Charles Dickens
Master Humphrey's Wanduhr. Erster Band
Charles Dickens

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Master Humphrey's Wanduhr

Master Humphrey von der Wanduhrseite seines Kaminwinkels.

Der Leser erwarte nicht, daß ich ihm namhaft mache, wo ich wohne. Im gegenwärtigen Augenblick mag allerdings mein Aufenthalt für Niemand von besonderer Wichtigkeit sein; wenn ich aber meine Leser mit fortreiße, wie es hoffentlich der Fall sein wird, wenn sich zwischen ihnen und mir Gefühle traulicher Zuneigung und Achtung entspinnen sollten, welche vielleicht manchen Verhältnissen, wären sie auch noch so leicht mit meinen Erlebnissen oder Weltanschauungen verbunden, Interesse zu verleihen im Stande sind, so wäre es wohl möglich, daß eines Tags sogar meine Wohnung eine Art Zauber für sie gewänne. In der Voraussetzung dieser Möglichkeit möchte ich ihnen daher gleich Anfangs zu verstehen geben, daß sie vergeblich darauf rechnen, ihn je zu erfahren.

Ich bin kein sauertöpfischer alter Mann. Freundlos kann ich nie sein, denn ich zähle das ganze menschliche Geschlecht zu meiner Verwandtschaft und stehe mit jedem Gliede meiner Familie auf gutem Fuße. Ich habe jedoch seit vielen Jahren ein einsames, abgeschiedenes Leben geführt; – welche Wunden ich dadurch zu heilen, welchen Kummer ich dadurch zu vergessen suchte – gleichviel; die Versicherung möge zureichen, daß mir die Einsamkeit zur Gewohnheit wurde, und daß ich nicht gerne den Zauber zerstören möchte, dessen beruhigender Bann so lange mein Herz und meinen Herd gefangen hielt.

Ich wohne in einer ehrwürdigen Vorstadt Londons, in einem alten Hause, welches in vergangenen Tagen der Aufenthalt lustiger Lebemänner und unvergleichlicher Damen gewesen, die aber jetzt lange dahin sind. Es ist ein stilles schattiges Plätzchen mit einem gepflasterten Hofraum voller Echo's, so daß ich bisweilen glauben möchte, die leisen Nachklänge eines früheren geräuschvollen Treibens weilten noch hier und die Geister längst erstorbener Töne begleiteten meine Fußtritte, wenn ich auf- und niedergehe. Diese Annahme findet noch darin eine Bekräftigung, daß in den letzten Jahren der Wiederhall, der meinen Spaziergängen zu folgen pflegt, schwächer und unbestimmter geworden ist, als früher; und man träumt sich in demselben lieber das Rauschen eines seidenen Gewandes und den leichten Tritt einer anmuthigen Jungfrau, als in dem veränderten Tone das unsichere Auftreten eines gebrechlichen Alten.

Wer gerne von prunkenden Gemächern und prachtvollem Möbelwerk liest, wird nur wenig Geschmack an einer umständlichen Beschreibung meiner einfachen Behausung finden; aber sie ist mir aus demselben Grunde theuer, welche sie für Andere unbedeutend macht. Ihre vom Wurm durchbohrten Thüren, die niederen, mit schwerfälligem Gebälke durchzogenen Decken, die getäfelten Wände, die dunkeln Stiegen, die offenen Cabinette, die kleinen Kammern, welche durch Wendeltreppen oder schmale Stiegen mit einander in Verbindung stehen, die vielen Nischen, welche kaum größer als Wandschränke sind, selbst der Staub und das Düster – all' dieß hat einen eigenthümlichen Reiz für mich. Motten und Spinnen sind meine beständigen Miethsleute, denn eine wärmt sich bei mir in ihren langen Schlaf und die andere webt geschäftig ihr luftiges Haus, ohne eine Störung zu erleiden. In Sommertagen macht es mir Freude, Betrachtungen darüber anzustellen, wie viele kleine Staubflügler der Strahl der Sonne und des Lichtes wohl zum ersten Male aus irgend einer dunklen Ecke dieser alten Wände hervorgelockt hat.

Als ich vor vielen Jahren hierherzog, hätten die Nachbarn gar zu gerne wissen mögen, wer ich wäre, woher ich käme und warum ich so allein lebte. Die Zeit verstrich jedoch, ohne daß sie Aufklärung erhalten hatten, und so wurde ich denn der Mittelpunkt einer allgemeinen Gährung, welche sich auf eine halbe Meile in die Runde, nach einer gewissen Richtung hin sogar auf eine Meile erstreckte. Verschiedene Gerüchte kamen über mich in Umlauf. Man machte mich zu einem Spion, einem Ungläubigen, einem Teufelsbanner, einem Kinderdieb, einem Flüchtling, einem katholischen Priester oder einem Ungeheuer. Die Mütter nahmen ihre Kinder auf den Arm und eilten mit ihnen nach Hause, wenn ich vorüber ging, und die Männer sahen mir grimmig nach, Drohungen und Flüche murmelnd. Ich war der Gegenstand des Argwohns und des Mißtrauens – ja, ich darf wohl sagen, des offenen Hasses.

Als sie jedoch im Laufe der Zeit fanden, daß ich Niemanden ein Leides that, sondern mich, trotz ihrer unbilligen Behandlung, gerne überall gefällig erwies, so wurde ihre Stimmung gegen mich milder. Man spähte nicht länger jedem meiner Tritte nach, wie es sonst an der Tagesordnung gewesen, und auch die Mütter flüchteten sich nicht mehr mit ihren Kindern, sondern blieben stehen und sahen mir nach, wenn ich an ihren Thüren vorbei ging. Ich nahm dieß für eine gute Vorbedeutung und harrte geduldig auf bessere Zeiten. Nach und nach gewann ich auch Freunde unter diesen anspruchslosen Leuten, und obgleich sie noch zu schüchtern waren, mich anzureden, so wechselten wir doch beim Begegnen die üblichen Grüße. Bald machten sich's diejenigen, mit welchen ich einen solchen Verkehr eingeleitet hatte, zur Ehrensache, zur gewöhnlichen Stunde an ihre Thüren oder Fenster zu kommen und mir durch ein Kopfnicken oder einen Kratzfuß ihre Aufmerksamkeit zu beweisen; auch die Kinder wagten sich furchtsam in meinen Bereich und eilten verschüchtert wieder fort, wenn ich ihre Köpfe pätschelte und ihnen sagte, sie sollen in der Schule fleißig aufmerken. Das kleine Volk wurde jedoch bald zutraulicher. Auch gewann nachgerade der steife Gelegenheits-Verkehr mit meinen älteren Nachbarn an Herzlichkeit und ich wurde allmälig ihr Freund und Berather, dem sie ihre Sorgen und Leiden anvertrauten, da ich hin und wieder, wo es meine kleinen Mittel gestatteten, auch thätlich an die Hand ging. Und jetzt mache ich nie einen Spaziergang, ohne daß angenehme Erinnerungen und lächelnde Gesichter des Mr. Humphrey harren.

Es war eine Grille von mir, vielleicht um die Neugierde meiner Nachbarn zu steigern und wegen ihres Argwohns Rache zu nehmen – ich sage, es war eine Grille von mir, daß ich mir bei meiner Niederlassung an diesem Orte keinen andern Namen als Humphrey beilegte. Bei denen, welche mir übel wollten, hieß ich der garstige Humphrey; sobald ich sie jedoch zu meinen Freunden umgewandelt hatte, war ich ihnen Herr Humphrey oder der alte Herr Humphrey, bis sich dieses endlich stereotyp in die einfache Benennung Master Humphrey umwandelte, weil man wußte, daß sie meinen Ohren die angenehmste sei: überhaupt wurde sie zuletzt so ganz und gar zu einer Sache, die sich von selbst verstand, daß ich oft, wenn ich in dem kleinen Hofraume meinen Morgenspaziergang machte, auf der andern Seite der Mauer meinen Barbier – der eine hohe Verehrung gegen mich hegt und um keine Welt meinen Ansprüchen Abbruch thun würde – von »Master Humphrey's« Gesundheitszustand sprechen und irgendeinem Freunde das Wesentliche der Unterhaltung mittheilen höre, die er während des eben beendeten Rasirens mit Master Humphrey gehabt hat.

Um jedoch die Bekanntschaft meinen Lesern nicht unter falschen Voraussetzungen zu eröffnen und ihnen damit Anlaß zu geben, hintendrein Beschwerde über mich zu führen, weil ich einen Punkt verschwiegen, den ich durchaus gleich Anfangs hätte mittheilen sollen, so mögen sie erfahren – und es preßt mir ein trübes Lächeln ab, wenn ich denke, daß es eine Zeit gab, wo mir das Bekenntniß schmerzlich geworden wäre – daß ich ein mißbildeter, häßlicher alter Mann bin.

Dieser Umstand hat mich jedoch nicht zum Menschenfeind gemacht. Nie kränkte mich eine Spottrede oder ein Scherz über meine verkrümmte Gestalt. Als Kind war ich melancholisch und schüchtern; aber der Grund lag in der zärtlichen Rücksicht, welche man auf mein Unglück nahm, und welche mir tief zu Herzen ging, so daß ich selbst in diesen frühen Tagen in eine wehmüthige Stimmung verfiel. Ich war noch sehr jung, als meine Mutter starb, und doch erinnere ich mich noch, daß sie mich oft, wenn ich im Zimmer zu ihren Füßen spielte, an ihr Herz drückte, in Thränen ausbrach, und durch die zärtlichsten und liebevollsten Worte mich zu beruhigen suchte. Gott weiß es, ich war damals ein glückliches Kind – glücklich, wenn ich mich an ihre Brust schmiegte – glücklich, wenn ich mit ihr weinen konnte – glücklich, ohne zu wissen, warum?

Diese Rückerinnerungen haften tief in meiner Seele, als hätten die Anlässe dazu das ganze Jahre umfaßt; ich zählte indeß deren sehr – sehr wenige, als erstere für immer aufhörten, obgleich mir schon damals ihre Bedeutung kein Geheimniß mehr war.

Ich weiß nicht, ob alle Kinder für kindliche Schönheit und Anmuth, wie auch für eine lebhafte Vorliebe zu derselben empfänglich sind: bei mir war es wenigstens der Fall. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich je darüber nachdachte, ob ich sie selbst besaß, oder ob sie mir abgingen; das aber weiß ich noch, daß ich eine unbeschreibliche Bewunderung dafür unterhielt. Ein kleines Häuflein von Spielkameraden – sie müssen schön gewesen sein, denn ich kann mir sie noch vergegenwärtigen – schaarte sich eines Tages um die Kniee meiner Mutter, eifrig das Gemälde einer kindlichen Engelgrube bewundernd, welches sie in ihrer Hand hielt. Wem das Gemälde gehörte, ob ich es früher gesehen, oder wie alle die Kinder zusammen gekommen, habe ich vergessen: es schwebt mir nur noch dunkel vor, daß es an meinem Geburtstag gewesen, und etwas lebhafter ist die Erinnerung, daß wir alle mit einander in einem Garten waren, und zwar an einem Sommertage, denn ich weiß noch ganz gewiß, daß eines der kleinen Mädchen Rosen in seinem Gürtel hatte. Es waren viele liebliche Engelsbilder auf dem Gemälde, und ich erinnere mich noch, daß mir der Einfall kam, unter ihnen die Abbilder meiner kleinen Spielgefährten aufzusuchen, und als ich für alle Repräsentanten gefunden hatte, hielt ich zögernd inne und fragte, welches von den kleinen Figürchen mir wohl am meisten gliche. Ich entsinne mich, daß die Kinder sich gegenseitig ansahen, während mein Gesicht erglühete; dann drängten sie sich um mich, küßten mich und sagten mir, daß sie Alle mich demungeachtet liebten. Als nun der alte Schmerz in dem milden und zärtlichen Auge meiner Mutter auftauchte, überflog mich zum ersten Male eine Ahnung der Wahrheit, und ich wußte jetzt, wie schmerzlich sie die Verkrüppelung ihres armen Kindes empfand, wenn sie meinen unbeholfenen, linkischen Spielen zuschaute.

Später träumte ich oft davon, und jetzt noch jammert mich der Knabe, als wäre es ein anderer und nicht ich selbst gewesen, wenn ich daran denke, wie oft er aus irgend einer feenhaften Umwandlung zur ungestalteten Wirklichkeit erwachte und sich wieder in Schlaf schluchzte.

Doch reden wir nicht mehr davon, – all' dieser kindische Schmerz gehört der Vergangenheit an. Der Rückblick ist übrigens nicht ohne Nutzen für mich, da er einigermaßen dazu beiträgt, es zu erklären, warum ich mein Leben lang den seelenlosen Gegenständen, welche mein Gemach bevölkern, so zugethan war, und wie es kam, daß ich sie lieber für alte und beständige Freunde ansah, als für bloße Stühle und Tische, die man nach Gutdünken gen einiges Geld wieder ersetzen kann.

Die erste und vorzüglichste unter all' diesen ist meine Wanduhr, – meine alte, heitere, gesellige Wanduhr. Wie kann ich je Anderen einen Begriff davon geben, welchen Trost und welche Behaglichkeit ich ihr schon seit Jahren verdanke!

An sie knüpfen sich meine frühesten Erinnerungen. Sie hatte seit fast sechzig Jahren ihren Platz an der Treppe unseres Hauses (mechanisch nenne ich es immer noch so), und ich liebe sie darum. Aber nicht gerade deßhalb, oder weil sie ein wunderliches, altes Ding in einem ungeheuern eichenen, mit seltsamem Schnitzwerk reich verzierten Kasten ist, schätze ich sie so hoch, sondern weil ich sie mir gerne als lebend denke und zu der Annahme geneigt bin, sie verstehe mich und erwiedere meine Liebe zu ihr.

Und welcher Gegenstand, der kein Leben besitzt, vermöchte es so sehr, mich zu erfreuen, als sie? Welcher andere Gegenstand ohne Leben (ich will nicht sagen, wie wenige mit Leben) hätte sie mir als einen so geduldigen, treuen und unermüdlichen Freund erweisen können? Wie oft saß ich an den langen Winterabenden da, und fand so viel Geselligkeit in ihrer Heimchenstimme, daß ich dankbar meine Augen von meinem Buche aufschlug, wann ihr Gesicht, geröthet von der Glut des lodernden Feuers, den starren Ausdruck zu verlieren und mich freundlich anzusehen schien! Wie oft rief mich im Sommerzwielicht ihr einförmiges Flüstern zu der ruhigen und friedlichen Gegenwart zurück, wenn meine Gedanken sich in einer melancholischen Vergangenheit umgetrieben hatten? Wie oft unterbrach ihre Glocke in der tiefen Stille der Mitternacht das lästige Schweigen und schien mir die Versicherung zu geben, daß die alte Wanduhr noch immer als treue Wächterin an meiner Zimmerthüre stehe! Mein Sorgenstuhl, mein Pult, meine alten Möbel, sogar meine Bücher, – nicht einmal zu den letzteren kann ich eine solche Liebe fassen.

Sie steht in einem traulichen Winkel mitten zwischen dem Kamine und einer niedrigen Bogenthüre, die zu meinem Schlafzimmer führt. Ihr Ruf ist so sehr durch die ganze Nachbarschaft verbreitet, daß ich oft die Freude habe, zu hören, wie der Wirth oder der Bäcker, bisweilen sogar der Küster, meine Haushälterin (von der ich seiner Zeit Manches zu berichten haben werde) bitten, ihnen genau zu sagen, welche Zeit Master Humphrey's Wanduhr angebe. Mein Barbier, von dem ich bereits gesprochen, möchte sich lieber auf sie, als auf die Sonne verlassen. Doch sind dieß nicht die einzigen Auszeichnungen, welche ihr zu Theil werden, denn es wurde ihr (mit Freude sage ich es) noch eine andere erwiesen, welche sie unzertrennlich nicht nur mit meinen eigenen Erheiterungen und Betrachtungen, sondern auch mit denen anderer Leute verbindet, wie man sogleich hören wird.

Ich lebte hier lange Zeit ohne einen Freund oder Bekannten allein. Da ich bei Tag und Nacht, zu allen Stunden und Jahreszeiten in den Straßen der City und den ruhigeren Theilen der Gegend umherzuwandern pflegte, so wurde ich mit manchen Gesichtern bekannt und mein Herz fühlte sich schmerzlich getäuscht, wenn ich sie einmal nicht an ihren gewohnten Plätzen fand. Dies waren jedoch die einzigen Freunde, die ich kannte, und außer ihnen hatte ich keine.

Es traf sich indessen im Laufe der Zeit, daß ich mit einem tauben Herrn eine Bekanntschaft anknüpfte, welches bis zur Innigkeit und warmen Vertrautheit heranwuchs, obgleich ich bis zu dieser Stunde noch nicht einmal seinen Namen kenne. Ich weiß nicht, war es Laune, was ihn veranlaßte, denselben zu verhehlen, oder hatte er seine Gründe, so zu handeln, – jedenfalls fühle ich, daß er ein Recht hat, eine Erwiederung des Vertrauens, das er in mich gesetzt, zu fordern, und da er es nie versuchte, meinem Geheimniß nachzuforschen, so wollte ich mich auch nie in das seinige drängen. Es mag in dieser gegenseitigen stummen Zuversicht für uns Beide etwas Schmeichelhaftes und Angenehmes gelegen haben, das vielleicht gleich vom Anfange an unserer Freundschaft eine besondere Wärme verlieh, – doch sei dem, wie ihm wolle, wir wurden Brüder und doch kenne ich ihn nur als den tauben Herrn.

Ich habe gesagt, daß die Abgeschiedenheit mir zur Gewohnheit geworden. Wenn ich hinzufüge, daß der taube Herr und ich zwei Freunde haben, so sage ich damit nichts, was mit dieser Erklärung im Widerspruch stünde. Ich verbringe jeden Tage viele Stunden in einsamen Studien, habe keine weiteren Freunde oder irgend einen Freundesverkehr, als diesen, sehe sie nur zu bestimmten Tageszeiten, und gelte, dem ganzen Wesen und Zweck unserer Verbindung nach, für einen Geist, der die Zurückgezogenheit liebt.

Wir sind verschlossene Männer, ob deren früheren Schicksalen gewissermaßen eine Wolke schwebt, deren Feuer aber demungeachtet nicht mit dem Alter verkühlte, deren romantischer Geist noch nicht verbraust hat, und welche die Welt lieber als einen angenehmen Traum betrachten, als zu ihrer rauhen Wirklichkeit erwachen mögen. Wir sind Alchimisten, welche die Essenz der ewigen Jugend aus Staub und Asche destilliren, die spröde Wahrheit in tausend Licht- und Luftgestalten aus ihrem tiefsten Quell hervorlocken und eine Krume Trost oder ein Kernchen Gutes in dem gewöhnlichsten oder unbeachtetsten Stoffe finden, der durch unsern Schmelztiegel wandert. Geister vergangener Zeiten, Gebilde der Phantasie und die Menschen der Gegenwart sind gleichermaßen Gegenstände unseres Suchens; und ungleich dem Forschungsmaterial der meisten Philosophen, können wir versichern, daß sie auf unser Gebot erscheinen.

Der taube Herr und ich begannen anfangs unsere Tage mit solchen Phantasiegebilden, und unsere Nächte durch den gegenseitigen Austausch derselben zu betrügen. Wir sind jetzt unserer vier. In meinem Zimmer stehen jedoch sechs alte Stühle, und wir haben uns entschlossen, daß die zwei leeren Sitze bei unsern Zusammenkünften stets an den Tisch gesetzt werden sollen, um uns daran zu erinnern, daß sich unsere Gesellschaft bis zu dieser Zahl erweitern darf, sobald wir zwei Menschen nach unserem Sinne finden. Wenn einer von uns stirbt, wird sein Stuhl immer den gewöhnlichen Platz behaupten, ohne jedoch wieder ausgefüllt zu werden; und in meinem Testamente habe ich die Verfügung getroffen, daß, wenn Alle todt sind, das Haus geschlossen werden und man die leeren Stühle an ihren gewohnten Plätzen lassen solle. Es liegt etwas Angenehmes sogar in dem Gedanken, daß sich unsere Schatten vielleicht wie vordem versammeln und einen gespenstigen Verkehr unterhalten.

Wir treffen einmal in der Woche Abends mit dem Glockenschlag Zehn zusammen, und wann die Uhr auf Zwei weist, bin ich allein.

Soll ich nun erzählen, wie meine alte Dienerin außer dem Umstande, daß sie die Zeit anzeigt und durch ihr lustiges Picken unsere Verhandlungen ermuthigt, unserer Gesellschaft auch ihren Namen leiht, indem dieselbe wegen ihrer Pünktlichkeit und wegen meiner Vorliebe zu dem alten Möbel »Master Humphrey's Wanduhr« getauft wurde? Soll ich nun sagen, wie in dem Hintergrunde des alten dunkeln Gehäuses, wo der stätige Pendel mit gesunder Thätigkeit hin- und hergeht, obgleich der Puls des Künstlers lange schon stille steht, Stöße von bestaubtem Papier zu unserer Verfügung bereit liegen, damit sich unsere Unterhaltungen meiner alten Freundin anknüpfen, welche uns die Mittel bieten muß, die Zeit aus dem Herzen der Zeit heraus zu betrügen? Soll ich – oder kann ich sagen, mit welchem geheimen Stolz ich dieses Magazin bei Gelegenheit unserer nächtlichen Zusammenkünfte öffne, um stets neuen Stoff der Erheiterung aus meiner lieben alten Wanduhr zu holen?

Freundin und Genossin meiner Einsamkeit! Meine Liebe ist keine selbstsüchtige. Ich möchte deine Verdienste nicht für mich behalten, sondern irgend eine freundliche Anknüpfung an dein Bild durch die ganze weite Welt verbreiten; ich möchte, daß die Menschen an deinen Namen frohe und kräftige Gedanken knüpfen; ich möchte sie überzeugen, daß du treu und ehrlich deine Zeit einhältst; und wie würde es mich freuen, wenn ich erfahren dürfte, daß man in Master Humphrey's Wanduhr eine gesunde Englische Arbeit erkennt!



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