Alphonse Daudet
Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon
Alphonse Daudet

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Vor der Abreise

Während dergestalt Herr Tartarin auf die heldenmütigste Weise seinen Körper stählte, hielt ganz Tarascon die Blicke auf ihn gerichtet; man beschäftigte sich absolut mit nichts anderem mehr. Von der ehemals so beliebten Mützenjagd war keine Rede mehr, und auch die Romanzen verstummten. In der Bezuquetschen Apotheke trauerte das Klavier unter seinem grünen Überzuge, und frisch gestrichene spanische Fliegen und Heftpflaster waren darauf zum Trocknen ausgebreitet.

Die Tartarinsche Expedition nahm einzig und allein das Interesse der ganzen Bevölkerung in Anspruch.

Man glaubt kaum, welche außerordentlichen Erfolge der große Tarasconese in den Salons seiner Vaterstadt jetzt zu feiern hatte. Man riß sich um ihn, man machte ihn sich einander streitig, man kämpfte förmlich um ihn. Für die Damen gab es keine größere Ehre und keinen höheren Genuß, als wenn sie am Arme Tartarins die Menagerie Mitaines besuchen konnten und vor dem Löwenkäfige den Belehrungen lauschen durften über die Art, wie man diese Bestie jagt, wie man auf sie zielt, wann man losdrücken muß, auf wie viele Schritte man sich ihr nähern darf, was man tun muß, wenn Zwischenfälle eintreten u.s.w.

Tartarin erklärte alles, so oft und so lange man es nur hören wollte. Er hatte Jules Gerards Schriften gelesen und wußte mit der Löwenjagd Bescheid, als hätte er sich Zeit seines Lebens mit nichts anderem beschäftigt. Er sprach mit einer Beredsamkeit, die alle Zuhörer mit sich hinriß. Am schönsten war es aber doch, wenn der Präsident Ladeveze oder der tapfere Kommandant Bravida, der früher im Montierungsdepot Dienste getan hatte, ein Diner gaben, und wenn dann, sobald der Kaffee gereicht worden war, alle im Kreise zusammenrückten und man ihn von seinen zukünftigen Jagden berichten ließ . . .

Dann stützte der vielumworbene Mann den Ellenbogen auf die Tischplatte, steckte von Zeit zu Zeit die Nase in die Kaffeetasse und erzählte mit vor Bewegung zitternder Stimme von den Gefahren, die ihn erwarteten, da unten in Afrika. Er sprach von den langen, mondscheinlosen Nächten, in denen er auf dem Anstande sein würde, von den Morästen, die pestilenzialische Dünste ausströmten, von den Flüssen, die bedeckt seien mit den Blättern der Giftpflanzen, von starken Schneefällen, vom Sonnenbrand, von Skorpionen, von Regengüssen. Er erzählte auch von den großen Löwen des Atlas und ihren Lebensgewohnheiten, von ihrer Art auf den Jäger loszugehen, von ihrer phänomenalen Stärke und von ihrer Wildheit, besonders zur Brunstzeit.

Er regte sich durch seine eigene Erzählung auf, erhob sich von der Tafel, stellte sich mitten im Speisezimmer hin, ahmte das Gebrüll des Löwen nach, den Schuß einer Flinte – puff! puff! – das Pfeifen und Sausen des Geschosses – sst! sst! – dabei gestikulierte er aus Leibeskräften, geriet immer mehr in Hitze, warf schließlich ein paar Stühle um . . . Die ganze Tafelrunde war während der Schilderung bleich geworden. Die Herren blickten einander an und schüttelten die Köpfe, die Damen schlossen die Augen und stießen von Zeit zu Zeit einen leisen Schrei des Entsetzens aus, selbst die ältesten Leute aus der Gesellschaft griffen zu den Spazierstöcken und schwangen sie in einem Anfluge von Kampfesmut, und die kleinen Kinder, die man bei Zeiten zu Bett gebracht hatte und die im Nebenzimmer schliefen, wurden durch den Heidenlärm und die Schüsse aufgeschreckt, bekamen Angst und schrien nach Licht. So waren aller Erwartungen aufs höchste gespannt, aber Herr Tartarin reiste nicht ab.


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