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Naturwissenschaftliche Forschungsreisen.

Das zu Ende gehende 18. Jahrhundert stand in hohem Masse unter dem Einfluss der Ideen von Jean Jacques Rousseau, und daher begreift man auch den tiefen Eindruck, den Georg Forsters gefühlvolle Schilderung seiner Weltreise, vor allem sein Idyll von Tahiti, auf die europäische Leserschaft machte. Früher hatte man in dem Wilden nur eine Art Tier gesehen, das man jagen und in die Sklaverei verkaufen konnte. Jetzt ging man in dem Ueberschwang eines schwärmerischen Naturgefühls so weit, in der Welt dieser einfachen Naturkinder etwas von dem verlorenen Paradies zu sehen und sich nach dem Glück solcher unberührten Zustände zu sehnen. Aber auch für alles andere, was zur Natur gehörte, für Pflanzen, Tiere und Mineralien, für alle Geheimnisse der belebten und unbelebten Welt, begann sich diese geistig so regsame Zeit zu interessieren. Hatte die Römer die Herrschsucht, die Spanier und Portugiesen der Hunger nach Gold und Schätzen, die Engländer der Handelstrieb zu Entdeckungen geführt, so trat jetzt mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts der wissenschaftliche Forschergeist in den Vordergrund, und neben der Geographie war es vor allem die Naturkunde, die ihre kühnen und uneigennützigen Pioniere bis in die entlegensten Winkel der Erde sandte.

In erster Linie waren es Deutsche, die jetzt immer mehr in den Vordergrund traten, und unter ihnen wohl als der bedeutendste Alexander von Humboldt. Geboren am 14. September 1769, gestorben am 6. Mai 1859, widmete er sein reiches neunzigjähriges Leben von früher Jugend an wissenschaftlicher Forschung, in der er es zu überragenden Erfolgen brachte. Er genoss, wie sein zwei Jahre älterer Bruder Wilhelm, der ein bedeutender Staats- und Sprachwissenschaftler wurde, eine sehr sorgfältige Privaterziehung, ohne jemals eine öffentliche Schule zu besuchen. Auf der Universität erwarb er sich in kurzer Zeit ein sehr vielseitiges Wissen, und seine frühzeitigen geologischen, botanischen und physiologischen Schriften machten seinen Namen bald über Deutschlands Grenzen hinaus in wissenschaftlichen Kreisen bekannt. Er war in gleich genialer Weise für die Mathematik, für die Geographie, für die Botanik wie für die Ethnographie veranlagt, und auf jedem Gebiete hat er später Hervorragendes geschaffen und neue Bahnen gewiesen.

siehe Bildunterschrift

Alexander v. Humboldt. Radierung nach dem Leben vom Jahre 1853.

Humboldts Jugendsehnsucht war das Reisen, und zwar wollte er vor allem Aegypten besuchen und erforschen. Aber wegen der am Ende des Jahrhunderts herrschenden Kriegswirren wurde aus diesen Plänen nichts, wohl aber hatte er einen anderen Erfolg. Auf einer Reise nach Spanien wurde er in Madrid als ein bereits weltberühmter Gelehrter dem spanischen Königspaar vorgestellt und erhielt die Erlaubnis, die amerikanischen Kolonien zu besuchen, die man sonst sorgfältig vor jedem Fremden verschlossen hielt. Humboldt entschloss sich, mit dem Botaniker Aimé Bonpland, den er in Paris kennengelernt hatte, diese Reise zu machen, und übernahm für sich und seinen Gefährten die ganzen Kosten, was ihn ein Drittel seines nicht unbeträchtlichen Vermögens kostete.

Am 5. Juni 1799 verliessen die beiden den Hafen von Coruña, um schon auf den Kanarischen Inseln ihre geologischen und botanischen Studien zu beginnen, indem sie den berühmten, 3720 Meter hohen Pik von Teneriffa erstiegen, an dessen Abhängen sie je nach der Höhe alle Vegetationszonen der Welt beobachten konnten. Am 16. Juli landeten sie in Cumana in Venezuela und verfolgten dort die Spuren eines furchtbaren Erdbebens, das anderthalb Jahre früher die Stadt und die Umgegend zerstört hatte.

Sie besuchten hier die berühmte Höhle von Guacharo, die von unendlichen Scharen eines gespensterhaften, etwa hühnergrossen Nachtvogels bewohnt war. Mit einem fürchterlichen Geschrei umschwebten die von den Fackeln der Indianer aufgeschreckten Vögel die Köpfe der Besucher. Schliesslich gelangte Humboldt in der Höhle bis an einen Wasserfall, doch waren die Indianer weder durch Bitten noch durch Versprechungen zu bewegen, noch weiter vorzudringen, da sie glaubten, dass weiter hinaus in der Grotte die Geister ihrer Vorväter wohnten.

Von Cumana fuhren die Reisenden, nachdem sie noch ein Erdbeben erlebt hatten, nach der Hauptstadt Caracas, wo sie aber nicht lange verweilten, da es sie drängte, das Stromgebiet des gewaltigen Orinoko zu besuchen. Ein Jesuitenpater hatte berichtet, es gäbe eine kanalartige Verbindung zwischen dem Orinoko und dem Gebiet des Amazonenstroms. Diese allen sonstigen geographischen Erfahrungen widersprechende Erscheinung wollte Humboldt erforschen, und es ist ihm dann auch tatsächlich gelungen, die Verbindung der beiden Ströme aufzufinden und genau festzulegen.

Ueber Calabaza, wo sie die Zitteraale kennenlernten, die mit ihren Schlägen selbst grosse Tiere, wie badende Pferde und Krokodile, betäubten, zogen die Reisenden nach Süden bis nach San Fernando am Apure, einem Nebenfluss des Orinoko. Hier waren sie in einem wahren Tierparadies. Sie sahen riesige Jaguare, die grösser als indische Tiger waren, gewaltige, bis fünf Meter lange Krokodile, die den Fluss bedeckten, und ungeheure Scharen von heulenden Affen. Die Luft war von Schwärmen aufgescheuchter Vögel erfüllt, und vor Insekten aller Art konnte man sich kaum retten. In dem Fluss gab es auch kleine, nur handlange Fische, die von den Eingeborenen wegen ihrer Blutgierigkeit Kariben genannt wurden, weil sie badenden Menschen Stücke Fleisch aus dem Leibe rissen. In Gegenden, wo sie häufig waren, wagte niemand ins Wasser zu gehen.

Aehnliche Verhältnisse fanden sie beim Hinauffahren auf dem Orinoko, der rings von undurchdringlichen Tropenwäldern umgeben war. Die Indianer standen hier übrigens auf einer sehr niedrigen Kulturstufe und lebten meist von Ameisen, aber auch von Menschenfleisch. Auch das berüchtigte, schnell wirkende Pfeilgift Curare wurde hier aus einer Schlingpflanze zubereitet.

Nachdem Humboldt sein Ziel, die Erforschung der Wasserverbindung mit dem Amazonenstrom, erreicht hatte, kehrte er wieder nach Cumana zurück. Er besuchte jetzt mit seinem Gefährten Haiti, Jamaika und Cuba, wo er sich mit Kartenaufnahmen und astronomischen Beobachtungen beschäftigte und die Zuckerfabrikation studierte.

Im März 1801 fuhren die beiden Freunde nach Columbien, wo sie in Cartagena landeten, um sich über den Magdalenenstrom nach Bogota zu begeben und von dort die Hochebene von Quito zu ersteigen. Humboldt lernte jetzt die Kordilleren in ihrer grössten Schönheit und Erhabenheit kennen. Nirgendwo in der Welt gibt es so tiefe Schluchten, so steile Abhänge, und oft wurden die Reisenden von Erstaunen und Schaudern ergriffen, wenn ihr Weg an ungeheuren Abgründen vorbeiführte. Aber sie wählten gerade die am wenigsten betretenen und gefährlichsten Pfade, weil hier auch die Schönheit der Natur am gewaltigsten war.

In Quito blieben sie fast ein ganzes Jahr, um die Denkmäler des Landes, seinen Pflanzenreichtum und den Bau seiner riesigen Berge und Vulkane zu erforschen. Im Monat Mai 1802 unternahm Humboldt die Besteigung des 5940 Meter hohen Cotopaxi, des grössten aller noch tätigen Vulkane der Anden, der mit seinen häufigen Ausbrüchen riesige Felsenstücke und Schlackenmassen in die benachbarten Täler wirft. Im Jahre 1738 erhoben sich seine Flammen fast 1000 Meter hoch über seinem Krater, und im Jahre 1744 vernahm man das Getöse seiner Ausbrüche bis zu der mitten in Columbien liegenden Stadt Honda hin. Auch Humboldt hörte bei einem Ausbruch im Jahre 1803, als er sich gerade in der doch weit entfernten Hafenstadt Guayaquil aufhielt, Tag und Nacht den unterirdischen Donner, der einem starken Geschützschiessen glich. Der Cotopaxi, der südöstlich von Quito liegt, ist unstreitig auch der schönste aller Gipfel der Anden. Er hat die Gestalt eines vollkommenen Kegels und ist mit ungeheuren Schneeschichten bedeckt, die nach Untergang der Sonne noch in blendendem Glanz schimmern, wenn in den Tälern schon tiefe Finsternis herrscht. Humboldt erreichte übrigens nicht den Kraterrand, dessen Ersteigung er für unmöglich hielt.

Am 23. Juni 1802 bestiegen die Reisenden endlich den 6310 Meter hohen Chimborazo, den man damals für den höchsten Berg der ganzen Welt hielt. Tatsächlich wird er von dem Mount Everest im Himalajagebirge ja um zweieinhalbtausend Meter übertroffen. Humboldt suchte auf einer schmalen Leiste, welche auf dem südlichen Abhang mitten aus dem Schnee emporsteigt, auf den Gipfel zu gelangen. Er kam trotz der fürchterlichen Kälte weiter als alle, die vor ihm dieses Wagnis versucht hatten, nämlich bis zu einer wahrscheinlichen Höhe von 5350 Meter. An dieser Stelle, wo ihm wegen der Dünnheit der Luft das Blut aus Augen, Lippen und Zahnfleisch floss, machte er Beobachtungen über die Neigung der Magnetnadel.

Humboldts ursprünglicher Plan war es, sich in Peru einer Expedition anzuschliessen, die über die Philippinen nach Ceylon gehen sollte, doch verfehlte er diesen Anschluss, da die Expedition einen anderen Weg eingeschlagen hatte. Er entschloss sich nunmehr, von Quito nach Lima zu wandern und dabei das Quellgebiet des Amazonenstroms zu erforschen. Bei der Uebersteigung der Anden hatte er Gelegenheit, die grossartigen Ueberreste der alten peruanischen Kunststrasse der Inkas in Augenschein zu nehmen, die über die tausend bis zweitausend Meter hohen Porphyrgipfel von Cusco nach Assuay führte. Er besuchte die hochliegenden Silberbergwerke von Hualguayok und die Ruinen der alten Indianerstadt Mansiche, in der Nähe von Truxillo, mit ihren rätselhaften Pyramiden. Als er im Oktober 1802 von dem westlichen Abhang der Anden nach Lima hinabstieg, sah er zum ersten Male den Stillen Ozean.

Anfang 1803 fuhr Humboldt nach Mexiko, damals noch Neu-Spanien genannt, wo er in Acapulco landete. Er blieb über ein Jahr in diesem Lande und beschäftigte sich vor allem mit Vulkanstudien, ohne aber die Erforschung der alten Kulturen und das Sammeln der Pflanzen, dem besonders Bonpland oblag, ausser acht zu lassen. Im Sommer 1804 segelten die beiden über Kuba nach den Vereinigten Staaten. In Washington wurden sie vom Präsidenten Jefferson empfangen und als Grössen wissenschaftlicher Forschung gefeiert. Am 3. August 1804 landeten sie nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit in Bordeaux.

Der wissenschaftliche Erfolg dieser Reisen war ungeheuer gross, trotzdem ein kleiner Teil der Sammlungen infolge eines Schiffbruches verlorenging. Ueber 6000 neue Pflanzenarten waren entdeckt worden, was damals viel heissen wollte, da die Wissenschaft um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts überhaupt erst 8000 verschiedene Pflanzen kannte. Humboldts wissenschaftliches Werk über seine Reise, das in französischer Sprache geschrieben wurde und auch in Paris herauskam, hatte nicht weniger als dreissig Bände und verschlang fast sein ganzes Vermögen. Im Jahre 1827 kehrte er nach Berlin zurück, wo er sein berühmtes Werk, den Kosmos, schrieb und von da ab als Universitätslehrer tätig blieb. An der Schwelle des Alters unternahm er noch einmal eine Reise nach Sibirien, die aber wissenschaftlich ohne die Bedeutung der früheren blieb. Als er 1859 starb, war er fast verarmt. Sein Tod rief in der ganzen gebildeten Welt grosse Teilnahme hervor.

Im Anschluss an die Forschungsreise Humboldts darf man wohl die wissenschaftlich weniger bedeutenden, aber doch sehr interessanten Abenteuer einer Weltreise des Dichters Adalbert von Chamisso erwähnen. Geboren am 27. Januar 1781 auf Schloss Boncourt in der Champagne, wurde er schon als Kind durch die Revolutionswirren nach Berlin verschlagen. Obgleich er seinem Gefühl nach ein Deutscher war, mochte er doch später nicht gegen das Frankreich Napoleons kämpfen und ergriff mit Freuden die Gelegenheit, sich 1815 als Botaniker einer russischen Forschungsexpedition anzuschliessen. Der Leiter der Expedition war der Kapitän Otto von Kotzebue, ein Sohn des bekannten Lustspieldichters und russischen Staatsrats August von Kotzebue. Die Expedition sollte auf dem russischen Kriegsschiff »Rurik« durch das Beringsmeer eine Durchfahrt um Nordamerika suchen. Leider war aber der junge Kotzebue absolut nicht geeignet, ein solches Unternehmen durchzuführen. Er hatte keine Energie, um über sein halbwildes Schiffsvolk Herr zu werden, und war selbst von einer so krassen Unbildung und geistigen Roheit, dass er nicht einmal begriff, was wissenschaftliche Forschung war. Er protestierte gegen das unnütze Sammeln von naturwissenschaftlichen Dingen, für die der Schiffsraum nicht zur Verfügung stände, und warf mühsam erworbene botanische Sammlungen Chamissos einfach über Bord. Ebenso nahm er ihm sein Mammutelfenbein weg, um damit gelegentlich ein Biwakfeuer zu unterhalten. Aber gerade dem Dichter verdankt es Kotzebue, dass durch dessen Reisebericht die ganze Expedition sehr berühmt wurde.

siehe Bildunterschrift

Adalbert von Chamisso.

Chamisso bestieg in Kopenhagen den »Rurik«, der am 17. August 1815 von dort über Plymouth nach Teneriffa und dann über den Ozean nach Brasilien fuhr. Im Januar 1816 ging es um das Kap Horn herum in den Stillen Ozean und nach einem Besuch in Chile nordostwärts durch die Marquesas-Inseln nach den Marshall-Inseln, deren äusserste Reihe, die Ratack-Inseln, Mitte Mai erreicht wurde. Hier hielt Kotzebue sich aber zunächst nicht lange auf. Er wollte für diesen Sommer einen Probevorstoss nach dem Eismeer machen, um dort einen passenden Hafen zu finden. 1817 sollte es dann auf einer neuen Nordfahrt weiter gehen. Dieser Hafen wurde auch in dem Kotzebue-Sund gefunden, dann aber ging das Schiff über die Aleuten-Insel Unalaschka wieder nach Süden und fuhr über San Francisco nach den Hawai-Inseln. Dort besuchten die Reisenden den alten Häuptling Kamehameha den Grossen, den man den Napoleon der Südsee genannt hat. Er hatte sämtliche Inseln der Gruppe unter seiner Herrschaft vereinigt und Handel und Verwaltung geradezu mustergültig eingerichtet. Seine Nachfolger herrschten bis 1893, in welchem Jahre die Ausrufung der Republik erfolgte, der sich dann 1897 die Vereinigung mit den Vereinigten Staaten anschloss.

Der »Rurik« fuhr nach diesem Besuch wieder nach den Ratack-Inseln, wo er sich von Januar bis März 1817 aufhielt. Hier lernte Chamisso einen Eingeborenen kennen, der sich der Expedition anschloss, einen merkwürdigen Menschen, namens Kadu, mit dem der deutsche Dichter bald eine wirkliche Freundschaft schloss. Kadu fuhr auch kühn mit, als es dann wieder nach dem eisigen Norden ging, und gab seinem europäischen Freund durch seine Kenntnisse ganz unschätzbare Aufschlüsse über die Ethnographie der australischen Inseln.

Als die Expedition über die Aleuten-Inseln hinaus war, erklärte am 12. Juli 1817 plötzlich der Kapitän von Kotzebue unter der nichtigen Begründung, er fühle sich krank, seinen Entschluss, die Reise aufzugeben, und befahl einfach die Rückfahrt. Auf Hawai wurden die Russen wieder vom König empfangen, und am 31. Oktober gelangten sie zum drittenmal nach den Radack-Inseln, wo Kadu, der anfangs mit nach Europa fahren wollte, sich nun doch entschloss, zurückzubleiben.

Die weitere Rückfahrt ging über die Philippinen und das Kap der Guten Hoffnung. Am 17. Oktober gelangte der Dichter in Swinemünde wieder auf deutschen Boden. Wenn man auch seine Reise nicht zu den eigentlichen Entdeckungsreisen zählen kann, so hat doch Chamisso eine ganze Reihe wichtiger Einzelbeobachtungen für die Wissenschaft geleistet und vor allem sehr Wertvolles über die Psychologie der Inselbewohner in seinem sehr schönen, auch heute noch lesenswerten Reisebericht gegeben.

Neben Humboldt muss in der Reihe der naturwissenschaftlichen Reiseforscher vor allem Charles Darwin genannt werden, dem seine fast fünfjährige überseeische Reise ja erst die Anregungen und Unterlagen für die späteren Theorien über die Entwicklungsgeschichte der Tiere und Pflanzen gegeben hat. Darwin wurde am 12. Februar 1809 in Shrawsbury geboren, wo sein Vater ein geachteter und sehr beliebter Arzt war. Auch er sollte eigentlich dem Beruf seines Vaters folgen, fühlte sich aber nicht recht geeignet dazu und studierte dann eine Weile Theologie, bis ein Geistlicher namens Henslow, der zugleich Botaniker war, in ihm Talent zum Naturforscher zu entdecken glaubte und seine Studien auf dieses Gebiet lenkte. Henslow war es auch, der den zweiundzwanzigjährigen Darwin für eine wissenschaftliche Expedition empfahl, die mit dem Schiff »Beagle« (auf deutsch Spürhund) in Südamerika und dann im Stillen Ozean Forschungen anstellen sollte.

Der Führer der Expedition, der sehr begabte Fitz Roy, hatte eigentlich wenig Vertrauen zu der Energie und den Fähigkeiten des jungen, schmächtigen Studenten, nahm ihn aber auf Henslows Empfehlung schliesslich doch auf, um dann an ihm eine angenehme Ueberraschung zu erleben. Zwar ein richtiger Seebär ist Darwin nie geworden, und die Seekrankheit wurde er die ganze Zeit über, die die Reise dauerte, nicht los. Aber gerade deshalb ergriff er jede Gelegenheit, um ans Land zu kommen, und während das Schiff manchmal monatelang an den Küsten kreuzen musste, um schwierige Vermessungen vorzunehmen, machte Darwin kühne Vorstösse ins Innere des Landes, von denen er immer mit einer grossen Ausbeute naturwissenschaftlicher Funde und Entdeckungen zurückkehrte. Bald merkte auch der selbst scharf beobachtende Kapitän des »Beagle« an den vorgelesenen Stellen von Darwins Tagebuch, welch ein hervorragender Forschergeist in diesem bescheidenen jungen Menschen steckte, und als drei Jahre nach der Rückkehr der Expedition dieses Tagebuch veröffentlicht wurde, da erregte es sofort das grösste Aufsehen. Noch heute gilt das Buch, das unter dem Titel »Reise eines Naturforschers um die Welt« verbreitet wurde, neben dem Humboldtschen für das beste Reisewerk dieser Art.

Am 27. Dezember 1831 verliess der »Beagle« Devonport und erreichte am 16. Januar 1832 Teneriffa, wo aber das Schiff wegen der Choleragefahr nicht Anker werfen durfte. Aber der Anblick des riesenhohen Pik von Teneriffa gab dem jungen Darwin doch einen unvergesslichen Eindruck. Dafür landete er dann am 16. Januar auf einer der Kap-Verde-Inseln und erging sich zum erstenmal in einem Hain von Kokospalmen. Auch machte er hier seine ersten naturwissenschaftlichen Studien. Schon am 29. Februar wurde San Salvador oder Bahia in Brasilien erreicht, das von einer tropischen Urwaldüppigkeit umgeben war, aber auch dem Besucher ein tropisches Unwetter mit einem alles erweichenden Regen bescherte.

Es begann nunmehr die eigentliche Arbeit des »Beagle«, der drei Jahre lang an der südamerikanischen Küste kreuzte und überall Messungen aufnahm, wobei das Feuerland längere Zeit den Mittelpunkt bildete. Darwin entfernte sich dabei öfters auf Wochen von dem Schiff, um zu Lande Forschungsreisen zu unternehmen.

In Rio de Janeiro, wo er am 4. April landete, schloss er sich einem Engländer an, der zu Pferde seine hundert Meilen von der Hauptstadt entfernte Besitzung besuchte. Darwin fand die eingeborenen Portugiesen allgemein sehr ungastlich und schmutzig, auch waren sie sehr grausam gegen ihre Negersklaven. Die Pferde wurden unterwegs während der Nacht manchmal von einer blutsaugenden grossen Fledermaus überfallen, dem sogenanten Vampir.

Im Juli fuhr Darwin von Rio de Janeiro bis zur Mündung des Rio Negro in Argentinien und machte dort wieder einen Abstecher ins Land hinein, der ihn nach Buenos Aires führte. Auf einer kahlen Hochebene fand er einen einzelstehenden Baum, den die Indianer den Altar des Gottes Wallichu nannten. Sie erwiesen dem Baum göttliche Ehren und hingen als Gaben Zigarren, Brot, Fleisch u. dgl. an zahllosen Fäden daran auf. Die europäischen Gauchos pflegten übrigens diesen Opferbaum, sobald die Indianer fort waren, heimlich seiner Schätze zu berauben.

Am Rio Colorado hatte Darwin Gelegenheit, eine kleine Armee des Generals Rosas zu bewundern, ein spitzbübisches banditenartiges Gemisch von Negern, Indianern und halbblütigen Spaniern, und traf dann selbst mit diesem sehr einflussreichen Manne zusammen, der in dem von Indianeraufständen bedrohten Land ein ziemlich unbeschränktes Regiment führte.

In der Gegend von Bahia Blanca in dem Tonboden der Pampasebene entdeckte Darwin Ueberreste von ausgestorbenen Riesentieren, wie dem Megatherium, dem Riesenfaultier, und einem nashorngrossen Gürteltier, ferner zur Ueberraschung der Wissenschaft eine ausgestorbene Pferdeart und einen vorhistorischen Elefanten. Einmal schoss Darwins Begleiter einen Strauss, und als das Tier schon geschlachtet, gekocht und gegessen war, entdeckte man an den Federn, dass es eine ganz neue, seltene Art war, die später Rhea Darwini genannt wurde.

Auch auf dem Wege von Buenos Aires nach Santa Fé fand Darwin wieder viele Fossilien und stellte die Verwandtschaft dieser ausgestorbenen Tiere mit denen, die man in der Alten Welt ausgegraben hatte, fest. Er glaubte, dass sie über Sibirien und Nordamerika in die südlichen Länder gekommen seien. In dieser Gegend wurde übrigens der junge Forscher in eine Militärrevolution verwickelt und war kurze Zeit Gefangener eines Rebellengenerals, bis er auf einem Paketboot schliesslich nach Montevideo entwischen konnte.

Im April 1834 legte sich das Schiff in Santa Cruz in Patagonien vor Anker, und der Kapitän Fitz Roy beteiligte sich an einer mehrwöchigen Bootexpedition, den Santa-Cruz-Fluss hinauf bis zu den schneebedeckten Anden, wo Darwin einen Kondor schoss. Ueberall war die Gegend sehr einförmig und tierarm, auch von Indianern wurden nur Spuren entdeckt.

Bei einem Besuch auf den Falklandinseln fand Darwin zahlreiche Scharen verwildeter Pferde und Rinder und einen einheimischen wolfartigen Fuchs, den es nur auf diesen Inseln gibt.

Ende 1832, Anfang 1833 und dann noch einmal im Frühjahr 1834 wurde Tierra del Fungo, das Feuerland, durchforscht. Die sehr hässlichen und buntbemalten Eingeborenen, deren Aussehen Darwin mit dem der Teufel in der Oper »Freischütz« vergleicht, kamen gestikulierend herbei und bettelten um Geschenke, besonders um Messer. Vor den Gewehren hatten sie eine Heidenangst und weigerten sich, sie auch nur anzurühren. Sie lebten von Muscheln, deren Schalen an ihren armseligen Wohnstätten zu kleinen Bergen aufgehäuft waren. Wurde ein Seehund getötet oder entdeckte man gar den schwimmenden Leichnam eines faulenden Walfischs, so war das für sie ein Festtag. Oft hatten sie Hungersnot, und dann töteten sie die alten Frauen, um sie zu verzehren, während sie die Hunde, die sie beim Otternfang gebrauchten, noch schonten. Die Frauen waren überhaupt nicht viel mehr als die Sklaven ihrer Männer, die sehr roh und im Kriege auch Menschenfresser waren.

Südlich von Kap Horn hatte der »Beagle« gewaltige Stürme auszuhalten und wurde einmal nach Süden abgetrieben. Auf der Rückfahrt landete er am Eingang des von Osten nach Westen gehenden schmalen Beagle-Kanals. Kapitän Fitz Roy hatte nämlich auf einer früheren Expedition drei Feuerländer mitgenommen, die er jetzt in ihrer Heimat wieder ans Land bringen wollte. Zugleich sollte sich hier ein Missionar namens Matthews ansiedeln.

An der Landungsstelle wurden Wigwams gebaut und Gärten gegraben. Die Eingeborenen waren sehr freundlich, tanzten und lachten und stahlen im übrigen, was sie erwischen konnten. Während die Boote dann den Kanal noch durchforschten, blieb der Missionar zurück. Aber bei der Rückkehr fand man ihn schon in Lebensgefahr, die Feuerländer hatten ihn regelrecht ausgeplündert und ihm gedroht, ihn nackt auszuziehen. Kapitän Fitz Roy musste ihn deshalb schleunigst wieder an Bord nehmen und brachte ihn später nach Neuseeland, wo sein Bruder ebenfalls Missionar war.

Im Sommer verliess der »Beagle« durch die Magalhaes-Strasse endgültig die östliche Seite von Südamerika und fuhr in den Stillen Ozean hinein. Am 23. Juli ankerte er in der Bucht von Valparaiso, dem Haupthafen Chiles, von wo man den höchsten Berg der Anden, den riesenhaften Vulkan von Aconcagua erblicken konnte. Darwin machte von hier einen Aufstieg in das Hochgebirge. Auf der später besuchten Insel Chiloe erlebte er am 20. Februar 1835 ein heftiges Erdbeben, wie es selbst die Einwohner in der Stärke nie erfahren hatten. In Concepcion am Festland stand kein Haus mehr, und es wurden 70 Dörfer in Chile zerstört. Darwin fand Concepcion und das benachbarte Talcahuano als wirre Trümmerhaufen. Trotzdem verunglückten kaum hundert Menschen, da alles beim ersten Stoss ins Freie gelaufen war. In den Ruinen brach dann Feuer aus, und überall wurde geplündert.

Im Mai überstieg Darwin von Santiago aus die Kordilleren, wobei er hohe und gefährliche Alpenpässe bewältigen musste. Ueberall machte er geologische Studien, und sein Tagebuch preist die unendlich weite, wundervolle Aussicht. Dann fuhr er nach Lima, der Hauptstadt von Peru, in deren Hafen Callao das Schiff sechs Wochen blieb und wieder einmal das Vergnügen einer südamerikanischen Militärrevolution genoss.

Im September 1835 verliess die Expedition endgültig die Festlandküste und segelte nach der genau auf dem Aequator liegenden Gruppe der Galapagosinseln. Obgleich diese zehn vulkanischen Inseln schon weit im Stillen Ozean liegen, gehören sie doch geologisch noch zu Amerika, und Darwin fand hier eine ganz seltsame Tierwelt, die zwar amerikanische Grundformen zeigte, sich aber in Einzelheiten ganz verändert und sogar auf den verschiedenen Inseln noch verschiedene Varietäten gebildet hatte. Diese Galapagosinseln wurden für Darwins Ansichten sehr wichtig, denn hier entstand nach seiner eigenen späteren Aussage zuerst in ihm die Idee der Veränderlichkeit der Arten, die Grundlage seiner Entwicklungstheorie.

Im Oktober fuhr der »Beagle« nach Westen und erreichte am 15. November die klassische Insel Tahiti. Darwin fand die Eingeborenen sehr verändert gegen die Zeit, da Cook zum ersten Male dorthin kam. Missionare hatten das Christentum eingeführt und Flötenspiel und Tanz, aber auch Kriege und Kindermorde abgeschafft. Das Idyll von Tahiti, das die ersten Europäer so entzückt hatte, war verschwunden, die Eingeborenen waren moralischer geworden, stahlen weniger, handelten aber sehr raffiniert und wollten als Bezahlung nur Geld haben, das einige in grossen Summen aufhäuften.

Am 26. November fuhr das Schiff wieder ab und erreichte am 19. Dezember Neuseeland. Am 30. Dezember fuhr es weiter nach Australien, wo es am 12. Januar 1836 im Hafen von Sydney landete. Auf einer Landexpedition wurde Darwin zu einer Känguruhjagd eingeladen, bei der er aber weder ein Känguruh noch einen wilden Hund, einen Dingo, zu sehen bekam. Doch erbeutete er ein Exemplar des berühmten, rätselhaften Schnabeltiers, von dem man damals noch nicht wusste, dass es Eier legte. Es folgte dann noch ein Besuch auf Tasmanien, und Mitte März verliess das Schiff Australien, um einen Abstecher nach den Keeling- oder Kokosinseln im Indischen Ozean zu machen. Diese Inseln waren aus Korallen gebildete Atolle, wie es deren ja so viele im Stillen Ozean gibt. Bisher hatte man alle diese Inselgebilde für unterseeische Krater gehalten mit Korallenaufbau. Darwin aber enträtselte ihre Entstehung, indem er sie für Umrisse langsam versunkener Inseln erklärte, auf denen die Korallentiere, die immer eine gewisse Meerestiefe zum Leben brauchen, sich nach und nach weiter emporbauen.

Der »Beagle«, der sich ja jetzt schon auf der Rückfahrt befand, lief dann noch die Insel Mauritius, das Kap der Guten Hoffnung und St. Helena an und war am 2. Oktober 1836 wieder in England.

Die beiden klassischen naturwissenschaftlichen Reisen, die Humboldt und Darwin unternahmen, und ihre noch heute sehr wichtigen Reiseschilderungen haben die folgenden Generationen der Naturforscher aufs stärkste angeregt. Der Engländer Alfred Russel Wallace, der Mitbegründer der modernen Entwicklungstheorie, verbrachte lange Jahre, immerzu wundervolle Sammlerschätze anhäufend, auf dem Malaiischen Archipel, der Heimat des Orang-Utans und des allzuherrlichen, aber gerade darum dem Untergang geweihten Paradiesvogels. Ebenso hat der Vater der modernen Tierkunde, Alfred Edmund Brehm, grosse Forschungsreisen gemacht und sehr interessante Bücher darüber geschrieben.


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