Charles Dickens
Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Zweiter Teil
Charles Dickens

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Achtundfünfzigstes Kapitel.

In dem der Pickwick-Klub endlich aufgelöst wird und alles zur allgemeinen Zufriedenheit endet.

Eine ganze Woche lang nach der glücklichen Ankunft des Herrn Winkle von Birmingham waren Herr Pickwick und Sam Weller den ganzen Tag über von Haus abwesend und kehrten nur zum Mittagessen zurück, wobei sie ein geheimnisvolles, wichtiges Wesen zur Schau trugen, das ihren Naturen sonst ganz fremd war! Offenbar waren sehr ernste und ereignisschwere Dinge am Werk, über deren bestimmten Charakter allerhand Vermutungen schwebten. Einige – und unter ihnen Herr Tupman – waren geneigt, zu glauben, Herr Pickwick beabsichtige eine eheliche Verbindung: aber diese Idee wurde von den Damen aufs entschiedenste verworfen. Andere neigten sich der Ansicht zu, er trage sich mit einem großen Reiseprojekt und beschäftige sich gegenwärtig mit den vorläufigen Anordnungen dazu. Aber das wurde entschieden von Sam selbst verneint, der auf die Kreuz- und Querfragen seiner Marie unzweideutig erklärte, es würden keine neuen Reisen mehr unternommen. Endlich, als sich der ganze Freundeskreis sechs Tage lang durch fruchtlose Vermutungen das Gehirn abgemartert hatte, wurde einhellig beschlossen, Herrn Pickwick zur Erklärung seines Benehmens aufzufordern und ihn geradezu zu fragen, warum er sich auf diese Art von der Gesellschaft seiner ihn bewundernden Freunde zurückziehe.

In dieser Absicht lud Herr Wardle den ganzen Zirkel zum Mittagessen in die Adelphi ein, und man stellte die große Frage, als die Flaschen zweimal die Runde gemacht hatten.

»Wir sind allesamt sehr begierig, zu erfahren«, begann der alte Herr, »was wir Ihnen zuleide getan haben, daß Sie sich so gänzlich von uns absondern und immer diese einsamen Spaziergänge machen.«

»Möchten Sie es wirklich wissen?« fragte Herr Pickwick. »Merkwürdig, daß ich gerade heute im Sinn hatte, mich von freien Stücken darüber zu erklären; geben Sie mir noch ein Glas Wein, so will ich Ihre Wißbegierde befriedigen.«

Die Flaschen gingen mit ungewohnter Schnelligkeit von Hand zu Hand, und Herr Pickwick fuhr, indem er mit vergnügtem Lächeln die Gesichter seiner Freunde nacheinander anschaute, also fort:

»Die Veränderungen, die in unserm Kreise stattgefunden haben, ich meine die bereits eingetretene und die demnächst bevorstehende Hochzeit nebst den Wandlungen, die notwendig daraus erfolgen werden, haben mich genötigt, ernstlich an einen künftigen Lebensplan für mich zu denken. Ich beschloß, mich in eine hübsche Gegend in der Nähe von London zur Ruhe zurückzuziehen und fand da ein Haus, das meinen Wünschen gänzlich entspricht. Ich habe es gemietet und wohnlich eingerichtet, so daß ich kommen kann, wann ich will. Ich gedenke nun in der nächsten Zeit meinen Einzug zu halten und hoffe noch manches friedliche Jährchen in stiller Zurückgezogenheit daselbst zuzubringen, während meines Lebens erfreut durch die Gesellschaft meiner Freunde, und nach meinem Tode fortlebend in ihrer liebevollen Erinnerung.«

Hier hielt Herr Pickwick inne, und ein leises Gemurmel lief rings um die Tafel.

»Das Haus, das ich gemietet habe«, sprach Herr Pickwick weiter, »liegt in Dulwich: es hat einen großen Garten und befindet sich in einer der reizendsten Gegenden von Londons Umgebung. Es ist die größte Aufmerksamkeit darauf verwendet worden, es so behaglich wie möglich, vielleicht auch ein bißchen elegant einzurichten; doch darüber sollen Sie selbst urteilen. Sam begleitet mich dahin. Ich habe auf Perkers Vorstellung eine Haushälterin in Dienst genommen – eine sehr alte Person – und werde noch so viele andere Domestiken annehmen, wie diese für nötig hält. Ich möchte nun mein kleines Idyll durch irgendeine Festlichkeit, die ich sehr gern feiern würde, eingeweiht sehen. Wenn mein Freund Wardle nichts dagegen hat, so möchte ich ihn bitten, die Vermählung seiner Tochter in meinem neuen Hause an demselben Tage vollziehen zu lassen, wo ich Besitz davon nehme. Das Glück junger Leute«, sagte Herr Pickwick ein wenig bewegt, »war von jeher die größte Freude meines Lebens. Es wird mir das Herz erwärmen, unter meinem eigenen Dache Zeuge des Glückes meiner Freunde zu sein.«

Herr Pickwick hielt abermals inne: Emilie und Arabella schluchzten laut.

»Ich habe«, begann Herr Pickwick aufs neue, »dem Klub sowohl mündliche als schriftliche Mitteilungen gemacht und ihn von meinen Absichten in Kenntnis gesetzt. Er hat während unserer Abwesenheit viel durch innere Zwistigkeiten gelitten, und die Zurückziehung meines Namens, verbunden mit diesen und andern Umständen, hat seine Auflösung herbeigeführt. Der Pickwick-Klub existiert nicht mehr.«

»Ich werde es niemals bereuen«, setzte Herr Pickwick mit leiserer Stimme hinzu – »ich werde es niemals bereuen, daß ich mich beinahe zwei volle Jahre hindurch unter verschiedenen Gattungen und Schattierungen des menschlichen Charakters umhergetrieben habe, so töricht meine Abenteuersucht auch vielen erschienen sein mag. Fast mein ganzes früheres Leben war Geschäften und trockenem Gelderwerb gewidmet, jetzt aber bin ich mit zahlreichen Szenen bekannt geworden, von denen ich früher keine Ahnung gehabt hatte – und ich hoffe, daß sich mein geistiger Gesichtskreis dadurch erweitert und meinen Verstand mehr ausgebildet hat. Wenn ich nur wenig Gutes getan habe, so glaube ich doch, noch weniger Böses getan zu haben, und hoffe, daß meine sämtlichen Abenteuer mir am Abend meines Lebens nur eine Quelle angenehmer und ergötzlicher Erinnerungen sein werden. Gott segne euch alle.«

Bei diesen Worten füllte und leerte Herr Pickwick mit bebender Hand sein Glas; seine Augen feuchteten sich, als sämtliche Freunde sich wie verabredetermaßen erhoben und ihm von ganzem Herzen Bescheid taten.

Zur Vermählung des Herrn Snodgrass waren nur noch sehr wenige Vorbereitungen erforderlich. Da er weder Vater noch Mutter, und während seiner Minderjährigkeit unter Herrn Pickwicks Vormundschaft gestanden hatte, so kannte dieser seine Vermögens- und sonstigen Umstände aufs genaueste. Wardle war mit seiner Auskunft über beides vollkommen zufrieden; wie denn der gute alte Herr in dieser Zeit, wo er von Heiterkeit und Zärtlichkeit überfloß, fast mit allem zufrieden gewesen wäre. Emilien wurde eine hübsche Mitgift ausgesetzt und der vierte Tag zur Vermählung anberaumt; eine Eilfertigkeit, die drei Putzmacherinnen und einen Schneider bis an den Rand des Verrücktwerdens brachte.

Der alte Wardle nahm am folgenden Tage Postpferde, um seine Mutter nach der Stadt zu bringen. Da er der alten Dame diese Nachricht mit seinem charakteristischen Ungestüm mitteilte, so fiel sie augenblicklich in Ohnmacht, kam aber sehr bald wieder zu sich, befahl, das durchwirkte Seidenkleid einzupacken, und fing an, verschiedene Umstände ähnlicher Art, die sich bei der Verheiratung der ältesten Tochter der verstorbenen Lady Tollimglower zugetragen, herzuzählen, womit sie nach drei vollen Stunden noch nicht zur Hälfte fertig war.

Frau Trundle mußte ebenfalls von den gewaltigen Vorbereitungen zu London in Kenntnis gesetzt werden, und da sie sich in einem zarten Gesundheitszustände befand, so erfolgte die Mitteilung durch Herrn Trundle selbst, damit ihr die Überraschung nicht schaden möchte. Allein sie schadete ihr keineswegs: denn sie schrieb sogleich nach Muggleton, bestellte sich eine neue Haube und ein schwarzes Atlaskleid und erklärte, unter allen Umstanden an der Hochzeitsfeier teilnehmen zu wollen. Herr Trundle ließ den Arzt rufen, und der Arzt sagte, Frau Trundle müsse am besten wissen, wie sie sich befinde, worauf Frau Trundle erwiderte, sie fühle sich vollkommen stark genug und habe einmal ihren Kopf darauf gesetzt mitzugehen, worauf wiederum der Arzt, der ein weiser und verständiger Arzt war und wußte, was sowohl für ihn selbst als für andere Leute gut war, erklärte, wenn Frau Trundle zu Hause bliebe und sich ärgerte, so würde ihr dies vielleicht mehr schaden, als wenn sie ginge, und deshalb würde sie vielleicht besser daran tun mitzureisen. Sie reiste also wirklich mit, nachdem ihr der Arzt mit gewissenhafter Sorgfalt ein halbes Dutzend Arzneiflaschen zugesandt hatte, die sie unterwegs austrinken sollte.

Zu den Aufträgen, die Herr Wardle bekommen hatte, gehörte auch die Besorgung zweier Briefchen an zwei junge Dämchen, die die Brautjungfern vorstellen sollten und durch diese Einladung in Verzweiflung gerieten, denn sie jammerten, sie hätten gar keine Sachen in Bereitschaft für ein so wichtiges Geschäft und könnten sich in der kurzen Zeit auch nicht mehr damit versehen: ein Umstand, der den beiden würdigen Papas der beiden jungen Dämchen nicht ganz unerfreulich zu sein schien. Indessen wurden alte Kleider neu zugestutzt, neue Hauben gemacht, und die jungen Dämchen sahen darin so gut aus, wie man von ihnen nur erwarten konnte; da sie überdies während der Trauung bei den geeigneten Stellen weinten und immer zur rechten Zeit zitterten, so erwarben sie sich die Bewunderung sämtlicher Zuschauer.

Wie die zwei armen Bäschen nach London kamen, ob zu Fuß, zu Wagen oder zu Pferd, ist unbekannt. Jedenfalls aber trafen sie vor Wardle ein, und die ersten Leute, die an dem Hochzeitsmorgen an Herrn Pickwicks Haustür anklopften, waren die zwei armen Bäschen, hochaufgedonnert und voll Freundlichkeit.

Sie wurden indessen aufs herzlichste bewillkommt, denn Reichtum und Armut hatten keinen Einfluß auf Herrn Pickwick. Die neuen Diener waren die Munterkeit und Bereitwilligkeit selbst; Sam befand sich in der unvergleichlichsten Festlaune, und Marie glänzte von Schönheit und prächtigen Bändern.

Der Bräutigam, der sich schon zwei oder drei Tage vorher im Hause aufgehalten hatte, fuhr stattlich angetan in die Dulwicher Kirche, begleitet von Herrn Pickwick, Ben Allen, Bob Sawyer und Herrn Tupman, auch Sam Weller nicht zu vergessen, der im Knopfloch eine weiße Bandschleife, ein Geschenk der Dame seines Herzens trug, und überdies in einer neuen, prachtvollen, ausdrücklich für den Tag erfundenen Livree prangte. Sie trafen dort Herrn und Frau Wardle, Herrn und Frau Winkle, Braut und Brautjungfern und Herrn und Frau Trundle; und nach beendigter Feierlichkeit rasselten sämtliche Kutschen zum Frühstück nach Herrn Pickwicks Hause, wo der kleine Herr Perker sie bereits erwartete.

Nachdem sich hier die leichten Wolken des ernsteren und feierlichen Teils der Tagesereignisse zerteilt hatten, erglänzten alle Gesichter von Freude, und man hörte nichts als Glückwünsche und Lebehochrufe. Es war alles so schön! Der Grasplatz vor dem Hause, der Garten hinter demselben, das kleine Gewächshaus, das Speise-, das Gesellschafts-, das Rauch- und die Schlafzimmer, vor allem aber das Studierzimmer mit seinen Gemälden, den behaglichen Sesseln, den merkwürdigen Wandschränken, den sonderbar geformten Tischen und zahllosen Büchern, nebst seinem großen heiteren Fenster, das sich gegen einen hübschen Grasplatz hin öffnete und eine reizende Landschaft beherrschte: hübsche Villen im Grün der Bäume; und dann die Vorhänge, die Teppiche, die Stühle und die Sofas – alles war so schön, so fein berechnet, so zierlich und so geschmackvoll, daß jedermann sagte, man wisse wirklich nicht, was am meisten Bewunderung verdiene.

Und mitten zwischen alledem stand Herr Pickwick, dessen Gesicht von einem seligen Lächeln strahlte, dem das Herz keines Mannes, keiner Frau, keines Kindes widerstehen konnte: er selbst der Glücklichste im ganzen Kreise, immer denselben Leuten wieder die Hände schüttelnd, und wenn die seinigen nicht gerade geschüttelt wurden, sie voll Vergnügen reibend; bei jedem neuen Ausbruch der Freude voll Teilnahme sich überall hinwendend und durch seine wonnestrahlenden Blicke alle begeisternd.

Das Frühstück wird angekündigt. Herr Pickwick führt die alte Dame, die sehr beredt über das Thema von der Lady Tollimglower gewesen, oben an die lange Tafel hin; Wardle setzt sich an das andere Ende, die Freunde reihen sich auf beiden Seiten, Sam faßt hinter dem Stuhle seines Herrn Posten, das Gelächter und Geplauder hört auf; Herr Pickwick spricht das Tischgebet, schweigt dann einen Augenblick und blickt rund um sich; aber während er das tut, rollen ihm in der Fülle seiner Freundlichkeit die Tränen über die Wangen herab.

Und nun laßt uns von unserm alten Freunde Abschied nehmen – in einem jener Augenblicke ungetrübten Glückes, von denen uns, wenn wir sie nur suchen, immerhin einige zur Erheiterung unseres flüchtigen Daseins beschieden sind. Die Erde hat finstere Schatten, aber der Kontrast hebt ihre Lichtseiten um so stärker hervor. Es gibt Leute, die wie die Fledermäuse und Eulen bessere Augen für die Finsternis haben, als für das Licht; wir, denen solche optische Fähigkeiten nicht gegeben sind, finden mehr Vergnügen daran, den geträumten Gefährten mancher einsamen Stunden unsern letzten Abschiedsblick zuzuwerfen, wenn der kurze Sonnenschein der Welt in vollem Glanze über sie erstrahlt.

* * *

Es ist das Los der meisten Menschen, die sich in der Welt bewegen und es zu einem gewissen Alter bringen, daß sie sich viele wirkliche Freunde erwerben und sie durch den Lauf der Natur wieder verlieren. Es ist das Los aller Autoren oder Dichter, daß sie sich eingebildete Freunde schaffen und sie im Verlauf der Kunst wieder verlieren. Damit ist indessen das Maß ihres Unglücks noch nicht erschöpft: man verlangt von ihnen auch noch eine umständliche Erzählung, was aus diesen allen geworden ist.

Indem wir uns hiermit dieser unbestreitbaren bösen Gewohnheit fügen, setzen wir noch einige wenige biographische Notizen über die bei Herrn Pickwick versammelte Gesellschaft bei.

Herr und Frau Winkle, von dem alten Herren vollkommen in Gnaden aufgenommen, bezogen bald darauf ein eigenes neugebautes Haus, nur eine halbe Meile von Herrn Pickwick entfernt. Herr Winkle wurde der Cityagent oder Stadtkorrespondent seines Vaters, vertauschte sein altes Kostüm mit der gewöhnlichen Kleidung der Engländer und zeigte hernach immer das Äußere eines zivilisierten Christen.

Herr und Frau Snodgrass ließen sich in Dinglen Dell nieder, wo sie mehr der Beschäftigung als des Gewinns halber ein kleines Gut kauften und bewirtschafteten. Herr Snodgrass, der zuweilen zerstreut und melancholisch ist, gilt bis auf den heutigen Tag unter seinen Freunden und Bekannten für einen großen Dichter, obgleich wir nicht finden, daß er je etwas geschrieben hätte, was diesen Glauben bestätigen könnte. Wir kennen freilich viele literarische, philosophische und andere Berühmtheiten, deren bedeutender Ruf keinen festeren Boden hat.

Herr Tupman ließ sich, als seine Freunde geheiratet und Herr Pickwick sich zurückgezogen hatte, in Richmond nieder, allwo er bis jetzt geblieben ist. In den Sommermonaten geht er beständig auf der Terrasse spazieren, und zwar mit einer jugendlichen Munterkeit, die ihm die Bewunderung all der zahlreichen ältlichen Damen ledigen Standes gewonnen hat, die in der Nähe wohnen. Er hat indessen nie wieder einen Heiratsantrag gemacht.

Herr Bob Sawyer inserierte einige Male in den Zeitungen und ging dann, begleitet von Herrn Benjamin Allen, nach Bengalen, beide als wohlbestellte Chirurgen in Diensten der ostindischen Kompagnie. Sie haben vierzehnmal das gelbe Fieber gehabt und sich endlich zu einiger Enthaltsamkeit entschlossen. Seitdem ergeht es ihnen sehr gut.

Frau Bardell vermietete ihr Haus noch an manchen umgänglichen ledigen Herrn mit großem Profit, hat jedoch seitdem nicht mehr wegen gebrochenen Eheversprechens geklagt. Ihre Anwälte, die Herren Dodson und Fogg, betreiben ihr Geschäft noch immer mit gewohnter Rührigkeit, beziehen ein bedeutendes Einkommen daraus und gelten allgemein für die Schlauesten unter den Schlauen.

Sam Weller hielt sein Wort und blieb noch zwei Jahre unverheiratet. Als nach Verfluß dieser Zeit die alte Haushälterin starb, beförderte Herr Pickwick Marie zu diesem Posten, jedoch unter der Bedingung, Herrn Weller unverweilt zu heiraten, was sie ohne Murren tat. Aus dem Umstand, daß am Tore des Gartens hinter dem Hause zu wiederholten Malen ein paar derbe kleine Buben erblickt worden sind, glauben wir schließen zu können, daß Sam Familie hat.

Der ältere Herr Weller regierte noch zwölf Monate lang eine Postkutsche, bekam aber die Gicht, die ihn nötigte, sich zurückzuziehen. Herr Pickwick hatte den Inhalt seiner Brieftasche so gut für ihn angelegt, daß er eine recht hübsche jährliche Rente besitzt, von der er gemächlich in einem vortrefflichen Gasthause in der Nähe von Shooters Hill lebt. Dort wird er als ein wahres Orakel verehrt; er rühmt sich gewaltig seiner vertrauten Freundschaft mit Herrn Pickwick und hegt fortwährend den unüberwindlichen Widerwillen gegen Witwen.

Herr Pickwick aber wohnt dauernd in seinem neuen Hause und verwendet seine Mußestunden dazu, die Memoiren aufzuzeichnen, die er später dem Sekretär des einst so berühmten Klubs mitteilt. Oder er ist damit beschäftigt, sich von Sam Weller vorlesen zu lassen, dessen Bemerkungen, wie sie sich ihm gerade aufdrängen, Herrn Pickwick stets großes Vergnügen bereiten. Im Anfang wurde er sehr durch die zahlreichen Gesuche der Herren Snodgrass, Winkle und Trundle belästigt, bei ihrer Nachkommenschaft Gevatter zu stehen; allein er hat sich jetzt daran gewöhnt und betrachtet diesen Dienst als eine Sache, die sich nun einmal nicht abändern läßt. Er hat niemals Veranlassung gehabt, seine Güte gegen Herrn Jingle zu bereuen; denn sowohl er als Job Trotter sind mit der Zeit würdige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft geworden, haben indessen jede Aufforderung, nach den Schauplätzen ihres früheren Unwesens zurückzukehren, standhaft zurückgewiesen. Herr Pickwick ist etwas kränklich geworden, sein Geist aber hat alle seine Jugendfrische behalten, und man sieht ihn noch häufig die Gemälde in der Dulwicher Galerie betrachten oder an schönen Tagen in seiner hübschen Nachbarschaft lustwandeln. Die Armen in der Gegend kennen ihn alle und unterlassen es nie, mit großer Ehrerbietung die Hüte abzuziehen, wenn er vorübergeht. Die Kinder vergöttern ihn, und die ganze Nachbarschaft tut es wahrhaftig auch. Er begibt sich alljährlich zu einem großen Familienfest in Herrn Wardles Haus; und, wie überall hin, begleitet ihn auch hier der getreue Sam. Zwischen diesem und seinem Herrn waltet eine feste Anhänglichkeit, der nur der Tod ein Ende machen wird.

 


 


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