 300 Kilometer. Auf 14 Grad Nord, 135 Grad West war ihr Mittagsstandort mit einem Sternenbannerfähnchen auf der Karte markiert.

Als erstes unter den deutschen Flugzeugen hatte die ›Seeschwalbe‹ 10 000 Kilometer hinter sich gebracht, was 420 Kilometer pro Stunde entsprach. Ihr Mittagsstandort war 9 Grad Nord 138 Grad West. Nur um etwa 700 Kilometer waren die amerikanischen und das deutsche beim Anbruch zu Beginn des zweiten Renntages voneinander entfernt gewesen.

Trotz der Pannen, die das italienische Geschwader betroffen hatten, lagen die Italiener immer noch an dritter Stelle. Mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 415 Kilometer waren die beiden nächsten Romea-Maschinen bis zur amerikanisch-kanadischen Grenze gelangt und standen um zwölf Uhr mittags New-Yorker Zeit auf 50 Grad Nord, 123 Grad West. –

Unentschieden stand das Match zwischen Japanern, Engländern und Franzosen. Sie alle hatten über die langen ersten vierundzwanzig Stunden eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 400 Kilometer innegehalten. Die Japaner standen zu dieser Mittagsstunde 17 Grad Nord 128 Grad West. Die Fisher-Ferguson-Maschinen, die schnellsten Flugzeuge der Engländer, machten gerade eine Zwischenlandung in Colombo auf Ceylon 7 Grad 30 Minuten Nord, 80 Grad Ost. Die Franzosen befanden sich über dem Äquator auf 86 Grad Ost über dem Indischen Ozean. –

Geraume Zeit stand der Professor vor der Karte.

»Wie taxieren Sie die Sache, Herr Vollmar?«

»Nicht gut, für die ›Seeschwalbe‹. Bis jetzt sieht's so aus, als ob die Reading-Maschinen das Rennen machen werden.«

»Bis jetzt, mein lieber Vollmar . . . Bis jetzt heißt nach dem ersten Viertel des Rennens. Haben Sie gemerkt, wie die Anfangsgeschwindigkeit aller anderen Maschinen langsam aber stetig nachläßt, während unsere ›Seeschwalbe‹ ihre Kilometer wie ein Chronometer runtermahlt? Darauf wird's ankommen, ob das so weitergeht, sonst . . . haben wir als starken Trumpf ›St 1‹ in Hinterhand.«

*

»Ein großartiges Rennen, Forester«, sagte Patrick O'Donell, während er die letzten Morsestreifen durch die Finger gleiten ließ.

»Das feinste Match, das ich je erlebte«, bestätigte Charles Forester die Meinung seines Kollegen.

Beide waren Telegraphisten in der Funkstation auf Kalena, der größten der Kokos-Inseln. Ihr Gespräch fand gegen vier Uhr morgens nach der Ortszeit von Kalena statt, was der fünften Nachmittagsstunde nach New Yorker Zeit entspricht.

Die Kokos- oder Keelings-Inseln liegen über zweitausend Kilometer westlich von Australien im Indischen Ozean. Bei der Zerstörung der großen Funkstation auf Kalena wurde seinerzeit im Weltkriege der deutsche Kreuzer Emden von australischen Kreuzern überrascht und vernichtet. Selbstverständlich war die Station seitdem längst in neuer besserer Form wieder errichtet worden und bildete eine wichtige Vermittlungsstelle in dem indisch-australischen Funkverkehr. Sowohl die Flugroute der englischen wie auch diejenige der französischen Teilnehmer am Reading-Rennen führten über die Kokos-Inseln. Deshalb hatten Engländer und Franzosen gemeinsam auf Kalena eine Etappenstation errichtet. Es war die erste gemeinsame Station der beiden konkurrierenden Nationen; genauer und sinnfälliger als an irgendeiner anderen Stelle des langen Weges würde man hier aus den Ankunftszeiten der Wettbewerber ersehen können, wer vorteilhafter im Rennen lag.

Das war auch den Piloten der englischen und französischen Flugzeuge wohlbekannt, und so hatte sich auf der Strecke Ceylon–Kalena ein Rennen entwickelt, bei dem jeder von ihnen das Letzte aus seiner Maschine herauszuholen versuchte; ein wildes, tollkühnes Rennen, dessen einzelne Phasen die Funker der Station Kalena seit Stunden in immer steigender Spannung verfolgten und von dem in diesem Augenblick die beiden Telegraphisten Patrick O'Donell und Charles Forester sprachen.

Mochte der kommerzielle Funkverkehr Indien–Australien sehen, wie er seine Depeschen über den Indischen Ozean hinüberbekam. In diesen Stunden galt das ganze Interesse der Station Kalena dem Duell zwischen den englischen und französischen Maschinen. Alle Empfänger der Anlage waren auf die Spezial-Wellen der Flugzeuge eingestellt, die sich auf der fast dreitausend Kilometer langen Strecke den Rang abzulaufen suchten. Jede neue Positionsmeldung wurde aufgefangen und durch den großen Sender von Kalena sofort an das Reading-Haus weitergegeben. –

Seit zwölf Uhr nachts hatten Patrick O'Donell und Charles Forester ihren Dienst in der Empfangsstation, und noch nie war ihnen eine Hundewache in ihrer langen Praxis so aufregend und kurzweilig verlaufen.

»Ein feines Match, das schönste Rennen meines Lebens!« schrie O'Donell, der eben wieder einen Streifen aus dem Morseschreiber löste, und hielt Forester das Telegramm hin. Der ging damit zu der Seekarte des Indischen Ozeans, die sie über einem Tisch im Empfängerraum ausgebreitet hatten. Auf der steckten englische und französische Fähnchen, durch Zahlen und Namen noch besonders gekennzeichnet. Zwei Engländer und drei Franzosen waren es, die in dem mörderischen Rennen weitaus an der Spitze lagen. Zwei der schnellen englischen Maschinen von Fisher & Ferguson, die das Rennen bisher als die besten unter den englischen Teilnehmern durchgestanden hatten, und drei Franzosen. Zwei schwere Cassard-Maschinen und ein Papillon-Flugzeug. Zum Staunen aller Sachverständigen hatte sich die leichte Papillon-Maschine, der man anfangs keine großen Chancen geben wollte, bis jetzt tadellos gehalten.

O'Donell steckte die Nadel für die eine Fisher-Ferguson-Maschine auf der Seekarte ein Stück weiter nach Südosten. Dann trat er einen Schritt zurück und sah sich das Flaggenbild an. Dreimal die Trikolore in Front. Eine Strecke zurück ein Union Jack, noch etwas weiter zurück der andere. Auf den ersten Blick mochte es scheinen, als ob die Franzosen die überlegenen wären. Aber es war ja zu berücksichtigen, daß die Engländer gut tausend Kilometer weiter westwärts gestartet waren . . . und tausend Kilometer – zehn Zentimeter waren das gerade im Maßstab der Karte – schien doch jetzt der Unterschied zwischen den englischen und französischen Fähnchen nicht mehr zu sein.

Eben wollte O'Donell die genaue Entfernung feststellen, als ihm Forester einen neuen Telegrammstreifen reichte. Er las ihn und konnte kaum einen Fluch unterdrücken, als er danach die Fahnen für den Papillon wieder ein Stück vorwärts setzen mußte.

»Verdammt, Forester, die kleine Papillon-Maschine ist wieder schneller geworden. Unsere Leute von Fisher & Ferguson kommen ihr nicht näher.«

Forester zündete sich seine Pfeife an und schmauchte gelassen. Dann begann er zwischen den Rauchwolken zu sprechen.

»Eine allein tut's nicht, O'Donell. Wie stehen die Cassards?«

O'Donell maß die Entfernungen auf der Karte aus.

»400 und 420 Kilometer gegen die Fergusons.«

»Über 500 aufgeholt, O'Donell! Wollen mal sehen, ob sie nicht zusammen mit den Cassards hier ankommen.«

O'Donell wollte ihn unterbrechen, doch Forester sprach weiter. »Die eine Papillon-Maschine . . . ja, sie hat den Abstand gehalten! . . . wollen aber mal abwarten, wie lange sie's aushält. Der Pilot geht aufs Ganze. Holt aus den Motoren raus, was drin steckt . . . geht eine Zeit, O'Donell, aber kaum über die 40 000 Kilometer des Reading-Rennens.« –

Für die nächste Stunde gaben die Ereignisse Forester unrecht. Die Papillon-Maschine behauptete ihren Abstand von den Engländern unverändert, während die beiden Cassards immer mehr zurückfielen.

»Wetten, Forester, daß die Papillon-Maschine zwei Stunden vor den Fergusons in Kalena ankommt«, sagte O'Donell. »Wette ein Pfund.«

»Ein Pfund dagegen!« schrie Forester und schlug ein. –

Während O'Donell in der Station sein Geld auf die französische Rennmaschine riskierte, begann Francis Bonnières, der erste Pilot des Papillen, die Instrumente an der Bordwand mit nervösen Blicken zu mustern. Vergeblich regulierte er an den Ventilen für die Brennstoffzufuhr. Die fatale Tatsache blieb bestehen, daß die Umdrehungszeiger aller drei Motoren unaufhaltsam zurückgingen. Was konnte die Ursache sein? Waren die Kerzen verrußt? . . . Arbeiteten die Vergaser nicht richtig und gaben ein falsches Gemisch?

»Hallo, Henri! George!« alarmierte er seine Gefährten. Ein Blick auf die Instrumente genügte, um denen das Nachlassen der Motorleistung zu zeigen. Auch bei ihnen die Frage, was konnte es sein? In unverändertem Rhythmus dröhnte der Trommelwirbel der Motoren. Soweit ihre geübten Ohren es beurteilen konnten, blieben keine Zündungen aus. Alle Kerzen schienen in Ordnung zu sein. Aber die Leistung hatte stark nachgelassen, schien immer weiter sinken zu wollen.

»Die Kompression?« George Bertrand fragte bedrückt.

»Die Kompression?!« Bonnières und Latrouche wiederholten die Frage und sahen sich unsicher an.

Die außergewöhnlich hohe Kompression, mit der die Papillon-Motoren arbeiteten, war und blieb ein gefährlicher Punkt der sonst so gelungenen Konstruktion.

»Messen!« wie aus einem Munde sprachen Latrouche und Bertrand das Wort aus. In der nächsten Minute eilten sie zu den Motoren, um die Messung vorzunehmen. Die Papillon-Motoren waren an den Zylinderköpfen mit Indikatorstutzen versehen. Auch während des Fluges war es möglich, einen Indikator mit Bajonettverschluß an die Stutzen zu setzen und die Druckvorgänge im Zylinderinneren zu messen. Bei sechsunddreißig arbeitenden Zylindern war das freilich eine langwierige und subtile Arbeit, die hohe Anforderungen an die Nerven der Piloten stellte.

Während Latrouche und Bertrand mit den Messungen beschäftigt waren, bemühte sich Bonnières unausgesetzt, durch Änderungen der Brennstoff- und Luftzufuhr die Motorleistungen wieder in die Höhe zu bringen. Doch was er auch versuchte, es war umsonst. Immer stärker fiel die Umdrehungszahl der Propeller ab. Auf höchstens noch 200 Stundenkilometer schätzte er in diesem Augenblick die Geschwindigkeit des Flugzeuges.

Latrouche und Bertrand hatten ihre Messungen beendet und kamen zu ihm zurück. Schon ihre Mienen verrieten, daß sie bei ihrer Arbeit nichts Gutes gefunden hatten. Die Indikator-Diagramme, die sie vor Bonnières ausbreiteten, zeigten die ganze Größe des Unheils. Ein unbegreiflicher Zerstörungsvorgang hatte in den Motoren begonnen und war in unaufhaltsamem Fortschreiten begriffen. Schon jetzt leistete die Hälfte der Zylinder kaum noch Arbeit und mußte von den übrigen mit durchgeschleppt werden.

Sie wußten nicht, wie es geschehen war, aber was geschehen war, ließ sich aus den Diagrammen mit erschreckender Deutlichkeit herauslesen. Die Kolbenringe in den schadhaften Zylindern mußten an mehreren Stellen gebrochen sein. Etwas Derartiges war früher bisweilen bei dem einen oder anderen Kolbenring während des Probelaufes im Prüfstand geschehen. Es war auch begreiflich, daß die Dichtung zwischen Kolben und Zylinder durch einen solchen Ringbruch schlechter wurde, daß das explosible Gasgemisch weniger stark komprimiert wurde und die Zylinderleistung abfiel. Mit einem solchen Vorkommnis mußte man schließlich immer rechnen, und die Papillon-Werke hatten sich darauf eingerichtet. In allen Etappenstationen der französischen Rennroute lagen die erforderlichen Ersatzteile bereit, um schadhafte Kolbenringe auszuwechseln, ja nötigenfalls neue Zylinder und Kolben einbauen zu können.

Aber was sich jetzt ereignete, das war kein einfacher Betriebszwischenfall mehr, sondern eine regelrechte Katastrophe. Mehr als die Hälfte der Zylinder arbeitsunfähig. Immer weitere bisher noch gesunde Teile der Maschine von der rätselhaften Krankheit befallen. Immer schwächer die Maschinenkraft, immer geringer die Geschwindigkeit. Alle Hoffnung war geschwunden, daß der Papillon seinen Platz im Rennen bewahren und mit dem alten Vorsprung vor den englischen Konkurrenten Kalena erreichen würde. Die bange Sorge tauchte auf, ob er es überhaupt noch mit eigener Kraft erreichen könne.

Noch reichlich tausend Kilometer war das Flugzeug von den rettenden Inseln entfernt. Der Mond stand schon tief am Westhorizont und warf ein unsicheres Licht in die graue Tropennacht. Während Bonnières sich mit allen Mitteln mühte, aus der havarierten Maschinenanlage des Papillon die letzten Pferdestärken herauszuholen, machte Bertrand eine Ortsaufnahme. Als er mit dem Ergebnis seiner Beobachtung in den Führerstand trat, war die Geschwindigkeit des Flugzeuges auf wenig über hundert Kilometer abgesunken.

»Wir werden funken müssen, François.«

Bonnières preßte die Zähne zusammen.

»Funken, George? Um Hilfe? Wer wird uns helfen? Die Engländer . . . bestimmt nicht. Unsere Landsleute auf den Cassard-Maschinen . . . sie würden uns nicht im Stich lassen, würden auf den Sieg verzichten. Aber . . .«

»Wir dürfen sie nicht beunruhigen«, fiel ihm Latrouche in die Rede, »wie könnten sie uns helfen? Doch nur, indem eine der Cassard-Maschinen uns bis Kalena ins Schlepp nimmt. Tausend Kilometer . . . jede Aussicht auf den Sieg wäre für das Flugzeug, das es täte, dahin.«

»Irgend etwas müssen wir funken«, sagte Bertrand. »Seit 70 Minuten haben wir keine Standortmeldung gegeben. Schon das könnte die anderen beunruhigen.« –

In der Tat hatte das lange Ausbleiben von Meldungen des Papillon bereits etwas Beunruhigung geschaffen. Freilich nicht bei den Cassard-Maschinen, deren ganze Aufmerksamkeit ihrem eigenen Rennen galt, wohl aber bei Mr. O'Donell im Empfängerraum auf Kalena, der allmählich um seine Wette besorgt wurde. –

So ging ein Telegramm aus der Antenne des Papillen: »Standort 5 Grad Süd, 90 Grad Ost. Zylinderstörungen, hoffen mit eigener Kraft Kalena zu erreichen.« Als O'Donell den Telegrammstreifen las, sprach er einige recht häßliche Sätze, in denen von verwandtschaftlichen Verhältnissen zwischen den französischen Piloten und des Teufels Großmutter die Rede war.

Er hätte sich vielleicht etwas zarter ausgedrückt, hätte er den Papillon in diesem Augenblick sehen können. Kaum war das letzte Wort der französischen Meldung gegeben, als die aushängende Antenne schon in die See tauchte. Wenige Sekunden später setzten die Schwimmer des Flugzeuges auf die Meeresfläche auf. Noch ein paar schwächliche Umdrehungen der Propeller, dann standen die weidwunden Maschinen des Papillon endgültig still. Bonnières ließ das Steuer los und fuhr sich über die nasse Stirn.

»Das Spiel ist aus, Kameraden!«

»Aus dem Rennen sind wir heraus«, sagte Bertrand.

»Fragt sich, ob wir das nackte Leben retten«, fügte Latrouche hinzu.

Eine Weile saßen sie schweigend. In ihre Gedanken versunken spürten sie es kaum, wie der Papillon jetzt wirklich wie ein Schmetterling auf den langrollenden Wogen des Indischen Ozeans auf und ab schaukelte. Ein Brecher, der klatschend gegen die Steuerbordseite schlug, brachte ihnen das Gefährliche ihrer Lage zum Bewußtsein. Mit einem geringen Rest von Maschinenkraft wäre es möglich gewesen, das Flugzeug senkrecht zu den Wellen zu stellen und die schlimmsten Angriffe der See zu vermeiden. So, wie es jetzt stand, war es ein hilfloses Spielzeug der Wogen. Ein einziger schwerer Brecher, von der Seite her kommend, konnte das Flugzeug umkippen, und dann war ein schneller Untergang die sichere Folge.

»Es hilft nichts!« Bonnières war aufgesprungen, »wir müssen die Notantenne ausstecken und versuchen, Hilfe herbeizurufen. Die Minuten sind kostbar.« –

Zu dritt kletterten sie aus dem Führerstand auf die Schwingen des Flugzeuges hinaus und machten sich an die Arbeit, die Notantenne zu legen. Es war ein schwieriges Werk auf einem gefährlich schwankenden Grund. Oft legte eine Woge das Flugzeug so stark auf die Seite, daß ein Schwingenende in die See tauchte. Dabei diese drückende Dunkelheit, die in Vollmondnächten dem Sonnenaufgang so häufig vorangeht. Kaum konnten sie die Hand vor Augen sehen, während sie die Streben in die dafür bestimmten Öffnungen steckten und den Draht zogen. –

Ein heller Schein ließ sie aufmerken. Ein glänzender Schimmer huschte über die graue See, zog Kreise, erst weiter, dann immer enger, und blieb schließlich auf den Schwingen des Papillon haften. Wie ein starker Scheinwerfer war es, der das wracke Flugzeug von irgendwoher anstrahlte.

Sie hielten mit ihrer Arbeit inne, schauten nach allen Seiten, suchten zu ergründen, woher das rätselhafte Licht kam, und dann sahen sie es über sich wie einen kreisenden Stern. Ein anderes Flugzeug mußte es sein, das in Spiralen niederging und sie und ihre Maschine dabei sicher im Lichtkegel eines sehr starken Scheinwerfers festhielt.

Ein anderes Flugzeug!? . . . Eine der beiden Cassard-Maschinen? . . . Unmöglich, die hatten keine Scheinwerfer an Bord . . . eine der Fisher-Ferguson-Maschinen, die sich trotz aller Sportsinteressen um den verunglückten Konkurrenten bemühte. Sie wußten es nicht, aber es blieb die einzige Möglichkeit, denn andere Rennteilnehmer und Flugzeuge befanden sich nicht in der Nähe. Nun, die nächsten Minuten mußten ihnen Antwort auf alle ihre Fragen bringen. –

Schnittig lang und schimmernd kam es jetzt aus der Höhe hinab. Kaum zwanzig Meter vom Papillon entfernt setzte das fremde Flugzeug auf den Ozean auf. Leicht schaukelnd wie ein schwimmender Schwan trieb es dicht an die französische Maschine heran.

Vergeblich bemühten sich Bonnières und seine Genossen, die Kennzeichen der Maschine zu entziffern. Das Licht des Scheinwerfers, der sie jetzt aus nächster Nähe anstrahlte, blendete ihre Augen zu sehr. Da drüben auf dem anderen Flugzeug öffnete sich eine Tür im Metallrumpf. Eine Stimme rief sie an. Französische Worte und Sätze klangen an ihre Ohren. Das Anerbieten, sie ins Schlepptau zu nehmen und nach Kalena zu bringen. Grammatikalisch richtige Sätze in guter Aussprache, aber trotzdem . . . Bonnières und seine Kameraden spürten es bei den ersten Lauten . . . es war kein Landsmann von ihnen, der da drüben sprach. Aber sicherlich auch kein Engländer; sie kannten die Art und Weise, in der die Söhne Albions mit der französischen Sprache umzugehen pflegen, zur Genüge, um das herauszuhören.

Weder ein Cassard noch ein Fisher-Ferguson konnte die fremde Maschine sein. Was für eine dann? Die Frage blieb vorläufig offen. Ein Aluminiumboot löste sich dort drüben vom Rumpf und trieb unter dem Druck von Ruderschlägen schnell näher. Als es herankam, sahen die drei Piloten des Papillon daß es das Ende einer kräftigen Stahldrahttrosse vom anderen Schiff mitbrachte.

»Oh, François!« Latrouche stieß Bonnières an. »Er bringt das Seil mit.«

Bonnières schüttelte den Kopf. »Auf der unruhigen See schleppen . . . tausend Kilometer. Das kann eine böse Fahrt werden.«

»Ah, bah! Warum auf dem Meer?« warf Bertrand ein, »die können uns ja auch in der Luft mitnehmen. Wäre angenehmer und ginge schneller.«

Das fremde Boot war jetzt heran und machte am Steuerbordschwimmer des Papillon fest. Nur ein einzelner Mann war darin, der mit der Trosse auf das französische Flugzeug überstieg. Eine kurze Begrüßung und Vorstellung.

»Ingenieur Vinzent, ›St‹-Pilot, Eggerth-Werke Deutschland.«

›St‹-Pilot? . . . Das ›St‹-Schiff der Eggerth-Werke hier? Ein neues Rätsel zu den vielen, die das mysteriöse Stratosphärenschiff der Welt seit dem Beginn des Reading-Rennens schon aufgegeben hatte. In ihrer Überraschung vergaßen es Bonnières und seine Freunde, die Vorstellung zu wiederholen und ihre Namen zu nennen. Doch das war auch kaum notwendig, denn der fremde Pilot schien ihre Namen zu kennen.

»Haben Sie einen Schlepphaken an Ihrer Maschine, Monsieur Bonnières?« fragte er.

»Sehr liebenswürdig, Monsieur Latrouche«, bedankte er sich, als der ihm beim Befestigen der Trosse behilflich war.

»Sie wollen uns nach Kalena bringen?« fragte Bonnières, als die Trosse richtig verankert war.

Der deutsche Pilot nickte. »Das ist unsere Absicht, Monsieur Bonnières. Darf ich Sie bitten, das Höhensteuer auf drei Grad Steigung zu stellen und die Ailerons locker zu lassen.«

Bonnières sah ihn verdutzt an. »Ich verstehe nicht, Herr Kamerad . . . es ist nicht das erstemal, daß ich geschleppt werde. Ich werde die Steuerungen des Papillons während des Fluges mit größter Sorgfalt bedienen, um Ihnen so wenig wie möglich Schwierigkeiten zu machen.«

Ein leichtes Lächeln glitt über die Züge des Deutschen.

»Ich bin überzeugt, Monsieur Bonnières, daß ein so hervorragender Pilot wie Sie den Papillon auch im Schlepp vorzüglich steuern würde. Aber leider können Sie während des Fluges nicht am Volant des Papillon bleiben.« Einen Augenblick schien sich Vinzent über die erstaunten Gesichter der Franzosen zu amüsieren. Dann sprach er weiter. »Der Aufenthalt im Papillon während des Schleppfluges würde Ihnen wenig bekömmlich sein. Sie dürfen nicht vergessen, meine Herren, daß unser Stratosphärenschiff ziemlich hoch zu gehen pflegt. Ich muß Sie deshalb bitten, mit an Bord des ›St‹ hinüberzukommen und bis zur Wasserung in Kalena unsere Gäste zu sein.« –

Ein eifriges Hin- und Herreden zwischen den französischen Piloten. Eine Frage Bonnières.

»Sie glauben, Monsieur Vinzent, den Papillon unbemannt durch die Luft abschleppen zu können?«

»Sicher, Monsieur Bonnières, wenn Sie die Steuerungen so anstellen, wie ich es eben sagte. Wir haben solche Schleppflüge schon öfter gemacht.«

Noch einmal ein kurzes Verhandeln, dann folgten die Franzosen dem Deutschen in das Boot. Sie fuhren zum ›St‹ hinüber und betraten zum erstenmal in ihrem Leben ein Stratosphärenschiff. Neugierig sahen sie sich nach allen Seiten um. Vieles war hier anders als in den sonst üblichen Flugzeugen. Die mächtigen Druckpumpenanlagen, kaum viel kleiner als die Motoren selbst, der luftdichte Raum, dessen Tür jetzt wieder fest verschlossen und verschraubt wurde . . . die mannigfachen Meßinstrumente . . . es gab so viel Neues zu sehen, daß sie es fast überhörten, als die Motoren des Stratosphärenschiffes langsam angingen. Schon glitt es über die Wogen dahin, während die Schlepptrosse auf 300 Meter ausrollte. Jetzt ein stärkeres Trommeln der Maschinen, eine Bugwelle vor den Schwimmern. ›St‹ löste sich von der Seefläche, und fast im gleichen Augenblick geschah dasselbe mit dem Papillon. In gradem Aufwärtsflug stieg ›St‹ und gewann von Minute zu Minute größere Höhe. Wie gebannt starrten Bonnières und seine Kameraden auf den Höhenmesser, dessen Zeiger schnell über die Tausender kletterte . . . 5000 . . . 6000 Meter . . . Jetzt hätte ein Mensch am Steuer des Papillon schon mit Erstickungsnöten zu kämpfen . . . 8000 . . . 9000 . . . 10 000 Meter.

»Wollen Sie sehen, meine Herren, wie brav sich Ihr Papillon in dieser für ihn ungewohnten Höhe benimmt?« Mit einer Handbewegung lud Vinzent sie ein, ihm zum hinteren Ausguck der Eggerth-Maschine zu folgen. Er hatte nicht zuviel gesagt. Ruhig und sicher, als ob ein geschickter Pilot am Steuer säße, folgte die unbemannte französische Maschine in 300 Meter Entfernung dem Stratosphärenschiff.

Wunderbar! . . . Zauberhaft! . . . Großartig! überstürzten sich die Ausrufe von den Lippen der Franzosen. Dann geleitete sie Vinzent wieder in den Mittelraum zurück. Ehe sie sich's recht versahen, hatte er ein paar Flaschen Wein und Gläser auf den Tisch gestellt.

»Meinen Kameraden Hartmann werden Sie später kennenlernen, wenn ich das Steuer übernehme. Wollen Sie mir inzwischen die Ehre erweisen, meine Herren, ein Glas Wein mit mir zu trinken?«

Die Einladung kam von Herzen und wurde ebenso herzlich angenommen. Während das Stratosphärenschiff auf Südostkurs mit tausend Kilometer Stundengeschwindigkeit wie ein Meteor durch den Raum schoß, klangen die Gläser zusammen . . . Auf einen friedlichen Wettbewerb der Nationen . . . Auf eine gute Weiterentwicklung der Flugtechnik . . . Auf ein fröhliches Gedeihen aller Luftfahrt.

Hundert Fragen brannten den französischen Gästen auf den Lippen. Wie kam ›St‹ hierher? . . . Wie stand es überhaupt zum Rennen? . . . welche Geschwindigkeit vermochte das geheimnisvolle Schiff wirklich zu entwickeln? Das und noch vieles andere wollten sie fragen und fühlten doch, daß Zeit und Ort für solche Fragen nicht recht geeignet waren. –

Der Tisch, an dem die vier saßen, sprachen und tranken, stand so, daß Bonnières von seinem Platz aus durch eine offene Tür die Instrumentenwand des Führerraumes sehen konnte. Wie gebannt blieb sein Blick plötzlich an einem Skalenblatt hängen. Ein Geschwindigkeitsmesser ganz offensichtlich, die Einteilung darauf nach Stundenkilometern geeicht. Ein roter Strich auf dem Zahlenkreis bei tausend Stundenkilometern, aber die Zahlenreihe ging bis zu 1500 Stundenkilometern weiter. Wo stand der Zeiger? Bonnières suchte mit den Augen, bis er ihn fand, über die Tausend war der hinausgeklettert, schwankte leicht um die 1200 herum.

Vinzent bemerkte den gespannten Blick des Franzosen und ahnte, was der sah . . . den Tachometer . . . der gute Bonnières las jetzt ab, daß ›St‹ mit der dreifachen Geschwindigkeit der Konkurrenten durch den Äther sauste . . . war's richtig, war's falsch, daß man's ihn sehen ließ. Professor Eggerth würde wahrscheinlich wieder ein leichtes Donnerwetter um den halben Erdball funken . . . Ah was . . . mal mußte es ja doch ans Tageslicht kommen, was die Bitterfelder Werke mit dem Bau der Stratosphärenschiffe geleistet hatten. Das Vergnügen, es den Franzosen selber zu erzählen, wollte er sich nicht nehmen lassen.

»Ihr Interesse gilt unserem Tachometer, Monsieur Bonnières?«

Eine leichte Röte huschte über die Züge des Franzosen.

»Ich hatte es offen vor den Augen, Monsieur Vinzent, ich hoffe, daß ich nicht indiskret war.«

»Durchaus nicht, mein Herr! Wir haben an Bord unserer Stratosphärenschiffe keine Geheimnisse vor unseren Gästen.« Vinzent drehte sich einen Augenblick nach der Instrumentenwand um. »Sie haben wohl richtig abgelesen. Wir fliegen zur Zeit mit 1200 Stundenkilometer. Ein wenig über den Normalflug von tausend Kilometer, aber wir legen Wert darauf, Sie recht schnell nach Kalena zu bringen.«

Latrouche stellte das Glas wieder auf den Tisch, ohne zu trinken.

»Was wir hier sehen, Monsieur Vinzent, was wir nach den Angaben Ihrer zweifellos untrüglichen Instrumente glauben müssen, geht über unser Vorstellungsvermögen heraus. Gestatten Sie Ihren Gästen eine Frage?«

»Bitte fragen Sie, Monsieur Latrouche.«

»Wie kommt es, Monsieur Vinzent, daß Sie mit dieser phänomenalen Maschine nicht schon seit vielen Stunden über Ihre Kontrollstation auf Claryland hinaus sind? Wie kommt es, daß Sie sich hier in ganz anderen Gewässern aufhalten und hochherzig um schiffbrüchige Piloten bemühen?«

»Mein lieber Monsieur Latrouche, das waren eigentlich zwei Fragen. Ich werde Ihnen die zweite beantworten. Unser Schiff ist gar nicht im Rennen. Wir fliegen hier nach Order unseres Chefs ein wenig spazieren, um uns der Teilnehmer des Rennens anzunehmen, wenn es nötig wird.«

»Sie sind nicht im Rennen?!« Nicht nur Latrouche sperrte den Mund vor Staunen auf.

»Aber ›St‹ ist doch im Rennen«, fiel Bonnières ein.

»›St 1‹ ist im Rennen, Monsieur Bonnières. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir über mehr als ein Schiff dieser Type verfügen. Die Eggerth-Werke haben ihre Stratosphärenflotte eingesetzt, um gefährliche Stellen des Rennens zu überwachen.« –

Eine leichte Helligkeit drang allmählich in den Raum. Der Himmel über ihnen schimmerte licht durch die Glasplatten. Vinzent warf einen Blick auf die Borduhr.

»Der Tag bricht an, meine Herren. Er kommt etwas früher, weil wir ihm nach Osten entgegenfliegen. Noch zehn Minuten, denke ich, dann werden wir auf Kalena niedergehen. Die Lagune zwischen der Korallenbarre und der Insel ist günstig für eine Wasserung. Vielleicht gelingt es Ihnen, Ihre Maschine wieder flugfähig zu machen.« –

Als die Sonne gerade wie ein roter Ball über den Osthorizont heraufkam, setzte ›St 2‹ auf der Lagune von Kalena auf. Langsam zog das Stratosphärenschiff die Trosse ein und schob den Papillon bis dicht an den Strand. Die drei französischen Piloten gingen auf ihre Maschine zurück, das Schleppseil wurde gelöst. Wie eine Lerche stieg ›St 2‹ in das strahlende Licht des jungen Tages empor. Wie ein Lerchengruß zwitscherte es aus seiner Antenne: ›Papillon sechs Uhr zwei Minuten Ortszeit Kalena gewassert.‹

In der Funkstation verlangte O'Donell von Forester seine Pfundnote, die er ihm leichtsinnigerweise zu früh ausgezahlt hatte, unter Anwendung recht unchristlicher Redensarten zurück.

*

Bonnières und seine Gefährten schauten sich gegenseitig an, als ob sie aus einem schweren Traum erwacht wären. War es denn Wirklichkeit oder träumten sie immer noch? Vor einer Stunde in dunkler Nacht mit wracken Motoren im Ozean treibend . . . kaum noch Hoffnung, das Leben zu retten, und jetzt in hellem Morgenschein auf der stillen Lagune dicht neben einem flachen Gestade. Leicht plätschernd spielte das Wasser über den weißen Ufersand. Kaum zwanzig Meter landeinwärts reckten Kokospalmen ihre schlanken Stämme empor, um deren gefiederte Wipfel die Strahlen der schnell höherkommenden Sonne spielten. Zwischen den Palmen, in der klaren Luft fast greifbar nahe, die Schuppen der Etappenstation, wo sie Ersatzteile und Hilfsmannschaften für ihre Reparaturen finden würden. Auf den Bergen dahinter aus dunkler Waldung aufragend die Antennenmasten des Senders von Kalena. War dies zauberhafte Bild, das sich ihren Blicken bot, Wirklichkeit oder eine Fata Morgana, welche die Sinne der immer noch verloren im Ozean Treibenden narrte? –

Latrouche griff sich mit beiden Händen an den Kopf.

»Du vin, mes amis! Un verre de vin!«

Als ob es ein Befehl wäre, den er sofort ausführen müsse, stürzte Bertrand zu dem Verschlag, in dem sie ihren Weinvorrat aufbewahrten. Mit einer silberhalsigen Champagnerflasche unter dem Arm kam er zurück und stellte die Gläser zurecht. Mit einem Schraubenzieher brach Latrouche die Verschlußdrähte auf und hielt die Flasche vor sich hin in der Erwartung, daß der Korken herausspringen würde. Nur wenige Sekunden hielt er sie so, dann stellte er sie auf den Tisch und schlenkerte mit den Händen. Kalt war die Flasche, so eisig kalt, daß sich in der warmen Tropenluft ein Schneebelag darauf niederschlug.

Die drei Piloten sahen es, ohne sich im Augenblick über den Grund der merkwürdigen Erscheinung klar zu werden, Latrouche griff nach einem Tuch, faßte die Flasche von neuem und zog den Korken mit Gewalt heraus. Er wollte den Schaumwein in die Gläser schenken, doch kein Tropfen floß aus der Flasche. Der Wein in ihr war zu einem massiven Block gefroren. Kopfschüttelnd stellte er sie auf den Tisch zurück.

»Was ist das, François?«

Ohne zu antworten lief Bonnières zu dem Mittelraum des Papillon, in dem ein Minimalthermometer hing. Er nahm es von der Wand und kehrte damit in den Führerstand zurück.

»45 Grad Celsius unter Null! Voilà! George, Henri, seht her! Hier ist der Stift in der Glasröhre stehengeblieben. 45 Grad unter Null . . . Stratosphärenkälte . . . wir sind durch die Stratosphäre hierher gekommen . . . Das ›St‹-Schiff existiert . . . es war kein Traum . . . Kein Spiel unserer verwirrten Sinne.« –

O'Donell hatte seine Pfundnote von Forester zurückerobert und dann das Telegramm durch den Fernsprecher an die französische Station weitergegeben. Dort wurde es auf die Nachricht hin schnell lebendig. Während die drei Piloten des Papillon noch mit gemischten Gefühlen ihre eingefrorene Sektflasche beschauten, erschien Monsieur Doumesnil, der Chef der Station, schon von weitem den weißen Tropenhut schwenkend, am Ufer, hinter ihm ein Dutzend Mechaniker und Monteure.

»Bravo, mes amis! Brillante Leistung! Trotz der Defekte sechs Uhr zwei Minuten Kalena erreicht. Den Vorsprung vor Fisher & Ferguson gehalten. Großartig, vorzüglich!«

Der kleine quecksilbrige Südfranzose lief in seiner Begeisterung ein paar Schritte durch das flache Wasser, kletterte über die Schwimmer in den Rumpf des Papillon und drückte die drei Piloten der Reihe nach an seine Brust. »Kommen Sie, meine Freunde! Sie müssen sich restaurieren. Ein gutes Frühstück steht bereit. Während Sie speisen, werden sich unsere Mechaniker an die Reparaturen machen.«

Während Doumesnil die Worte hervorsprudelte, hatten Bonnières und seine Gefährten fast den gleichen Gedanken . . . lohnte es sich überhaupt, den Papillon wieder instand zu setzen? . . . waren sie denn überhaupt noch im Rennen? Die letzten tausend Kilometer waren sie geschleppt worden, hatten Kalena nicht mit eigener Maschinenkraft erreicht . . . Widersprach es nicht den Bedingungen des Wettbewerbes, nach solchem Zwischenfall das Rennen noch fortzusetzen? . . . Soweit sie sich erinnern konnten, war freilich ein derartiger Fall in den Propositionen, die John Sharp an die Aëro-Verbände der konkurrierenden Nationen geschickt hatte, gar nicht erwähnt . . .

Monsieur Doumesnil war mit seiner Einladung zu Ende und wollte Bonnières mit sich fortziehen. Der zögerte.

»Ich muß Ihnen sagen, die Reparatur wird viel schwerer werden, als Sie glauben. Ich fürchte, daß weit über die Hälfte aller Zylinder in Mitleidenschaft gezogen ist.« . . . Nach einer Weile fügte er hinzu: »Es ist ein Wunder, daß der Papillon überhaupt noch bis Kalena gekommen ist.«

»Die Hauptsache ist, daß Sie es geschafft haben, mein Braver. Wir haben alle Ersatzteile hier. Wenn es nötig sein sollte, alle 36 Zylinder des Papillon neu einzubauen, so werden wir sie neu einbauen. Das darf Sie und Ihre Kameraden nicht hindern, jetzt unserem Frühstück Ehre anzutun.«

Ein kurzes Zaudern noch von seiten Bonnières. »Vergessen Sie nicht, Monsieur Doumesnil, den Montageingenieur darauf aufmerksam zu machen, daß man in der Tat am besten sämtliche Zylinder und Kolben auswechselt. Vielleicht empfiehlt es sich, auch die Kurbelwellen und Lager zu erneuern.«

»Gut, Monsieur Bonnières, sehr gut! Ich werde die nötigen Befehle geben. Die Maschinennummern sind auf den Kurbelgehäusen eingeschlagen. Die müssen nach den amerikanischen Bedingungen bleiben, um die Identität der Motoren zu erweisen. Alles übrige dürfen wir während des Rennens nach Belieben erneuern.«

Die Mechaniker hatten inzwischen den Papillon so dicht an das Ufer herangezogen, daß die Piloten trockenen Fußes das Land erreichen konnten. Doumesnil winkte den Chefingenieur Verdeau heran und gab ihm lebhaft gestikulierend seine Aufträge für die Reparatur.

»Alle Zylinder und Kolben abmontieren. Kurbelwellen und Lager heraus! Alles bis auf die Kurbelhäuser radikal erneuern! Mais vite, Monsieur Verdeau. Aussi vite que possible!«

Während Doumesnil seine Instruktionen gab, besprach sich Bonnières flüsternd mit seinen Kameraden. Ihr Entschluß stand fest. Die Begegnung mit dem Stratosphärenschiff verschweigen, das Rennen weiter mitmachen. –

Dann saßen sie an einer wohlgedeckten Tafel, um sich von den Strapazen des langen Fluges zu erholen. Hier war der Sekt erfreulicherweise nicht eingefroren. Bald schäumte er lustig in den Gläsern, die hell zusammenklangen. Auch die Herren Leverrier und Buneau von den Cassard-Werken, die nach den Radiogrammen die Ankunft ihrer beiden Maschinen in aller Kürze erwarten durften, gesellten sich zu der Tafelrunde, und fröhlich flogen Rede und Gegenrede hin und her.

»Votre salut, monsieur«, rief Leverrier und hob sein Glas gegen Bonnières. »Sie haben uns geschlagen . . . aber auch die Engländer. Ich trinke auf Ihr Wohl.«

Bonnières leerte sein Glas und lehnte sich in den Sessel zurück.

»Ihre Maschinen wurden in den letzten Stunden auch langsamer. Kennen Sie die Ursachen dafür?«

Leverrier zuckte die Achseln. »Noch nicht sicher, Monsieur Bonnières. Wir erhoffen volle Aufklärung, sobald unsere Leute hier sind. Es scheint, als ob die Kompression der Maschinen nachgelassen hat.«

»Ja, die Kompression«, sagte Bonnières und strich sich nachdenklich über die Stirn. »Der Indische Ozean scheint für Kompressionen ein ungesundes Klima zu haben . . .« Er wollte weitersprechen, als der Chefingenieur Verdeau im Zimmer erschien und ihn beiseite bat.

»Was gibt's, mein lieber Verdeau?«

»Ihre Motoren sehen grauenhaft aus, Bonnières! Kein Kolbenring ganz. Die Zylinder bis an die Grenze des Möglichen ausgeschliffen . . . Eine fabelhafte Leistung, daß Sie überhaupt noch nach Kalena gekommen sind.«

»Ja, es war schauderhaft. Ein Zylinder nach dem anderen versagte. Eine Erklärung für dies rätselhafte Vorkommnis fehlt mir vollständig.«

»Ich kam, um Ihnen die Erklärung zu bringen, Bonnières. Sehen Sie hier.« Verdeau hielt dem Piloten ein weißes Tuch hin, das mit einer Flüssigkeit getränkt war. Die war von dem Zeugstoff aufgesogen worden und hatte einen dunkelgelben Fleck hinterlassen. Auf dem Gelb aber hoben sich an zahllosen Stellen dunklere Stellen ab, als ob ein schwärzliches Pulver, irgendein brauner Staub darübergestreut wäre.

»Was haben Sie da? Was ist das?« fragte Bonnières und blickte verwundert auf den Lappen.

»Sabotage, Bonnières! Gemeine verbrecherische Sabotage! Das ist Schmieröl aus einem Ihrer Kurbelhäuser. Öl, in das man Ihnen händeweis Schmirgel hineingeworfen hat. Sehen Sie die dunkleren Partien hier über dem klaren Öl. Wir haben sie unter der Lupe betrachtet. Scharfkantige Schmirgelkristalle. Sie können sich wohl vorstellen, wie das auf Ihre Maschinen gewirkt hat. Alle bewegten Teile sind zerschliffen und zerfressen. Ein fabelhaftes Glück haben Sie gehabt, daß Sie Kalena mit den kranken Maschinen noch erreichen konnten. Nicht einen Kilometer mehr würde ich diesen Motoren zutrauen. Es ist der gemeinste Sabotageakt, den ich jemals in meiner Praxis gesehen habe.«

Verdeau hatte zuletzt lauter gesprochen. Das Wort ›Sabotage‹ war an der Tafel gehört worden. Man wurde aufmerksam, Latrouche und Bertrand standen auf und traten zu Bonnières.

»Warum das verschweigen?!« sagte er. »Die anderen mögen diese bodenlose Gemeinheit auch hören, es geht uns ja alle an.« Sie zogen den Chefingenieur zum Tisch, das Tuch mit den ominösen Flecken ging von Hand zu Hand, und für Minuten überboten sich die Stimmen in Verwünschungen über den nichtsnutzigen Anschlag. Dann aber tauchten andere Fragen auf . . . Wie war so etwas möglich? . . . Wo konnte es geschehen sein? . . . Wo waren die Urheber dieses Verbrechens zu suchen? . . .

Schmirgel im Kurbelgehäuse . . . nur beim Nachfüllen von Öl konnte der gefährliche Stoff hineingekommen sein . . . Wann hatten sie das letztemal Schmieröl nachgefüllt? Latrouche erinnerte sich. Es war auf dem Mihadumadu-Atoll, einer der nördlichsten Lakkadiven-Inseln, geschehen. Hier hatte man für alle Fälle eine kleinere französische Etappenstation angelegt und sowohl der Papillon wie auch die Cassard-Maschinen hatten sie benutzt, um ihre Ölvorräte zu ergänzen. Die Anlage dort war reichlich primitiv. Auf die Errichtung von Schuppen hatte man verzichtet. Die Kanister mit Treibstoffen und Schmieröl lagerten offen am Strand. Schon das mußte jeden Sabotageakt erleichtern. Auch um die Beschaffung von Hilfskräften sah es dort windig aus. Die Eingeborenen dieser glücklichen Inseln lebten in einem paradiesischen Zustand und hatten von der Erfindung der Arbeit noch nichts gehört. Der französische Agent war froh gewesen, als ein paar zufällig auf der Insel weilende Japaner ihm ihre Dienste anboten. Mit deren Beistand hatte man die Ölbehälter zu den Flugzeugen gebracht und die Tanks aufgefüllt.

»Nom d'un chien!« schrie Bertrand und schlug sich vor die Stirn. »Natürlich sind's die beiden gewesen! Im letzten Augenblick machten sie mich noch aufmerksam, daß es gut wäre, auch das Öl in den Kurbelgehäusen nachzufüllen. Kamen selber mit den Kanistern und füllten nach. Da muß es geschehen sein. Nur die können uns den gefährlichen Stoff in die Maschinen gegeben haben.«

»Mon Dieu, jetzt fällt mir noch etwas ein«, unterbrach ihn Bonnières, »die Ölkanister standen während der Bootsfahrt mit dem Kopf nach unten. Es fiel mir auf, als der Kahn an den Papillon herankam. Ich rügte es, fragte warum. Die Kerle grinsten nur, schüttelten die Köpfe. Verstanden natürlich kein vernünftiges Wort Französisch. Sprachen ein greuliches Pidgin-Englisch, daß man nicht klug aus ihnen werden konnte . . . aber die Kanister mit dem Kopf nach unten . . . jetzt ist's mir ja klar . . . damit das Schmirgelpulver sich da gut ansammelt und in der nötigen Menge in die Maschinen gerät. Verdammte Bande . . .«

Das Gespräch erfuhr eine Unterbrechung. Von der Lagune kam die Meldung, daß die erste Cassard-Maschine angekommen sei. Da hielt es die Herren Leverrier und Buneau nicht länger. Sie eilten hinaus, um ihre Piloten zu begrüßen und sofort eine gründliche Untersuchung anzustellen, ob auch hier irgendwelche Sabotage vorläge.

Diese Untersuchung war einfach und schnell erledigt. Es genügte, den Ablaßhahn des Kurbelgehäuses zu öffnen und einen weißen Lappen darunter zu halten. Auch hier in dem gelben Öl verdächtige schwarze Flecken, die nur Schmirgel sein konnten. Viel weniger freilich als bei den Motoren des Papillon. Dessen Maschinen hatten offenbar den ersten reichen Segen abbekommen, während für die später tankenden Cassard-Maschinen nur ein schwächerer Nachguß übriggeblieben war. Aber immerhin war es genug gewesen, um auch hier Zylinder und Kolbenringe anzugreifen und eine merkwürdige Verschlechterung der Maschinenleistung herbeizuführen. In noch stärkerem Maße war das bei der zweiten Cassard-Maschine der Fall, die erst eine halbe Stunde nach der ersten Kalena erreichte. Gründliche Überholung auch hier notwendig. Nachschleifen aller Ventile, teilweiser Ersatz der Kolbenringe und ein radikales Auswaschen der Kurbelhäuser! lautete die Diagnose, welche die Ingenieure der Cassard-Werke schon nach kurzer Prüfung stellten.

Grimmige Arbeit gab das. Nur mit Hemd und Hose bekleidet, schufteten Mechaniker und Monteure in der tropischen Hitze wie die Wilden. Jede Minute war kostbar. Man lag ja im Rennen. Mit rund 400 Stundenkilometer waren die Fisher-Ferguson-Maschinen im Anflug auf Kalena. Erreichten sie die Insel, solange die französischen Maschinen noch hier waren, dann wurde die Niederlage offensichtlich, dann konnten die Engländer einen Vorsprung von tausend Kilometer auf ihr Konto gutschreiben. Der glühende Wunsch, das zu verhindern, beseelte alle und spornte sie an, ihre Kräfte bis zum Äußersten einzusetzen.

Obwohl der Papillon die schwerste Reparatur hatte, ging die Arbeit bei ihm doch am schnellsten vonstatten. Man brauchte sich hier nicht mit Kleinigkeiten aufzuhalten. Die alten Zylinder mit allem Drum und Dran demontiert und beiseite geworfen. Neue Lager und eine neue Kurbelwelle ins Gehäuse gebaut, die neuen Zylinder und Kolben aufgesetzt, und das Werk war getan. Ein Glück, daß die Fabrik aus Paris gut eingelaufene Ersatzstücke geschickt hatte. So durfte man erwarten, daß die neueingebauten Teile auch bei sofortiger voller Belastung ihren Dienst tun würden. Ein gewisses Risiko war dabei, aber man mußte es wagen, wenn man nicht jede Hoffnung auf den Sieg fahren lassen wollte.

Noch waren die Fisher-Ferguson-Maschinen 400 Kilometer entfernt, als der Papillon wieder aufstieg. Dreißig Minuten später folgten ihm die beiden Cassard-Maschinen. Wertvolle Zeit hatten die Reparaturen gekostet. Die nächsten Stunden mußten zeigen, ob es gelang, sie wieder einzuholen, oder ob der Sieg in dem erbitterten Match sich den Engländern zuneigte. –

Bert Röge klappte den Sextanten zusammen und trug den Standort der ›Seeschwalbe‹ in die Karte ein.

»14 Minuten Nord, Schmieden!« Er arbeitete mit einem Maßstab auf der Karte, rechnete ein wenig und warf dann den Bleistift aufs Papier.

»Mensch, Kurt! In fünf Minuten passieren wir den Äquator. Die Sache muß begossen werden. Wo steckt denn Hein?«

Schmieden deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Das Faultier schläft da hinten. Gleich nach dem Abschied von Hansen und Berkoff hat er sich wieder in seine Gemächer zurückgezogen und schnarcht, daß man's trotz der Motoren hören kann.«

Röge legte die Kopfhörer ab. »Ist mir egal, den Äquator darf er nicht verschlafen.« Bei den letzten Worten war er schon nach hinten gegangen und mühte sich, Hein aus seinem gesunden Schlaf aufzurütteln. Das war nicht leicht, denn Eggerth dachste wie ein Siebenschläfer, und als er sich schließlich etwas ermunterte, war seine erste Lebensäußerung ein kräftiger Stoß in Röges Magengegend, der dem für einen Moment die Luft benahm.

»Hein, steh auf! Wir gehen über den Äquator.«

»Schiet up den Äquator!« knurrte Hein Eggerth wütend und wickelte sich fester in seine Decke. »Laß mich schlafen.«

»Wer nicht will, der hat schon«, brummte Röge und gab den Versuch auf.

In San Pedro hatten sie Mr. Stonefield vor ihrem Start noch um ein halbes Dutzend Flaschen Lagerbier gekränkt. Zwei davon holte Röge aus dem Vorratsschrank und kehrte damit in den Führerstand zurück. Er öffnete sie und gab eine davon an Schmieden.

»Kommt denn Hein nicht?« fragte der.

»Unmöglich, den Kerl munter zu kriegen. Na, laß ihn! Paß auf, Kurt, wenn der Minutenzeiger die 5 erreicht, ist's Zeit, da wollen wir prosten.«

»Hast du wenigstens Gläser, Bert?«

»Keine Zeit mehr, Kurt. Jetzt paß auf . . . zehn Sekunden . . . fünf Sekunden . . . jetzt Prost Äquator!« er setzte die Flasche an die Lippen und tat einen kräftigen Schluck. Schmieden folgte seinem Beispiel.

»So, mein Junge«, sagt Röge und stellte die Flasche neben sich auf den Boden. »Nun sind wir glücklich auf der südlichen Halbkugel. Auf dem Zeppelin haben sie bei der Gelegenheit immer eine großartige Taufe veranstaltet. Das erlauben uns unsere Mittel hier nicht. Aber das Bier ist gut. Mr. Stonefield scheint ein Mann von Geschmack zu sein, wenn sich's nicht gerade um Treiböl handelt. Na, nun wollen wir mal versuchen, auf unserer Kurzwelle eine Verbindung mit Bitterfeld zu bekommen und unserem guten Professor melden, daß wir den Äquator glücklich überschritten haben.«

»Tue das«, sagte Schmieden, »und wenn du es getan hast, dann könntest du mal wieder das Steuer nehmen.«

»Kann gern geschehen, Kurt. Hast ja deine drei Stunden hinter dir. Wollen mal erst Bitterfeld suchen.« –

Während der nächsten Minuten glückte es Röge, die Kurzwellenverbindung mit den Eggerth-Werken aufzunehmen und den letzten Standort der ›Seeschwalbe‹ zu funken.

»So«, sagte er und schob die Hörer beiseite. »Das wäre gemacht, übrigens eine interessante Neuigkeit, nur die Eagle-Maschinen liegen im Rennen noch vor uns. Alle anderen haben keinen klaren Vorsprung mehr. Nun gib mir das Steuer.«

Er wechselte den Platz mit Schmieden. Der blieb stehen.

»So, mein Lieber! Nimm's mir nicht übel, wenn ich Heins Beispiel folge und mich auch hinhaue.«

Röge sah ihn einen Augenblick erstaunt an.

»Du willst auch schlafen? Nur einer soll wachen? Ich weiß nicht, Kurt, ob wir das verantworten können.«

Schmieden deutete durch die Fenster ins Freie. Sonnenüberströmt lag die endlose Meeresfläche in dunkler Bläue zweitausend Meter unter ihnen. Soweit das Auge reichte, keine Spur eines lebendigen Wesens, kein Segel, keine Rauchwolke, kein Land.

»Hier ist die beste Gelegenheit, Bert, auf Vorrat zu schlafen. Wir sind in der Calmengegend, der Zone der Windstillen. Selbst in unserer Höhe hier rührt sich kein Lüftchen. Wir wollen die Gelegenheit ausnutzen. In den höheren Breiten werden wir noch öfter, als uns lieb ist, alle drei zur gleichen Zeit wachen müssen. Übernächtige Leute sind als Flugzeugpiloten wenig empfehlenswert. Ganz besonders nicht in einem Wettrennen um den Erdball. Der Sieg hängt nicht nur von der Güte der Maschinen ab, sondern zu einem guten Teil auch von den Nerven der Flieger.«

Röge schüttelte zustimmend den Kopf. »Da hast du recht, Kurt. Wenn man vor Übermüdung am Steuer einschläft, kann ein feines Luftschiff in einen Birnbaum rennen und Kleinholz machen. Das hat der alte Graf Zeppelin zu seinem Leidwesen erfahren müssen. Leg dich in Gottesnamen aufs Ohr . . . aber . . . halt! Was mache ich, wenn ich dich brauche und du schläfst da hinten wie ein Dachs in seiner Höhle?«

Schmieden überlegte eine Weile. »Hm . . . da hast du recht. Man muß sich allerlei um die Ohren wickeln, wenn man bei dem Motorengeräusch schlafen will. Da kannst du dich nachher totschreien, wenn du uns brauchst, wir würden doch nichts hören. Ja, was machen wir denn da?«

»Sehr einfach, Kurt. Bring mal unsere Leine her.«

Schmieden verschwand mit etwas verwundertem Gesicht und kam gleich darauf mit einer etwa zwanzig Meter langen kräftigen Leine zurück, die sie gelegentlich bei Wasserungen benutzten, um die ›Seeschwalbe‹ irgendwo festzumachen.

»Hier ist das Ding, Bert. Was willst du denn damit anfangen?«

»Wirst du gleich sehen. Ich möchte meine Hände nicht vom Steuer nehmen. Stell mal gefälligst deinen linken Hinterfuß auf den Sessel hier und binde dir das Ende der Leine selber mit einer zuverlässigen Schlaufe um den Knöchel. So! . . . Endlich fest . . . mein Teuerer? Jetzt kannst du dich nach hinten verfügen und Hein Gesellschaft leisten. Wenn ich dich brauche, werde ich schon so stark an der Strippe ziehen, daß du's merkst.«

Schmieden lachte.

»Na, Bert. Eine praktische aber etwas rauhe Methode hast du dir ausgedacht. Good night, my boy.«

Er verschwand nach hinten, die Leine hinter sich nachziehend wie eine angebundene Geiß.

Nun war Röge allein im Führerraum. Stahlblau das Firmament über ihm, stahlblau die See unter ihm. Er hatte das Gefühl, als stünde sein Flugzeug im Mittelpunkt einer gewaltigen Azurkugel regungslos still. Der Gedanke überfiel ihn, es gebe kein Entrinnen aus dieser blauen Unendlichkeit. Für immer sei er ihr verfallen, müsse bis in alle Ewigkeit in ihr schweben. Wie gebannt haftete sein Auge an einem winzigen dunklen Punkt schräg voraus, auf der Seefläche. Es war der Schatten der ›Seeschwalbe‹, der da unten mit mehr als 400 Kilometer über dem Wasserspiegel dahinjagte. Aber für den Piloten stand der Schatten still, und wie hypnotisiert starrte er darauf, Minuten . . . Viertelstunden . . . Regungslos ruhten seine Hände auf dem Steuer. War auch der dritte Mann an Bord der ›Seeschwalbe‹ in Schlaf gefallen? –

Mit einem Ruck fuhr er zusammen, sprach zu sich selbst. ›Halloh, Bert Röge! Nimm dich zusammen, alter Junge! . . . Was war das? Hast dich wohl selber hypnotisiert. Zu lange auf den Schattenpunkt gestarrt. Hätte am Ende ein schönes Malheur geben können.‹

Er sah auf die Borduhr. Fast zwei Stunden waren verstrichen, seitdem Schmieden sich schlafen legte. Die Zeit war vergangen, ohne daß er es gemerkt hatte. Wie im Traum hatte er hier gesessen und das Steuer geführt, vollkommen richtig, wie ihm ein Blick auf die Kompasse zeigte. Seine Rechte ging nach unten. Da stand neben seinem Sessel noch die Flasche, aus der er beim Passieren des Äquators getrunken hatte, Er führte sie an die Lippen, leerte sie restlos, schüttelte sich. ›So! Das hat gut getan. Weg mit den Träumen und Gedanken! Weg mit den Gespenstern! Mir scheint's, die blaue Mittagsstunde ist nicht nur auf dem Lande gefährlich.‹ –

Er steuerte mit der Linken allein weiter. Mit der Rechten verlängerte er die Fluglinie auf der Seekarte und steckte die Entfernung ab, welche die ›Seeschwalbe‹ nach den Angaben der Umdrehungszeiger seit der letzten Standortaufnahme am Äquator zurückgelegt hatte. Es konnte nicht mehr weit sein bis zur Karoline-Insel, der östlichsten der vielen Inseln der Manihiki-Gruppe. Schärfer fixierte er den Horizont voraus. Langsam schlich der Zeiger der Borduhr von einem Minutenstrich zum nächsten. Jetzt war in der Ferne etwas zu erblicken. Wie eine lichtere Wolke hing es da an der Kimme in dem dunklen Blau. Immer deutlicher wurde es, während die ›Seeschwalbe‹ auf das ferne Ziel zujagte. Jetzt war es kein dunkles Gebilde mehr, sondern offensichtliches Land. Röge griff nach dem scharfen Glas und brachte es an die Augen. Da war's klar zu sehen. Ein Brandungsgürtel, weißer Strand und grünes Land. Wenige Minuten nur noch, und die ›Seeschwalbe‹ stand senkrecht darüber.

Eine Insel lag da unten, das stand außer Zweifel. Aber war's auch die richtige, die Insel Karoline, auf der das Brennstoffdepot lag, oder irgendeine der vielen anderen Koralleninseln, die zu dieser Manihikigruppe gehören? In Spiralen glitt die ›Seeschwalbe‹ aus ihrer Höhe hinab. Jetzt konnte Röge schon einzelne Palmen unterscheiden und daneben buntfarbige Punkte. Jetzt lösten sich auch die zu Flaggenbildern. An einem hohen Mast die Flagge Englands, dem die Inselgruppe gehört, daneben die Landesfarbe von Deutschland zum Zeichen dafür, daß Landsleute hier die Flieger erwarteten. Der letzte Zweifel, ob die ›Seeschwalbe‹ die richtige Insel angesteuert habe, war damit beseitigt. Noch eine letzte Schleife, und die Schwimmer des Flugzeuges setzten auf den Lagunenspiegel auf. –

Die Ankunft des Flugzeuges war von der Insel aus beobachtet worden. Ein Boot stieß vom Ufer ab. Keine Motorbarkasse, ja nicht einmal ein einfaches Kielboot, sondern eins der primitiven Rindenkanus, mit denen die Eingeborenen Mikronesiens ihre Seefahrten unternehmen. Ein Dutzend kräftiger brauner Gestalten trieb das Kanu mit kräftigen Ruderschlägen zur ›Seeschwalbe‹ hin. Sie ruderten im Stehen ohne Dollen. Das Gesicht in die Fahrtrichtung gewandt, schaufelten sie das Wasser mit den Rudern hinter sich. Die Bekleidung dieser Wilden bestand nur aus einem schmalen Lendenschurz, aber trotzdem wirkten sie nicht nackt. Die braunen Körper waren ausnahmslos mit kunstvollen Tätowierungen bedeckt, die den Eindruck einer vollständigen Bekleidung vortäuschten. Am Heck des Kanus saß ein Europäer in weißer Tropenkleidung. Ein großer Basthut beschattete sein Gesicht und ließ seine Züge vorläufig nicht erkennen.

Das Boot legte am Backbordschwimmer der ›Seeschwalbe‹ an. Röge setzte die Motoren still und beugte sich zum Seitenfenster hinaus. Noch ehe er zum Sprechen kam, sprang der Weiße aus dem Kanu auf den Schwimmer und streckte ihm die Rechte entgegen.

»Grüß Gott, Bert! Willkommen auf der Karoline-Insel! Freue mich riesig, daß ihr mir die Ehre eures Besuches schenkt. Scheint ja bis hierher alles gut gelaufen zu sein.«

Erst jetzt war es Röge gelungen, das Gesicht unter dem großen Tropenhut zu erkennen.

»Menschenskind! Ernst! . . . Ernst Liebert, wie kommst du denn in die Südsee?«

»Einfache Sache, Bert! Kopra-Mann! Bin schon seit fünf Jahren hier und nähre mich redlich von meinen Kokospalmen.«

»Alle Wetter!« Röge drückte ihm kräftig die Hand. »Die Welt ist doch ein Dorf. Muß man hier auf . . . wie heißt das Inselchen, Karoline, einen Konpennäler aus Bitterfeld treffen. Schon fünf Jahre bist du hier . . . noch keine Sehnsucht nach Hause?«

Liebert schüttelte den Kopf.

»Nein, Bert! Wer auf den glücklichen Inseln lebt, vergißt alles andere. Aber wo stecken denn die beiden anderen. Du bist doch nicht solo allein über den Stillen Ozean geflogen?«

Röge machte eine einladende Handbewegung. »Bitte komm ins Flugzeug und sieh dir die lieben Zeitgenossen selber an.«

Er empfing ihn an der offenen Tür und führte ihn in den hinteren Raum der ›Seeschwalbe‹.

»Da, Ernst, da liegen die Brüder und verschlafen die beste Zeit ihres Lebens.«

Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit, die Schläfer munter zu bekommen. Es war nicht leicht, denn die beiden lagen sehr fest in Morpheus Armen.

»Hein! Hein Eggerth! Du altes Faultier! Komm doch endlich zu dir«, rief Liebert.

Verschlafen blinzelte Hein ihn an. Nur langsam kam ihm jetzt zu Bewußtsein, daß da ein Fremder vor ihm stand, den er doch irgendwie kannte. Ernst Liebert . . . Bitterfeld . . . Schule . . . Ja, zum Deubel! . . . wie kam denn Liebert in die ›Seeschwalbe‹? Schlaftrunken rieb Eggerth sich die Augen, und sah sich um . . . Die ›Seeschwalbe‹ war da . . . das war zweifellos die Achterkabine . . . Aber wie kam Ernst Liebert aus Bitterfeld hierher? . . . Träumte er denn immer noch? . . .

Noch ehe er sich selbst erheben konnte, riß ihn der andere mit einem Schwung in die Höhe und gab ihm einen kräftigen Schlag auf den Rücken.

»Na ja doch, Hein! Ich bin's, wenn du's auch nicht zu glauben scheinst.«

Jetzt erst glaubte Eggerth es wirklich. Groß war auch hier die Freude des Wiedersehens. Ebenso groß die bei Schmieden. Zu viert kletterten sie in das Kanu und ließen sich von der braunen Mannschaft an Land rudern. Auf der kurzen Fahrt konnten sie feststellen, daß Liebert die Sprache der Eingeborenen beherrschte und sich fließend mit ihnen unterhielt. Sie konnten aber auch weiter konstatieren, daß die braunen Naturkinder den Anweisungen des Weißen aufs Wort folgten und jeden seiner Befehle ausführten. –

»So!« sagte Liebert, als sie den Strand betraten. »Erst mal die wichtigste Frage. Wie lange Zeit habt ihr?«

»Sehr wenig, lieber Ernst«, antwortete Hein. »Unsere Parole heißt: Treibstoff nehmen und so schnell wie möglich weiter.«

»Na, na, Kinderchen! Macht's nur halblang. Ein ordentliches Mittagbrot werdet ihr doch nicht verschmähen?«

»Hm . . . hm . .!« die drei Piloten sahen sich an.

»Eine ordentliche Mahlzeit wäre nicht zu verachten«, meinte Röge, »aber wer versorgt inzwischen unsere Tanks?«

»Das können wir Herrn Ohea Kiliri . . . da steht der Junge . . . überlassen. Der ist anstellig. Erste Kraft, sage ich euch. Wenn ich dem jetzt die Sache erkläre und ihm die Fülluken zeige, besorgt er die Geschichte tadellos und wir können futtern gehen.« –

»Na, denn in Gottes Namen, Ernst«, sagte Hein, nachdem sie die braunen Männer Lieberts eine kurze Zeit bei der Arbeit beobachtet hatten. »Wir nehmen deine Einladung an, aber zu lange darf's nicht dauern. Vergiß nicht, daß die anderen uns mit 400 Stundenkilometer auf den Hacken sind.«

Während sie sich unter Lieberts Führung auf den Weg machten, erklärte er ihnen die Umgebung.

»Das weiße Haus vor uns, kaum fünf Minuten von hier entfernt, ist mein Bungalow, etwas weiter links liegt unsere Eingeborenensiedlung Mahuka. Der Kokoswald dahinter, der sich bis zu den Bergen hinzieht, gehört mir, ein ganz hübscher Bestand, an die viertausend Palmen.«

»Du sagst, du lebst davon?« fragte Eggerth. »Ist mir offen gesagt noch nicht ganz klar, wie du das anstellst.«

»Sehr einfach, Hein. Wenn genügend Nüsse reif sind, ersuche ich meine Eingeborenen, sich in die Wipfel zu bemühen.«

»Alle Wetter, das ist eine tüchtige Kletterpartie«, sagt Röge und schaute prüfend an einem der schwanken Palmenstämme in die Höhe.

»Keine Sorge, Bert. Das machen die braunen Herrschaften schnell und schmerzlos. Mit einem Kletterstrick um die beiden Fußknöchel klimmen sie an den Stämmen wie die Eichhörnchen empor, sitzen in den Kronen, und die Ernte geht los.«

»Ja und dann? Was macht ihr dann mit den Nüssen?« fragte Schmieden.

»Daraus machen meine Eingeborenen Kopra.«

»Kopra, was heißt Kopra?«

»Na, Kinder, ihr habt euch doch alle schon mal in eurem Leben eine Kokosnuß gekauft und verkonsumiert. Da müßt ihr doch wissen, woraus sie besteht. Die Nüsse werden zerschlagen. Dann kann man das Nußfleisch, das wie eine innere Hülle an der äußeren harten Schale sitzt, loslösen. Dies Nußfleisch wird in Streifen zerschnitten, getrocknet und das nennt man Kopra.«

Eggerth machte ihm eine komische Verbeugung. »Heißen Dank für deine Aufklärung. Aber was macht man denn nun weiter mit der Kopra?«

»Man verkauft es für ein schönes Geld an die Kopra-Kapitäne, die alle Monate hier anlegen und nicht eher zufrieden sind, als bis sie den Bauch ihrer Schiffe damit vollgestopft haben. Die bringen es dann nach Europa. Da wird es ausgepreßt, und man gewinnt Öle und Fette daraus, die zu allem möglichen benutzt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Seife, mit der ihr euch in Bitterfeld wascht, aus dem Nußfett meiner Palmen hergestellt wurde.«

»Hm . . . hm! Nicht uninteressant«, murmelte Röge vor sich hin. »Man wird so alt wie eine Kuh und lernt doch immer noch dazu.«

»Hier kannst du noch mehr lernen, Bert«, sagte Liebert und sah ihn verschmitzt lächelnd von der Seite an. »Sieh mal den großen Baum da drüben mit der dichten Laubkrone, das ist ein Affenbrotfruchtbaum.«

Ein lautes Gelächter von seiten Eggerths und Schmiedens folgte dieser Erklärung, in das schließlich auch Röge mit einstimmte. Vor Jahren einmal auf der Schule hatte Röge seinen Geschichtslehrer ärgern wollen und auf die Frage, welcher Baum dem Apollo heilig sei, die Antwort gegeben: Der Affenbrotfruchtbaum. Die Sache war damals mit einer Stunde Arrest beglichen worden.

Liebert schlug Röge auf die Schulter. »Du wirst gleich Gelegenheit haben, die Erzeugnisse des Brotfruchtbaums zu probieren. Sie sind wirklich vorzüglich. Ich bin überzeugt, wenn die alten Griechen den Baum gekannt hätten, hätten sie den dem Apollo geweiht und nicht den ungenießbaren Lorbeer.« –

Sie hatten das Haus inzwischen erreicht. Bald saßen sie um einen weißgedeckten Tisch und taten dem Mahl, das von braunen Boys serviert wurde, alle Ehre an. Die Schildkrötensuppe war gut, und der knusprige Schweinebraten hätte in einem europäischen Luxushotel nicht besser sein können. Auch die Zuspeise mundete, obwohl sie nicht feststellen konnten, woraus sie eigentlich bestand. Auf geröstete Kartoffeln riet Eggerth.

»Falsch, Hein«, belehrte ihn Liebert, »geröstete Jamswurzel ist das, und das andere da, Bert, was du gerade auf der Gabel hast, stammt von deinem geliebten Affenbrotfruchtbaum.«

»Tadellos!« sagte Röge und nahm sich noch einmal von dem Gericht. »Schmeckt wirklich großartig. Ich sehe immer mehr ein, daß ich damals eine Stunde unschuldig brummen mußte.« –

Während sie so tafelten und erzählten, verstrich die Zeit, ohne daß sie's merkten. Zufällig warf Eggerth einen Blick auf seine Armbanduhr und sprang erschrocken auf.

»Herrgott, Kinder! Wir sitzen hier schon vierzig Minuten. Höchste Eisenbahn, daß wir zu unserer Maschine gehen und starten.«

Liebert schüttelte den Kopf. »Vierzig Minuten . . . vierzig Jahre könnte ich hier sitzen und würde noch nicht an die Abreise denken.«

»Wir sind im Rennen, Ernst, das scheinst du hier auf deiner glücklichen Insel noch immer nicht kapiert zu haben.«

»Wie ihr wollt, Hein. Reisende Leute soll man nicht aufhalten. Ich werde euch wieder zu eurem Flugzeug bringen.« –

Unter lustigem Gesang schlug das braune Volk die Ruder taktmäßig ins Wasser. Von zwanzig kräftigen Armen getrieben, schoß das Kanu zu der ›Seeschwalbe‹ hin und lag nach wenigen Minuten neben ihr. Ein letzter Händedruck mit dem philosophischen Koprafarmer, der wunschlos glücklich auf seiner Insel zurückblieb. Die Motoren der ›Seeschwalbe‹ gingen an. Eine kurze brausende Fahrt über die Lagune, und schon stieg sie leicht beschwingt wie ein Vogel in die Lüfte und jagte im Südwestkurs in die Ferne.

Das Steuer hatte Eggerth. Neben ihm saß Schmieden und kümmerte sich um die Funkanlage. Hinter ihnen hatte es sich Röge auf einem Sessel bequem gemacht. Mit bedächtigen Fingern steckte der sich eine Zigarette an. Prüfend stieß er die Rauchwolken aus und blies sie zu den beiden andern hin.

»Nicht übel, das Kraut, das uns Liebert gestiftet hat. Mahukatabak . . . habe nicht geahnt, daß es so was in der Welt gibt. Ist wirklich ganz rauchbar.«

»Her mit dem Gift«, rief Schmieden und ließ sich eine von den Zigaretten geben. Auch Eggerth, der sich sonst aus Tabak nicht viel machte, folgte dem Beispiel.

»Tja!« sagte Röge und blies ein paar kunstvolle Rauchringe, »unser guter Liebert hat sich das Leben auf seine Weise eingerichtet. Frei von allen materiellen Sorgen, wunschlos . . . restlos glücklich. Ein kleiner König in seinem Reich . . . absoluter Herrscher über ein paar Dutzend dieser braunen Naturkinder . . . eigentlich könnte man ihn darum beneiden.«

Eggerth schüttelte den Kopf. »Wer's mag, Bert, der mag's ja wohl mögen. Wer's aber nicht mag, der mag es eben nicht, sagt Fritz Reuter. Ich könnte mich auf die Dauer mit einem solchen Phäakendasein nicht zufrieden geben. Leben heißt meiner Meinung nach kämpfen . . .«

Schmieden lachte. »Ach du lieber Gott, der gute Ernst und kämpfen . . . Kampf hat dem nie besonders gelegen. Der hat sich sein Leben schon so eingerichtet, wie es zu seinem Charakter paßt.« –

Während die drei über ihren alten Schulkameraden plauderten, verfolgte die ›Seeschwalbe‹ unverdrossen ihren Südwestkurs. Regelmäßig wie Präzisionswerke trommelten die Motoren. Eine Stundengeschwindigkeit von 420 Kilometer ließ sich aus dem Stand der Tourenzeiger entnehmen. Unverändert wölbte sich der Himmel wie ein blauer Schild über ihnen, aber die See tief unten, die sie in zweitausend Meter Höhe überflogen, hatte jetzt einen anderen Anblick bekommen. Es war nicht mehr die endlose leere Fläche. Immer neue Inseln tauchten am Horizont auf, zogen unter der ›Seeschwalbe‹ hin, verschwanden hinter ihr. Nicht Dutzende, sondern Hunderte von Inseln und Inselchen, auf der blauen Fläche verstreut, als hätte ein Kind irgendwelches Spielzeug hingeworfen.

»Eine wunderbare Gegend«, sagte Schmieden.

»Polynesien, mein Lieber«, meinte Eggerth, »Poly heißt viel und Nesos die Insel. Wir überfliegen die Gegend der vielen Inseln . . .« er unterbrach sich, um den Kurs auf der Karte einzutragen, deutete dann in der Kursrichtung nach vorn, wo das Meer jetzt buchstäblich mit Inseln besät war.

»Das dürften die Gesellschafts-Inseln sein. Hunderte von Atollen. Soweit wir sehen können, fehlen auf keiner die obligaten Kokospalmen. Dabei sind viele unbewohnt. Ich möchte es sogar bezweifeln, daß sie schon alle in die Seekarten eingetragen sind. Wenn wir die hinter uns haben, schneidet unser Kurs noch die Cook-Inseln. Danach dürfte das Meer dann wieder inselleer werden.«

»Eigentlich, Herrschaften«, fing jetzt Röge an, »ist doch unser Flug bisher . . . unberufen . . . unberufen . . . wundervoll verlaufen. Das müssen wir unserem Alten wirklich lassen, die Maschinen, die aus seinem Werk kommen, leisten doch allerhand.«

»Unberufen . . . unberufen . . .«, fiel ihm Eggerth ins Wort und klopfte dabei dreimal gegen das Steuerrad. »Vergiß nicht, Bert, daß wir noch längst nicht die Hälfte des langen Weges hinter uns haben. Unsere Maschinen . . . ja, du hast recht . . . auf die können wir uns verlassen. Aber es gibt doch so manche unangenehme Sachen . . . Nebelflug, Stürme . . . Versagen der Kompasse . . . wir wollen über jeden Kilometer froh sein, den wir glatt hinter uns bringen, und nicht zu früh triumphieren. Wenn du vernünftig bist, Bert, dann gehst du nach hinten und legst dich aufs Ohr, wir werden unsere Nerven noch zur Genüge brauchen.«

»Hast recht, Hein! Ich werde es mir im Achterraum bequem machen, sonst dussele ich noch hier auf dem Sessel ein.«

Er stand auf, um nach hinten zu gehen.

»Eigentlich könnte ich's ebenso machen«, meinte Schmieden, »hier über der Südsee haben wir die beste Gelegenheit auf Vorrat zu schlafen. Wer weiß, wie's nachher kommt?«

Er schob Eggerth die Kopfhörer hin und wollte sich gerade erheben, als von hinten her die Stimme Röges ertönte.

»Herrgottshimmelkreuzdonnerwetter! Was ist denn das?«

»Sieh mal nach, Kurt, was dem da hinten fehlt«, sagte Eggerth und schob sich die Kopfhörer über die Ohren.

Röge ging zu dem hinteren Raum. An der Tür hielt er verdutzt an. Täuschten ihn seine Augen oder sah er recht? Da stand Schmieden und vor ihm ein brauner Mensch, einer von den Leuten Lieberts, die sie mit dem Kanu zur ›Seeschwalbe‹ gerudert hatten. Er versuchte der Unterhaltung zwischen den beiden zu folgen, die von dem Manne aus Mahuka mit Hilfe schauerlicher englischer Brocken geführt wurde. Soviel er daraus entnehmen konnte, hatte der biedere Ohea Kiliri den nach seiner Meinung durchaus berechtigten Wunsch gehabt, auch einmal in dem großen Vogel der weißen Männer zu fliegen und sich zu dem Zweck einfach in der hinteren Kabine verkrochen. Erst als Schmieden die Steppdecken auseinander breitete, um sich ein Lager zu machen, hatte er den blinden Passagier entdeckt.

»Schöne Geschichte! Wat sagst du nu, Kurt?« meinte Röge. »Ins Wasser schmeißen können wir den braunen Deibel nicht.«

Der konnte die deutschen Worte zu seinem Glück nicht verstehen und lachte nach wie vor über das ganze Gesicht.

»Zwischenlanden? Mister Kiliri auf Atiu absetzen?« fragte Röge.

»Wird sich finden, Bert. Erst will ich den wunderlichen Vogel mal Hein zeigen.« Schmieden suchte sein Englisch zusammen und wandte sich an den Insulaner. »Please, Mister Kiliri, kommen Sie mit mir zu unserem Kapitän, er wird sich mächtig freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Immer noch lachend verbeugte sich der Braune und streckte Röge die Rechte hin, die der wohl oder übel ergriff und schüttelte. Dann führte er den neuen Passagier nach vorn.

»He, du, Hein! Guck mal her, aber versteuere dich dabei nicht. Wir haben Zuwachs bekommen.«

»I du Dunnerschlag!« brummte Hein, nachdem seine erste Überraschung vorüber war, »so was hat uns gerade noch gefehlt.« Doch seine abweisende Miene hielt vor dem gewinnenden Lächeln des blinden Passagiers nicht stand. Der hatte jetzt durch die großen Scheiben der Führerkabine zum erstenmal einen Ausblick ins Freie und schaute wie gebannt auf das wunderbare Bild, das sich seinen Blicken darbot. Die See tief unten, die Inseln, die kamen, unter ihnen hinzogen und wieder verschwanden. Die blinkenden Instrumente dann, mit denen der Herr des mächtigen Vogels, der weiße Mann am Steuer, wie ein Zauberer hantierte. Eine Fülle von überwältigenden Eindrücken, die auf den Eingeborenen einstürmten.

Hein Eggerth sah, wie es in dessen Zügen arbeitete, wie seine Augen sich in maßlosem Staunen weiteten. Mit einer Handbewegung zog er ihn in den leeren Sessel neben sich, gab ihm Erklärungen, nannte die Namen der einzelnen Inseln, die sie gerade überflogen.

»Da vor uns liegt Atiu«, sagte Eggerth.

Die Augen des Mannes aus Mahuka wurden noch größer, als er den Namen hörte und die Insel erkannte. Atiu . . . es stellte sich heraus, daß er schon einmal auf Atiu gewesen war. Mit einem der Kopraschiffe war er von Mahuka dorthin gekommen. Aber die Reise hatte fast einen Monat gedauert, und der wunderbare Vogel, mit dem er jetzt flog, hatte die gleiche Strecke in wenigen Stunden zurückgelegt. Was waren die weißen Männer für mächtige Zauberer, die mit ihrem ehernen Vogel tausendmal schneller als das große Dampfschiff durch die Lüfte flogen. Würden sie ihm vielleicht zürnen, weil er heimlich in ihren Vogel geklettert war? Würden sie ihren Zauber gegen ihn loslassen? In wenigen Minuten vollzog sich ein Wechsel in den Mienen des Braunen. Hatte sein Gesichtsausdruck bisher demjenigen eines harmlos heiteren Kindes geglichen, so malte sich jetzt offensichtliche Angst in seinen Zügen. Seine Hände gingen zitternd zu dem Amulett, das er an einer Schnur um den Hals trug.

Röge erkannte, daß etwas geschehen müsse, um die alte Zutraulichkeit wieder herzustellen. Er verschwand und kam mit einigen Gläsern und einer Bierflasche zurück.

»Hein, du markierst zu sehr den Jupiter Tonans auf deinem Pilotenstuhl. Hier nimm mal ein Glas und stoße mit Mister Kiliri an, damit der arme Kerl seine Furcht vergißt.«

Das geschah denn auch, und wie im April Sonnenschein und Regen schnell abwechseln, kehrte die frohe Laune des blinden Passagiers sofort zurück, als er sah, daß der große Zauberer am Steuer des Wundervogels ihm nicht böse war. Dann nahm sich Schmieden des Gastes an und führte ihn durch die Räume der ›Seeschwalbe‹, während Röge sich auf den Platz neben Eggerth setzte und während der nächsten halben Stunde allerlei zu funken hatte. –

So verstrichen die Stunden. Längst lagen Atiu und Rarotonga, die südlichsten Inseln der Cookgruppe hinter ihnen. Mit erneutem Mißtrauen sah Ohea Kiliri, wie der weiße Mann an seiner Seite plötzlich einen neuen Zauber verübte, wie er mit einem blinkenden Instrument auf die Sonne zielte, Schrauben drehte, geheimnisvolle Zeichen auf weißes Papier malte. Und dann . . . er wurde unsicher, wer von den drei Weißen der mächtigste sei, zeigte der, der eben den Sonnenzauber gemacht hatte, die Zeichen dem großen Gott am Steuer und . . . Kiliri konnte es nicht fassen, wie das möglich war . . . der gehorchte den Zeichen und drehte das Rad in seinen Händen nach den Weisungen des anderen.

Der Herr des Vogels, der Herr der Sonne . . . unerklärliche Mächte, die der Braune nicht begreifen, vor denen er sich nur beugen konnte. Und nun begann auch der dritte irgendeinen gefährlichen Zauber zu treiben. Einen magischen Apparat auf einer Stange drehte der, und schien dabei aus den rätselhaften Dingern, die er an den Ohren trug, allerlei zu erlauschen, drehte den Zauberapparat weiter und bewegte mit der Hand eine blinkende Taste. Dann sagte er dem Herrn des Vogels Worte in einer unverständlichen Sprache und wieder schien der das Steuer nach den Befehlen des anderen zu führen. Zauber über Zauber, dachte Kiliri, der nie in seinem Leben etwas von einem Sextanten und von einem Funkpeiler gehört und gesehen hatte.

Eine einfache Funkpeilung war ja die letzte Zauberei gewesen, durch die Schmieden den genauen Kurs auf die Haymetklippen feststellte. Noch eine Viertelstunde, und die Klippen wurden sichtbar. Drei schroffe Felsenriffe, die kahl aus dem Weltmeer ragten. Kein Baum, kein Strauch wuchs darauf, kein grünes Fleckchen zeigte sich auf dem schwarzen Basalt. Seevögel waren zu anderen Zeiten die einzigen Bewohner dieser im Weltmeer verlorenen Riffe, jetzt aber während des Rennens hatten sich hier Menschen niedergelassen.

Auf der Mittelklippe wehte neben einem Zelt das Sternenbanner, als ein weithin sichtbares Zeichen, daß der amerikanische Zeitnehmer des Reading-Kuratoriums hier weilte, bereit seines Amtes zu walten. Die grün-weiß-rote Trikolore auf der östlichen Klippe gab Kunde davon, daß es die Antipodenstation der italienischen Rennroute war. Und wenn es die einzelne Fahne auf dem Riff noch nicht zur Genüge zeigte, so bewiesen es die drei Kreuzer, die mit der italienischen Kriegsflagge am Mast, zwischen der Ost- und Mittelklippe ankerten, jedenfalls aufs deutlichste. –

In langem Gleitflug kam die ›Seeschwalbe‹ von ihrer Höhe hinab. Eine schaumige Welle stieg vor ihrem Bug auf, dann war die sausende Fahrt gebremst. Mit leise atmenden Motoren trieb das Flugzeug langsam zu den italienischen Schiffen hin. Schon wurde auf einem der Kreuzer eine Barkasse ausgeschwungen und zu Wasser gelassen. Bald lag sie neben der ›Seeschwalbe‹, und eine Pumpe warf gutes Leunaöl, das die Italiener für die Eggerth-Maschinen zu den Haymetklippen mitgenommen hatten, in die Tanks der deutschen Maschine. –

Immer tiefer war inzwischen die Sonne gesunken. Jetzt erreichte sie den Horizont und für kurze Minuten verwandelte sich die eben noch blaue See in eine Flut von Gold und Rot. Dann versank die leuchtende Scheibe im Westen und fast unmittelbar brach die Nacht herein. Da flammten auf den italienischen Kreuzern die großen Scheinwerfer auf und übergossen die ›Seeschwalbe‹ mit ihrem blendenden Licht. Tageshell war die Stelle erleuchtet, an der die Ölübernahme flott weiterging.

Vom Führerstand der ›Seeschwalbe‹ aus beobachtete Kiliri mit Staunen die neuen Dinge. Die drei Riesenschiffe der weißen Männer, viel viel größer als alle Kopraschiffe, die er während der zwanzig Jahre seines Lebens in Mahuka gesehen hatte. Türme auf den Schiffen, die sich von selber drehten und aus denen lange Rohre hinausragten. Und dann die künstlichen Sonnen, die langen Lichtbalken, die durch die Luft huschten und jede Stelle, die sie trafen, in hellem Glanz erstrahlen ließen. Gewaltig war der Zauber der weißen Männer und wieder wollte Furcht den Braunen befallen. Da lenkte eine neue Erscheinung seine Blicke nach oben.

Fast senkrecht über ihm leuchtete ein strahlender Stern am Firmament, der stand nicht still, wie die anderen. Er bewegte sich, zog Kreise, glänzte immer stärker und jetzt ging auch von ihm ein Lichtbalken aus, huschte über die Seefläche, wanderte, suchte und leuchtete, bis er die ›Seeschwalbe‹ traf. Grell strömte das Licht in den Führerstand und erfüllte ihn einen Augenblick mit Tageshelligkeit. Geblendet schloß Kiliri für kurze Zeit die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er einen anderen Zaubervogel, noch größer als die ›Seeschwalbe‹ auf dem Wasser schaukeln. In einem Boot aus silberglänzendem Metall kam ein weißer Mann von dem zweiten Vogel zu ihnen hinüber. Kiliri sah, wie die drei Piloten der ›Seeschwalbe‹ ihn freudig begrüßten, hörte, wie sie in ihrer Sprache miteinander redeten, und vernahm zwischen den fremden Worten auch seinen eigenen Namen. Was mochten die weißen Götter wohl über ihn sprechen, was würden sie jetzt mit ihm tun?

Auf die Antwort brauchte er nicht lange zu warten. Der Lenker der ›Seeschwalbe‹ erklärte ihm freundlich aber bestimmt, daß der andere Vogel ihn jetzt wieder nach Mahuka zurückbringen würde. Und dann saß er neben Vinzent im Boot und fuhr zum Stratosphärenschiff hinüber. Eggerth sah ihm nach, bis das Boot dort festmachte und der Braune mit seinem Begleiter im Rumpf von ›St‹ verschwand.

»So, Herrschaften, unseren blinden Passagier sind wir glücklich wieder los. Der Boy wird in Mahuka jedenfalls allerlei zu erzählen haben. Unsere Tanks sind auch voll. Jetzt kannst du mal wieder das Steuer nehmen, Kurt. Mit Volldampf los! Kurs auf Claryland!«

Nach einem kurzen Start hob sich die ›Seeschwalbe‹ vom Wasser ab, stieg auf und entschwand schnell in südöstlicher Richtung. –

Das Stratosphärenschiff lag noch eine Viertelstunde bei den Haymetklippen und füllte Treibstoff in seine Behälter. Dann startete es ebenfalls und zog auf Nordwestkurs davon.

Verwundert schaute ihm die Besatzung der italienischen Schiffe nach. Man verstand nicht, wie der deutsche Pilot einen Kurs nehmen konnte, welcher der Rennroute gerade entgegengesetzt war. Wollte das Stratosphärenschiff wirklich nach Mahuka zurückfliegen, nur um einen blinden Passagier, noch dazu einen Eingeborenen, wieder in seine Heimat zu bringen? Die Entfernung von den Haymetklippen bis zu den Manihiki-Inseln betrug reichlich zweitausend Kilometer, hin und zurück machte das viertausend Kilometer aus. Ganz unmöglich, daß ein Flugzeug, das im Rennen lag, sich einen solchen Umweg und Zeitverlust erlauben durfte. Aber die Tedeschi . . . man wußte ja nie, wie man mit diesen Deutschen dran war. Mochte der Himmel wissen, was sie vor hatten, was für Geheimnisse in ihrem Stratosphärenschiff stecken mochten . . . Noch lange ging an Bord des ›Dante Alighieri‹ das Rätselraten um das sonderbare Stratosphärenschiff weiter. –

Nach der Ortszeit war es bei den Haymetklippen neun Uhr abends. Der Vollmond stand fast im Zenit, als Tiberio Guerazzi, der erste Offizier des ›Dante Alighieri‹ in die Kabine des Kapitäns Zanella stürmte.

»Incredibile, Signor Capitano! Das deutsche Stratosphärenschiff ist schon wieder zurück.«

Kapitän Zanella fuhr von seinem Sitz empor.

»Impossibile, Guerazzi!«

»Doch, Signor Capitano! Es ist wirklich wieder da und nimmt neuen Treibstoff. Sie können es durch Ihr Fenster auf dem Wasser liegen sehen.«

Der Kapitän trat an das Kabinenfenster.

»Corpo di bacco, Sie haben recht. Begreife das, wer's kann!«

Guerazzi zuckte die Achseln. »Keiner von uns versteht es, Signor Capitano. Wir dachten zuerst, das deutsche Schiff hätte vielleicht eine Panne gehabt, oder wäre aus anderen Ursachen vorzeitig zurückgekommen. Aber der Eingeborene, den es von hier mit fortnahm, ist nicht mehr an Bord der deutschen Maschine. Das haben wir mit Sicherheit erfahren.«

Zanella griff sich an den Kopf. »Ganz unmöglich, Guerazzi, daß die Deutschen in der kurzen Zeit in Mahuka gewesen sind. Sie werden den blinden Passagier auf der nächsten Cook-Insel abgesetzt haben und sind dann sofort wieder ins Rennen gegangen. Sie wassern jetzt noch einmal bei uns, um ihre Tanks wieder aufzufüllen.«

»Die gleiche Vermutung hatten wir auch zuerst, Signor Capitano. Aber die Tanks des deutschen Schiffes – sie fassen Treibstoff für etwa siebentausend Kilometer – sind bald leer. Dem Brennstoffverbrauch nach könnte das Schiff ungefähr die Strecke nach Mahuka hin und wieder zurück abgeflogen haben.«

Der Kapitän griff nach seiner Mütze.

»Kommen Sie mit, Guerazzi! Wir wollen zu der deutschen Maschine hinfahren. Ich muß mich selbst davon überzeugen.« –

Kurze Zeit später stoppte eine Motorbarkasse des ›Dante Alighieri‹ neben dem Stratosphärenschiff, auf dem man noch eifrig mit der Ölübernahme beschäftigt war.

Wolf Hansen stand neben der Füllöffnung und überwachte die Arbeit an der Ölpumpe. In südländischer Lebhaftigkeit überschüttete ihn Kapitän Zanella mit einer Flut von Fragen und wurde erst ruhiger, als er genötigt war, sich zur Verständigung der französischen Sprache zu bedienen. Die erste für ihn wichtigste Frage: »Wo ist der blinde Passagier?«

Wolf Hansen hatte die letzten Stunden am Funkapparat gesessen und wußte allerlei um die Geschichte und den Verbleib von Mister Kiliri. Ohne mit den Wimpern zu zucken antwortete er: »Wieder in seiner Heimat, in Mahuka, Herr Kapitän.«

Einen Augenblick blieb Zanella die Sprache weg, dann raffte er sich zur nächsten Frage auf.

»Verzeihen Sie, Signor. Es geht mich ja eigentlich nichts an. Würden Sie mir wohl sagen, wieviel Kilometer Sie seit Ihrer letzten Ölaufnahme zurückgelegt haben?«

Frag du immer, mein Junge, dachte Hansen bei sich. Ich will dir schon passende Antworten geben. Laut fuhr er fort.

»Viertausendvierhundert Kilometer, Signor. Unsere Tanks sind bald leer, war Zeit, daß wir Ihre Station erreichten.«

Kapitän Zanella griff grüßend an die Mütze.

»Vielen Dank, Signor! Wir wünschen Ihnen weiteren glücklichen Flug.«

Schweigend fuhren Zanella und Guerazzi zum »Dante Alighieri« zurück. Erst als der Kapitän die Planken seines eigenen Schiffes unter sich fühlte, fand er die Sprache wieder.

»Begreifen Sie das, Guerazzi?«

»No, Signor Capitano. Das deutsche Stratosphärenschiff ist vor . . .« Guerazzi schaute auf seine Uhr ». . . vor knapp drei Stunden von hier nach Mahuka gestartet. Drei Stunden . . . viertausendvierhundert Kilometer . . . fast tausendfünfhundert Stundenkilometer . . . impossibile . . . incredibile! . . . Signor Capitano.«

Zanella riß die Mütze vom Kopf und ließ sich den Nachtwind um die heiße Stirn wehen.

». . . tausendfünfhundert Stundenkilometer . . . narrt uns alle ein Gaukelspiel, Guerazzi? . . . oder ist es wirklich so? Dann können ja alle anderen Flugzeuge das Spiel aufgeben. Was könnten sie mit ihren vierhundert oder höchstens fünfhundert Stundenkilometern dagegen noch ausrichten? . . . Soll ich das überhaupt funken lassen? Wir würden die anderen entmutigen, uns selber vielleicht lächerlich machen.«

Mit innerem Widerstreit schritt der Kapitän über das Deck, Guerazzi ging an seiner Seite, ebenfalls in Gedanken versunken. Plötzlich blieb der stehen.

»Eine Frage! . . . eine Idee, Signor Capitano! Die deutsche Eggerth-Maschine, die ›Seeschwalbe‹, liegt bisher mit durchschnittlich vierhundert Stundenkilometern im Rennen. Das Stratosphärenschiff ist erst eine Viertelstunde nach ihr zu unserer Station gekommen. Wie stimmt das mit jener unglaublichen Geschwindigkeit zusammen?«

»Santa Madonna, Guerazzi! Sie haben recht! Das Stratosphärenschiff liegt im Rennen hinter der ›Seeschwalbe‹ . . .«

». . . und müßte doch das Rennen schon längst beendet haben«, fiel ihm Guerazzi ins Wort. »Wenn es diese undenkbare, diese unglaubliche Geschwindigkeit besäße.«

Zanella atmete erleichtert auf.

»Gut, mein lieber Guerazzi, daß wir das rechtzeitig erkannt haben. Wir werden über die zweite Wasserung des Teufelsschiffes kein Wort funken.«

»Kein Wort, Signor Capitano . . . obgleich . . . rätselhaft bleibt die Geschichte doch. Sie erinnern sich wohl, bei der Rettung unserer ersten Romea-Maschine durch das Stratosphärenschiff hat es schon einmal etwas Ähnliches gegeben . . .«

»Ah bah!« unterbrach ihn Zanella, »ich weiß, man phantasierte damals etwas von tausend Stundenkilometern. Eine falsche Ortsbestimmung, ein Irrtum unseres Funkers, der mit unvergleichlicher Geistesgegenwart noch während des Absturzes der ›Gamma Romea‹ die letzte Position morste. Der Fall ist vollkommen aufgeklärt, da ist nichts Rätselhaftes dabei.«

»Aber die Sache heute, ›Signor Capitano‹ . . . ich komme nicht darüber hinweg.«

Zanella machte eine Handbewegung, als wolle er etwas fortwischen.

»Lassen wir das! Es ist nicht unsere Aufgabe, Rätsel zu lösen. Warten wir ab, was kommt. Bereiten wir uns darauf vor, unsere eigenen Maschinen bestens mit allem zu versorgen. Nur noch wenige Stunden, Guerazzi, und wir werden sie hier sehen.«

Mit einem »buona notte« verabschiedete sich Zanella von seinem Wachtoffizier und suchte seine Kabine auf. Mit einer Flasche asti spumante versuchte er, die immer wieder andrängenden Gedanken und Vermutungen zu verscheuchen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Irgendein Geheimnis – die Überzeugung wurde er nicht los – umwitterte dieses deutsche Schiff.

Auch Guerazzi konnte noch lange Zeit keine Ruhe finden, doch dessen Gedanken waren von anderer Art. War der deutsche Pilot, mit dem Zanella vorher sprach, denn der gleiche wie der, mit dem er selber bei der ersten Wasserung des Stratosphärenschiffes zu tun hatte? Das war doch ein baumlanger blonder Kerl gewesen; der andere, mit dem Zanella sprach, dagegen brünett und mehr untersetzt. Vergeblich hatte er bei der zweiten Wasserung des Stratosphärenschiffes nach dem Langen ausgeschaut. Guerazzi suchte sich die Sache auf plausible Weise zu erklären und verschüttete dadurch selber die Quelle der Erkenntnis, daß tatsächlich zwei Stratosphärenschiffe bei der italienischen Station Treibstoff genommen hatten. Zuerst hatte ›St 2‹ dort gewassert und war mit dem blinden Passagier nach Mahuka gestartet. Vier Stunden später war ›St 1‹ dorthin gekommen, das sich nach den Weisungen der Eggerth-Werke in der Nähe der ›Seeschwalbe‹ halten mußte. Hätten Zanella und Guerazzi eine Ahnung vom wahren Sachverhalt gehabt, so wären sie vermutlich schneller zu ihrer Nachtruhe gekommen.

*

In New York schlug die Uhr der trinity-church die elfte Abendstunde. Es war die fünfunddreißigste Stunde des Reading-Rennens. Durch die lichterfüllten Straßen der Hudson-Metropole pulste das Leben, vor dem Wettbüro von Harrow & Bradley staute sich die Menge, begierig die letzten Nachrichten über den Stand des Rennens zu erfahren. Sie brauchte nicht lange zu warten. Wenige Minuten nach elf Uhr flammte es in Leuchtbuchstaben an der Hausfront auf:

»Elf Uhr Eastern Time die beiden Eagle-Maschinen der Bay-City Werke bei Progresso auf San Cristobal gewassert.«

Mit tausendfachen cheers begrüßte die Menge auf der Straße die Nachricht. Die amerikanischen Maschinen schon bei den Galapagos-Inseln, nur noch reichlich tausend Kilometer von der brasilianischen Gegenstation entfernt . . . bisher die Besten im Rennen . . . der Sieg des Sternenbanners in diesem gigantischen Wettstreit immer wahrscheinlicher . . . Hüte wurden in die Luft geworfen, fremde Menschen umarmten sich, die alte Hymne »Hail Columbia« brauste zum Nachthimmel empor.

Sie klang wieder ab, als jetzt weitere Zeichen auf der weißen Wand erschienen.

»Elf Uhr zwei Minuten Eastern Time die ›Seeschwalbe‹ der Eggerth-Werke bei den Haymet-Klippen gewassert.«

Was war das . . . das deutsche Flugzeug schon bei den Haymet-Klippen? . . . Wollte es etwa den Eagle-Maschinen den Sieg streitig machen?

Soviel hatte jeder der vielen Tausenden, die hier beklommen auf die zweite Meldung starrten, in den letzten Tagen doch gelernt. Sie glaubten zu wissen, daß die Haymet-Klippen von der deutschen Gegenstation in Claryland nicht viel weiter entfernt waren als die Galapagos-Inseln von der amerikanischen Gegenstation. Die Deutschen nur zwei Minuten später bei den Haymet-Klippen als die Amerikaner auf San Cristobal? . . . Die laute Begeisterung machte einer verhaltenen Stille Platz. –

Bis die Flammenzeichen von Harrow & Bradley weitere neue Kunde gaben, welche die Stimmung wieder emporriß.

»Durchschnittliche Fluggeschwindigkeit der ›Seeschwalbe‹ über vierzehntausend Kilometer von der Schreckensbucht bis zu den Haymet-Klippen vierhundert Stundenkilometer.

Durchschnittliche Fluggeschwindigkeit der Eagle-Maschinen über sechszehntausendsechshundert Kilometer von Luzon bis San Cristobal vierhundertachtzig Stundenkilometer.« Von neuem brauste der Jubel auf. Zweitausendsechshundert Kilometer Vorsprung für die Amerikaner . . . Ausgeschlossen, daß die deutschen Maschinen das jemals einholen konnten.

Mit Gewalt drängte die Masse in das Haus und zu den Wettschaltern. Tausende und aber Tausende von Dollar wurden auf eine Siegerzeit von vierundachtzig Stunden gesetzt. Bis lange nach Mitternacht hatten die Clerks von Harrow & Bradley alle Hände voll zu tun, um die Wettzettel auszuschreiben und die Einsätze in Empfang zu nehmen. –

Die Meldung von Harrow & Bradley war richtig. Um elf Uhr abends nach New-Yorker Zeit oder zehn Uhr abends nach der für die Galapagos geltenden Central Time waren die beiden Eagle-Maschinen im Hafen von Progresso niedergegangen, um neuen Treibstoff zu nehmen. Ein hartes, scharfes Rennen hatten sich die beiden Piloten Frank Kelly und James Thomson auf der fast achttausend Kilometer langen Strecke von Hawai bis San Cristobal geliefert. Nur einmal war es auf eine kurze Viertelstunde unterbrochen worden, um bei dem auf halbem Wege stationierten amerikanischen Kreuzer ›Philadelphia‹ zu tanken.

Auch im Hafen von Progresso war der Aufenthalt nur kurz. Während die Ölpumpen neuen Treibstoff in die Behälter der beiden amerikanischen Rennmaschinen warfen, machten sich die Mechaniker sofort daran, sämtliche Zündkerzen auszuwechseln. Die Neigung der Eagle-Maschinen, die Kerzen zu vergraphitieren, war und blieb ja der wunde Punkt dieser sonst so gelungenen Konstruktion. Sogar während des Fluges selbst war es mehrfach nötig geworden, schadhafte Kerzen durch neue zu ersetzen. Das war auch der Grund dafür, daß die Maschinen die während der Probeflüge gezeigte Geschwindigkeit von fünfhundert Stundenkilometer nicht voll durchhalten konnten.

»Hallo Thomson! Fertig zum Start?« rief Frank Kelly, während er sich ein Dutzend Sandwiches in eine Serviette wickelte.

»Fertig, Mr. Kelly«, antwortete Thomson. –

Kaum zwanzig Minuten hatte der Aufenthalt in Progresso gedauert, dann saßen sie wieder am Steuer ihrer Maschinen. Als erster stürmte der Eagle Frank Kellys über das im Mondschein schimmernde Hafenwasser. Fast unmittelbar folgte ihm das zweite Flugzeug. Gleichzeitig lösten sich beide Maschinen vom Wasser, hoben sich in die Luft, um in südöstlicher Richtung davonzujagen. –

Frank Kelly führte das Steuer, Hobby saß neben ihm, die Kopfhörer der Funkanlage an den Ohren. Kelly beobachtete die Umdrehungszeiger.

»Hurra Hobby! Wieder fünfhundert Stundenkilometer. Hoffentlich bleibt's dabei.«

»Wäre schön, wenn's so wäre, Mr. Kelly. Noch dreitausendvierhundert bis zu unserer Kontrollstation am Rio Juruena. Freue mich schon auf das Wiedersehen mit dem alten Scott Campbell. Bin neugierig, wie sich der mit dem Einsiedlerleben im brasilianischen Urwald abgefunden hat.«

»Darüber brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen, Hobby. Wenn Campbell bei Tag seinen Poker und abends seinen Whisky hat, macht ihm das Leben an jeder Stelle unseres gesegneten Erdballes Freude. Wichtiger ist mir die Frage, ob wir unsere fünfhundert Stundenkilometer bis zum Juruena durchhalten werden. Dreitausendvierhundert Kilometer . . . wir könnten es in sieben Stunden schaffen . . . morgen früh gegen sechs Uhr die Kontrollstation erreichen. Wäre eine feine Sache, wenn wir die erste Hälfte des Rennens mit einem klaren Vorsprung vor den anderen machten.«

»Wird sicherlich gelingen, Mr. Kelly«, mischte sich Pender ins Gespräch, »und wenn wir die verdammten Kerzen jede Stunde auswechseln sollten. Unsern Rekord müssen wir halten. Die Maschinen der Reading-Werke müssen den Reading-Preis gewinnen, oder ich will des Teufels Großmutter heiraten.«

Kelly lachte: »Seien Sie mit Ihren Äußerungen vorsichtig. Pender. Wenn wir den Preis nicht bekommen, ist die alte Dame fähig, Sie auf breach of promise zu verklagen. Könnte eine unangenehme Geschichte für Sie werden.«

Pender schüttelte sich: »Jagen Sie mir keinen Schreck ein, Mr. Kelly. So weit ist es noch nicht. Vorläufig werde ich mich erst mal ein paar Stunden schlafen legen. Wecken Sie mich, wenn es an den Motoren was zu tun gibt.«

Pender zog sich in die hintere Kabine zurück, um seinen Worten die Tat folgen zu lassen. –

Stunde um Stunde verstrich, während die beiden Maschinen der Bay-City-Werke in rasendem Flug über den Pazifik auf die amerikanische Küste zujagten. Auch auf dem ›Eagle 2‹ holte man aus den Motoren heraus, was sie herzugeben vermochten. James Thomson setzte alles daran, nicht hinter Kelly zurückzubleiben, und lange Zeit glückte es ihm auch, obwohl er früher und häufiger mit Kerzendefekten zu kämpfen hatte als Kelly.

Noch stand die Scheibe des vollen Mondes hoch im Westen, als das amerikanische Festland in Sicht kam. Trotz aller Anstrengungen war es Thomson nicht mehr möglich, das Tempo Kellys mitzumachen. Langsam fiel seine Maschine zurück. Nur noch durch die Funkanlagen standen die beiden amerikanischen Maschinen in Verbindung. Bei Payta erreichten sie die südamerikanische Küste. Im Mondlicht baute sich vor ihnen das gewaltige Massiv der Kordilleren auf. Zackige Felsgipfel, zum Teil mit Schnee bedeckt, tiefe Schluchten mit brausenden Bächen dazwischen. –

Kelly zerkaute einen Fluch zwischen den Zähnen.

»Wir müssen klettern, müssen steigen, Hobby. Es hilft nichts, wenn's uns auch Geschwindigkeit kostet. Lieber eine halbe Stunde später den Juruena erreichen, als uns hier den Schädel an einer Bergwand einrennen.«

Das Flugzeug folgte dem Druck des Steuers. Stetig stieg es empor, bis die Höhenmesser sechstausend Meter zeigten und die Alpenwelt der Kordilleren tief unter ihnen lag. Die leichte Luft zwang sie, schneller zu atmen. Schneidende Kälte drang in den Führerstand. Frank Kelly schüttelte sich.

»Holen Sie mir meinen Pelz, Hobby! Er liegt in der hinteren Kabine. Ist ja eine Saukälte hier oben.«

Hobby erhob sich, immer noch die Telephone der Radioanlage an den Ohren.

»Thomson scheint stark unter Motorschwierigkeiten zu leiden. Er verwünscht die Notwendigkeit, jetzt über die Kordilleren klettern zu müssen.«

Kelly klapperte mit den Zähnen: »Lassen Sie Thomson machen, was er will, Hobby! Bringen Sie mir meinen Pelz, ehe ich am Steuer einfriere.«

Hobby streifte die Kopfhörer ab und ging, um das Gewünschte zu holen. Auf seinem Wege warf er einen Blick auf das Thermometer. 20 Grad Celsius unter Null, in der Tat eine Temperatur, bei der man einen Pelz gebrauchen konnte. Er kam zurück, nahm einen Augenblick das Steuer, während Kelly sich in den dicken, warmen Pelz hüllte, und streifte sich dann wieder die Kopfhörer über, um weitere Nachrichten von ›Eagle 2‹ zu hören. Doch vergeblich lauschte er, vergeblich drehte er an allen Knöpfen und Einstellungen des Gerätes. Es kam keine Nachricht mehr vom ›Eagle 2‹. Während der wenigen Minuten, in denen Hobby die Hörer von den Ohren gelassen hatte, war der Sender von Thomsons Maschine verstummt. –

Etwa hundert Kilometer hinter Kelly hatte Thomson die Kordilleren-Kette erreicht und begann den Aufstieg. Was aber Kelly mit seinen intakten Motoren leicht gelang, bereitete Thomson erhebliche Schwierigkeiten. Fast die Hälfte seiner Zylinder arbeitete infolge der vergraphitierten Kerzen unregelmäßig und setzte teilweise ganz aus. Dabei war sein Vorrat an neuen Kerzen erschöpft. Es blieb nur die Möglichkeit, alte Kerzen von dem störenden Graphitbelag zu reinigen und wieder einzusetzen. Die eingefalteten Fallschirme wie Tornister auf den Rücken geschnallt, arbeiteten seine Mechaniker im schneidenden Fahrwind an den Motoren, um des Übels Herr zu werden. Nur langsam kletterte das Flugzeug. Es mußte hin und wieder Kreise beschreiben, um Höhe zu gewinnen und über das immer höher ansteigende Alpenmassiv hinwegzukommen. Fehlzündungen über Fehlzündungen verrieten, daß ein größerer Teil der Maschinenanlage immer noch nicht in Ordnung war. Wie ein dauerndes Geschützfeuer knatterten die Nachexplosionen aus den Auspuffrohren und weckten ein donnerndes Echo in den Tälern.

Unmöglich, in dieser Bergwelt zu landen. Der Versuch dazu hätte die Katastrophe bedeutet. Jeder kranke Zylinder, der wieder in Gang kam, konnte sie vielleicht verhindern. Deshalb schickte Thomson auch seinen Funker zu den Arbeiten an den Motoren hinaus, und so geschah es, daß Hobby plötzlich von der zweiten Eagle-Maschine nichts mehr in seinem Empfänger hörte. Alle Mann von deren Besatzung arbeiteten an den Motoren, während Thomson alle Steuerkunst aufbieten mußte, um einer Notlandung zu entgehen.

Vor ihm, kaum eine Viertel Meile entfernt, dehnte sich ein Gebirgszug, dessen Kamm das Flugzeug in seiner augenblicklichen Stellung um etwa fünfhundert Meter überragte. In lang ausgezogenen Spiralen suchte Thomson weiter zu steigen. Nur mühsam gelang es ihm. Jetzt glaubte er die Kammhöhe erreicht zu haben und steuerte den Bergkamm an. Knapp, sehr knapp, kam er darüber hinweg. Einen Augenblick stockte sein Herzschlag, er glaubte den Rumpf des Eagle über den Felsgrat scharren zu hören. Dann war die Maschine wieder frei. Vor ihm lag ein tiefes Tal, in dessen Grund ein Flußlauf schimmerte. Unter ständigem Verlust an Höhe schoß das Flugzeug beschleunigt vorwärts, während das Höllenfeuer der Fehlzündungen in den Auspuffrohren immer stärker wurde.

Aussichtslos jeder Versuch, mit den kranken Motoren die Gebirgskette auf der anderen Seite des Tales zu überfliegen. Nur eine Möglichkeit sah Thomson noch, im Gleitflug den Fluß zu erreichen, dort zu wassern und die Maschine gründlich in Ordnung zu bringen.

Er wollte das Steuer dazu ansetzen, als das Unglück passierte. Etwas Großes, Schwarzes, Bewegtes war plötzlich vor dem Flugzeug. Ein Kondor, den der Lärm der Fehlzündungen aus seinem Horst aufgescheucht hatte, einer jener gewaltigen Berggeier der Kordilleren flog dem Eagle quer in den Weg. Einen Augenblick, dann traf ihn der Propeller des mittleren Motors. Ein Schlagen, ein Brechen und Krachen. In Fetzen zerrissen die scharfen Flügel der Luftschraube den Vogelleib. Ein Ruck ging dabei durch den Rumpf des Eagle. Wie in einer Vision sah Thomson seine Leute abstürzen, sah ihre Körper in die Tiefe wirbeln. Dann öffneten sich die Fallschirme, schimmerten im Mondlicht wie weiße glänzende Wölkchen, tropften langsam nach unten. –

Übel war das Flugzeug bei dem Zusammenprall aus dem Gleichgewicht geraten. Nur mit Mühe konnte Thomson ein Abrutschen der Maschine verhüten. Bange Sekunden verstrichen, bis er sie wieder in der Hand hatte und erkennen konnte, was geschehen.

Der mittlere Propeller war zerbrochen. In rasendem Spiel drehte der Motor den Propellerstummel, der ohne Flügel keinen Widerstand mehr in der Luft fand. Mit einem schnellen Griff schaltete der Pilot den Motor ab, um weiteres Unheil zu verhüten.

Letzte Rettung der Fluß. Würde er ihn noch erreichen . . . oder würde er in den Baumkronen des dichten Urwaldes notlanden müssen, der den Talhang bis zum Wasser bedeckte? Notlanden in den Baumkronen . . . durch die Kronen hindurchbrechen . . . weiterstürzen in modriges Dickicht . . . zerschellen, zugrunde gehen bei diesem letzten Sturz . . . oder ihn lebend überdauern und ein Opfer werden der Raubtiere, der Giftschlangen, die in diesem Urwald hausen mochten . . .?

Thomson fühlte, wie es ihn wechselweise kalt und heiß überkam. Klare Tropfen liefen ihm von der Stirn und rannen ihm in die Augen. Die Kleidung klebte ihm am Leibe, während ihn fröstelte. Nur der Gedanke war noch in ihm: werden die kranken Motoren es schaffen? Werde ich den ›Eagle‹ noch über den Wald bis zum Wasser bringen? –

Immer tiefer sank die Maschine, immer näher kamen die Wipfel des Urwaldes. Jetzt noch fünfzig, jetzt noch zwanzig Meter war der ›Eagle‹ über ihnen. Jetzt huschte er dicht darüber hin, streifte hier eine Krone, dort einen Ast, hüpfte dann noch über einen buschigen Wipfel . . . da war der Wald zu Ende. Im Mondschein sah er kaum zwanzig Meter unter sich eine Wiese liegen, die sich bis zum Flußufer hinzog.

Verzweifelt riß Thomson an den Gashebeln, um der sterbenden Maschine noch einmal neue Kraft einzuflößen. Unerträglich laut wurde der Donner der Fehlzündungen. Wie blaues Elmsfeuer stand es vor den Mündungen der Auspuffrohre. Aber neben so vielen Fehlzündungen gab es doch wieder Arbeitszündungen in den Zylindern, die das Flugzeug tragen halfen, seinen Fall verlangsamten. Jetzt hatte es den Flußrand erreicht. Rohr- und Schilfhalme wurden von dem immer tiefer gehenden Rumpf geknickt und beiseite geschoben. Ein letzter Sprung noch der waidwunden Maschine, dann klatschten ihre Schwimmer auf die Wasserfläche auf, mit letzter Motorkraft trieb sie bis in die Mitte des Flusses, der sich an dieser Stelle etwa dreihundert Meter breit durch das Tal wälzte.

Mit einem Griff setzte Thomson die Motoren still und ließ sich erschöpft in seinen Sessel zurücksinken. Für kurze Zeit schloß er die Augen. Tausend Gedanken gingen ihm durchs Hirn und gipfelten schließlich in dem einen: Du bist aus dem Rennen! ›Eagle 2‹ hat das Spiel verloren . . .

Langsam schlug er die Lider wieder auf und blickte müde um sich. Da sah er durch die Seitenfenster, wie das Schilf an beiden Flußufern in rascher Fahrt vorüberzog. Der Bergfluß, auf dem der ›Eagle‹ niedergegangen war, eilte in reißender Strömung zu Tale. Mit gesunden Motoren wäre es ein leichtes gewesen, das Flugzeug gegen den Strom zu stellen und auf seiner Stelle zu halten. Jetzt blieb nur der Notanker, den man in Bay City für alle Fälle mit an Bord gegeben hatte. Thomson ging zur Achterkabine, ließ den Anker fallen und die Kette auslaufen. Eine Weile trieb das Flugzeug weiter, dann hatte der Anker irgendwie Halt gefunden, die Kette straffte sich, die wandelnden Schilfwälder an beiden Ufern kamen zur Ruhe. Würde der Anker halten? Würde die Kette nicht reißen? Thomson schob die Gedanken beiseite. Wichtiger jetzt die anderen Fragen: Wo war er? Wie konnte er Hilfe für sich und seine Leute herbeirufen?

Er kehrte zum Führerstand zurück und breitete eine Landkarte aus. Der Fluß, auf dem er lag, war der erste auf seinem Wege von der Küste her. Nur der Maranon, der Oberlauf des Amazonenstromes, konnte es sein. Er versuchte den Ankerplatz des ›Eagle‹ nach der in die Karte eingetragenen Flugroute festzustellen. Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte er sich dicht vor der Biegung befinden, mit welcher der Maranon sich auf 6 Grad südlicher Breite nach Nordosten wendet. War seine Feststellung richtig, so lagen kleinere Ortschaften nur wenige Meilen entfernt zu beiden Seiten des Flusses und er durfte auf Rettung hoffen.

Aber wie die Hilfe herbeirufen? Was half ihm alles Morsen, wenn die Bewohner der Waldsiedlungen keine Empfangsgeräte besaßen, um seine Hilferufe zu hören, wenn sie keinen Sender hatten, um ihm zu antworten? Einen Augenblick zögerte er. Mochte dem sein wie ihm wolle, die Radioanlage blieb das einzige Mittel für den in der Wildnis Gestrandeten, um überhaupt mit der übrigen Welt in Verbindung zu treten. Er stellte das Gerät auf Senden. Auf der Welle, die dem ›Eagle 2‹ für das Reading-Rennen zur Verfügung gestellt war, funkte er seinen Unfall und den Ort seiner Strandung. Schaltete dann auf Empfang und lauschte, die Kopfhörer an den Ohren, ob von irgendwo her Antwort käme.

Zweimal . . . dreimal wiederholte er es, dann kam eine Antwort, die ihn staunen ließ: »Deutsches Stratosphärenschiff der Eggerth-Werke hat Ihre Funkmeldung aufgenommen. Kommt schnellstens zu Hilfe.« Thomson warf den Hebel wieder auf Senden, funkte und hörte noch einmal die gleiche Antwort: »›St‹ eilt zu Ihrer Hilfe herbei. Hat den Punkt Ihrer Notwasserung mit 6 Grad 40 Minuten Süd, 78 Grad West zur Kenntnis genommen. Wird in einer Viertelstunde da sein.«

Thomson schaltete den Empfänger aus. Das Funktelegramm war nicht mißzuverstehen, aber begreifen konnte er es trotzdem nicht. Das Stratosphärenschiff lag doch im Rennen. Es mußte auf der deutschen Route fliegen, mußte, soweit er über den Stand der anderen Maschinen unterrichtet war, jetzt etwa bei den Haymet-Klippen . . . vielleicht auch schon auf dem Weg nach Claryland sein. Wie konnte es versprechen, daß es in einer Viertelstunde hier sein würde? Vergeblich versuchte er eine Erklärung für das Unerklärliche zu finden . . .

In Gedanken hatte Thomson den Empfänger wieder eingeschaltet. Da! . . . was war das? Andere Morsezeichen drangen an sein Ohr. Zeichen, die er zweimal . . . dreimal hören mußte, bevor er ihren Sinn voll erfaßte. Die Mannschaft des ›Eagle‹ war nicht im Urwald verloren. Von den Fallschirmen sicher getragen, hatten seine Leute dicht neben der Ortschaft Jaen den Erdboden unversehrt erreicht . . .

Jaen . . . er suchte den Ort auf der Karte. Knapp zwanzig Kilometer westlich vom Maranon lag das Städtchen am Berghang. Dort waren seine Leute. Von dort her hatten sie Gelegenheit gefunden, die Funkverbindung mit ihm aufzunehmen . . .

Wieder klangen die Morsezeichen in den Hörern und brachten ihm weitere wertvolle Kunde. Seine Leute hatten in Jaen ein Lastauto aufgetrieben und standen jetzt im Begriff, alles, was es in dem Städtchen an Zündkerzen gab, aufzukaufen. Sobald als möglich wollten sie auf einem Waldwege zum Fluß hin aufbrechen, hofften spätestens bei Anbruch der Morgendämmerung das Flußufer zu erreichen . . .

Thomson stellte die Radioanlage wieder auf Senden, funkte zurück und gab seiner Mannschaft noch einmal den genauen Standort des ›Eagle‹ an, ließ dann die Morsetaste sinken und schaltete wieder auf Empfang.

Welches Glück im Unglück, daß seine Leute heil davongekommen und daß sie sogar imstande waren, ihm Hilfe zu bringen. Neue Hoffnung glomm in ihm auf. Vielleicht würde es doch noch möglich sein, die amerikanische Kontrollstation mit dem ›Eagle 2‹ ohne allzugroßen Zeitverlust zu erreichen. Dort lag ja alles bereit, was für eine gründliche Reparatur nötig war. Neue Propeller, sämtliche Ersatzteile für die Eagle-Motoren, frische Zündkerzen in jeder gewünschten Menge. Ein Dutzend geübter Werkleute aus Bay City würden sich dort sofort auf seine Maschine stürzen und sie in kürzester Zeit wieder instandsetzen.

Aber es waren immer noch gut zweitausend Kilometer von seiner Wasserungsstelle auf dem Maranon bis zur Kontrollstation. Die mußten erst einmal überwunden sein, und frühestens erst um sechs Uhr morgens konnte er seine Leute hier erwarten. Dann vielleicht noch zweistündige Arbeit an den Maschinen . . . dann der Flug über zweitausend Kilometer . . . der mittlere Motor fiel wegen des zerbrochenen Propellers unter allen Umständen aus. Viel mehr als dreihundert Stundenkilometer würde der ›Eagle‹ mit zwei Motoren kaum machen. Reichlich sechs Stunden mußte er für den Flug rechnen . . . um acht Uhr morgens konnte er hier vielleicht starten . . . um drei Uhr nachmittags frühestens, wenn alles gut ging, die Kontrollstation erreichen.

Das ergab einen Zeitverlust von mehr als sechs Stunden und nach der bisherigen Durchschnittsgeschwindigkeit einen Streckenverlust von dreitausend Kilometer. Seine Maschine würde weit hinter den deutschen Flugzeugen, weit auch hinter denjenigen der Engländer und Franzosen liegen . . . trotz alledem, es mußte gewagt werden. Er durfte die Nerven nicht verlieren, er mußte bis zum letzten Augenblick im Rennen bleiben. Wer konnte denn wissen, was den anderen auf der zweiten Hälfte des langen Weges noch zustoßen mochte . . .

Ein Geräusch riß ihn aus seinem Sinnen. Silbrig glänzend schoß es aus der Höhe herab, traf klatschend die Wasserfläche, trieb mit schimmernden Propellern zu ihm heran. Das deutsche Stratosphärenschiff war da. Dicht legte sich sein glänzender Duraluminiumrumpf neben den ›Eagle‹, daß die Besatzung unmittelbar hinübersteigen und in das amerikanische Flugzeug kommen kannte. Eine kurze Begrüßung mit dem vereinsamten Piloten, dann standen die Deutschen bei den kranken Maschinen des ›Eagle‹ und besahen sich den Schaden. Eine kurze Beratung, ein Hin und Her zwischen den beiden Flugzeugen, dann dröhnt es im Rumpfe der amerikanischen Maschine von Hammerschlägen und Werkzeuggeräusch. Die ganze Besatzung des Stratosphärenschiffes war an der Arbeit, die Motoranlage des ›Eagle‹ wieder instandzusetzen. –

Das erste Morgenrot leuchtete im Osten auf, als ein Lastauto sich auf holprigen Waldwegen dem Maranon näherte. Indianisches Mischblut der Mann aus Jaen, der am Steuer des Wagens saß. Hinter ihm drei Mann von der Besatzung des ›Eagle‹. Neben und zwischen ihnen Reserveteile aller Art, die sie noch während der Nacht in Jaen aufgetrieben hatten.

Der Weg lief in etwa fünfzig Meter Höhe parallel neben dem Fluß. Unverkennbar war es, daß Fluß und Weg hier eine Biegung nach Osten machten. Die Strahlen der aufgehenden Sonne, die vor kurzem noch von rechts gekommen waren, trafen den Wagen immer mehr von vorn. Eine astronomische Ortsbestimmung war den Leuten vom ›Eagle‹ im Augenblick nicht möglich. Sie hatten ja weder Sextanten noch Sterntabellen zur Hand. Aber nach allem, was Thomson ihnen gefunkt, mußte hier ziemlich genau die Stelle sein, an welcher ihre Maschine wasserte. Es traf sich günstig, daß Mr. Watson vom ›Eagle‹ aus Südkalifornien stammte und genug Spanisch konnte, um sich mit dem Führer des Wagens zu verständigen.

Langsamer fuhr das Auto. Vier Augenpaare suchten den Strom ab, dessen breites Band im Schein der Morgensonne vor ihnen lag. Dort . . . etwa fünfhundert Meter voraus etwas Schimmerndes, Wiegendes auf dem Fluß, ein Flugzeug . . . ihr Flugzeug? Mit erhöhter Geschwindigkeit rasselte das Auto weiter und hielt nun querab von dem Flugzeug an.

»Ihre Maschine, Sennores«, rief der Chauffeur und wies mit der Hand über den Fluß. Enttäuschung malte sich auf den Gesichtern der Amerikaner. Ja! Ein Flugzeug lag dort auf dem Wasser, aber der ›Eagle‹ war es nicht. Ratlos schauten sie sich an, kopfschüttelnd blickten sie zu dem fremdartigen Metallbau hinüber. –

Auf dessen Flanke löste sich ein Aluminiumboot. Von Ruderschlägen getrieben kam es schneller näher und bahnte sich seinen Weg durch das dichte Schilf, bis es festes Land erreichte. Ein Mann sprang heraus, schritt über die Sumpfwiese, klomm den Hang empor und stand neben dem Auto. Grüßend legte er die Hand an die blaue Schirmmütze und fragte in gutem Englisch:

»Mr. Watson unter Ihnen, meine Herren?«

Watson . . . der Kalifornier, der bisher mit dem Indio am Steuer des Wagens gesprochen hatte, wandte sich dem Ankömmling zu.

»Watson ist mein Name, Herr! What is the matter?«

»Ich habe Ihnen einen Gruß von Mr. James Thomson zu bestellen . . .«

»Mr. Thomson!? . . . Wo ist Mr. Thomson!? Wo ist der ›Eagle‹?«

Ein kaum merkliches Lächeln glitt über die Züge des Fremden.

»Mr. Thomson wollte keine Zeit verlieren. Er ist vor drei Stunden mit seiner Maschine gestartet.«

Die drei Mann vom ›Eagle‹ standen da, als hätte ein Blitz neben ihnen eingeschlagen . . . James Thomson war gestartet . . . ohne sie gestartet? . . . Der ›Eagle‹, dessen Katastrophe sie in die Tiefe wirbeln ließ, war wieder flugfähig geworden? . . . Unglaublich! Aber die Tatsache blieb, daß der ›Eagle‹ auf irgendeine Art und Weise verschwunden war.

Das Flugzeug und sein Führer waren fort. Jetzt saßen sie hier allein im Urwald mit einigen Zentnern verschiedener Ersatzteile, die plötzlich höchst überflüssig geworden waren und für die sie . . . eine recht fatale Sache . . . ihr letztes Bargeld ausgegeben hatten. Was sollte jetzt werden? Wie würden sie aus der Klemme herauskommen?

Ein schwerer Fluch von reichlich einem halben Meter Länge löste das drückende Schweigen. Er entschlüpfte den Lippen von Mr. O'Brien und weckte sofort ein Echo bei Watson und Jones, den beiden anderen Leuten des ›Eagle‹. Damit war der Bann gebrochen. In Rede und Gegenrede sprudelte eine Flut von Fragen und Ausrufen von drei Lippenpaaren.

Der Deutsche ließ sie eine Weile gewähren, dann mischte er sich ein.

»Herr Heinecken, der Chefpilot von ›St‹ hat Mr. Thomson versprochen, Sie so schnell wie möglich zu Ihrer Kontrollstation am Juruena zu bringen. Darf ich Sie einladen, Gentlemen, mit mir an Bord unseres Stratosphärenschiffes zu kommen.«

»All right, Sir! Sehr freundlich von Mr. Heinecken und von Ihnen . . .«

»Beckmann ist mein Name«, machte sich der Deutsche bekannt.

»Und von Ihnen, Mr. Beckmann, aber . . .«

Watson warf einen Blick auf das Lastauto, dessen Führer geduldig am Steuer hockte und an einer Zigarre von gewaltigem Ausmaß saugte.

». . . aber was machen wir mit dem Kram da, für den wir unser gutes Geld ausgegeben haben?«

»Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie das Zeug mit an Bord nehmen, Mr. Watson. Viel Zweck hat es kaum. Sie finden am Juruena alles Notwendige in Hülle und Fülle.«

Watson führte ein kurzes spanisches Gespräch mit dem Indio. Als der hörte, daß ihm der ganze Plunder auf dem Wagen geschenkt werden sollte, gab er seinem Dank mit vielen »muchos gracias« Ausdruck. Aber als kluger Mann setzte er gleichzeitig auch das Auto in Bewegung und rollte auf dem Waldweg davon, auf daß niemand auf den Gedanken kommen möge, ihm das Geschenk wieder abzunehmen.

»Die Sache ist entschieden!« lachte Beckmann, »kommen Sie, Gentlemen, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

In dem Metallboot fuhren sie zu ›St‹ hinüber und betraten den Mittelraum des Schiffsrumpfes. An der Tür empfing sie Peter Heinecken, der Führer des Flugzeuges. Wer den da so in seiner ganzen Länge von mehr als zwei Meter im Türrahmen stehen sah, der hätte allerdings dem Signor Guerazzi rechtgeben müssen, daß er bedeutend anders aussah, als Wolf Hansen, der Führer von ›St 1‹.

Mit einem Händedruck begrüßte er die Ankömmlinge und bat sie, es sich bequem zu machen. Noch während die drei sich in behagliche Korbsessel fallen ließen, wurde die Bordtür von ›St 2‹ verschlossen und verschraubt.

Ein kurzes Propellerspiel. Ein lautes, immer lauteres Aufheulen der Motoren. Das Schiff jagte über die Fläche des Maranon, hob sich und stieg. Wie Diamanten perlten in der jungen Morgensonne die Wassertropfen von seinem Rumpf und fielen in die Tiefe. Kurs West zu Südwest schoß das Schiff durch die Luft, während es unablässig stieg.

Der Oberingenieur Beckmann der Eggerth-Werke kam in den Raum zurück, in der einen Hand ein Tablett, in der andern eine elektrische Kaffeemaschine, und bewies während der nächsten Minuten, daß er außer seinen Ingenieur-Qualitäten auch noch die Eigenschaften eines guten Kabinen-Stewards besaß. Im Augenblick war die Kaffeemaschine an eine Steckdose angeschaltet und verbreitete ein einladendes Aroma, während Beckmann mit taschenspielerischer Geschwindigkeit Tassen und Teller aufbaute.

»Please gentlemen, help yourself. Sie werden nach Ihrem nächtlichen Abenteuer vielleicht Appetit haben.«

Die drei vom ›Eagle‹ leisteten seiner Einladung Folge und langten kräftig zu. Aber sie versäumten es dabei nicht, nach Steuerbord und Backbord durch die Klarglasluken hinauszuschauen.

Tief und immer tiefer war das Land unter ihnen versunken. Wie Kinderspielzeug schimmerten die schneebedeckten Kämme der Kordilleren dort.

»Dammie, Jones!« rief O'Brien, »das geht anders als mit dem lahmen ›Eagle‹, möchte wissen, wie hoch wir sind.«

Beckmann deutete auf ein Meßinstrument an der Wand. Dessen Zeiger spielte zwischen den Zahlen Elf und Zwölf. O'Brien schüttelte verständnislos den Kopf.

»11,5 Kilometer, Mr. O'Brien«, sagte Beckmann, »wir nähern uns der Stratosphäre.«

Watson ließ die Toastscheibe sinken, die er eben zum Munde führen wollte.

»11,5 Kilometer!? . . . Geht es vielleicht noch höher?«

Beckmann wies wieder auf das Instrument. Dessen Zeiger war unaufhaltsam weitergeklettert und ging eben über die 13 hin.

»Es geht noch etwas höher, Mr. Watson. Je schneller ein Stratosphärenschiff fliegen will, desto höher muß es steigen. Wir wollen über die 2000 Kilometer vom Amazonas bis zum Juruena einen Rekord aufstellen, um Sie sobald wie möglich Mr. Thomson zuzuführen. Ich glaube, wir werden diesmal bis auf 14 Kilometer steigen.«

Watson wollte etwas erwidern, als ein Geräusch ihn aufmerken ließ. Die Tür der Mittelkabine hatte sich geöffnet; ein Mensch kam herein. Irgendein Wilder, ein Eingeborener von den Südsee-Inseln, durchzuckte es die drei Amerikaner bei seinem Anblick. In der Tat war es Mister Kiliri, der sich hier präsentierte. Nackt bis auf einen schmalen Lendenschurz, aber die braune Haut vom Hals bis zu den Füßen mit einer kunstvollen blauen Tätowierung bedeckt, so daß der ganze Körper doch fast bekleidet erschien. Er wandte sich an Beckmann und radebrechte zu ihm etwas in seinem Eingeborenenenglisch. Der lachte und wandte sich zu den Amerikanern.

»Gestatten Sie mir, Gentlemen, Ihnen unseren blinden Passagier aus Mahuka vorzustellen. Der junge Mann hatte sich an Bord unserer ›Seeschwalbe‹ verkrochen. Dort wollten sie ihn natürlich auf die Dauer nicht mitschleppen. Wir haben den Auftrag, ihn nach Mahuka zurückzubringen, sind leider bisher wegen anderen Geschäften noch nicht dazu gekommen.«

Während Beckmann mit dem jungen Eingeborenen weitersprach, begannen die Amerikaner miteinander zu flüstern. Schließlich zog O'Brien seine Uhr, wies auf den Stand der Zeiger und sprach weiter auf die andern ein. Inzwischen hatte Beckmann Kiliri mit einigen Worten entlassen und wandte sich wieder seinen amerikanischen Gästen zu.

»Kann ich Ihnen mit irgendeiner Auskunft dienlich sein, Gentlemen?«

O'Brien raffte sich zur Antwort auf.

»Well, Sir. Es ist neun Minuten nach sieben Uhr morgens Eastern Time. ›Eagle 1‹ dürfte die Kontrollstelle erreicht haben. Wann gedenken Sie mit Ihrem Schiff bei den Haymet-Klippen zu sein?«

Beckmann zwang sich mit Gewalt, ernst zu bleiben. »Ich kann es Ihnen nicht auf die Stunde genau sagen, Mr. O'Brien«, erwiderte er nach einigem Nachdenken, »es wird davon abhängen, ob wir unterwegs noch das eine oder andere Geschäft zu erledigen haben. Aber hinkommen werden wir schon noch einmal.«

O'Brien tauschte ein paar Blicke mit seinen Gefährten. Alle drei hatten den ungewissen Eindruck, daß dieser Deutsche seinen Scherz mit ihnen triebe.

»Später, Gentlemen, später wird Ihnen das alles klar werden«, sagte Beckmann, der ihre Gedanken ziemlich genau erriet. »Vorläufig lohnt es sich nicht, daß Sie sich die Köpfe darüber zerbrechen. Herr Heinecken würde sich freuen, Sie im Führerstand unseres Schiffes begrüßen zu können.«

Sie folgten der Einladung und gingen mit Beckmann nach vorn. Ihr Weg führte sie zunächst in eine kleinere Kabine mit zwei Ruhebetten und einer elektrischen Küche. Dann kamen sie in den großen Maschinenraum, in dem sie unwillkürlich stehenblieben, um die eigenartigen Maschinenanlagen zu betrachten.

Das wußten sie ja, daß ein Stratosphärenschiff einen luftdichten und druckfesten Rumpf haben muß, in den durch Pumpenanlagen ständig so viel von der dünnen Außenluft hineingeworfen und komprimiert wird, daß im Innern des Schiffes der normale Druck von einer Atmosphäre herrscht. Aber von der ungefähren Kenntnis dieses allgemeinen Prinzips bis zur konstruktiven Lösung der Aufgabe war es ein langer Weg, und hier hatten sie die vorzügliche Lösung vor Augen, welche die Eggerth-Werke für die Aufgabe gefunden hatten. Mit Staunen bemerkten sie, wie die Motoren der Anlage in ganz eigenartiger Weise mit der Wandung des Rumpfes verbunden waren. Ein Teil davon, insbesondere die Zylinder, befanden sich außerhalb des Rumpfes, während die Kurbelgehäuse im Innenraum lagen.

Beckmann zeigte auf ein Instrument, dessen Zeiger bei 55 standen:

»Ein Außenbordthermometer, Gentlemen, Sie sehen, wir haben draußen 55 Grad Celsius unter Null. Im Innenraum hier«, er deutete auf ein gewöhnliches Quecksilberthermometer an der Wand, »halten wir die Temperatur immer auf 20 Grad über Null. Unsere Konstrukteure standen vor der Aufgabe, diesen gewaltigen Temperaturunterschied zwischen innen und außen, der uns natürlich aus den Messungen früherer Forscher bekannt war, für eine gute Kühlung unserer Maschinen auszunutzen. Wie das erreicht wurde, sehen Sie hier. Man ließ sehr einfach – das Einfachste ist ja immer das Beste – die Zylinder der Motoren, die der Kühlung bedürfen, aus dem Rumpfe in die kalte Stratosphäre hinausragen. Natürlich hat man sie außen durch Bleche von Stromlinienform verkleidet, um den Luftwiderstand des Schiffes so gering wie möglich zu machen. So sehen Sie hier im Innenraum eigentlich nur die Kompressionszylinder der Luftpumpen und die Kurbelgehäuse der drei großen Diesel-Maschinen.«

Beckmann wies zur Decke des Raumes, von der sich drei gewaltige Halbzylinder nach unten wölbten.

»Dort oben sind die Kurbelgehäuse in den Rumpf eingelassen. Die Anlage ist genau so abgeglichen, daß die Weltraumkälte der Stratosphäre die Zylinder kühlt, aber nicht bis zu den Kurbelwellen gelangen kann.«

»Gut, sehr gut!« nickte Watson, »aber wie machen Sie es, wenn Sie während des Fluges eine Reparatur an den Motoren haben?«

Beckmann zuckte die Achseln.

»Sie verlangen zu viel, Mr. Watson. ›St‹ ist unsere erste Stratosphärenschiff-Type. Bei späteren Bauten wird man wahrscheinlich auch die Reparaturmöglichkeit während des Fluges berücksichtigen. Vorläufig müssen wir uns an dem Umstand genügen lassen, daß unsere neuen Diesel-Maschinen tausend Flugstunden ohne Panne leisten.«

Er öffnete eine Tür und bat seine Gäste, ihm zu folgen. Heller Sonnenschein strahlte ihnen durch die Vorderscheiben des Schiffes entgegen und durchleuchtete den Führerstand. In einem bequemen Sessel saß Heinecken, das Steuer des Schiffes in den Händen, die Kopfhörer des Radiogerätes an den Ohren, vor sich die Apparatenwand mit einer verwirrenden Fülle von Meßinstrumenten der verschiedensten Art. Unmittelbar vor seinen Knien spielten die Windrosen dreier Kompasse in ihren Gehäusen. In einer Vorrichtung, die etwa an ein Lesepult erinnerte, war eine Landkarte eingespannt, die auf einen Knopfdruck zu laufen begann. Beckmann trat an Heinecken heran. Der rief ihm ein paar Worte zu und deutete mit dem Finger nach vorn durch die Scheibe. Beckmann folgte der Richtung mit den Augen, zog dann die Amerikaner näher heran.

»Sehen Sie den schimmernden Punkt da unten vor uns?«

Etwas Helles, Schimmerndes zog dort eine Meile voraus tief unter ihnen durch die Luft. Ohne Zweifel ein Flugzeug, aber es war noch zu weit ab, als daß sie Einzelheiten erkennen konnten.

»Es ist der ›Eagle 2‹ mit Mr. Thomson«, rief Beckmann, »Herr Heinecken spricht gerade per Radio mit ihm. Er hat bisher guten Flug gehabt. Schafft mit seinen zwei Motoren immer noch 300 Stundenkilometer. Er hofft in etwa drei Stunden die Kontrollstation zu erreichen. Dann können Sie ein Wiedersehen feiern.«

»In drei Stunden«, sagte O'Brien mit einem Blick auf die Borduhr, »können Sie mir sagen, wann wir ungefähr dort sein werden?«

Beckmann beugte sich vor, betrachtete die Landkarte und stellte eine Frage an Heinecken.

»Es sind noch 900 Kilometer bis zum Juruena, ich denke in 40 Minuten werden wir über dem Platz sein.«

O'Brien zuckte zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Watson hielt die Hand ans Ohr, als habe er nicht richtig verstanden.

»Was? Wie? In 40 Minuten haben Sie gesagt? 900 Kilometer in 40 Minuten?«

Beckmann nickte bestätigend: »In 40 Minuten, Sir.«

»By Patrick and Brigitt!«

O'Brien konnte den heimischen Schwur nicht unterdrücken. »Habt ihr gehört, Watson, Jones? 900 Kilometer in 40 Minuten!«

Watson hatte gehört und hatte schon gerechnet.

»Macht in der Stunde 1350 Kilometer. Oh, ›Eagle 1‹ und ›Eagle 2‹ mit euren 500 Stundenkilometern. Ihr könnt das Rennen aufstecken und euch begraben lassen.«

Beckmann schüttelte den Kopf.

»Werfen Sie die Flinte nicht vorzeitig ins Korn, Mr. Watson. Die Eggerth-Werke wollen das Rennen mit der ›Seeschwalbe‹ machen. Die hat, wie Sie wissen, ja nur 420 Stundenkilometer. Es gibt immer noch Chancen für die Reading-Werke und die Eagle-Maschinen.«

»Aber Sie, Mr. Beckmann, und ›St‹? Sie sind doch auch im Rennen!«

Beckmann lachte.

»Sie irren sich, Mr. Watson! Wir sind gar nicht im Rennen. Wir fliegen hier nur zu unserem Vergnügen etwas spazieren.«

Erstaunen, Zweifel, Ungläubigkeit malten sich in den Mienen der Amerikaner.

»Ich sehe, Gentlemen«, rief Beckmann, »daß Sie meine Mitteilung nicht so trocken verdauen können. Kommen Sie wieder in die Mittelkabine und nehmen Sie einen Soda Whisky.« –

Mit einer Geschwindigkeit von mehr als 1300 Stundenkilometern schoß ›St‹ auf seinem Kurs weiter durch die dünne Stratosphäre. Um 8 Uhr 25 morgens nach Eastern Time stand das Schiff über dem amerikanischen Kontrollplatz am Juruena und begann in weiten Spiralen aus seiner Höhe herabzugleiten. Um 8 Uhr 30 setzte es auf dem Rasen vor der großen Wellblechbude auf, in der die Herren Scott Campbell und Williamson nun schon seit Monaten die amerikanische Nation mitten im Urwald vertraten. –

Der Morgen des zweiten Renntages kam über New York herauf. Die Spannung, in der sich die Riesenmetropole seit mehr als 40 Stunden befand, hatte nicht nachgelassen. Nur fiebriger, flackriger war sie geworden. Vielen unter den Tausenden, die auch während der zweiten Nacht des Rennens die Straßen bevölkerten, konnte man es ansehen, daß sie seit dem Fallen des Startschusses in kein Bett gekommen waren.

Unablässig funkte der große Sender von Radio City in kurzen Zwischenräumen die Renn-Nachrichten heraus, wie sie aus allen Teilen der Welt im Rockefeller Building einliefen, und drei Millionen Hörer in New York, 30 Millionen in den Vereinigten Staaten lauschten vor ihren Lautsprechern, begierig das Neueste zu hören. Einem Beobachter, der die Empire City aus großer Höhe betrachtete, mochte sie wohl wie ein Ameisenhaufen erscheinen, den der Stock eines Wanderers aufstört, als nach Mitternacht die Nachricht von der Katastrophe des ›Eagle 2‹ eintraf. Eine der besten Maschinen des Rennens, deren Sieg 120 Millionen Menschen in der Union erhofften, havariert . . . abgestürzt . . . im Urwalde verschollen.

Die Massen atmeten auf, als gegen 2 Uhr morgens die Nachricht kam, daß der ›Eagle 2‹ auf dem Oberlauf des Amazonas vor Anker gegangen sei. Ein dröhnender Donner von Cheers und Hail-Rufen rollte über den Broadway und die Bovery, als man in der vierten Morgenstunde hörte, daß der ›Eagle 2‹ wieder gestartet und mit eigener Maschinenkraft auf dem Wege zur brasilianischen Kontrollstelle am Juruena sei.

Andere Nachrichten liefen dazwischen ein. Aber zu groß war das Interesse der Amerikaner an den amerikanischen Maschinen, als daß sie diesen Nachrichten, die gewiß nicht unwichtig waren, besondere Beachtung schenkten. Da war schon vor Mitternacht die Meldung gekommen, daß eine der englischen Fisher-Ferguson-Maschinen in der Großen Victoriawüste in Westaustralien eine böse Notlandung gehabt hätte. Das Flugzeug ein Wrack und in Flammen, zwei Mann der Besatzung verletzt. Sie hatten eben noch den Ort des Unfalls funken können, bevor das Feuer ihren Sender erreichte und den weiteren Funkverkehr unmöglich machte.

Ganz Australien war über diese Hiobsbotschaft in Aufregung geraten. Schon eine Stunde später starteten in Perth, Radcliffbay und Albany Fliegergeschwader der australischen Heeresverwaltung, um die Verunglückten vor einem qualvollen Ende in der großen Wüste zu bewahren.

In New York wurde die Nachricht von der kurz danach eintreffenden Kunde vom Unfall des ›Eagle 2‹ vollkommen überschwemmt und weggewischt. Nur wenige in der Menge, die noch in Eile feststellten, daß mit dieser Fisher-Ferguson-Maschine einer der gefährlichsten Konkurrenten der Eagle-Flugzeuge aus dem Rennen gefallen sei.

Nach jenem dunklen Gesetz der Serie, das bei Unfällen zu herrschen scheint, meldete der Reading-Sender in den nächsten Morgenstunden, daß auch die beiden französischen Cassard-Maschinen in Victoria mit schweren Motordefekten zur Notlandung gezwungen worden waren. Erfreulicherweise in einer besiedelten Gegend in der Nähe von Portland. Auch diese Meldung ging in New York in der allgemeinen Aufregung spurlos unter. Nur die französische Kolonie in der Hudsonstadt, an ihrer Spitze Generalkonsul Gérardin, vernahmen sie mit aufrichtigem Bedauern. Lagen doch danach alle französischen Chancen einzig und allein bei dem kleinen Papillon-Flugzeug. – Höher stieg die Sonne und ließ ihre Strahlen in die Straßenschluchten von New York fallen. Es war zu spät, um sich ins Bett zu legen, zu früh, um schon in die Büros zu gehen. Übernächtigt, aufgeregt wogte die Menge durch die Straßen der unteren Stadt und staute sich vor dem Gebäude von Harrow & Bradley.

Von Trinity Church her klangen die Schläge der Uhr durch die Straße. Vier helle, danach sieben dunkle. Sieben Uhr morgens. Die dreiundvierzigste Stunde des Rennens war vorüber. Die Ungeduld der Menge schwoll auf. Dreiundvierzig Stunden, und noch nicht das halbe Rennen vollendet. Viele Tausende, die Wettzettel von Harrow Bradley in ihren Brieftaschen hatten, begannen zu rechnen. Ein einfaches Exempel: 2 mal 43 sind 86. Alle Wettzettel, die auf eine geringere Siegeszeit als 86 Stunden lauteten, schienen in diesem Augenblick wertlos . . . nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben waren.

Da ging eine Bewegung durch die Massen. Licht huschte über die große Leinwand an der Hausfront. Leuchtende Buchstaben bildeten sich auf ihr und dann war es deutlich zu lesen:

»Amerikanische Kontrollstation am Juruena. ›Eagle 1‹ mit Frank Kelly am Steuer 7 Uhr morgens Eastern Time gelandet. Flugzeit 43 Stunden, durchschnittliche Geschwindigkeit 465 Stundenkilometer.«

Wie ein Block stand die Masse vor dem Hause von Harrow & Bradley. So dicht preßten sich die Leiber der Tausenden zusammen, daß der einzelne keinen Schritt vorwärts oder rückwärts tun konnte. Mit Mühe nur behielten sie die Hände frei und schleuderten in ihrer Begeisterung über die Rekordzeit der amerikanischen Maschine Hüte, Zeitungen, Taschentücher und was sie sonst bei sich hatten in die Luft. Irgendwo anders fielen diese Dinge wieder zu Boden und wurden von der dicht geballten Menge zertreten. Was kam's denn auf einen Hut oder eine Zeitung weiter an. Der ›Eagle‹, die glorreiche amerikanische Maschine, war ja als die erste, weit vor aller Konkurrenz, in ihrer Kontrollstelle angekommen. Stunden noch konnte es nach den letzten Meldungen dauern, bevor die andern, die Flugzeuge der Deutschen und Italiener, der Franzosen und Engländer, die Hälfte des langen Rennens vollendeten.

Die Massen, die unmittelbar vor der Leinwand von Harrow & Bradley standen, konnten nicht vom Fleck, und immer neue Menschenmengen strömten von beiden Seiten hinzu. Immer stärker wurde der Druck auf die eingekeilten Massen. Schon stützte sich hier und dort einer schwer auf die Nächststehenden. Wurde er ohnmächtig, sank er zu Boden, so war sein Schicksal besiegelt. Unter den Füßen der Tausenden würde er in kurzem zertreten werden.

Schon splitterten hier und da die großen Spiegelscheiben der Läden unter dem Drucke der Menschenmassen. Dutzende wurden durch das zerbrochene Glas in die Schaufenster hineingepreßt und holten sich an den Scherben böse Wunden.

Vergeblich das Bemühen der wenigen Policemen, die Menschenmengen von den beiden Enden her zu zerteilen und zum Weitergehen zu bewegen. Selbst der Gummiknüppel war dieser enthusiasmierten Menge gegenüber machtlos. Aber bei Harrow & Bradley hatte man das Unheil kommen sehen und sich telephonisch mit dem Polizeihauptquartier in Verbindung gesetzt.

Jetzt schrillten von den nächsten Straßenblocks her die Hupensignale der Polizeiwagen. Motoren brummten, Schläuche wurden gelegt, blanke Strahlrohre gerichtet. Dann brach es los. Armstarke Strahlen ergossen sich auf die Menge, schleuderten den einzelnen, den sie trafen, mit Gewalt beiseite, und was die Gummiknüppel nicht vermocht hatten, das schaffte das kalte Wasser in wenigen Minuten. Triefend, fluchend suchten die Menschen dem unfreiwilligen Bad zu entfliehen. Die Eagle-Maschinen und das ganze Reading-Rennen waren vergessen, wo die schweren Wasserstrahlen niederklatschten. Es gab wieder Luft in der verstopften Straße. Die Sanitätswagen der Polizei konnten bis zu Harrow & Bradley vordringen und sich der Ohnmächtigen und Verletzten annehmen. Etwa ein Dutzend Personen mit Knochenbrüchen und Schnittwunden mußten auf den Ambulanzwagen abtransportiert und in die Spitäler eingeliefert werden. Viele kamen an diesem Morgen unpünktlich in ihre Büros. Andere, die zwar pünktlich da waren, zogen feuchte Spuren auf dem Linoleum des Fußbodens hinter sich her. –

Während der folgenden Stunden blieb die Polizei auf der Hut. Verstärkte Posten patrouillierten zwischen Harrow & Bradley und dem Reading-Haus auf und ab und zerstreuten jede größere Ansammlung sofort im Entstehen. Die Motorspritzen und Wasserwagen standen für alle Fälle betriebsbereit in den nächsten Seitenstraßen.

Kurz vor 9 Uhr leuchteten neue Zeichen bei Harrow & Bradley auf.

»Amerikanische Kontrollstation am Juruena. Deutsches Stratosphärenschiff ›St‹ mit drei Mann Besatzung von ›Eagle 2‹ 8 Uhr 40 Minuten gelandet.«

Von neuem kam Aufregung in die Massen. ›St‹, das geheimnisvolle Stratosphärenschiff! Was war mit dieser verteufelten Maschine eigentlich los? überall auf dem Globus tauchte sie plötzlich auf . . . hilfreich, nützlich . . . das war ohne Zweifel zuzugeben. Schon die nächsten Buchstaben auf der Leinwand brachten wieder eine Bestätigung dafür.

»›St‹ hat Besatzung von ›Eagle 2‹ am Amazonas bei Jaen aufgenommen, nach Kontrollstelle gebracht. Besatzung wartet dort auf Ankunft von ›Eagle 2‹, mit James Thomson am Steuer. ›St‹ nach Treibstoffaufnahme zum Weiterflug gestartet.«

Da war wieder das Rätsel. Zu welchem Weiterflug war das Stratosphärenschiff denn gestartet? Claryland, die Kontrollstation der Deutschen, lag doch wenigstens um den vierten Teil des Erdumfanges von der amerikanischen Station am Juruena entfernt. War das deutsche Schiff überhaupt noch im Rennen, oder trieb es seinen Scherz mit der ganzen Welt? Als wolle die Leinwand an der Hausfront eine Antwort auf alle die vielen Fragen geben, begann sie von neuem aufzuleuchten.

»Nach übereinstimmender Aussage der Besatzung von ›Eagle 2‹ hat das deutsche Stratosphärenschiff die 2000 Kilometer vom Amazonas bis zum Juruena in anderthalb Stunden zurückgelegt. Mr. O'Brien behauptet, daß das Schiff in 14 Kilometer Höhe mit 1350 Stundenkilometer geflogen ist.«

Wie ein Lauffeuer ging die neue Nachricht durch ganz New York. Was half's, daß ein paar Bekannte von O'Brien behaupteten, daß er ein Ire und dazu ein ganz ausgekochter Lügenbeutel sei. Die Tatsache und die Zahlen standen fest, und sie wurden in späteren Meldungen auch noch durch die Aussagen der Herren Watson und Jones bekräftigt. Leute, die gut rechnen konnten, versuchten zu beweisen, daß das Stratosphärenschiff auch jetzt noch trotz aller seiner Nebenwege das Rennen nach Belieben gewinnen könne. Die Rechnung war ja auch so einfach. 10 000 Kilometer vom Juruena bis nach Claryland, denn die Kontrolle mußte das Schiff nach Bedingungen des Rennens berühren. 20 000 Kilometer dann von Claryland bis zur Schreckensbucht. 30 000 Kilometer im ganzen. Bei dieser phantastischen Geschwindigkeit von 1350 Stundenkilometern würde das Teufelsschiff sie in 22 Stunden zurücklegen und weit vor allen andern sein Ziel erreichen können.

Ein wenig Wasser in den Wein dieser Rechnung goß eine spätere Nachricht, daß das Stratosphärenschiff einen blinden Passagier von den Manihiki-Inseln an Bord habe, den es erst wieder dorthin zurückbringen wollte. Aber trotzdem, selbst bei solchem Umwege mußte es immer noch in der Lage sein, das Rennen zu gewinnen, wenn es diese unglaubliche Geschwindigkeit wirklich besaß, von der die Eagle-Leute fabelten. –

Kurz nach 11 Uhr vormittags flammte eine neue Nachricht von der Front von Harrow & Bradley herab.

»Amerikanische Kontrollstation am Juruena. ›Eagle 2‹ elf Uhr morgens Eastern Time mit Thomson am Steuer gelandet. Gesamtflugzeit 47 Stunden. Durchschnittsgeschwindigkeit 425 Stundenkilometer. Voraussichtliche Dauer der Reparaturarbeiten etwa eine Stunde.«

Von neuem brauste Jubel durch die Straße. Auch die zweite amerikanische Maschine, nach ihrem schweren Unfall in den Kordilleren schon verloren gegeben, hatte doch noch vor allen andern Konkurrenten das halbe Rennen beendet. Die Dinge standen gut für die Union, gut auch für den Reading-Konzern und die Reading-Werke in Bay City.

An tausend Stellen rechnete man es sich aus, daß ›Eagle 1‹ wenigstens einen Vorsprung von vier Stunden oder 1850 Kilometer vor seinen Konkurrenten habe. An tausend Stellen konstatierte man mit Befriedigung, daß auch ›Eagle 2‹ noch mit guten Chancen im Rennen lag.

Und während die Minuten verstrichen und sich zu Viertelstunden summten, stieg die Siegesgewißheit der Menschenmassen in den Straßen immer mehr.

Da endlich kurz vor 12 Uhr mittags eine neue Meldung in Flammenschrift.

»Deutsche Kontrollstation auf Claryland. Deutsches Flugzeug ›Seeschwalbe‹ 11 Uhr 45 Minuten angekommen. Flugzeit 47 Stunden 45 Minuten. Durchschnittliche Geschwindigkeit 420 Stundenkilometer.«

Mit Befriedigung nahm die Menge die Mitteilung auf. Nicht die schnellen englischen Fisher-Ferguson-Maschinen lagen an zweiter Stelle, sondern das deutsche Flugzeug. Man wußte allgemein, daß es nur für 420 Stundenkilometer gebaut war, niemand glaubte, daß es den um 80 Stundenkilometer schnelleren Eagle-Maschinen ernsthaft gefährlich werden könne.

Noch besprach man die Aussicht der Deutschen, als die Leinwand wiederum aufleuchtete.

»Italienische Kontrollstation bei den Haymetklippen. Eine Maschine Gamma Romea 11 Uhr 30 Minuten gewassert. Flugzeit 47 Stunden 30 Minuten. Durchschnittsgeschwindigkeit fast 421 Stundenkilometer.«

Mit gemischten Gefühlen las man die Meldung. Was war aus dem stolzen italienischen Geschwader von sechs dieser bewährten schnellen Gamma-Romea-Maschinen geworden. Nur eine einzige hatte vorläufig die Station erreicht. Aber deren Leistung war nicht zu unterschätzen. Schneller als die deutsche, nur wenig langsamer als die amerikanischen Maschinen, konnte sie vielleicht im Endkampf noch ein ernstes Wort mitsprechen. Entschieden war das große Rennen nach den ersten 20 000 Kilometern jedenfalls noch längst nicht.

Die Uhren des Stadtviertels huben gerade an, die Mittagsstunde zu schlagen, als es wieder von der Wand leuchtete.

»Deutsche Kontrollstation auf Claryland. Deutsches Stratosphärenschiff ›St‹ 11 Uhr 50 Minuten angekommen. Flugzeit 47 Stunden 50 Minuten. Durchschnittsgeschwindigkeit etwas unter 420 Stundenkilometer.«

Die Menge stand verdutzt vor dem Wettbüro. Viele tausend Augenpaare starrten zu der Leinwand empor und lasen die Worte der Meldung wieder und immer wieder, ohne sie doch begreifen zu können. Ein vergebliches Raten, Fragen, Raunen unter den Tausenden, ohne daß es einem einzigen gelungen wäre, des Rätsels Lösung zu finden. –

Im Reading-Haus saß John Sharp mit einigen Herren des Kuratoriums in seinem Arbeitszimmer, als der Lautsprecher die Nachricht von der Ankunft des Stratosphärenschiffes in Claryland verkündete. Auch hier war die Verblüffung nicht geringer als draußen bei der Menge.

»Unbegreiflich! Verstehen Sie das, Sharp?« fuhr der Präsident des amerikanischen Aero-Clubs auf, als die letzten Worte der Meldung im Lautsprecher verklungen waren.

»Mein lieber Stangland!« meinte John Sharp, »schließlich entspricht es den Bedingungen unseres Rennens, daß auch dies . . . ich gebe zu etwas mysteriöse Stratosphärenschiff einmal zu der deutschen Kontrollstation kommt und dort seine Besuchskarte abgibt. Seine Flugzeit und Geschwindigkeit sind bei Gott nicht überwältigend. Ich verstehe nicht recht, warum sich die Eggerth-Werle mit einer derartigen gewiß nicht einfachen und durchaus nicht billigen Sonderkonstruktion abgegeben haben, wenn sie schließlich doch nicht schneller ist als die ›Seeschwalbe‹.«

»Wir dürfen nicht vergessen«, fiel ihm Francis Flagg ins Wort, »daß ›St 1‹ gleich nach seinem Start in der Schreckensbucht eine Panne gehabt hat, die ihm wenigstens sechs Stunden kostete. Es ist ganz achtbar, daß das Schiff diesen Verlust bis auf wenige Minuten wieder aufgeholt hat. Ziehen wir mal die sechs Stunden von seiner wirklichen Flugzeit ab, dann kommen wir auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 470 Stundenkilometer und damit, meine Herren . . . ja damit wird dies Stratosphärenschiff ein sehr beachtenswerter Konkurrent für unsere Eagle-Maschinen.«

»Aber«, unterbrach ihn Stangland unwirsch und schlug mit der Hand auf den Tisch, »wir reden ja um die Sache herum, Gentlemen! Es dreht sich ja gar nicht darum, ob ›St 1‹ etwas früher oder später seine Kontrollstation erreicht hat. Darum handelt es sich, daß das Stratosphärenschiff noch vor wenigen Stunden in Brasilien auf unserem Kontrollplatz gewesen ist.«

In die Stille, die seiner Rede folgte, fielen die Worte Jack Gibsons.

»So ist es, Gentlemen! Die Tatsache steht unerschütterlich fest. Es wird durch die übereinstimmenden Meldungen sowohl unserer Leute am Juruena, wie der Besatzung von ›Eagle 2‹ erhärtet, daß das deutsche Stratosphärenschiff um neun Uhr auf unserem Kontrollplatz gewesen ist. Es muß demnach rund 10 000 Kilometer bis Claryland in der Zeit von zwei Stunden und fünfzig Minuten zurückgelegt haben. Gentlemen, daraus errechnet sich eine Stundengeschwindigkeit von 3400 Kilometer.«

John Sharp fuhr sich nachdenklich über die Stirn.

»3400 Stundenkilometer? Ungefähr Sternschnuppengeschwindigkeit!? Eine kosmische Geschwindigkeit von einem Kilometer in der Sekunde . . . unmöglich!«

»Vergessen Sie nicht«, sagte Stangland, »daß das Teufelsschiff nach den Aussagen der Leute vom ›Eagle‹ die Strecke vom Amazonas zum Juruena mit 1350 Stundenkilometer geflogen ist.«

»Wenn es wahr ist?«, warf Flagg ein. »Ich muß sagen, daß ich Zweifel habe. Es klingt zu unwahrscheinlich, und es verträgt sich nicht mit der Geschwindigkeit, die ›St 1‹ auf dem Wege von der Schreckensbucht nach Claryland entwickelt hat.«

»Ein verdammtes Rätsel, das die Dutchmen uns da aufgeben!« schrie Stangland ärgerlich. »Der Teufel soll alle Stratosphärenschiffe und alle verrückten Erfinder holen!«

Der Lautsprecher mischte sich in die Debatte. Eine neue Meldung klang von seiner Membrane her durch den Raum:

»Coolgardie, Westaustralien. 12 Uhr 10 Minuten American Eastern Time. Das deutsche Stratosphärenschiff ›St‹ ist mit der Besatzung der in der Viktoriawüste abgestürzten Fisher-Ferguson-Maschine hier gelandet. ›St‹ ist nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet, um, wenn möglich, auch die Maschine zu bergen.«

Verschieden wirkte die Nachricht auf die drei Männer im Zimmer. Der rote Teint Stanglands verfärbte sich ins Bläuliche. Verzweifelt schöpfte er nach Luft.

»Das Stratosphärenschiff um 12 Uhr in Westaustralien?« fragte Flagg wie traumverloren, während er mit dem Bleistift in seiner Rechten allerlei Figuren auf ein Stück Papier malte.

»Nicht ›das‹ Stratosphärenschiff, Flagg!« schrie John Sharp wie erlöst. »Ein Stratosphärenschiff ist in Coolgardie. Ein anderes ist am Juruena gewesen, das dritte hat in Claryland gewassert. Wenigstens drei Stück von den verdammten Teufelskähnen schwimmen auf dem Globus herum und halten die Welt zum Narren. Das ist die einfache Lösung des Rätsels.«

Stangland ließ die Luft aus seinem breiten Brustkasten. Sein Gesicht nahm wieder die natürliche Kupferfärbung an.

»Uff, gentlemen! That settles the matter. Geben Sie mir einen Soda Whisky, Sharp! Die Überraschung war etwas zu heftig.«

Ein Boy brachte dem Präsidenten des Aëro-Clubs das Gewünschte. Während er sich bediente, hub John Sharp an.

»Gentlemen! Des Rätsels Lösung haben wir jetzt. Die Lösung kann für die Eggerth-Werke unangenehme Folgen haben.«

»Wieso? Weshalb?« fragten die andern.

»Well, Gentlemen! Die Eggerth-Werke haben ein Stratosphärenschiff mit der Kennmarke ›St 1‹ für das Reading-Rennen gemeldet und in der Schreckensbucht starten lassen. Das gleiche Schiff muß die Kontrollstation in Claryland passieren, und dasselbe Schiff muß auch wieder nach der Schreckensbucht zurückkommen. So verlangen es die Bedingungen des Rennens. Ich werde unsere Kontrolleure durch Funkspruch anweisen, scharf darauf zu achten, daß diese Bedingungen auch erfüllt werden. Es geht natürlich nicht, daß die Eggerth-Werke uns irgendein beliebiges Schiff unterschieben und eventuell als Sieger präsentieren.«

»Für Claryland dürfte es schon zu spät sein«, sagte Stangland, »da ist das Stratosphärenschiff . . . oder ein Stratosphärenschiff, wie Sie wollen . . . schon gewesen.«

Flagg schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Ich glaube, Sie machen sich vergebliche Mühe. Nach dem, was wir allmählich über die Stratosphärenschiffe herausbekommen haben, fürchte ich, daß die Deutschen mit ihnen das Rennen gewinnen, wie sie wollen und wie es ihnen paßt.«

John Sharp zuckte die Achseln.

»Vielleicht, Flagg, vielleicht auch nicht. Unsere Kontrollorgane werden von jetzt an ein scharfes Auge auf diese Maschinen haben.«

Er trat an das Fenster und warf einen Blick auf die Straße, winkte sich die beiden andern heran.

»Sehen Sie, wie die Massen sich da unten trotz der Unfälle des heutigen Morgens schon wieder drängen und stauen. Die Polizei scheint machtlos dagegen zu sein.«

»Kein Wunder, Sharp«, meinte Stangland, »das Wettbüro von Harrow & Bradley zieht das Volk an wie der Honig die Fliegen. Letzte Nachrichten und Wettmöglichkeiten zusammen an der gleichen Stelle. Kein Wunder, daß unsere lieben New Yorker da in Massen kommen. Ein Mordsgeld muß die Firma in den letzten 24 Stunden gescheffelt haben. Man müßte etwas dagegen tun. Heute morgen hat es Verletzte gegeben. Beim nächstenmal könnte es Tote geben.«

John Sharp nickte.

»Sie haben recht, Stangland, man muß den Unfug inhibieren. Ich werde mich mit dem Polizeihauptquartier in Verbindung setzen. Die Lichtreklame und die Rennmeldungen an der Hausfront müssen verschwinden. Das Gesetz über die Sicherheit des Verkehrs bietet der Polizei eine Handhabe, das zu verbieten.«

»Tun Sie das so schnell wie möglich, lieber Sharp«, rief Stangland, während er nach seinem Hute griff. »Wir müssen endlich wieder einen vernünftigen Verkehr in unserer Straße bekommen.«

»Ich werde es besorgen«, sagte John Sharp und reichte den beiden Mitgliedern des Kuratoriums die Hand zum Abschied. –

Nicht nur im Reading-Haus beklagte man sich über die dauernden Verkehrsstockungen vor den Büros von Harrow & Bradley. Fast noch ungehaltener waren die Herren Tredjakoff, Bunnin und Perow darüber. Die saßen ebenso wie vor 24 Stunden mit Mr. Hyblin in dem kleinen Salon in der Nähe des Reading-Hauses und blickten abwechselnd ungeduldig auf die Uhr an der Wand und das Gedränge in der Straße.

»Keine Möglichkeit, Gentlemen«, knurrte Hyblin vor sich hin, »heute ist es noch schlimmer als gestern. Beinahe ebensoviel Volk auf der Straße wie vor 24 Stunden und viermal soviel Polizei.

Sie haben sicher von den Vorkommnissen hier am heutigen Morgen gehört. Die Blauen haben ihre Motorspritzen und Wasserwagen immer noch in den Querstraßen bereitstehen. Unsere drei Überfallwagen mußten machen, daß sie weiterkamen. Wären sonst am Ende den Greifern noch in die Hände gefallen, die Polypen zeigten schon ein unangenehmes Interesse für unsere Leute und unsere Maschinengewehre.«

Tredjakoff fuhr sich mit beiden Händen verzweifelt in die Haare.

»Es ist zum Verrücktwerden, Mr. Hyblin. Das dreimal verfluchte Wettbüro von Harrow & Bradley macht uns einen Strich durch unsere besten Pläne. Die erste Hälfte des Rennens ist vorbei. In spätestens noch mal 40 Stunden wird eins der Flugzeuge sein Ziel erreichen, mag's nun der ›Eagle‹ der Reading-Werke oder die ›Seeschwalbe‹ der Deutschen oder sonst wer sein, für uns ist es dann zu spät. In 48 Stunden geht John Sharp an den Tresor, holt die wertvollen Pläne heraus und übergibt sie dem Sieger. Nur heute und morgen bleibt uns noch die Mittagsstunde, danach ist alles vorbei.«

Hyblin schüttelte den Kopf.

»Heute geht's unmöglich, Mr. Tredjakoff. Bei solchem Unternehmen kommt alles darauf an, sofort nach geschehener Tat zu verschwinden. Unsere Überfallwagen müßten schon wenigstens einen Kilometer weg sein, bevor das Publikum wieder zur Besinnung kommt und die Polizei alarmiert wird. Wie wollen Sie das hier machen, wo die Polizei schon in voller Alarmbereitschaft zur Stelle ist? Vollkommen ausgeschlossen, Mr. Tredjakoff. Wir können uns nicht auf eine Sache einlassen, bei der die Chancen 99 zu 1 gegen uns stehen.«

»Dann bleibt uns nur noch der morgige Mittag, Mr. Hyblin. Geht's da wieder so, ist das Spiel verloren. Schade um die schönen Dollars, die Ihnen entgehen werden.«

Bunnin sah auf die Uhr.

»30 Minuten nach 12. Noch eine halbe Stunde, dann sperren die Zeitschlösser den Tresor wieder. Was meinen Sie, Tredjakoff? Ob ich's versuche, allein an den Schrank zu kommen?«

Tredjakoff wiegte nachdenklich den Kopf, Hyblin mischte sich lebhaft ein.

»Um keinen Preis, Gentlemen! Sie dürfen die Nerven nicht verlieren. Sie würden durch einen voreiligen Schritt alles verderben. Uns bleibt noch die Mittagsstunde von morgen und auch sicher noch die von übermorgen. Der Sieger muß doch erst wieder von seiner Zielstation zurück sein, bevor ihm die Pläne übergeben werden können.«

Die drei Russen steckten die Köpfe zusammen und redeten eifrig hin und her. Bunnin wollte es heute noch versuchen, Perow war dagegen, Tredjakoff schwankte, und während sie so hin und her debattierten, rückte der Minutenzeiger der Uhr unaufhaltsam weiter vor.

»10 Minuten vor 1, Gentlemen«, mischte sich Hyblin in das Gespräch der Russen, »für heute ist's auf alle Fälle zu spät. Wir müssen das Unternehmen auf morgen verschieben. Ist es morgen wieder ebenso wie heut, dann mag Mr. Bunnin es auf seine Gefahr versuchen, selber an den Tresor heranzukommen. Ich kann meine Jungens nicht in eine Sache schicken, die sie totsicher nach Sing-Sing bringt.«

»Der Teufel soll Harrow & Bradley holen«, knurrte Tredjakoff wütend, »ohne den verfluchten Wettladen hier wäre die Geschichte schon vor 24 Stunden erledigt gewesen.«

»Harrow & Bradley«, sagte Bunnin nachdenklich vor sich hin. »Die Kerls haben in den letzten Tagen Millionen eingenommen. Müßte sich eigentlich für Sie lohnen, Hyblin, denen mal einen Besuch zu machen.«

Hyblin zuckte die Achseln.

»Wäre zwecklos, Gentlemen, wir sind informiert. Die Herren Harrow Bradley schaffen ihre Einnahmen viermal am Tage auf die Bank. Man würde in dem Bau da drüben verdammt wenig finden. Ah, sehen Sie doch mal . . .«

Hyblin beugte sich näher zum Fenster hinüber und deutete auf den Haupteingang des Wettbüros. Ein Polizeioffizier in Begleitung von sechs Policemen verschwand dort eben in der Tür.

Mr. Hyblin alias Texas Jack pfiff durch die Zähne.

»Hm, hm! Merkwürdig, sehr merkwürdig! Möchte wissen, was die Blauen da drüben wollen. Glaube nicht, daß die Herren Harrow & Bradley über den Besuch besonders entzückt sein werden.«

»Wollte Gott, sie machen den verdammten Laden zu«, entfuhr es Tredjakoff.

»Glaube ich nicht, Gentlemen«, meinte Hyblin. »Vermute eher, daß es sich da um die Sicherstellung von Steuergeldern handeln könnte.«

»Steuergelder? Sicherstellung?« kam es fast gleichzeitig von den Lippen der Russen. Um Hyblins Mund spielte ein pfiffiges Lächeln.

»Hab mich ein bißchen um die Firma gekümmert, Gentlemen. Sie verstehen, berufliches Interesse. Habe dabei allerlei Interessantes erfahren. Sind in den letzten Tagen große Summen vom Konto der Firma auf Kanadische Banken transferiert worden. Verstehen doch, Gentlemen? An das, was in Kanada ist, kann Uncle Sam nicht mehr ran.«

»Alle Wetter, Hyblin«, rief Tredjakoff und kramte einen Haufen Wettzettel aus seinen Taschen. »Sie meinen, die edle Firma will nach Kanada verduften, wenn's hier ans Auszahlen geht?«

Hyblin machte eine vielsagende Bewegung.

»Wer kann das wissen, Mr. Tredjakoff? Der kluge Mann baut vor. Harrow & Bradley sind zweifellos sehr kluge Leute.«

Tredjakoff zerknitterte nervös die zahlreichen roten und grünen Wettzettel, auf denen zu lesen war, daß er eine sehr beträchtliche Anzahl von Dollars bei Harrow & Bradley angelegt hatte.

»Eine faule Geschichte, Mr. Hyblin, wenn das Wettbüro seinen Verpflichtungen nicht nachkäme. Das würde ja einen Riesenskandal geben. Millionen an Wettgeldern einnehmen und damit ausrücken . . .«

Hyblin machte eine beschwichtigende Handbewegung.

»Braucht ja nicht so zu sein, Gentlemen. Habe nur gesagt, daß es vielleicht so kommen könnte, wenn die drüben kein rundes Buch haben.«

Wieder unterbrach er sich und deutete auf das Haus von Harrow & Bradley. Dort erschienen Angestellte an den Fenstern und zogen die große Leinwand ein, auf der bisher die Renn-Nachrichten in Flammenschrift erschienen waren.

»Was soll das bedeuten?« fragte Tredjakoff.

Hyblin rieb sich die Hände.

»Ich glaube, Gentlemen, die Polizei arbeitet für uns. Vielleicht hat man die Entfernung der Lichtreklame aus verkehrspolizeilichen Gründen angeordnet. Das könnte uns morgen helfen. Ohne diese Renn-Nachrichten wird der Verkehr hier schwächer sein.«

Hyblin schickte sich zum Gehen an.

»Es bleibt bei unserer Verabredung, Gentlemen, wir treffen uns morgen mittag wieder hier.«

Er verließ den Salon. Die Russen hörten es nicht mehr, wie er vor sich hinmurmelte: ›Hoffentlich sind die Messers Harrow & Bradley morgen mittag noch nicht in Kanada. Sonst wären das Gedränge und der Spektakel hier in der Straße schlimmer denn je.‹ –

Mit sehr gemischten Gefühlen hatten die Herren Eliha Bradley und Roger Harrow den Besuch der Polizei empfangen. Ihre ersten Vermutungen bewegten sich in ähnlicher Richtung wie diejenigen des ehrenwerten Mr. Hyblin. Die rückständigen Steuern für die Wetteinnahmen an Uncle Sam abführen? Sie hatten es bisher nur in sehr bescheidenem Maße getan und für alle Fälle einen sehr großen Teil der Einnahmen über die Grenze nach Kanada verschoben.

Seit 24 Stunden hatten die beiden Firmeninhaber schwere Sorgen. Ihr Buch war nicht mehr rund. Die Stundenzahlen zwischen 80 und 90 für die Siegeszeit waren von der wettlustigen Menge in einer Weise übersetzt, daß sie ihren Bankrott vor Augen sahen, wenn das gewinnende Flugzeug wirklich innerhalb dieser Zeiten sein Ziel erreichte. Die Wahrscheinlichkeit aber, daß das geschehen könnte, war nach der Ankunft der amerikanischen, deutschen und italienischen Maschinen an ihrer Kontrollstelle bedeutend gestiegen, und zum Leidwesen von Harrow & Bradley war sich das Publikum dieser Tatsache schnell bewußt geworden. Die Rechnung war bei den Odds 1:100, welche die Firma immer noch bot, verhältnismäßig einfach. Man setzte auf die Zahlen von 80 bis 90 je einen Dollar, riskierte also elf Dollars und hatte die schöne Chance, hundert herauszubekommen, wenn der Sieger innerhalb dieser Stunden sein Ziel erreichte. Aus diesem Grunde hatte es heute vormittag noch einmal einen gewaltigen Run auf das Büro gegeben. Mehrere hunderttausend Dollar waren im Laufe weniger Stunden in die Kassen der Firma geflossen, aber die Aussicht, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Vielfaches an Gewinnen auszahlen zu müssen, stimmte die Firmeninhaber nicht gerade heiter. In ihre Beratungen und Überlegungen platzte der Besuch der Polizei hinein: Verfügung des Hauptquartieres, die Lichtreklame sofort zu entfernen und während der Dauer des Rennens nicht wieder anzubringen.

Mit einem Gefühl der Erleichterung unterschrieben die Firmeninhaber den Schein, in dem sie sich verpflichteten, der Anordnung nachzukommen, und gaben Auftrag, die anstößige Leinwand einzuziehen. Sie wußten nicht, daß die Anordnung auf Veranlassung von John Sharp erfolgt war und John Sharp wußte nicht, daß er damit den besten Schutz für seinen Tresor aus dem Wege räumen ließ. –

Die Polizei hatte ihre Pflicht getan und zog salutierend ab. Elihu Bradley und Roger Harrow blieben mit ihren Sorgen allein zurück. An ihren Schreibtischen saßen sie sich im Chefkabinett gegenüber, einen Haufen von Zahlenaufstellungen und Kurvenzeichnungen vor sich. Der lange rothaarige Harrow und der kurze wohlbeleibte, brünette Bradley, die jeden, der sie zusammen sah, unwillkürlich an die Filmkomiker Pat und Patachon erinnerten.

»Wir können unser Buch nicht mehr rundhalten«, seufzte Bradley und deutete auf die vor ihm liegende Kurvenzeichnung, die sich über den Zahlen 80 bis 90 stark nach oben ausbeulte.

Harrow kratzte sich verdrießlich den Kopf.

»Wir müssen die Odds verkürzen, Bradley, sonst gehen wir pleite. Höchstens noch 1:25 können wir bieten.«

»Unmöglich, Harrow! Die New Yorker schlagen uns den Laden kurz und klein, wenn wir jetzt schlechtere Odds legen.«

Harrow griff nach der Brandyflasche und mischte sich einen kräftigen Toddy.

»Wir werden es trotzdem müssen, Bradley. Seit den letzten Meldungen von den Kontrollstellen ist das Publikum auf diese Zahlen wie versessen. Oder . . .«

»Oder? . . .« sagte Bradley, während er eine Zahlenaufstellung studierte. »Wir haben fünf Millionen Dollars . . . gut verteilt auf die Banken von Quebec, Toronto und Winnipec, die wären mal vorläufig in Sicherheit, etwa eine Million haben wir noch hier in den Staaten. Die könnten in vierundzwanzig Stunden auch drüben sein . . .«

»Sie meinen, Bradley? . . .«

»Ich meine, Harrow, wir nehmen das Geschäft hier mal erst bis auf den letzten Dollar mit. Die Wettnarren werden uns in den nächsten vierzig Stunden noch allerlei ins Haus bringen.«

»Aber die Odds, Bradley! Wir hätten es uns vorbehalten müssen, die Odds im Verlauf des Rennens zu ändern.«

»Geht nicht mehr, Harrow. Wir müssen die Dinge laufen lassen wie sie wollen.«

»Also abwarten und die Dinge an uns herankommen lassen?«

»Unbedingt, Harrow. Eventuell sperren wir unsere Schalter zwölf Stunden vor dem voraussichtlichen Ende des Rennens und sehen uns den Ausgang von Kanada aus an. Dann können wir uns immer noch entscheiden, ob wir . . .« Bradley machte mit der Rechten die Bewegung des Geldauszahlens, »oder ob wir . . . na Sie wissen ja Harrow!«

Der lange Harrow sah bedrückt aus.

»Die Auslieferungsgesetze, Bradley? . . .«

»Sind sehr günstig, Harrow. Der Fall würde nicht unter die Auslieferung fallen.«

»Dann warten wir ab«, sagte Harrow und vertiefte sich in sein Toddyglas.

»Warten wir ab«, bestätigte Bradley und machte sich fertig, um zum Lunch zu gehen. –

Die Herren Harrow und Bradley waren nicht die einzigen, denen die bisherige Entwicklung der Dinge beim Reading-Rennen Kopfschmerzen verursachte. Auch Yoshika und Hidetawa verfolgten die Meldungen des Reading-Senders mit Spannung und wachsendem Mißvergnügen.

Das erbitterte Rennen, das die japanischen Flugzeuge den Eagle-Maschinen auf der langen Ozeanstrecke von den Hawaiinseln bis nach dem Südamerikanischen Kontinent geliefert hatten, war zuungunsten der Japaner ausgegangen. Ein Teil ihrer Maschinen hatte die gewaltige Überbeanspruchung nicht ausgehalten und zu zeitraubenden Reparaturen bei den Galapagosinseln Station machen müssen.

Als Frank Kelly mit dem ›Eagle 1‹ die Kontrollstation am Juruena erreichte, war überhaupt nur noch eine einzige japanische Maschine in der Luft, die zu dieser Zeit eben erst die Küste von Ekuador bei Esmeraldas überflog. –

Am Morgen des zweiten Renntages befanden Yoshika und Hidetawa sich wieder in Hackensack. Es sah wüst und unaufgeräumt in ihrem Laboratorium aus. Flecke von allen erdenkbaren Farben und Formen bedeckten den Fußboden. Kanister und Retorten standen zu Dutzenden unordentlich durcheinander. Es war offensichtlich, daß hier längere Zeit intensiv gearbeitet und die Arbeit dann aus irgendwelchen Gründen plötzlich abgebrochen worden war.

Ein Lautsprecher, der zwischen all diesen chemischen Gerätschaften fast wie ein Fremdkörper wirkte, war eingeschaltet und verkündete die laufenden Nachrichten des Reading-Senders.

»Unsere Aussichten sind nicht gut«, sagte Yoshika.

»Sie sind schlecht«, bestätigte Hidetawa. »Wenn nicht noch ein glücklicher Zwischenfall die amerikanischen Maschinen während der zweiten Hälfte des langen Fluges aus dem Rennen wirft, wird der Reading-Preis nicht nach Tokio kommen.«

Ein kaum merkliches Lächeln glitt über die unbewegten Züge Yoshikas. Mit einer Handbewegung auf die Retorten und Kanister sagte er: »Wir haben getan, was möglich war, Hidetawa. Unser Mann ist seit 36 Stunden in dem Rennflugzeug auf dem Wege nach Brasilien. Die letzten Meldungen aus Radio-City haben unsere erste Annahme bestätigt, daß die Eagle-Maschinen bei Porto Alegre zu neuer Treibstoffaufnahme niedergehen werden. Wenn Adams mit den neuen Lacken rechtzeitig da ist, kann noch alles nach Wunsch gehen.«

Hidetawa nickte:

»Ich meine es auch, Yoshika. Das Flugzeug ist zuverlässig und schnell, Okuru der beste Pilot, den wir zur Verfügung hatten. Nur . . . ich habe Zweifel, ob wir in Adams den richtigen Mann für unser Unternehmen eingesetzt haben. Beumelé wäre dafür vielleicht besser gewesen.«

Yoshika zuckte die Achseln.

»Ich weiß, Hidetawa, es ist nicht leicht, geeignete Personen für solche Aufgaben zu finden. Sie tun es ja nicht für das Vaterland wie wir. Sie sind nicht wie wir bereit, sich schweigend zu opfern und ihr Leben für die höchste Idee hinzugeben. Es sind Schufte, die jedem für Geld ihre Dienste anbieten. Dabei sind sie immer geneigt, auf beiden Achseln zu tragen und ihre Auftraggeber gelegentlich zu verraten.«

Hidetawas Gesicht, solange unbeweglich, zeigte Bewegung.

»Eben deshalb, Yoshika, hätte ich diesen Beumelé lieber gehabt . . . Er ist ein ausgekochter Halunke, aber er muß zu uns halten, weil er zuviel zu verlieren hat. Bei Adams bin ich meiner Sache nicht so sicher.«

Yoshika machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Adams ist wenigstens ein ebenso großer Schuft wie Beumelé. Außerdem haben wir ihn vollkommen in der Hand.«

Der Japaner entnahm einer Schublade ein stattliches Päckchen von Geldscheinen. Es waren Hundertdollarnoten, aber nur die Hälften davon. Das ganze Bündel schien mit Gewalt in der Mitte durchgerissen zu sein. Hidetawa konnte beim Anblick der Scheine ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Eine gute Idee, Yoshika, dem Manne nur die Hälften der Banknoten zu geben. 15 000 Dollar sind für Adams eine große Summe. Er wird alles tun, um seinen Auftrag zu erfüllen und sich danach die andern Hälften zu holen.«

»Wir wollen es hoffen, Hidetawa. Entkommen uns die Eagle-Maschinen ungehindert auf den Atlantischen Ozean, wird die Aufgabe immer schwerer für uns. Erst in der Malakkastraße könnte unsere Organisation sie dann wieder fassen.«

Hidetawa legte die Finger auf die Lippen.

»Sprich nicht davon, Yoshika! Die Wände könnten Ohren haben. Wir müssen abwarten, wie unser Unternehmen in Porto Alegre ausgeht.«

». . . und dann nach Tokio zurückkehren, Hidetawa. Ich möchte nicht zurückkehren, wenn unser Auftrag nicht gelingt.«

»Wir werden in wenigen Stunden wissen, ob er gelungen ist. Wir wollen nach New York zurückfahren.«

 


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