Paula Dehmel
Das liebe Nest
Paula Dehmel

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König Kuchen
und Königin Schokolade

                        Bei König Kuchen und Königin Schokoladen
war ich mit Linchen heut Nacht in Gnaden
zu Gaste geladen.
Ein prachtvolles Fuhrwerk, tripp, tripp, trapp,
holte uns stolz von Hause ab.
Vorn stampften zwei schneeweiße Vollblutjucker
aus feinem biegsamen Lederzucker,
auf dem Kutschbock der dicke Mohr
kam uns marzipanisch vor,
und neben ihm der fette Mops
war ganz gefüllt mit englischen Drops.
Die Kutsche, aus weißem Zuckerkant,
erstrahlte hell wie Diamant;
sie ging auf zierlichen Süßholzrädern,
aus Vanille waren die Deichsel, die Federn,
dicke Polster aus Traubenrosinen
sollten uns als Sitze dienen,
aber in den Blätterteig-Wagentaschen
gab es allerhand Gutes zum Naschen.
Ein allerliebster Praliné-Page
dienerte neben der Equipage
in einem rot kandierten Frack
und öffnete uns den Wagenschlag.
Wir stiegen ein und fuhren im Nu
durch Rußland und Asien nach China zu.
Bald kamen wir in jenes Land,
wo König Kuchen, der Süße genannt,
unumschränkt herrscht in seinen Reichen
mit seiner Fürstin ohnegleichen,
der herrlichen Königin Schokolade,
die uns zum Fest befohlen in Gnade.

Das goldgelb glacierte Ballfesthaus
Sah wie ein riesiger Napfkuchen aus,
umgeben von einem Spritzkuchengitter;
als Wache davor zwei braune Ritter
aus Pfefferkuchen mit Gußfiligran,
die hatten Knackmandel-Harnische an.
Als Führer dienten mir und Linchen
zwei allerliebste Thorner Kathrinchen;
sie verbeugten sich höflich, als wir kamen,
und sagten: bitte, meine Damen.
Ach, Kinder, wie das Herz mir lacht,
denk ich zurück an all die Pracht!
Die Wände waren von Makronen,
verbrämt mit Schokoladenbohnen,
aus grünen Bonbons die glatten Dielen,
daß wir nachher beim Tanz fast fielen,
die Säulen aus mächtigen Baumkuchentorten
von den allerhöchsten und edelsten Sorten,
die Tische aus marmoriertem Konfekt,
mit drolligen Lutschfigürchen bedeckt,
die Stühle Fäßchen mit Gelees,
mit Eingemachtem und Knusperknees;
rings auf appetitlichen Zimmetstaffeln
lagen Biskuits und Keks und Waffeln.
Im Hintergrunde ein Gletschersee,
mit Vanille-Eisbergen und Schlagsahnen-Schnee,
entsandte in doppelter Kaskade
Zitronen- und Himbeer-Limonade;
und hoch über allem, im glanzvollen Saal,
strahlte eine Sonne aus Zucker-Opal.

In der Mitte aber stand ein Thron,
gebaut aus Bretzeln mit blauem Mohn,
darauf saß liebreich in ihrer Gnade
die herrliche Königin Schokolade.
Sie harrte huldvoll, bis die Schar
der Kinder ganz versammelt war,
die sie aus kalter und warmer Zone
herbefohlen zu ihrem Throne,
um ihnen mit königlichen Händen
von ihren süßen Kleinodien zu spenden;
ihr hoher Gemahl, der König Kuchen,
hatte Mühe, sie auszusuchen.
Da waren Kinder aus Deutschland und Spanien,
aus Frankreich, Chile, Mesopotamien,
Kinder von Kaffern und Hottentotten,
von Persern, Eskimos und Schotten,
Kinder aus Süden und Kinder aus Norden
von den feinsten Familien und den wildesten Horden,
denn alle Kinder zu allen Zeiten
essen gerne Süßigkeiten.

An der Königin Seite, im leckeren Grase,
machte Männchen ein stattlicher Osterhase,
und als die Kinder versammelt waren,
ordnete er die bunten Scharen;
rechts gingen die Mädchen, links die Knaben,
so wollt es der König Kuchen haben,
und jedes Kind in jeder Reih
bekam ein prächtiges Osterei,
die Mädchen blaue, rote die Jungen,
dann ist das Häschen davongesprungen.

Nun fing die Kapelle zu spielen an,
vorn geigte ein Nürnberger Lebkuchenmann;
ich sag euch, es war 'ne Musik für Kenner,
und waren doch alles gebackne Männer,
mit Rosinenaugen und Mandelnasen,
und konnten so lieblich flöten und blasen.
Es wurde getanzt, gespielt, gelacht,
damit verging die schöne Nacht.
Zuguterletzt, nicht zu vergessen,
wurde alles aufgegessen,
artig gedankt und Abschied genommen;
wir fuhren heim, wie wir gekommen,
und erwachten in unserm Bett –
Kinder, Kinder, wie war das nett! –


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