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Ausklang

Bolton und Garrison machen Bilanz. Das letzte Gold geht nach Deutschland. Die Werke am Krater verschwinden. Ein gigantischer Sprengschuß. Noch einmal die Amerikaner. Dr. Schmidt spielt seine besten Trümpfe aus.

Captain Andrew war nicht zugegen. Reichlich dreitausend Kilometer trennten ihn von der Stadt Detroit, wo Bolton in einem Zimmer des Flint-Hotels saß und verdrossen in allerlei Schriftstücken blätterte. So konnte der Captain auch nicht Einspruch erheben, als Bolton nach der Flasche griff und sich einen Soda-Whisky mischte. Er goß ihn hinunter, schritt zum Fenster und starrte schweigend in die Woodward-Avenue hinaus.

In einem bequemen Sessel saß Garrison. Gute Pflege und die Kunst der Ärzte hatten ihn wieder hergestellt. Hätten an seiner Rechten nicht zwei Finger gefehlt, so hätte nichts mehr an jene Leidenszeit in der Antarktis erinnert.

Bolton brummte etwas Unverständliches vor sich hin.

»Sie sind enttäuscht, Bolton. Ich bin es auch. Aber trotzdem können wir im Grunde doch immer noch . . .«

Mit einem Ruck drehte sich Bolton um und fiel ihm jäh ins Wort.

»Den Teufel was können wir, Garrison! Noch ein Dutzend solcher Geschäfte wie das und ich kann den Laden zumachen.«

Er kehrte zu dem Tisch zurück und griff wieder nach den Papieren. »Hier ist die Abrechnung der Melting and Refining Company: Hundert Tonnen Erz empfangen und verarbeitet. Kostenpunkt: tausend Dollars pro Tonne, macht hunderttausend Dollars. Ergebnis: neunhundert Kilogramm Platin, vier Tonnen Silber, Spuren von Gold. Alles in allem aus den hundert Tonnen noch längst kein Kilo Gold. Der Rest reines Eisen. Schönes Geschäft, Mr. Garrison, zu dem Sie mich da beschwatzt haben.«

Garrison zog seinen Sessel näher an den Tisch heran und begann mit Bleistift und Papier zu rechnen.

»Vier Tonnen Silber, sagten Sie, Bolton?«

Der knurrte etwas Unverständliches, Garrison fuhr fort.

»Das Kilogramm Silber notiert augenblicklich zwei Dollars. Sind immerhin schon achttausend Dollars. Neunhundert Kilogramm Platin, die letzte Notierung für das Kilogramm lag bei tausend Dollars. Macht neunhunderttausend, zusammen mit dem Silber 908 000 Dollars. Ziehen wir die Rechnung der Melting and Refining Company ab, bleiben 808 000 Dollars für uns.«

Bolton wühlte in den Schriftstücken und zerrte ein anderes Blatt hervor.

»Sie rechnen wie ein Schuster, Garrison! Hier sind unsere andern Unkosten zusammengestellt. Ich will Ihnen nur die wichtigsten Posten nennen. Ein Flugzeug verloren. Zwei Reisen der ›City of Boston‹ nach dem Mac-Murdo-Sund. Captain Andrews Expedition ausgerüstet. Zum Schluß noch der unverschämte Zoll, den sie uns in Frisko für das Erz abgenommen haben. Alles in allem eine halbe runde Million Dollars. Ich danke schön für das Geschäft . . . was Sie so ›Geschäft‹ zu nennen belieben.«

Ungeduldig griff Garrison wieder zum Bleistift und rechnete weiter. »Ziehen wir also die halbe Million Dollars auch noch ab, so bleiben immer noch 308 000 Dollars Reingewinn. Ich meine, auch damit könnten Sie zufrieden sein.«

Bolton griff sich an die Stirn und warf seinem Partner einen wütenden Blick zu.

»Sie sind ein kompletter Narr, Garrison! Anders kann ich mir Ihre Rede nicht erklären. Bilden Sie sich denn wirklich im Ernst ein, daß ich mir ein volles Jahr meines Lebens um die Ohren schlage, mich in Abenteuer und Strapazen stürze, um schließlich mir einem lumpigen Gewinn von 300 000 Dollars . . .«

». . . 308 000 Dollars,« wagte Garrison einzuwerfen.

». . . von 300 000 Dollars, die ich noch nicht einmal habe, herauszugehen,« brüllte Bolton. »Ich habe sie ja noch nicht einmal. Die neunhundert Kilogramm Platin müssen erst noch an den Mann gebracht werden. Es sind zwanzig Prozent der jährlichen Weltproduktion. Wer weiß, wie der Markt darauf reagieren wird. Mit Gold wäre es etwas anderes. Das hält seinen Preis. Der Platinpreis schwankt von Jahr zu Jahr. Er braucht nur um dreihundert Dollar pro Kilo abzuschlagen, dann ist der ganze Gewinn beim Teufel.«

»Man muß das Metall vorsichtig auf den Markt bringen. In kleineren Mengen, so daß der Preis nicht gedrückt wird,« versuchte ihn Garrison zu beschwichtigen.

Bolton lachte auf. »Sehr hübsch gesagt! Sie haben ja keine Ahnung, wie es an der Metallbörse in Wirklichkeit zugeht. Die Interessenten in Chicago und New York wissen heute schon längst, daß für meine Rechnung bei der Melting and Refining Company neunhundert Kilogramm Platin lagern. Darauf können Sie Gift nehmen, Garrison! Sie wissen auch, daß ich damit auf den Markt kommen muß, und sie werden ihre Preise danach machen. Der Metallhandel ist nicht besser als der Pferdehandel.« –

Bolton sprach aus Erfahrung. Er hatte in früheren Jahren manchen fetten Fischzug an der Metallbörse gemacht, und kannte sich in allen dabei üblichen Tricks und Kniffen genau aus. Einen Teil seiner Millionen hatte er mit Kupfer und Zinn verdient, indem er blanko teuer verkaufte und vor dem Liefertermin die Preise durch allerlei dunkle Manöver ins Bodenlose drückte. Jetzt waren die Rollen vertauscht und während der nächsten Wochen bedurfte es aller Gerissenheit von Seiten Boltons, um seine Vorräte abzusetzen, ohne daß die Preise dabei allzu sehr sanken.

Als er das letzte Kilo glücklich los war und das Fazit zog, blieb ihm gerade noch ein Reingewinn von zweihundertfünfzigtausend Dollars. Mit saurem Gesicht schrieb er den Scheck aus, der Garrison zehn Prozent davon überwies. Die Feder spritzte, als er den Schlußstrich seines Namens zog.

»So Garrison! Da haben Sie Ihren Anteil. Einmal und nicht wieder. Von der Antarktis bin ich kuriert.«

Garrison löschte den Scheck ab und barg ihn sorgsam in seiner Brieftasche.

»Captain Andrew hofft,« begann er vorsichtig, »daß Sie ihm die Mittel für seine nächste Expedition zur Verfügung stellen werden . . .«

»Da hofft Captain Andrew vergeblich,« unterbrach ihn Bolton unwirsch. »Er soll sich seinen verdammten Wagen flicken lassen, von wem er Lust hat. Die nächste Reise mag ihm meinetwegen des Teufels Großmutter bezahlen. Ich nicht, Garrison! Ein zweites Mal falle ich auf den Schwindel nicht rein.«

»Aber das Gold, Mr. Bolton. Sie haben es selbst gesehen. Ich habe Ihnen doch meine ersten Schmelzproben gezeigt.«

Bolton machte eine wegwerfende Bewegung.

»Was haben Sie mir denn gezeigt? Einen Fingerhut voll Gold! Ich könnte mir heute noch die Haare ausraufen, daß ich darauf reingefallen bin. Ein paar hundert Gramm Gold hat die Melting-Company aus den hundert Tonnen herausgeholt, das war die Mühe weiß Gott nicht wert.«

Vergeblich versuchte es Garrison noch ein letztes Mal mit dem Hinweis auf die großen Goldgewinne der deutschen Regierung, seinen Partner umzustimmen.

»Niemals, Garrison! niemals wieder! Das ist mein letztes Wort in dieser Sache. Wenn Sie einen Dummen brauchen, müssen Sie sich an jemand anderes wenden. Für mich ist die Sache ein für allemal erledigt.«

Garrison sah das Zwecklose seiner Bemühungen ein und wollte gehen, als Bolton noch einmal anfing. »Ein wahres Glück übrigens, daß mein Telegramm an den Präsidenten, das ich damals auf der ›Fréjus‹ aufgab, nicht angekommen ist. Das hätte eine schöne Blamage für mich werden können. Manchmal haben auch Ätherstörungen ihre Vorteile.«

Garrison hielt den gegenwärtigen Augenblick nicht für angebracht, Bolton darüber zu unterrichten, daß jene Depesche in Wirklichkeit niemals abgegangen war. Er verabschiedete sich, um vorläufig nach Pasadena zurückzukehren.

Bolton machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten. Sein Hirn spielte bereits mit andern Ideen, die ihm während der Abwicklung des Platingeschäftes gekommen waren. Die verlorene Zeit, der verlorene Gewinn eines Jahres mußten irgendwie wettgemacht werden, und er sah Möglichkeiten dafür, die ihn von Stunde zu Stunde mehr beschäftigten. Sie waren vielleicht nicht ganz mit den Gesetzen der amerikanischen Union in Einklang, aber sie versprachen einen schnelleren und größeren Gewinn als das antarktische Unternehmen, an das er in späteren Jahren nur noch mit flüchtigem Bedauern zurückdachte.

*

Ein neuer Tag brach in der Antarktis an. Wie in flüssiges Gold getaucht erschienen die Industriebauten am Bolidenkrater in den Strahlen der wieder hochkommenden Sonne. Fast zwei Jahre waren verflossen, seitdem man hier mit dem Abbau der wertvollen Erzadern begann. Viele lange Monate hindurch hatten sich die Bohrmaschinen ohne Unterbrechung in den metallischen Grund hineingefressen, fast unablässig hatte der Donner schwerer Sprengungen den Krater durchtost. In steter Arbeit hatte der elektrische Strom in den Aufbereitungsanlagen das gediegene Gold aus dem gewonnenen Erz gezogen, durch fast fünfhundert Tage und ebenso viele Nächte war ununterbrochen das dröhnende Spiel der Münzstempel erklungen, die es zu Kronen und Doppelkronen ausprägten. Jeder Ader, die das gelbe Metall enthielt, waren die Sprengungen in die Teufe nachgegangen, soweit sie lief. Weite Mulden waren dort entstanden, wo man während der letzten Wochen noch das Eisen für den deutschen Deichbau gebrochen hatte.

Nun ging die Arbeit zu Ende. Das Goldnest war leer, war restlos ausgenommen. Professor Eggerth und Ministerialdirektor Reute, die am Rande des Kraters standen, die Abbaupläne des Kratergrundes in den Händen, konstatierten es in der gleichen Sekunde.

»Ihre Schätzung traf genau zu, Herr Professor,« sagte Reute. »Mit dem letzten Gold, das unsere Schiffe heute nach Deutschland mitnehmen, kommen wir auf zwanzig Milliarden und ein paar Millionen.«

Professor Eggerth faltete die Pläne nachdenklich zusammen.

»Ein gewaltiges Geschenk, Herr Reute, das uns hier buchstäblich vom Himmel fiel. Es lag in der Tiefe verborgen. Nun, wir haben nicht wie der Schalksknecht der Bibel gehandelt, wir ließen unser Pfund nicht vergraben. Wir haben es herausgeholt und wollen getreulich damit wirtschaften.«

Reute ging ein paar Schritte weiter zu dem Kraterrand hin und Professor Eggerth folgte ihm.

Beide blickten in den Schlund hinab. Es war still dort in der Tiefe, wo noch vor kurzem der brausende Takt rastloser Arbeit dröhnte. Nur noch wenige Lampen erhellten den dunklen Grund, Werkleute waren an der Arbeit, Bohrmaschinen und Feldbahngleise zu demontieren und die einzelnen Teile zu den Fahrstühlen zu bringen.

»Kehraus, mein lieber Reute!« sagte der Professor. »Es stimmt immer ein bißchen wehmütig, wenn man mit ansieht, wie eine Arbeitsstätte aufgegeben wird.«

Der Ministerialdirektor schüttelte den Kopf.

»Es will mir immer noch nicht recht eingehen, Herr Eggerth, daß wir den Abbau schon aufgeben. Die Regierung in Berlin hat es beschlossen und als Beamter muß ich den Beschluß ausführen. Aber mit vollem Herzen bin ich nicht dabei. Die vielen Tausende von Tonnen reinen Nickeleisens, die da unten noch lagern . . . und dann vor allen Dingen die Unmengen von Platin, die man aus dem Erz ziehen könnte. Ich sehe nicht ein, warum man das nicht ausnutzen will.«

Der Professor konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Es lag noch auf seinem Gesicht, als er Reute antwortete.

»Haben Sie vergessen, Herr Ministerialdirektor, wie sehr der Platinmarkt schon durch die paar hundert Kilo erschüttert wurde, die wir unserem Freunde Bolton zukommen ließen? Der Platinbedarf der Welt ist nur gering. Es gibt genug vollwertige Ersatzstoffe dafür. Kämen wir auch nur mit ein paar Dutzend Tonnen dieses Metalls auf den Markt, so würden die Preise sofort ins Bodenlose stürzen. Es lohnt sich wirklich nicht, den Abbau hier noch fortzusetzen, so verlockend er auf den ersten Blick vielleicht auch scheinen mag.«

Reute schüttelte den Kopf. »Ich weiß, Herr Professor, daß der Beschluß unserer Regierung zum Teil auf Ihr Gutachten zurückzuführen ist. Trotzdem will es mir nur schwer eingehen, daß wir die Kraterstation aufgeben sollen.«

Professor Eggerth merkte wohl, daß die Angelegenheit dem Ministerialdirektor ernstlich zu Herzen ging, und er wurde selbst ernst, während er weitersprach.

»Sie dürfen überzeugt sein, Herr Reute, daß mein Gutachten auf sehr genauen Berechnungen basiert. Wir müßten das Nickeleisen hier mit immerhin ziemlich erheblichen Kosten gewinnen und um den halben Erdball nach Deutschland schaffen. Das ließ sich nur durchführen, solange der Hauptspesenanteil der Kraterstation durch die Goldausbeute gedeckt wurde. Vor allen Dingen aber dürfen wir die Einschlagstelle nicht länger offen liegen lassen, Herr Reute. Denken Sie an die verschiedenen höchst unerwünschten Neugierigen, die auf dem Wege nach der Antarktis sind. Es ist besser, wenn sie nicht einmal eine Spur mehr von dem finden, was hier einmal gewesen ist. Es mag für manchen schmerzlich sein, aber in unserer Lage ist es das Richtige, und ich freue mich, daß unsere Regierung hier meinem Vorschlag zugestimmt hat.«

Die beiden Herren verließen ihren Standort am Kraterrand und gingen weiter zu dem Verwaltungshaus, in dem Reute und jetzt während dieser letzten Woche auch Professor Eggerth ihre Büros hatten. Arbeit in Menge harrte ihrer dort. – – –

Von allen Seiten trommelte und dröhnte es in den Lüften. Es schien, als ob die ganze Luftflotte der Eggerth-Werke sich hier in der fernen Antarktis ein Stelldichein gäbe. In kurzen Zwischenräumen kamen die neuesten größten Stratosphärenschiffe an. Maschinen und Bauteile aller Art verschwanden in ihren Rümpfen und voll beladen mit Material und Menschen stiegen sie bald wieder auf, um ihre Last nach Deutschland zu bringen.

Schon seit Tagen war der Krater selbst vollkommen geräumt. Viel schneller als sie einst entstanden waren, verschwanden nun auch die Bauten an seinem Rande. Nur noch der geebnete Felsboden verriet die Stelle, an der das große Kraftwerk so lange gestanden hatte. Verschwunden waren die ausgedehnten Wohnbaracken zusammen mit der bergmännischen Belegschaft, die in ihnen gehaust hatte. Nur eine kahle Stelle zwischen Erzhalden verriet dem Wissenden, daß hier einmal die Erzaufbereitung stand. Reute hatte seinen Arbeitsplatz in eine Kabine von ›St 14‹ verlegen müssen, die Professor Eggerth ihm einräumte. Man schrieb den siebenten April, als der leitende Ingenieur ihn dort aufsuchte und meldete.

»Herr Ministerialdirektor, die Arbeiten sind beendet. Die letzten Schiffe sollen in einer Stunde nach Deutschland abgehen.«

Reute nickte. »Ich danke Ihnen. Glücklichen Heimflug für Sie und alle die andern.«

Der Ingenieur wollte gehen, als ihn Professor Eggerth aufhielt.

»Sind die Sprengkammern geladen?«

»Jawohl, Herr Professor, es ist alles planmäßig geschehen.«

»Ist die Zündung nach den Spezialzeichnungen vorbereitet?«

»Auch das, Herr Professor. Sie brauchen nur einzuschalten, um die scharf zu machen.«

Der Professor stand auf und drückte dem Ingenieur die Hand. »Dann danke ich Ihnen. Auch ich wünsche Ihnen einen guten Heimflug. Auf Wiedersehen in Deutschland.«

Der Ingenieur war gegangen. Schweigend blieben Reute und Eggerth in der Kabine zurück. Nicht lange, dann drang das Dröhnen von Motoren zu ihnen. Eins der Stratosphärenschiffe nach dem andern schraubte sich in die Höhe und verschwand am Nordhorizont. Nur noch ›St 14‹ lag allein in der eisigen Einöde am Kraterrand.

Professor Eggerth erhob sich und warf den Pelz über.

»Es wird Zeit, Herr Ministerialdirektor. Der letzte Akt des Dramas beginnt. Wollen Sie mitkommen?«

Reute schüttelte den Kopf. Er zog es vor, im Schiff zu bleiben. Ohne ihn ging Professor Eggerth über das verschneite Land zu einem Mastenpaar, das man allein von allen den vielen Masten hier stehengelassen hatte. Eine Antenne war zwischen den Mastspitzen ausgespannt. Ein Draht von ihr führte zu einem Schalter. Von dem Schalter lief ein isoliertes Kabel weiter und verschwand zwischen den Felsen. Der Professor legte den Schalter um und kehrte zum Schiff zurück. Gleich danach begann auch die Hubschraube von ›St 14‹ einen dröhnenden Wirbel zu schlagen. Das Schiff stieg auf und trieb in großer Höhe langsam nach Norden ab.

Im Funkraum stand der Professor zusammen mit Reute. Tief unter ihnen lag der verlassene Krater. Wie eine Mondlandschaft wirkte das ganze in den Strahlen der tiefstehenden Sonne. Sorgsam stimmte Professor Eggerth selbst den Sender ab und in einem eigenartigen Rhythmus gab er danach Striche und Punkte mit der Morsetaste. Kein Funker hätte dies Telegramm entziffern können, aber eine eigenartige Wirkung hatte es.

Kaum hatte der Professor das letzte Zeichen gegeben und die Hand von der Taste zurückgezogen, als das Land um den Krater zu erzittern und zu beben begann. Einen Augenblick schien's, als ob das ganze Ringgebirge sich von seiner Unterlage ablösen und in die Höhe steigen wolle. Dann brach es in sich zusammen, kippte von allen Seiten nach der Mitte hin und ließ unendliche Gesteinmengen in den Kraterschlund stürzen. Graugelber mißfarbiger Qualm, durchzuckt von roten Stichflammen, brach aus den stürzenden Gesteinsmengen hervor und im Augenblick war das Bild verwandelt, nur noch eine trümmerbesäte Ebene, wo sich vor Sekunden noch deutlich das runde Ringgebirge zeigte.

Noch starrte Reute auf das so plötzlich verwandelte Gelände, als der Donner der gewaltigen Sprengung das Schiff erreichte und ihn für Sekunden fast taub machte. Rollend und grollend verdröhnten allmählich die gewaltigen Schallwellen und das Geräusch der Schiffsmotoren drang wieder durch.

›St 14‹ änderte seinen Kurs und kehrte zu der Stelle zurück, an der früher die Kraterstation stand. In verschiedenen Höhen kreuzte es über dem Platz und immer zufriedener wurde dabei das Gesicht des Professors.

»Fürchterlich!« sagte Reute. Es war das erste Wort, das seit der Sprengung über seine Lippen kam.

»Großartig, Herr Reute!« erwiderte der Professor. »Genau so dachte ich es mir. Die tausend Tonnen Dynamit haben genau so gewirkt, wie ich es wollte. Kein Mensch wird hier noch einen Bolidenkrater vermuten. Nun mögen die Amerikaner, Norweger und wer sonst noch will in den nächsten Monaten hier spazieren fliegen, soviel sie Lust haben. Was hier einmal war und was hier noch ist, das werden sie niemals entdecken. Und das ist gut für uns, Herr Reute. Glauben Sie es mir, ich hatte sehr triftige Gründe, als ich unserer Regierung diese Sprengung vorschlug.«

Er gab einen neuen Befehl in den Führerstand. ›St 14‹ drehte nach Norden ab und setzte seinen Kurs auf Deutschland.

*

»Tag, alter Schmidt, da sind wir wieder.« Dr. Wille sagte es auf der Schwelle von Schmidts Arbeitszimmer, während er sich die Schneeflocken vom Pelz schüttelte. Nur langsam tauchte die lange dürre Gestalt Schmidts aus seinem Wust von Papieren und Tabellen empor. Es bedurfte einiger Zeit, bis seine Gedanken sich aus dem Reich der Theorien und Zahlen in die Wirklichkeit zurückfanden, und die schmalen Lippen sich zu ein paar Worten bequemten.

»Schon wieder hier, Herr Wille? Schon wieder sechs Monate vorüber? Die Zeit ist schnell vergangen, aber ich bin auch gut weiter gekommen.«

Er griff nach einer Kurvenkarte und ehe Dr. Wille noch dazu kam, seinen Pelz abzulegen, hatte er ihn schon in ein schwer gelehrtes Gespräch über seine neuen Entdeckungen verwickelt. Eine Weile ließ Wille ihn gewähren, dann winkte er ab.

»Schon gut, lieber Schmidt, das müssen Sie mir später in Ruhe erzählen, oder besser noch, ich lese es. Wie ich Sie kenne, alter Freund, haben Sie darüber ja doch schon wieder eine neue Veröffentlichung unter der Feder. Aber von Deutschland soll ich Sie grüßen. Briefe habe ich auch für Sie mitgebracht. Hier ist einer aus Kassel«, er faßte in seine Rocktasche. »Hier sind zwei aus Leipzig und noch einer aus Gotha . . . der deutsche Sommer, Schmidt, Sie haben doch viel versäumt.«

Der lange Schmidt schüttelt abweisend den Kopf.

»Die Arbeit hier, Herr Wille . . . Wenn Sie das Neue erst alles erfahren, Sie werden staunen . . .« wieder steckte er nach wenigen Sätzen mitten in seinen erdmagnetischen Theorien, bis ihn Wille gewaltsam unterbrach.

»Das Neuste, lieber Schmidt, das wissen Sie ja noch gar nicht. Das Neuste ist, daß wir jetzt auf Wunsch unserer Regierung die Zelte hier wieder abbrechen und hundert Kilometer weiter nach Süden gehen. Die Schiffe, die den Transport besorgen sollen, sind schon zusammen mit unserm angekommen. Aber Sie hören und sehen ja nichts, obwohl sechs Stratosphärenflugschiffe bei ihrer Landung doch einen ziemlichen Krach machen. Wenn nicht wenigstens der neue Maschinist herauskam, wäre überhaupt kein Mensch zu unserem Empfang dagewesen.«

Schmidt kniff die Lippen fest zusammen und brummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Es war ihm unschwer anzusehen, daß der Gedanke, die feste Station wieder einmal zu verlegen, ihm höchst unsympathisch war. Immer noch knurrend und murrend begann er die Unmenge von Tabellen und Aufzeichnungen, die den großen Arbeitstisch vollkommen bedeckten, zusammenzulegen und in einzelne Mappen einzuordnen.

Schweigend überließ ihn Dr. Wille seiner Beschäftigung und ging kopfschüttelnd in den Vorraum zurück.

»Was hast du, Vater?« fragte ihn Rudi.

»Der gute Schmidt fängt an, wunderlich zu werden. Ich glaube, mein Junge, es war nicht gut, daß wir ihn hier ein halbes Jahr alleingelassen haben. Es wird höchste Zeit, daß er mal wieder nach Deutschland unter andere Menschen kommt, sonst schnappt er uns am Ende noch über. Das nächste Mal muß er mit, ob er will oder nicht.« – – –

Schon in den nächsten Stunden begannen die Abbauarbeiten. Es wiederholte sich das alte Spiel, das die Station schon einmal erlebt hatte. Die Stationsgebäude wurden auseinandergenommen und alles, was nicht niet- und nagelfest war, verschwand in den Laderäumen der Stratosphärenflotte. Als vorletztes Frachtstück verstauten sie den Dieselmotor der Maschinenanlage, als letztes den langen Schmidt mitsamt einem Berg von Mappen.

Dann brach die Flotte auf. Schneewüste und eisige Einöde war wieder, wo fast ein Jahr das deutsche antarktische Institut seinen Platz hatte.

Hundert Kilometer südlicher ließen sich die Schiffe vorsichtig sinken und suchten nach einem brauchbaren Landungsplatz. Anders sah das Gelände an dieser Stelle jetzt aus wie damals, als Professor Eggerth und Reute es nach der Sprengung verließen. Wie ein weißes Tuch hatte der Schnee sich darüber gelegt und alle Schroffen und Schrunden, alle Narben und Wunden mitleidig verdeckt, die ein gewaltiges Naturereignis und menschliche Technik der alten Erdkruste hier geschlagen hatten. Erst als die Werkleute die Schiffe verließen und auf die Suche nach einer passenden Baustelle gingen, merkten sie, wie uneben und zerrissen das Land unter der Schneedecke war.

Nach längerem Suchen fanden sie eine Stelle, die allen Anforderungen genügte, und auf den Abbruch folgte nun der Wiederaufbau. Zwei Tage und zwei Nächte nahm er in Anspruch. In Wechselschichten arbeiteten die Mannschaften, die in den Schiffen mitgekommen waren. Dann war das Werk vollendet. Fertig und arbeitsbereit stand die Station an dem Ort, an dem man noch vor kurzem unendliche Goldmengen aus der Tiefe holte.

Ein kurzer Abschied, ein letztes Winken und Grüßen, und die Stratosphärenflotte stieg zum Rückflug nach Deutschland auf. Nur auf sich selbst angewiesen waren die wenigen Menschen wieder allein, die im Dienste der Wissenschaft und im Kampfe mit einer unwirtlichen Natur schon so viele Monate in der Antarktis verbracht hatten. Als läge kein Urlaub, kein deutscher Frühling und Sommer dazwischen, nahm die altgewohnte Arbeit wieder ihren Anfang.

Aus Tagen wurden Wochen und die Wochen begannen sich zu Monaten zu summen. Schon war die Mitte des kurzen antarktischen Sommers erreicht, Dr. Wille befand sich mit den Fahrzeugen der motorisierten Station auf einer Forschungsreise, die ihn bis zu den Hängen des Markham-Gebirges führen sollte. Der lange Schmidt war in der festen Station zurückgeblieben, eifrig damit beschäftigt, das letzte Kapitel seines neuen Werkes niederzuschreiben.

Zu seinem Leidwesen konnte auch Hagemann an der Expedition nicht teilnehmen. Dr. Wille hatte ihn mit dem sehr bestimmten Auftrag zurückgelassen, sich um Doktor Schmidt zu kümmern und dafür Sorge zu tragen, daß der immer mehr in seine Arbeit verbiesterte Gelehrte wenigstens die Mahlzeiten regelmäßig innehielt. Die Maßnahme war nicht unbegründet, denn öfter als einmal hatte Dr. Schmidt vierundzwanzig Stunden hintereinander am Schreibtisch gesessen, ohne außer etwas schwarzem Kaffee etwas zu sich zu nehmen, und soweit es bei ihm überhaupt noch möglich war, war er in den letzten Monaten noch magerer und dürrer geworden. – – –

Ein mächtiger Raupenwagen, der gleiche, den vor Monaten ›St 11h‹ an Bord der ›City of Boston‹ absetzte, glitt nach Süden hindurch die Antarktis. Jetzt verlangsamte er seine Fahrt und hielt auf dem verschneiten Feld. Eine Tür öffnete sich, Captain Andrew kletterte hinaus und ging ein paar Schritte über den Schnee. Parlett folgte ihm, würdig wie ein englischer Lord, obwohl er mit allerlei Gerätschaften beladen war. Vor Captain Andrew begann er sie aufzubauen. Ein dreifüßiges Stativ zuerst, auf das er sorgsam einen Theodoliten mit allem Zubehör aufschraubte. Ein Tischchen kam daneben, auf dem ein Präzisionschronometer und ein elektrisches Chronoskop ihren Platz fanden.

Als alles aufgebaut war, ging Captain Andrew an seine Arbeit, die nicht ganz einfach war. »83 Grad, 14 Minuten Süd, 158 Grad, 12 Minuten Ost« lautete die Ortsbestimmung, die ihm Garrison als Ziel der Reise genannt hatte. Für das Versprechen, ihn wieder mitzunehmen und diese Stelle aufzusuchen, hatte Garrison tief in die Tasche gegriffen und die größere Hälfte seines von Bolton erhaltenen Anteils für die neue Expedition des Captains beigesteuert.

Soweit man sich auf die im Wagen und während der Fahrt gemachten Ortsbestimmungen verlassen konnte, mußte die Andrew'sche Expedition sich in nächster Nähe dieser Stelle befinden. Aber von dem, was Garrison dort zu finden erwartete und was er Captain Andrew auf der langen Reise hierher öfter als einmal mit plastischer Deutlichkeit ausgemalt hatte, war weit und breit nichts zu sehen. Kein Krater, kein Ringgebirge, nichts von alledem, was nach Garrisons fester Überzeugung ein Bolide von der vermuteten Größe verursacht haben müßte.

Captain Andrew wollte sein Wort halten, aber er wollte auch nicht allzu viel von der kostbaren Zeit der wenigen Sommermonate für ein Unterfangen opfern, das ihm reichlich phantastisch vorkam. Diese Ortsbestimmung hier sollte der letzte Versuch sein. Mit den besten Mitteln und der größten überhaupt möglichen Genauigkeit wollte er sie vornehmen. Einfach würde die Arbeit nicht sein, darüber war der Captain sich klar. Nur die in mäßiger, wenig veränderlicher Höhe um den Horizont kreisende Sonne stand ihm ja dafür zur Verfügung. Was unter Zuhilfenahme des gestirnten Nachthimmels eine Kleinigkeit war, was Hein Eggerth und Berkoff früher einmal im Flugzeug in wenigen Minuten mit Leichtigkeit feststellen konnten, das würde hier mehrstündige subtile Beobachtung erfordern und selbst dann waren Irrtümer von der Größe einer Bogenminute immer noch möglich. Es waren die gleichen Umstände, die schon früher einmal den ersten Forschern, die zur Zeit des langen Polartages den Nordpol erreichten, die genaue Feststellung ihrer Entdeckung so sehr erschwerten.

Geduldig machte sich Captain Andrew an sein Werk. Immer wieder visierte er die Sonnenscheibe an, drehte an Mikrometerschrauben, las feinste Skalen mit der Lupe ab, schrieb endlose Ziffern in ein Buch, Winkelgrade und Winkelminuten und die dazugehörigen mit dem Chronoskop ermittelten Zeiten. Griff dazwischen zu astronomischen Tabellen und versuchte zu rechnen, während ihm die Finger klamm wurden. –

Mr. Parlett erschien wieder auf der Szene, um Captain Andrew einen heißen Toddy zu bringen. Der trank davon und stürzte sich dann neugestärkt wieder auf seine Rechnung. Parlett trat näher an das Stativ heran. Das blinkende Fernrohr des Theodoliten interessierte ihn. Spielerisch drehte er es hin und her und brachte dabei ein Auge an das Okular, um hindurch zu schauen. Plötzlich zuckte er zusammen.

»Mr. Andrew!«

Captain Andrew blickte von seiner Rechnung auf.

»Zum Teufel, Parlett, was fällt Ihnen ein? Was haben Sie da zu spielen, Sie haben mir die ganze Einstellung verrückt.«

»Captain, ich sehe etwas. Ganz deutlich! Einen Funkturm!«

Mit einem Satz war der Captain bei dem Apparat und schaute selbst hindurch. Ein Zweifel war nicht möglich. Deutlich war durch das stark vergrößernde Fernrohr des Theodoliten das feine Fachwerk eines Funkmastes zu sehen. Jetzt, nachdem er es durch das Fernrohr erblickt hatte, glaubte er den Mast sogar mit bloßen Augen am Südhorizont erkennen zu können. Mit einem Ruck raffte er seine Papiere zusammen.

»Los Parlett! Alles zusammenpacken, in den Wagen bringen! Sie können den Mast auch sehen. Wir fahren darauf zu.«

Gespannt kam Garrison Captain Andrew entgegen, als er in den Wagen zurückkehrte.

»Haben Sie die genaue Ortsbestimmung, Captain?«

Captain Andrew schüttelte den Kopf. »Nicht mehr nötig, Mr. Garrison. Wir haben einen Funkturm entdeckt, noch keine zehn Kilometer von hier entfernt. Sicher eine deutsche Station. Da wollen wir jetzt hinfahren. Vermutlich werden ja Leute dort sein. Die werden uns schon Bescheid sagen können, wo wir uns befinden.« – – –

Der brave Hagemann hatte an einer freien Stelle von Schmidts Arbeitstisch ein Frühstück aufgebaut, das seiner Kochkunst alle Ehre machte. Aber vergeblich hatte er schon zum dritten Male gemeldet: »Herr Ministerialrat, es ist angerichtet.« Der lange Doktor an der anderen Seite des Tisches über sein Manuskript gebeugt, ließ die Feder über das Papier rasen und hörte und sah nichts von dem, was um ihn herum vorging.

Karl Hagemann wußte, wie es kommen würde, wenn er jetzt das Zimmer verließ. Nach Stunden würde das Frühstück noch unberührt auf seinem Fleck stehen, das Fleisch kalt, die Sauce erstarrt, das ganze ungenießbar.

Der Auftrag Willes kam ihm in den Sinn. ›Zu was schließlich‹, dachte er bei sich, ›hat der Tischler Rollen unter den Sessel geschraubt?‹ Nach kurzem Überlegen entschloß er sich zu einem Gewaltstreich. Vorsichtig trat er von hinten heran, griff mit der einen Hand die Sessellehne, mit der andern eine Schulter Schmidts, zog den Sessel mitsamt dem Doktor vom Tisch fort, karrte ihn nach der andern Seite und schob ihn dort vor das Frühstück hin.

Sprachlos hatte der lange Schmidt die Gewalttat im ersten Augenblick über sich ergehen lassen, noch ein paar Worte in die Luft geschrieben, als seine Feder das Papier nicht mehr erreichte. Jetzt brach er los.

»Hagemann, Sie unverschämter Kerl! Was fällt Ihnen ein?«

»Befehl von Herrn Dr. Wille. Herr Ministerialrat müssen essen«, sagte Hagemann, während er ihm die Feder fortnahm und dafür Messer und Gabel in die Hand drückte. Dr. Schmidt wollte noch weiter schimpfen, als der Hupenton eines Kraftwagens vom Hofe her klang.

»Nanu! Sind unsere Herrschaften schon wieder zurück«, sagte Hagemann, während er dem Doktor eine Tasse Tee einschenkte, »entschuldigen mich Herr Ministerialrat einen Augenblick.«

Mit Befriedigung sah er noch, wie der lange Doktor, nun einmal gewaltsam von seiner Arbeit fortgerissen, sich mit gesundem Appetit über das Frühstück hermachte und verließ den Raum. –

Ein Raupenwagen stand auf dem Hof, ähnlich den deutschen Fahrzeugen, doch viel größer als diese. Verwundert besah sich Hagemann das Vehikel, als sich an dem eine Tür öffnete. Ein Mann kam heraus und redete ihn in englischer Sprache an. Hagemann raffte seine englischen Brocken zusammen, und wußte nach wenigen Worten, daß er es mit Captain Andrew, dem Führer einer amerikanischen Expedition zu tun habe.

»Herr Dr. Wille ist nicht anwesend«, sagte Hagemann, »Herr Ministerialrat Schmidt vertritt ihn im Institut . . .« er wollte fortfahren »er wird sich sicher freuen, Sie zu sehen«, als eine zweite Person aus dem Wagen stieg, bei deren Anblick ihm die Rede stockte.

Das war ja Mr. Garrison, jener bedenkliche Yankee, der schon einmal in der Station zu Besuch war. Die Herren Wille und Schmidt hatten es nach Möglichkeit vermieden, in Gegenwart dritter über die Amerikaner zu sprechen. Aber Karl Hagemann war eben Karl Hagemann, Universalgenie und Hans Dampf in allen Gassen. Er hatte doch mancherlei aufgeschnappt, was nicht für seine Ohren bestimmt war und sich seinen Vers darauf gemacht. Schnell hatte er seine Selbstbeherrschung wiedergefunden und lud die beiden Amerikaner mit einer verbindlichen Bewegung ein, näher zu treten.

»Nehmen Sie Platz, meine Herren. Ich werde Herrn Ministerialrat sofort benachrichtigen.«

Damit verschwand er. Captain Andrew sah sich interessiert in dem saalartigen Raum um, in den Hagemann sie geführt hatte. Behagliche Möbelstücke, die gleichmäßige Wärme der elektrischen Heizung, die hohen vierfach verglasten Fenster . . . das alles gefiel ihm.

»Komfortabel haben sich die Deutschen hier eingerichtet. Man kann immer noch von ihnen lernen«, sagte er schließlich zu Garrison. Der hörte kaum auf ihn. Er lief bald zu der einen, bald zu der andern Fensterseite, starrte hinaus auf die weite Ebene und suchte vergeblich nach einem Bolidenkrater, der doch nach seiner felsenfesten Überzeugung hier sein mußte.

Captain Andrew ließ ihn gewähren. Seine Aufmerksamkeit wurde von einigen Instrumenten gefesselt, die an der Schmalwand des Raumes standen. Es waren Magnetometer verschiedener Konstruktion, darunter auch Bussolen, um die magnetische Deklination und Inklination zu messen. Sein wissenschaftliches Interesse wurde lebendig. Er trat näher heran und hatte, ehe er sich's versah, die Arretierung eines Inklinometers gelöst. Die Nadel, nicht mehr festgehalten, folgte der magnetischen Richtkraft und stellte sich genau senkrecht.

»Der Pol, Garrison! Sehen Sie her! Hier ist der magnetische Südpol. Die Deutschen haben ihr Institut genau auf den Pol gesetzt. Nach dem, was man über Willes Elektronentheorie weiß, mußte man es ja auch eigentlich erwarten.«

Mit leichter Gewalt zog er Garrison vom Fenster weg zu den Instrumenten und fing mit ihm ein Gespräch über die Willeschen Arbeiten an, obwohl dessen Gedanken bei ganz andern Dingen weilten. – –

Als Hagemann in Schmidts Arbeitszimmer zurückkam, schob der Doktor eben den letzten Bissen in den Mund und legte Messer und Gabel beiseite.

»Sie können das Tablett herausnehmen«, sagte er und wollte sich wieder an sein Manuskript setzen.

»Herr Ministerialrat, es sind nicht unsere Leute«, platzte Hagemann mit seiner Neuigkeit heraus. Der lange Doktor sah ihn verwundert an. Mit allen Gedanken ganz bei seiner Arbeit, hatte er die Ankunft des Kraftwagens schon längst wieder vergessen.

»Es sind nicht unsere Leute«, wiederholte Hagemann seine Meldung. »Es sind Amerikaner, Captain Andrew ist hier und außerdem der andere, der schon mal hier war, der Mr. Garrison, Sie werden sich erinnern, Herr Geheimrat.«

Der lange Schmidt ließ die Feder sinken und geruhte von den Höhen reiner Wissenschaft wieder in die Niederungen der realen Wirklichkeit hinabzusteigen. Captain Andrew . . . Garrison . . . unangenehme Vorstellungen waren mit diesen Namen untrennbar für ihn verbunden. Unerwünschte Konkurrenten sah er in ihnen, die in ein Gebiet einbrachen, das er als seine ureigenste Domäne betrachtete. Mit tiefem Mißtrauen hatte er die Bewegungen der amerikanischen Expedition verfolgt, soweit sie sich nach dem Fortfall der dritten deutschen Peilstation noch feststellen ließen. Jetzt waren diese Eindringlinge plötzlich hier auf seiner Station in seinem Institut, und sein neues großes Werk, in dem er der Welt überraschende Forschungsergebnisse mitteilen wollte, war noch nicht im Druck, war noch nicht einmal im Manuskript abgeschlossen. Vielleicht würden die ihm mit irgendwelchen Veröffentlichungen zuvorkommen, die seinen Entdeckungen die Priorität rauben konnten. Ein Glück, daß sie nicht wußten, was er wußte, daß sie den letzten Grund aller dieser magnetischen Erscheinungen nicht kannten . . .

Die Stimme Hagemanns riß ihn aus seinen Gedanken.

»Wollen Sie die amerikanischen Herren empfangen, Herr Ministerialrat? Ich habe sie in den großen Mittelraum geführt.«

Dr. Schmidt stand auf und zog sich seinen Rock zurecht.

»Es ist gut, Hagemann, ich komme sofort.« – –

Als Schmidt eintrat, war Captain Andrew dabei, Garrison an einer Bussole zu zeigen, daß die horizontale Richtkraft der Magnetnadel hier gleich Null war. In jeder beliebigen Stellung, in die er die Magnetnadel drehte, blieb sie ruhig stehen.

Die Amerikaner waren so eifrig bei der Sache, daß sie den Eintritt des langen Doktors überhörten. Ein paar Sekunden beobachtete der sie schweigend und der Versuch eines Lächelns lief über seine hölzernen Züge.

›Wenn ihr wüßtet, ihr Tröpfe‹, ging es ihm durch den Kopf, ›daß kaum zweihundert Meter unter euren Füßen ein paar Millionen Tonnen Eisen liegen, dann würdet ihr euch nicht mehr wundern. Gut, daß ihr es nicht wißt.‹

Er machte sich durch ein Räuspern bemerkbar und trat näher. Captain Andrew fuhr auf, als ob er bei etwas Unrechtem ertappt wäre.

»Ich sehe, die Herren beschäftigen sich schon mit den magnetischen Verhältnissen der Station«, sagte der lange Schmidt und schüttelte den Amerikanern die Hand. Captain Andrew überwand seine Verlegenheit.

»Sie entschuldigen, Herr Dr. Schmidt, aber es ist so interessant. Sie sitzen hier in der Tat genau auf dem magnetischen Südpol.«

»Vorläufig stehen wir noch darauf«, sagte der lange Schmidt trocken. »Aber wir wollen uns setzen.«

Er bat seine Gäste, wieder Platz zu nehmen, und ließ durch Hagemann einige Erfrischungen bringen. Es währte nicht lange, und er war mit Captain Andrew in ein tiefgründiges Gespräch über Polwanderungen im allgemeinen und die auffällige Wanderung des magnetischen Südpols im besondern verwickelt. Öfter als einmal wurde Hagemann gerufen, um Bücher und Broschüren herbeizuholen, aus denen Dr. Schmidt seine Theorie mit einer Unmenge von Zahlenmaterial belegte.

Verwundert kam Hagemann diesen Aufträgen nach, kopfschüttelnd suchte er draußen an der Tür etwas von dem Gespräch zu erlauschen. Sollte der Doktor sich etwa von seinem wissenschaftlichen Eifer fortreißen lassen und den Amerikanern in der Hitze des Gefechts mehr verraten als gut war? Hagemann machte sich schwere Gedanken, denn solchen gelehrten Häusern, wie Dr. Schmidt eins war, traute er alle möglichen Dummheiten zu. Schließlich konnte er es nicht unterlassen, durch das Schlüsselloch zu schauen. Da bemerkte er um die Lippen des langen Schmidt einen gewissen mokanten Zug, den er von früheren Gelegenheiten her kannte. Erleichtert atmete das biedere Faktotum auf.

›Und er führt die Yankees doch über den Gänsedreck‹, murmelte er vor sich hin, während er in seine Küche zurückkehrte.

Was Hagemann hier etwas unparlamentarisch ausdrückte, war in der Tat der Fall. Es darf nicht verschwiegen werden, daß der lange Schmidt sich während der Stunden, die er mit den beiden Amerikanern verbrachte, nicht derjenigen Aufrichtigkeit befleißigte, die man mit Fug und Recht von Wissenschaftlern des gleichen Faches erwartet. Er pumpte Captain Andrew eine erdmagnetische Theorie ein, die von Anfang bis zu Ende eine raffinierte, aber um so glaubwürdigere Täuschung war, weil sie den wirklichen Grund aller Erscheinungen, das Meteoreisen in der Tiefe, verschwieg. Und er führte Garrison, der wieder und immer wieder auf einen Riesenmeteor zurückkam, der hier gefallen sein sollte, in einer Weise irre, daß der Amerikaner an allen seinen bisherigen Theorien und Berechnungen zu zweifeln begann.

Wer der Unterhaltung der drei Wissenschaftler mit voller Kenntnis der wirklichen Sachlage gefolgt wäre, hätte sich der Erkenntnis nicht verschließen können, daß der lange Schmidt eine glänzende Begabung für das Pokerspiel besitzen mußte. Er bluffte die neugierigen Gäste in einer meisterhaften Weise, und als sie Abschied nahmen, um weiter zu ziehen, hatten sie keine Ahnung, wie schwer sie geblufft worden waren.

»Also sehen Sie nun, Garrison, daß Sie einem Hirngespinst nachgelaufen sind«, sagte Captain Andrew, als sie wieder in ihrem Wagen saßen. »Hier, wo nach Ihrer fixen Idee ein Riesenbolide gefallen sein soll . . . wir haben ja die genaue Ortsbestimmung von dem Institut bekommen . . . da ist der magnetische Südpol und sonst weiter gar nichts als eine Ebene, so glatt wie meine Hand . . . und was haben Sie mir alles von einem Bolidenkrater vorphantasiert, der an dieser Stelle sein müßte.«

Garrison strich sich über die Stirn. Es dauerte eine Weile, bis er sich zur Antwort aufraffte. »Ich muß zugeben, Captain Andrew, daß ich mich geirrt habe, das kann schließlich auch einmal einem Wissenschaftler passieren.«

»Gut, daß Sie es endlich selber einsehen, Garrison«, sagte Andrew und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. – –

An seinem Arbeitstisch saß Dr. Schmidt und schlürfte behaglich seinen Tee.

»So«, sagte er, als er die Tasse niedersetzte. »Die Gefahr ist abgewendet, die kommen nicht wieder, und das wirkliche Geheimnis des deutschen Goldes werden sie niemals entdecken.«

Dann griff er nach der Feder, um die letzte Seite seines großen Werkes zu vollenden.

 


 


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