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Kratergold in Deutschland

Ein Köder wird gelegt. Bolton und Garrison beißen an. Die ersten Goldmilliarden in Deutschland. Reichsbanknoten werden wieder in Gold eingelöst. Die Devisensperre fällt. Deutschland, ein reiches Land. Neue Pläne für die Zukunft.

Mit gemischten Gefühlen verfolgte man auf deutscher Seite das Vorrücken der amerikanischen Expedition. Ging es in dem bisherigen Tempo weiter, so mußte sie in wenigen Tagen die Grenze des deutschen antarktischen Gebietes erreichen und man würde dann genötigt sein, in irgendeiner Form offiziell zu ihr Stellung zu nehmen. Eine längere Beratung gab es daraufhin in der Kraterstation zwischen dem Ministerialdirektor Reute und Professor Eggerth, zu der zum Schluß auch noch Hein Eggerth hinzugezogen wurde.

»Ihr Herr Vater sagte mir, daß Sie eine brauchbare Idee haben«, empfing ihn Reute, »hoffentlich ist sie nicht so radikal wie Ihr neulicher Einfall, die beiden Amerikaner einfach auf einer einsamen Insel auszusetzen.«

»Durchaus nicht, Herr Ministerialdirektor. Im Gegenteil«, beeilte sich Hein Eggerth ihn zu beruhigen. »Mein Vorschlag ist diesmal rein psychologischer Art. Er gründet sich auf dem Charakter der Herren Bolton und Garrison, den ich einigermaßen zu kennen glaube, und ich möchte meine Hand dafür ins Feuer legen, daß er die gewünschte Wirkung haben wird.«

In kurzen Worten entwickelte Hein Eggerth seinen Plan, und überraschend schnell stimmte Reute ihm bei. Kurz darauf wurde im Krater an einer Stelle gebohrt und gesprengt, die bisher nicht auf dem Arbeitsplan verzeichnet stand, und wiederum kurz danach stieg ein Schiff der St-Type auf. In seinem Leib trug es eine Last von hundert Tonnen, viele tausend Brocken des eben an der neuen Sprengstelle gewonnenen Erzes. In nördlicher Richtung stürmte es in zehn Kilometer Höhe dahin. Neben dem Piloten stand Hein Eggerth und suchte mit einem Fernrohr die Gegend ab. Jetzt schien er gefunden zu haben, was er suchte. Das Schiff ging bis auf 5000 Meter herunter, eine Klappe öffnete sich, an der Unterseite seines Rumpfes, blank und stückig, begann es aus der Öffnung in die Tiefe zu rieseln, während das Schiff in langsamer Fahrt nach Süden drehte. Um hundert Tonnen erleichtert, kehrte es zum Krater zurück und noch mehrere Male wiederholte es den Flug. – – –

Einen Augenblick horchte Garrison auf. »Hörten Sie etwas, Bolton? Mir war's eben fast so, als hätte ich irgendwo ein Flugzeug gehört.«

Eine kurze Zeit lauschte Bolton, dann schüttelte er den Kopf. »Ein Irrtum von Ihnen, Garrison. Ich höre nur den Wagenmotor. Unsere Maschine macht für ihre siebzig Pferde einen ganz anständigen Krach.«

Gerade in diesem Augenblick gab Andrew den Befehl zu halten, der Wagenführer setzte den Motor stille.

»Sehen Sie, daß ich recht hatte«, sagte Bolton. »Jetzt müßte man es bestimmt hören, wenn ein Flugzeug in der Nähe wäre.«

Während er es sagte, war ›St 11‹ schon wieder in die Stratosphäre gestiegen, aus der kein Ton und auch kein Motorgeräusch bis zur Erde hinabdrang. Indes aus dem Wagen langsam der Antennenmast in die Höhe wuchs, eilte Bolton seiner Gewohnheit getreu ins Freie, um die Gegend nach Erz abzusuchen. In der Ferne weit voraus sah er es in den Strahlen der tiefstehenden Sonne aufblinken. Hier und da und dort, an mehreren Stellen zugleich. Schon lief er darauf zu. Kaum daß er sich noch die Zeit nahm, dem andern zuzurufen:

»Da liegt wieder Erz, Garrison.«

Nach etwa dreihundert Meter erreichte er das erste blinkende Stück und griff begierig danach. Es war ein stattlicher Brocken, an die zehn Kilogramm schwer, zackig und sperrig, zu groß, um ihn in eine Tasche zu stecken. Bolton behielt ihn im Arm, wandte sich der nächsten Stelle zu, an der er das lockende Blinken bemerkt hatte, und sah mißmutig, daß Garrison bereits dorthin eilte und etwas Schimmerndes aufhob, bevor er selbst heranzukommen vermochte. Schnell lief er auf einen dritten Punkt zu und traf keuchend von dem Lauf bei einem dritten Brocken, der noch größer als die beiden ersten war, mit Garrison zusammen. Gleichzeitig wollten beide danach greifen, bückten sich und prallten hart mit den Köpfen zusammen. Fluchend rieb sich Bolton den Schädel.

»So geht das nicht, Garrison. Überhaupt . . .«, noch einmal schaute er sich prüfend nach allen Seiten um. Von mehr als zwanzig Stellen blinkte es ihm aus größerer und geringerer Entfernung entgegen, »überhaupt brauchen wir hier etwas anderes, um den Segen aufzulesen. Mehr als die drei Brocken hier können wir ja kaum schleppen. Wollen die mal erst zum Wagen zurückbringen und sehen, wie wir es weiter machen.«

Polternd fielen in dem Raupenwagen drei Erzbrocken, zusammen wohl einen halben Zentner schwer, in eine Kiste, und schon liefen die beiden Amerikaner wieder ins Freie hinaus. Zu groß war ihre Gier nach dem kostbaren Erz und in der Eile wollte ihnen kein besserer Weg einfallen, es zu holen. Doppelt so lange Zeit wie beim ersten Male blieben sie diesmal fort. Jeder brachte zwei große Brocken herangeschleppt, als sie in der Nähe des Wagens wieder zusammentrafen.

»Ich glaube, Garrison«, stieß Bolton zwischen heftigen Atemstößen heraus, »wir haben eine Stelle entdeckt, an der sich's lohnt. An wenigstens hundert Punkten habe ich es funkeln und blinken sehen.«

»Ich auch, Bolton«, bestätigte Garrison seine Entdeckung. »Der Bolide muß hier kräftig gestreut haben. Aber lange Zeit wird es in Anspruch nehmen, bis wir das alles zusammensuchen und in den Wagen bringen. Wer weiß, ob Captain Andrew uns die nötige Zeit dafür läßt. Sehen Sie, der Funkmast wird schon wieder eingezogen, gleich wird die Fahrt weitergehen.«

Wie eine gereizte Bulldogge fuhr Bolton empor.

»Andrew wird warten, solange es uns beliebt.«

Sie stiegen in den Wagen, um ihren Fund in Sicherheit zu bringen.

»Zeit, Gentlemen«, empfing sie Andrew. »Wir wollen weiter.«

Mit einer schroffen Bewegung hielt ihm Bolton das Erz vors Gesicht.

»Was sagen Sie dazu, Mr. Andrew?«

Prüfend beugte sich Andrew noch dichter darüber.

»Meteoriteneisen, wenn ich mich nicht irre. Vermutlich Nickeleisen . . .«

»Nickeleisen oder sonst ein Eisen«, fiel ihm Bolton ins Wort, »jedenfalls ist es hier in Mengen zu finden, und wir wollen kein Stück davon liegenlassen.«

Vergeblich versuchte Andrew zu widersprechen. Bolton zog seinen Vertrag aus der Tasche und deutete auf eine bestimmte Stelle darin. Es war ein kleiner aber schwerwiegender Paragraph, den Andrew mit allen andern Paragraphen des Vertrages damals unterschrieben hatte, ohne ihm besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Aber genau besehen besagte er nicht mehr und nicht weniger, als daß Mr. Bolton die Bewegungen der Expedition zu bestimmen hatte, sobald sie in ein Gebiet kamen, in dem Meteoritenerz lag.

Nach kurzem Überlegen gab Andrew das Schriftstück zurück.

»Sie haben recht, Mr. Bolton. Wenn hier Erze liegen, muß ich Ihnen die Zeit lassen, sie aufzuheben . . . sie aufzuheben . . . berücksichtigen Sie das wohl . . . so ist der Wortlaut unseres Vertrages. Von irgendwelchen Fahrten, um das Erz zu entdecken, steht nichts darin.«

»Ist auch nicht nötig. Captain. Es liegt hier. So weit man sehen kann, blinkt und blitzt es . . .« Bolton hielt es für angebracht, etwas zu übertreiben, ». . . an tausend Stellen.«

»Dann heben Sie es in Gottes Namen auf«, sagte Andrew und machte sich an seinen Instrumenten zu schaffen. – – –

Naturgemäß hatte Hein Eggerth keine Ahnung von dem Vertrag zwischen Captain Andrew und seinen Partnern, aber wenn er ihn Wort für Wort gekannt hätte, hätte er nicht zweckmäßiger verfahren können, als er es getan hatte. Läßt man aus einem sich mäßig schnell bewegenden Flugzeug aus 5000 Meter Höhe Erzbrocken von der hier benutzten Größe herausfallen, so streuen sie bei ihrem Sturz bis zur Erde recht hübsch nach allen Seiten. Etwa tausend Tonnen der blinkenden Lockspeise hatte ›St 11‹ auf seinen Flügen ausgeworfen. Mehr als hunderttausend Brocken waren es, die ziemlich gleichmäßig verteilt, ein etwa fünf Kilometer breites und dreihundert Kilometer langes Gelände bedeckten. Nicht Tage, sondern Wochen mußte es beanspruchen, diese Erzmenge aufzusammeln.

Zu allem Überfluß bog die derartig gesalzene Strecke unter dem 75. Grad südlicher Breite nach Westen ab. Wenn die beiden Erzliebhaber ihr, wie Hein Eggerth es voraussetzte, folgten, mußten sie sich wieder von der deutschen Grenze entfernen.

Die nächsten Tage brachten den Beweis, daß der Plan geglückt, der ausgelegte Köder angenommen worden war. Wie die deutschen Funkpeilungen ergaben, rückte die amerikanische Expedition nur noch sehr langsam vor und schwenkte unter dem 75.  Grad nach Westen ab. – –

»Gelungen! Mr. Bolton hat angebissen«, rief Hein Eggerth und machte einen Freudensprung.

»Hoffentlich kommen die Herrschaften nicht auf den Gedanken, gleich das spezifische Gewicht ihrer Funde zu bestimmen«, warf Reute ein.

Hein Eggerth lachte. »Und wenn sie es zehnmal täten, Herr Ministerialdirektor, es würde sie doch nicht davon abbringen, den blanken Brocken nachzulaufen, soweit sie sie glänzen und blitzen sehen.«

Er behielt mit seiner Prophezeiung recht. Wie hypnotisiert folgten Bolton und Garrison dem schimmernden Köder, den ›St 11‹ ihnen über den Weg gestreut hatte, und wohl oder übel mußte Captain Andrew sich ihrem Tun fügen.

Eine Fläche von mehr als 1500 Quadratkilometern, von rund 30 Quadratmeilen also, mußte abgesucht werden. So raffiniert war das Erz über sie verstreut, daß die nächsten Brocken stets in fünfzig bis hundert Metern Abstand aufblinkten. Es lohnte sich nicht recht, für solche Entfernung erst wieder in den Wagen zu klettern, und so kamen Tage, an denen Bolton und Garrison über Fels und Eis liefen und das Erz zusammenschleppten, bis sie vor Erschöpfung niederbrachen.

Andrew ließ sie gewähren, ohne sich selbst irgendwie an dieser mühevollen Arbeit zu beteiligen. Schweigend beschäftigte er sich mit seinen Instrumenten und wissenschaftlichen Aufzeichnungen, und ebensowenig waren der Fahrer Parlett und der Funker Bowson geneigt, das Spiel mitzumachen, obwohl ihnen Bolton königliche Trinkgelder in Aussicht stellte.

Mit Mühe erreichte es Bolton, daß Andrew über die reichen Funde von Meteoritenerz nichts funken ließ. Für die Welt, soweit sie auf Funksprüche angewiesen war, befand sich die Andrewsche Expedition in langsamem Fortschreiten in südwestlicher Richtung, eifrig mit wissenschaftlichen Arbeiten und Entdeckungen beschäftigt.

Nur in der deutschen Kraterstation wußte man über ihre wirkliche Tätigkeit Bescheid und stellte Berechnungen an, wie lange sie wohl noch dauern könnte. Tausend Tonnen Erz waren zusammenzusuchen und an einzelnen Punkten aufzustapeln. Das mochte wenigstens sechs Wochen in Anspruch nehmen. Dann war das Erz nach dem Mac-Murdo-Sund zu bringen. Soviel man über den Raupenwagen Andrews wußte, konnte er neben seiner sonstigen Ladung, höchstens noch zwanzig Tonnen Erz mitnehmen. Das bedeutete einige fünfzigmal die lange Reise dorthin und wieder zurück zu machen. Für mehrere Monate waren die Herren Bolton und Garrison demnach anderweitig beschäftigt, und man brauchte sich in der Kraterstation vorläufig nicht weiter um sie zu kümmern. – –

*

Die Welt wußte wenig über die wirkliche Tätigkeit der Andrewschen Expedition, aber noch weniger über die deutschen Arbeiten in dem neuen antarktischen Kolonialgebiet, nämlich gar nichts. Es war tatsächlich gelungen, die Errichtung der großen Station am Krater vollkommen geheimzuhalten. Wie bereits gesagt, hatte man ausgesuchte Leute dorthin geschickt, auf deren Verschwiegenheit und Zuverlässigkeit das Reich sich nach ihrer ganzen politischen Vergangenheit unbedingt verlassen konnte. Die Löhne für die zweihundert Mann, die in der Kraterstation arbeiteten, waren so hoch bemessen, daß sie reichlich davon nach Hause schicken und darüber hinaus schöne Ersparnisse machen konnten. Weiter hatte man mit allen Mitteln der Technik und Hygiene Lebens- und Arbeitsverhältnisse geschaffen, die irgendwelche Unzufriedenheit und Sehnsucht nicht aufkommen ließen. Und schließlich . . . alle Beteiligten hatten sich dem freiwillig und gern unterworfen . . . hatte man eine Zensur für die Korrespondenz in die Heimat eingeführt. In allen Briefen, die aus der Antarktis nach Deutschland kamen, stand nur zu lesen, daß man eifrig mit Schürf- und Abteufarbeiten beschäftigt sei und stellenweise bereits auf abbauwürdige Kohle fündig geworden sei.

Begreiflicherweise ließ es sich nicht vermeiden, daß solche Briefe in Deutschland von Hand zu Hand gingen und daß gelegentlich der eine oder andere auch einmal in unrechte Hände geriet. Aber ihr Inhalt war infolge der Zensur so unverfänglich, daß weder im Inland noch im Ausland irgend jemand den wahren Sachverhalt ahnte.

In den ausländischen Zeitungen erschienen hin und wieder ironisch gefärbte Artikel über deutsche Kohlenfunde in der Antarktis, verbunden mit Berechnungen, welche die wirtschaftliche Aussichtslosigkeit derartiger Unternehmungen überzeugend zu beweisen versuchten. Mit der Erwerbung der antarktischen deutschen Kolonie hatte man sich in den andern Staaten längst abgefunden. Es lohnte sich nicht, um diesen Fetzen vereisten Landes noch diplomatische Noten zu wechseln, es wäre schade um das dabei verschriebene Papier gewesen.

So war die allgemeine Lage, als der Tag sich jährte, an dem die ersten Bauten an dem Krater entstanden waren und die ersten Maschinen dort zu arbeiten begonnen hatten. Unablässig waren seitdem die Stratosphärenschiffe mit ihrer kostbaren Last nach Deutschland geflogen, zuerst noch mit Goldbarren, seit Monaten schon mit gemünztem Gold beladen. Nach reiflicher Überlegung hatte sich die Reichsregierung entschlossen, auch die Ausprägung der Goldmünzen in der Antarktis vorzunehmen, weil nur dort absolute Gewähr für die Geheimhaltung gegeben war. Stetig war der Goldschatz in der Reichsbank dabei gewachsen, bis an die Gewölbedecken ihrer Keller war die goldene Flut gestiegen. – –

Da kam die große Überraschung, die der internationalen Hochfinanz für Tage die Sprache raubte und die Welt den Atem anhalten ließ. Drei kurze Zeilen im Reichsanzeiger waren es, welche diese gewaltige Wirkung hervorriefen:

›Die Verfügung vom 2. August 1914 wird aufgehoben. Die Reichsbank ist wieder verpflichtet, ihre Banknoten in Gold einzulösen.‹

Dunkel kam den älteren Leuten die Erinnerung an längst versunkene Zeiten vor dem großen Kriege, da noch funkelnde Goldstücke von Hand zu Hand gegangen waren. Die jüngeren wußten nichts davon, hatten noch niemals in ihrem Leben ein goldenes Zwanzigmarkstück gesehen.

»Vater, was sind denn Goldstücke? Mutter, was heißt das, Goldmünzen?« fragten die Kinder.

»Soll es wirklich wieder so werden, wie in jenen alten Zeiten? Soll man wieder bestimmen dürfen, ob man eine Summe in Papier oder in Gold haben will?« zweifelten die Alten. Nur vorsichtig wagten sie den Versuch. Hier und dort gab der eine oder andere in einer Bankfiliale einen Schein hin, fragte zögernd, stockend, wie benommen, ob er Gold dafür erhalten könne. Sah dann, daß kein Traum ihn narrte, daß das Wunder Wahrheit wurde. Klingend sprang der Gegenwert seines Bankscheines in Form neuer blinkender Goldmünzen auf das Zahlbrett und wurde ihm hingeschoben.

Wie ein Lauffeuer ging die Kunde von Mund zu Mund: ›es ist wirklich wahr. Man bekommt in den Banken Gold für sein Papier, für das es soviel lange Jahre immer nur wieder anderes Papier gab.‹

Schimmerndes gemünztes Gold, dem keine Inflation seinen Wert rauben konnte, das seine Kaufkraft unter allen Umständen behalten mußte. Wer wollte noch Papier nehmen, wo er ohne Schwierigkeit Gold bekommen konnte? Zu bitter brannte im Gedächtnis von Hunderttausenden noch das große Verbrechen der Inflation, die Erinnerung an die Ausplünderung eines fleißigen sparsamen Volkes durch eine schwindelhafte Ausgabe von ungedecktem Papiergeld.

Tagelang drängte sich das Volk an den Bankschaltern und in den Wechselstuben, um seine Noten einzulösen; jeder von dem Gedanken getrieben, noch rechtzeitig zu kommen, noch etwas von dem goldenen Segen zu erhaschen. Denn daß der Schatz nicht ewig reichen könne, daß er bald, vielleicht schon morgen . . . vielleicht schon in der nächsten Stunde erschöpft sein müsse, das hielten alle für gewiß. Nicht nur in Deutschland, sondern auch an den auswärtigen Geldplätzen war man felsenfest davon überzeugt.

Die Reichspost konnte in diesen Tagen hohe Einnahmen verbuchen. Auf viele Stunden mieteten sich die Berliner Korrespondenten der großen ausländischen Zeitungen die teuersten Drähte, um jede Phase der neuen Entwicklung ihren Redaktionen sofort zu melden, und geringfügige Zwischenfälle blieben in dieser aufgeregten Zeit auch nicht aus. Hin und wieder geschah es, daß der Goldvorrat irgendeiner Depositenkasse dem Ansturm nicht gewachsen war und die Auszahlungen unterbrochen werden mußten. Selten dauerte es länger als eine Stunde, bis dann ein Panzerauto vor der Filiale hielt, schwere Kisten ausgeladen wurden und gleich danach wieder das klingende Spiel auf den Zahltischen einsetzte. Das gab den Berichterstattern Gelegenheit, wilde Nachrichten über die Grenzen zu kabeln, die schon kurz danach in den ausländischen Zeitungen unter schreienden Schlagzeilen erschienen.

›Der Gold-Run in Deutschland‹, ›Die Reichsbank zusammengebrochen‹, ›Das Ende des deutschen Experimentes‹, ›Unmöglicher Wahnsinn‹ . . . waren so etwa die Überschriften, die noch druckfeucht, wie sie aus der Maschine kamen, auf den Boulevards von Paris und in der Londoner City verschlungen wurden, während in Deutschland die Auszahlung schon längst wieder glatt weiterging.

Am zehnten Tage nach der Wiederaufnahme der Goldeinlösung begann der Andrang bei den Bankschaltern nachzulassen. Der erste Golddurst des Publikums war gestillt und langsam, wie es ja in den wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet und von der Reichsregierung richtig vorausgesehen war, setzte ein Rückfluß der goldenen Münzen zu den Kassen des Staats und der Banken ein.

Nicht alles Gold kam wieder. Als man in der Zentrale der Reichsbank Inventur machte, stellte es sich heraus, daß zwei Milliarden gemünzten Goldes im Umlauf geblieben, teils in den Sparstrümpfen des deutschen Volkes verschwunden waren.

Der entsprechende Betrag an Noten war dafür zur Bank zurückgekehrt. Der Öffentlichkeit wurde diese Tatsache nicht bekanntgegeben. Eine Mitteilung der Reichsbank besagte nur, daß die Wiedereinführung der Goldeinlösung sich reibungslos, ohne nennenswerte Erschütterungen und Zwischenfälle vollzogen habe. Das Ausland stand vor einem Rätsel. War das Volk im neuen Deutschen Reich wirklich so wohldiszipliniert, ließ es den Gemeinnutz tatsächlich so vor jeden Eigennutz gehen, daß hier möglich wurde, was kein anderer Staat mehr zu tun wagte, daß man das Gold frei zirkulieren lassen konnte? Viele Fragen, auf die keiner der fremden Banksachverständigen eine Antwort zu geben wußte. – – –

Ein Monat und noch ein zweiter waren darüber ins Land gegangen, als die Weltwirtschaft durch neue Verfügungen der deutschen Regierung in Erregung geriet. Mit einem Schlage wurden die schweren Beschränkungen des internationalen Zahlungs- und Handelsverkehrs, die man in den schlimmen Jahren der Wirtschaftsschrumpfung anordnen mußte, von ihr aufgehoben. Unbehindert durfte jedermann in Deutschland wieder fremde Devisen gegen Reichsbanknoten kaufen und verkaufen. Gleichlautend fiel das Urteil über die neuen Maßnahmen an allen großen Bank- und Börsenplätzen der Welt aus. ›Die Deutschen sind wahnsinnig geworden‹, hieß es kurz und bündig überall. Während die Leiter der fremden großen Geldinstitute sich ihre Köpfe noch über die Beweggründe der Reichsregierung zerbrachen, wurde das internationale Schiebertum sofort sehr mobil.

An der deutschen Grenze mußten die Fernzüge ihren Aufenthalt verdoppeln, weil es nicht mehr möglich war, die in das Reich strömenden Fremden in der vorgesehenen Zeit abzufertigen. In hellen Haufen kamen sie von Osten und Westen her. Viele Hunderte brachte jedes Schiff, das in Hamburg oder Bremen anlegte, von Übersee mit.

Zu neunzig Prozent waren es wenig erfreuliche Zeitgenossen, deren Geschäfte gewöhnlich das Licht zu scheuen hatten. Seit Jahren lebten die meisten von den Gewinnmöglichkeiten, welche die Devisenvorschriften aller Staaten denjenigen boten, die sich über das Gesetz hinwegzusetzen verstanden. Ganz legal konnten sie jetzt in Deutschland die fremden Noten, die sie mit allen möglichen Listen und Tücken aus dem eigenen Lande herausgebracht hatten, an jedem Bankschalter gegen klingendes Gold einwechseln, konnten frei und ungehindert mit dem so heiß begehrten gelben Metall das Reichsgebiet wieder verlassen. Das letztere geschah etwas zwangsläufig, denn auf eine längere Anwesenheit dieser fremdländischen Gäste legte Deutschland so wenig Wert, daß es ihnen im allgemeinen nur eine kurz bemessene Aufenthaltsbewilligung erteilte. Doch diese wurde nur selten voll ausgenutzt. Sowie sie ihre Devisen eingewechselt hatten, waren sie bestrebt, die Beute in Sicherheit zu bringen, das Gold im eigenen Lande mit Gewinn abzusetzen und möglichst schnell einen neuen Fischzug zu unternehmen.

Die Fährlichkeiten ihres Geschäftes begannen erst außerhalb der deutschen Grenzen, denn dort gab es noch allerlei Vorschriften, die das Goldhamstern, ja sogar den Besitz weniger Goldstücke unter schwere Strafen stellten. Aber das war den Schiebern gerade recht. Hier waren sie in ihrem eigentlichen Element, denn eben diese Vorschriften gaben ihnen ja die Möglichkeit, das deutsche Gold mit hohem Aufgeld an ängstliche Sparer des eigenen Landes abzusetzen.

Bis auf das Tüpfelchen genau traf alles so ein, wie es die deutsche Regierung bei der Aufhebung der gesetzlichen Beschränkungen vorausgesehen hatte. Kratergold im Werte von fünf Milliarden war drei Monate später aus Deutschland verschwunden, aber in keinem Ausweis der großen ausländischen Banken kam es zum Vorschein. Spurlos war es in Millionen von Sparstrümpfen und privaten Safes versickert.

Die deutsche Reichsbank konnte dafür auf einem Geheimkonto den Betrag von fünf Milliarden in fremden Devisen verbuchen und besaß damit eine furchtbare Waffe. Jede fremde Währung hätte sie auf das schwerste erschüttern können, wenn sie diese auswärtigen Zahlungsmittel etwa in Mengen auf die ausländischen Märkte warf. Aber etwas Derartiges lag nicht in der Absicht der Reichsregierung. Im Gegenteil ging ihr großzügiger Plan ja dahin, mit jenem gewaltigen Goldreichtum, den ein glückliches Geschick ihr in den Schoß geworfen, zunächst die eigene Wirtschaft und im Anschluß daran die Weltwirtschaft zu neuer Blüte zu bringen. – – –

Professor Eggerth notierte sich sorgfältig die Zahlen, die Minister Schröter während des langen Gespräches nannte. Bei den letzten Ziffern ließ er den Bleistift sinken.

»Zwanzigtausend Tonnen Nickel sollen meine Werke in Kanada kaufen? Wird das möglich sein, Herr Minister, ohne unerwünschtes Aufsehen zu erregen? Zwanzigtausend Tonnen . . . es ist meines Wissens die halbe Jahresproduktion Kanadas.«

»Macht nichts, Herr Professor. Infolge der allgemeinen Absatzkrise lagert in Kanada noch aus früheren Jahren her ein Vorrat von mehr als fünfzigtausend Tonnen. Die Leute werden heilfroh sein, wenn sie auf einen Plutz zwanzigtausend loswerden und für unsere kanadischen Devisen ist es die beste Anwendung.«

»Gut, ich werde meine amerikanischen Vertreter telegraphisch anweisen, den Kauf zu tätigen . . . mit der nötigen Vorsicht natürlich, um ein ungesundes Emporschnellen des Nickelpreises zu verhüten. Aber . . .« kopfschüttelnd beugte sich der Professor wieder über seinen Schreibblock.

»Haben Sie irgendwelche Bedenken oder Zweifel?« fragte der Minister.

»Offen gesagt, Herr Minister, ich wundere mich.«

»Darf ich fragen, worüber, Herr Professor?«

»Über die Tatsache, daß wir das Nickel in Kanada kaufen, während wir es doch ebenso gut aus dem Kratererz gewinnen könnten.«

»Aber nicht ebenso vorteilhaft, Herr Professor Eggerth, das ist der Unterschied. Aus dem Kratererz können wir mit genau den gleichen Unkosten und der gleichen Mühe ebensogut ein Kilogramm Gold wie ein Kilogramm Nickel herausziehen, und für ein Kilogramm Gold bekommen wir auf dem internationalen Metallmarkt, wie Ihnen bekannt sein dürfte, fünfhundert Kilogramm Nickel. Wir kommen also fünfhundertmal besser weg, wenn wir in Kanada kaufen und unser Meteoritennickel liegen lassen, wo es liegt.«

»Sie haben recht, Herr Minister! Meine Frage war unüberlegt. Aber ich glaube doch, daß der Kauf einer solchen Menge durch mein Werk zu allerlei Erörterungen und Mutmaßungen Anlaß geben wird. Man weiß schließlich draußen in der Welt, daß die Eggerth-Werke vorwiegend Leichtmetalle verarbeiten.«

Der Minister griff nach einer Zeitung, schlug sie auf und schob dem Professor eine rot angestrichene Notiz hin. Der überflog sie und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.

»Sehr gut, was man doch alles so en passant aus der Zeitung erfährt.«

Auch der Minister Schröter lachte.

»Ja, mein lieber Professor, das wußten Sie noch gar nicht, daß die Münzanstalt in Berlin mit den Eggerth-Werken über eine große Lieferung von Nickelblechen für die Ausprägung von Scheidemünzen in Verhandlung steht Übermorgen werden Sie noch etwas Genaueres darüber lesen können. Daß es sich nämlich um die neuen Nickelstücke im Gesamtwert von hundert Millionen Mark handelt. Hundert Millionen Mark, das entspricht gerade 20 000 Tonnen. Die Reichsregierung beabsichtigt . . . ich möchte das nebenbei bemerken . . . in Zukunft auch die Scheidemünzen als ein vollwertiges ehrliches Geld auszuprägen, bei dem der wirkliche Wert ebenso wie bei den Goldmünzen dem Nennbetrag entspricht. Sie sehen jedenfalls, daß der Nickelkauf auf diese Weise so getarnt ist, daß kein vernünftiger Mensch im In- und Ausland etwas dabei finden kann.«

Der Professor verabschiedete sich, um auf schnellstem Wege nach Bitterfeld zurückzukehren. Er war nicht der einzige Industrielle, der in diesen Tagen vom Finanzminister empfangen wurde. Die Führer der großen Elektrokonzerne wurden ebenso wie die führenden Männer der Textilindustrie in das Finanzministerium gebeten und hatten mit dem Minister ähnliche Unterredungen wie Professor Eggerth. Sie bekamen Kauforders auf Kupfer, Kautschuk und ausländische Faserstoffe, daß sie vor der Höhe der dazu erforderlichen Beträge erschraken. Aber ihre Bedenken und Einwände wußte der Minister mit wenigen Worten zu zerstreuen. Es war stets die gleiche Antwort, die sie von ihm erhielten:

»Kaufen Sie, Herr Direktor. Die Reichsbank stellt Ihnen die erforderlichen Devisen zur Verfügung, und das Reich übernimmt die Ware von Ihnen. Ihre Firma wird durch die Transaktion nicht belastet.«

Im übrigen waren auch für diese Käufe in jedem Falle Zeitungsartikel und Handelsnotizen vorbereitet, welche sie ganz unverfänglich erscheinen ließen. Zielbewußt führte die Reichsregierung den Plan durch, sich mit Hilfe ihres Devisenschatzes für lange Zeit mit allen denjenigen Rohstoffen zu versorgen, die Deutschland selbst nicht hervorzubringen vermochte oder im Besitze eines reichen Goldschatzes nicht mehr selbst erzeugen wollte. In erster Linie geschah es, um der einheimischen Industrie wieder volle Beweglichkeit und Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen. Darüber hinaus aber führte dies Vorgehen, wie die kommenden Monate zeigen sollten, zu einer Wiederankurbelung des internationalen Handelsverkehrs. Es erwies sich bald, daß das kühne Experiment der Reichsregierung geglückt war, daß die Weltwirtschaft, die so lange krank daniedergelegen hatte, durch die Injektion von sieben Goldmilliarden wieder zu Kräften kam und aufzuleben begann.

*

Tief stand die Sonne in der Antarktis. Wie ein roter Kupferball kroch sie in 24 Stunden einmal um den Horizont herum. Nur noch wenige Tage, und sie würde unter ihn hinabsinken, eine neue Polarnacht würde beginnen, die dritte würde es für die Expedition sein.

Im letzten Schein des schwindenden Tages bewegten sich die drei Raupenwagen von Süden her über das endlose Schneefeld auf die Station zu. Am Abend des 5. April langten sie bei ihr an. Nach langen Wochen saßen alle Mitglieder der Expedition endlich wieder einmal beim gemeinsamen Mahl in dem großen Raum des Stationshauses zusammen. Schon während der letzten Stunden der Fahrt hatte ein Schneetreiben eingesetzt. In pfeifenden Stößen fuhr der Sturm jetzt um das Stationshaus und trieb die immer dichter fallenden Schneemassen gegen die Fenster.

»Der antarktische Winter meldet sich an«, meinte der lange Dr. Schmidt, stand auf und drehte die elektrische Heizung stärker an. Wille schob seinen Teller zurück und verschränkte die Arme über der Brust.

»In Deutschland wird es jetzt Frühling, Herr Schmidt. An der Bergstraße blühen schon die Obstbäume.«

Dr. Schmidt kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, als ob er eine Erinnerung verscheuchen wolle. Wille sprach weiter.

»In Deutschland springen jetzt die Knospen an allen Zweigen . . . grüne Blätter . . . Frühlingslaub . . . ich habe Sehnsucht danach. Seit drei Jahren habe ich es nicht mehr gesehen. Es war ja Herbst, die Bäume ließen ihre Blätter fallen, als wir aus Deutschland nach der Antarktis fuhren.«

Es war, als hätte Dr. Wille den andern damit ein Stichwort gegeben. Während draußen die Dunkelheit anbrach und der Schneesturm zum Orkan anwuchs, rückten sie näher zusammen, begannen durcheinanderzureden und vom Frühling in der Heimat zu erzählen. Von den alten Weidenbäumen im friesischen Marschenland sprach Lorenzen, die dort als die ersten Boten eines späten Frühlings ihre Kätzchen herausstecken. Von den Buchen des Thüringer Waldes hub Hagemann an zu schwärmen, die den Weg zur Wartburg hinauf umsäumen und ihr lichtes Grün mit dem Dunkel der alten Bergtannen vermischen.

»Ich möchte mal wieder durch den Tiergarten in Berlin gehen, wenn Rhododendron und Faulbaum blühen«, warf Rudi dazwischen.

»Und Sie, Herr Dr. Schmidt, haben Sie keinen Wunsch?« fragte Wille. Der kaute und schluckte eine Weile an irgend etwas nicht Vorhandenem, ehe er sich zur Antwort bereit fand.

»Ich möchte mal wieder gern im Frühling durch das Fuldatal bei Kassel wandern, aber . . .« er machte eine kurze abwehrende Bewegung. »Das kommt natürlich gar nicht in Frage. Meine Arbeiten hier sind noch nicht abgeschlossen, den nächsten Frühling vielleicht, diesen noch nicht.«

Wille betrachtete seinen alten Mitarbeiter kopfschüttelnd.

»Alle Achtung vor Ihrem Pflichteifer, Herr Kollege, aber einen kleinen Erholungsurlaub sollten Sie sich nach dreißig Monaten in der Antarktis auch einmal gönnen. Sie haben ihn zumindest ebensosehr verdient wie die andern hier.«

Abweisend schüttelte Schmidt den Kopf. »Erst wenn ich meine Arbeiten abgeschlossen habe, vorher auf keinen Fall.«

Auf die übrigen wirkte das Wort ›Erholungsurlaub‹ wie ein elektrischer Funke. Hatte Wille es mit einer bestimmten Absicht gesagt, steckte etwas Positives dahinter? Mit wehmütigen Gefühlen hatten sie die Sonne versinken sehen. Der Gedanke, zum dritten Male hier die lange Polarnacht durchzumachen, wirkte auf alle mit Ausnahme des langen Schmidt niederdrückend, doppelt niederdrückend jetzt, da sie des Frühlings gedachten, der eben in Deutschland seinen Einzug hielt.

Mit stillem Vergnügen beobachtete Wille die Wirkung seiner Worte auf die um den Tisch Versammelten, während er einen Brief aus der Brusttasche zog. Der Adler auf dem Umschlag und die blaue Verschlußoblate ließen schon von weitem erkennen, daß es ein amtliches Schreiben war, offenbar aus einem Ministerium an Wille gerichtet. Mit behaglicher Langsamkeit entfaltete er das Schriftstück und putzte sich umständlich die Brillengläser, während seine Leute ihn verwundert anschauten, neugierig, was jetzt wohl kommen mochte.

»Ja also, meine Herren«, begann er endlich, »wir haben eben in gemeinschaftlicher Beratung festgestellt, daß jetzt in Deutschland der Frühling beginnt . . .« er machte eine kleine Kunstpause.

›Herr Gott, wat klöhnt der Alte heut bloß zusammen‹, dachte Lorenzen bei sich, und die Gedanken der andern waren nicht sehr verschieden davon. Dr. Wille fuhr fort:

»Das Ministerium erteilt deshalb uns allen, die wir hier zusammensitzen, Urlaub bis zum 15. Oktober . . . bei voller Gehaltszahlung natürlich. Morgen bringt ›St 11‹ die Ablösung und nimmt uns nach Deutschland mit.«

Eine Sekunde herrschte nach Dr. Willes Worten Totenstille im Raum. Dann brach der Jubel los. Sie sprangen auf, sie fielen sich in die Arme und tanzten schließlich einen wilden Indianertanz um den Tisch herum, in den sehr gegen seinen Willen sogar der lange Schmidt hineingerissen wurde.

Eine Weile ließ sie Wille gewähren, dann schrie er dazwischen.

»Ruhe, Herrschaften! Genug von dem Radau! In acht Stunden ist ›St 11‹ hier. Kümmern Sie sich um Ihre Sachen. Es muß alles gepackt sein, wenn das Schiff kommt.«

Im Augenblick wirbelten sie aus dem Raum hinaus, jeder eifrig darauf bedacht, die Anordnungen des Chefs zu befolgen. Nur Schmidt blieb zurück.

»Nun, Herr Kollege«, fragte Wille, »wollen Sie nicht auch Ihre Vorbereitungen treffen?«

Der lange Schmidt schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Wille, ich ziehe es vor hierzubleiben. Erstens meiner Arbeiten wegen und zweitens . . . es muß jemand hierbleiben, der die Herren Bolton und Garrison gebührend empfängt, wenn sie uns doch ins Gehege laufen sollten.«

Alle Versuche, ihn umzustimmen, waren vergeblich. Unerschütterlich verharrte er bei seinem Vorsatz. Es blieb Wille schließlich nichts anderes übrig, als ihn gewähren zu lassen. – –

Die Sonne war verschwunden, unter den Horizont gesunken. Dafür stand der Mond jetzt hoch am Himmel. Langsam zog seine volle Scheibe in 24 Stunden einen weiten Kreis und übergoß das verschneite Gefilde mit mattem Silberlicht. Das Unwetter hatte sich ausgetobt, auf das Schneetreiben waren Windstille und schneidender Frost gefolgt.

Auf dem Hof waren Hagemann und Lorenzen damit beschäftigt, durch die Schneemassen einen Weg zu den im Freien aufgebauten Instrumenten hin zu schaufeln. Plötzlich warf Hagemann die Schaufel beiseite.

»Hörst du, Jens, da kommt ›St 11‹. Soll mein Nachfolger hier weiterschippen, ich streike.«

»Hast recht, Karl. Aber wer weiß, vielleicht will der Alte noch mal zu seinen Apparaten, ehe wir von hier abhauen. Dann raucht's am Ende, wenn er durch den Schnee . . .«

Die letzten Worte von Lorenzen gingen im Motorgeräusch verloren. An seiner Hubschraube hing ›St 11‹ über dem Hof und ließ sich langsam nieder; und dann mußten Hagemann und Lorenzen doch noch einmal zu ihren Schaufeln greifen und den Weg bis an das Stratosphärenschiff freimachen.

›St 11‹ kam von der Kraterstation, wo es die übliche Goldladung an Bord genommen hatte. Als erster stieg Reute über die Aluminiumtreppe hinab, begleitet von Berkoff und Hein Eggerth. Dr. Wille empfing sie am Fuß der Treppe und geleitete sie und fünf weitere Personen, die ihnen folgten, nach dem Hause hin.

»Ich bringe Ihnen die Ablösung, Herr Kollege«, sagte Reute. »Sie alle haben einen Urlaub redlich verdient.«

Während sie auf das Haus zuschritten, unterrichtete Dr. Wille den Ministerialdirektor von der Absicht Schmidts, hierzubleiben. Verwundert schüttelte Reute den Kopf.

»Ein sonderbarer Heiliger, dieser lange Doktor. Aber . . . wenn ich es recht bedenke, wer weiß zu was es gut ist? Mag er in Gottes Namen hier bleiben, um so besser und schneller werden sich die andern einarbeiten können.«

Die nächsten Stunden waren der Übergabe der Geschäfte an die neue Besatzung der Station gewidmet, und es ging wirklich alles viel glatter und schneller, weil Dr. Schmidt in der Antarktis zurückblieb.

Dann noch ein letztes Winken und Grüßen. Hermetisch schlossen sich die Türen von ›St 11‹. Das Schiff stieg wieder auf, schraubte sich in die Höhe und stürmte in Südwestrichtung davon. Eine Stunde und noch eine Stunde raste es über endlose mondbeschienene Eisöde. Dann war über Enderby-Land bei Kap-Anne die Küste des sechsten Kontinents erreicht. Die Sonne kam wieder, dunstig blau wogte in ihrem Licht tief unter dem Schiff die See.

In ihrer Steuerbordkabine preßten Lorenzen und Hagemann die Nasen gegen das Fenster. Blaues Meer, offenes Wasser . . . sie konnten sich nicht satt daran sehen. Wie lange hatten sie den Anblick entbehren müssen. Noch trieben Eismassen auf dem Ozean, aber immer seltener wurden sie, je weiter das Schiff kam.

Inseln tauchten auf und verschwanden wieder, und dann kam die afrikanische Küste in Sicht. Wie aus einer Spielzeugschachtel aufgebaut zog Kapstadt unter dem Flugschiff dahin und versank im Süden. Von Stunde zu Stunde veränderte sich das Bild. Erst sandige Wüsten, undurchdringliche Urwälder danach, durch die der Kongostrom sein schimmerndes Band zog. –

Dann geschah es, daß Hagemann in eine Koje sank und Lorenzen in die andere, und ehe sie sich's versahen, lagen beide in festem Schlaf. Seit 24 Stunden waren sie nicht aus ihren Kleidern gekommen, und unerbittlich forderte die Natur nun ihr Recht. Sie schliefen, während ›St 11‹ über die Lybische Wüste dahinjagte. Sie sahen nichts vom Mittelmeer, nichts vom italienischen Stiefel und auch nichts von den Alpen. – –

Eine Hand legte sich auf Hagemanns Schulter, rüttelte und schüttelte so lange an ihm, bis er endlich verschlafen die Augen rieb. Die Stimme Berkoffs drang an sein Ohr.

»He, Hagemann, altes Faultier, jetzt wird nicht weiter gedachst. Wir sind über Deutschland. Kommen Sie rüber in den Salon, das Essen steht auf dem Tisch.«

Während Hagemann sich langsam aufrappelte, wandte Berkoff sich zu der andern Koje hin. Nach dem Geräusch zu schließen, war Jens Lorenzen eben dabei, einen kräftigen Ast abzusägen. Allzu verlockend hing sein Achterteil über den Kojenrand, Berkoff konnte nicht widerstehen. Seine Hand knallte darauf . . . zweimal . . . dreimal, dann war auch Lorenzen unter Fluchen und Brummen munter und folgte den beiden andern in den Salon.

Die Sonne stand bereits tief im Westen, als sie ihn betraten. In knapp vierzehn Stunden hatte ›St 11‹ den langen Weg von der Antarktis nach Deutschland hinter sich gebracht. Es blieb ihnen eben noch Zeit, in Ruhe zu Abend zu essen. Dann tauchten die Lichter der Reichshauptstadt auf. Aus der Stratosphäre stieß das Schiff nach unten und ließ sich langsam auf den Flugplatz von Staaken hinab.

Noch im Schiff schüttelte Dr. Wille Hagemann und Lorenzen die Hand zum Abschied, rief ihnen, während sie schon ins Freie stürmten, noch nach:

»Am 14. Oktober, zehn Uhr morgens, pünktlich hier auf dem Flugplatz.« Die beiden mußten sich beeilen, um noch die Abendzüge nach Thüringen und Friesland zu erreichen. Zusammen mit Rudi fuhr Wille danach im Wagen Reutes in die Stadt, um vorläufig in einem Hotel Wohnung zu nehmen. Er war fremd hier geworden während der langen Jahre, die er im fernen Süden in der Antarktis seiner Wissenschaft geopfert hatte.

 


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