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Eine deutsche Kolonie in der Antarktis

Dr. Wille wird Reichskommissar. Bolton und Garrison schiffbrüchig an Bord der ›Fréjus‹. Die deutsche Südpolkolonie. Captain Andrew tritt in Erscheinung. Sein Pakt mit Bolton.

Eine Stunde und eine zweite fast noch vergingen, aber noch immer war die Unterredung zwischen Reute und den beiden Doktoren nicht beendet. Röte im Gesicht, Glanz in den Augen folgte Wille den Worten, die aus Reutes Mund kamen. Mit unbewegter Miene, hölzern und steif wie immer hörte Schmidt sie an. Viel schwerer als Wille ließ er sich davon überzeugen, daß die reine Wissenschaft sich hier dem gemeinen Wohl unterordnen und ein Opfer bringen müsse. Langsam nur schmolz sein Widerstand, während Reute ihm zum dritten und vierten Male auseinandersetzte, wie sich ein befruchtender Lebensstrom von dem Krater hier in die deutsche Wirtschaft . . . später vielleicht in die ganze Weltwirtschaft ergießen würde, wenn man das Unternehmen nach den Plänen der Regierung durchführte. Die enorme Eisenmasse, die da unten in dem Krater steckte und die erdmagnetischen Kraftlinien in Unordnung brachte, war dem braven Schmidt immer noch viel wichtiger als die Goldmengen, die man aus diesem Erz gewinnen und nach Deutschland schaffen wollte. Erst als Reute ihm versicherte, daß er seinem Forscherdrang auch in Zukunft keine Zügel anzulegen brauche, daß man die feste Station des antarktischen Instituts nur in der Nähe des Kraters haben wolle, um das Unternehmen der Regierung für das Ausland zu tarnen, gab er seine Zustimmung zu allem, was von ihm verlangt wurde.

»Dann, meine Herren«, sagte Reute, während er nach einem Schriftstück griff, »habe ich die Ehre und das Vergnügen, Ihnen, Herr Dr. Wille, die Bestallung als Reichskommissar zu überreichen.«

Er zog eine Karte der Antarktis heran, auf der ein Gebiet von etwa dreihundert Kilometern im Durchmesser rot schraffiert war. »Sie sehen hier das zukünftige deutsche Gebiet, dessen Erwerbung durch das Reich die Regierung in den nächsten Tagen öffentlich verkündigen und den anderen Regierungen notifizieren wird. Ihnen, Herr Reichskommissar, untersteht die Verwaltung dieses Gebietes, für die Sie dem Reich verantwortlich sind.«

Trotz seiner gehobenen Stimmung konnte Dr. Wille bei den letzten Worten ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken.

»Ich glaube, Herr Ministerialdirektor«, warf er ein, »es wird in dieser Eiswüste nicht viel zu verwalten geben. Meine Station . . . nun, ich glaube, ich habe sie ohne besondere Anstrengung bisher ganz gut verwaltet. Und außerdem . . .«

»Außerdem«, unterbrach ihn Reute, »unterstehen Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Kommissar alle Personen, die in unsere neue Kolonie einwandern, und alle Unternehmungen, die sich in ihr auftun. Sie haben sie zu beaufsichtigen und ihnen erforderlichenfalls den Schutz des Reiches zu gewähren.«

Reute erhob sich, die beiden anderen Herren folgten seinem Beispiel. Er verlas eine Eidesformel, die Wille Wort für Wort nachsprach, und verpflichtete ihn auf sein neues Amt.

»Ich gratuliere als erster, Herr Reichskommissar«, sagte der lange Schmidt und schüttelte Wille die Hand.

»Danke, lieber Schmidt, Sie bleiben nach wie vor mein bester Mitarbeiter. Was sollen wir jetzt tun, Herr Ministerialdirektor?«

»Ich möchte Ihnen erst einmal die Arbeiten hier zeigen und Sie darüber ins Bild bringen, was hier entstehen wird.«

Gemeinsam traten sie ins Freie. Suchend blickte sich Schmidt umher. So scharf er auch nach allen Seiten hin ausschaute, er konnte nur noch zwei Stratosphärenschiffe sehen.

»Sie vermissen die sechs anderen Schiffe, Kollege Schmidt«, sagte Reute, der seine Gedanken erriet, »die sind schon wieder auf dem Wege nach Deutschland, um neues Material und neue Menschen zu holen.«

»Menschen? Es wird also doch Ansiedler in der antarktischen Kolonie geben?« warf Wille ein.

»Wir brauchen Hände für die Arbeiten, die hier geleistet werden sollen«, erwiderte ihm Reute. »Hände und Köpfe. Absolut zuverlässige Leute, die wir auf das sorgfältigste ausgewählt haben. Zweihundert Menschen werden hier tätig sein. Verschwiegene opferwillige Männer, die den Staatsgedanken über alles stellen, die nur von dem einzigen Wunsch beseelt sind, ihrem Vaterlande zu dienen. Vom einfachen Arbeiter bis zum Chefingenieur ist jeder von ihnen von dieser Idee erfüllt. Schwierigkeiten mit der Verwaltung werden Sie hier nicht haben, Herr Doktor.« –

Über den Bergkamm schritten sie einer Stelle des Kraterrandes zu, an der sich ein blinkender Metallbau erhob. Ein Fahrstuhl nahm sie auf und glitt mit ihnen in die Tiefe. Dunkel wurde es über eine Strecke und dann wieder heller, als der Liftkasten sich dem Kratergrunde näherte. Ein leichter Druck, der Kasten stand still. Reute öffnete die Tür und trat als erster hinaus; die andern folgten ihm. Warme trockene Luft schlug ihnen beim Verlassen des Fahrstuhls entgegen.

Trotzdem nun schon ein rundes Jahr vergangen war, seitdem der Bolide aus Weltraumfernen kommend in die Erdkruste einschlug, strahlte die Erzmenge noch immer eine Wärme aus, die für die drei aus der Kälte der Polarnacht Kommenden doppelt stark fühlbar war.

»Das lassen wir besser hier«, meinte Reute, während er seinen Pelz ablegte und in den Fahrstuhl warf. Während Wille und Schmidt das gleiche taten, zog Reute eine Karte hervor. Es war die verkleinerte Nachbildung jenes Planes, den Professor Eggerth mit seinen Leuten vor vielen Monaten von dem Kratergrund aufgenommen hatte. Reute wies auf einzelne farbig markierte Punkte der Zeichnung.

»Wir wollen zunächst«, erklärte er, »diejenigen Stellen abbauen, an denen das Erz nach den Feststellungen von Professor Eggerth den größten Gehalt an Edelmetallen hat.«

Der Boden, über den sie dahinschritten, wies rauhe zackige Unebenheiten auf und zeigte an vielen Stellen, wo das Meteoreisen durch Luft und Feuchtigkeit oxydiert war, eine dunkle rostbraune Färbung.

»Gehen Sie vorsichtig, meine Herren«, warnte Reute, »der Boden hier greift das Schuhzeug scharf an. Schade, Herr Schmidt, daß Sie keine Magnetnadel mit haben. Hier würde sie senkrecht nach unten zeigen, Sie könnten hier den magnetischen Südpol damit feststellen.«

Schmidt zuckte die Achseln und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Nach seiner persönlichen Meinung war dieser ganze Bolide ein höchst unerwünschter Eindringling, lediglich deshalb aus dem Weltraum hierhergekommen, um ihm bei seinen Arbeiten und Messungen unabsehbare Schwierigkeiten zu bereiten.

Weitergehend stießen sie auf ihrem Wege auf ein Feldbahngleis und folgten ihm ein Stück. Es endete bei einer Arbeitsstelle. Mächtige Bohrmaschinen waren hier aufgebaut. Wie Schlangenleiber zogen sich die Starkstromkabel, die ihnen die Energie zuführten, über den Kraterboden dahin, bis sie im Schatten der Steilwand verschwanden.

Zitternd und knirschend fraßen sich die Drehbohrer schräg in das Erz hinein. Fast armstarke Spiralbohrer, aus höchstwertigem härtesten Spezialstahl gefertigt. Das schrille Geräusch einer der Bohrmaschinen wurde plötzlich dumpf und scharrend. Einer der Arbeiter sprang zu einem Schaltpult und hantierte an verschiedenen Hebeln. Die Drehung des Bohrers hörte auf. Die Maschine zog ihn aus dem mehr als zwei Meter tiefen Bohrloch heraus, ein Rohr senkte sich in das Loch, pfeifend und zischend strömte Preßluft aus dem Rohr und jagte eine Wolke glänzender Bohrspäne in die Luft.

Reute stellte eine kurze Frage an den Schachtmeister der hier arbeitenden Kolonne und wandte sich dann an Wille.

»Es wird noch eine halbe Stunde dauern, bis hier gesprengt werden kann. Wir wollen inzwischen zu einer andern Stelle gehen, an der die Sprengung in wenigen Minuten fällig sein dürfte.«

Beim Weiterschreiten sahen sie plötzlich in weiter Entfernung ein rotes Licht aufflammen. Reute blieb stehen.

»Nicht weiter, meine Herren. Rotlicht heißt Sprengung. Nehmen wir auf alle Fälle Deckung.« Er zog die beiden Gelehrten mit sich zu einem gewaltigen Löffelbagger, der in der Nähe stand. »Hier hinein! In dem schweren stählernen Löffel sind wir vor Sprengstücken sicher.«

Es war kein Teelöffel, sondern ein halbkugeliges Gefäß von zwei Kubikmetern Inhalt, dem der Löffelbagger seinen Namen verdankte. Zu dritt krochen sie hinein und duckten sich im Schutz des starken Stahlbleches dicht zusammen. Aus der Ferne drang ein Ruf an ihr Ohr.

»Die Zündschnur wird angebrannt«, flüsterte Reute.

Eine kleine Ewigkeit dünkten ihnen die nächsten Minuten. Dann ein Donnern und Krachen, das von den Kraterwänden in hundertfältigem Echo zurückgeworfen wurde, bis die Schallwellen den Ausweg nach oben ins Freie gewannen. Langsam verklang der Lärm.

»Jetzt können wir weiter gehen«, sagte Reute und kletterte als erster aus dem Baggerlöffel. Sie schritten weiter und kamen zu der Sprengstelle. Arbeiter waren dort bereits dabei, die während der Sprengung weit zurückgenommenen Starklichtlampen wieder heranzurollen.

»Man ist noch dabei«, fuhr Reute in seiner Erklärung fort, »die beste Sprengmethode für das zähe Erz ausfindig zu machen. An der Stelle, von der wir eben kommen, treibt man eine größere Anzahl von Bohrlöchern schräg in das Metall, um durch mehrere gleichzeitige Sprengungen einen Block aus dem Boden herauszubrechen. Hier dagegen hat man es mit einer einzigen sehr starken in zehn Meter Tiefe angebrachten Ladung versucht. Einige unserer Sprengsachverständigen halten dies Verfahren für unzweckmäßig. Wir wollen sehen, was es geschafft hat.« –

Dann standen sie unmittelbar an der Sprengstelle. Die Gewalt der Explosion hatte hier eine kegelförmige Vertiefung in den Boden gerissen. Das darüber liegende Erz war, in größere und kleinere Stücke zerbrochen, wie aus einem Kanonenrohr emporgeschleudert worden. Reute sprach mit dem Sprengmeister und sagte dann kopfschüttelnd:

»Ich fürchte, meine Herren, die Sachverständigen behalten recht. Im Verhältnis zu der Bohrarbeit und der Größe der Sprengladung ist die Erzausbeute hier verhältnismäßig gering. Wahrscheinlich werden die Arbeiten nach dem anderen Verfahren bessere Ergebnisse liefern. Kommen Sie bitte weiter.«

Sie standen jetzt ungefähr in der Mitte des Kraters. Hoch zu ihren Häupten sahen sie ein kreisrundes Stück des tiefschwarzen Nachthimmels mit funkelnden Sternen besät. Wie ein leuchtender Kranz umgab es der Lichtschein, den die oben am Kraterrande stehenden Starklichtlampen verbreiteten. Es bedurfte einer zweiten Aufforderung Reutes, bevor sie sich von dem eigenartigen Bild zu trennen vermochten.

Unter der Führung des Ministerialdirektors gingen sie weiter auf die gegenüberliegende Wand zu. Wohl zwei Dutzend Arbeitsstellen, die aus der Ferne wie Lichtflecken wirkten, konnten sie auf der weiten Fläche des Kraterbodens beobachten. Von allen Seiten her drang Maschinengeräusch zu ihnen und zweimal noch der Donner von Sprengungen, bevor sie die Kraterwand erreichten. Fast diametral lag die Stelle derjenigen gegenüber, von der aus sie ihre Wanderung angetreten hatten, und wieder stießen sie auf einen Fahrstuhl, doch diesmal war es ein schwerer Lastenaufzug, der an die Förderschalen in Bergwerken erinnerte.

Eine Weile mußten sie warten. Loren, voll beladen mit blinkenden Erzbrocken, rollten auf einem Gleis heran, wurden in die Förderschalen geschoben und verschwanden in schneller Fahrt nach oben. Endlich erklang ein neues Glockenzeichen, das Signal, daß die Anlage nun für Personenfahrt frei war. Sie traten in den Förderkorb, zwei Glockenschläge, die Schale stieg empor. Meter um Meter versank der Boden neben ihnen in die Tiefe. Lichterglanz, ein scharfer Luftzug, die Schale hielt an, sie traten ins Freie und schauerten. Nach dem langen Aufenthalt in einer tropischen Temperatur standen sie plötzlich wieder in der eisigen Polarluft.

»Unsere Pelze! Dumme Sache! Wir werden uns schwer erkälten«, rief der lange Schmidt. Aber da sprang schon ein Arbeiter hinzu und reichte ihnen die Pelze, die sie zu Beginn ihrer Wanderung an der anderen Seite des Kraters abgelegt hatten.

»Gut, gut! Aber einen Schnupfen werden wir uns doch noch holen«, brummte Schmidt weiter.

»Wir sind erst seit wenigen Tagen hier an der Arbeit, Herr Kollege«, suchte ihn Reute zu beschwichtigen. »Natürlich ist noch alles sehr provisorisch. Später wird von der Förderanlage ein geschlossener Gang zu den Aufbereitungswerken führen. Sie dürfen mir glauben, daß der starke Temperaturunterschied zwischen dem Kraterinnern und dem Oberland uns schon ziemliches Kopfzerbrechen gemacht hat. Wir müssen unsere Leute mit allen Mitteln davor schützen, um Erkrankungen zu vermeiden.«

Der Weg führte sie weiter eine Bohlenbahn entlang zu einem Hallenbau. Er war in jener Holztechnik errichtet, die sich bei der Willeschen Station in zwei Polarwintern bereits so gut bewährt hatte. Betäubendes Geräusch von Werkzeugen und Maschinen drang ihnen entgegen, als sie in den großen hell erleuchteten Raum traten. In einer Reihe standen dort gewaltige Dieselmotoren, die beiden ersten schon betriebsfertig, einer davon in vollem Lauf. Die folgenden noch in der Montage; für die letzten wurden eben erst die Fundamente gelegt.

»Sie sehen hier unser Kraftwerk«, schrie ihnen Reute in die Ohren, um sich in dem Lärm verständlich zu machen. »Zwölf Verbrennungsmotoren von je 5000 Pferden, direkt mit ihren Dynamo-Maschinen gekuppelt. Für den ersten Ausbau wollen wir mit 60 000 Pferden arbeiten.«

»60 000 Pferde? Für ein Kraftwerk nicht gerade viel«, warf Dr. Wille ein.

Reute lachte. »Für ein Kraftwerk ist es nicht viel, da haben Sie recht. Aber für ein Baukraftwerk ists schon ganz anständig. Kommen Sie einmal in einem Jahr wieder, wenn erst die Hüttenwerke fertig sind. Dann werden wir Ihnen wahrscheinlich mit einer halben Million Pferdestärken dienen können. Vergessen Sie nicht, Herr Doktor, daß wir erst seit Tagen hier sind. Dafür ist schon Bedeutendes geleistet.«

Weiter ging ihr Weg vom Kraftwerk zu einer benachbarten Stelle. Hier war der Felsboden durch Sprengungen geebnet, und an die hundert Mann waren dabei, die Fundamente für das Hüttenwerk zu legen. Von einem Lagerplatz holten sie die einzelnen Bauteile dafür herbei, auf dem gewaltige Mengen von Material aufgestapelt waren. Wille schüttelte verwundert den Kopf.

»Unbegreiflich, Herr Ministerialdirektor, wie haben Sie das alles in der kurzen Zeit hierher geschafft?«

»Die Bauteile lagen schon seit mehreren Wochen fix und fertig in Deutschland, Herr Doktor. Wir wollten eigentlich erst später mit den Arbeiten beginnen. Als wir aber Ihre Absicht erfuhren, mit der motorisierten Station hierherzukommen, entschlossen wir uns, sofort zu handeln. Zweimal sind inzwischen schon acht Stratosphärenschiffe zwischen Deutschland und dem Südpol hin- und hergeflogen. Sechzehn Schiffsladungen entspricht das alles, was Sie hier gesehen haben. Aber bald werden es hundert Ladungen sein und . . . und ich sagte es Ihnen ja schon, in einem Jahr wird es hier ganz anders aussehen.« –

In der Nähe des Lagerplatzes hielt ein Kraftwagen. Ebenso wie die Fahrzeuge der motorisierten Station lief er auf breiten Raupenketten. Reute nötigte Wille und Schmidt einzusteigen.

»Es ist keine reine Freude, hier zwei Kilometer über zerrissenes Gelände durch die Polarnacht zu laufen«, meinte er dabei.

Eine kurze Fahrt, dann hielt der Wagen neben den Mammutfahrzeugen, mit denen sie herihergekommen waren..

»Auf morgen, meine Herren, . . . das heißt, Morgen und Abbend gibt es hier ja nicht . . . ich meine in zwölf Stunden wollen wir weiter über die Angelegenheit sprechen«, sagte Reute beim Abschied. Schweigend gingen Wille und Schmidt zu dem Wohnwagen ihrer Station. Sie waren nicht in der Laune zu sprechen, zu sehr erfüllte sie all das Neue, kaum Faßbare, was sie während der letzten Stunden erlebt hatten.

*

Von einer halbraumen Brise getrieben, machte das Boot, mit dem die beiden Amerikaner ihre Insel verlassen hatten, gute Fahrt. Garrison, der am Steuer saß, warf des öfteren Holzstückchen über Bord und beobachtete, wie sie zurückblieben.

»Was machen Sie da?« fragte Bolton.

»Ich versuche unsere Geschwindigkeit festzustellen. Nach meiner Schätzung läuft das Boot gut und gern vier Knoten. Wenn es weiter so bleibt, können wir in 24 Stunden Tahiti erreichen.«

»24 Stunden?« Bolton verzog das Gesicht. Drei Stunden waren sie nun unterwegs, immer höher war die Sonne heraufgekommen und brannte unbarmherzig auf sie nieder. Da das Boot mit der Brise lief, vermochte diese nur wenig Kühlung zu geben.

»Noch mehr als 20 Stunden Fahrt, Garrison. Verflucht lange ist das.« Bolton stand auf und suchte sich eine andere Stelle, wo ihm das Segel Schatten bot. Dort machte er sichs bequem. Bald verrieten seine tiefen Atemzüge, daß er eingeschlafen war.

Weiter verstrich die Zeit, hoch stand die Sonne am Zenit, als die Stimme Garrisons ihn weckte. Nur langsam ermunterte er sich und schaute um sich. Glatt wie ein Spiegel dehnte sich die See, schlaff hing das Segel am Mast, kein Lüftchen regte sich mehr.

»Was ist's, Garrison? Was wollen Sie?«

»Flaute, Bolton! Seit einer halben Stunde liegen wir auf derselben Stelle.«

Er wies auf ein paar Holzstückchen, die neben dem Boot im Wasser lagen.

»Verdammt, Garrison! Was sollen wir jetzt machen?«

»Wir haben zwei Möglichkeiten, Bolton. Entweder ruhig warten, bis wieder Wind aufkommt, oder die Riemen in die Hand nehmen und kräftig pullen.«

Bolton schüttelte den Kopf. »Ich danke schön! 150 Kilometer rudern, pfui Teufel!«

Garrison zuckte die Achseln. »Es wäre die eine Möglichkeit. Viel Lust dazu habe ich selber nicht. Ich glaube, wir können's ruhig abwarten. Gegen Abend wird die Brise wieder kommen.«

»Ganz meine Meinung«, pflichtete Bolton ihm bei, »sparen wir unsere Kräfte für bessere Dinge auf.«

Garrison verließ seinen Platz am Steuer und suchte sich neben Bolton ein schattiges Fleckchen. Beide merkten, daß sie seit Stunden nichts genossen hatten und nahmen aus ihren Vorräten erst einmal eine ordentliche Mahlzeit zu sich.

»Wenn's so weiter geht«, bemerkte Bolton nachdenklich, »dann kann's lange dauern, bis wir nach Tahiti kommen. Ich weiß nicht, Garrison, ob wir klug daran taten, die Insel zu verlassen . . .«

Eine plötzliche Bewegung des Bootes unterbrach seine Betrachtungen. Ein kurzer, jäher Windstoß fegte über die See daher, packte das Segel und legte das Boot schwer auf die Seite. Mit einem Sprung war Garrison wieder an seinem alten Platz und hantierte mit Steuer und Segelleine.

»Die Brise kommt wieder«, schrie er Bolton zu. Zweifellos war seine Bemerkung richtig. Wind kam wieder auf, und zwar in einer solchen Stärke, daß er alle Kunst anwenden mußte, um ein Kentern zu vermeiden. Aber der Wind kam aus einer andern Richtung wie früher, und das Boot ohne Kiel oder Schwert war kein Kreuzer. Notgedrungen mußte Garrison es vor dem Winde laufen lassen in einer Richtung, die fast rechtwinklig zu ihrem ursprünglichen Kurs stand. Bolton merkte von dieser Änderung nichts; er beobachtete nur mit Vergnügen, daß sie schnelle und immer schnellere Fahrt machten.

Desto größere Sorgen empfand Garrison. Blieben die Windverhältnisse noch lange so wie jetzt, dann wurden sie weit von ihrem Ziele abgetrieben in eine insellose Gegend der Südsee und dann konnte diese Bootsfahrt ein böses Ende nehmen. Doch die Ereignisse ließen ihm nicht Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn von Minute zu Minute wurde der Wind stärker.

»Reffen! Segel reffen!« schrie er Bolton zu.

Mit der Möglichkeit, daß sie in einen Sturm geraten, daß schnelle Segelmanöver notwendig werden könnten, hatten sie bei der Fertigstellung ihres Bootes nicht gerechnet. Die Takelage war infolgedessen nur primitiv ausgefallen. Es war nicht möglich, das Segel zu reffen. Mit Mühe gelang es Bolton, die Leinwand einigermaßen zusammenzufalten und mit einem Tauende an den Mast zu binden. So wirkte es immer noch wie ein Sturmsegel, vor dem das Boot mit erheblicher Geschwindigkeit durch die gröber werdende See lief. Trotzdem Garrison alle Kunst aufwandte, um den Kurs senkrecht zu den Wogenkämmen zu halten, schlug hin und wieder ein Brecher über die niedrige Bordwand. Wie hatte sich die ewig sonnige blaue Südsee in kurzer Zeit verändert. Weißgemähnt jagten die Wellen heran, überholten das Boot, drohten jeden Augenblick, es vollzuschlagen und kentern zu lassen.

Verzweifelt kämpften die vom Sturm Verschlagenen um ihr Leben. Auf dem Boden des Bootes kniend war Bolton unablässig bemüht, die über die Bordwand schlagenden Wassermengen mit der größten Konservenbüchse, die er fassen konnte, wieder herauszuschöpfen. Alle Nerven und Muskeln gespannt, handhabte Garrison das Steuer, nur noch bemüht, das schwankende Fahrzeug von einer bis zur anderen Woge heil durchzubringen. Längst hatte er die Orientierung verloren. Eine verlorene Nußschale war das Boot in der endlosen Wasserwüste, dem unvermeidlichen Untergang schienen seine Insassen geweiht zu sein. – –

Die Zeit lief weiter. Schon senkte sich die Sonne nach Westen, als Garrison in der Ferne an der Kimme fast, wo Meer und Himmel sich berühren, etwas Dunkeles zu bemerken glaubte. Schärfer schaute er danach hin. Ein Rauchwölkchen konnte es sein, die Rauchfahne eines Dampfers vielleicht. Wollte das Schicksal Erbarmen zeigen, führte es auf diesem so wenig befahrenen Meer ein Dampfschiff in ihren Kurs? Er ließ den fernen Rauchstreifen nicht mehr aus den Augen, während er gleichzeitig alle Aufmerksamkeit anwenden mußte, um das Boot durch die immer höher gehende See zu bringen. Erkannte dabei, an welch schwachem Faden ihre Rettung hing. Ganz ausgeschlossen war es ja, den Kurs irgendwie auf jene die Rettung bringende Rauchwolke zu setzen. Schon eine geringe Abweichung von der Richtung, die er einhielt, hätte ihm schwere Brecher über Bord und den sofortigen Untergang gebracht. Noch wagte er nicht, Bolton von dem, was seine Augen erblickten, etwas zu sagen. Zu unsicher schien ihm die Hoffnung, an die er sich selber klammerte. – –

Größer wurde die Wolke, schon vermochte er die schwarzen Umrisse eines Dampfers zu unterscheiden, und größer wurde auch die Hoffnung in seinem Herzen. Das fremde Schiff schien einen Kurs zu steuern, der ihren eigenen schneiden mußte. Würden sie es schaffen? Würden sie dem Dampfer so nahe kommen, daß man sie dort sah, dort etwas zu ihrer Rettung unternahm? Er konnte nicht länger an sich halten.

»Bolton«, rief er, »Bolton, sehen Sie den Dampfer rechts voraus?«

Der hielt mit dem Schöpfen inne und blickte in die Richtung, die Garrison ihm wies. Noch ehe er etwas sagen konnte, kam ein schwerer Brecher über Bord und durchnäßte ihn von oben bis unten.

»Schöpfen Sie! Schöpfen Sie, Bolton!« schrie Garrison verzweifelt.

Immer kleiner wurde die Entfernung. Jetzt hatten die auf dem Dampfer wohl Segel und Mast des Bootes gesehen. Das Schiff änderte seinen Kurs und kam schnell heran. Garrison sah, wie Matrosen an der Reling winkten. Rufe und Worte drangen an sein Ohr, französische Laute schienen es zu sein.

Wenige aufregende Minuten noch, dann lag der Dampfer neben dem Boot, ein Fallreep wurde heruntergelassen. Als erster griff Bolton danach. Als Garrison ihm folgte und seinen Fuß in eine Leitermasche setzte, faßte eine mächtige Woge das Boot, stürzte es um und riß es im Schaumgischt ihres brechenden Kammes mit sich.

Erschöpft, durchnäßt, Schiffbrüchige, die nur noch das ihr eigen nannten, was sie auf dem Leib trugen, kamen die beiden Amerikaner an Bord des französischen Frachtdampfers ›Fréjus‹, der sich aus der Fahrt von Tahiti nach dem australischen Hafen Brisbane befand. – –

Gastfreundlich wurden sie auf dem französischen Schiff aufgenommen. Ohne nach dem Woher und Wohin zu fragen, ließ der Kapitän ihnen sofort eine behagliche Kabine anweisen. Ein Matrose brachte trockene Kleidung, ein anderer stellte ein Tablett mit Speisen und Getränken auf den Tisch. Garrison, der die französische Sprache gut beherrschte, sprach den Seeleuten seinen Dank dafür aus. Dann schloß sich die Tür, sie waren allein.

»Uff!« stöhnte Bolton, während er sich die nassen Sachen vom Leibe riß, »das ging hart auf hart. Ein bißchen anders und wir wurden Haifischfutter.«

»Schon gut, Bolton«, unterbrach ihn Garrison, »wichtiger ist jetzt die Frage, was wir den Leuten vom ›Fréjus‹ nachher erzählen wollen. Die werden doch natürlich wissen wollen, wie wir hierher geraten sind.«

»Furchtbar einfach, Garrison! Wir werden den Leuten sagen, wie es gewesen ist. Wir werden ihnen den gemeinen Streich erzählen, den die Deutschen uns gespielt haben. Wie sie in der Antarktis scheinbar als Retter zu uns kamen und uns hinterher auf einer verlassenen Insel aussetzten. Das sollen die Franzosen alles haarklein von mir zu hören bekommen, und ich werde . . .«

»Ein Glück, daß Sie nicht französisch können«, unterbrach ihn Garrison. »Es wäre die größte Dummheit, die wir machen könnten, wenn wir andern Leuten . . . noch dazu Franzosen . . . unser Abenteuer auf die Nase binden wollten.«

Erst mit Hemd und Hose bekleidet ging Bolton an den Tisch, mischte sich ein Glas Kognak und Soda halb und halb und goß es in einem Zuge hinunter.

»Ah, das tut gut! Hm, hm . . . Sie meinen also, Garrison, daß wir besser tun, uns über unsere Angelegenheiten auszuschweigen.« Der so lange entbehrte Alkohol brachte sein Blut und seine Gedanken in Schwung. Lebhaft fuhr er fort:

»Da müssen wir uns sofort eine glaubhafte Geschichte ausdenken. Daß wir vom Himmel in die Südsee gefallen sind, können wir ihnen nicht erzählen. Auf welche plausible Weise könnten wir denn hierher gekommen sein?«

Garrison zwängte seinen Leib eben in einen blauen Sweater. Als sein Kopf wieder zum Vorschein kam, antwortete er:

»Selbstverständlich sind wir vom Himmel gefallen, Bolton. Merken Sie sich die Geschichte, falls man Sie auf englisch ausfragen sollte. Am 22. August haben wir in Adelaide ein Flugzeug gekauft, um damit einen Forschungsflug über die Südsee zu unternehmen. Infolge einer Motorstörung mußten wir nach 40 Stunden niedergehen . . .«

»Sie meinen in der Antarktis damals, Garrison?« unterbrach ihn Bolton.

»Unsinn, Bolton! Die Antarktis hat in unserer Geschichte gar nichts zu suchen. Bei einer einsamen Insel in der Südsee mußten wir niedergehen. Unser Flugzeug wurde von der Brandung zerstört. Es gelang uns, an Land zu kommen. Im Laufe mehrerer Wochen haben wir uns dann ein Boot gebaut, um damit Tahiti zu erreichen. Von unserer angeblichen Notlandung an erzählen wir die Geschichte so, wie sie wirklich gewesen ist. Desto weniger laufen wir Gefahr, uns zu verheddern und widerstreitende Angaben zu machen. Sind Sie jetzt im Bilde?«

Bolton nickte und mischte sich einen zweiten Soda-Kognak. –

Mit Interesse hörte Kapitän Monsieur Lemaître den Bericht der beiden Schiffbrüchigen und bat sie, sich auf der ›Fréjus‹ bis zur Landung in Brisbane wie zu Hause zu fühlen. Mit sehr gemischten Gefühlen vernahmen die Amerikaner, daß die Reise bis dorthin noch rund vierzehn Tage beanspruchen würde. Zwei lange Wochen, die noch verstreichen mußten, bevor sie wieder etwas in der Angelegenheit unternehmen konnten, auf die beide jetzt mehr denn je versessen waren.

Die ›Fréjus‹ war nur ein kleiner Frachtdampfer von 1200 Tonnen, eins jener Tramp-Schiffe, die in der Südsee schlecht und recht ihr Leben machen, indem sie bei den Inseln Fracht, meistens Kopra, nehmen und nach den australischen Häfen bringen. Erfreulicherweise befand sich wenigstens eine Funkanlage an Bord, und Monsieur Lemaître ließ es sich nicht nehmen, mit allen Einzelheiten die Nachricht in die Welt hinauszufunken, daß seine opfermutige Mannschaft zwei amerikanische Forscher gerettet habe und mit nach Brisbane bringe.

Der Funkspruch wurde in Australien aufgenommen. Mit dem Zusatz, daß man nun über das Schicksal der so lange als verschollen betrachteten Amerikaner nicht mehr in Sorge zu sein brauche, gab ihn der Kurzwellensender von Melbourne weiter. Von vielen Stationen der Erde wurde die australische Sendung empfangen. Auch Rudi Wille hörte sie an seinem Apparat und schrieb sie nieder.

Verwundert ging er mit dem Radiogramm zu seinem Vater und Dr. Schmidt, und bei denen löste es ein schweres Rätselraten aus. Wie ließ sich diese Nachricht aus Australien mit jener andern zusammenbringen, daß ›St 8‹ die beiden Amerikaner bei Neapel abgesetzt habe? Ein Depeschenwechsel entwickelte sich daraus, der den Herren in Bitterfeld noch mancherlei Kopfzerbrechen verursachen sollte. –

Kapitän Lemaître hatte die Amerikaner eingeladen, an den regelmäßigen Mahlzeiten in der Offiziersmesse der ›Fréjus‹ teilzunehmen. Es war um die Mittagszeit des dritten Tages. An dem langen Tisch in der Messe saßen die Steuerleute und Ingenieure des Dampfers beisammen und gingen einem auf Marseiller Art zubereiteten Fischgericht mit gesundem Appetit zu Leibe, als der Funker in die Messe kam und ein Radiogramm vor Kapitän Lemaître hinlegte.

Der las es und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Das Neuste aus Deutschland, meine Herren. Deutschland hat ein Gebiet in der Antarktis in Besitz genommen und zu einer deutschen Kolonie erklärt.«

Schon während der letzten Worte wurde das Gelächter am Tisch allgemein. Worte flogen dazwischen hin und her . . . armes Deutschland . . . eine Kolonie am Südpol . . . in Schnee und Eis . . . Nacht und Kälte . . . sind sie ganz toll geworden die Boches, oder bezwecken sie etwas damit? . . .

Zwei Menschen beteiligten sich nicht an diesem Geschwätz und Gelächter. Bolton . . . weil er den französischen Text des Radiogramms nicht verstanden hatte . . . und Garrison, weil ihm der Herzschlag zu stocken drohte, als er den Funkspruch hörte. Er schwieg, bis sich Lemaître direkt mit der Frage an ihn wandte, wie man wohl in den Vereinigten Staaten über solch neue Kolonialpolitik Deutschlands denken mochte.

»Die Nachricht kommt mir vollkommen überraschend«, erwiderte er dem Kapitän, wie aus tiefem Nachdenken erwachend. »Man müßte Genaueres wissen, bevor man darüber urteilen kann. Meines Wissens gehört das Marie-Byrd-Land den Vereinigten Staaten, seitdem Admiral Byrd dort im Jahr 29 das Sternenbanner hißte. Die Union würde es bestimmt nicht dulden, daß Deutschland sich auf diesem Gebiet festsetzt.«

Kapitän Lemaître machte eine leichte Verbeugung zu dem Amerikaner hin.

»Vorzüglich! Ganz vorzüglich, Monsieur Garrison, daß Ihr schönes Vaterland sich seine Rechte nicht schmälern lassen wird!«

»Ich hoffe, Herr Kapitän, daß auch das Ihrige seinen Besitz nicht antasten lassen wird.«

Lemaître sah ihn fragend an. »Ich verstehe Sie nicht, Monsieur Garrison. Frankreich hat in der Antarktis keine Interessen.«

Garrison schüttelte den Kopf. »Sie irren sich, Kapitän Lemaître. Formell wenigstens gehört Adélie-Land unter dem 70. Breitengrad seit langer Zeit zu Frankreich.«

Die Reihe, den Kopf zu schütteln, war jetzt an Kapitän Lemaître.

»Adélie-Land . . . eine französische Kolonie . . . Adélie-Land, ich habe in meinem Leben nicht davon gehört.«

»Das mag wohl sein, Herr Lemaître. Die Geschichte ist so alt, daß sie inzwischen vielleicht schon wieder vergessen wurde. Wenn ich mich recht erinnere, hat D'Urville das Land im Jahre 1840 entdeckt und im Namen Frankreichs in Besitz genommen.«

»Ah, das wäre ja interessant«, rief Kapitän Lemaître und pfiff durch die Zähne. »Wenn uns die Deutschen dort ins Gehege kämen . . .«

Garrison machte eine abweisende Handbewegung.

»Es hätte wenig Sinn, sich um diese Gebiete zu streiten. Es sind froststarrende Eiswüsten, die höchstens die Wissenschaftler interessieren können. Für einen andern Menschen ist dort absolut nichts zu holen. Das gilt für Ihr Adélie-Land ebenso wie für unser Marie-Byrd-Land.«

»Warum aber zum Teufel setzen sich jetzt plötzlich die Boches dort fest?« fiel ihm Lemaître ins Wort. »Irgendeinen Zweck müssen sie doch damit verfolgen.«

Über diesen Zweck hätte Garrison nun dem Kapitän Lemaître in der Tat mancherlei sagen können, aber er zog es vor, die Achseln zu zucken und zu schweigen. Mit Ungeduld sehnte er das Ende der Mahlzeit herbei, um sich unter vier Augen mit Bolton über die neue Situation auszusprechen. – –

Kaum waren die Amerikaner in ihrer Kabine allein, als Garrison mit dem eben Gehörten herausplatzte. Auf Bolton wirkte die Nachricht wie ein Keulenschlag. Stumm hockte er auf seiner Koje, unfähig etwas zu sagen, kaum fähig etwas zu denken.

»He, Bolton! Reden Sie doch endlich, sprechen Sie doch auch ein Wort!« schrie ihn Garrison an. Der preßte den Kopf in beide Fäuste und brachte ein dumpfes Stöhnen hervor. Nur allmählich ordneten sich seine Gedanken. Einem Schatz war er auf der Spur . . . einem Schatz, so groß . . . so unermeßlich, daß alle Reichtümer der Welt dagegen verblassen mußten . . . fast greifbar nahe hatte der Schatz vor ihm gelegen . . . und nun . . . nun waren andere gekommen . . . Verbrecher . . . hatten ihm seinen Schatz geraubt . . .

Mit einem rauhen Schrei sprang er auf. Schweigend saß Garrison auf der Bank unter dem Bulley und beobachtete ihn, wie er ruhelos wie ein wildes Tier in der Kabine hin und her lief. Flüche, wilde Verwünschungen kamen aus seinem Munde, Haß und Wut verzerrten sein Gesicht. Garrison traute sich nicht, ihn anzusprechen, in diesem Augenblick hatte er Furcht vor ihm.

Mit einem Ruck blieb Bolton plötzlich mitten in der Kabine stehen.

»Ich werde funken, Garrison! Sofort an unsern Präsidenten funken . . .«

»An den Präsidenten? Was wollen Sie ihm . . .«, wagte Garrison einzuwerfen.

». . . dagegen protestieren«, brüllte Bolton ihn nieder, »daß zwei Bürger der amerikanischen Union von Deutschland um ihre Entdeckung bestohlen werden.« – –

Vergeblich wandte Garrison während der nächsten Stunde seine ganze Beredsamkeit auf, um Bolton von diesem Entschluß abzubringen. Vergeblich versuchte er ihm klarzumachen, daß er sich durch eine solche Depesche ein für allemal die Möglichkeit verschütte, doch noch etwas von dem kostbaren Erz zu erobern. Vergeblich erklärte er wieder und immer wieder, daß allein das Geheimnis ihre Entdeckung so wertvoll mache, daß der Wert in dem Augenblick dahin sei, in dem die Öffentlichkeit etwas von der Existenz erführe. Bolton war wie ein Stier, der das rote Tuch sieht. Durch nichts ließ er sich von seinem Entschluß abbringen, sofort eine lange Depesche an den Präsidenten der Vereinigten Staaten aufzusetzen.

Garrison sah ein, daß es unmöglich war, diesen Starrsinn zu brechen. Während Bolton sich an den Tisch setzte und zu schreiben begann, verließ er die Kabine. Mit heißem Kopf ging er draußen auf dem Verdeck auf und ab und ließ sich den Wind ums Gesicht wehen. Unablässig überlegte er, was der törichte Funkspruch Boltons für Folgen haben könnte, ja wahrscheinlich haben müßte. Der Funker in der ›Fréjus‹ beherrschte, wie Garrison bereits herausgefunden hatte, das Englische nur sehr mangelhaft. Es bestand wenigstens die Möglichkeit, daß der den vollen Sinn von Boltons Depesche nicht faßte, während er sie in die Welt morste.

Aber von hundert andern Stellen, die des Englischen mächtig waren, würden sie wahrscheinlich mitgehört werden, und dann war es mit der Hoffnung auf Erz und Reichtum ein für allemal vorbei. War der Funkspruch einmal aus der Antenne heraus, dann konnte er, Mr. James Garrison, nur ruhig nach Pasadena zurückkehren und dort den Rest seiner Tage als mäßig bezahlter Assistent der Sternwarte verbringen . . .

Der Glockenschlag der Schiffsuhr riß ihn aus seinen Gedanken. Schon eine Viertelstunde sinnierte er hier auf dem Deck, schon eine Viertelstunde schmiedete unten in der Kabine Bolton an der irrsinnigen Depesche. Jeden Augenblick konnte er damit erscheinen und dann . . . dann nahm das Unheil seinen Lauf.

Garrison beschloß zu handeln. Er eilte die eiserne Leiter zur drahtlosen Station hinauf. Monsieur Longin, der Funker der ›Fréjus‹, war anwesend, und Garrison hatte eine hastige Unterredung mit ihm, wobei eine Zwanzigpfundnote aus Garrisons Hand in diejenige von Monsieur Longin hinüberwechselte. Dann hatte der Funker die Wünsche und Besorgnisse Garrisons verstanden. Der andere amerikanische Herr, durch den vorherigen Funkspruch maßlos erregt . . . nervös überreizt, im Begriff, eine unüberlegte Depesche an den amerikanischen Präsidenten zu schicken . . . unter allen Umständen verhindern . . . Depesche abnehmen, aber nicht absenden, . . . höchstens zum Schein absenden . . .

Garrison stellte dem Funker für eine geschickte Ausführung des Auftrages noch eine zweite Banknote in Aussicht und machte, daß er weiterkam, denn ein Zusammentreffen mit Bolton an dieser Stelle wollte er unter allen Umständen vermeiden. Er war noch nicht lange fort, als Bolton auftauchte und mit zwei Depeschen in die Funkstation trat. Monsieur Longin nahm die Blätter in Empfang und raffte sich zu einem ›Yes Sir, all right Sir‹ auf.

Während er den Text studierte, wurde ihm klar, wie recht der andere Amerikaner mit seinen Vermutungen und Befürchtungen hatte. Eine Depesche an den Präsidenten der amerikanischen Union . . . schon eine sehr ungewöhnliche Sachs . . . soweit er den Text zu verstehen vermochte, ein aufgeregter Protest gegen Räuber und Diebe, von denen Mr. Bolton schwer geschädigt zu sein glaubte . . . immerhin, wäre Mr. Garrison nicht vorher bei ihm gewesen, so hätte er sie einfach an die amerikanische Kurzwellenstation auf Nantuket-Island gemorst. Mochten die dortigen Funker sehen, wie sie sie weiter an das ›Weiße Haus‹ in Washington expedierten . . . aber der Text auf dem zweiten Blatt . . . ein Blinder mußte ja merken, daß Mr. Bolton aus Frisko übergeschnappt war . . . ein Funkspruch an das große Bankhaus von Barkley-Brothers in Adelaide, sofort das schnellste Flugzeug, das sie auftreiben konnten, für Mr. Boltons Rechnung zu chartern und der ›Fréjus‹ entgegenzuschicken.

Während er sich noch kopfschüttelnd bemühte, den vollen Sinn des englischen Textes zu erfassen, legte sich Boltons Hand schwer auf seine Schulter. Mit kaum mißzuverstehenden Worten und Gebärden forderte ihn der Yankee auf, die beiden Funksprüche sofort abzusenden.

Hartnäckig wie alle Verrückten . . . Irrsinnigen, darf man nicht widersprechen . . . dachte Monsieur Longin bei sich und begann an seiner Apparatur zu fingern. Drehte Abstimmknöpfe, schaltete hin und her, morste, lauschte eine Weile, morste dann wieder. Zehn Minuten später verließ Bolton die Funkstation mit dem Bewußtsein, daß seine Depeschen an die richtigen Adressen unterwegs seien.

Etwas beruhigter kehrte er in seine Kabine zurück und zündete sich eine Zigarre an. Drei Tage höchstens . . . drei Tage noch dachte er zwischen zwei Rauchwolken, dann ist das Flugzeug hier . . . dann werde ich mit diesen Räubern abrechnen. –

Zu derselben Zeit konnte Monsieur Longin eine zweite Banknote in Empfang nehmen. Aufmerksam las Garrison die beiden Depeschen Boltons. Mißbilligend schüttelte er den Kopf bei der Lektüre der ersten. Alles hätte Bolton in seiner blinden Wut verdorben, wenn dieser Funkspruch wirklich abgegangen wäre. Nachdenklich wurde er bei der zweiten.

Der Gedanke, sich ein Flugzeug kommen zu lassen, war gar nicht so übel. Zwar etwas kostspielig, aber Bolton verfügte ja über die nötigen Millionen. Man würde auf diese Weise acht bis zehn Tage sparen, würde schneller in der Lage sein, wieder in den Gang der Dinge einzugreifen . . .

Monsieur Longin begann auch an dem Geisteszustand Garrisons zu zweifeln, als er den Auftrag bekam, diesen Funkspruch genau so wie ihn Bolton aufgesetzt hatte, wirklich zu funken. Aber . . . was gingen ihn im Grunde die Geschäfte dieser spleenigen Yankees an. Sein Geld hatte er sicher, und das Funken war ja schließlich sein Beruf. Gleich danach begann die Morsetaste unter seiner Hand zu klappern, und diesmal war Strom in der Antenne.

*

Durch ihre diplomatischen Vertretungen gab die Reichsregierung den andern Mächten von ihrem Entschluß Kenntnis, ein Gebiet in der Antarktis in einer Ausdehnung von rund 5000 Quadratkilometern zu einem deutschen Schutzgebiet zu erklären. Lage und Grenzen des neuen Kolonialgebietes waren in der Note, welche die deutschen Vertreter den Regierungen überreichten, genau angegeben. Das Schriftstück führte weiterhin aus, daß das betreffende Gebiet herrenlos sei. In der Sprache des Völkerrechtes also eine ›terra nullius‹, ein Niemandsland, welches das Reich nehmen könne, ohne irgendwelche älteren Rechte zu verletzen. Motiviert wurde der Entschluß endlich mit den großen wissenschaftlichen Interessen, die das Reich, bzw. das deutsche antarktische Institut in jener Gegend habe.

Die erste Wirkung dieser Mitteilung in den verschiedenen auswärtigen Ministerien war derjenigen nicht unähnlich, welche der Funkspruch an Bord der ›Fréjus‹ auslöste. Man lachte zwar nicht so laut und unverhohlen, wie die Männer in der Offiziersmesse des französischen Dampfers. Man lächelte mehr diplomatisch und zurückhaltend, aber wirklich ernst vermochte keins der fremden Ämter die Sache zu nehmen.

Nach dem Weltkriege hatte man dem niedergeworfenen Deutschland seine blühenden Kolonien unter fadenscheinigen Gründen abgenommen und bisher war es ihm nicht gelungen, wenigstens einen Teil davon wiederzuerhalten. War es Prestigesucht, die das inzwischen neu geeinte und verjüngte Reich veranlaßte, diesen unbegreiflichen Schritt zu tun? Wissenschaftliche Interessen . . . die Begründung erschien den meisten nicht stichhaltig. Wie viele andere Expeditionen waren in der Antarktis tätig gewesen, ohne daß die Länder der betreffenden Forscher deswegen Veranlassung genommen hatten, in der trostlosen Eiswüste Kolonialbesitz zu erwerben.

Dann begann man sich an alte, fast vergessene Dinge zu erinnern. Es bestanden doch allerlei Ansprüche auf den antarktischen Kontinent, die auf früheren Abmachungen basierten. Da gab es ja einen australischen Sektor und einen englischen. Da gab es Gebiete, die formell und offiziell zu Frankreich und zu den Vereinigten Staaten gehörten. Mit wissenschaftlichen Dingen hatte das freilich blutwenig zu tun. Ausnahmslos handelte es sich dabei um Fischerei-Interessen und nur die äußersten Küstenstreifen jenes unter Eis und Schnee vergrabenen Kontinentes hatten für die betreffenden Staaten einen gewissen Wert. Keiner von ihnen hatte jemals daran gedacht, seine Ansprüche weiter auf das Innere des Landes auszudehnen.

So hatte es denn mit dem Passus der deutschen Note, daß es sich hier um ein Niemandsland handele, seine Richtigkeit. Obwohl man am Quai d'Orsay und in der Downingstreet der deutschen Unternehmung schon aus alter Gewohnheit ganz gern Schwierigkeiten bereitet hätte, ließen sich beim besten Willen keine Gründe dafür finden. Es blieb den fremden Regierungen nichts weiter übrig, als die Besitzergreifung des bezeichneten Gebietes durch Deutschland zur Kenntnis zu nehmen. Einige Verklausulierungen, eine Nachprüfung eventueller älterer Rechte betreffend, konnten von den deutschen Vertretern auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse entkräftet werden.

Der Reihe nach trafen denn auch die offiziellen Anerkennungen des neuen Kolonialbesitzes in Berlin ein. Von den skandinavischen Staaten, von Holland und Italien kamen sie zuerst. Costarica, Honduras und Guatemala folgten. Als erste außereuropäische Großmacht erkannte Japan die neue deutsche Erwerbung an. Langsam folgten andere Großstaaten seinem Beispiel.

Die völkerrechtliche Lage war derartig, daß eine Versagung der Anerkennung auf die Dauer nicht möglich war. Um so mehr zerbrach man sich in Washington, London und Paris den Kopf über den wirklichen Zweck dieser neuen Kolonie. Kein Gerücht war so abenteuerlich, daß es nicht Glauben gefunden hätte. Servierten die Pariser Boulevard-Blätter ihren Lesern heute eine fette Ente über die wirklichen Absichten der Deutschen in der Antarktis, so wurden sie am folgenden Tag von den New-Yorker Zeitungen überboten, die etwas noch Unglaublicheres auftischten. Das mindeste war, daß Deutschland dort in der Nähe des Poles einen Startplatz für seine ersten Mondraketen anzulegen beabsichtige. In langen pseudowissenschaftlichen Artikeln wurde erklärt, daß nur in nächster Nähe der Erdpole ein sicherer Schuß zum Monde möglich sei. Fast noch wichtiger wäre dies Gebiet für eine sichere Landung bei der Rückkehr von unserm Trabanten, deshalb hätten die schlauen Deutschen es sich beizeiten gesichert.

In den Reichsministerien legte man alle diese Erzeugnisse einer zügellosen Phantasie gelassen zu den Akten. Unangenehmer wurde ein Aufsatz in der französischen Fachzeitschrift ›La nature‹ empfunden, der unter dem Titel ›Ungehobene Schätze in der Antarktis‹ erschien.

Ein Mineraloge von anerkanntem Ruf entwickelte darin den Gedanken, daß der antarktische Kontinent mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gewaltige Bodenschätze enthalten müsse. Nicht nur wertvolle Metalle, sondern auch riesige Kohlen- und Erdöllager. Möglicherweise hätten die Leiter des deutschen antarktischen Institutes ergiebige Fundstellen entdeckt, und das Reich hätte sich daraufhin dort festgesetzt.

Mit einem leichten Stirnrunzeln gab Professor Eggerth diesen Aufsatz an Minister Schröter zurück.

»Der Mann hat die Glocken läuten hören, Herr Minister. Gott sei Dank weiß er nicht, wo sie hängen. Trotzdem . . . solche Veröffentlichungen könnten unangenehm werden.«

Der Minister legte die Zeitschrift in eine Mappe. Während er sie zuschlug, erwiderte er:

»Sie haben recht, Herr Professor, man muß etwas dagegen tun. Ich habe einen Aufsatz veranlaßt, der die Dinge in einem andern Licht zeigt. Ein Eispanzer, stellenweise mehrere tausend Meter stark, der den weitaus größten Teil des sechsten Kontinentes bedeckt. Wie sollte es da möglich sein, Erzfunde zu machen oder gar an ihren Abbau zu denken? In überzeugender Weise und gestützt auf eine Fülle wissenschaftlichen Materials werden darin die Vermutungen, die der französische Autor in ›La nature‹ aufstellt, ad absurdum geführt. Sobald die Veröffentlichung erschienen ist, werde ich Ihnen ein Exemplar zugehen lassen.« – –

Jene vom Minister Schröter veranlaßte Arbeit war in der Tat ein Meisterstück. Auf den Beobachtungen und Mitteilungen nicht nur deutscher, sondern auch amerikanischer und englischer Forscher fußend, gab sie ein plastisches Bild der Antarktis und zeigte den sechsten Kontinent in seiner ganzen Schrecklichkeit, als eine vergletscherte, von eisigen Stürmen durchbrauste Einöde. Die Veröffentlichung erschien in den ›Geographischen Mitteilungen‹, und Auszüge daraus gingen nicht nur in die deutschen, sondern auch in die ausländischen Zeitungen über.

Von der andern Seite her wirkte sich die Veröffentlichung in ›La nature‹ in ähnlicher Weise aus. Mit einem Schlage stand die Antarktis im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Jede Zeitung, die wußte, was sie ihren Lesern schuldig war, sah sich veranlaßt, etwas über den sechsten Kontinent zu bringen. Je nachdem die Blätter sich dabei mehr an die deutsche oder an die französische Auffassung hielten, fand sich Richtiges und Unrichtiges in ihren Artikeln vermischt.

Auch die reichlich trockenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Herren Wille und Schmidt fanden einen Leserkreis, der ihnen unter anderen Umständen niemals zuteil geworden wäre. In den fremden Ämtern und Redaktionen studierte man sie in der Erwartung, irgend etwas Wichtiges darin zu entdecken. Doch diese Hoffnung trog. Außer schwer verdaulichen wissenschaftlichen Theorien, die mit einem überwältigenden Zahlenmaterial belegt wurden, ließ sich nichts in ihnen finden.

Verborgen blieb es der Öffentlichkeit, daß täglich Stratosphärenschiffe, beladen bis an die Grenze ihrer Tragfähigkeit, in Deutschland aufstiegen und in Höhen, in denen sie unhörbar und unsichtbar blieben, nach Süden stürmten. Keine Ahnung hatte die Welt von dem, was diese Schiffe in die Antarktis trugen und was sie aus ihr zurückbrachten.

*

Monsieur Longin erweiterte sein Urteil über die beiden an Bord befindlichen Amerikaner dahin, daß sie bei aller Spleenigkeit doch anständige Kerle wären. Diese Meinung gründete sich auf mehrere größere Banknoten, die er während der nächsten Tage sowohl von Bolton, wie auch von Garrison in Empfang nehmen konnte.

Bolton drückte Longin einen Zehndollarschein in die Hand, als er ihm einen chiffrierten Funkspruch aus Adelaide überbrachte. Die Laune des Amerikaners, die bis dahin unter dem Gefrierpunkt stand, wurde nach der Lektüre dieses Telegrammes zusehends besser. Garrison tätigte ein anderes Geschäft mit dem französischen Funker. Durch die Überlassung mehrerer Pfundnoten bestimmte er ihn, täglich den Nachrichtendienst der Kurzwelle von Radio-City für ihn aufzunehmen. Dies Abkommen vertrug sich nicht ganz mit den Dienstvorschriften, aber um seiner Seelenseligkeit hätte Monsieur Longin sich das vorteilhafte Nebengeschäft nicht entgehen lassen.

Eben hatte er Garrison wieder zwei eng beschriebene Blätter auf den Tisch gelegt. Interessiert las der Amerikaner sie. Plötzlich stutzte er und brummte etwas vor sich hin.

»Merkwürdige Sache, Bolton. Wir scheinen Konkurrenz in der Antarktis zu bekommen.« Er las dem andern den Teil der Depesche vor. Radio-City meldete, daß der durch mehrere erfolgreiche Reisen bekannte Südpolforscher Captain Andrew eine neue Expedition vorbereite.

»Lassen Sie den Narren machen, was er will«, knurrte Bolton dazwischen.

»Bitte, hören Sie weiter, Bolton. Captain Andrew geht diesmal nicht auf wissenschaftliche Unternehmungen aus. Wie hier steht, vertritt er jetzt die Meinung, daß der sechste Erdteil reich an Kohlen- und Erdöllagern sei . . .«

»Lächerlich!« unterbrach ihn Bolton.

»Und daß . . . hören Sie gut zu, Bolton . . ., daß sich dort auch Edelmetalle, speziell Gold und Silber in großen Mengen finden müßten.«

»Verflucht!« Bolton sprang auf. »Sie haben recht. Der Kerl kann eine unangenehme Konkurrenz für uns werden. Andrew . . . der Name hat einen guten Klang in den Staaten. Es wird ihm sicher gelingen, das Geld für seine Expedition zusammenzubringen.«

»Damit scheint es noch zu hapern«, warf Garrison ein, »in dem Funkspruch ist die Rede davon, daß die Fabrik in Albany eine Bankgarantie abwarten will, bevor sie mit dem Bau eines großen Raupenwagens für Kapitän Andrew beginnt. Es sieht beinahe so aus, als ob man zu Andrew dem Goldsucher weniger Vertrauen hat als zu Andrew dem Forscher.«

Eine Weile überlegte Bolton. Plötzlich kam ihm eine Idee.

»Wissen Sie was, Garrison? Ich werde Captain Andrew finanzieren.«

Kopfschüttelnd sah ihn Garrison an. »Sie wollen die Konkurrenz unterstützen?«

Bolton pfiff vor sich hin. »Dann ist es ja keine Konkurrenz mehr. Ich kaufe mir den Mann, und er muß tun, was ich will. Je länger ich mir die Sache überlege, desto vorteilhafter erscheint sie mir . . . nochmal mit einem Flugzeug in die Antarktis . . . ich muß offen sagen, daß ich vom ersten Male noch genug habe. In einem großen Raupenwagen . . . der Deutsche, Dr. Wille, soll etwas Ähnliches haben, also schlecht kann es nicht sein . . . dazu Captain Andrew, der die Antarktis kennt, es ist die beste Lösung, Garrison . . .«

Bolton war so versessen auf seine Idee, daß er sich sofort hinsetzte und ein langes Telegramm an Andrew niederschrieb. Kurze Zeit darauf konnte Monsieur Longin ein nettes Trinkgeld für die prompte Absenkung des Funkspruches in seine Tasche stecken und ein größeres kam hinzu, als Bolton die Antwort las, in der Andrew seine Bereitwilligkeit aussprach, mit Mr. Bolton weiter zu verhandeln. – –

Zwei Tage später begaben sich die beiden Amerikaner nach dem Essen auf das Achterdeck der ›Fréjus‹, um einen kleinen Verdauungsspaziergang zu machen. In tiefem Blau dehnte sich die Südsee, wie ein Azurschild wölbte sich der wolkenlose Himmel darüber. Nur das schwache Schüttern der Schiffsschraube war hörbar. Dann schien etwas anderes sich in dies Geräusch zu mischen, etwas Fremdes, Schnelles, Tackendes. Instinktiv horchten beide auf. Immer stärker wurde der pochende Ton.

»Unser Flugzeug!« schrie Bolton und packte Garrison am Arm. Zusammen mit ihm lief er zum Vorderdeck, denn ihnen entgegen von der Richtung von Australien her mußte die ersehnte Maschine ja kommen. –

In der blauen Ferne sahen sie einen grauen Punkt. Aus dem Punkt wurde ein Flugschiff, das schnell näher und tiefer kam und nahe bei der ›Fréjus‹ auf die glatte See niederging. Die Maschinen des Dampfers gingen langsamer, stoppten, schlugen rückwärts, standen still, bewegungslos lag das Seeschiff. So dicht konnte bei der Windstille das Flugzeug herantreiben, daß seine Schwingen unmittelbar neben der Reling der ›Fréjus‹ lagen.

Ein kurzer herzlicher Abschied von Kapitän Lemaître und seinen Leuten. Ein guter amerikanischer Scheck ging dabei aus Boltons Hand in diejenige des Kapitäns über . . . dann standen sie auf der Schwinge des Flugschiffes und traten durch die geöffnete Tür in dessen Rumpf ein. Unter dem Rufen und Winken der französischen Matrosen rauschte der Aeroplan über die See, löste sich vom Wasser, stieg und verschwand schnell in der Ferne. Ein verlorener Punkt im endlosen Ozean blieb die ›Fréjus‹ zurück. – –

Die Besprechung zwischen Bolton und dem Chefpiloten der australischen Maschine war nur kurz. Sie ergab, daß das Flugschiff genügend Treibstoff an Bord hatte, um Hawai bequem zu erreichen. Unmittelbar darauf wurde der Kurs Nordost zu Nord auf Hawai gesetzt. Eine halbe Stunde Aufenthalt gab es dort, um neues Öl zu nehmen, dann ging der Flug sofort nach Frisko weiter.

Auch der Bordfunker bekam reichlich zu tun, sobald Bolton im Flugschiff war. Dutzende von Telegrammen gingen während des weiteren Fluges zwischen Bolton und Andrew hin und her.

48 Stunden, nachdem die beiden Amerikaner die ›Fréjus‹ verlassen hatten, wasserte ihre Maschine im Hafen von Frisko. Am Pier erwartete sie Captain Andrew, der ihnen auf dem Luftwege von Chicago her entgegengekommen war. – – –

Die Verhandlungen verliefen nicht so glatt, wie Bolton es erwartete. Obwohl er sich bereit erklärte, das Unternehmen sofort und großzügig zu finanzieren, machte Andrew Schwierigkeiten, als er hörte, daß Bolton und Garrison die Expedition begleiten wollten. Das Geld Boltons hätte er gern genommen, aber die Gegenwart der beiden Amerikaner war ihm bei den besonderen Absichten, die er verfolgte, aus mehr als einem Grunde unerwünscht.

Tagelang standen die Verhandlungen auf einem toten Punkt und wären vielleicht trotz der Millionen, die Bolton ins Feld führen konnte, gescheitert, wenn Garrison nicht vermittelnd eingegriffen hätte. In seiner vorsichtigen Weise und ohne ein Wort zuviel zu verraten, berichtete er Captain Andrew von seinen eigenen Entdeckungen in der Antarktis und legte zum Schluß seiner Rede die Schmelzproben auf den Tisch, die er aus den seinerzeit in der Nähe der Willeschen Station gesammelten Erzbrocken gewonnen hatte. Vollkommen unerwartet kamen Andrew diese Mitteilungen. Fest eingesprengt in das Felsmassiv des sechsten Erdteils hatte er bisher die Bodenschätze der Antarktis vermutet, und hier zeigte man ihm Edelmetall, das vom Himmel gefallen sein sollte, das frei auf der Oberfläche lag und mit Leichtigkeit und in großen Mengen eingesammelt werden konnte.

Jetzt verstand er, warum die beiden mit bei der Partie sein wollten. Er begriff auch, daß er seine eigenen Pläne vorläufig aufschieben müßte, wenn er Boltons Vorschlag annähme. Auf der andern Seite verfehlten die blinkenden Metallkegel, die vor ihm lagen, ihre Wirkung nicht. Allmählich unterlag er ihrer Lockung, das neue Abenteuer begann ihn zu reizen, Schritt um Schritt gab er den Forderungen Boltons nach. Als der Nachmittag in Dämmerung überging, setzte er seinen Namen unter einen Vertrag, der in vielen Paragraphen alle Rechte und Pflichten für die drei Teilnehmer der neuen Expedition regelte.

Noch in der Nacht traf Bolton daraufhin seine Dispositionen. Bereits am folgenden Morgen bekam das Werk in Albany eine Anzahlung und begann sofort mit dem Bau des von Andrew gewünschten Raupenfahrzeuges, zu dem die Pläne fix und fertig vorlagen. Bolton selbst ging zusammen mit Andrew nach Albany. Unter Zuhilfenahme von Überstunden und Nachtschichten schritt die Arbeit schnell voran. Man durfte hoffen, schon in drei Wochen die ersten Probefahrten mit dem neuen Wagen machen zu können. –

Einen Übelstand brachte diese forcierte Arbeit freilich mit sich. Sie erregte sehr gegen den Willen Boltons die öffentliche Aufmerksamkeit. Die amerikanischen Reporter ließen es sich nicht nehmen, über alle Einzelheiten des Baues an ihre Zeitungen zu berichten und in dem Bestreben, ihre Artikel möglichst inhaltsreich zu gestalten, teilten sie dabei auch mit, daß der Geldmann des Unternehmens, Mr. Bolton aus Frisko, und Mr. Garrison, der bekannte Wissenschaftler aus Pasadena, die Expedition in die Antarktis begleiten würden. Die Nachricht erschien zuerst im Chicago-Herald. Durch Rundfunk und Telegraphenagenturen fand sie schnell weite Verbreitung. Zur gleichen Zeit ungefähr, zu der ein von Bolton gecharterter Dampfer Frisko mit allem für die Expedition Erforderlichem verließ, war sie auch in deutschen Zeitungen zu lesen.

 


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