Paula Dehmel
Das liebe Nest
Paula Dehmel

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Weihnachtsgang

                                        Es war zur lieben Weihnachtszeit,
die Wälder lagen tief verschneit,
im Acker schlief in guter Ruh
das Korn und träumte dem Frühling zu,
die Winternachmittagssonne stand
wie ein gelber Fleck an weißer Wand –
da schritt ich hinaus in die blinkende Weite
und summte ein Lied mir zum Geleite.

Wie ich so ging auf stillen Wegen,
kam mir ein seltsamer Zug entgegen.
Ein Eselchen, ganz vollgesackt,
mit Schachteln und allerhand Kram bepackt,
schritt langsam durch die Felderruh;
sein Führer rief ihm bisweilen zu,
es war ein Alter in weißem Haar,
mit Runzelgesicht und sonderbar
altmodischem Pelzwerk, sonst gut bei Kräften,
die Füße staken in hohen Schäften
und kamen munter mit Hott und Hüh
grad auf mich zu samt dem Eselsvieh.
Potz Blitz, fällt mir auf einmal ein,
das muß doch der Gottesknecht Ruprecht sein.
Ich blicke scharf in das bärtge Gesicht:
»Grüß Gott, mein Alter, kennst du mich nicht?
Ich hab doch oft dein Loblied gesungen,
und all die Mädels und all die Jungen,
die noch an Mutters Rockzipfel hängen
oder sich auf den Schulbänken drängen,
kennen dich wie ihre großen Zehen,
doch hat wohl noch niemand dich draußen gesehen.
Sonst kamst du immer auf heimlichen Wegen
uns erst in der hellen Stube entgegen
mit Sack und Pack und netten Geschenken;
was soll ich, Weihnachtsmann, von dir denken?
Da stehst du nun mit Haut und Haar,
bist nicht ein bißchen unsichtbar,
wie es dir zukommt.« – »So ist meine Art,«
brummte der Alte und strich sich den Bart,
»ich denke mir gern Überraschungen aus,
für diesmal mach ich's außerm Haus;
komm mit, da sollst du was erleben,
das wird ein Extra-Vergnügen geben.«
»Topp,« rief ich, »Alter, ich bin dabei,
ich höre gern lustiges Kindergeschrei.«

So schritten wir rüstig zur Stadt. Am Tor
langte Ruprecht ein hölzernes Pfeifchen hervor
und blies. Wie konnte der Alte pfeifen!
Jetzt lernt ich den Rattenfänger begreifen:
aus allen Straßen, aus Tür und Tor
– mir klingt der Lärm noch immer im Ohr –
mit Jubeln und Lachen, in bunten Haufen
kamen wohl hundert Kinder gelaufen.
Die tanzten um Ruprecht, bettelten, baten,
eins um 'ne Kutsche, eins um Soldaten,
eins um ein Püppchen, eins um ein Büchlein,
eins um ein Rößlein, eins um ein Tüchlein,
und Ruprecht langte in seinen Sack
und gab, was es wünschte, dem kleinen Pack.
Ja, jedes Kind durfte etwas erlangen;
aber die übermütigen Rangen
schrien durcheinander und wollten mehr,
kletterten über das Eselchen her,
zupften den Ruprecht an Bart und Kragen,
wollten ihm gar die Säcke wegtragen.
Da wurde es aber dem Alten zu bunt,
er nahm sein Zauberpfeifchen, und –
schrill kam ein Ton. Wie erschraken sie doch.
Sie wurden ganz kleinlaut, man hörte nur noch:
»Komm, Fritzchen – Hans, laß doch – nicht schreien, Marie–
Knecht Ruprecht wird böse – seht ihr nicht, wie?!«
Und sie stellten sich artig um ihn herum
und waren wie die Mäuschen stumm.
Er kommandierte: »Linksum, kehrt,
nun geht nach Hause, wie sich's gehört!«
Da faßten die Großen die Kleinen an:
»Grüß Gott und schön Dank auch, Herr Weihnachtsmann.«

Und wieder tönte die Schalmei,
die Kinder trabten zwei zu zwei
und sangen lustig die Weise mit,
und fern und ferner klang ihr Schritt;
mein Blick verfolgte den kleinen Schwarm.
Wie sind ihre Bäckchen vor Freude warm –
so dacht ich – und Freude ist der Saft,
den wir auf unsrer Wanderschaft
durchs Leben aus frohen Kindertagen
ins graue Alter mit hinübertragen
als verjüngendes Elixier;
ein gut Teil davon verdanken wir dir,
du alter bärtiger Gottgeselle!
Ich sah mich um – leer war die Stelle,
nur fern in der dämmernden Abendluft
verschwebte ein Wölkchen wie Weihrauchduft,
und durch die feiernde Stille drang
der erste hohe Glockenklang.


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