Hans Dominik
Treibstoff SR
Hans Dominik

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Mit Interesse studierten Dr. Thiessen und seine Leute die Veröffentlichung des Signor Enrico Tomaseo und lachten während der Lektüre öfter als einmal recht herzlich.

»Ganz vorzüglich, diese Meteoritentheorie«, meinte Dr. Thiessen zu Hegemüller. »Das lenkt die anderen von der richtigen Spur ab. Zweifellos stammt der Brocken, der den Italienern in die Suppe gefallen ist, von Ihrer ersten Patzerei her.«

Dr. Hegemüller setzte sich in Positur. »Sie wollen sagen, Herr Thiessen, von jenem Versuch, der uns den ersten brauchbaren Strahlstoff erbrachte«, hub er an, aber Thiessen winkte ab.

»Lassen wir das, Kollege. Sie sollen meinetwegen den Ruhm haben, aber eine Patzerei ist's doch gewesen. Wichtiger ist mir das, was der Italiener über die zerstörende Wirkung der Strahlung schreibt. Nehme ich dazu noch die Ereignisse an der Boulder-Sperre, wo ein starker Betondamm in vierundzwanzig Stunden von der strahlenden Materie zerfressen wurde, so kommen mir doch schwere Bedenken.«

»Sie vermuten, die Strahlung könnte auch den stählernen Bauteilen unseres Motors gefährlich werden?« fragte Dr. Stiegel.

Thiessen nickte. »Es wäre immerhin möglich. Wir müssen die Maschine dauernd unter Beobachtung halten. Der Gedanke, daß der Stahl plötzlich nachgeben und der Strahlkolben seine eigenen Wege gehen könnte, macht mir unruhige Stunden.«

»Ich habe den Motor vor einer Stunde genau untersucht und nichts gefunden«, beruhigte ihn Stiegel. »Ich habe alle der Strahlung ausgesetzten Teile mit einem Hammer abgeklopft. Der Stahl hat einen vollen, gesunden Klang und läßt den Hammer zurückfedern.«

Während Dr. Stiegel sprach, war Hegemüller an eine Stelle der Hallenwand getreten, die in der Verlängerung des Kolbenweges lag, und kratzte dort mit einem Meißel. Der Beton der Wand stäubte dabei pulvrig auf.

»Sehen Sie, da haben wir die Geschichte«, sagte er zu Dr. Thiessen. »Den Beton greift es an; ebenso an wie am Boulder-Damm. Ich habe schon gestern vorgeschlagen, einen Bleischutz um den Motor zu setzen. Wenn wir's so lassen, wie es jetzt ist, werden wir bald ein hübsches Loch in der Wand haben.«

Die Beweisführung Hegemüllers wirkte so überzeugend, daß die beiden andern sich ihr nicht verschließen konnten.

»Diesmal haben Sie recht, Kollege«, pflichtete Thiessen ihm bei. »Das ist ja auch nur eine Kleinigkeit; in einer halben Stunde können wir's gemacht haben.«

Während Dr. Stiegel die Halle verließ, um passendes Bleiblech zu besorgen, ging Hegemüller ein paarmal um den Motor herum und musterte ihn mit kritischen Blicken, bis es Thiessen schließlich auffiel.

»Haben Sie sonst noch etwas an der Maschine auszusetzen? fragte er schließlich.

Hegemüller nickte. »Allerlei, Herr Thiessen. Die Maschine ist noch nicht das richtige.«

Thiessen schwankte, ob er sich ärgern oder lachen sollte. »Na, dann schießen Sie mal los, Kollege«, meinte er schließlich belustigt. »Was gefällt Ihnen an unserem Strahlmotor nicht?«

»Erstens schon mal, daß es ein Motor ist. Mit unserem Strahlstoff hätten wir ebenso eine Turbine bauen können.«

Dr. Thiessen horchte interessiert auf. »Hm, eine Turbine? Warum nicht? Sobald wir genügend neuen Strahlstoff hergestellt haben, können wir ja auch mal zur Abwechslung eine Strahlturbine bauen. Gut, Kollege, ich nehme Ihren Wunsch zur Kenntnis. Sind Sie nun zufrieden?«

Hegemüller schüttelte sehr energisch den Kopf. »Nein, Herr Thiessen. Sehen Sie!« Er deutete auf den Motor. »Jetzt ist die Maschine zwar stillgesetzt, aber die Kolbenkugel verstrahlt trotzdem unablässig ihre Energie. Wirtschaftlich macht es gar keinen Unterschied, ob wir den Motor laufen lassen oder nicht. Das will mir nicht gefallen.«

»Ja. Aber lieber Freund« – Dr. Thiessen faßte sich an die Stirn – »Sie verlangen etwas viel auf einmal. Ich sehe auch nicht die Spur einer Möglichkeit, wie Sie das ändern wollen.«

Hier wurde ihr Gespräch unterbrochen, denn Dr. Stiegel kam zurück, und hinter ihm fuhren zwei Werkleute eine Ladung Bleiblech in die Halle. Es dauerte nicht eine halbe Stunde, wie Dr. Thiessen noch vor kurzem gesagt hatte, sondern nahm reichlich zwei Stunden in Anspruch, dann aber war der Motor ganz in Blei gekapselt und jede Gefahr, daß seine Strahlung in der Umgebung Schädigungen verursachen könnte, behoben.

»Ist auch besser so für uns«, sagte Dr. Stiegel, als die letzten Fugen verschmolzen waren und sie die Knallgasbrenner ausdrehten. »Jetzt können wir es uns endlich bequemer machen.« Er streifte den schweren, mit Blei gefütterten Kittel ab; Thiessen und Hegemüller folgten seinem Beispiel, zufrieden, sich endlich wieder frei und leicht bewegen zu können.

Ihre nächste Arbeit galt der Aufstellung einer neuen Blitzröhre. Dr. Thiessen bestand darauf, daß sie wieder in der Schleudergrube aufgebaut wurde, obwohl Hegemüller lebhaft protestierte und versicherte, daß man bei der neuen Konstruktion keine Explosionen mehr zu befürchten brauche.

In der Tat unterschied sich die Röhre, die nach den Plänen von Dr. Hegemüller entstanden war, beträchtlich von den früher verwendeten zerbrechlichen Glasgebilden. Es war ein mächtiger Steingutkörper im Gewicht mehrerer Tonnen, und man mußte kräftige Kräne zu Hilfe nehmen, um ihn in die Schleudergrube hinabzulassen. Hier konnte auch nicht mehr nach Glasbläserart gearbeitet werden, sondern durch eine verschraubbare Luke mußte das Metall der Antikathode in die neue Röhre eingebracht werden. Knarrend und dröhnend schob sich endlich die Metallkuppel über der Grube zusammen. Dr. Hegemüller stand dabei und setzte eine undefinierbare Miene auf.

»Haben Sie schon wieder was auszusetzen, Kollege?« fragte ihn Thiessen, durch seine dauernde Nörgelei gereizt. »Wenn der Versuch gut ausgeht, können Sie sich beim nächsten meinetwegen auf die Röhre setzen.«

Hegemüller stand in Gedanken versunken da und schien die Worte kaum gehört zu haben, Dr. Thiessen wiederholte deshalb seinen Vorschlag noch einmal. »Wenn Sie durchaus Lust zu einer Himmelfahrt haben, Herr Hegemüller, können Sie das nächste Mal in persona auf der Röhre Platz nehmen. Ich bin auch bereit, Sie für Ihre Erben photographieren zu lassen, bevor wir Strom geben . . .«

»Wie? Sagten Sie etwas, Herr Thiessen?« Hegemüller kam aus seinem Sinnieren wieder zu sich und blickte Thiessen an, als ob er eben aus einem Traum erwache.

»Ich erlaubte mir in der Tat, etwas zu sagen«, gab Dr. Thiessen verdrießlich zurück.

»Ich habe eine Idee«, erwiderte Hegemüller, ohne auf die Tonart des andern einzugehen.

»Schon wieder eine Idee?« Dr. Thiessen schnitt ein Gesicht, als ob er etwas Saures im Munde hätte. »Lieber Freund, Ihre Ideen sind mir, offen gesagt, ein wenig zu explosiv.«

Hegemüller war schon wieder ins Grübeln geraten. Mehr zu sich selbst als zu dem anderen sprach er weiter.

»Wenn man die Strahlung speichern könnte . . . einen Akkumulator müßte man haben, der die Energie sammelt, wenn der Motor nicht läuft . . .« Thiessen schlug ihm kräftig auf die Schulter.

»Hegemüller! Doktor! Mann, kommen Sie zu sich! Sie reden ja im Fieber! Die Energie der Protonen und Neutronen, die mit Riesengeschwindigkeit durch den Raum sausen, wollen Sie speichern? Wie denken Sie sich das?«

Dr. Hegemüller preßte beide Fäuste gegen die Stirn. Er sprach wie unter einem inneren Zwange.

»Ich weiß es noch nicht, Herr Thiessen . . .« Er schöpfte ein paarmal tief Atem. »Wenn ich's schon wüßte, wäre mir wohler. Ich weiß nur, daß es gehen muß . . . Ich sehe den Weg noch nicht klar . . . aber finden werde ich ihn.«

Mit einem Kopfschütteln wandte Dr. Thiessen sich ab. Öfter als einmal hatte er sich in der letzten Zeit über seinen Assistenten Gedanken gemacht. Anfangs war er geneigt gewesen, ihn für einen leichtsinnigen Draufgänger zu halten, dem man auf die Finger sehen mußte, und verschiedene Vorkommnisse, bei denen es programmwidrig funkte und krachte, hatten Dr. Thiessen in seiner Meinung bestärkt. Aber je länger, desto mehr glaubte er später doch einen tieferen Sinn, einen verdeckten Plan in den Eigenmächtigkeiten Hegemüllers zu entdecken, und nach jenen letzten Vorkommnissen schließlich, die nach scheinbaren Mißerfolgen den neuen Strahlstoff ergaben, war Thiessen so weit gekommen, sich die Frage vorzulegen: Genie oder Tollheit?

Tollkühn war es von Hegemüller gewesen, die gefährliche Beimengung kurzerhand zu verzehnfachen. Das halbe Werk hätte darüber in die Luft fliegen können, aber der Erfolg hatte die Kühnheit gerechtfertigt. Und nun wieder eine neue Phantasterei, die Strahlung während der Zeit, zu der sie nicht benötigt wurde, einfach zu speichern. Im ersten Augenblick schien's nur ein vages Hirngespinst zu sein . . . und doch . . . je länger Thiessen überlegte, desto mehr gewann der Plan auch für ihn Sinn und Bedeutung. Mit dem ersten kühnen Experiment hatte Dr. Hegemüller den Hahn zur Atomenergie gewissermaßen aufgedreht. Jetzt sann er auf eine Möglichkeit, ihn nach Belieben wieder schließen zu können . . . ein verwegenes Projekt . . . doch wenn es glückte . . . Welchen Ruhm würde seine Abteilung, würde das deutsche Werk davon haben!

Thiessen bemühte sich, seine Erregung zu verbergen, und wandte sich wieder an seine beiden Assistenten.

»Sind Sie mit den Vorbereitungen fertig?« Er warf einen Blick auf die Schaltung und die Meßgeräte. »Gut, dann wollen wir beginnen. Jetzt muß es sich zeigen, Herr Hegemüller, ob Ihre neue Röhre standhält.«

»Der Teufel soll dazwischenfahren, wenn sie's nicht tut!« platzte Hegemüller 'raus und legte den Schalthebel ein.

Strom kam auf die Röhre, die Zeiger der Meßinstrumente kletterten in die Höhe. Stärker brummten die Transformatoren auf. Gewaltig strömte die hochgespannte elektrische Energie durch die schweren Kabel in die Grube hinab, aber die neue Röhre hielt ihr stand. Nicht wie bisher beendete eine vorzeitige Explosion den Versuch. Glatt und ohne Zwischenfälle, wie Dr. Thiessen es verlangt hatte, ging er zu Ende.

Sie hatten den Strom abgeschaltet und die Kuppel über der Grube wieder geöffnet, als Chefingenieur Grabbe kam, um sich nach dem Ergebnis des Versuches zu erkundigen. Ohne Widerstreben ließ er sich ebenfalls den schweren Bleischutz anlegen, bevor er mit Dr. Thiessen und seinen Leuten in die Grube hinabstieg, und dann standen sie neben der neuen Röhre.

Röhre? Der alte Name war geblieben, den die Physiker des neunzehnten Jahrhunderts einst für ihre von Glasbläsern hergestellten elektrischen Entladungsgefäße geprägt hatten, doch was hatte die unaufhaltsam fortschreitende Hochspannungstechnik im Laufe von vier Menschenaltern aus dem Gerät gemacht!

»Ein Mordsding!« staunte Grabbe, als er vor dem mehr als zwei Stockwerke hohen, aus Steinzeug und Edelstahl gefügten Gebilde stand. »So mächtig hätte ich's mir nach der Zeichnung nicht vorgestellt. Tüchtig, Herr Hegemüller, was Sie da gebaut haben. Damit können wir vielleicht bald wieder in Ihr Labor gehen und die Schleudergrube für andere Zwecke frei machen.«

Dr. Thiessen schüttelte zu den Worten Grabbes bedenklich den Kopf, während Hegemüller über das ganze Gesicht strahlte.

Dann griffen sie zu den schweren Schraubenschlüsseln, die Luke der Röhre wurde geöffnet, und die Antikathode lag frei vor ihren Blicken. Anders als früher war in der neuen Röhre der Prozeß vor sich gegangen. In seiner ganzen Masse war das Metall aktiviert worden. Nicht mehr nach einer Richtung, sondern gleichmäßig nach allen Seiten hin ging die Strahlung von der Metallkugel aus. Sie zeigte keine Neigung mehr, nach einer Richtung hin fortzufliegen, aber doppelt gefährlich war dafür das Hantieren mit ihr geworden. Nur unter starkem Bleischutz durften auch die Werkleute sich ihr nähern, die die Kugel jetzt mit Hebezeugen aus der Röhre holten und mit einem Kran aus der Grube schafften.

Während das geschah, saß Grabbe mit Thiessen und seinen Assistenten bei einer Beratung im Laboratorium zusammen. Über die Arbeiten, die jetzt vorgenommen werden sollten, wurde gesprochen. Dr. Thiessen erwartete, daß der Chefingenieur Vorschläge für den Bau eines zweiten, größeren Motors mit der neugewonnenen Strahlmasse machen würde, doch der brachte etwas anderes vor.

»Ich habe eine interessante Nachricht aus Tokio bekommen«, begann er. »Der sicherlich auch Ihnen dem Namen nach bekannte Atomforscher Hidetawa hat dort mit einer einfachen Lichtmühle einen beachtenswerten Versuch gemacht . . .«

Grabbe holte einen Brief aus seiner Tasche und las daraus weiter vor.

»Ja, also meine Herren«, fuhr er fort, als er mit der Vorlesung zu Ende war, »genau betrachtet, ist das kleine Ding, was da auf dem Schreibtisch von Herrn Hidetawa seit vielen Tagen ununterbrochen läuft, bereits eine Atomturbine. Wenn wir nicht nachhinken wollen, müssen wir ebenfalls . . .«

»Woher hat der Japaner den Strahlstoff?« fiel ihm Thiessen ins Wort.

Der Chefingenieur zuckte die Achseln. »Darüber konnte mein Gewährsmann nichts in Erfahrung bringen. Es war schon viel, daß Hidetawa ihm seinen Apparat zeigte und sich über die Wirkungsweise ausließ.«

Dr. Thiessen saß mit gerunzelter Stirn da. Mehr für sich als für die andern wiederholte er die Frage. »Wie sind die Japaner an den Strahlstoff gekommen?«

»Warum sollten sie ihn nicht auch hergestellt haben?« meinte der Chefingenieur. »Der Weg, auf dem etwas Derartiges erreicht werden kann, ist heut allgemein bekannt. Auch in den japanischen Instituten arbeitet man seit Jahren intensiv an dem Problem.«

Hegemüller stieß Thiessen in die Seite, bis der sich ihm zuwandte. »Was wollen Sie, Kollege?«

»Die plötzliche Abreise der beiden Japaner neulich? Mir schwant etwas.«

»Bändigen Sie Ihre Phantasie, Hegemüller«, wies Thiessen ihn zurecht, als Grabbe, der die leise geführte Unterhaltung doch gehört hatte, sich einmengte.

»Ich werde mit unserm Vertreter in Tokio funken. Er soll herausbekommen, wo die Herren Yatahira und Saraku stecken. Wenn die zwei jetzt mit Hidetawa zusammenarbeiten, könnte Ihr Verdacht möglicherweise berechtigt sein, Herr Doktor Hegemüller.«

»Ich würde es auch dann für ausgeschlossen halten«, beharrte Thiessen bei seiner Meinung. »Selber haben die Japaner bei uns keinen Strahlstoff gemacht, und in unser Laboratorium sind sie nicht mehr gekommen, nachdem uns die Herstellung geglückt war. Wenn sie jetzt über etwas Ähnliches verfügen, dürfte es wohl aus dem Laboratorium von Hidetawa stammen. Ich glaube, gegen diese Schlußfolgerung läßt sich nichts einwenden, Herr Grabbe.«

Der Chefingenieur zuckte die Achseln. »Vielleicht, vielleicht auch nicht! Vergessen Sie nicht, Herr Thiessen, daß eine nicht unbeträchtliche Menge des aktiven Metalls aus Ihrem Labor ausgebrochen und in die weite Welt hinausgeflogen ist. Auf diese Weise haben ja auch die Italiener etwas davon in die Finger bekommen.«

»Glauben aber Gott sei Dank, daß es sich um ein Meteor aus dem Weltraum handelt«, warf Hegemüller dazwischen.

»Hoffentlich, Herr Doktor Hegemüller, bleiben sie bei dem Glauben«, fuhr Grabbe fort. »Ich habe da noch eine Nachricht bekommen, die Sie vielleicht interessieren wird. Einer von den Assistenten Professor Ruggeros ist nach Amerika gereist und hat am Boulder-Damm zusammengeklaubt, was sich von den Resten Ihrer ersten Strahlkugel finden ließ. Wenn jetzt etwa Ruggero auch auf den Einfall käme, die Flügel einer Lichtmühle mit Strahlstoff zu präparieren, so brauchten wir uns nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, von wo er den Stoff herhat.«

»Wäre es am Ende nicht möglich, daß auch japanische Agenten am Boulder-Damm waren und sich ebenfalls . . . nur etwas geschickter und unauffälliger . . . etwas von dem Stoff verschafft haben?« gab Dr. Stiegel zu bedenken.

»Das würde ich immer noch für wahrscheinlicher halten«, pflichtete Thiessen ihm bei, »als daß es den Japanern gelungen sein sollte, hier aus unserem Laboratorium etwas von dem Stoff an sich zu bringen.«

»Wir wollen uns darüber nicht unnütz den Kopf zerbrechen«, beendete Grabbe die Debatte. »Unsere nächste Aufgabe steht fest. Wir müssen eine Strahlturbine bauen. Die Aufgabe ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Ich schlage vor, daß die Herren jeder für sich zunächst einmal Entwürfe machen und daß wir uns dann in den nächsten Tagen . . . vielleicht schon übermorgen wieder zu einer Besprechung zusammensetzen.«

Grabbe hatte kaum das Zimmer verlassen, als Hegemüller mit einer Frage herauskam. »Ich möchte für mein Leben gern wissen, wo unser Chefingenieur seine Informationen her hat. Er weiß, was bei Hidetawa auf dem Schreibtisch steht; er weiß, daß Signor Tomaseo am Boulder-Damm gewesen ist. Vermutlich weiß er noch mancherlei anderes, von dem er uns nur nichts gesagt hat.«

Dr. Thiessen lachte. »O Hegemüller, Sie ahnungsloser Engel, haben Sie noch niemals etwas von unserm Informationsbüro und von unserm Nachrichtendienst gehört?«

»Wenig und nichts Bestimmtes, Herr Thiessen. Ich mache meinen eigenen Kram und kümmere mich nicht um das, was andere machen.«

»Ist auch ein Standpunkt, Kollege, aber vielleicht nicht immer der richtige. Die Werkleitung muß wissen, was draußen in der Welt vorgeht, und dazu haben wir zunächst mal unser Informationsbüro.«

Hegemüller schüttelte sich. »Eine schauderhafte Papierbude, Herr Thiessen. Ich bin mal durchgekommen. Es machte auf mich so einen Eindruck wie ein riesiges Archiv. Da saßen eine Menge Leute drin, lasen Zeitungen, schnitten hin und wieder was aus und klebten es auf weiße Blätter. Ich begreife nicht recht, was das für einen Zweck haben soll.«

Thiessen lehnte sich bequem in seinen Sessel zurück und schickte sich zu einem kleinen Vortrag an.

»Ja, mein lieber Hegemüller, die Leute, die Sie in unserm Informationsbüro gesehen haben, sind keine einfachen Zeitungsleser. Die verstehen es, auf einen Blick unter hundert Nachrichten gerade die eine, oft recht unscheinbare, herauszufinden, die für unser Werk Interesse hat. Sie verstehen es außerdem noch, zwischen den Zeilen zu lesen und mit einem erstaunlichen Spürsinn zu rekonstruieren, was der Zeitungsschreiber noch schreiben wollte, aber aus verschiedenen Gründen . . . Zensur und dergleichen . . . unter den Tisch fallen ließ. Außerdem sind sie noch Polyglotten. Zeitungen in etwa vierzig verschiedenen Sprachen werden in unserm Informationsbüro gelesen, und aus hundert Mosaiksteinchen, die aus den verschiedensten Quellen stammen, entsteht dort auf diese Weise eine Nachricht, die sich fast immer als richtig erweist.«

»Mag alles ganz schön und gut sein«, gab Hegemüller immer noch zweifelnd zu. »Daß der Italiener am Boulder-Damm war, mag das Büro auf die Manier erfahren haben. Aber was auf dem Schreibtisch Hidetawas steht, darüber hat gewiß in keiner Zeitung etwas gestanden.«

»Ja, mein lieber Freund«, Thiessen legte die Fingerspitzen seiner beiden Hände zusammen. »Man hat auch sonst noch seine Quellen im Ausland. In der Diplomatie nennt man diese Leute Attachés, Militär-Attachés, Marine-Attachés, Handels-Attachés usw. Technik und Forschung haben sich die in der Diplomatie bewährte Einrichtung zum Muster genommen und, soviel mir bekannt, keine schlechten Erfahrungen damit gemacht . . . Stop, Hegemüller! Was Sie jetzt sagen wollen, stimmt nicht. Das ist keine Spionage. Es geht alles ganz loyal zu, aber unsere Gewährsleute sind selbst Wissenschaftler und verstehen es, ihre Augen und Ohren ebenso gut zu gebrauchen wie die ausländischen Besucher, die wir hier bei uns empfangen. Was dabei herauskommt, davon hat ihnen der Chefingenieur ja eben eine Probe gegeben.«

Hegemüller brummte noch etwas Unverständliches vor sich hin, während Thiessen schon zu einem andern Thema überging. »Geben Sie sich zufrieden, Kollege! Jetzt handelt es sich um den Vorschlag, den Sie vorher schon selbst machten, um die Strahlturbine. Wenn wir übermorgen mit dem Chefingenieur darüber sprechen wollen, müssen wir uns morgen schon unter uns beraten. Also an die Arbeit; die Zeit ist kostbar.«

*

»Ecco, Signor Professore! Da ist's. Gut anderthalb Kilo des Strahlstoffes habe ich zusammengebracht.«

Enrico Tomaseo sagte es mit unverhohlener Freude über den Erfolg seiner Reise und stellte eine schwere Bleibüchse vor Professor Ruggero auf den Tisch.

»Gut, mein Lieber, da hat sich Ihre Reise wenigstens etwas gelohnt«, sagte Ruggero, während er den Deckel der Dose abhob. »Wir werden den Stoff untersuchen.«

Betroffen schaute Tomaseo auf. Er hatte lebhaftere Worte der Anerkennung für das von ihm Erreichte erwartet, und das Gefühl der Ernüchterung verstärkte sich noch in ihm, als Ruggero ruhig weitersprach.

»Ich fürchte allerdings, daß wir nicht viel Neues entdecken werden. Die Strahlung unserer alten Probe hat inzwischen derart nachgelassen, daß sie kaum noch meßbar ist. Wenn alle Stücke von dem gleichen Meteor stammen, so dürfen wir von dem neuen Material auch kaum etwas anderes erwarten.«

Tomaseo hatte die Empfindung, als ob er einen Kübel kaltes Wasser über den Kopf bekäme. War das der Dank für seine Bemühungen, für die Reise nach Kalifornien, die er im Interesse der Wissenschaft auf eigene Kosten unternommen hatte? Noch ehe er etwas zu sagen vermochte, sprach Professor Ruggero schon weiter.

»Ein Elektroskop wird durch den älteren Stoff überhaupt nicht mehr beeinflußt. Es sollte mich wundern, wenn es hier anders wäre. Wir können gleich einen Versuch machen.«

Er ging zu einem Schrank, nahm ein Goldblatt-Elektroskop heraus und stellte es auf den Tisch; griff dann nach einer Schellackstange, rieb sie an seinem Rockärmel und berührte den Knopf des Elektroskopes damit. Nur einen kurzen Moment zuckten die Blättchen in dem Elektroskop, doch sie spreizten sich nicht auseinander.

Ruggero stutzte. Ein zweites und drittes mal wiederholte er den Versuch, doch stets mit dem gleichen negativen Ergebnis.

»Per bacco! Was ist das?« Er nahm das Elektroskop, das unmittelbar neben der geöffneten Bleibüchse stand, brachte es in die entfernteste Ecke des Zimmers und versuchte es zum viertenmal. Diesmal schlugen die Goldblättchen zwar auseinander, doch sie beharrten nicht lange in dieser Stellung. Nach wenigen Sekunden waren sie bereits wieder zusammengefallen.

Professor Ruggero stand vor einem unerwarteten Phänomen, und sein Forschungseifer wurde rege. Für die nächsten Minuten vergaß er die Gegenwart Tomaseos und alles andere um sich her. Er lief zu der Bleibüchse und legte den Deckel wieder auf. Er riß alle Fenster auf, um die möglicherweise durch eine Strahlung ionisierte Luft des Zimmers durch Frischluft zu ersetzen. Er begann danach wieder mit dem Elektroskop zu arbeiten, und diesmal beharrten die auseinandergespreizten Blätter in ihrer Lage. Er stellte das Elektroskop dicht neben die Bleibüchse, und die Goldblättchen blieben auseinandergespreizt. Er hob den Deckel von der Büchse ab, und sofort fielen die Blätter zusammen.

Ruggero hatte gefunden, was er suchte, und kam wieder zu sich. Er warf sich in einen Sessel, blickte Tomaseo an und sprach zu ihm.

»Ihre Meteoritentheorie hat einen schweren Stoß bekommen, der neue Stoff strahlt tausendmal stärker als die alte Probe. Es ist unwahrscheinlich, daß beide den gleichen Ursprung haben.«

Enrico Tomaseo versuchte etwas zu erwidern und seine Hypothese zu verteidigen, aber Ruggero wies jeden seiner Einwände unter Berufung auf die eben gemachten Messungen zurück.

»Ich hätte vielleicht lieber nicht nach Kalifornien fahren sollen«, meinte Tomaseo schließlich und brachte dadurch Ruggero erst recht in Harnisch. »Wollen Sie Tatsachen aus dem Wege gehen, weil Sie Ihnen unbequem sind?« fuhr er ihn an. »Sehr gut war es, ganz vorzüglich war es, daß Sie diese Reise unternommen haben. Was kommt es darauf an, wenn ein paar Theorien oder Hypothesen krachengehen? Die Hauptsache ist es, daß wir die Wahrheit ergründen.«

Ebenso schnell wie Professor Ruggero ins Feuer geraten war, beruhigte er sich wieder. »Kommen Sie, Tomaseo«, sagte er in verändertem Ton, »wir wollen das neue Material chemisch untersuchen.«

Der halbe Tag verstrich darüber. Zu dritt waren sie an der Arbeit, reduzierten, chlorierten und oxydierten, setzten Lösungen an, titrierten und verdampften, bis das Ergebnis mit Sicherheit vorlag.

»Der ersten Probe ähnlich, aber durchaus nicht das gleiche«, faßte Ruggero das Resultat der Analyse in wenige Worte zusammen. »Es ist ebenfalls ein radioaktives Blei und ein Kohlenwasserstoff, aber in einem anderen Mengenverhältnis.«

»Es konnte doch von demselben Meteor stammen wie das andere«, versuchte Tomaseo seine alte Theorie zu verteidigen.

»Der Gehalt an einem paraffinähnlichen Kohlenwasserstoff ist rund doppelt so hoch wie bei dem älteren Material«, warf Ruggero ein.

»Man hat schon öfter beobachtet, daß die prozentuale Zusammensetzung eines Meteors von Stelle zu Stelle stark wechselt«, meinte Tomaseo dawider.

Bisher hatte Villari dem Disput der beiden andern schweigend zugehört. Jetzt nahm er das Wort. »Haben sich die Herren bereits eine Erklärung dafür gemacht, wie Paraffin in ein Meteor hineinkommt?«

Ruggero antwortete mit einer abweisenden Bewegung. »Ich habe diese Meteoritentheorie niemals vertreten.«

Tomaseo suchte nach Worten und redete viel, ohne doch überzeugend wirken zu können. Er kam vom Hundertsten ins Tausendste, bis Villari ihm mit einer Bemerkung dazwischenfuhr.

»Ich glaube nicht an deine Meteoritentheorie, Enrico! Paraffin ist ein organischer Stoff. Organischer Stoff fliegt nicht im Weltraum umher. Das Material hier«, er wies auf die vor ihm stehenden Analysen, »ist von irdischer Herkunft und . . . hörst du, Enrico, wenn mich nicht alles täuscht, stammt es aus einem Laboratorium, wo es von Menschenhand zusammengemischt wurde.«

Tomaseo wollte aufbrausen, Professor Ruggero hielt ihn zurück. Nüchterne Kritik, fast Abweisung klang aus seinen Worten, als er zu Villari sprach.

»Wieder eine neue Hypothese, fast noch abenteuerlicher als die Ihres Freundes Tomaseo. Beweise dafür müßten erst erbracht werden. Können Sie eine Erklärung für die verschiedene Zusammensetzung der beiden Proben geben, die wir in Händen haben?«

»Selbstverständlich, Professor Ruggero, die beiden Proben stammen von zwei verschiedenen Versuchen . . . derselben Versuchsreihe natürlich, bei der man die Paraffinbeimengung von Versuch zu Versuch verändert hat.«

»Nicht übel, mein lieber Villari.« Ruggero wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. »Ihre Hypothese könnte in der Tat etwas für sich haben, wenn nicht . . . wenn Sie, ja wenn Sie auch dafür noch eine Erklärung hätten, wie diese Stoffe in unsere Atmosphäre gelangt sind, sich über die ganze Erde hin in der Luft umhertreiben, bald hier bei uns, bald irgendwo in Amerika niederfallen.«

»Erinnern Sie sich noch an unsere erste Besprechung, Herr Professor, als wir Ihnen die erste Probe brachten? Damals gaben Sie selbst der Vermutung Ausdruck, daß das Stück durch eine Explosion in die Höhe geschleudert worden sein könnte?« Ruggero stutzte. Er entsann sich. Ja, das hatte er damals freilich gesagt; hatte sogar Nachforschungen angestellt und bald herausgefunden, daß in der Nähe von Rom keinerlei Explosionen stattgefunden hatten.

»Eine Explosion, die ihre Sprengstücke über den halben Erdball verstreut?!« Professor Ruggero begann sich wieder zu ereifern. »Wir sind Wissenschaftler und keine Phantasten, Villari! Wenn Sie mir keine bessere Erklärung geben, muß ich Ihre Theorie ebenso verwerfen wie die Ihres Freundes Tomaseo.«

Villari kannte seinen Chef zur Genüge, um zu wissen, daß ein weiterer Widerspruch ihn nur noch mehr erregt hätte.

»Ich möchte etwas anderes vorschlagen«, lenkte er deshalb ein. »Wir haben in unserm Institut auch schon radioaktives Blei hergestellt. Wenn man es in Staubform brächte und mit Kohlenwasserstoffen vermengte, könnte man vielleicht eine ähnliche Substanz erzeugen wie dies hier. Man müßte eine Versuchsreihe ansetzen, die Beimengung von Fall zu Fall verändern . . .«

Bei jedem der letzten Worte, die Villari sprach, hatte Ruggero zustimmend genickt. Jetzt unterbrach er ihn lebhaft.

»Das ist ein Vorschlag, der sich hören läßt. Woher der fremde Stoff stammt, soll uns jetzt nicht weiter kümmern. Selber herstellen wollen wir ihn, das ist das einzig richtige.«

Das Material für das beabsichtigte Experiment war im Institut vorhanden. Von früheren Arbeiten her lag im Laboratorium noch ein Kilogramm radioaktives Blei, und Paraffin der verschiedensten Sorten war in den Büchsen der Chemikaliensammlung enthalten. Das Ziel hatte Professor Ruggero mit klaren Worten angegeben, nur der Weg zu seiner Erreichung war noch strittig. Zwei Stoffe sollten in einem bestimmten Verhältnis gemischt werden. Sollte man den Bleistaub in das Paraffin schütten oder umgekehrt verfahren? Sollte man das Paraffin in die Form feiner Flöckchen bringen, oder sollte man es durch Erwärmung einfach flüssig machen? Scheinbar alles Fragen von nebensächlicher Bedeutung und doch Fragen, deren Wichtigkeit Ruggero und seine Leute instinktiv ahnten, ohne eine sichere Begründung dafür zu haben.

Tage hindurch berieten sie darüber hin und her, ohne zu einem Entschluß zu kommen, während sie inzwischen bereits alles für die Versuche vorbereiteten. Da stand auf dem Laboratoriumstisch eine schwere Platinschale, in welcher der radioaktive Bleistaub flimmerte und schimmerte. Dicht daneben eine andere, die mit geflocktem Paraffin gefüllt war. Für den Fall, daß man doch mit geschmolzenem Paraffin arbeiten wollte, war auch bereits ein Wasserbad auf dem Tisch aufgebaut und schon so weit betriebsfertig, daß man nur noch die elektrische Beheizung des Wasserbehälters einzuschalten brauchte. Nur noch der letzte Entschluß fehlte, dann konnte das Experiment in wenigen Minuten vonstatten gehen.

Wieder war darüber ein Abend hereingebrochen, und Ruggero und seine Gefährten rüsteten sich, ihre Arbeitsstelle zu verlassen. Noch einmal schaute Professor Ruggero nach dem Tisch; dann wanderten seine Blicke über die lange Reihe der Wandschränke, die mit wertvollem chemischem Gerät gefüllt waren, und blieben schließlich an den Fenstern haften. Nachdenklich, zuerst mehr zu sich selbst als zu den andern, sprach er:

»Wir sind hier im Erdgeschoß zu wenig gesichert. Wenn jemand Lust auf unsere Platintiegel bekäme, könnte er leicht einsteigen. Vor die Fenster müssen kräftige Stahlgitter kommen. Ich wollte es schon längst veranlassen, habe es im Drange der Geschäfte immer wieder vergessen. Erinnern Sie mich morgen daran, Villari, daß ich das in die Wege leite . . . und morgen müssen wir auch zu einem Entschluß kommen. So oder so muß morgen ein Versuch gemacht werden!«

Als letzter verließ er hinter den anderen den Raum und ließ die Tür ins Schloß fallen. Vor dem Gebäude des Instituto Fisiko trennten sich ihre Wege; Professor Ruggero ging nach der einen Seite, Villari und Tomaseo nahmen die entgegengesetzte Richtung.

»So oder so – hat Ruggero gesagt«, nahm Tomaseo das alte Thema wieder auf. »Um die Wahrheit zu sagen, Carlo, mir graut vor diesem Versuch. Was könnte geschehen, wenn er von zwei Wegen den falschen wählt?«

Villari lachte. »Mache dir keine unnützen Sorgen, Enrico. Ruggero ist ein vorsichtiger Mann. Er wird höchstens mit Milligrammen arbeiten. Da ist auch im schlimmsten Fall kaum etwas zu befürchten.« Während er weitersprach, übertrug sich seine Sorglosigkeit auch allmählich auf Tomaseo.

»Alles Gute denn auf morgen, Carlo«, sagte er beim Abschied, als sich bei der nächsten Querstraße ihre Wege trennten.

Professor Ruggero lag in festem Schlaf, als sich um die zweite Morgenstunde das Telephon neben seinem Bett meldete. Geraume Zeit mußte die Glocke schellen, bevor er aus dem Tiefschlaf zu sich kam und nach dem Hörer griff, aber dann war er in einer Sekunde blitzmunter.

»Das Institut brennt!« Die drei Worte ließen ihn mit einem Satz aus dem Bett springen. In fliegender Hast kleidete er sich an, stürmte aus seinem Haus und machte sich, mehr laufend als gehend, auf den Weg. Nicht lange, und der gerötete Himmel zeigte ihm, daß er sich seinem Ziele näherte. Noch ein paar Minuten, und er stieß auf die Kette der Feuerwehrleute und Carabinieri, die die Brandstelle absperrten. Man wollte ihn aufhalten, er wies sich aus, und man ließ ihn passieren. Zwischen Schlauchleitungen und Gerätewagen drang er weiter vor, aber nicht mehr allzu weit, denn eine unerträgliche Hitze strahlte das Feuer aus. In eine lodernde Riesenfackel war das Monumentalgebäude des Instituto Fisiko verwandelt. Schon stürzte der eiserne Dachstuhl in dem Flammenmeer zusammen, weithin eine mächtige Funkengarbe verstreuend.

Wirkungslos schienen die Wassermassen zu bleiben, welche von allen Seiten aus hundert Rohren in die Glut geworfen wurden. Schon jetzt war es klar, daß das Gebäude nicht zu retten war. Die Wehr mußte sich darauf beschränken, die umliegenden Häuser zu schützen, während das Institut bis auf die Grundmauern ausbrannte.

Drei Tage hatte die Wehr mit den Aufräumungsarbeiten zu tun. Schuttmassen waren fortzuschaffen, verkohlte Balken und Bohlen wegzuräumen, Mauern, die einzustürzen drohten, niederzureißen. Am vierten Tage war es soweit, daß Professor Ruggero die Stelle, die einst sein Laboratorium war, wieder betreten konnte. Die gewölbte Betondecke, die den Raum vom Keller trennte, hatte dem Feuer standgehalten und war nicht eingestürzt. Zusammen mit Villari und Tomaseo machte sich der Professor daran, die Schuttreste, die noch auf ihr lagerten, zu durchsuchen, von der Hoffnung getrieben, daß die wertvollen Platingeräte seines Laboratoriums die Hitze des Brandes vielleicht unbeschädigt überstanden haben könnten. Was er suchte, fand er nicht. Dafür aber stieß er ungefähr in der Mitte des Raumes auf eine zusammengeschmolzene Metallmasse, die dem hohen Gewicht nach wahrscheinlich reines Platin war.

»Hier stand ungefähr der Tisch, auf dem wir unsern Versuch vorbereitet hatten«, meinte Villari. »Das Platin wird von den beiden Platinschalen stammen.«

Tomaseo widersprach. »Nein, Carlo, dafür wiegt es zu schwer. Das ist ein Mehrfaches von dem Gewicht der beiden Schalen. Wie kommt das hier in die Mitte des Zimmers?«

Währenddessen durchstöberte Ruggero den Schutt an den Wänden, suchte und suchte, bis er seine Bemühungen schließlich als fruchtlos aufgab.

»Es ist wie verhext!« rief er seinen Leuten zu. »Geschmolzenes Glas, Messing und Eisenreste liegen hier, wo die Schränke gestanden haben; keine Spur von den Edelmetallen, von dem Platin und Iridium, das auch darin war, ist zu finden.«

Er stäubte sich ein paar Aschenspuren von seiner Kleidung ab, wandte sich Villari und Tomaseo zu und wunderte sich, als er sah, wie sie die Köpfe zusammensteckten und miteinander flüsterten.

»Haben Sie etwas Neues gefunden?« fragte er, näher herantretend, und schwieg betroffen. Weiße Trümmer hoben sich an der Stelle, auf die Tomaseo und Villari hinstarrten, von dem schwärzlichen Brandschutt ab. Einen hellen, länglichen Fleck bildete das Ganze auf dem dunklen Untergrund. Professor Ruggero berührte es mit dem eisernen Stab, mit dem er den Schutt vor der Wand untersucht hatte, da fielen Teile des fremdartigen Gebildes in sich zusammen, schneeweiße Asche wirbelte auf.

Ruggero bückte sich, griff vorsichtig mit den Fingern hinein und hob etwas auf, das ihm federleicht in der Hand lag.

»Kalk? Kalzinierte Knochen?« murmelte er vor sich hin, während er das Stückchen näher an seine Augen brachte. »Ein Fingerknochen . . . der Knochen von einer menschlichen Hand könnte es sein . . .« Zu den andern gewandt sprach er weiter: »Ein Mensch hat bei dem Brand den Tod gefunden. Wer kann es sein? Der Wächter? Nein! Der konnte sich ja noch retten. Ist mit leichten Brandwunden davongekommen . . . Wer aber kann es dann gewesen sein?«

Ein neues Rätsel, eine neue Frage, die der Brand im Instituto Fisiko den mit der Untersuchung betrauten Behörden aufgab. Der Mann, der allein auf alle diese Fragen eine bündige Antwort hätte geben können, weilte nicht mehr unter den Lebenden.

Zu früher Morgenstunde war der in das Laboratorium Ruggeros eingedrungen und hatte sich im Schein der Blendlaterne über den Inhalt der Wandschränke hergemacht. In Eile stopfte er alles Gerät, das ihm wertvoll erschien, in einen Sack, und wollte den Raum schon wieder verlassen, als er die beiden Platinschalen auf dem Tisch erblickte. Er griff danach und warf sie zu dem übrigen in den Sack. Erst dabei bemerkte er, daß sie mit irgendwelchen Pulvern gefüllt waren, stutzte und wollte einen Fluch ausstoßen.

Er kam nicht mehr dazu. Mit einem Schrei ließ er den Sack fahren, dessen Stoff schon in seiner Hand hell aufflammte, stand einen Augenblick starr. Einen kurzen Moment nur, doch er genügte, um auch seine Kleidung in Brand zu setzen, denn eine höllisch strahlende Glut ging von den Flammen aus. Schon selber brennend, wollte er sich zur Flucht wenden, kam aber nicht mehr dazu. Stürzte zu Boden und verging in dem Flammenmeer, das bald den ganzen Raum erfüllte.

*

Die Besprechungen im Laboratorium von Dr. Thiessen verliefen reibungslos, denn die vier daran Beteiligten waren bereits ganz unabhängig zu dem gleichen Endergebnis gekommen. Bei den bekannten Eigenschaften des Strahlstoffes gab es nur die eine Möglichkeit, den Rotor der Turbine als ein vierflügeliges Rad zu gestalten. Jeder Versuch, mehr Flügel zu verwenden, würde den Bau nur kompliziert haben, ohne einen Vorteil zu bringen.

»Herr Gott ja! Es ist die einzige Möglichkeit, aber die Sache gefällt mir noch nicht«, rief Chefingenieur Grabbe mißmutig und warf den Bleistift auf die vor ihm liegende Zeichnung. »Das Ding sieht so primitiv aus wie ein Rad der alten Wassermühlen von Anno dazumal, aber nicht wie eine Turbine.«

»Sie denken an die vielen Lauf- und Leiträder unserer Dampfturbinen mit tausend und abertausend einzelnen Schaufeln«, äußerte sich Dr. Thiessen dazu. »Ich verstehe, daß Sie gern etwas Ähnliches haben möchten, aber hier haben wir es mit einer ganz anderen Betriebskraft zu tun. Wir müssen ja nicht mit Heißdampf oder Kraftwasser, sondern mit unserm Strahlstoff arbeiten. Die Tatsache, daß wir alle zu der gleichen Lösung gekommen sind, spricht doch dafür, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden.«

»Jedenfalls auf einem gangbaren Wege«, gab Grabbe widerstrebend zu. »Die erste Turbine wollen wir nach den Plänen hier bauen. Es wird immerhin ein Anfang sein, und wir wollen hoffen, daß sich an den Anfang eine glückliche Weiterentwicklung schließen wird.«

Durch die Worte des Chefingenieurs war die Angelegenheit entschieden, und viele Hände begannen sich zu regen, um seinen Entschluß in die Tat umzusetzen. In feuerfeste Formen strömte glutflüssiges Eisen; unter den Backen einer Schmiedepresse wurde rotwarmer Edelstahl gedrückt und geknetet, bis er die auf den Zeichnungen für die Turbine vorgesehenen Formen annahm. Auf Werkzeugmaschinen erhielten die rohen Guß- und Schmiedeteile ihre weitere Bearbeitung, und alle diese Einzelteile formten sich dann in dem Laboratorium von Dr. Thiessen zusammen.

»Wenn man's recht erwägt«, meinte Hegemüller, der die Einzelteile kritisch betrachtete, »dann ist's im Großen nichts anderes als das Ding, was sich bei Hidetawa auf dem Schreibtisch dreht. Vier Flügel auf einer Achse, die von dem Strahlstoff in Bewegung gesetzt wird.«

»Sehr richtig bemerkt, Kollege.« Thiessen lachte und schlug Hegemüller kräftig auf die Schultern. »Etwas größer wird das Ding hier bei uns.« Er deutete, während er es sagte, auf das gut fünf Meter im Durchmesser haltende Flügelrad. »Und da, mein lieber Freund, da beginnt die Schwierigkeit. Hidetawa hat den Strahlstoff einfach auf die Flügel seiner winzigen Lichtmühle aufgespritzt. Wir werden hier eine andere Befestigungsweise wählen müssen, sonst könnte uns die ganze Geschichte bei einer gewissen Tourenzahl um die Ohren fliegen.«

»Aufschrauben, Herr Thiessen! Aufnieten! In Nuten eingießen!«

Ein Dutzend verschiedener technischer Möglichkeiten sprudelte Hegemüller heraus.

»Halt, Freund Hegemüller! Nicht so hitzig. Zügeln Sie Ihre Phantasie!« unterbrach Dr. Thiessen den Redefluß seines Assistenten. »Setzen Sie sich an Ihren Tisch und berechnen Sie mir eine zuverlässige Befestigung. Dann wollen wir weiter über die Sache reden.«

»Gut, Herr Thiessen, soll geschehen«, sagte Hegemüller und machte sich an die ihm aufgetragene Arbeit. Dr. Thiessen begab sich in den Sicherheitsraum, um die Menge des inzwischen fertiggestellten und dort aufbewahrten Strahlstoffes zu überprüfen.

So wie sie aus den neuen Röhren gekommen waren, lagen die gewichtigen Metallkugeln aufgestapelt. Wie Thiessen es schnell überschlug, genügend Stoff, um die Schaufeln des Turbinenrades mit einer fingerstarken Schicht zu belegen. Er wollte den Raum wieder verlassen, als ihm etwas auffiel. An einer der Kugeln fehlte ein Stück. Wie man etwa von einem Apfel mit einem Messer etwas abschneidet, so war hier von der Kugel ein Segment abgetrennt. Nach der Beschaffenheit der Schnittfläche zu schließen, mußte es mit einer Metallsäge geschehen sein. Dr. Thiessen stutzte. Gedanken an Spionage, Sabotage und ähnliches gingen ihm blitzartig durch den Kopf, um ebenso schnell wieder verworfen zu werden. Es war ja ausgeschlossen, daß ein Unbefugter in den Sicherheitsraum eindringen konnte. Aber wer hatte sich dann an dem Strahlstoff vergriffen? Wer hatte ein Stück davon an sich genommen, dessen Gewicht Thiessen auf mehrere Kilogramm schätzte?

Nur jemand, der einen Schlüssel zu dem komplizierten Schloß der Panzertür besaß, konnte es sein. Stiegel? Hegemüller? Ein Verdacht keimte in Thiessen auf. Dem quecksilbrigen, stets neuen Ideen und Möglichkeiten nachjagenden Hegemüller war es viel eher zuzutrauen als dem ruhigen, in sich gekehrten Stiegel. Dr. Thiessen entschloß sich, auf den Busch zu klopfen.

»Sagen Sie mal, Kollege, wofür haben Sie den Strahlstoff gebraucht?« fragte er Hegemüller kurzerhand. Dr. Hegemüller fuhr aus seinen Berechnungen empor. Thiessens Frage kam ihm völlig unerwartet.

»Welchen Strahlstoff, Herr Thiessen?«

Die Verlegenheit war Hegemüller deutlich anzusehen, und Thiessen ließ sich durch dessen Gegenfrage nicht irremachen.

»Das Segment meine ich, Kollege, das sie von einer Strahlkugel im Sicherheitsraum abgeschnitten haben.«

»Ach so, das meinen Sie . . . ja, ich brauchte den Stoff für eine Untersuchung.«

»Hm, für eine Untersuchung, Kollege? Gleich ein paar Kilogramm? Scheint mir etwas reichlich zu sein. Darf man wissen, was Sie untersuchen wollten?«

Hegemüller druckste noch eine Weile, bis er sich entschloß, mit der Sprache herauszukommen. »Ich will es Ihnen sagen, Herr Thiessen, aber Sie dürfen mich nicht auslachen. Ich versuche, die Strahlung zu speichern.«

Dr. Thiessen ließ sich vor Überraschung in einen Stuhl fallen, und jetzt dauerte es bei ihm eine Weile, bevor er Worte fand.

»Die Strahlung speichern?! Sie sprachen schon einmal davon, Herr Hegemüller, und ich habe Ihnen damals schon gesagt, daß Sie keinen Hirngespinsten nachjagen sollen. Wir brauchen unsere Zeit für bessere Dinge.«

»Es geht aber doch, Herr Doktor«, trumpfte Hegemüller auf.

»Bilden Sie sich keine Schwachheiten ein, Kollege.« Thiessen machte eine Bewegung, als ob er die Bemerkung Hegemüllers wegwischen wollte.

»Nein, es geht!« beharrte der bei seiner Meinung. »Sie haben das Fehlen des Strahlstoffes leider etwas zu früh entdeckt. In ein paar Tagen wäre ich von selber zu Ihnen gekommen, um Ihnen meine Ergebnisse zu zeigen.«

»Ihre Ergebnisse? Ja, Mann, bilden Sie sich denn wirklich ein, daß es ein Mittel gibt, den Zerfall unseres Strahlstoffes nach Belieben aufzuhalten?«

»Es gibt ein Mittel, Herr Thiessen, und sogar ein sehr einfaches. Man braucht der Strahlung nur eine Gegenstrahlung entgegenzusetzen. Sobald die Kräfte von beiden Seiten gleich stark sind, kommt das System zur Ruhe. Die Atomzersetzung hört auf.«

Dr. Thiessen blickte nachdenklich zu Boden. Langsam, zweifelnd kamen die Worte aus seinem Mund. »Eine ganz schöne Theorie, Kollege. Aber . . . wie steht es mit der Praxis?«

»Ich hätte gern noch ein paar Tage gewartet, Herr Thiessen, meine Versuche sind noch nicht ganz abgeschlossen, doch wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen heut schon zeigen, was ich gefunden habe.«

Erwartungsvoll folgte Dr. Thiessen Hegemüller zu einem Schrank, und Enttäuschung malte sich in seinen Zügen, als ihm der Assistent seine Versuchsanordnungen zeigte.

»Auf diese simple Manier wollen Sie es schaffen?« meinte er wegwerfend.

»Das einfachste ist meist das beste, Herr Thiessen. Und einfach ist meine Methode. Lachhaft einfach. Das will ich Ihnen gern zugeben. Sehen Sie hier . . .« Er nahm ein in kräftige Schraubzwingen eingespanntes Metall aus dem Schrank. »Ich habe einfach eine ebene Platte unseres Strahlstoffes zwischen zwei Platten aus inaktivem Blei unter möglichst starkem Druck eingespannt, das ganze sich selber überlassen und nur alle vierundzwanzig Stunden die Strahlung gemessen.«

»Und was haben Sie gefunden, Kollege?«

»Es ist so, wie ich es erwartete, Herr Thiessen. Nach kurzer Zeit kommt das System ins Gleichgewicht und damit zur Ruhe.«

Hegemüller holte ein Protokollbuch, in das er seine Meßergebnisse eingetragen hatte, und mit wachsendem Interesse studierte Thiessen die langen Zahlenreihen.

»Nicht übel, mein lieber Hegemüller«, meinte er zum Schluß anerkennend. »Nur wird es sich praktisch schwer anwenden lassen. Sie haben Ihre Metallplatten hier unter einem Mordsdruck zusammengepreßt. Wie soll man das aber bei Strahlmaschinen im Betrieb machen? Ich sehe keine Möglichkeit dafür.«

»Aber verehrter Herr Doktor Thiessen, das wird sich später alles finden«, kämpfte Hegemüller gegen die Zweifelsucht Thiessens an. »Mir galt es darum, erst überhaupt mal einen Weg zu suchen, und den habe ich gefunden. Ob er bequem oder unbequem ist, ob es noch andere, bessere Wege nach dem gleichen Ziel gibt, das halte ich vorläufig wenigstens für Fragen zweiter Ordnung.«

»Fragen aber, Kollege, die gelöst werden müssen, wenn Ihre Entdeckung fruchtbar werden soll. Für die nächsten Tage nimmt uns alle der Zusammenbau der Strahlturbine in Anspruch. Wenn die neue Maschine erst läuft, werden wir weiter über die Sache reden.«

Drei Tage harter Arbeit kamen und gingen, dann konnte Dr. Thiessen den Sperrhebel der Turbine lösen. Erst langsam, dann schnell und immer schneller drehte sich das große Flügelrad, und zusammen mit ihm rotierte auch der Anker der mit der Strahlturbine gekuppelten Dynamomaschine. Elektrischen Strom lieferte die Maschine, der sich in zehntausend Lampen ergoß und sie hell aufleuchten ließ. Zu nutzbringender Arbeit war durch die neue Konstruktion der wild in den Atomen des Strahlstoffes umgehende Zerfall gezwungen, nach menschlichem Willen mußte die atomare Energie leuchten oder wärmen, mußte überall dort dienstbar sein, wohin sie durch den Draht geschickt wurde.

Lange standen Professor Lüdinghausen und Chefingenieur Grabbe vor der neuen Strahlturbine, sahen zu, wie Thiessen damit manövrierte, sie bald stärker, bald schwächer belastete, und steckten dann die Köpfe zusammen. Über die Frage, ob man schon Patente nehmen sollte, und über die Art dieser Patente flogen Rede und Gegenrede zwischen ihnen hin und her, ohne daß sie zu einem Entschluß zu kommen vermochten.

»Es ist vielleicht noch zu früh«, meinte Lüdinghausen. »Aber wenn uns irgendein anderer zuvor käme«, warf Grabbe ein, der in diesem Augenblick an Hidetawa und seine Lichtmühle dachte.

»Wir wollen Doktor Thiessen hören«, entschied Lüdinghausen und winkte ihn heran. Zu dritt verließen sie die Halle und gingen nach dem Direktionsgebäude hinüber.

»Der hohe Rat zieht sich zu einem Konsilium zurück.« Hegemüller, der ihnen durch ein Fenster nachschaute, sagte es zu Dr. Stiegel.

»Ich glaube, die Herren werden über die Patentfrage sprechen«, meinte der.

»Dann wird es voraussichtlich eine lange Sitzung werden. Ich schlage vor, Kollege Stiegel, wir benutzen die Zeit und gehen frühstücken. Kommen Sie mit ins Kasino?«

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als Dr. Stiegel auf die Uhr blickte und Hegemüller ermahnte: »Es wird Zeit, wieder an unsere Arbeit zu gehen.«

»Ach was, wir haben noch Zeit«, lehnte der die Aufforderung ab. »Für die nächste Stunde sitzt Thiessen noch bei der Direktion.«

Hegemüller schickte sich eben an, eine Zigarette anzuzünden, als das Telephon neben dem Tisch klingelte. Er griff nach dem Apparat, hörte einen Moment, deckte ihn dann mit der Hand ab und flüsterte zu Stiegel:

»Den Teufel auch! Lüdinghausen will mich sprechen. Woher weiß der schon wieder, daß wir hier im Kasino sitzen?«

Bevor Dr. Stiegel etwas antworten konnte, sprach Hegemüller schon wieder in den Apparat.

»Jawohl, Herr Professor, ich komme sofort.«

Was kann der Alte von mir wollen? ging's Hegemüller durch den Kopf, während er den Hörer wieder auf die Gabel legte.

Einen ähnlichen Gedanken mochte auch Stiegel hegen, der dem Davoneilenden noch nachrief: »Na, was wird's geben? Einen Lobstrich oder einen Tadelstrich?«

Hegemüller hörte die letzten Worte nicht mehr, doch Stiegel spann den Gedankengang für sich allein weiter, indem er Vergleiche zwischen sich und Hegemüller anstellte. Er selbst, das Zeugnis durfte er sich mit gutem Recht ausstellen, fleißig und gewissenhaft, stets bemüht, sich an die Vorschriften zu halten und unerwünschte Zwischenfälle zu vermeiden, die sich bei der Art ihrer Arbeiten nur allzu leicht einstellen konnten. Der andere ein Quirlkopf, stets neuen Ideen und Möglichkeiten nachjagend, draufgängerisch.

Öfter als einmal hatte der bei seinen Versuchen ganz gehörig Scherben gemacht. Dr. Stiegel entsann sich eines Falles vor Jahresfrist, wo die Stellung seines Kollegen im Institut nach einem solchen Vorfall fast unhaltbar geworden zu sein schien. Aber immer wieder war er mit einem blauen Auge davongekommen. Mit einer unbegreiflichen Nachsicht war Professor Lüdinghausen über diese Dinge hinweggegangen, für die nach seiner, Stiegels Meinung, zum mindesten ein scharfer Verweis, wenn nicht die Entlassung am Platz gewesen wäre. War jetzt die Geduld des Professors vielleicht doch zu Ende? Würde er Hegemüller in eine andere Abteilung stecken, in der er weniger Gelegenheit hatte, Unheil anzurichten? Nach einigen Äußerungen Thiessens schien es Dr. Stiegel nicht ausgeschlossen zu sein. Während er die Möglichkeit in Betracht zog, bedauerte er sie auch schon, denn es kam ihm zum Bewußtsein, daß er doch Jahre angenehmer Zusammenarbeit mit Hegemüller verbracht hatte.

»Nehmen Sie Platz, Herr Doktor.« Professor Lüdinghausen wies auf einen vierten leeren Stuhl am Tisch und musterte Hegemüller mit einem langen, prüfenden Blick.

Was will der Alte von mir? wiederholte Hegemüller in Gedanken die Frage, die er vorher im Kasino laut geäußert hatte. Dabei liefen seine Augen schnell über den Tisch und die an ihm Sitzenden. Er sah, daß die Schreibblöcke vor Thiessen und Grabbe kreuz und quer mit Bleistiftstrichen bedeckt waren, aus denen ein Kundiger vielleicht irgendeine Konstruktion enträtseln konnte. Er blickte in die Gesichter und glaubte die Zeichen einer Erregung darin zu entdecken. Gespannt wartete er auf die weiteren Worte Lüdinghausens.

»Herr Doktor Thiessen hat uns berichtet«, begann der Professor, »daß Sie sich mit einem Problem beschäftigt haben, dessen baldige Lösung auf das äußerste erwünscht ist.«

»Eine Lösung habe ich bereits gefunden, Herr Professor.«

»Wissen wir, Herr Doktor Hegemüller. Ihre Lösung ist theoretisch interessant; ob sie sich auch praktisch anwenden läßt, darüber sind wir noch im Zweifel.«

Hegemüller zuckte die Achseln. »Ich sagte schon zu Herrn Doktor Thiessen, daß es erst ein Anfang ist, Herr Professor. Selbstverständlich wird man hart und verbissen arbeiten müssen . . .«

»Hart und verbissen; sehr richtig, Herr Doktor Hegemüller. Trauen sie sich die Arbeit zu?«

»Gewiß, Herr Professor, aber es wird Zeit kosten. Die andern Aufgaben im Laboratorium nehmen mich stark in Anspruch.«

»Davon wollen wir Sie befreien, Herr Hegemüller. Wir sind zu dem Entschluß gekommen, Ihnen ein besonderes Laboratorium zu geben, in dem Sie Ihre Arbeitskraft ausschließlich dem Problem der Strahlungsspeicherung widmen sollen. Herr Doktor Thiessen entbehrt Sie nur ungern, aber er stimmt mit mir darin überein, daß diese Regelung für die Sache selbst die beste ist.«

Je weiter Lüdinghausen sprach, um so wilder wirbelten die Gedanken Hegemüllers durcheinander. Wenn er sich auch mit unbefangener Miene von seinem Kollegen Stiegel im Kasino getrennt hatte, um dem Ruf Lüdinghausens zu folgen, so war er innerlich doch nicht so ganz ruhig gewesen. Auf dem Wege über die Treppen hatte er noch einmal in Eile sein Sündenregister überschlagen und dabei gefunden, daß sein Gewissen zum mindesten nicht so rein war wie etwa das seines Kollegen Stiegel.

Es hätte ihn nicht wundergenommen, wenn Professor Lüdinghausen ihm eine kleine Standrede über allerhand Eigenmächtigkeiten gehalten und ihn zu größerer Zurückhaltung ermahnt hätte, und nun kam es ganz anders. Anerkennung für das, was er getan hatte, klang aus den Worten Lüdinghausens. Ein eigenes Laboratorium würde ihm zur Verfügung gestellt werden, einen Stab von Mitarbeitern würde er sich zusammenstellen dürfen. Frei von allen andern Verpflichtungen würde er sich ganz der einen Aufgabe widmen dürfen, auf deren Lösung er seit Wochen brannte.

Dr. Hegemüller hätte im Überschwang der Freude laut aufjubeln mögen, doch die nächsten Worte Lüdinghausens stimmten ihn wieder ernster. Von den Pflichten sprach der Professor jetzt, die das neue Amt ihm, Hegemüller, auferlege, und von dem, was die Werkleitung von ihm erwarte.

»Ich danke Ihnen, Herr Professor«, antwortete er, als Lüdinghausen geendet hatte. »Ich verspreche Ihnen, mein möglichstes zu tun. Alles, was an mir liegt, soll geschehen, um den Erfolg zu erzwingen.«

Lüdinghausen streckte ihm die Rechte hin, und Hegemüller schlug kräftig ein. »Ich nehme Ihr Versprechen an, Herr Doktor«, sagte der Professor. »Als Arbeitsstelle bekommen Sie die neue Halle neben der Abteilung Thiessen. Alles weitere wird Ihnen Herr Grabbe mitteilen.«

Wie im Traum stieg Hegemüller die Treppen wieder hinab. Während er langsam Stufe für Stufe nahm, schmiedete er im Geiste schon Pläne, wie er sein Laboratorium einrichten, welche Arbeiten er zuerst in Angriff nehmen würde.

*


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