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Sullivans Handel

»Ihr Vater soll ja den alten Esel verkauft haben,« sagte Mrs. Flynn auf dem Rückwege von ihrem gemeinschaftlichen Pumpbrunnen zu Judy Sullivan, während sie den Hügel hinanklommen.

»Ich weiß nich, ob man das verkaufen nennen kann, beste Mrs. Flynn,« versetzte Judy geringschätzig; »mir sieht es mehr nach verschleudern aus.«

»Na, wieso denn, Herzchen?«

»Sehn Sie, der Vater ging all lang damit um, Jerry abzuschaffen; er fing an, ein bißchen steif zu werden, und der Vater dachte, wenn er noch länger wartete, würd' er überhaupt zu alt.«

»Ach was! Er war alt genug, um wertvoll zu sein,« erwiderte Mrs. Flynn mit spöttischem Lachen. »Is er nich grad so alt wie Ihr Bruder Matt, der in Amerika is – und das trägt ihm fünfundzwanzig Jahre ein, obgleich er nich im Kirchenbuch steht. Ich besinn' mich noch gut auf die beiden: ein graues Fohlen und ein dickes Klötzchen von Kind, wie ich nach Thadys Eck kam, selber ein junger Spocht von Mädchen.«

Mrs. Flynn war gegenwärtig eine stämmige Matrone mit braunen Rollaugen und einem schwappenden Zinnkrug in jeder Hand, während ihre Gefährtin ein »Spocht von Mädchen« mit krausen roten Haaren und sommersprossigem Gesicht war, das sorglich einen schwarzen Kessel und eine braune Teekanne trug.

Die beiden waren auf ihre bescheidene Art berühmt, die Frau wegen ihrer flinken Zunge, und das Mädchen wegen ihrer leichten Füße. Sie wohnten beinahe Tür an Tür in einem Weiler, der zu klein war, um den Namen eines Dorfes zu verdienen, und unter der Bezeichnung »Thadys Eck« bekannt war, obgleich man dort nichts von einer Ecke sah; vielmehr lag die Ortschaft keck am Abhange eines kahlen Hügels, fünf viertel Meilen von Killarney.

»Und was für einen Handel hat Ihr Vater mit dem Tier gemacht?« forschte Mrs. Flynn weiter.

»Hat sich was mit Handel! – 's war 'n herumziehender Kesselflicker, der kam vor'ge Woche ran, wie unser alter Jerry abgerackert vom Torffahren war und nich wußte, wie er stehen sollte – und der Schuft hatte so was Bekrengelndes an sich und redete dem Vater ein, mit dem Esel wär's Matthäi am letzten, und bot sich an, er wollt' ihn mitnehmen und begraben, daß der Vater ihn nich in den letzten Zügen zu sehen brauchte. Aber ganz so sanft war mein Vater denn doch nich, und nach verwünschtem Gered und Geschacher gab der Kesselflicker zwei Schilling bares Geld, eine Röstgabel und einen furchtbar großen Kessel, den größten, wo mir je vorgekommen is.«

»Na, 'n hoher Preis war das weiß Gott nich, und ihr seid nu ohne den Esel.«

»Ja wahrhaftig, das sind wir, und er fehlt uns alle Augenblick. Der Vater hat das Geld vertrunken, und die Mutter is fuchswild, weil sie entdeckt hat, daß ihr schöner großer Kessel bloß ein ausgeflickter alter is und ein Loch hat, so groß wie 'ne Saubohne. Er is faktisch zu nichts, zu rein gar nichts. Wir haben ihn in das Loch im Gartenzaun gesteckt, um das Schwein abzuhalten, und das tut er, so gut wie irgend was andres, und der Schurke von Kesselflicker hat 'n paar von unsern besten Hühnern mitgehen heißen, damit der Esel Gesellschaft hat.«

»Der Halunke!« rief Mrs. Flynn, ihre Kannen niedersetzend und die Arme auf ihre umfangreichen Hüften stemmend. »Diese Kesselflicker sind Erzdiebe; sie stehlen einem das Hemd vom Leibe, und was sie löten, zergeht einem in der Hand. Es tut mir schrecklich leid für euch. Würdet ihr den Kerl wiedererkennen?«

»Der Vater sagt, er wollt' auf ihn schwören. Er hatte ein Pflaster über dem einen Auge und eine schwarzweiße Weste.«

»Na, ich war dem alten Jerry gut. 's war keine Hochzeit oder Begräbnis oder Kirchweih in der Gegend, wo er nich dabei war. Gott, wie manches Mal hat er mich aufsitzen lassen. Er ging so sanft wie nur einer, und wenn er wollte, zog er wie der jüngste.«

»Vielleicht schlägt der nächste ebensogut ein, liebe Mrs. Flynn,« bemerkte Judy, verbindlich lächelnd.

»Der nächste? Ach du meine Güte! Mit dem, was der zerbrochene Kessel einbringt, werd't ihr nich weit kommen, wenn ihr ein gutes Tier kaufen wollt.«

»Der Vater hat doch vorgestern vier Pfund von Matt geschickt gekriegt. – Ich glaub', Matt würde sich ärgern, wenn er das vom alten Jerry wüßte, weil sie zusammen aufgewachsen sind und sozusagen Kameraden waren. Erst dachten wir daran, eine Sau zu kaufen, aber sehn Sie, wir haben doch nu mal den Wagen und das Geschirr, und deshalb will der Vater nach Kilorglen zum Markt und einen schönen jungen Esel oder möglicherweise ein Pferdchen kaufen.«

»Wirklich?« entgegnete Mrs. Flynn, ihr Doppelkinn einziehend, und sah das Mädchen ernsthaft an. »Aber ich kann mir trotzdem nich denken, wie ihr ohne den alten Jerry auskommen wollt. Er war groß im Heu- und Torfeinfahren, und wie trottete er zum Markt oder zur Kirche! Er kannte den Weg in- und auswendig, und wer wird nun Ihren Vater an den Markttagen sicher zurückbringen? Sie brauchten ihn wahrhaftig bloß auf den Wagen zu legen, und Jerry fuhr ihn nach Hause wie ein Christenmensch, oder vielleicht noch besser, denn er war ein Wassertrinker. – Welcher junge wird das tun? Er war riesig erfahren, sehn Sie,« fuhr sie, sich an ihrem Gegenstande erwärmend, fort, »und machte gar keine Kosten, sondern erhielt sich selbst. Nicht jeder Esel würde Torf und Stechginster und Reisig fressen, und hab' ich ihn nicht mal 'ne Zeitung zum Frühstück muffeln sehn! Ich glaub', ein junger wird nich halb so bescheiden sein. Aber sei's wie's sei, ich kann nich den ganzen Tag hier stehn und über einen Esel reden, obgleich er der einzigste in Thadys Eck war!«

Damit nahm Mrs. Flynn ihre blanken Krüge auf und setzte mit dem Ausdruck eiserner Entschlossenheit ihren Weg fort, bis sie einer andern brunnenwärts wandelnden Matrone begegnete und sich bewogen sah, abermals haltzumachen, während Judy, den Zorn ihrer Mutter vor Augen, mit höflichem guten Abend weiter eilte.

»Haben Sie gehört, daß Sullivan den alten Jerry für einen zerbrochenen Kessel verschachert hat?« fragte Mrs. Flynn ihre Bekannte.

»Und ob!« versetzte Mrs. Mouan mit überlegenem Lächeln.

»Und daß Matt in einem Brief vier Pfund aus Amerika geschickt hat?«

»Will's meinen; ich hab' die Postanweisung mit eignen Augen gesehn.«

»Sie reden davon, sie wollen sich ein Pferd, mehr nich, auf'm Markt in Kilorglen kaufen,« fuhr Mrs. Flynn etwas verächtlich fort.

»Wie vornehm sie tun! Judy und die Mutter werden sich nich zu lassen wissen.«

»Pah! Als ob wir nicht wüßten, daß Micky das halbe Pferd vorher vertrinken wird.«

»Bei Gott, das wird er,« stimmte die andre feierlich bei.

Die Aussicht auf diese erstaunliche Leistung hob ihre Stimmung, verscheuchte die Wolken des Neides und brachte die beiden fetten Klatschbasen zu lautem Gelächter.

*

Aber Mrs. Flynn irrte sich diesmal. Mrs. Sullivan hatte das Geld an einem sicheren Orte verwahrt – nämlich in einer alten Teekanne im Dachstroh – und die vier Pfundstücke waren unversehrt, als der Tag der Erfüllung anbrach. Die Dämmerung fand Mr. und Mrs. Sullivan auf dem Wege zum Pferdemarkt. Schlag Zwei fuhren sie in gehobenster Stimmung davon. Mrs. Sullivan in vorsintflutlichem blauem Radmantel, dickem grünem Warprock und kanariengelbem Kopftuch, Micky stattlich in seinem Sonntagsanzug. Sie hatten sich einen Pony von einem Nachbar geliehen und vor ihren Wagen gespannt. Der Pony war zum Verkauf bestimmt, und ihre neue Erwerbung sollte sie heimbringen.

Der Weg war weit, der Pony war alt, und der Markt war schon in vollem Gange, als das begierige Paar anlangte. Micky führte sich unverweilt ein Glas Whisky mit Porter zu Gemüte und zog alsdann, gehoben durch das Getränk und durch das herrliche Gefühl, ein Kapitalist zu sein, froh wie ein König auf den Pferdemarkt.

Dort traf er verschiedene Bekannte und schlenderte mit diesen umher, würdevoll seine Meinung über die Tiere abgebend. Er kritisierte Formen und Zucht, Haltung und Gangart, als wäre er nicht ein armer Taglöhner mit dem Preise für einen Esel in der Tasche, sondern ein reicher Dubliner Händler, der Jagdpferde zur Ausstellung aufkaufte. Er tat groß und schwadronierte, die Hände unter den Rockschößen und einen Strohhalm im Munde.

Lässig taxierte er ein verbrauchtes Vollblut und riß einem entrüsteten Polopony die Kinnbacken auf, um ihm ins Maul zu stieren. Dann besichtigte er mißtrauisch einen sich bäumenden Dreijährigen und äußerte sich abfällig über dessen Rippen und Vorfahren.

»Teufel auch! Sie wissen, was ein gutes Pferd ist!« rief einer von Mickys Gefährten.

»Wahrhaft'gen Gott, ich geb' mehr auf Micky Sullivans Meinung von 'nem Fohlen, wie auf Tim Mahern seine,« verkündete ein andrer.

»Pah, Tim Maher!« meinte ein dritter verächtlich. »Der kann keine Gans von 'nem Schwan unterscheiden.«

»Aber fest is er, das muß wahr sein. Ich weiß, daß er ein Fohlen vierthalb Meilen wieder nach Hause getrieben hat, weil er und 'n Traleeer Händler sich über zwei Schilling nich ein'gen konnten.«

So bummelten Micky und sein Gefolge auf dem Markt herum, und noch immer fand kein Tier Gnade vor ihren Augen.

Es war ein schwüler Tag, und als die »Drei Nelken« in Sicht kamen, forderte Micky seine Gefährten auf, hineinzukommen und eins zu trinken, welcher Vorschlag selbstverständlich freudig angenommen wurde.

Mrs. Sullivan belustigte sich inzwischen gleichfalls aufs beste unter den Frauen ihrer Bekanntschaft. Diese kurzen Stunden waren für sie die Quintessenz einer ganzen Londoner Saison. Sie erörterte das Heiratsthema, den sündhaften Aufschlag der Butter und den schrecklichen Fall der Schweinepreise; sie nahm hier eine Tasse Tee, dort ein Glas Sherry an (von dem sie anstandshalber einen Teil im Glase ließ), sie machte verschiedene behutsame Einkäufe und begab sich dann um Fünf auf die Suche nach Micky.

Bald erblickte sie ihn in seiner Glorie als Mittelpunkt eines belustigten Haufens, wie er mit einem bärtigen Fremden um ein ziemlich ruppiges Tier, ein ausrangiertes Kenmarer Leichenpferd feilschte.

»Vertrödelst du deine Zeit bei 'nem Pferd, Micky?« hob sie in ihren gellendsten Tönen an. »Was, denkst du, sollen wir mit so 'nem großen schwarzen Untier machen, das weder vor 'n Wagen, noch in 'n Stall paßt und uns von Haus und Hof fressen würde?«

»Oh, es is 'n schönes Tier,« versetzte Micky, »und außer 'n paar Überbeinen und 'ner Beugesehne is es noch sehr stark. Ich kann's zum Pflügen vermieten, und im Sommer kann es die Damen durch die Schlucht tragen, und es sieht doch nach was aus fürs Geld.«

»Ach, laß dein Prahlen und Unsinnschwatzen; wir sind doch hier, um einen Esel zu kaufen und kein so'n großes Kamel wie das. Der Markt leert sich, der alte Tim is seinen Pony losgeworden: also sieh zu, daß du ein Tier anschaffst, das uns nach Haus bringt. Mit Pferdekaufen und -vermieten will ich nichts zu tun haben, und wenn du die richtige Größe von 'n Tier hast, find'st du mich und den Wagen bei Mrs. Flood.« Damit schüttelte Mrs. Sullivan unwillig ihr gelbes Haupt, schwenkte den blauen Mantel und tauchte in die Menge zurück, einen sehr günstigen Eindruck bei den weiblichen Zuhörern hinterlassend, während ein alter Junggeselle rief: »Was brauchst du das alte Leichenpferd, Micky, oder überhaupt ein Pferd, wo du so 'ne staatsche graue Mähre zu Haus hast?«

Eine Stunde darauf langte Micky im Triumph bei Floods an, gefolgt von zwei Männern, die einen schmucken braunen Esel führten.

»Da bist du ja, Bridget!« schrie er. »Du siehst, mein Warten hat sich belohnt; ich bin hingegangen und hab' das munterste Eselchen von ganz Münster gekauft.«

»Zeit war's,« versetzte seine bessere Hälfte. »Alles geht nach Hause. – Wie teuer?«

»Drei Pfund fünf Schilling. Ich hab' von fünf Pfund heruntergeboten, und erst forderten sie fünf Pfund zehn Schilling.«

»O, Fordern und Kriegen sind zweierlei. Wie alt is er denn?«

»Vier gewesen, Madamchen,« antwortete sein bisheriger Eigentümer, ein anständig aussehender Mann in Fries. »Und er is ans Haus gewöhnt; ich weiß, Sie werden mit ihm zufrieden sein. Sie brauchen bloß ein Wort zu sagen und heidi! geht er los. Ich wett', in einer Woche is er Ihnen wie 'n alter Freund.«

In zehn Minuten war Neddy in der Gabel, und Micky, der einen kräftigen Steigbügeltrunk getan hatte, überließ die Leine seiner Ehehälfte, die eine ausgezeichnete Esellenkerin war. Es gab weit und breit keine Hand, die das Maul schärfer zurückriß, keinen sichereren Blick für die empfindlichen Stellen in eines Tieres Weichen.

Aber das neue Besitztum bedurfte weder des Stachelns, noch andrer Überredungsmittel, sondern trabte hurtig davon, einen Kreis von Bewunderern vor der Tür der »Drei Nelken« zurücklassend. Er zog gut und brachte seine Eigentümer gegen Mitternacht wohlbehalten vor die Tür ihres schiefen Häuschens.

Judy hörte den Wagen und eilte hinaus, um ihre Eltern und deren Einkauf zu begrüßen, welch letztern sie beim Scheine ihres Talglichts höchlich bewunderte. Schließlich spannte sie ihn aus und ließ ihn laufen, damit er sich, nach Jerrys Art, selbst sein Abendessen suche.

Am nächsten Morgen gegen Neun trat die Nachbarschaft in Scharen zusammen, um den neuen Esel zu besichtigen. Siebzehn Preisrichter jeden Alters und Geschlechts erklärten ihn einstimmig für ein »hübsches, nettes Tierchen von schöner Farbe und beschlagen wie ein Rennpferd«.

»Keine solchen klobigen Hufe wie Jerry, dazu schön gestutzte Vorderhaare und ein Paar helle Augen im Kopf.« Der neue Ankömmling durfte den Tag über ausruhen und sich ansehen lassen, während Bridget und Micky, in denen die wonnige Erregung des Marktes noch nachzitterte, Neuigkeiten zum besten gaben, von auswärtigen Bekannten berichteten und erzählten, was »ich sagte« und »er sagte« und »sie sagten« und wie Micky drauf und dran gewesen sei, ein Wagenpferd zu kaufen, wie aber Bridget ihm dieses Gelüst vor aller Ohren ausgetrieben habe. Sie sei für einen Esel gewesen, einen Esel wollte sie haben, und schließlich habe sie ihren Willen durchgesetzt und den prächtigsten kleinen Esel vom ganzen Markt mit nach Hause gebracht, wie sie alle mit eigenen Augen sehen könnten.

Früh am nächsten Morgen spannte Micky Sullivan sein neues Besitztum an und fuhr ins Moor, um Torf zu stechen. Der trübe Morgen entwickelte sich zu einem dichten Nebel und dieser zu einem heftigen Platzregen. Als echte Kerryer kehrten Micky und Thady Flynn sich anfangs nicht an das feuchte Element. Endlich sahen sie sich aber doch gezwungen, an der Leeseite eines Torfhaufens Schutz zu suchen, wo sie sich mit Säcken über den Schultern und Pfeifen im Munde so behaglich als möglich einrichteten. Sie sprachen über den Markt, den Fischfang, das Aufgehen der Kartoffeln, das neueste Bodengesetz und die Aussichten für das Cork-Park-Rennen.

»Bei Rennen fällt mir ein, Micky, dein junger Zweijähriger wird sich doch hoffentlich nich von allein auf den Weg machen?«

»I wo! Erstens hab' ich ihm mit einem End' Strang angetiedert, und zweitens is er so verständig wie 'n Alter.«

»Na, 'nen klügern, wie der alte Jerry war, gibt's nich so bald wieder; er war 'n Staatsesel zu seiner Zeit.«

»Das schon; aber er fing an, steif auf den Beinen und schäbig im Fell zu werden und war meiner Frau ein Dorn im Auge. Drum mußt' ich ihn abschaffen, obgleich mir's riesig leid tat; denn ich bin dem Tier immer gut gewesen. Aber nu wär's wohl Zeit, daß wir uns aufmachten. Das neue Kerlchen wird unruhig werden, wenn es so lang in dem strömenden Regen stehn muß.« – Micky erhob sich schwerfällig, zog den Sack über den Kopf und humpelte zu der Stelle, wo er sein Fuhrwerk hatte stehen lassen.

Ja, da war der Wagen – aber wo war das neue Kerlchen? – das muntere braune Eselchen?

Micky stierte entgeistert hin, kniff sich in den Arm und schrie dann mit heiserer, zitternder Stimme, zu seinem Gefährten gewandt: »Was is das für 'ne Teufelei? – Wer hat mir meinen schönen neuen Esel verhext? Wofür hältst du das Tier da drüben, Thady Flynn?«

»Bei Gott, wenn ich nich wüßt', daß ich nüchtern bin und meine fünf Sinne beisammen hab', würd' ich sagen, 's wär' der alte Jerry. – Und ich will verdammt sein, wenn er nich seinen Namen kennt,« setzte er scheu hinzu.

»Irgend ein Schuft is dagewesen und hat mich bestohlen,« schrie Micky außer sich. »Hat den jungen fortgetrieben und mir diesen alten Knickebein dagelassen. Entweder 's is das oder Hexerei. Ich denk' ...«

»Und ich denk', daß das wieder einer von dem Kesselflicker seinen Streichen is. Sie sind die schlausten Roßtäuscher, die es auf der Welt gibt. Sieh bloß an, wie fein er dem Alten die Hufe beschnitten und beschlagen hat, und die Zähne hat er ihm ausgefeilt und ihn aufgefüttert, und – und –« er brüllte vor Lachen – »und angestrichen. Aber die Farbe is nich waschecht gewesen, weißt du. Sieh, wie sie von ihm abgelaufen is, als wenn's Zweiditchenkattun wär'!« Dabei hielt er die Hand in die Höhe. Sie war mit dunkelbrauner Farbe bedeckt.

»Himmlischer Vater! Hat man je von so 'nem Schurkenstreich gehört!« kreischte Micky, das dicke nasse Fell des Esels mit dem gleichen Ergebnis reibend.

»Bei Gott, so was Schlaues wie diese Kesselflicker lebt nich mehr!« rief Thady unter einer neuen Lachsalve. »Sie haben noch 'ne Masse außer dir angeführt. In Thadys Eck war auch nich einer, der ihn nich für 'n neues Tier hielt, und dabei kannten sie Jerry seit zwanzig Jahren. Alle Wetter! so 'n Spaß is mir lang nich vorgekommen!«

»Du hast gut lachen und dir die Seiten halten, aber ich werd' gewiß zum Gespött in der ganzen Gegend; und was wird meine Frau sagen?«

»Du hast also nich im Sinn, ihn wieder anzustreichen?« fragte Thady im Einsteigen mit erstickter Stimme und wischte sich die Augen am Rockärmel.

»Ach, red' mir nich von Anstreichen!« versetzte der andre wütend, während er mit einem grimmigen Hieb auf den armen Jerry davonrasselte.

Anfangs blieb er taub gegen alle Trostgründe seines Gefährten; das einzige, was ihm eine Spur von Erleichterung gewähren konnte, war des Kesselflickers Blut.

»Nimm's nich so schwer, Micky, alter Freund,« mahnte sein Ratgeber, als sie den letzten Hügel in Angriff nahmen. »Du hattest gestern einen guten Esel, du hast dasselbe Tier noch heute. Glaub' mir, du hast ihn vordem lang nich genug geschätzt. Wenn er gut beschlagen wird und hier und da 'n Armvoll Heu kriegt, wirst du ihn nich wiederkennen, und wenn sie dich auslachen, so folg' meinem Rat und lach' mit; dann werden sie bald aufhören.«

Als Frau Sullivans erstes Verwunderungs- und Schreckensgeschrei vorüber war, nahm sie die Kunde mit erstaunlicher Seelenstärke auf.

»Bei Gott, mir ahnte, daß etwas nich in Ordnung wär', wie er so klug um die Kirchenecke bog,« sagte sie tragisch, »aber ich dachte schlimmstenfalls, er wär' verzaubert.«

»Und mich wunderte es, daß er schnurstracks auf den Schweinetrog losging, sowie er ausgespannt war,« fügte Judy hinzu. »Aber ich dacht' nich im Traum, daß es Jerry selbst sein könnte. O diese Kesselflicker würden sogar den Teufel betrügen.«

Ehe der Abend kam, war die Geschichte von Jerrys Rückkehr in jedes Haus eine halbe Meile in der Runde gedrungen, doch Micky Sullivan befolgte Thady Flynns Rat und nahm die grinsenden Beileidsbezeigungen seiner Bekannten mit weltmännischer Gelassenheit entgegen, machte gute Miene zum bösen Spiel, lachte, bis ihm, wie er sich später ausdrückte, »Hören und Sehen verging«, und betonte immer wieder, daß er nicht ärger angeführt sei als das ganze Eck und der halbe Markt.

Die Flynns und Connors, die ihn heimlich um den schönen braunen Esel beneidet hatten, waren jetzt erleichtert und vergnügt.

»Bei Gott, ich hab's immer gesagt, daß der alte Jerry von edler Zucht wär', und 'n Prachtkerl, und riesig tüchtig,« verkündete Frau Flynn in ihren lautesten Tönen.

»Das haben Sie,« stimmte Micky bei. »Sie sahn dem Tier an, was es wert war, während ich das Gute, was ich hatte, nicht zu schätzen wußte, bis es mir sozusagen wieder aufgedrängt wurde. – Und Matt wird nicht wenig stolz sein, wenn er hört, daß wir seinen alten Spielkameraden noch haben.«

»Aber was wird Matt sagen, Micky, wenn er später erfährt, wie Sie die vier schönen Pfund ausgegeben haben, die er nach Haus geschickt hat? Was wird er sagen, wenn er hört, daß Sie hingegangen sind und Ihren eigenen alten Esel dafür gekauft haben?« fragte eine boshafte Frauenstimme.

Aber auf diese Frage blieb Micky, der schlagfertige, die Antwort schuldig.


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