Paula Dehmel
Das liebe Nest
Paula Dehmel

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Ein Spatzengespräch

                      Ich war in Fez durch die Buden gewandelt
und hatte einen Ring erhandelt
mit einem seltsam geschliffenen Stein;
sollte der Ring König Salomos sein.
Wer ihn besäße, verstünde sofort
zahlreicher Tiere Geberde und Wort,
könnte das Gras beim Wachsen belauschen,
hörte Musik aus den Quellen rauschen,
verstünde die Sprache von Baum und Stein,
müßte aber ein Sonntagskind sein.
Nun, ich war zu meinem Frommen
beim Glockenläuten auf die Welt gekommen,
nahm meinen Ring, bezahlte bar,
und – war jetzt klüger, als ich war.

Fröhlich ging ich zur Stadt hinaus,
wußte da ein einsames Bauernhaus,
warf mich glatt in die Frühlingsruh,
kaute Halme und pfiff dazu,
dachte an dies und dachte an das,
wie so gedeihlich aus Ernst und Spaß
die Welt sich verbastelt zum Gottgetriebe,
dachte an Glauben, dachte an Liebe,
und wie hellauf über Zacken und Kanten,
trotz Pflichten, Gesetzen und alten Tanten,
das Leben in neue Blüten schießt,
in die der Saft der Zeit sich ergießt.
Dachte und dachte, eiferbeflissen,
glaubte den Weg aller Wege zu wissen,
genau der Länge nach und der Breite,
der die Welt zum Heile geleite;
dachte – – was man so buntes denkt,
wenn über einem die Sonne hängt.

Neben mir blühte lichtblauer Flieder;
ein Spatzenpärlein ließ sich drin nieder,
die plusterten zärtlich die dicken Hälschen,
zogen sich Federchen aus den Pelzchen,
sahen recht verliebt darein,
mußten wohl jung verheiratet sein.
Doch das Schweigen währte nicht lange,
bald war eine Unterhaltung im Gange;
ja, mein Ring kam mir trefflich zustatten,
deutlich verstand ich das Plaudern der Gatten
und durfte mit Vergnügen ermessen,
sie hatten höhere Interessen.

»Männe,« sagte das Spatzenfrauchen
und rückte näher an ihr Grauchen,
»du bist so klug vom vielen Reisen,
könntst mich ein wenig unterweisen.
Sag mir doch, was die Menschen wollen,
wenn sie die Erde in dicken Schollen
aufwerfen; nie kriegen sie genug
von ihrem Getue mit Spaten und Pflug.«
»Hm,« sagte der Spatzmann mit Bedacht,
nachdem er ein Weilchen nachgedacht,
»Hm, in der Erde gibt's schöne Dinge,
zum Beispiel Käfer und Engerlinge,
die werden sie brauchen zu Schmaus und Festen
und werden damit ihre Jungen mästen.
Auch Körner graben sie sehr gescheit
in den Boden ein; und wenn's friert und schneit,
und es ist Futtermangel im Haus,
graben sie alle wieder aus.«

»Du bist doch der gescheiteste Spatz,«
sagte die Spätzin, »mein trautester Schatz.
Doch noch was andres wollt ich dich fragen,
du kannst mir sicherlich auch sagen,
warum die Sonne morgens aufsteht
und abends wieder untergeht;
ich habe mir seit vielen Wochen
umsonst darüber den Kopf zerbrochen.«
Der Spatz putzt sich den Schnabel und spricht:
»Kleines Närrchen, das weißt du nicht?
Wie sollten wir Vögel anders wissen,
wann wir morgens ausfliegen müssen?
Die Sonne ist da, um uns zu wecken
und abends uns wieder ins Nest zu stecken.«

»Ja, ja, nun wird mir alles klar,«
sagte das Weibchen; »ganz offenbar
hast du da recht. Doch in der Nacht
der Mond? für wen ist der gemacht?«
»Der Mond? Ach, nenn mir den Falschen nicht;
der hält es mit dem Katzengezücht,
lockt Marder und Eulen auf unsre Brut,
drum hass' ich ihn mit aller Wut.«
Und zornig sträubt der kleine Mann
die Federn und steht sein Weibchen an.
Das drängt sich an ihn, zärtlich, dicht,
glättet ihm die Daunen an Hals und Gesicht
und flüstert erschrocken: »Du hast ja recht,
der meint es gewiß mit uns Vögeln schlecht;
nie nenn ich ihn wieder. Doch sag mir, du Bester,
ob nicht auch in der Menschen Nester
die Sonne Licht und Wärme bringt,
daß alles früh aufsteht und singt?«

»Nein, Kind, für uns ist die Sonne gemacht,
uns bringt sie Tag, uns bringt sie Nacht.
Die Menschen haben in ihren Zimmern
ihre eignen Sonnen, ich sah sie flimmern.
Als ich mal nachts, aus dem Schlaf geschreckt,
an ein Fenster stieß, hab ich's entdeckt:
sie machen bloß knips, dann haben sie Licht,
die brauchen unsre Sonne nicht.«

Das Spatzenfrauchen schien ganz beglückt
von so viel Klugheit und sah entzückt
ihr Männchen an: »Du bist ein Genie,
und weißt auch sicher, warum und wie
die Menschen in ihren Steinhäusern kleben
und nicht so frei wie wir Vögel leben?«

Das Spätzchen guckte ein wenig ins Land,
hatte aber die Antwort schnell bei der Hand:
»Vor Mardern und Eulen und Katzengetier
sind sie in den Häusern viel sichrer als wir,
und, was der wichtigste Grund von allen,
kein Junges kann aus dem Neste fallen.
Ja, ja, die Menschen haben Geist,
sind auch den Vögeln gefällig meist,
haben sie doch von Land zu Land
lauter feste Drähte gespannt,
damit unsre Wandrer scharenweise
sich ausruhn können auf der Reise.
Auch Versammlungen werden von Jungen und Alten
im Herbste darauf abgehalten;
wir sind ihnen wirklich zu Dank verpflichtet,
so praktisch haben sie's eingerichtet.«

»Glaub's schon, die Menschen sind recht klug,
aber noch immer nicht klug genug,«
sagte das Weibchen; »was würden sie geben,
könnten sie frei in den Lüften schweben,
doch sind sie zu ungeschickt zum Fliegen
und werden niemals Flügel kriegen.«

»Bloß mit den dicken seidenen Bällen
steigen sie manchmal tausend Ellen,«
lachte das Männchen; »was nur die tollen
Leute bei uns in den Lüften wollen?
Jetzt baun sie sogar allerhand Gestelle
und rasen herum mit Windesschnelle.
Auch der Dompfaff lachte neulich
und meinte, er fände die Dinger abscheulich;
sinnlos wär dies Gefliege und Rattern,
kein Mücklein könnt man dabei ergattern.
Ernsthaft sitzen sie in dem Kahn
und gucken die Welt durch Röhren an;
es ist wirklich lachhaft mitanzusehn.
Komm, Schatz, wir wollen zu Bette gehn;
für heute hast du genug profitiert,
morgen wird wieder ein Stündchen doziert.«
Eine Weile noch plusterte da was rum,
dann waren die Plappermäulchen stumm.

Ich aber ging übers stille Feld;
so malt sich in Spatzenköpfen die Welt,
dacht ich und lächelte überlegen.
Da hört ich's in den Lüften sich regen,
eine alte Esche rief mir zu:
»Wieviel ist der Spatz denn beschränkter als du?
Seid ihr Menschen nicht auch allesamt
zu solchen unwissenden Tierlein verdammt,
die das große Warum und das ewige Wie
mit ihrer täppischen Kindsphantasie
zu begreifen suchen? Dürft ihr vertraun
dem Funken in euch und aufwärts schaun?
Sind eure stolzesten Grübler und eifrigsten Späher
der Gottheit nur um ein Strichelchen näher?«
So sprach die Esche. Ich sah in die Weiten,
sacht fühlt' ich den Ring mir vom Finger gleiten,
scheu blickt' ich hin – er war verschwunden,
und niemals hab ich ihn wiedergefunden.


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