Hans Dominik
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Eine eigenartige Aufnahme fand die Nachricht in den Vereinigten Staaten. Obwohl es doch eine Trauerkunde war, las das amerikanische Volk aus dem Bericht Browns, den alle Zeitungen wortgetreu veröffentlichten, einen Erfolg heraus. Gewiß, Dr. Lee hatte sein kühnes Unternehmen mit dem Leben bezahlt und zwei Gefährten mit ins Verderben gerissen; aber er war nicht gestorben, ohne vorher sein Ziel erreicht zu haben. Als erste hatten drei amerikanische Bürger den Boden eines andern Gestirns betreten. Ikaridenlos hatte sie getroffen, doch für immer würden ihre Namen in der Geschichte der Weltraumschiffahrt fortleben. Unsterblichen Ruhm hatten sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für das ganze amerikanische Volk gewonnen. So feierte man die drei Toten als Nationalhelden und bereitete für den einzig Überlebenden Ehrungen vor, die alles bisher Dagewesene weit übertreffen sollten.

Anders wurde die Nachricht in Gorla aufgenommen . . . Auch hier studierte man den Bericht Browns sorgfältig, aber man las ihn mit kritischen Augen und suchte die Ursachen zu ermitteln, die zur Katastrophe geführt hatten. In einer Besprechung, die darüber bei Lüdinghausen stattfand, legte Dr. Hegemüller seine Auffassung klipp und klar dar.

»Eine Landung auf dem Mond«, so führte er dabei aus, »wird stets ein Spiel mit dem Tode sein, wenn es nicht gelingt, sichere Schutzmittel gegen die extremen Temperaturunterschiede zu entwickeln. Das hat Doktor Lee versäumt, und darum mußte er schon kurz nach dem Verlassen seiner Rakete zu Grunde gehen.«

»Wie denken Sie sich diese Schutzmittel?« wünschte Lüdinghausen zu wissen.

»Ich habe überhaupt noch nicht darüber nachgedacht, Herr Professor«, meinte Hegemüller darauf. »Denn ich halte eine Landung auf unserem Trabanten für zwecklos und überflüssig. Wir wissen seit langem, daß auf diesem toten Gestirn für uns nichts zu holen ist. Später einmal, wenn wir die Technik der Raumfahrt weiterentwickelt haben, wird man daran denken können, auf unseren beiden Nachbarplaneten zu landen . . .«

»Stop, Hegemüller! Ihre Phantasie geht mal wieder mit Ihnen durch«, unterbrach ihn Chefingenieur Grabbe.

»Ich sagte später, Herr Grabbe«, verteidigte Hegemüller seinen Standpunkt. »Viel später; wer weiß, ob wir es noch erleben werden, denn dazu wird noch unendlich viele Entwicklungsarbeit zu leisten sein. Unternehmungen mit unzureichenden Mitteln, die zum Scheitern verurteilt sind, sollte man besser unterlassen, und ich kann dem toten Doktor Lee den Vorwurf nicht ersparen, daß seine Mittel in jeder Beziehung unzureichend waren.«

»Immerhin hat er sein Ziel erreicht«, warf Lüdinghausen ein.

»Er kannte die Energiespeicherung noch nicht oder hat jedenfalls keinen Gebrauch davon gemacht«, fuhr Hegemüller in seiner Auseinandersetzung fort. »Um ein Haar wäre deshalb auch der vierte Mann noch zugrunde gegangen. Nur der Glücksumstand, daß die Rakete in tiefe See abstürzte, hat ihn vor dem Schicksal der anderen bewahrt. Die Treibkraft der Strahlung ist während einer Raumfahrt unser wertvollstes Gut. Wir sind verloren, wenn sie vorzeitig zu Ende geht. Daran müssen wir immer denken. Bei jeder neuen Maschine, die wir bauen, müssen wir den Vorrat an treibender Energie vergrößern und die Speicherung noch weiter verbessern. Höchste Sicherheit für das Raumschiff und seine Insassen muß unser Ziel sein.«

Weiter ging die Debatte, in deren Verlauf Grabbe und Hegemüller ihre Ideen über eine zuversichtliche Navigation im Weltraum entwickelten.

»Nun, das alles liegt noch in weiter Ferne«, bemerkte Lüdinghausen dazu. »Vorläufig wollen wir einmal abwarten, was unsere italienischen Freunde mit ihrer neuen Rakete erreichen werden. Ich hörte heut früh, daß der Start schon übermorgen stattfinden soll.«

Dr. Hegemüller machte eine wegwerfende Bewegung. »Es wird dabei kaum etwas Aufregendes geben. Ruggero beabsichtigt den Erdball auf dem 42. Breitengrad, auf dem Rom liegt, zu umfliegen. Das ist eine Strecke von rund dreißigtausend Kilometer, ein Katzensprung für unsere Strahlraketen. Wir haben bei unserer Mondumschiffung mehr als das Zwanzigfache zurückgelegt. Aber auch das ist noch winzig, wenn man einen Verkehr zu den nächsten Planeten ins Auge faßt. Hundert Millionen Kilometer sind es bis zum Mars, siebzig Millionen Kilometer bis zur Venus. Das ist ein Vielhundertfaches der Entfernung zum Mond. Diese Riesenentfernungen zu beherrschen, muß unser zukünftiges Ziel sein.«

»Keine Zukunftsmusik, Herr Doktor«, wehrte Lüdinghausen den Übereifer Hegemüllers ab, »unsere nächste Aufgabe ist es, die Strahlrakete zu einem unbedingt zuverlässigen irdischen Verkehrsmittel zu entwickeln und dabei aus den Fehlern, die andere begehen, möglichst viel zu lernen. Aus diesem Grunde war mir die Verzögerung beim Bau unserer neuen Verkehrsmaschine nicht einmal unwillkommen. Wir werden auf diese Weise auch noch die Erfahrungen, die Ruggero bei seinem Flug sammelt, für uns nutzbar machen können.«

»Was haben Sie noch auf dem Herzen, Hegemüller«, fragte Chefingenieur Grabbe, als Dr. Hegemüller etwas Unverständliches vor sich hin brummte.

»Es wäre mir lieber, Herr Grabbe«, meinte der darauf, »wenn unsere Verkehrsmaschine schon zum Start bereit stände. Wir könnten dann dem Professor Ruggero zu Hilfe kommen, falls ihm bei seinem Flug etwas zustoßen sollte.«

»Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Herr Hegemüller«, beendete Lüdinghausen die Diskussion. »Ich bitte die Herren, in dem besprochenen Sinne weiterzuarbeiten.«

Während Grabbe und Hegemüller über den Werkhof zu ihren Büros zurückkehrten, griff der letztere das eben behandelte Thema noch einmal auf.

»Gott sei Dank sind wir mit unserem Bau doch schon ein Stück weiter, als Herr Professor Lüdinghausen denkt. Im Notfall könnten wir in den nächsten Tagen aufsteigen.«

Chefingenieur Grabbe schüttelte den Kopf. »Sie werden mir immer mehr ein Rätsel, Herr Hegemüller. Einerseits tragen Sie sich mit Plänen, die man im wahrsten Sinn des Wortes himmelstürmend nennen muß; andererseits befürchten Sie, daß Ruggero bei seinem Flug, den Sie vor kurzem noch einen Katzensprung nannten, etwas zustoßen könnte. Daraus mag ein anderer klug werden.«

Hegemüller zuckte die Achseln. »Man hat manchmal Ahnungen, Herr Grabbe«, meinte er nach einer längeren Pause. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß bei den Italienern etwas schief gehen wird.«

»Behalten Sie Ihre Ahnungen und Befürchtungen lieber für sich, Herr Hegemüller«, sagte Chefingenieur Grabbe, während er die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete.

*

Der große Tag, auf den die italienische Presse bereits seit vielen Wochen hingewiesen hatte, war gekommen. Die Verkehrsrakete Ruggeros lag startbereit auf der Rasenfläche hinter dem Instituto Fisiko. Unterstützt von Villari empfing Professor Ruggero die geladenen Gäste und führte sie durch die Räumlichkeiten der neuen Maschine. Herzlich begrüßte er seine Fachgenossen, die Professoren Oriola, Montuori und Giovari, während Villari sich besonders den Vertretern der Presse widmete.

Während er ihnen ihre Plätze auf bequemen Sesseln neben großen Fenstern anwies, während auf Tischchen aus blinkendem Leichtmetall Erfrischungen aller Art vor die geladenen Gäste hingestellt wurden, kam Villari unwillkürlich die Erinnerung an seinen ersten heimlichen Flug mit der Rakete, die Dr. Hegemüller aus einer Versuchskammer improvisiert hatte. Welch gewaltige Entwicklungsarbeit war hier im Verlauf weniger Monate geleistet worden! Konnte man jene erste Maschine etwa mit einem unsicheren Nachen vergleichen, so entsprach diese große Verkehrsrakete hier zum mindesten einer mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten tüchtigen Jacht. Wie in dem Gesellschaftsraum eines Ozeandampfers konnten die Passagiere sich hier fühlen. Ein schwellender Teppich dämpfte die Schritte beim Umhergehen in der Kabine oder beim Platzwechsel. Schwere Linkrustatapeten bekleideten die Wände; geschmackvolle Beleuchtungskörper waren vorhanden, um den behaglichen Raum im Bedarfsfalle mit einer Lichtflut zu erfüllen. Nichts erinnerte daran, daß man sich hier in einer Verkehrsmaschine befand, denn der Kommandoraum mit seinen mannigfachen Steuerorganen und vielen Dutzenden von Meßinstrumenten war von den Passagieren völlig getrennt.

Schon eilten die Füllfederhalter der Presseleute über das Papier, schon klapperte hier und dort eine Schreibmaschine, um die ersten Eindrücke festzuhalten und möglichst noch vor dem Start, der auf die zehnte Morgenstunde festgesetzt war, einen Stimmungsbericht fertigzustellen.

Stoff dafür gab ihnen auch die kurze Ansprache, zu der sich Ruggero um drei Viertel zehn Uhr erhob.

»Meine Herren«, begann er, »Sie kennen alle das bedauerliche Geschick, von dem die Expedition des Doktor Lee betroffen wurde. Bei dem Flug, den wir jetzt machen wollen, ist etwas Derartiges nicht zu befürchten, denn unsere Maschine ist nicht für die Raumschiffahrt bestimmt. Sie soll lediglich dem Verkehr auf unserm alten Erdball dienen und wird aus den Ihnen bereits bekannten Gründen nur bis zu einer Höhe von hundert Kilometer aufsteigen.

Sie werden sich also während des Fluges immer noch im Schutz der irdischen Atmosphäre befinden. Der Zweck unserer Fahrt soll es sein, Ihnen die ungeheure Überlegenheit der Strahlrakete als Verkehrsmittel gegenüber den besten und schnellsten Stratosphärenflugzeugen zu demonstrieren. Ich beabsichtige, dem 42. Breitengrad, auf dem wir uns hier befinden, in westlicher Richtung zu folgen . . .« Auf einen Wink Ruggeros kam Villari herbei und verteilte Landkarten mit der eingezeichneten Flugstrecke an die Gäste, und nun gab es eine allgemeine Überraschung. Zu einem Probeflug mit seiner neuen Verkehrsrakete hatte Ruggero sie geladen, aber bisher kein Wort über das Ziel und die Länge des Weges verlauten lassen. Bisher wußten nur seine Freunde in Gorla und Tokio, was er eigentlich plante. Jetzt erst erfuhren es auch seine Gäste aus den Karten in ihren Händen, und mehr oder weniger laut machte ihr Erstaunen sich Luft.

Einen kurzen Flug etwa von Rom nach Sizilien oder nach den Alpen und wieder zurück hatten die meisten erwartet und sahen nun, daß es sich um eine Umfliegung des ganzen Erdballes handelte. Von mehr als einer Seite wurden Zweifel an der Ausführbarkeit geäußert. Andere wollten wissen, wann man wieder zurück sein würde. Eine kurze Weile ließ Ruggero sie reden, dann ergriff er wieder das Wort. »Wir werden um zehn Uhr starten und nach einer Stunde und vierzig Minuten wieder zurück sein. Sie werden mit Ihren Berichten noch bequem für die Abendblätter zurechtkommen, meine Herren.«

Seine Worte erregten erneut Verwunderung, und einige seiner Zuhörer begannen zu rechnen. Sie warfen Zahlen auf das Papier, multiplizierten, dividierten und stutzten, während sie das Endergebnis niederschrieben. Mit fünf Kilometer in der Sekunde, mit fünffacher Granatengeschwindigkeit mußte diese Zauberrakete dahinstürmen, wenn sie den Flug wirklich in der von Ruggero angegebenen Zeit vollenden sollte. Bedenklich wurde manche Miene und blaß manches Gesicht, während Blätter mit solchen Berechnungen von Hand zu Hand gingen. Schon erwog es der eine oder andere bei sich, ob es nicht angebracht sei auszusteigen, bevor es zu spät wäre, als Carlo Villari die Raketentür zuschlug und die Schrauben anzuziehen begann, die ihren luftdichten Verschluß gewährleisteten.

Währenddes ging Ruggero von Platz zu Platz und gab die letzten Anweisungen. »Wir werden während der ersten Minuten mit einer sekundlichen Beschleunigung von zehn Meter fliegen«, erklärte er dabei, »das erfordert besondere Vorkehrungen.«

Gleichzeitig zeigte er ihnen praktisch, was darunter zu verstehen war. Die weich gepolsterten und mit hohen Rücken- und Armlehnen versehenen Sessel waren auf dem Fußboden drehbar befestigt. Sie wurden jetzt sämtlich so geschwenkt, daß die Passagiere nach vorn in die Flugrichtung blickten. Außerdem waren die Sessel mit elastischen Riemen ausgestattet, und Ruggero sorgte dafür, daß sich jeder so fest einschnallte, daß er durch den Beschleunigungsdruck nicht von seinem Sitz geschleudert werden könnte. Dann noch ein letztes Winken mit der Hand, und er trat, gefolgt von Villari, in den Kommandostand. Als die Tür ins Schloß fiel, zeigte die Uhr eine Minute vor zehn.

Ein leises Schüttern ging durch das Raketenschiff. Leicht hob es sich vom Boden ab, stieg etwa hundert Meter senkrecht empor und schoß dann plötzlich, in jäher Fahrt schräg nach oben gerichtet, vorwärts. Im gleichen Augenblick fühlten die Insassen des Passagierraumes, wie ihre Körper mit vollem Gewicht nach rückwärts in die Sesselpolster gedrückt wurden. Sie hatten ein Gefühl, als ob sie nicht mehr aufrecht säßen, sondern schräg hingestreckt dalägen, und empfanden, wie nützlich die Halteriemen waren.

Erst nach vielen Sekunden versuchte der eine oder andere den Kopf zu wenden und einen Blick durch ein Fenster zu tun. Da lag das Land bereits hinter ihnen, und tief unter ihnen dehnte sich die blaue Flut des Tyrrhenischen Meeres. Dunkler, fast violett schon hatte sich der Himmel inzwischen gefärbt. In einer Höhe von hundert Kilometer dicht unter der Heavyside-Schicht stürmte die Rakete jetzt nach Westen. Eine Insel, ein winziges Eiland wie es schien, wurde sichtbar, war im Nu überflogen und verschwand schon wieder.

»Das war Korsika«, bemerkte Professor Oriola zu dem neben ihm sitzenden Montuori.

»Schon Korsika?« Montuori hob seine linke Hand, um auf seine Armbanduhr zu sehen.

»Verlassen Sie sich nicht auf Ihre Uhr. Unter dem Einfluß des Beschleunigungsdruckes muß sie stark nachgehen«, riet ihm Oriola. »Die elektrische Wanduhr da vor Ihnen geht richtig. Ich konnte feststellen, daß wir Korsika nach einer Flugdauer von drei Minuten und zwanzig Sekunden passiert haben.«

Während die beiden Gelehrten weiter ihre Ansichten über Beschleunigungen und Geschwindigkeiten austauschten, kam vorn im Westen schon wieder Land auf. Eine zackige Gebirgskette war es. In einem bläulichen Weiß schimmerten einige Gipfel in ihr.

»Die Pyrenäen«, sagte Oriola.

»Sieben Minuten und 54 Sekunden Flugzeit von Rom«, bemerkte Montuori nach einem Blick auf die Wanduhr. Noch während er die Worte sprach, tauchte weit voraus bereits die endlose Fläche des Atlantischen Ozeans auf.

»Noch nicht acht Minuten für den Weg von Rom nach Spanien! Das ist über alle Begriffe schnell«, mischte sich Professor Giovari als dritter in ihr Gespräch. »Unser Kollege Ruggero hat recht. Die Strahlrakete übertrifft die Leistungen der Stratosphärenschiffe himmelweit. Die Beweisführung für seine Behauptung ist ihm jetzt schon gelungen.«

Während Giovari noch weitersprach, verfolgte Oriola gespannt den Sekundenzeiger der Wanduhr.

»Achtung! Jetzt!« rief er, als der Zeiger über die 20 dahinstrich. Im gleichen Augenblick ließ die drückende Beschwerung nach, welche die Insassen der Rakete bisher in ihre Sessel gepreßt hatte. Fast gleichzeitig kam auch Professor Ruggero aus dem Kommandostand in den Passagierraum.

»Sie können die Riemen lösen und sich frei bewegen«, rief er seinen Gästen zu. »Wir haben die Sekundengeschwindigkeit von fünf Kilometer erreicht und brauchen für die nächste Zeit keine Beschleunigung mehr.«

»Auf die Sekunde genau hat er's nach acht Minuten und zwanzig Sekunden geschafft«, raunte Montuori seinem Nachbar Oriola zu.

»Er wird auch alles andere schaffen«, sagte Oriola mit einem Kopfnicken. »Ich bin überzeugt, daß wir in einer Viertelstunde die amerikanische Küste bei New York sichten werden.«

Zunächst noch zögernd folgten die Gäste Ruggeros seiner Aufforderung und schnallten die Riemen, mit denen sie an ihre Plätze gefesselt waren, auf. Immer noch vorsichtig erhob sich hier und dort einer aus dem Sessel und mußte eine wunderliche Erfahrung machen. Ruggero hatte mit seiner Behauptung recht; man konnte sich frei bewegen, doch fast ein wenig zu frei. Bei der Meteorgeschwindigkeit, mit welcher die Rakete jetzt den Erdball umfuhr, wirkte sich die Fliehkraft in einer starken Verringerung des Körpergewichtes aus. Wer sich allzu lebhaft aus seinem Sessel erhob, sprang dabei ungewollt ein Meter in die Höhe und fiel nur sehr langsam auf seine Füße zurück; doch schnell gewöhnten sich die Fluggäste an das Neue. Rede und Gegenrede flogen hin und her. Man sprach den Erfrischungen zu, schilderte sich dabei gegenseitig, was man während der Beschleunigungsperiode empfunden hatte, und harrte gespannt der Dinge, die noch kommen sollten.

»Per bacco! Wo bleibt die Sonne?« Es war der Korrespondent des Corriere de la sera, Signor Alfieri, der die Frage an Pascoli, den Vertreter des Popolo Romano stellt.

Ja, wo war die Sonne geblieben? Als die Rakete vor noch nicht einer halben Stunde in Rom startete, stand das Tagesgestirn im Südosten ziemlich hoch am Himmel. Unverkennbar – das stellten an den Fenstern jetzt viele fest – war die Sonne in der kurzen Zeit nach Osten zurückgewandert und tief gesunken. Schon strahlte sie nicht mehr weiß, sondern kupferrot, schon berührte ihre Scheibe weit hinten im Osten die Kimme, wo Himmel und See sich zu treffen scheinen.

»Vor uns die Küste bei New York!« Professor Oriola hatte es in den Raum gerufen, und aller Blicke wandten sich wieder nach vorn, dem Westen zu. Dort lag Land, aber in der immer stärker einfallenden Dämmerung war es schwer zu erkennen. Nur die Lichter der großen amerikanischen Handelsmetropole verrieten das Vorhandensein einer Stadt, doch es waren nicht allzu viele; denn in New York zeigten die Uhren in diesem Augenblick die vierte Morgenstunde an. Gewaltig war Ruggeros Rakete der Sonne bei ihrem Weg um die Erde vorausgeeilt. In wenig mehr als 23 Minuten hatte sie den Weg von Rom nach New York zurückgelegt.

Villari, der sich im Kommandostand aufhielt, bekam jetzt auch als Funker zu tun. Von allen Seiten wurden ihm Blätter gebracht, auf denen die Pressevertreter die Eindrücke dieser ersten 23 Minuten schilderten. Berichte, in denen die Schlagzeile »Fünfzehnmal schneller als die Sonne!« öfter als einmal wiederkehrte. Sie wollten sich nicht davon überzeugen lassen, daß sie das alles noch rechtzeitig in Rom selber zu ihren Zeitungen bringen könnten. Sie verlangten dringend, daß es schon von hier aus gefunkt würde, und wohl oder übel mußte Villari sich ihren Wünschen fügen.

Er konnte es tun, da die Steuerung der Rakete zur Zeit kaum eine besondere Bedienung erforderte. Ihre Triebkraft war so eingestellt, daß sie den Geschwindigkeitsverlust, den die Maschine sonst durch die Reibung erlitten hätte, eben gerade genau ausglich.

Diese unvermeidliche Reibung hatte Ruggero bei der Planung seines Fluges manche sorgenvolle Stunde bereitet. Er wußte, daß die aus dem Weltraum auf die Erde stürzenden Meteore gerade in der Höhe von hundert Kilometer infolge der Reibung aufglühen und als Sternschnuppen sichtbar werden, obwohl die Atmosphäre dort sehr stark verdünnt ist. Aber es war ihm auch bekannt, daß diese Himmelsvagabunden mit zwanzig und mehr Kilometer in der Sekunde in die Lufthülle der Erde einschlagen, und so hatte er sich für seinen Flug nach langem Überlegen und Rechnen zu einer Geschwindigkeit von fünf Sekundenkilometer entschlossen. Zwar machte sich auch bei dieser Geschwindigkeit die Luftreibung bereits bemerkbar, doch sie hielt sich in erträglichen Grenzen. Die Metallwand der Rakete wurde durch sie gerade so stark erwärmt, daß in ihrem Innern eine angenehme Zimmertemperatur vorhanden war, während draußen Weltraumkälte herrschte.

Carlo Villari war also fleißig beim Funken. Die Verbindung mit der Kurzwellenstation in Rom war überraschend schnell hergestellt, und unablässig ließ er die Morsetaste klappern, während die Presseleute ihm immer neue Manuskripte brachten. Sie hätten das vielleicht nicht getan, wenn sie gewußt hätten, daß ihre Berichte nicht nur von der römischen Station, sondern auch an vielen andern Stellen empfangen und als Sensationsmeldungen ersten Ranges sofort in den verschiedenen Landessprachen weitergegeben wurden. Dieser Vielfachempfang hatte seine Ursache darin, daß die Rakete nur wenige Kilometer unter der Heavyside-Schicht flog. Die Rückstrahlung der aus ihrer Antenne spritzenden Kurzwellen an der Schicht verlief infolgedessen anders, als wenn die Wellen von einer Station auf der Erdoberfläche gekommen wären. Sie gingen nicht als gerichtete Sendung weiter, sondern verbreiteten sich fast gleichmäßig nach allen Seiten hin, und so konnten einige amerikanische und europäische Zeitungen der verschiedenen Ortszeit wegen schon früher als die italienischen Blätter Berichte über den Flug Ruggeros veröffentlichen.

Wieder war eine Viertelstunde verstrichen. Tiefe Nacht war es inzwischen geworden, nur die Mondsichel stand zwischen den hellstrahlenden Sternen am Himmel, als Ruggeros Rakete die amerikanische Westküste erreichte und ihren Flug über den Stillen Ozean fortsetzte.

»Auf der Erde unter uns ist es eben ein Uhr nachts«, sagte Professor Oriola zu Montuori.

»Donnerstag ein Uhr früh«, erwiderte der nach kurzem Überlegen.

»Natürlich, Donnerstag! Am Donnerstag früh um zehn Uhr sind wir ja in Rom gestartet«, meinte Oriola. »Aber es wird nicht ewig Donnerstag bleiben.«

»Selbstverständlich nicht, Herr Kollege. Auf den Donnerstag pflegt der Freitag zu folgen«, ein Lächeln ging über die Züge Montuoris, während er es sagte.

»Nicht immer, Signor Montuori«, führte Oriola die Diskussion weiter. »In unserem besonderen Fall wird erst noch einmal der Mittwoch kommen. Jetzt zum Beispiel«, fuhr er nach einem Blick auf die Wanduhr fort, »jetzt dürfte die Ortszeit unter uns etwa vierundzwanzig Uhr sein. Jetzt stoßen wir aus dem Donnerstag wieder in den Mittwoch zurück, weil unsere Rakete die bewegliche Datumsgrenze in der Richtung von Osten nach Westen überschritten hat.«

Für eine kurze Zeit schienen die Ausführungen Oriolas Professor Montuori zu verwirren, doch schnell hatte er sich gefaßt und schlug sich vor die Stirn.

»Selbstverständlich, Signor Oriola, das hatte ich übersehen. Natürlich mußten wir bei unserer Jagd um den Erdball noch einmal in den Mittwoch eintauchen, aber wir werden nicht lange darinbleiben. Auf dem 180. Längengrad überschreiten wir ja die feste Datumsgrenze und haben den Donnerstag wieder eingeholt.«

Im Innern der Rakete waren sämtliche Beleuchtungskörper eingeschaltet, ein zerstreutes angenehmes Licht erfüllte den Raum, doch trotzdem überkam eine schläfrige Abendstimmung die Gäste Ruggeros. Sie ließen Federhalter und Schreibmaschine ruhen, machten es sich in ihren Sesseln bequem und dämmerten behaglich vor sich hin. Die Gespräche waren verstummt, Stille herrschte im Raum, so daß überall die Worte gehört wurden, die Professor Oriola an seinen Nachbar richtete.

»Jetzt müßten wir ungefähr dicht bei der Datumsgrenze sein. Wenn nicht die endlose Flut des Ozeans, sondern bewohntes Land unter uns läge, müßten die Uhren dort ungefähr die zweiundzwanzigste Stunde zeigen. Eben noch die zweiundzwanzigste Stunde des Mittwochs und jetzt . . . wir haben die Grenze überflogen . . . dieselbe Stunde des Donnerstags.«

»Stimmt, Signor Oriola. Unser Ausflug in den Mittwoch hat kaum mehr als eine Viertelstunde gedauert. Jetzt rollen wir den Donnerstag von seinem Ende nach seinem Anfang hin auf. Ich denke, über den japanischen Inseln werden wir schon wieder in die Abenddämmerung stoßen und über der Küste von Korea etwa die Sonne im Westen wieder aufgehen sehen.«

»Die Sonne im Westen aufgehen sehen?« wiederholte der Korrespondent des Corriere de la sera, Guido Alfieri, ungläubig die letzten Worte Montuoris.

»Sie haben richtig gehört, Signor Alfieri«, wandte sich Montuori zu ihm hin. »Über dem Atlantik sahen wir auf unserm Flug nach Westen die Sonne hinter uns zurückbleiben und im Osten untergehen. Über der Pazifikküste Asiens werden wir sie von Osten her kommend wieder einholen, müssen sie also im Westen aufgehen sehen.«

Minute um Minute verstrich, während Ruggeros Rakete ihren Weg mit Meteorgeschwindigkeit fortsetzte.

»Jetzt müßten wir wohl schon die japanischen Inseln unter uns haben«, hatte Oriola eben zu seinem Kollegen Giovari gesagt, als vor ihnen im Westen der Horizont eine Aufhellung zeigte, die langsam rötliche Färbung annahm.

»Die Abenddämmerung! Wir haben sie erreicht«, rief Montuori. Er hatte den Satz kaum vollendet, als die Sonnenscheibe langsam über der Westkimme emporstieg, als ihre Strahlen durch die Fenster der Rakete in deren Inneres fielen. Schon wurden die Lampen ausgeschaltet; schon wich die nächtliche Stimmung, welche die Passagiere der Rakete während der kurzen Zeit der Dunkelheit befallen hatte, wieder von ihnen. Schon begann hier und dort wieder eine Schreibmaschine zu klappern, als ein jäher schriller Klang die Gäste Ruggeros zusammenfahren ließ. Im nächsten Augenblick wurde die Tür zum Kommandoraum aufgerissen, und Villari erschien in ihrem Rahmen. Mit lebhaften Gesten bedeutete er Professor Ruggero, zu ihm in den Kommandostand zu kommen, während er seine große Erregung kaum zu verhehlen vermochte. Mit schnellen Schritten war Ruggero bei ihm, zog ihn in den Kommandoraum hinein, schloß die Tür wieder und bestürmte ihn mit Fragen.

»Was ist's, Villari? Was hat's gegeben? Was war das für ein Klang?«

»Ein Unglück, Signor Professors. Die Hauptsteuerwelle ist gebrochen.«

»Die Hauptsteuerwelle gebrochen?! Wo ist sie gebrochen?«

»In der Stopfbuchse, durch die sie ins Freie tritt, Signor.«

Professor Ruggero fuhr sich mit beiden Händen verzweifelt ins Haar. »In der Stopfbuchse, Villari?«

Villari nickte. »In der Stopfbuchse. Ich fürchte, die schroffe Temperaturdifferenz ist die Ursache gewesen. Drinnen zwanzig Grad Wärme, draußen hundertfünfzig Grad Kälte. Nur so kann ich's mir erklären. Der Werkstoff, aus dem wir sie schmieden ließen, war bester Edelstahl.«

Ruggero sprang zu dem Steuerstand und bewegte die Hauptkurbel. Viel leichter als früher ließ sie sich drehen. Ein Blick durch die Fenster zeigte Ruggero, daß die Treibflächen der Bewegung nicht folgten, sondern regungslos in ihrer Lage verharrten. Die Rakete war durch den Unfall steuerlos geworden. Einen Augenblick wollte Ruggero unter dieser Erkenntnis zusammenbrechen, dann raffte er sich auf, sein reger Geist begann zu arbeiten und formte in Sekunden Entschlüsse.

»Funken Sie, Villari!« schrie er seinen Gehilfen an. »Versuchen Sie Verbindung zu bekommen . . . mit Hidetawa in Tokio oder mit Gorla! Es sind die einzigen Stellen, die uns Hilfe bringen können.«

Während Villari am Kurzwellensender arbeitete, saß Ruggero in sich zusammengesunken in einem Sessel. Die Hände vor die Augen gepreßt, überdachte er noch einmal die Lage, in die sie durch den Wellenbruch geraten waren. Es war nicht mehr möglich, die Triebkraft der Rakete zu regeln. Unaufhaltsam würde sie mit der einmal erlangten Meteorgeschwindigkeit auf Westkurs weiter um die Erde stürmen. Tage, Wochen, Monate vielleicht, bis die Strahlkraft ihrer Treibflächen sich erschöpfte . . . oder bis . . . die neue Möglichkeit, die jetzt vor seinem geistigen Auge auftauchte, ließ Ruggero noch mehr erschrecken; die Treibflächen der Rakete waren nach dem Bruch der Welle ja nicht mehr in ihrer Steuerung fixiert. Ein äußerer Einfluß, verstärkte Luftreibung oder sonst etwas anderes konnte sie in eine andere Richtung rücken, und unabsehbar mußten dann die Folgen sein. Jeden Augenblick konnte diese Propagandafahrt, die er mit so stolzen Hoffnungen angetreten hatte, mit einer jähen Katastrophe enden.

*

In der sechsten Abendstunde des Donnerstags verließen Hidetawa und Yatahira die neue Werkhalle, die während der letzten Monate in dem Park Hidetawas entstanden war. Sie hatten die neue große Verkehrsmaschine besichtigt, die bis zum letzten Hammerschlag fertig in der Halle stand.

»Wenn wir es wollten, Meister«, sagte Yatahira, »könnten wir gleichzeitig mit den Italienern aufsteigen und ein Wettrennen veranstalten.« Er sprach die Worte, während sie den Weg nach dem Landhaus nahmen.

»Nein, Yatahira«, lehnte Hidetawa den Vorschlag seines Gehilfen ab. »Professor Ruggero hat die Idee eines Rundfluges zuerst gehabt. Wir wollen ihm nicht dazwischenfahren. Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer. Wir wollen zusammen hören, was das Radio über seinen Flug meldet.«

Während Hidetawa sich auf einem Kissen niederließ, ging Yatahira zu dem Empfangsgerät und stellte es auf Kurzwelle Rom ein. Schon erzitterte die Membrane des Lautsprechers; italienische Laute erfüllten den Raum. Ein Bericht über die letzten Minuten vor dem Start von Ruggeros Rakete wurde gegeben, während der Uhrzeiger in Hidetawas Zimmer der sechs immer näherrückte. Yatahira, der als Verbindungsmann längere Zeit in Rom war, beherrschte die italienische Sprache genügend, um die Sendung zu verstehen. Aufmerksam hörte Hidetawa mit an, was sein Gehilfe ihm verdolmetschte.

»Eine Minute vor zehn Uhr. Die Tür der Rakete ist geschlossen. Die Maschine steigt senkrecht empor . . . in hundert Meter Höhe schießt sie schräg aufwärts nach Westen davon. Wir wünschen Professor Ruggero und seinen Gästen einen glücklichen Flug.« Danach wurde es still im Lautsprecher.

»Jetzt sind sie auf der Fahrt. Mögen sie ihren Flug glücklich beenden.« Hidetawa sprach die Worte nachdenklich vor sich hin, während Yatahira sich weiter an dem Empfangsgerät zu schaffen machte.

»Was suchen Sie?« fragte ihn Hidetawa.

»Ich möchte es versuchen, die Sendungen aus der Rakete selber aufzunehmen, Herr Hidetawa.«

»Es wird Ihnen kaum gelingen, Yatahira. In einer Stunde vielleicht wird es möglich sein, wenn das Strahlschiff Ruggeros über unserm Lande ist.«

Trotzdem versuchte Yatahira es unbedingt weiter, und nach etwa zwanzig Minuten gelang es ihm, Morsezeichen einzufangen. Während er sie niederschrieb, gab er Hidetawa von dem Aufgenommenen Kenntnis.

»Die Rakete steht über New York . . . fünfzehnmal schneller als die Sonne funken die Berichterstatter, die Ruggero an Bord hat . . . bis jetzt glatter Flug . . . wunderbar, Meister, daß wir das so klar empfangen.«

»Es ist die Heavyside-Schicht. Ruggero fliegt dicht unter ihr. Vielleicht schon zu dicht. Es wäre schlimm, wenn er durch die Fliehkraft über sie hinausgehoben würde . . . Seine Verbindung mit der Erde wäre dann unterbrochen.« Mehr zu sich selbst als zu Yatahira hatte Hidetawa es vor sich hingesprochen. Die nächste Viertelstunde schien zu beweisen, daß seine Befürchtung unbegründet war, denn ununterbrochen kamen weitere Meldungen von der italienischen Rakete. Über das Wunder, rückwärts in die Zeit zu fahren, wieder in den schon vergangenen Tag zurückzukehren, funkten die Gäste Ruggeros.

Mit gleichmäßigem Nicken nahm Hidetawa auf, was ihm Yatahira übersetzte.

»Das hätten sie schon vorher wissen können . . . wissen müssen«, murmelte er vor sich hin und versank wieder in Schweigen. Auch der Lautsprecher blieb still. Fast zwanzig Minuten verstrichen, ohne daß Morsezeichen in ihm aufklangen. Fragend wandte sich Yatahira an Hidetawa.

»Sollten Sie über die Heavyside-Schicht hinausgestiegen sein?«

Noch bevor Hidetawa etwas antworten konnte, kamen die Zeichen wieder. Zeichen, die Yatahira eilig niederschrieb und stückweise seinem alten Lehrer verdolmetschte.

Ein schriller Notruf war es. Die Kunde von einem schweren Maschinendefekt, von dem Bruch der Hauptsteuerwelle, durch den Ruggeros Strahlschiff die Manövrierfähigkeit verloren hatte.

Bewegung kam in die regungslose Gestalt Hidetawas. Jäh richtete er sich auf, horchte gespannt auf jedes weitere Wort Yatahiras, während seine Rechte nach dem Fernsprecher griff, durch den das Zimmer direkte Verbindung mit der Werkhalle hatte.

»Alles sofort zum Start fertigmachen«, hörte Yatahira ihn in das Mikrophon sagen, sprach dann selbst weiter:

»Wir haben stärkere Zusatzbeschleunigung. Die Fliehkraft reißt uns nach oben. Wir steigen unaufhörlich . . .« Dann wurde es still. Es kamen keine weitere Nachrichten mehr von Ruggeros Rakete.

»Kommen Sie!« Nur diese zwei Worte sagte Hidetawa, während er den Raum verließ und, fast schon laufend, der Werkhalle zueilte. Auf dem Fuße folgte ihm Yatahira.

Zusammen betraten sie die Halle. Der kurze Befehl, den Hidetawa vor wenigen Minuten durch den Fernsprecher gab, hatte bereits gewirkt. Seine neue Rakete stand startbereit. Eine auserlesene Mannschaft von sechs Köpfen war in dem Strahlschiff auf ihren Plätzen; das zweiteilige Dach der Halle war aufgeklappt, so daß die Maschine freie Fahrt nach oben hatte. Mit einem Blick überzeugte sich Hidetawa, daß die drei Kreiselkompasse der Rakete in Betrieb und bereits gerichtet waren. Eine Bewegung am Steuerhebel, und die Maschine stieg in die Höhe und ging auf Nordwestkurs, um den vierzigsten Breitengrad anzusteuern.

Der Beschleunigungsdruck zwang Hidetawa und Yatahira in sicheren Sesseln Platz zu nehmen. Schweigend verharrten sie geraume Zeit, bis Hidetawa das Schweigen brach.

»Es ist keine leichte Aufgabe, Yatahira. Nur wenn wir Glück haben, werden wir sie finden, und dann kommt die andere, noch schwerere, sie zu retten.«

Unablässig war die japanische Rakete gestiegen und hatte an Geschwindigkeit gewonnen. Schon seit Minuten lief sie mit genauem Westkurs auf dem vierzigsten Breitengrad. Wieder setzte Hidetawa zum Sprechen an:

»Wir haben die Heavyside-Schicht durchstoßen. Versuchen Sie Funkverbindung mit den Italienern zu bekommen.«

Yatahira schaltete an der Kurzwellenstation der Rakete und begann im nächsten Augenblick zu sprechen:

»Ruggero funkt, Herr Hidetawa, wir treiben in zweihundert Kilometer Höhe auf dem vierzigsten Breitengrad nach West. Steigen nicht mehr weiter.«

Hidetawa griff nach einem Schreibblock, fing an zu rechnen und sprach dabei Zahlen und Worte vor sich hin:

»Zweihundert Kilometer, die Fliehkraft ausgeglichen . . .« Er warf Zahlen auf das Papier, während seine Lippen weiter Worte formten:

»Jetzt kennen wir ihre Höhe, ihre Geschwindigkeit, ihren Kurs . . . ich hoffe, wir werden sie finden, Yatahira.«

Der erste SOS-Ruf Ruggeros war auch von der römischen Kurzwellenstation empfangen worden und versetzte die italienische Hauptstadt in Bestürzung. Wie stolz und erfolgssicher war man noch vor wenig mehr als einer Stunde gewesen, und wie hoffnungslos erschien jetzt die Lage von Ruggeros Strahlschiff.

Gerüchte kamen auf und wurden bei ihrer Verbreitung weiter vergrößert; wurden immer phantastischer, je länger weitere Nachrichten ausblieben. Schon wollten die einen um einen vernichtenden Absturz der Rakete in Ostsibirien wissen, während andere es als sicher verkündeten, daß die steuerlose Maschine von der Erde abgetrieben sei und unrettbar verloren im unendlichen Weltraum triebe.

Erst geraume Zeit nach dem Start hatte die Öffentlichkeit durch die Funksprüche der an Bord befindlichen Berichterstatter Genaueres über die Pläne Ruggeros gehört und hatte erfahren, daß er um 11 Uhr 40 Minuten nach vollbrachtem Rundflug in Rom landen würde. Eine gewaltige Volksmenge hatte sich daraufhin in der Umgebung des Instituto Fisico zusammengefunden, um die Landung zu sehen und Ruggero und sein Strahlschiff zu feiern. Noch harrten die Massen dort und zählten die Minuten, als auch hier . . . der Himmel mag wissen, von woher sie kamen . . . Gerüchte von einer Katastrophe auftauchten. Zuerst widersprach die Menge den Unglückspropheten, bedrohte sie tätlich, zwang sie, sich durch schnelle Flucht in Sicherheit zu bringen. Als aber der für die Landung in Aussicht genommene Zeitpunkt verstrich und kein Strahlschiff erschien, fanden die übertriebensten Vermutungen schnell Glauben und lösten eine panikartige Stimmung aus. Keiner von den vielen Tausenden der hier Versammelten konnte ja sehen oder auch nur ahnen, daß Ruggeros Strahlschiff schon geraume Zeit vor dem Landungstermin in riesiger Höhe über der italienischen Hauptstadt dahingestürmt war und die zweite Umkreisung des Erdballes begonnen hatte.

»Ich hoffe, wir werden sie finden«, hatte Hidetawa zu seinem Gehilfen gesagt und die Geschwindigkeit seiner Rakete auf 6,7 Sekundenkilometer gebracht. Automatisch wurde sie dabei durch die verstärkte Fliehkraft bis in eine Höhe von zweihundert Kilometer gehoben und stürmte mit der gleichen Geschwindigkeit wie das italienische Strahlschiff hinter diesem her. Noch um ein geringes vergrößerte Hidetawa die Schnelligkeit. Noch ein wenig höher stieg dabei die Maschine. In blinkendem Sonnenschein schoß sie jetzt dahin. In dunstigem Glast lag die weite Ebene der Mongolei unter ihr. Angestrengt blickte Hidetawa durch das Bugfenster.

»Unter uns voraus müssen wir sie suchen, Yatahira, wenn . . .« Er brach jäh ab und starrte mit zusammengepreßten Lippen in den flimmernden Äther; ein winziges, helles Pünktchen glaubte er weit voraus zu sehen.

»Funken Sie, Yatahira!« brach Hidetawa nach vielen Minuten das Schweigen. »Funken Sie an Ruggero, daß wir seine Maschine in Sicht haben und ihm zu Hilfe kommen.«

Noch wußten die Gäste Ruggeros nichts von dem Unheil, welches das italienische Strahlschiff betroffen hatte. Sie hatten Villari aus dem Kommandostand kommen und dann wieder mit Ruggero darin verschwinden sehen, ohne irgendwelchen Argwohn zu fassen. Die Pressevertreter arbeiteten an ihren Berichten, Oriola, Montuori und Giovari waren in ein wissenschaftliches Gespräch vertieft. Geraume Zeit fiel keinem die Abwesenheit Ruggeros auf, bis Professor Oriola nach einer zufälligen Armbewegung die Stirn runzelte und seinen Nachbar Montuori fragend ansah. Der hatte schon die gleiche Entdeckung gemacht.

»Unser Körpergewicht ist gleich Null geworden. Unsere Geschwindigkeit muß sich vergrößert haben«, flüsterte er ihm zu.

»Sollte eine Störung in der Maschine sein?« mischte sich Giovari in das Gespräch seiner beiden Kollegen. »Villari schien mir erregt zu sein, als er Ruggero in den Kommandostand rief.«

»Um des Himmels willen, schweigen Sie!« raunte ihm Oriola zu. »Nur jetzt keine Panik. Wir müssen Ruhe bewahren, unser Freund Ruggero wird seine Sache schon machen.«

Totenblaß saß Professor Ruggero in einem Sessel des Kommandostandes. Mit müder Gebärde winkte er Villari ab, der verzweifelt auf die Morsetaste hämmerte.

»Es ist zwecklos, Villari, »niemand kann uns mehr hören. Wir stehen hundert Kilometer über der Heavyside-Schicht; wenn kein Wunder geschieht, sind wir verloren.«

Mechanisch gehorchte Villari dem Befehl und warf den Hebel der Funkstation wieder auf Empfang.

»Wir sind verloren«, fuhr Ruggero nach einer Weile fort. »Selbst wenn unsere Strahlflächen keine weitere Verstellung erfahren, sind wir rettungslos verloren. Es wird Monate dauern, bis die Treibkraft des Strahlschiffes erschöpft ist. Wir werden alle längst erstickt oder verdurstet sein, während unsere Maschine immer noch wie ein Satellit um die Erde kreist. Es ist grauenhaft . . .« Verzweifelt schlug Ruggero die Hände vors Gesicht. Villari ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. Durch die Bewegung schoben sich die Kopfhörer, die er während der Worte Ruggeros nach hinten gerückt hatte, wieder auf seine Ohrmuscheln. Er achtete nicht darauf, bis er plötzlich Morsezeichen aufklingen hörte.

Morsezeichen?! Hier hoch über der Heavyside-Schicht? Wo kamen sie her? Wer konnte sie senden? Gespannt suchte er den Sinn des Funkspruches zu fassen: »Wir haben Sie in Sicht. Kommen Ihnen zu Hilfe.«

Es kamen keine weiteren Zeichen mehr. Mit einem Ruck warf Villari die Station wieder auf Sendung und ließ die Morsetaste klappern.

»Lassen Sie es doch, Villari! Es ist ja alles vergeblich«, hörte er dazwischen die Stimme Ruggeros.

»Nein, es ist nicht vergeblich!« schrie er zurück. »Es funkt jemand über der Heavyside-Schicht, der uns schon sieht, der uns zu Hilfe kommt.«

Entgeistert starrte Ruggero ihn an. Noch bevor er etwas zu sagen vermochte, hatte Villari seine Station schon wieder auf Empfang gestellt, hörte neue Zeichen, lauschte und rief wieder dazwischen Ruggero Bruchstücke des Vernommenen zu.

»Es ist Hidetawa mit seiner neuesten Maschine. Er hörte unsern ersten SOS-Ruf. Er ist sofort aufgestiegen und hat uns eingeholt. Er ist dicht hinter uns . . .«

Wie ein Verdurstender sog Ruggero gierig die Worte Villaris ein. Einen Augenblick schienen sie ihn aufzurichten, doch schnell sank er in die alte Mutlosigkeit zurück.

»Er kann uns nicht helfen, Villari. Beim besten Willen nicht. Es gibt kein Mittel, uns zu retten.«

Oriola sah als erster das fremde Strahlschiff, das sich von oben herabsenkte. Dann sahen es Montuori und Giovari, und dann bemerkten es auch die andern Gäste Ruggeros. Fragen brandeten auf, Ausrufe der Verwunderung und bald auch der Besorgnis flogen hin und her. Eine maßlose Erregung bemächtigte sich der Fluggäste in der italienischen Maschine. Mehrere sprangen von ihren Sitzen auf, vergaßen, daß ihre Körper kein Gewicht mehr hatten, und blieben frei im Raum schweben, hilflos, bis andere nach ihnen griffen und sie wieder auf ihre Plätze herabzogen. Nur noch um ein geringes höher schoß das andere Strahlschiff jetzt neben dem italienischen mit genau der gleichen Geschwindigkeit durch den Äther. Zoll um Zoll schob es sich ganz allmählich immer dichter an Ruggeros Maschine heran, und dann gab es neue Aufregung unter deren Insassen. Viele von ihnen stürzten in der Richtung nach vorn aus ihren Sesseln und spürten gleichzeitig, wie ihre Körper wieder etwas Gewicht gewannen.

»Unser Flug wird gebremst!« riefen fast gleichzeitig Montuori und Giovari. Oriola nickte nur. Für kurze Sekunden war das andere Strahlschiff ein Stück vorausgeschossen, und einen Moment hatte er eine Schrift an dessen Heck sehen können, den Schiffsnamen wohl. Zu lesen vermochte er ihn nicht, aber japanische Schriftzeichen schienen es ihm zu sein.

»Was soll das alles bedeuten?« fragte Giovari.

»Es kann nur Hidetawa aus Tokio sein, der uns mit seinem Schiff zu Hilfe kommt«, antwortete Oriola.

Im Kommandostand beobachteten Ruggero und Villari dasselbe wie ihre Gäste im Passagierraum, und die Morsezeichen, die aus dem Kopfhörer tickten, verrieten Villari auch, was geschah.

»Hidetawa weiß ein Mittel, um uns zu retten«, gab er das Gehörte an Ruggero weiter. »Er preßt unsere Treibflächen durch den Strahldruck seiner Flächen zusammen. Es ist ihm gelungen, sie in Nullstellung zu bringen. Wir haben keine Beschleunigung mehr. Der Luftwiderstand muß unsere Fahrt allmählich abbremsen.«

Es währte geraume Zeit, bis von Ruggero eine Antwort kam. »Hidetawa hat unsere Treibflächen in die Nullstellung gedrückt . . . die Sperrung muß dabei eingeschnappt sein . . . Was wird weiter geschehen? Die Luft wird unsern Flug bremsen . . . immer tiefer werden wir dabei sinken .. in immer dichtere Schichten unserer Atmosphäre stoßen . . . Die Reibung wird übermächtig werden . . . wir sind verloren, Villari! Unser Strahlschiff wird aufglühen . . . schmelzen . . . zerstäuben. Wir werden alle verbrennen, bevor wir noch durch den Absturz zerschellen.«

Wieder herrschte ein drückendes Schweigen in dem Kommandostand. Nur allzusehr mußte Villari die Befürchtung Ruggeros als begründet anerkennen. Die Sperrung ihrer Treibflächen war in der Nullstellung eingeschnappt. Keine Möglichkeit bestand mehr, sie wieder auseinanderzubewegen und den tollen Flug durch den Strahldruck abzubremsen. Nur durch die Luftreibung würde die gewaltige lebendige Kraft der Rakete vernichtet werden . . . Wärmemengen mußten dabei frei werden, die ein Ende des Strahlschiffes in wabernder Lohe unvermeidlich erscheinen ließen.

Schon hatten die beiden Männer das Empfinden, daß es im Kommandostand wärmer wurde. Ein Blick auf die Instrumente lehrte sie, daß ihre Maschine bereits beträchtlich gesunken war und im Begriff stand, nach unten durch die Heavyside-Schicht zu stoßen. Unaufhaltsam schien das Verhängnis, von dem Ruggero gesprochen hatte, seinen Lauf nehmen zu wollen.

Unablässig bearbeitete Villari die Morsetaste, funkte mit den Japanern, deren Schiff immer noch dicht neben ihnen dahinflog, und machte auf Ätherwellen all der Not und Bekümmernis Luft, die sein Herz bedrückte. Schaltete dann wieder auf Empfang, in der Hoffnung, von drüben Rat und Trost zu bekommen, und mußte zu seinem Schrecken vernehmen, daß Hidetawa mit seiner Kunst am Ende war. Von dieser selbsteinschnappenden Sperrung hatte der nichts gewußt, hatte die Absicht gehabt, die Flächen des italienischen Schiffes später wieder in andere Stellung zu drücken, und mußte nun hören, daß diese Möglichkeit ihm buchstäblich verriegelt war.

Auch in Gorla war jener erste SOS-Ruf Villaris aufgefangen worden, und in schneller Folge reihten sich daran aufregende Funksprüche aus Rom, während von dem italienischen Schiff keine Nachrichten mehr kamen.

»Man darf die Dinge nicht überstürzen«, sagte Dr. Thiessen zum Chefingenieur Grabbe. »Ruggero ist viel zu schnell vorgegangen. Nun wird er nach Doktor Lee das zweite Opfer einer verfehlten Entwicklung und reißt ein Dutzend anderer Menschen mit ins Verderben.«

»Opfer müssen gebracht werden«, meinte Grabbe.

»Aber keine unnötigen!« widersprach Dr. Thiessen. »Man muß langsam und sicher vorgehen.«

Die Unterhaltung fand in der großen Montagehalle der Abteilung Thiessen statt. Die Blicke des Chefingenieurs hafteten an den riesenhaften Bauteilen einer Strahlturbine, die dort im Entstehen begriffen war.

»Sie predigen, daß man langsam vorgehen soll, Kollege Thiessen«, sagte Grabbe, »aber Sie selber leben dieser Regel nicht nach. Kaum laufen die ersten dreißigtausendpferdigen Turbinen, und schon sind Sie beim Bau einer fünfzigtausendpferdigen. Da ist von einer Langsamkeit in der Entwicklung wenig zu spüren.«

»Langsam und sicher, habe ich gesagt, Herr Grabbe«, verteidigte sich Thiessen. »Sicherheit, das ist das wichtigste. Einen Bruch der Steuerwelle hat es bei Ruggero gegeben. Wie ist das möglich? Wie kann das einem gewissenhaften Ingenieur passieren?«

Grabbe zuckte die Achseln. »Sie sehen doch, daß es passiert ist.«

»Weil man die Welle falsch berechnet hat . . . oder weil man einen ungeeigneten Werkstoff verwendet hat«, fiel ihm Thiessen ins Wort. »An meinen Turbinen ist noch keine Welle gebrochen, und ich garantiere Ihnen, daß auch keine brechen wird, selbst wenn wir Maschinen von hunderttausend und noch mehr Pferdekräften bauen werden.«

Chefingenieur Grabbe hatte eigentlich die Absicht, Dr. Hegemüller aufzusuchen, aber der Widerspruch Thiessens veranlaßte ihn, diesem seinen eigenen Standpunkt in längerer Gegenrede auseinanderzusetzen, und eine reichliche Stunde verstrich darüber, eine Stunde, die Dr. Hegemüller sehr zupasse kam.

Nach dem Eintreffen jenes italienischen Notrufes war Hegemüller nicht mehr vom Empfänger fortgegangen. Gespannt verfolgte er die weiteren Nachrichten. Nur gelegentlich zum Telephon greifend, um Anweisungen in die Montagehalle seiner Abteilung zu geben. Auf seinen letzten Anruf hin kam sein Obermonteur Berger zu ihm ins Zimmer und erhielt einen Auftrag.

»Ja, Berger, die Italiener hat der Teufel geholt!« bemerkte Hegemüller nebenher zu ihm.

»Hat man noch etwas von ihnen gehört?« erkundigte sich der Monteur.

»Nichts mehr, Berger. Kein Lebenszeichen mehr. Ihr Schiff ist über die Heavyside-Schicht hinausgetragen worden und treibt steuerlos im Raum.«

»Der Äther hat keine Balken, Herr Doktor«, meinte der Monteur Berger und kratzte sich nachdenklich hinterm Ohr. »Ein Glück, daß uns das nicht passiert ist!«

»Reden Sie keinen Unsinn, Mann! Unsere Wellen brechen nicht!« herrschte ihn Hegemüller an und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Empfänger zu, aus dem Morsezeichen aufklangen. Sie kamen von dem italienischen Strahlschiff, das sich jetzt unterhalb der Heavyside-Schicht befand und wieder Verbindung mit der Erde hatte. Dr. Hegemüller hörte die Verzweiflungsrufe Villaris, hörte, daß das Schicksal Ruggeros und seiner Genossen unabwendbar besiegelt sei, wenn nicht noch in letzter Minute ein Wunder geschehe. Las weiter aus den Zeichen, die unaufhörlich aus dem Lautsprecher tickten, daß das italienische Schiff soeben den Kaspisee auf dem vierzigsten Breitengrad in achtzig Kilometer Höhe überquerte, erfuhr schließlich mit Schrecken, daß die Temperatur im Kommandoraum schon auf 35 Grad gestiegen sei, und beschloß blitzschnell, auf eigene Verantwortung zu handeln. Die Treibflächen von Ruggeros Maschine waren blockiert. Nur mit mechanischen Mitteln konnte man das Schiff von außen her aus seiner gefährlichen Lage befreien. Seine eigene Maschine war startbereit. Er konnte sofort zu Hilfe eilen . . . aber würden seine Vorgesetzten damit einverstanden sein? Wie würden sich Professor Lüdinghausen und Chefingenieur Grabbe dazu stellen? Würden sie nicht hundert Bedenken äußern . . . ihm vielleicht den Start und die Hilfeleistung verbieten?

Wer viel fragt, bekommt viel Antwort, dachte Dr. Hegemüller, während er schon nach der Montagehalle eilte. Dort rief er seine Leute zusammen und erteilte Befehle, die bei manchen Kopfschütteln erregten. Was sollte es für einen Sinn haben, die schweren Stahldrahttrossen, an denen man die Maschine während des Baues bisweilen aufgehängt hatte, wieder an ihr zu befestigen? Was konnte es weiter bedeuten, wenn man die Trossen an ihren freien Enden in große Schlaufen ausgehen ließ?

Die Werkleute wunderten sich darüber; doch sie waren gewohnt, die Anordnungen Hegemüllers strikt auszuführen, und das taten sie auch jetzt.

Kaum eine Viertelstunde hatten alle diese Vorbereitungen in Anspruch genommen; dann erhob sich das deutsche Strahlschiff, stieg auf und schoß davon.

Zehn Minuten später klopfte es an der Tür von Hegemüllers Zimmer, und Chefingenieur Grabbe trat ein. Er fand den Raum verlassen, dachte sich, daß Dr. Hegemüller wohl in der Montagehalle wäre, und ging dorthin. Und dann fühlte der Chefingenieur seine Knie schwach werden und mußte sich, überwältigt von dem, was er hier hörte, auf einen Schemel niederlassen. Ohne ihn, Grabbe, und ohne die Werkleitung zu fragen, war Hegemüller, dies ewige Sorgenkind, mit dem neuen Schiff einfach fortgeflogen, ohne ein Wort über seine Gründe und sein Ziel zu hinterlassen; hatte überdies auch noch sechs seiner besten Werkleute mitgenommen. Nur allmählich erfuhr Chefingenieur Grabbe von den Zurückgebliebenen etwas über die eigenartigen Anordnungen, die Hegemüller vor dem Start gegeben hatte, hörte von den schweren Trossen, die er außenbords mitgenommen, und wußte nun, daß der eigenwillige Doktor sich wieder einmal in ein tollkühnes Abenteuer gestürzt hatte.

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