Alphonse Daudet
Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon
Alphonse Daudet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bei den Türken

Die Überfahrt – Der Fez in fünf verschiedenen Lagen – Am Abend des dritten Tages – Erbarmen

Jetzt, mein lieber Leser, möchte ich ein Maler sein, ein großer Maler, damit ich hier bei Beginn des zweiten Teiles unserer Geschichte vor deinen Augen die verschiedenen Lagen skizzieren könnte, die der rote Fez des Herrn Tartarin aus Tarascon an den drei Tagen der Überfahrt von Frankreich nach Algier an Bord des »Zuaven« einnahm. Ich würde ihn zuerst gezeichnet haben bei der Abreise auf der Landungsbrücke. Ach, wie heldenhaft und stolz, wie eine Aureole, schmückt er das schöne tarasconische Haupt.

Dann würde ich ihn zeigen bei der Ausfahrt aus dem Hafen, als der »Zuave« auf den Wellen sich zu wiegen und zu schaukeln begann; man würde ihn zitternd und zagend sehen, als spüre er schon die ersten Vorboten des nahenden Unheils.

Zum dritten würde ich den Fez im Golf du Lion malen. Je breiter hier die Meeresfläche zwischen den Küsten wird, desto ärger werden die Wellen. Hier hat der Fez schon mit dem Sturm zu kämpfen, bestürzt bäumt er sich auf dem Haupte des Reisenden, und die große Quaste von blauer Wolle, die sonst immer niederhing, sträubt sich im Nebel und Sturmwind empor.

Die vierte Lage: Es ist sechs Uhr nachmittags und das Schiff befindet sich auf der Höhe der Insel Korsika. Der unglückselige Fez neigt sich über die Brustwehr und starrt in das Meer hinab, als wenn er da unten auf dem tiefen Grunde etwas suchen wolle.

Endlich die fünfte und letzte Lage: Im Hintergrund einer engen Kabine steht ein kleines Bett, das wie eine Kommodenschublade aussieht, und in diesem liegt eine formlose Masse; sie wälzt sich wimmernd auf dem Kopfkissen. Das ist der Fez, der bei der Abfahrt so stolz und siegesgewiß dreinschaute, jetzt aber zu einer gewöhnlichen Nachtmütze herabgesunken ist und bis über die Ohren den Kopf eines Kranken verhüllt, dessen Gesicht so bleich und so vom Schmerz verzerrt!

Oh, wenn die Tarasconesen ihren großen Tartarin hätten sehen können, wie er da in seinem Bette lag, das einer Kommodenschublade so merkwürdig ähnlich war – wenn sie ihn da hätten sehen können bei dem trüben und gedämpften Lichte, das durch die kleinen Fensterluken in die Kabine fiel, wenn sie bemerkt hätten, wie er unter dem faden, aus der Küche heraufdringenden Dunste und dem aus dem feuchten Holze aufsteigenden Geruche zu leiden hatte; wenn sie hätten hören können, wie er bei jeder Umdrehung der Schraube so tief seufzte, wie er alle fünf Minuten um Tee bat, und mit so leiser Stimme, die sich wie die eines Kindes anhörte, zum Kellner sprach – welche Gewissensbisse würden sie empfunden haben, daß sie ihn zu dieser Reise gedrängt. Auf mein Wort, als getreuer Schilderer der Zustände und der Ereignisse – der arme Türke war zu bedauern. Er war von der Seekrankheit so plötzlich ergriffen worden, daß er gar nicht mehr daran gedacht hatte, seinen algerischen Gürtel abzulegen und seine Waffen an irgendeinen sicheren Ort zu tun. Das Jagdmesser mit dem dicken Griff lag auf der Brust des Unglücklichen und benahm ihm den Atem, und das Futteral mit dem Revolver lastete schwer auf seinen Füßen. Man kann sich denken, daß Tartarin-Sancho in entsetzlicher Laune war. Unaufhörlich schimpfte und jammerte er: »Nun, du Dummkopf! Habe ich es dir nicht gleich gesagt? Aber natürlich – du mußtest ja durchaus nach Afrika reisen! Da hast du nun dein Afrika! Wie gefällt es dir?

Was seine Lage noch unerträglicher machte, war der allerdings peinliche Umstand, daß er von seiner Lagerstätte aus bequem hören konnte, wie die übrigen Passagiere im großen Salon lachten, speisten, sangen und Karten spielten. Die Gesellschaft, die sich an Bord des »Zuaven« befand, war nämlich ebenso zahlreich wie lebenslustig und vergnügt. Es befanden sich einige Offiziere darunter, die vom Urlaub in ihre Garnisonen zurückkehrten, ein paar Damen, die früher im »Alkazar« von Marseille engagiert gewesen waren, mehrere Schauspieler, ein reicher Muselmann, der von seiner Pilgerfahrt nach Mekka heimkehrte und ein montenegrinischer Prinz, der ein großer Spaßvogel war.

Von diesen allen bekam auch nicht einer die Seekrankheit. Sie scherzten und tranken fast unaufhörlich Champagner, und zwar meistens mit dem Kapitän des »Zuaven«, einem sehr dicken und sehr gemütlichen Marseiller, der eine Wirtschaft in Marseille und eine zweite in Algier hatte; er hörte übrigens auf den hübschen Namen Barbassou.

Tartarin wünschte alle Passagiere in den tiefsten Abgrund der Hölle, denn ihre Lustigkeit verdoppelte seine Leiden.

Endlich, es war am Nachmittag des dritten Tages, wurde es an Bord des Schiffes außergewöhnlich lebendig, so daß sogar der arme Kranke in seiner Kabine aus seiner Lethargie aufgerüttelt wurde. Die Glocke auf dem Vorderdeck ertönte; jetzt hörte er die Matrosen in ihren schweren Schuhen schnell über das Verdeck laufen.

»Maschine – vorwärts! . . . . . . Maschine rückwärts!« erschallte die heisere Stimme des Kapitäns Barbassou. »Maschine – halt!«

Nun gab's einen Ruck, einen kräftigem Stoß, und dann war alles ruhig. Das Dampfschiff legte sich so lautlos von der rechten auf die linke Seite, wie ein Ballon in freier Luft. Die befremdende Stille, die dem Lärm vorher plötzlich folgte, machte den Tarasconesen stutzig.

»Herr, erbarme dich unser! Wir scheitern!« schrie er mit gellender Stimme. Wie durch Zaubermacht hatte er seine alte Kraft wieder erhalten; er sprang aus dem Bette, griff nach seinen Waffen und stürzte auf das Verdeck.


 << zurück weiter >>