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Die Eroberung des Nordpols.

Neben dem Problem einer nördlichen Durchfahrt stand immer das viel schwierigere der Erreichung des Nordpols. Zwar hatte man anfangs auch hierin nur einen direkten Weg nach dem Stillen Ozean gesehen und sich über die Eisverhältnisse des hohen Nordens keine grossen Gedanken gemacht. Besonders zur Zeit der Franklin-Sucher war man fest davon überzeugt, dass sich jenseits der dichten nordamerikanischen Inselwelt ein freies Meer befinden müsste, dessen Zugang nur durch eine Packeiskette gesperrt sei, doch sollte dieser Eroberungskampf erst im neunzehnten Jahrhundert beginnen. Im Jahre 1853 war Dr. Elisha Kane von New York aus durch die Baffinsbai und den Smithsund nach Norden vorgestossen und auf Schlitten bis über den 82. Breitengrad gelangt, und er hatte durch die Beobachtung der dortigen reichen Tierwelt geschlossen, dass sich nördlich von Grönland eisfreies Meer befinden müsste. Auch der amerikanische Arzt Dr. Isaak Israel Hayes, der 1860 den Spuren Kanes folgte, war der gleichen Ansicht.

Ein dritter Amerikaner, der auf diesem Wege vorzudringen suchte, war dann Charles Francis Hall, dem die amerikanische Regierung im Jahre 1871 den ausgezeichnet ausgerüsteten Dampfer »Polaris« zur Verfügung stellte. Auf dem Schiff befanden sich auch zwei deutsche Wissenschaftler, der Arzt Dr. Emil Bessels und der Meteorologe Friedrich Meyer. Die »Polaris« verliess am 29. Juni New York und erreichte am 4. September mit über 82 Grad nördlicher Breite den höchsten Punkt, den je ein Schiff erreicht hatte. Dann aber musste sie vor den Eismassen umkehren und gelangte mit grosser Not an der Nordostküste Grönlands in der Polarisbai in Hallsland in ein Winterquartier. Auch in dieser Höhe wurden noch Spuren von Eskimos gefunden, und an Tieren, wie Eisbären, Moschusochsen, Füchsen und Lemmingen war kein Mangel. Die Amerikaner erforschten nun auf Schlittenexpeditionen den sogenannten Robinsonkanal und entdeckten, dass nördlich davon die Küste nach Osten und Westen zurückwich und dass hier das freie Meer begann.

Infolge der Strapazen erkrankte aber Hall bald und starb am 7. November 1871. Sein Nachfolger, Kapitän Buddington, versuchte im Sommer 1872 vergebens, noch weiter vorzudringen und entschloss sich deshalb zur Umkehr, besonders, da das Schiff schwer beschädigt war. Am 12. August begann die sehr schwierige Rückfahrt, auf der das Schiff durch das Packeis so sehr litt, dass man beschloss, es zu verlassen. Am 15. September begann man die Vorräte, Boote und Instrumente auf eine gewaltige Eisscholle in Sicherheit zu bringen, um auf dieser nach dem Süden zu treiben. Mitten bei dieser Arbeit brach das Eis, und ein Teil der Mannschaften, 19 Personen, unter ihnen 9 Eskimos, die gerade auf der Scholle waren, wurden von dem Schiffe getrennt, das spurlos im Eisnebel verschwand. Für beide Teile, die jede Hoffnung auf Rettung aufgaben, begann nun ein furchtbares Drama.

In der schlimmsten Lage befanden sich die Männer auf der Eisscholle, die nur wenig Nahrungsmittel und zwei Säcke Kohlen hatten, und unter den furchtbaren Entbehrungen immer mehr dahinsiechten. Ende November erlegte einer der Eskimos ein paar Robben, deren Fleisch sie über das Schlimmste hinwegbrachte. So verging der Winter, und am 1. April 1872 begann ein furchbarer Sturm, der die Eisscholle fast ganz zertrümmerte, so dass sich die Schiffbrüchigen in das eigentlich nur für sechs Personen bestimmte Boot begeben mussten. Es war aber so überladen, dass nicht nur Bettzeug, sondern auch Mundvorrat über Bord geworfen werden musste. Dabei stieg das Wasser im Boot, und es wurde die höchste Zeit, dass man eine neue Scholle fand, auf die man sich rettete. Nunmehr begann eine furchtbare Schollenfahrt. Mitte April waren alle Vorräte verzehrt, und Fell und Leder wurden zu Delikatessen. Die Scholle aber trieb an der Küste von Labrador entlang, immer weiter nach Süden. Endlich Ende April begegneten sie einem Neufundländer Robbendampfer, der sie nach siebenmonatiger Eisfahrt aufnahm, so dass sie alle 19 lebend nach Washington zurückkamen.

Die »Polaris« wurde inzwischen von dem Sturm erfasst und nach zwei Tagen im Smithsund in der Nähe der Littletoninseln ans Land geworfen. Die Bemannung baute sich ein Haus und im nächsten Frühjahr aus den Trümmern der festgefrorenen »Polaris« zwei Boote. Am 17. Juni brach das Eis auf, und nach zwanzigtägiger Fahrt wurden sie glücklich von einem schottischen Walfischfänger aufgenommen, der sie mit nach Schottland nahm.

Auf der »Polaris« waren Deutsche als Wissenschaftler, Ingenieure und Matrosen tätig gewesen, nun aber begann die Zeit, da Deutschland selbständig Expeditionen aussandte, für die der deutsche Geograph Dr. August Petermann lange Zeit eindringlich geworben hatte. Trotz aller Hindernisse setzte er es durch, dass von 1868 an eine Reihe deutscher Expeditionen nach Norden ging, die aber nach seinem Plan nicht westlich, sondern östlich von Grönland vorstiessen und dadurch wissenschaftlich sehr wertvoll wurden.

Die erste deutsche Expedition wurde von Karl Koldewey geführt, der 1868 mit dem kleinen Dampfer »Germania«, der nur mit dreizehn Leuten bemannt war, nach Spitzbergen fuhr und dort die Hinlogenstrasse erforschte. Nach Norden drang er dann bis über den 80. Breitengrad vor, konnte aber nicht Nordgrönland erreichen und kehrte wegen der ungünstigen Eisverhältnisse noch im selben Jahre wieder um.

Aufregender verlief schon die zweite Expedition, die am 15. Juni 1869 von Bremerhaven aus abging. Sie bestand wieder aus dem Dampfer »Germania« mit Kapitän Koldewey und dem Segler »Hansa« mit dem Kapitän Fr. Hegemann. Schon Mitte Juli gelangte man auf dem 74. Breitengrad in eine schwere Eisströmung, an deren Rande infolge des dichten Nebels die beiden Schiffe voneinander getrennt wurden. Schlimm erging es nun der »Hansa«, die nach Westen getrieben wurde. An der Küste von Ostgrönland wurde sie dermassen von den Schollen zusammengepresst, dass den Mannschaften Ende September nichts mehr übrigblieb, als alle Vorräte schleunigst auf eine Eisscholle zu retten. Aus Kohlenziegeln wurde ein Haus gebaut und mit Brennmaterialien und Lebensmitteln gut ausgestattet. Ende Oktober entstand plötzlich ein Sturm; das Schiff wurde von dem Eise zerdrückt und versank, so dass die Leute der »Hansa« nunmehr auf ihre Eisscholle angewiesen waren, die ihre Rettung, aber auch ihr Sarg werden konnte.

Das Eisfeld trieb allmählich nach Süden, immer an der Ostküste von Grönland entlang, die man wohl sah, aber niemals erreichen konnte. An Nahrungsmitteln war kein Mangel, gelegentlich schoss man sogar einige Eisbären, und so vergingen Weihnachten und Neujahr, bis am 2. Januar 1870 nach einem furchtbaren Schneesturm fast die Hälfte der Scholle abbrach und schon wenige Tage später der Rest gerade unter dem Hause entzweibrach. Drei Tage blieben die Schiffbrüchigen ohne Obdach auf der jetzt sehr klein gewordenen Scholle, dann konnten sie aus den mühsam geretteten Ueberresten ihres Hauses sich ein neues, bedeutend kleineres bauen, in dem aber von irgendwelchem Komfort keine Rede mehr war. Die Scholle nahm jetzt immer mehr ab, und es war ein Glück, dass das Wetter nunmehr sehr schön blieb, denn einem wirklichen Sturm hätte sie nicht mehr widerstanden.

siehe Bildunterschrift

Der Untergang der »Hansa«, der zweiten deutschen Nordpolexpedition, unter Koldewey und Hegemann. Holzschnitt von 1871. Nach der Schilderung des Augenzeugen Gustav C. Laube, des Geologen der Expedition.

Anfang Mai musste das Wagnis unternommen werden, sich in die drei geretteten Boote zu begeben. Jetzt trat bald ein empfindlicher Nahrungsmangel ein, noch einmal wurden sie im Eis eingeschlossen und mussten ihre schweren Boote mühsam darunter wegziehen, um in freies Wasser zu gelangen. Endlich am 13. Juni landeten die vierzehn Schiffbrüchigen an der Südspitze Grönlands bei Kap Farvel in der Eskimoansiedlung Friedrichstal, wo sie zu ihrer Freude von zwei deutschen Herrnhuter Missionaren begrüsst wurden. Nach achtmonatiger Schollen- und Bootfahrt waren sie glücklich gerettet. Eine dänische Brigg nahm sie dann wieder mit nach Hause.

Besser hatte es der Dampfer »Germania« gehabt. Er arbeitete sich durch das Eis nach Norden durch, erreichte an der Ostküste Grönlands, in der Nähe der Shannon-Insel, seinen nördlichsten Punkt und überwinterte auf der Sabine-Insel. Bis zum Frühjahr wurden ausgedehnte Schlittenpartien gemacht, doch mussten die Schlitten, da es keine Hunde gab, von den Menschen selbst gezogen werden. Jedenfalls haben Koldewey und sein Gefährte Leutnant Payer den grossen Küstenstreifen, den sie dann König-Wilhelm-Land nannten, genau durchforscht und auf der Karte festgelegt. Sie entdeckten dabei auch den weit in das Land hineingehenden Kaiser-Franz-Josef-Fjord und fanden auf der Kuhn-Insel sehr wichtige und wertvolle Kohlenlager. Im Herbst 1870 gelangte das Schiff wieder nach Bremerhaven.

Es folgte nun 1872 die österreichische Nordpolexpedition auf dem Dampfer »Tegetthoff«, die von Julius Payer und Karl Weyprecht geführt wurde und am 13. Juni von Bremerhaven aus in See ging. Der Reiseplan war, zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja nach Norden vorzustossen. Aber schon bald traf ein schweres Missgeschick den Dampfer, der Ende August unter dem 75. nördlichen Breitengrad von Eis umschlossen wurde und darin festfror. Alle Versuche, das Schiff durch Sprengungen und Eissägen zu befreien, misslangen. Im Gegenteil, es wurde bald durch die Schollen in die Höhe gehoben und musste nun 425 Tage als Gefangener des Eisfeldes, ein Spiel des Windes und der Meereströmungen, dahintreiben. Dieses Eisfeld trieb immerzu nach Nordosten, so dass es aussah, als würde man nach Sibirien geraten. Vom August ab ging aber die Richtung direkt nach Norden, und am 30. August 1873 entdeckte man unter stürmischen Jubelrufen Land, das dann Kaiser-Franz-Josef-Land genannt wurde. Die Eisscholle trieb nun immerzu an der Küste dieses Landes vorbei, ohne dass man eine Landung hätte wagen können. Ende Oktober lag man endlich dicht am Lande, aber nun begann die Polarnacht, die hier 125 Tage dauerte.

siehe Bildunterschrift

Die Reise des Dampfers »Tegetthoff«.

Erst im Monat März begann Payer eine zweimonatige Schlittenreise und durchforschte das neuentdeckte Land nach allen Richtungen, wobei aber die grosse Gefahr vorlag, dass inzwischen die Eisscholle mit dem Schiff davontreiben konnte. Payer stiess bei dieser Schlittenfahrt bis über den 82. Breitengrad nach Norden vor.

Nach der Rückkehr beschloss er, das Schiff, dessen Lage inzwischen rettungslos geworden war, zu verlassen und sich auf vier Booten und vier Schlitten einen Weg nach dem Süden zu suchen. Am 20. Mai 1874 verliessen die Oesterreicher das Schiff und arbeiteten sich 96 Tage lang, bald auf Schlitten und Booten, bald auf Schollen fahrend, nach Süden. Am 14. August gelangten sie in das freie Meer und vier Tage später an die einsame Küste von Nowaja Semlja, wo sie gerade zur rechten Zeit ankamen, da sie hier schon ihre letzten Rationen verteilen mussten und den Hungertod vor Augen sahen. Mit donnerndem Hurra fuhren sie an dem Kap Britwin vorüber, und zu ihrem grossen Glück stiessen sie hier auf zwei verspätete russische Fischerschiffe, von denen sie gegen Entgelt nach dem norwegischen Hafen von Vardö gebracht wurden. In Deutschland hatte man die Expedition schon für verloren gehalten, der Jubel bei ihrer Rückkehr war unbeschreiblich. Jedenfalls war die Entdeckung des Franz-Josef-Landes ein grosser Erfolg und ist auch für die späteren Nordpolfahrten sehr wichtig geworden.

Die nun folgenden Jahre brachten keine bedeutenden Entdeckungen mehr, und erst dem kühnen Norweger Frithjof Nansen, wohl dem grössten aller Nordpolhelden, blieb es vorbehalten, das Problem seiner Lösung näherzubringen.

Nansen wurde am 10. Oktober 1861 auf einem Gut in der Nähe von Christiania als Sohn eines Rechtsanwalts geboren. 1880 begann er Zoologie zu studieren, machte aber schon 1882 eine Fahrt auf einem Seehundsfänger nach dem Eismeer. Früh kam er auf die Idee, Grönland zu erforschen und es auf Schneeschuhen zu durchmessen, und mit ungeheurer Willenskraft brachte er die kühne Fahrt auch zu Wege. Am 8. Mai 1888 fuhr er zur Ostküste Grönlands hinüber, erreichte sie aber wegen der schwierigen Eisverhältnisse erst im September. Mit wenigen Begleitern und geringem Proviant, bei einer Temperatur, die sich andauernd auf über 30 Grad Kälte hielt, durchschritt er dann in nur zwölf Tagen Grönland von Osten nach Westen und bereicherte das Wissen über Grönland durch viele Einzelfahrten. Als er an der Westküste kein Schiff fand, blieb er den Winter über mit seinen Gefährten bei den Eskimos und kehrte im Mai des folgenden Jahres in die Heimat zurück.

Schon wenige Jahre später finden wir Nansen mit dem Plan einer direkten Nordpolreise beschäftigt, die er auf eine von allen früheren abweichende Art durchführen wollte. Ueberreste von dem Schiff »Jeanette« des Amerikaners de Long, das bei den Neusibirischen Inseln untergegangen war, hatte man an der Südküste von Grönland wiedergefunden. Sie mussten also durch eine Meeresströmung nördlich vom Franz-Josef-Land, vielleicht sogar über den Nordpol hinweg, hierher getrieben worden sein. Auch hatte man Holzwaffen von ostsibirischen Eskimostämmen in Grönland wieder gefunden, so dass es für Nansen feststand, es musste eine Meeresströmung von der Beringstrasse über den Pol nach der Grönländischen See geben.

siehe Bildunterschrift

Frithjof Nansen

Er beschloss, sich mit dieser Strömung über den Pol treiben zu lassen. Nötig dafür waren nur ein Schiff, das auch den stärksten Eisdruck aushielt, und Boote für den äussersten Notfall. Ein solches Schiff, das erst eigens für ihn erbaut wurde, war der »Fram«, der durch seine glatte runde Form und seine ungewöhnliche Stärke vom Eis wohl emporgehoben, aber nicht seitlich zerdrückt werden konnte. Der »Fram« war Segelschiff und Dampfer zugleich und hatte einen Kohlenvorrat für drei Jahre. Ausser Nansen befanden sich nur zwölf auserlesene und erprobte Männer darauf, unter ihnen als Kapitän Otto Sverdrup, der Nansen schon nach Grönland begleitet hatte, und als Leutnant Hjalmar Johansen.

Am 24. Juni 1893 verliess der »Fram« Christiania, um über Vardö am 29. Juli die Jugor-Strasse an der Nordspitze Russlands zu erreichen, wo er 34 sibirische Schlittenhunde an Bord nahm, die man schon vorher dort hatte bereitstellen lassen. Nansen fuhr nun unter ungünstigem Wetter, oft unter starkem Eisgang, an der sibirischen Küste vorbei. Am 20. August landete er an den Kjellmanns-Inseln, wo Bären und Renntiere geschossen wurden, und am 15. September traf er an der Mündung des Olenekflusses, westlich vom Lenadelta, ein, wo ein zweites Rudel von 26 ostsibirischen Schlittenhunden auf ihn wartete.

Nunmehr ging die Fahrt scharf nach Nordosten auf die Neusibirischen Inseln zu, deren westlichste am 18. September passiert wurde, und schon zwei Tage später gelangte Nansen an eine feste Eisfläche, wo er sich an einem Eisblock festlegte und in kurzer Zeit eingefroren war.

Anfangs trieb das Eis auch unaufhörlich nach Norden, dann aber kam Gegenwind und es ging wieder eine Weile zurück, bis ein neuer Wetterumschlag die Polrichtung wieder herbeiführte. Nansens Theorie von einer nach Norden gehenden Meeresströmung war also richtig gewesen, nur zeigte sich bald, dass die Strömung nicht genau über den Pol ging, sondern diesseits davon nach Westen. Ungefähr vom 84. Grad ab wendete sie sich nach Westen. Das ganze Jahr 1894 trieb das Schiff so langsam in dem dicken Eis weiter und wurde auch manchmal etwas nach Süden abgetrieben. Weihnachten 1894 befand man sich auf dem 84. Breitengrad, als der »Fram« seine stärkste Probe bestehen musste. Das Eis, in dem er stak, war 10 m dick, wie durch Bohrungen festgestellt wurde. Darüber aber wälzten sich von allen Seiten ungeheure Eismassen gegen das Schiff und bauten sich turmhoch auf, so dass alle befürchten mussten, das Schiff würde darunter zermalmt und begraben. Es wurden daher Vorräte aller Art hinausgeschafft und alle schliefen nur noch in Kleidern, um in jeder Minute das Schiff verlassen zu können. Aber der »Fram« war stärker, als irgendjemand gedacht hatte. Obgleich er unter dem Druck bedenklich krachte, wurde er unversehrt emporgehoben und konnte sich frei machen.

Nansen sah nun ein, dass die Drift das Schiff nicht weiter nach Norden führen würde, sondern dass es noch im Sommer 1895 in der Gegend von Spitzbergen ankommen musste. Er beschloss daher, den »Fram« dem Kapitän Sverdrup zu übergeben und mit Leutnant Johansen im Schlitten nach Norden zu fahren. Es war dies ein sehr gefährliches Unternehmen, denn eine Rückkehr nach dem Schiff gab es natürlich nicht mehr, und die beiden Teilnehmer wussten, wie sehr sie ihr Leben aufs Spiel setzten.

Nach einer verunglückten Abfahrt am 26. Februar, von der sie nach vier Tagen zurückkehrten, verliessen die beiden Männer am 14. März 1895 mit drei Schlitten, auf denen zwei geräumige Kajaks verstaut waren, und 28 Hunden endgültig das Schiff. Sie hatten für sich für drei Monate Proviant mitgenommen, für die Hunde für einen Monat. Anfangs ging die Fahrt rüstig vorwärts, und schon am 22. März waren 85 Grad nördlicher Breite überschritten. Aber dann wehte ein heftiger Nordwind, das Eis trieb nach Süden, und es war fast unmöglich, die Schlitten über die aufgetürmten Eisschollen vorwärts zu schleppen.

Anfang April, nach dem 86 Grad und 14 Minuten erreicht waren, beschlossen sie umzukehren, da ein weiteres Vordringen unmöglich erschien, und schlugen nun eine südliche Richtung nach Franz-Josef-Land ein. Seit drei Wochen stand die Temperatur 40 Grad unter Null, die Lebensmittel wurden knapp, und ein Hund nach dem anderen musste geschlachtet werden. Im Juni war das Eis so dünn, dass es immer wieder brach; auch waren nur noch wenige Hunde vorhanden. Aber unter furchtbaren Anstrengungen ging es unaufhaltsam nach Süden, wo nach ihrer Berechnung das von Payer entdeckte Petermann- Land liegen musste. Am 22. Juni kam Land in Sicht, und auf dem Eis schossen sie einige Bären, die ihnen frisches Fleisch gaben. Um mit ihren Kajaks auf die entdeckten Inseln hinüberzufahren, mussten sie jetzt die beiden letzten Hunde erschiessen und auf dem Treibeis zurücklassen. Am 12. August verschwand der Nebel, und sie sahen jetzt im Westen und Südwesten eine ganze Kette von Inseln. Mühsam schleppten und paddelten sie sich nun in südwestlicher Richtung weiter, immer auf Spitzbergen zu, wo sie hoffen konnten, Walrossjäger zu finden, die sie nach Hause brachten.

Schliesslich aber sahen sie ein, dass es schon zu spät war, Spitzbergen in diesem Jahr noch zu erreichen, und entschlossen sich, hier zu überwintern. Da sie keine Vorräte mehr hatten, mussten sie sich durch Schiessen von Bären und Walrossen Fleisch und Fett für Feuerung und Licht verschaffen. Aus Bärenfellen wurde ein gemeinsamer Schlafsack gemacht, aus Steinen und Erde ein Haus errichtet, dessen Decke aus Walrosshäuten bestand. So verbrachten sie leidlich den Winter. Von November bis März blieben auch die Bären aus, nur noch Polarfüchse erschienen des Nachts und knabberten wie Ratten an ihren gefrorenen Vorräten.

Im Frühjahr, als schon die Vögel erschienen, brachen sie wieder auf, nachdem sie sich aus ihren Decken neue Kleidungsstücke angefertigt hatten. Die alten waren durch Fett und Schmutz ganz unbrauchbar geworden. Mit Bärenfleisch versehen, setzten sich die beiden Männer am 19. Mai 1896 in südlicher Richtung in Bewegung und erreichten am 23. Mai offenes Wasser. Von jetzt ab ging es abwechselnd auf den Kajaks und dann wieder auf Schlitten über das Eis weiter, doch war gerade diese Fahrt sehr gefährlich, und einmal musste Nansen den durch einen Sturmwind losgerissenen Kajaks über das eisige Meer nachschwimmen, um sie mit Aufbietung seiner letzten Kräfte noch zu erreichen. Ein andermal wären sie fast bei einem Abenteuer mit einem Walross ertrunken.

Doch die Rettung sollte näher sein, als sie dachten. Eines Morgens, es war am 17. Juni, hörte Nansen durch das Geschrei der Seevögel Laute, die ihm wie Hundegebell vorkamen. Sofort schnallte er seine Schneeschuhe an, und als er sich der Küste näherte, sah er einen Mann auf sich zukommen. Es war Frederick Jackson, der Führer einer englischen Expedition, die hier zur Untersuchung von Franz-Josef-Land schon seit zwei Jahren ein festes Quartier aufgeschlagen hatte, das mit reichen Vorräten versehen war. Das Erstaunen über dieses wunderbare Zusammentreffen war auf beiden Seiten gleich gross, und Nansen und sein Begleiter, die vom Rauch des Trans, von Fett und Blut, wie Neger aussahen, wurden in herzlicher Gastfreundschaft aufgenommen. Am 7. August holte ein Dampfer die beiden ab und brachte sie in sechs Tagen nach Vardö, wo sie erfuhren, dass der »Fam« noch immer nicht gelandet sei.

Kapitän Sverdrup war inzwischen mit dem Schiff inmitten der Eismassen langsam weiter westwärts getrieben. Ende März 1895 brach zwar das Eis, aber der »Fram« konnte sich nicht herausarbeiten und fror schon im August wieder fest. Im Mai 1896 begann sich das Eis von neuem zu lösen und von Juli ab mühte sich Sverdrup, durch Sprengungen aus der Umklammerung herauszukommen. Diese Arbeit war sehr mühsam und dauerte einen ganzen Monat, bis am 13. August das Schiff endlich die offene See erreichte.

Vergebens forschte Sverdrup nun auf Spitzbergen nach Nansen, niemand hatte von diesem etwas gehört, und so beschloss er, Norwegen anzulaufen und dann nach Franz-Josef- Land zu fahren. Am 20. August lief er in einem kleinen Hafen bei Hammerfest ein, und wenige Tage darauf konnte er sich in Tromsö mit Nansen und Johansen begrüssen. Die waghalsige Expedition war zu einem glücklichen Ende gekommen, wenn sie auch ihr eigentliches Ziel, den Nordpol, nicht erreicht hatte.

Noch während sich Nansen auf seiner Fahrt befand, richtete sich das Interesse der Welt auf ein neues Unternehmen, auf den Plan Salomon August Andrées, den Pol von Spitzbergen aus in einem Luftballon zu erreichen. Andrée wurde am 18. Oktober 1854 in Grenna in Schweden geboren. Er war Ingenieur und nahm schon 1882 an einer schwedischen Expedition nach Spitzbergen teil. Seit 1892 beschäftigte er sich mit wissenschaftlichen Ballonfahrten, und es gelang ihm, ernsthafte Forscherkreise für seine Idee, den Pol im Ballon zu erreichen, zu gewinnen. Auf der kleinen Däneninsel nordwestlich von Spitzbergen wurde eine grosse Halle für den in Paris angefertigten Ballon »Adler« errichtet, und der 16. August 1896 wurde für die Abfahrt bestimmt. Alles war auch zur rechten Zeit fertig, doch konnte die Abfahrt nicht stattfinden, da der erwartete und unbedingt zum Gelingen erforderliche Südwind ausblieb. Schliesslich entschloss sich Andree, für dieses Jahr seinen Plan aufzugeben, und sandte den Ballon noch einmal nach Paris, wo neue Verbesserungen an ihm vorgenommen wurden.

Im nächsten Frühjahr arbeitete Andrée schon wieder an der Ballonhalle, die vergrössert werden musste. Der Ballon war diesmal für alle erdenkliche Unglücksfälle vorbereitet, er enthielt ein leichtes Boot für eine Landung auf dem Wasser und einen Schlitten für eine Landung auf dem Eis.

Am 11. Juli entschloss sich Andrée, da ein günstiger Südwind wehte, mit seinen beiden Begleitern Strindberg und Fränkel das Wagnis zu unternehmen. Der Aufstieg verlief nicht ganz glücklich, wichtige Schleppseile waren in der Halle liegen geblieben und ein Windstoss drückte den Ballon noch einmal nach unten, so dass die Gondel ins Wasser tauchte. Die Insasssen warfen schnell Ballast aus, und der Ballon stieg nun stolz in die Höhe um bald am nördlichsten Horizont zu verschwinden.

Es war nachmittags drei Uhr, und von diesem Augenblick an hat nie wieder jemand etwas von den Luftfahrern gesehen. Anfangs war man zwar froher Hoffnung, weil man eine von Andrée am 13. Juli ausgesandte Taube schoss, die meldete, dass auf dem Ballon alles wohl war. Dann aber blieb jede Nachricht aus, und erst zwei Jahre später wurde eine Schwimmboje aufgefunden, die nur eine Bestätigung der Brieftaubennachricht enthielt. Noch einmal, im Jahre 1907, hat der amerikanische Journalist Wellmann den Versuch gemacht, den kühnen Versuch Andrées zu wiederholen. Nach zweijährigen Vorbereitungen stieg er endlich im September 1907 auf, wurde aber schon nach Stunden, vielleicht zu seinem Glück, auf einen Gletscher niedergetrieben. Er sowohl wie seine Begleiter konnten gerettet werden.

siehe Bildunterschrift

Nansen vor seinem Expeditionsschiff »Fram«, das später noch auf Amundsens Südpolexpedition und 1924 auf der nordamerikanischen Nordpolfahrt Verwendung fand.

Die Erfolge Nansens wurden in den seiner Expedition folgenden Jahren nur von einem italienischen Unternehmen übertroffen, das im Jahr 1900 unter dem Herzog der Abruzzen auf dem Schiff »Stella Polare« nach Norden ging. Das Schiff fand bis weit über das Franz-Josef-Land hinaus ungewöhnlich günstige Eisverhältnisse und überwinterte im nördlichsten Teil dieser Inselgruppe. Unter Führung des Marineoffiziers Cagni gelang es, bis 86 Grad 33 Minuten vorzustossen, doch hatten diese Unternehmer ungeheure Gefahren und Entbehrungen zu ertragen.

Das grosse Ziel, die wirkliche Erreichung des Nordpols, sollte erst, und zwar am 6. April 1909, der zähen Energie des amerikanischen Schiffsoffiziers Robert E. Peary gelingen.

Peary ist am 6. Mai 1856 in Cresson in Pennsylvanien geboren worden. Er war Ingenieur und arbeitete in seinen jüngeren Jahren am Nikaraguakanal. Schon im Jahre 1891 ging er mit einer amerikanischen Schiffsexpedition über den Smithsund nach Norden. Die Fahrt dauerte vom 6. Juni bis 31. August und brachte reiche wissenschaftliche Erfolge. Auch Pearys Frau nahm an dieser Reise teil.

Von da ab machte er unermüdlich immer neue Reisen, durchquerte den Nordteil von Grönland und kam auf seinen Vorstössen dem Pol immer näher. Am 7. Juli 1908 begann die letzte, entscheidende Reise, die den grossen Erfolg bringen sollte, auf dem erprobten Dampfer »Roosevelt«.

Die Methode seines Vordringens bestand darin, im frühen Frühjahr Depots vorzuschieben, dann Hilfsabteilungen mitzunehmen, die beim Transport der Vorräte halfen und später mit den weniger guten Hunden zurückblieben. Peary, der im August 1908 in Etah in Nordgrönland angelangt war, nahm dort und später Eskimos auf, von denen ihn im ganzen 22 Männer, 17 Frauen und auch zahlreiche Kinder begleiteten. Ausserdem hatten sie 236 Hunde. Bei Kap Sheridan überwinterte er und trieb noch im Herbst Vorräte bis Kap Kolumbia, der Nordspitze von Grantland, vor. Im Frühjahr verlegte Peary sein Quartier dorthin mit 59 Eskimos, 7 Mitgliedern der Expedition, 140 Hunden und 23 Schlitten.

siehe Bildunterschrift

Peary bei seiner Ausreise.

Am 1. März 1909 begann der Vormarsch, wobei der Engländer Kapitän Bartlett voranfuhr. Am vierten Tage holte ihn Peary ein, offenes Wasser hatte den anderen aufgehalten, und die ganze Expedition musste eine Woche lang liegen bleiben. Am 5. März tauchte zum erstenmal seit fünf Monaten die Sonne für einen Augenblick auf, am 11. konnte man die inzwischen zugefrorene Wasserrinne überschreiten, und dann ging es bei 59 Grad Kälte ziemlich schnell vorwärts, so dass am 22. März eine nördliche Breite von 86 Grad erreicht wurden. Hier entging die Expedition ganz knapp einer Katastrophe, da plötzlich das Eis gerade unter einem Rastlager zerriss und Hunde und Schlitten nur mühsam auf eine Eisscholle gerettet werden konnten.

Am 2. April, bei einer Breite von fast 88 Grad, trennte sich Peary von seinem letzten weissen Begleiter und nahm nur einen Neger Henson und vier Eskimos mit. Da ein Witterungsumschlag leicht den Zweck der Expedition gefährdet und ihn auch in Lebensgefahr gebracht hätte, beschloss Peary, nunmehr in Gewaltmärschen vorzugehen. Am zweiten Tag wurde auch der Neger mit drei Eskimos zurückgelassen, und nur der Eskimo Ootam machte den letzten Marsch mit, der nach zwölfstündiger Dauer eine Messung erlaubte, die 89 Grad 57 Minuten ergab. Peary blieb hier 30 Stunden und ging, um ganz sicher zu sein, noch einige Meilen über das Ziel hinaus. Er hisste auf dem Nordpol die amerikanische Flagge und legte Berichte nieder, die das Treibeis natürlich entführt hat. Bei einer Sondierung der Meerestiefe konnte bei 9000 Fuss kein Grund gefunden werden.

Die Rückreise verlief schnell. In 16 Tagen wurde die Küste westlich von Kap Kolumbia erreicht, am 27. April war Peary wieder an Bord seines Schiffes, das aber erst am 18. Juli sich vom Eise lösen und abdampfen konnte. Von der Labradorküste aus konnte er dann am 16. September in einer drahtlosen Depesche die Eroberung des Pols nach New York melden.

Uebrigens sollte diese Eroberung noch ein eigenartiges Nachspiel haben. Schon vor der Rückkehr Pearys war der Amerikaner Cook von einer Polarreise zurückgekehrt und telegraphierte von Grönland in alle Welt hinaus, er habe den Nordpol erreicht. Ein dänisches Schiff brachte ihn nach Kopenhagen, wo er vom König empfangen und von allen wissenschaftlichen Kreisen begeistert gefeiert wurde. In diesen Jubel hinein kam die Nachricht von der Heimkehr des wirklichen Nordpolentdeckers, der Cook sofort heftig angriff und einen Schwindler nannte. In der Tat stellte sich dann bald heraus, dass Cook für seine Anwesenheit am Pol nicht die geringsten wissenschaftlichen Belege erbringen konnte, und er verschwand denn auch später aus der Oeffentlichkeit, als ihm auch in bezug auf eine von ihm behauptete frühere Besteigung eines Gebirges in Alaska offenbarer Betrug nachgewiesen wurde. Die Nordpolentdeckung Pearys ist dagegen von der Wissenschaft allgemein anerkannt worden.

siehe Bildunterschrift

Junge Grönländerin.


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