Paula Dehmel
Das liebe Nest
Paula Dehmel

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Königskind

– 1 –

        Schlafe ruhig, Königskind;
wie im Traume singt der Wind,
schweigend sitzt der Mond zu Haus,
gießt die weißen Strahlen aus,
gießt sie über das weite Land,
über Wald und Hügelwand.

Taube gurrt im dunklen Laub,
Käfer surrt und fliegt auf Raub,
Fischlein steht im Wasser still,
weiß nicht, ob es schwimmen will.
Was dir auch das Leben spinnt:
träume, Königskind!

– 2 –

            Ein Vogel flog aus dem Heimatland,
er flog wohl sieben Tage lang
über fremde Wälder und Seen;
da wurden ihm die Flügel lahm,
und als er ans große Wasser kam,
konnt er nicht weiter.

Ein Mägdlein mußte von Hause fort,
in ein fernes Land an fremden Ort,
so bang und alleine.
Die Mutter gab ihr drei Tropfen Blut:
Tochter, liebe Tochter, wahre sie gut,
sonst trifft dich ein Unheil.

Das Vöglein fiel aus der Höh herab,
brach die Flügel beide und fand sein Grab
im öden Lande;
das Mägdlein verlor der Mutter Blut,
verlor den Weg und verlor den Mut
und irrt in der Fremde.

– 3 –

              Waldtaube saß gefangen,
Kuruh, das Vögelein,
wohl hinter Gitter und Stangen;
da ließ das Köpflein hangen
Kuruh das Vögelein.

Waldtaube saß am Gitter,
Kuruh, das Vögelein,
da kam ein blauer Ritter,
ein Falke an ihr Gitter:
Kuruh, mein Vögelein.

Und bist du auch gefangen,
Kuruh, mein Vögelein,
meine Liebe zerbricht die Stangen,
zu dir will ich gelangen,
Kuruh, mein Vögelein.

Mit seinen starken Fängen
tat er das Gitter aufzwängen,
Kuruh, mein Vögelein.
Sie breiteten aus die Flügel,
flogen weithin über die Hügel,
grad in die Sonne hinein,
Kuruh, mein Vögelein.


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