Alphonse Daudet
Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon
Alphonse Daudet

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Katastrophen über Katastrophen

Als Tartarin vor seinem maurischen Häuschen anlangte, blieb er ganz erstaunt stehen. Der Tag neigte bereits seinem Ende zu, und die Straße war menschenleer. Durch die kleine spitzbogige Tür, die die Negerin offenbar zu schließen vergessen hatte, hörte man Lachen, Gläserklingen, das Knallen von Champagnerpfropfen und, diesen ganzen lustigen Lärm übertönend, auch eine fröhliche und frische Frauenstimme, die sang:

»Willst du, Marco la belle,
Tanzen in den Blumensälen . . .«

»Himmlischer Vater!« schrie der Tarasconese und erbleichte. Mit einem Satze befand er sich in dem Hofe.

Unglückseliger Tartarin! Welch ein Schauspiel harrte hier deiner! Unter den Arkaden, die sich rings um den kleinen Hof zogen, mitten zwischen Weinflaschen, Konfekt, Tabakspfeifen, Tambourins und Gitarren, verstreuten Kissen – stand Baja, ohne blaues Jäckchen und ohne Leibchen, nur in einem Gazehemdchen mit Silberstickerei und weiten, leichten, rosafarbigen Hosen. Sie hatte die Mütze eines Marineoffiziers keck auf das eine Ohr gedrückt und sang das Lied Marco la belle. Zu ihren Füßen auf einer Matte, trunken von Liebe und Champagner, kein anderer als Barbassou, dieser infame Kapitän Barbassou; er lauschte auf den Gesang und wand sich dabei vor Lachen.

Diese Turco-Marseiller Orgie wurde auf recht unliebsame Weise durch Tartarins Erscheinen unterbrochen. Er sah bleich, abgemagert und bestäubt aus, seine Augen blitzten und der Fez sträubte sich empor. Baja stieß einen leisen Schrei aus, wie ein erschrecktes Windspiel, und flüchtete sich ins Haus. Barbassou ließ sich jedoch nicht im mindesten stören; er lachte womöglich noch lauter und rief:

»Hahaha! Sie sind es, Herr Tartarin? Na, was sagen Sie jetzt! Hatte ich nicht recht damit, daß sie sehr gut Französisch versteht?«

Wie ein Rasender sprang Tartarin von Tarascon auf ihn zu.

»Kapitän!«

»Sagen Sie ihm, mein Lieber, daß ich mich auf diese Weise an ihm gerächt habe«, rief im echten Marseiller Dialekt die Maurin von der Galerie des ersten Stockwerks herab mit einer niedlichen spitzbübischen Geste. Der bedauernswerte, ganz zerschmetterte Mann ließ sich auf einen Diwan nieder. Seine Maurin sprach sogar in dem Dialekt von Marseille.

»Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, Sie sollten den algerischen Damen nicht trauen?« meinte äußerst richtig Kapitän Barbassou. »Das ist dieselbe Geschichte wie mit Ihrem montenegrinischen Prinzen.«

Tartarin erhob den Kopf.

»Sie wissen, wo der Prinz ist?«

»Oh, er ist nicht weit von hier. Er wohnt jetzt für fünf Jahre in dem schönen Gefängnis zu Mustapha. Der Dummkopf ließ sich auf frischer Tat ertappen, gerade als er seine Hand in einer fremden Tasche hatte. Man hat ihn jetzt übrigens nicht zum ersten Male kaltgestellt. Seine Hoheit saßen bereits drei Jahre lang im Gefängnis, und zwar in – in – warten Sie einmal, jawohl, in Ihrem Tarascon.«

»In Tarascon!« schrie Tartarin entsetzt. Jetzt ging ihm plötzlich ein Licht auf. »Also deshalb kannte er die Stadt nur von einer Seite . . .«

»Nun ja, ohne Zweifel! – Tarascon, vom Gefängnis aus gesehen. Ach, mein armer Herr Tartarin; man muß in diesem verdammten Lande die Augen hübsch offen haben, sonst ist man den unangenehmsten Dingen ausgesetzt . . . Auch Ihre Geschichte mit dem Muezzin . . .«

»Was ist das für eine Geschichte? Mit welchem Muezzin?«

»Ei, zum Henker! Dem Muezzin da drüben, der Ihrer Baja fortwährend den Hof gemacht hat. Der ›Akbar‹ hat die Geschichte ja am Tage nach Ihrer Abreise erzählt, und ganz Algier lacht heute noch darüber. Also dieser Teufelskerl von Muezzin hat, indem er anscheinend seine Gebete von oben, von seinem Turme herunterplärrte, in Wirklichkeit vor Ihrer Nase Ihrer Kleinen Liebeserklärungen gemacht und beim Anrufen Allahs Stelldicheine mit ihr verabredet.«

»Aber gibt es denn in diesem Lande nichts als Gauner?« brüllte voller Erbitterung der unglückliche Tarasconese. Barbassou machte ein philosophisches Gesicht.

»Mein lieber Freund, wissen Sie – das ist nun einmal nicht anders in den Ländern, die noch nicht lange zivilisiert sind. Das darf Sie aber weiter nicht grämen. Folgen Sie meinem Rate! Glauben Sie mir, Sie tun am besten, wenn Sie so schnell wie möglich nach Tarascon zurückkehren.«

»Zurückkehren? . . . Das ist leicht gesagt . . . Und das Geld? Sie scheinen gar nicht zu wissen, wie sie mich da unten in der Wüste gerupft haben?«

»Oh, wenn's weiter nichts ist«, meinte der Kapitän lachend. »Der ›Zuave‹ geht morgen wieder in See. Wenn es Ihnen recht ist, nehme ich Sie mit heim; einverstanden, Landsmann? Also abgemacht! Demnach hätten Sie hier nur noch eins zu tun. Es sind noch ein paar Flaschen Champagner und eine halbe Pastete übrig . . . setzen Sie sich also, ohne Groll! . . .«

Der Tarasconese hielt es, seiner Würde entsprechend, für nötig, einen Augenblick zu zögern; dann aber war er mit dem Vorschlage einverstanden. Er setzte sich nieder, man trank; Baja kam, als sie die Gläser klingen hörte, auch wieder zum Vorschein, sang das Lied von der schönen Marco zu Ende und so amüsierten sich die drei ganz vortrefflich bis spät in die Nacht hinein.

Um drei Uhr morgens hatte der gute Tartarin seinen Freund, den Kapitän, nach Hause begleitet, und als er nun wieder heimkehrte, kam er an der Moschee in seiner Nachbarschaft vorbei. Bei der Erinnerung an den Muezzin und dessen lustige Streiche mußte er laut auflachen, und ein köstlicher Gedanke, sich an dem Bösewicht zu rächen, durchzuckte sein Hirn. Die Türe des Gebäudes war offen; er trat ein, ging durch lange Gänge, die mit Matten belegt waren, stieg eine Treppe hinauf, und noch eine Treppe und gelangte schließlich in eine kleine türkische Betstube, die von einer an der Decke hängenden eisernen Laterne beleuchtet wurde; die im Zimmer befindlichen Gegenstände warfen bei dem schwankenden Lichte die seltsamsten Schatten gegen die weißen Wände.

Hier lag auf einem Diwan der gesuchte Muezzin, mit einem großen Turban und weißem Mantel. Er rauchte aus einer langen Pfeife, hatte eine Flasche mit Absinth vor sich und vertrieb sich die Zeit bis zu der Stunde, da er die Gläubigen zum Gebete rufen mußte, höchst andächtig mit dem allmählichen Leeren der Flasche.

Als er Tartarin so plötzlich vor sich sah, ließ er vor Schreck die Pfeife fallen.

»Kein Wort, Priester!« rief der Tarasconese, der auf der Ausführung seines Planes bestand. »Schnell, gib mir deinen Turban, deinen Mantel!«

Der türkische Geistliche gab, zitternd vor Angst, seinen Turban und seinen Mantel her, und hätte ihm überhaupt alles gegeben, was er sonst noch verlangt hätte. Tartarin bekleidete sich schnell damit und trat dann würdevoll auf die Zinne des Minarets hinaus.

Von weitem leuchtete das Meer herüber. Vom Mondschein übergossen lagen die weißen Dächer unter ihm. Ein leichter Wind trug einzelne, leise verhallende Gitarrentöne durch die Luft . . . .

Der tarasconische Muezzin dachte einen Augenblick nach, dann breitete er beide Arme aus und begann mit näselnder Stimme zu singen:

»Allah il Allah! Mahommed ist ein alter Hanswurst! Der Orient, der Koran, die Paschas, die Löwen, die Maurinnen – sie sind alle zusammen keinen Pfifferling wert! . . . . Es gibt gar keine Türken mehr, es gibt nur noch Schwindler! . . . . Es lebe Tarascon!«

Und indem der erhabene Tartarin diese drollige tarasconische Verwünschung in einer seltsamen Sprache, die halb aus Arabisch und halb aus Provençalisch bestand, nach allen vier Himmelsrichtungen, nach dem Meere, der Stadt, der Ebene und dem Gebirge zu hinausplärrte, antworteten ihm die hellen und lauten Stimmen der anderen Muezzins, der Morgenruf pflanzte sich fort von Minaret zu Minaret, und die Gläubigen in der oberen Stadt schlugen sich andächtig an die Brust.


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