Hans Dominik
Das Buch der Chemie
Hans Dominik

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Das periodische System

Zeitgenössische Darstellung in Antiquaschrift statt des Originals eingefügt. Re.

Schon Mendelejew mußte daher hier das System anders weiterführen, indem er auf die ersten beiden kurzen Perioden von je 8 Elementen eine lange Periode von 18 Elementen folgen ließ. Die weitere Anordnung geht am besten aus der auf Seite 52/53 gegebenen tabellarischen Darstellung des Systems hervor. Während bisher nur 8 Vertikalkolonnen vorhanden waren, die aus Valenzgründen von 0 bis VII numeriert sind, tritt jetzt eine neunte, mit VIII bezeichnete Vertikalkolonne hinzu, in welcher die Metalle Mangan, Eisen, Kobalt und Nickel ihren Platz finden. Alsdann folgt die zweite wagerechte Reihe dieser ersten großen Periode. Sie beginnt in der Vertikalspalte I mit dem Kupfer und führt über Zink, Gadolinium, Germanium, Arsen und Selen zum Brom, welches nun seinen richtigen Platz in der Vertikalkolonne VII der Salzbildner erhält. Es fällt ferner bei dieser ersten großen Periode auf, daß ihre Glieder in den Vertikalkolonnen nicht genau senkrecht übereinander stehen. Das Kupfer beginnt eine neue Vertikalspalte, die sich nach unten über das Silber und Gold fortsetzt. Ebenso das Kalzium, welches eine neue über Strontium und Barium zum Radium führende Vertikalreihe einleitet, während die alte Vertikalspalte vom Beryllium und Magnesium über das Zink und Kadmium zum Quecksilber weitergeführt wird.

Blicken wir jetzt auf die beiden ersten kleinen Perioden zurück, so sehen wir, daß bereits in diesen durch eine mehr nach rechts oder links verschobene Stellung der Elemente diese Gabelung der Vertikalreihen vorbereitet war. Weiter bleibt nun noch der Wasserstoff mit dem geringsten Atomgewicht in das System einzureihen. Betrachten wir die Atomgewichte in den folgenden horizontalen Reihen, so sehen wir, daß sie von Element zu Element um etwa zwei bis drei Atomgewichtseinheiten ansteigen. Dementsprechend müßte der Wasserstoff unmittelbar vor dem Helium stehen, müßte also seinen Platz in der Spalte VII über dem Fluor haben. Geben wir ihm in Übereinstimmung mit Mendelejew diese Stelle, so stimmt auch die Abstufung der Atomgewichte in der Vertikalspalte VII gut überein. Es steht das Fluor dann ziemlich genau in der Mitte zwischen dem Wasserstoff und dem Chlor.

Fig. 17. Beispiel für die ältere Auffassung.
Die Atome als mathematische Kugeln von verschiedener Größe und Masse betrachtet, die sich aus unbekannten Ursachen zu Molekülen zusammenschließen.

Noch ein dritter Grund war für diese Stellung des Wasserstoffes in die Spalte VII mitbestimmend. Die römischen Zahlen der Vertikalspalten haben enge Beziehungen zu der Wertigkeit der in ihnen stehenden Elemente. In der Spalte 0 finden wir die Edelgase, welche gar keine Valenz besitzen und infolgedessen auch keine chemischen Verbindungen eingehen können. Mir müssen uns die Moleküle dieser Gase daher auch einatomig vorstellen, d. h. Molekül und Atom sind bei diesen Gasen dasselbe. Die Elemente, die wir in der Vertikalspalte I finden, wie Lithium, Natrium, Kalium usw., sind uns als einwertig bekannt. Ebenso treffen wir in Spalte IV die typisch vierwertigen Elemente, wie Kohlenstoff, Silizium usw. Den Stickstoff finden wir in Spalte V, und wir wissen, daß er fünfwertig oder dreiwertig sein kann. Der Sauerstoff steht in Spalte VI. Wir kennen ihn hauptsächlich als zweiwertig. Es sind aber auch Sauerstoffverbindungen bekannt, in denen er zweifellos sechswertig ist. Das gleiche gilt von dem unter dem Sauerstoff stehenden Schwefel. In Spalte VII finden wir hingegen eine ganze Reihe von Elementen, die wir als einwertig kennen. So läßt sich aus dem Schema des periodischen Systems bereits eine Gesetzmäßigkeit vermuten, deren innere Begründung freilich erst die neuesten Arbeiten von Nils Bohr geliefert haben: Die Vermutung nämlich, daß jedes Element grundsätzlich zwei verschiedene Valenzen besitzen kann, deren Summe in jedem Falle 8 ist. Die bekanntesten Beispiele dafür sind, wie gesagt, der Stickstoff (drei- und fünfwertig) und der Sauerstoff (zwei- und sechswertig). Es ist dabei keineswegs gesagt, daß jedes Element zweierlei Valenzen besitzen muß, sondern nur die Möglichkeit ausgesprochen, und diese Möglichkeit wird durch eine beträchtliche Anzahl beobachteter Doppelvalenzen bestätigt. Wenden wir nun dies Gesetz auf den Wasserstoff an, den wir als einwertig kennen, dem zunächst aber einmal eine mögliche Siebenwertigkeit unterstellt werden mag, so können wir ihm nur einen Platz in der Vertikalspalte I oder VII geben. Aber er gehört zweifellos besser in die Gruppe der Salzbildner als in diejenige der Alkalimetalle, und so wird ihm denn der Platz in der Vertikalspalte VII gegeben.

Betrachten wir nun das periodische System in der auf Seite 52/53 gegebenen Form. Der Begründer desselben, Mendelejew, sagte selbst darüber: Der Gesamtcharakter eines Elementes, wie er sich sowohl in seinen physikalischen als auch in seinen chemischen Eigenschaften offenbart, wird bestimmt durch die Stelle, die es im System einnimmt, und namentlich durch die vier angrenzenden Elemente, die Atomanalogen. Steht ein Element in einer geraden Reihe, dann sind die Elemente in den angrenzenden geraden Reihen seine Atomanalogen. Entsprechendes gilt von den ungeraden Reihen. Hieraus folgt, daß man einem Element, bei genauer Kenntnis seiner Eigenschaften, seine Stelle im System anweisen kann.

Umgekehrt aber, wenn im periodischen System noch eine Stelle unbesetzt ist, so wird man aus den Eigenschaften der vier umliegenden bekannten Elemente die Eigenschaften des noch unbekannten Stoffes voraussagen können. Das aber hat Mendelejew selbst meisterhaft verstanden. Als er sein System aufstellte, war das Germanium, das Element Nummer 32 des periodischen Systems, noch nicht entdeckt. Es war eine Lücke im System, die Mendelejew durch einen hypothetischen Stoff ausfüllte, dem er den Namen Ekasilizium gab, weil er unter dem Silizium seinen Platz im System hatte. Nach Mendelejew mußte das Atomgewicht dieses Stoffes das arithmetische Mittel aus seinen vier Nachbarn Silizium, Zinn (Stannum), Zink und Selen sein. Er berechnete es danach zu 72,9, während das später von Winkler entdeckte Germanium das Atomgewicht 72,5 hat. Mendelejew sagte für das Ekasilizium ein spezifisches Gewicht von 5,5 voraus, während das Germanium 5,47 besitzt. Er gab weiter die spezifischen Gewichte und Siedepunkte einer ganzen Reihe von Verbindungen dieses vollkommen hypothetischen Ekasiliziums an, die alle beim Germanium bestätigt wurden.

Man hat nicht mit Unrecht diese genaue Vorausbestimmung eines noch nicht entdeckten Elementes den bedeutendsten Großtaten des menschlichen Geistes an die Seite gestellt und sie mit der Errechnung des Planeten Neptun durch Leverrier verglichen. Wenn aber eine Hypothese oder eine Theorie nicht nur die bekannten Erscheinungen befriedigend erklärt, sondern darüber hinaus auch noch bis dahin unbekannte Erscheinungen treffend vorauszusagen gestattet, dann muß ihr ohne allen Zweifel ein sehr großer Wahrheitsgehalt innewohnen.

Wollen wir nun diesem Wahrheitsgehalt näherkommen, so müssen wir uns mit der Bohrschen Theorie etwas eingehender befassen. Seit der Erforschung der radioaktiven Substanzen wissen wir, daß die Atome der strahlenden Stoffe, die Nummern 84 bis 92 des periodischen Systems, zusammengesetzt sind, und daß in ihrem Bau mit Gewißheit Atome der negativen Elektrizität, die sogenannten Elektronen, und außerdem Heliumatome vorhanden sind. Seit der Zerlegung des Stickstoffes in Helium und Wasserstoff ist es weiterhin bewiesen, daß das Stickstoffatom sich aus Wasserstoff- und Heliumatomen aufbaut. Unter diesen Umständen liegt die Annahme nahe, daß auch alle übrigen Elemente in ihrem Atombau Gefüge dieser beiden einfachsten Atome sein könnten.

Diese Annahme ähnelt ein wenig der bereits im Jahre 1804 von Prout aufgestellten Wasserstoffhypothese, daß alle schwereren Atome nur Gefüge von Wasserstoffatomen wären, und stößt zunächst auf die gleiche Schwierigkeit wie diese. Wären alle Elemente aus Wasserstoff und Helium mit den Atomgewichten 1 und 4 aufgebaut, so müßte man bei ihnen überall ganzzahlige Atomgewichte erwarten. Dezimalstellen dürften dabei nicht vorkommen. Diese Schwierigkeit schien in der Tat zunächst unüberwindlich und hat erst in den letzten Jahren durch die Auffindung der sogenannten Isotopen ihre Lösung gefunden. Betrachten wir beispielsweise das Blei mit dem Atomgewicht 207,2! Nun wissen wir, daß das Uran mit dem Atomgewicht 238 sich nach dem Ausstoßen von 8 Heliumatomen mit dem Atomgewicht von je 4 schließlich in Blei verwandelt. Wenn aber 8 mal 4 gleich 32 Atomgewichtseinheiten vom Urangewicht 238 abgehen, so muß ein Blei übrigbleiben, welches das Atomgewicht 206 besitzt. In der Tat hat man nun solches Blei in der Pechblende, dem Muttermineral des Urans und der anderen radioaktiven Stoffe, gefunden.

Fig. 18. Modell des Wassermoleküles.
1 Sauerstoffatom + 2 Wasserstoffatome nach der älteren Auffassung.

Da man mit großer Gewißheit annehmen muß, daß dies Blei wirklich aus dem Zerfall des Urans stammt, so mußte man dies Atomgewicht, welches so sehr von den bisher bestimmten Gewichten abweicht, durchaus erwarten. Aber offenbar stammt nicht alles Blei aus dem Zerfall der radioaktiven Uranfamilie, sondern auch aus dem der Thorfamilie; und hier ergibt sich, wenn man vom Atomgewicht des Thoriums 232 ausgeht, nach Ausschleuderung von 6 Heliumatomen ein Blei mit dem Atomgewicht 208. Nun kam ein Augenblick, in dem die Chemie gründlich umlernen mußte. Man hatte bisher das Atomgewicht als das zuverlässigste und völlig unveränderliche Merkmal des chemischen Elementes betrachtet. Jetzt aber hatte man zwei Stoffe, die für alle chemischen Methoden vollkommen identisch waren, die, einmal zusammengeschmolzen, durch gar kein chemisches Mittel mehr zu trennen waren, die beide unbedingt als chemisch reines Blei angesprochen werden mußten, und von denen doch der eine Stoff das Atomgewicht 206, der andere das Atomgewicht 208 besaß.

Es leuchtet ohne weiteres ein, daß man durch Zusammenschmelzen dieser beiden Isotopen des Bleies in verschiedenen prozentualen Verhältnissen Blei mit jedem zwischen 206 und 208 denkbaren Atomgewicht erhalten kann. Dies Vermischen hat nun auch in den meisten Fällen die Natur bereits sehr gründlich besorgt, und so erklären sich die ewig schwankenden Atomgewichtsbestimmungen sowohl für das Blei als auch für eine große Reihe anderer Elemente, von denen man heute ebenfalls verschiedene Isotopen kennt. Ein besonders krasser Fall ist das Chlor, dessen Atomgewicht 35,46 ziemlich genau in der Mitte zwischen zwei ganzen Zahlen liegt, und das heute mit Sicherheit als ein Gemisch zweier Isotopen erkannt ist. Wir können heute sagen, daß alle die Anstrengungen vergangener Generationen, Atomgewichte bis auf die dritte Dezimale genau zu bestimmen, vergebene Liebesmüh waren. Wo immer ein Atomgewicht nicht ganzzahlig gefunden wird, haben wir es nach dem heutigen Stande unseres Wissens mit einer Mischung von Isotopen dieses Elements zu tun, auch wenn wir diese selbst noch nicht in reinem Zustande kennen.

Diese Entwicklung hängt zweifellos mit den Grundfragen der Radioaktivität zusammen. Man nahm zunächst an, daß der freiwillige radioaktive Zerfall der Atome beim Blei sein Ende findet. Sollte er trotzdem noch weitergehen, sollte etwa Blei in Thallium, Thallium in Quecksilber usw. unter Ausstoßung von Heliumbausteinen zerfallen, so mußte dieser Zerfall jedenfalls noch unendlich viel langsamer vonstatten gehen als etwa derjenige des Urans zu Radium, der doch schon eine Halbzerfallszeit von 7,5 Milliarden Jahren beansprucht. Denn die Stärke der Strahlung ist ja umgekehrt proportional der Zerfallszeit. Je länger diese, je schwächer die Strahlung. Bei den Stoffen vom Blei an konnte man aber lange Zeit hindurch auch mit den feinsten Instrumenten keine Strahlung mehr nachweisen und mußte deshalb jedenfalls unendlich lange Zerfallszeiten annehmen.

Aber inzwischen hat sich auch hier das Bild schon wieder geändert. Man hat auch bei Stoffen mit wesentlich geringeren Atomgewichten, beispielsweise beim Kalium und beim Rubidium, eine β-Strahlung, d. h. ein Ausschleudern von Elektronen, festgestellt. Die Vermutung ist daher zum mindesten nicht unbegründet, daß auch die einfacher gebauten Elemente, die niedrigeren Nummern des periodischen Systems, nicht absolut stabil sind, und daraus ergibt sich die Möglichkeit mannigfacher Isotopen, die nun wiederum die einstweilen gemessenen unganzzahligen Atomgewichte sehr einfach als eine Mischung ganzzahliger Isotopen erklärt.

Unser Begriff des chemischen Elements hat durch diese Entdeckung eine merkliche Erschütterung erfahren. Aber andererseits dürfen wir nun diejenigen Stoffe, deren Atomgewichte überraschend ganzzahlig aufgehen, auch als vollkommen einheitliche Stoffe ansehen. Weiter dürfen wir jetzt für die Bohrsche Atomtheorie durchweg ganzzahlige Atomgewichte voraussetzen, die sich in jedem Falle als Kombinationen von Wasserstoffatomen mit dem Gewicht 1 und von Heliumatomen mit dem Gewicht 4 darstellen lassen. Hier hat uns die Chemie der radioaktiven Substanzen von den Schwierigkeiten befreit, an denen vor hundert Jahren die Proutsche Wasserstoffhypothese noch scheitern mußte.

Wir dürfen also heute wieder den Aufbau einer Theorie versuchen, welche die verschiedenen Atome als Gefüge irgendwelcher kleineren Gebilde betrachtet. Die Atomgewichte würden es uns nun, nachdem die störenden Dezimalen durch die Entdeckung der Isotopen beseitigt sind, auch erlauben, den Wasserstoff als kleinsten Baustein zu betrachten. Wir dürften also wieder zur Proutschen Wasserstoffhypothese zurückkehren. Es besteht aber auch die Möglichkeit einer dualistischen Anschauung. Wir können uns die Welt auch aus zweierlei Arten von Bausteinen, nämlich aus Wasserstoff- und Heliumatomen, zusammengesetzt denken. Diese zweite Anschauung findet ihre besondere Stütze in dem Umstande, daß die zerfallenden Atome der radioaktiven Substanzen ja Heliumatome ausschleudern. Aus der β-Strahlung der radioaktiven Substanzen ergibt sich weiterhin auch der zwingende Schluß, daß in jedem Atombau auch Elektronen, d. h. die Atome der negativen Elektrizität, vorhanden sein müssen.

Fig. 19. Neuere Auffassung.
Die Atome stellt man sich zwar auch noch kugelförmig vor, aber ihre gegenseitige Bindung zu Molekülen erfolgt durch ungleichmäßige elektrische Ladungen. Das positiv geladene Wasserstoffatom (Wasserstoffion) verbindet sich mit dem negativ geladenen Chloratom (Chlorion) zum Chlorwasserstoffmolekül (Salzsäuremolekül).

Nun ist aber jedes chemische Atom in seinem Normalzustande neutral, es zeigt weder elektronegative noch elektropositive Ladung. Da indes elektronegative Ladungen, Elektronen, bestimmt im Atom vorhanden sind, und da diese nur durch gleich starke elektropositive Ladungen nach außen hin neutralisiert werden können, so müssen wir folgerichtig auch Elementarladungen der positiven Elektrizität, also positive Elektronen, im chemischen Atom annehmen, obwohl man diese selbst noch nicht beobachtet hat. Während wir die negativen Elektronen heute nach Größe, Gewicht, Ladung und sonstigem Verhalten recht genau kennen, ist etwas Derartiges für die positiven Elektronen noch nicht der Fall. Die einfache Logik zwingt aber dazu, im Gefüge der Elektronen etwas anzunehmen, was unter anderem auch die negativen Elektronen in ihren Außenwirkungen kompensiert und daher wenigstens die gleichen elektrischen Eigenschaften besitzen muß wie eine einfache elektropositive Elementarladung.

Wenden wir diese Betrachtungen nun auf das Wasserstoffatom an! Mit allen uns verfügbaren Mitteln können wir ihm nur ein negatives Elektron entreißen und dürfen danach einstweilen wenigstens annehmen, daß auch nur ein Elektron im Aufbau des Wasserstoffatoms vorhanden ist. Dann aber kann auch der übrige Teil dieses Atoms nur eine elektropositive Elementarladung enthalten, denn das Atom ist ja elektrisch neutral, sobald wir ihm das eine entrissene Elektron wieder anfügen. Wir dürfen aber noch nicht ohne weiteres behaupten, daß das Wasserstoffatom nun einfach aus einem negativen und einem positiven Elektron bestünde, denn das Wasserstoffatom besitzt ja eine gewisse Masse, ein bestimmtes Gewicht.

Auf Grund physikalischer Überlegungen, die besonders auf dem Avogadroschen Gesetz und der Loschmidtschen Zahl beruhen, gibt man dem Wasserstoffatom eine Masse von 1,64·10-21 Gramm. Wir kennen weiter auch die Masse des negativen Elektrons. Die beträgt den 1835. Teil der Masse des Wasserstoffatoms und ist gleich 9·10-28 Gramm. Daraus folgt, daß das, was nach der Wegnahme dieses Elektrons noch vom Wasserstoffatom übrig ist, erstens eine positive Elementarladung besitzen und außerdem den allergrößten Teil der Masse des Atoms enthalten muß. Für dies im weiteren noch nicht bekannte Gebilde wollen wir die Bezeichnung Wasserstoffkern benutzen. Wir wissen nun vom Wasserstoffkern, daß er in geeigneter Verbindung mit einem negativen Elektron ein neutrales Wasserstoffatom ergeben muß. Die Frage bleibt zu untersuchen, in welcher Weise diese beiden verbunden sein können und sein müssen.

Grundsätzlich sind zwei Möglichkeiten zu erörtern. Die Verbindung kann statisch oder dynamisch sein. Im ersteren Falle befinden sich Wasserstoffkern und Elektron in Ruhe. Dann wirkt aber zwischen beiden die Anziehungskraft ungleichnamiger Elektrizitäten, und sie müssen so dicht zusammenfliegen, wie es die räumlichen Verhältnisse nur überhaupt gestatten. Jedenfalls müssen sich die Massen des Kerns und des Elektrons dabei unmittelbar berühren. Die zweite, die dynamische Auffassung, die erfolgreich durch die Atomtheorie des Dänen Niels Bohr vertreten wird, nimmt dagegen an, daß das Elektron um den Atomkern eine kreisende Bewegung ausführt wie ein Planet um seine Sonne. Da die elektrische Anziehung zwischen ungleichnamigen Ladungen genau dem gleichen Gesetze folgt, wie die Newtonsche Anziehung zwischen zwei Massenpunkten, so muß die Bewegung eines solchen um den Atomkern kreisenden Elektrons in der Tat der Planetenbewegung um die Sonne vollkommen identisch sein. Sie muß sich in Keplerschen Ellipsen vollziehen, in deren Brennpunkt der Atomkern steht. Da uns ferner die Größe der elektronegativen und der elektropositiven Elementarladung aus mannigfachen physikalischen und elektrochemischen Versuchen bekannt ist, so können wir für diese zweite dynamische Annahme die Umlaufsgeschwindigkeit und die Zahl der Umläufe des Elektrons für jeden beliebigen Abstand vom Atomkern berechnen. Bevor wir das versuchen, muß aber noch die Massenfrage geklärt werden.

Wir haben bis jetzt dem Kern des Wasserstoffatoms eine positive Elementarladung und den allergrößten Teil der ganzen Atommasse zuschreiben müssen. Nun ist es mit der Masse ein eigenartiges Ding. Im Leben lernen wir die Masse als eine der ersten und realsten Eigenschaften der Materie kennen. Schon das Kind, das sich den Kopf an die Tischkante stößt, macht auf diese Weise mit der Massenträgheit Bekanntschaft. Auch in der Physik wird uns die Masse als etwas der Materie Innewohnendes untrennbar mit ihr verbundenes beschrieben. Je tiefer aber die Forschung in den Bau der Materie eindrang, desto problematischer wurde diese scheinbar so leicht begreifliche Masse. Beim Studium der Elektronen mußte man erkennen, daß die Masse des einzelnen Elektrons mit dessen Geschwindigkeit zunimmt und ganz gewaltig wächst, wenn diese Geschwindigkeit dicht an die Lichtgeschwindigkeit herankommt.

Fig. 20.
Der Wirbelring.
Der Helmholtzsche Versuch, das Atom als einen Wirbelring des Lichtäthers zu erklären. (Ein Knoten im Strick ist etwas anderes als der Strick und ist doch Strick.)

Aus anderen mathematischen Überlegungen geht weiter hervor, daß die Masse einer elektrischen Ladung, wie wir sie ja bereits beim Elektron feststellten, auch abhängig von der Größe des Raumes ist, den diese elektrische Ladung einnimmt. Die Formel m = 2 e² / (3 r · c²), zu welcher diese mathematische Ableitung führt, besagt, daß die Masse in diesem Falle gleich dem doppelten Quadrat der Ladung ist, dividiert durch den dreifachen Radius des Elektrons, multipliziert mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. In dieser Formel steht der Radius im Nenner eines Bruches, und wir können daher den Bruch selbst beliebig groß machen, wenn wir nur den Radius genügend klein wählen.

Fig. 21.
Neueste Auffassung. Das Bohrsche Modell des neutralen Wasserstoffatoms.
Um eine positive Elementarladung als Stern des Systems kreist eine negative Elementarladung als Planet.

Der Gedanke lag nahe, diese Erkenntnis auf den Kern des Wasserstoffatoms anzuwenden. Man sagte: Wir wissen nicht, ob es überhaupt unabhängig von elektrischen Ladungen eine Masse gibt. Aber in jedem Falle können wir den Radius der positiven Elementarladung so klein annehmen, daß diese selbst bereits die Masse bekommt, die wir für den Atomkern gebrauchen. Führt man diese Rechnung durch, so ergibt sich der Radius des Wasserstoffkerns zu 1·10-16 Zentimeter. Wir kennen ferner auch den Radius des negativen Elektrons, welches ja nun in unserem Atomsystem die Rolle des Planeten zu spielen hat. Dieser Radius beträgt 1,9·10-13 Zentimeter. Der Planet ist also in unserem Falle, räumlich betrachtet, rund 2000mal größer als die Sonne. Aus physikalischen Gründen, die besonders aus der kinetischen Gastheorie geschöpft wurden, nehmen mir den Radius des Wasserstoffatomes zu 10-8 Zentimeter an.

Fig. 22.
Bohrsches Modell des negativ geladenen Wasserstoffatoms (Wasserstoffions). Um eine positive Elementarladung als Stern kreisen zwei negative Elementarladungen auf derselben Bahn als Planeten.

Diese Zahlen besagen uns zunächst kaum etwas. Sie werden verständlicher, wenn wir sie uns in einem vergrößerten Modell veranschaulichen. Stellen wir uns den elektropositiven Atomkern als eine Kugel von 1 Millimeter Durchmesser, also etwa als einen Stecknadelkopf, dar, so müssen wir uns den Planeten dieses Systems in einer Entfernung von 100 Kilometer um den Stecknadelkopf herumkreisend denken, und er hat den viel größeren Durchmesser von 2 Meter. Es erscheint paradox und schwer begreiflich, daß der winzige Atomkern, der Stecknadelkopf, fast die 2000fache Masse des 2 Meter dicken Balles besitzen soll, der ihn umkreist. Es widerspricht freilich den Erfahrungen des täglichen Lebens. Wir sehen hier aber praktisch die Auswirkung jener neuesten physikalischen Erkenntnis, daß die Masse eine Eigenschaft der Energie ist und mit der Kompression der Energie auf kleineren Raum gewaltig ansteigt.

Fig. 23.
Positives Helium-Atom.
Um eine doppelte positive Elementarladung als Sonne kreist eine negative Elementarladung als Planet.

Für das neutrale Wasserstoffatom kreist das Elektron im Abstande von 0,55·10-8 Zentimeter um den Kern und durchläuft den Kreis 6,5·1015 mal in der Sekunde. Diese Umlaufszahl pro Sekunde stimmt auch mit den Beobachtungen des Wasserstoffspektrums, welches bekanntlich ganz bestimmte farbige Linien zeigt, überein.

Es würde zu weit führen, wollten wir hier die Möglichkeit verschiedener Bahnen des Wasserstoffelektrons besprechen, die sich eben aus der Spektraluntersuchung ergibt und für den glühenden Wasserstoff gilt. Nur angedeutet mag der Sinn dieser Untersuchungen hier werden. Das mit einer gewissen Frequenz oder Umlaufszahl pro Sekunde um den Kern kreisende Elektron ist auch die Lichtquelle für die Spektrallinien. Es sendet gewisse Mengen strahlender Energie, sogenannte Energiequanten, aus, wenn es durch die dem Wasserstoffgas von außen her zugeführte Wärmeenergie von einer Keplerschen Ellipse auf eine andere verschlagen wird. Die Energiebeträge und auch die Frequenz der ausgesandten Lichtschwingungen stehen dabei in gutem Einklang mit den im Wasserstoffspektrum wirklich beobachteten Strahlen.

Fig. 24.
Neutrales Helium-Atom.
Um eine doppelte positive Elementarladung kreisen zwei negative Ladungen (Elektronen) auf derselben Bahn.

Nehmen wir das vorstehend entwickelte Bohrsche Modell des Wasserstoffatoms einmal als zutreffend an, so taucht sofort die zweite Frage auf: Wie können sich nun zwei derartige Atome zu einem Molekül verbinden? Wir sahen ja bereits in einem früheren Abschnitt, daß das Wasserstoffmolekül aus zwei Wasserstoffatomen zusammengesetzt ist, die recht fest und stabil miteinander verbunden sind. Für das verhältnismäßig einfache Wasserstoffatom läßt sich nun auch die molekulare Verbindung mit recht großer Sicherheit angeben. Kommen zwei Wasserstoffatome in Wirkungsnähe, so werden die beiden elektropositiven Atomkerne sich gegenseitig abstoßen. Das gleiche werden die beiden kreisenden Elektronen tun. Dagegen wird jedes Elektron von jedem der beiden Atomkerne und jeder Atomkern von den beiden Elektronen angezogen werden. Aus diesem Hin und Her der anziehenden und abstoßenden Kräfte ergibt sich als einzige stabile Konstruktion aber nur die in Fig. 26 gezeigte Anordnung. Die beiden Atomkerne liegen auf einer Achse. In einer Ebene, welche diese Achse in der Mitte zwischen beiden Kernen senkrecht schneidet, kreisen die beiden Elektronen auf Keplerschen Ellipsen. Unterstellen wir auch dies Molekülmodell einmal als wahr, so können wir uns nun einigermaßen erklären, warum Wasserstoff in statu nascendi chemisch viel lebhafter wirkt als molekularer Wasserstoff. Im ersteren Falle haben wir noch die einfachen Atome, die leicht und willig die Vereinigung zu einem Molekül eingehen. Ist dies in der in Fig. 26 gezeigten Art geschehen, dann ist aber ein stabileres System entstanden, welches wesentlich schwerer zur Eingehung neuer Bindungen veranlaßt werden kann. Äußerlich zeigt sich dies in der sogenannten Bildungswärme des Wasserstoffs, die stets auftritt, wo Wasserstoffmoleküle aus Wasserstoffatomen entstehen.

Fig. 25.
Negatives Helium-Atom.
Um eine doppelte Elementarladung als Stern kreisen drei negative Ladungen. Zwei davon auf einer inneren Bahn, die dritte auf einer äußeren Bahn.

Versuchen wir es nun, den Theorien und Ausführungen Bohrs auch für die anderen Elemente zu folgen. Das periodische System hat uns gezeigt, daß die chemischen Eigenschaften der einzelnen Elemente sich bei stetig steigendem Atomgewicht periodisch wiederholen. Nachdem die Eigenschaften in der ersten Periode vom chemisch ganz trägen Helium bis zum äußerst aktiven Sauerstoff und Fluor gelangt sind, springen sie bei einer geringfügigen Zunahme des Atomgewichtes beim Neon wieder zum chemisch trägen Edelgas zurück. Den gleichen Sprung beobachten wir zwischen der dritten und vierten Periode beim Sprung vom Chlor zum Argon. Es muß also im Aufbau der Atome jedenfalls etwas vorhanden sein, was sich beim steigenden Atomgewicht periodisch wiederholt und für den chemischen Charakter des betreffenden Elementes ausschlaggebend ist.

Fig. 26.
Das Wasserstoffmolekül nach der Theorie von Niels Bohr.
Die beiden Kerne stehen auf einer Mittelachse. Um diese kreisen die beiden Elektronen in einer Ebene.

Was dieses Etwas nun sein könnte, darüber gibt ein einfacher Versuch ganz interessante Fingerzeige. Dieser Versuch wurde von Mayer bereits zu einer Zeit angestellt, als man noch über die Frage stritt, ob man einen statischen oder dynamischen Aufbau der Atome annehmen solle. Zu dem Versuche gehören eine größere Anzahl magnetisierter Nähnadeln und ein Stabmagnet. Die Nähnadeln werden senkrecht durch Korkscheiben gesteckt und auf eine Wasserfläche gesetzt, und zwar mit den gleichen Polen nach oben. Setzt man beispielsweise zwei solche Nadeln auf das Wasser, so werden sie weit auseinander fahren, da ihre Pole unter und über Wasser sich ja abstoßen. Nähert man nun aber einen ebenfalls senkrecht gehaltenen Stabmagneten den über Wasser befindlichen Nadelspitzen mit seinem ungleichnamigen Ende, so wird er sie anziehen, und es wird sich bei geeigneter Haltung des Magneten eine Gleichgewichtslage ergeben, in der die Anziehung des Stabmagneten und die gegenseitige Abstoßung der Nadeln sich die Wage halten.

Fig. 27.
Magnetversuche nach Mayer, um die Gruppierung der Elektronen auf verschiedenen Kreisen um den Kern herum zu versinnbildlichen. Der positive Pol der Stabmagnete zieht die negativen Enden der magnetisierten Nadeln an, während diese sich untereinander abstoßen. Aus diesen Gegenwirkungen entstehen stabile Anordnungen der Nadeln um den Magneten herum, die das Verhalten der Elektronen im Atomsystem einigermaßen veranschaulichen.

Dieser Versuch läßt sich nun mit immer mehr schwimmenden Nadeln fortsetzen, und es ergeben sich dabei die charakteristischen und verhältnismäßig stabilen, in Fig. 27-29 gezeigten Gruppierungen. Hier sehen wir eine periodische Wiederkehr bestimmter Anordnungen bei wachsender Nadelzahl. Bei neun Nadeln finden wir eine innere Gruppe von zwei Nadeln, die von sieben in einem regulären Siebeneck gruppierten Nadeln umgeben ist. Bei zehn Nadeln bleibt das äußere Siebeneck, während sich im Inneren das gleichseitige Dreieck zeigt, welches bereits bei drei Nadeln auftrat. Diese Versuche sind in neuerer Zeit für Demonstrationszwecke in größerem Maßstäbe und mit größeren Mitteln wiederholt worden.

Fig. 28.
Die ersten stabilen Lagerungen der schwimmenden Nadeln um den Magneten. Zu zwei Nadeln — tritt die dritte ; zu drei Nadeln tritt die vierte .

Was nun bei diesen Versuchen die von einem Magneten beeinflußten Nadeln, das sind beim Atommodell die um den Atomkern kreisenden Elektronen. Ohne zunächst über die sonstige Natur der weiteren Atomkerne etwas auszusagen, dürfen wir nach den Untersuchungen Moseleys annehmen, daß der Kern eines jeden Atoms so viele freie positive Ladungen besitzt, wie die Nummer des betreffenden Elementes im periodischen System (siehe S. 52/53) angibt. Im neutralen Atom müssen diese Ladungen durch ebenso viele den Kern umkreisende negative Elektronen neutralisiert werden. Dementsprechend hat das neutrale Wasserstoffatom, wie bereits entwickelt, ein Elektron, das Helium zwei, das Lithium drei usw. bis zum Uran mit 92 Elektronen. Diese Elektronen werden, sobald ihre Zahl merklich steigt, auf einer immer größeren Anzahl von Bahnen oder Keplerschen Ellipsen um den Kern kreisen. Wir wissen noch nicht, ob alle diese Bahnebenen zusammenfallen, oder ob die Elektronen in verschiedenen Ebenen rotieren. Wir können auch nichts Bestimmtes darüber aussagen, ob alle Bahnen gleichläufig sind, oder ob bei dem gleichen Atom rechts- und linksläufige Bahnen vorkommen, doch spricht die Existenz der magnetischen Körper fast für die letztere Annahme. Dasjenige aber, was wir zurzeit mit einer gewissen Sicherheit aussagen können, faßt Graetz in die folgenden vier Leitsätze zusammen:

  1. Die chemischen Erscheinungen vollziehen sich im wesentlichen an den äußersten Ringen der Atome. Diese äußersten Ringe verschmelzen ineinander und bringen die Bildung des chemischen Moleküls hervor.
  2. Der Einfluß sehr hoher Temperaturen einerseits und der elektrischen Erregung (in den Geißler-Röhren) andererseits wirkt auch auf die äußeren, aber auch vielfach auf die mehr nach innen gelegenen Ringe ein, indem sie diese zerstört, so daß bei ihrer Rückbildung die gewöhnlichen Spektra entstehen.
  3. Das Bombardement der Elektronen, welches die Röntgenstrahlen hervorbringt, beeinflußt im wesentlichen die innersten Ringe der Atome, indem es sie zerstört. Durch ihre Rückbildung entstehen die K-, L- und M-Strahlen der Röntgenspektra.
  4. Die Atomkerne selbst endlich kommen bei der Radioaktivität in Betracht. Spontan zersetzen sich bei den schwersten Atomen die Kerne selbst und senden die α- und β-Strahlen aus. Die zugehörigen γ-Strahlen kann man nach Rutherford als die charakteristischen Röntgenstrahlen der betreffenden radioaktiven Stoffe auffassen. Die α-Teilchen zersetzen auch die Kerne anderer Atome, wie das beim Stickstoff und Sauerstoff nachgewiesen ist.

Von diesen Leitsätzen interessiert uns besonders der erste. Er besagt, daß die chemischen Erscheinungen hauptsächlich durch die äußersten Elektronenringe, die äußersten Planeten, welche den Atomkern umkreisen, bedingt werden. Damit aber lüftet sich uns der Schleier, der bisher noch über dem periodischen System lag. Wir sehen, wie die Anzahl der positiven Kernladungen von Element zu Element ansteigt. Logischerweise muß dann aber auch die Zahl der um den Atomkern kreisenden Elektronen von Element zu Element ebenfalls um ein Elektron zunehmen; denn um ein neutrales Atom zu erhalten, muß ja die Anzahl der im Kern vorhandenen positiven Elementarladungen durch die gleiche Zahl negativer Ladungen, also kreisender Elektronen, neutralisiert werden. Wenn nun aber der äußere Ring von Element zu Element immer mehr Elektronen bekommt, dann wird einmal der Moment erreicht werden, an dem dieser Ring nicht mehr stabil ist und das letzte Elektron aus ihm herausgedrückt und auf einen neuen weiteren Ring verwiesen wird. Auf diesem beginnt dann das Spiel von neuem. Es wiederholen sich auf ihm die gleichen Elektronenzahlen wie in der vorhergehenden Periode, bis schließlich auch dieser Ring gefüllt ist und ein neuer angesetzt wird. So ergeben sich zwanglos die chemischen Ähnlichkeiten der in den senkrechten Spalten des natürlichen Systems untereinander stehenden Elemente.

Die hier besprochene Bohrsche Atomtheorie, welche in gleich befriedigender Weise eine große Anzahl chemischer und physikalischer Beziehungen erklärt, ist heute noch in voller Entwicklung begriffen. Der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Johannes Stark, der selbst auf diesem Gebiete seit zwanzig Jahren arbeitet, gab in seinem zu Stockholm gehaltenen Nobelvortrag der Meinung Ausdruck, daß wohl noch hundert Jahre verstreichen dürften, bis wir den wirklichen Bau des Atomsystems so genau kennen werden, wie wir heute den Bau unseres Planetensystems kennen. Vielleicht wird sich dabei die eine oder andere Annahme noch ändern. Die Hauptsachen aber dürften wohl bleiben, da die Bohrsche Atomtheorie zweifellos einen sehr großen Wahrheitsgehalt besitzen muß.

Fig. 29.
Der Mayersche Versuch mit einer größeren Anzahl von Nadeln.
Bemerkenswert ist die Wiederkehr der gleichen Konstellationen von Nadeln auf dem äußersten Ring. Eine Periodizität, welche das periodische System der Elemente dem Verständnis näherbringt.

Besonders interessant und überraschend ist dabei der folgende Umstand: Sowohl nach der Seite des Großen wie nach der des Kleinen hin führt uns die Betrachtung zu ganz ähnlichen, ja fast gleichen Gebilden. Auf der einen Seite haben wir unser Milchstraßensystem mit seinen unzähligen Sonnen, um die Legionen von Planeten ihre Kepler-Bahnen ziehen. Auf der anderen Seite begegnen wir den gleichen Systemen als den Atomen der irdischen, uns umgebenden Masse. Unser Körper selbst besteht nach dieser Anschauung aus solchen unendlich kleinen Sonnensystemen, in denen elektrische Elementarladungen um ihren Kern kreisen. Unser Fleisch, unser Blut, es ist nichts anderes als eine Unsumme solcher Systeme. Phantastisch muten uns diese Ergebnisse einer Wissenschaft an, die den Ruf besonderer Exaktheit für sich in Anspruch nimmt. Ungezügelt tut unsere Phantasie noch einen Schritt weiter und fragt, ob vielleicht das ganze uns sichtbare Weltsystem bis zu den fernsten Sonnen hin am Ende nichts anderes sei als ein winziges Tröpfchen Blut in den Adern irgendeines uns unbekannten, aber über alle Vorstellungen riesenhaften Lebewesens.



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