Alphonse Daudet
Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon
Alphonse Daudet

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Tarascon! Tarascon!

Es ist um die Mittagsstunde. Der »Zuave« steht unter Dampf, alles ist zur Abreise bereit. Oben auf dem Balkon des Café Valentin nehmen die Offiziere das Fernrohr zur Hand und mustern, der Oberst zuerst und die andern ihrem Rang nach, das kleine Paketboot und seine Insassen, die so glücklich sind, nach dem schönen Frankreich zurückkehren zu können. Das ist nämlich so ziemlich die einzige Zerstreuung, die die Offiziere der Garnison haben.

Auf der Reede leuchtet und blitzt es; die Bodenstücke der alten türkischen Kanonen, die längs des Quais in der Erde versenkt stehen, glänzen in der Sonne. Die Passagiere drängen sich; Neger und Araber schleppen die Gepäckstücke in ihre Barken und rudern sie nach dem Dampfschiff hinüber. Tartarin aus Tarascon hat keinerlei Gepäck. Da kommt er die Rue de la Marine quer über den kleinen mit Bananen und Wassermelonen bepflanzten Platz herab, begleitet von seinem Freunde Barbassou.

Der bedauernswerte Tarasconese! Am maurischen Gestade hat er seine Waffenkisten und seine Illusionen zurücklassen müssen, und jetzt ist er dabei, die Rückreise nach dem fernen Tarascon anzutreten – die Hände in den leeren Taschen. Eben war er in die Schaluppe des Kapitäns gesprungen, als ein Tier atemlos quer über den Platz gerast kam und im Galopp auf ihn losstürzte. Es war das Kamel, das treue Kamel, das seinen Herrn seit vierundzwanzig Stunden in Algier suchte.

Tartarin erbleichte, als er es sah; er tat so, als kenne er es nicht. Aber das Kamel war hartnäckig; es lief längs des Quais auf und nieder, es wandte sich an seinen Freund und blickte ihm zärtlich an.

»Nimm mich doch mit!« schien sein trauriger Blick zu stehen; »nimm mich doch mit in die Barke, weit, ganz weit weg aus diesem Arabien aus angemalter Pappe, aus diesem lächerlichen Orient voller Lokomotiven und Postwagen. Was soll sonst aus mir armen, mißachteten Kamel noch werden? Du bist der letzte Türke, ich bin das letzte Kamel. Wir wollen uns niemals trennen, mein lieber Tartarin!«

»Gehört Ihnen das Kamel?« fragte der Kapitän.

»Nein, nein!« rief Tartarin, der schon bei dem bloßen Gedanken zitterte, in Tarascon mit diesem lächerlichen Gefolge einzuziehen. Er verleugnete schamlos den Genossen seines Mißgeschicks und stieß vom algerischen Boden ab. Das Kamel beschnupperte das Wasser, dann streckte es seinen Hals weit aus, reckte und dehnte sich und sprang hinter der Barke ins Wasser und schwamm wie ein Beiboot auf den »Zuaven« zu. Sein Höcker glich einem im Wasser treibenden Flaschenkürbis und der lange Hals einem Schiffsschnabel.

Schaluppe und Kamel langten gleichzeitig an den Längsseiten des Paketbootes an.

»Wissen Sie was?« sagte der Kapitän Barbassou in einer Anwandlung von Mitgefühl zu seinem Begleiter; »das Kamel tut mir leid. Ich werde es mit an Bord nehmen. Wenn wir in Marseille angekommen sind, werde ich es dem zoologischen Garten verehren.«

Mit Winden und Stricken wurde das getreue Kamel, das vom starken Seewasser halb betäubt war, auf Deck gehißt, und der »Zuave« dampfte ab.

Die zwei Tage, die die Überfahrt dauerte, brachte Tartarin ganz allein in seiner Kabine zu, nicht etwa weil die See unruhig gewesen wäre oder weil der Fez zu viel zu leiden gehabt hätte, sondern einzig und allein wegen des verdammten Kamels, das seinen Herrn, als er sich nur einmal auf dem Verdeck zeigte, mit Beweisen einer lächerlichen Zuneigung überhäufte. Solch ein anhängliches Kamel ist noch nicht dagewesen.

An den kleinen runden Fenstern der Kabine drückte Tartarin seine Nase breit und sah, wie mit jeder Stunde der tiefblaue afrikanische Himmel mehr und mehr verblaßte, und dann hörte er endlich auch eines Morgens im Nebelgrauen mit Wonne wieder die Glocken von Marseille läuten. Man war am Ziel, der »Zuave« warf die Anker aus.

Da unser Held keinerlei Gepäck hatte, so verließ er das Schiff, ohne weiter ein Wort zu verlieren, eilte durch die Straßen von Marseille, immer in der Angst, auch hier von seinem Kamel verfolgt zu werden, und wagte erst wieder aufzuatmen, als er glücklich in einem Wagen dritter Klasse in dem Zuge nach Tarascon saß.

Ach, die Freude war nur von sehr kurzer Dauer. Der Eisenbahnzug war kaum zwei Meilen von Marseille entfernt, als alle Passagiere die Köpfe zu den Fenstern hinaussteckten. Man schrie und machte seinem Staunen Luft. Tartarin war neugierig, zu sehen, was es da wohl gäbe; und was mußte er erblicken? . . . Das Kamel, meine Herren, das unvermeidliche Kamel; es lief die Schienen entlang und hielt immer gleichen Schritt mit dem Zuge. Tartarin fand keine Worte bei diesem Anblick; er glaubte sterben zu müssen, lehnte sich in eine Ecke zurück und schloß die Augen. Da seine Expedition so unheilvoll verlaufen war, hatte er sich fest vorgenommen, in aller Stille heimzukehren, aber dieses unglückselige Tier machte ihm einen fürchterlichen Strich durch die Rechnung. Du grundgütiger Himmel! Was mußte das für eine Heimkehr werden! Keine Löwen, kein Geld in der Tasche, nichts – nichts als ein Kamel!

»Tarascon! Tarascon!«

Er mußte aussteigen.

Was war das? Kaum zeigte sich der rote Fez des Helden an der Wagentüre, als sich ein so lautes Schreien und Jubeln erhob, daß sämtliche Glasscheiben der Bahnhofshalle zitterten.

»Hoch Tartarin! Es lebe der Löwenjäger!« Trompeten schmetterten, und ein Chor begann eine Jubelhymne zu singen.

Tartarin wußte nicht, wie ihm geschah; zuerst glaubte er, er sei das Opfer einer Täuschung. Aber nein, das konnte nicht sein; ganz Tarascon war ja auf den Beinen, warf die Hüte in die Luft und jubelte. Da war ja auch der tapfere Kommandant Bravida, der früher im Montierungsdepot Dienste getan hatte; der Waffenschmied Costecalde, der Präsident, der Apotheker und die ganze edle Gesellschaft der Mützenjäger, die sich um ihren heimgekehrten Herrn und Meister drängten und ihn im Triumph die Treppe heruntertrugen.

Die Einbildungskraft der Südländer hatte eben auch hier wieder ihre Blüten getrieben – das an Bravida gesandte Fell des blinden Löwen war die eigentliche Ursache dieses ganzen Lärms. Die an sich doch nur sehr bescheidene Ausbeute des Jagdzuges war im Klub ausgestellt worden, und sie hatte zuerst den Tarasconesen, dann allen Südfranzosen den Kopf verdreht. Man hatte die Geschichte im »Semaphore« gelesen. Ein ganzer Roman war bald dazu erfunden. Tartarin hatte nicht nur diesen einen Löwen geschossen, o nein – er hatte zehn, zwanzig, ein ganzes Schock Löwen erlegt. Als Tartarin in Marseille an Land kam, war er schon, ohne es zu wissen, ein berühmter Mann. Vor zwei Stunden hatte ein begeistertes Telegramm seine bevorstehende Ankunft in seiner Vaterstadt angemeldet. Das allgemeine Staunen und Jubeln erreichte seinen Höhepunkt, als man das sonderbare Tier bemerkte, das, mit Staub bedeckt und in Schweiß gebadet, hinter dem Helden einherstolzierte und hüpfend die Bahnhoftreppe herabstieg. Die Tarasconesen glaubten im ersten Augenblick, der Geist der Tarasque sei zurückgekehrt.

Tartarin beruhigte seine Mitbürger.

»Es ist mein Kamele sagte er.

Und da er sich schon wieder unter dem Einfluß der tarasconischen Sonne befand, jener schönen Sonne, die auch den Harmlosesten zum Lügner macht, so fügte er hinzu, indem er den runzligen Höcker des Tieres zärtlich streichelte: »Das ist ein edles Geschöpf! Es war dabei, als ich meine Löwen schoß!«

Dann ergriff er sehr vertraulich den Arm des Kommandanten, der ob dieser hohen Ehre ganz rot wurde, und gefolgt von seinem Kamel, umringt von den Mützenjägern, bejubelt von allem Volke, ging er nach seinem hübschen Hause, in dessen Garten der Baobab stand, und noch auf dem Wege begann er schon von seinen großen Jagden zu erzählen:

»Denkt euch nur,« so fing er an, »eines schönen Abends, mitten in der Sahara . . . .


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