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XVIII

Die Idylle von Bali – Dämonische Kunst – Das Opfer im Tempelhofe – Wandelnde Karyatiden – Fromme Frauen

Nach Soreabaia, einer schmutzigen Stadt voller Prätention und Geldgier, ist Bali eine Idylle. Eine seltsame, ostländische Idylle von ganz besonderem Kolorit und ganz besonderer Kontur. Vor allen Dingen dürfen wir natürlich nicht an andere Idyllen denken, nicht an Theokrit oder Virgil. Bali ist eben Bali und nichts anderes. Nach dem häßlichen Betrieb in Soreabaia hier dieses Meer, diese Palmen, diese vielen Tempel – Poeras –, diese schönen, malerischen Menschen. Diese Buddhisten. Der flammenzackige Wajangpuppenstil ihrer Heiligtümer freilich bereitete mir einige Enttäuschung. Ich hatte zuviel von balischer Architektur und Bildhauerkunst gehört. Die gespaltenen Tore zu den Tempelhöfen zwar wirken zierlich – sie sind spitz, doch rings um den Spalt abgestumpft. Jedoch die Bildhauerarbeiten, mit der diese Tore und die Tabernakel überladen sind, wirken immer wieder wie ein Alpdruck mit ihren scheußlichen Gesichtern und Teufelsfratzen. Von »Tempeln« kann man übrigens nicht eigentlich sprechen. Es sind vielmehr Tempelhöfe, in denen offene Schreine und Heiligenhäuschen stehen. Oft sieht man auch nur ein vergoldetes Gestühl im Schrein oder im Tabernakel: darauf senkt sich an bestimmten Tagen und Stunden der Astralleib der Gottheit unsichtbar herab. Diesem unsichtbaren Wesen wird dann der Duft von Blumen und Früchten als Opfer von reichgeschmückten Frauen dargeboten, die dabei von einem einzigen Priester oder Pedanda unterstützt werden. Diese Opfer sind im Grunde genommen etwas sehr Schönes und Rührendes. Ich will später einmal versuchen, sie mit all ihrem zarten Glanz und der ganzen ihnen eignenden Frömmigkeit zu beschreiben.

Über die Wege, an den Sawahs entlang und vorüber an den Poeras und Dessas, die sich mit ihren flach gedeckten Häuschen hinter Mauern aus Lehm wie kleine Kratons verbergen, bewegt sich das Volk, wandert meilenweit, tragen die Frauen ihre Lasten. Nackte Hirtenknaben, deren ganze Gewandung ein aus Palmenblättern geflochtener Hut bildet, hüten die sehr schönen, glatthaarigen, sanftäugigen Rinder. Wo man hinblickt, eine Schönheit, die immerfort wechselt. Ich will ihre Farben und Konturen nicht gleich auf einmal beschreiben. Doch wenn ich späterhin davon spreche, werde ich immer wieder diese Idylle vor Augen haben – diese Idylle mit den Hirten und Landbauern, den opfernden Frauen und Kindern des fernen Ostens. Das moderne Leben hat hier nur ganz wenig abgefärbt; alles hat sich noch beinahe unverfälscht so erhalten, wie es in alten Zeiten war, in einer Zeit, die nicht griechisch oder romanisch, sondern asiatisch, aber ebenso »antik« war wie die anderen beiden. Wer diese uralte Zeit auch in ihren ostindischen Formen liebt, kann sie in Bali noch heute vor sich sehen.

Das hat mich hinweggetröstet über die Enttäuschung, daß ich die eigentliche Architektur und Skulptur hier nicht so schön fand, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich vermißte in dieser Kunst stets die alles auflösende, klärende, emporhebende Gestalt des Buddha. Es ist ein wunderbarer Gedanke, daß die niemals abgebildete Gottheit sich unsichtbar in die Tabernakel herniederläßt, daß sie unsichtbar sich von den aromatischen Düften der ihr dargebrachten Opfer nährt. Allein infolge dieser Vorstellung bleibt die Bildhauerkunst nur immer bei ihren Spukgestalten der bösen Riesen mit Hauern und höllischen Racheteufel stehen. Etwas Zartes und Feines liegt bei diesem Gottesdienst gerade in der Unsichtbarkeit der Gottheit und in den allerliebsten Zeremonien, die dort die Frauen verrichten. Grausam und kunsttötend aber ist die stete Wiederkehr dieser teuflischen Motive böser Riesen und Rachegeister. Der Künstler hat sich im Laufe der Jahrhunderte sonst mehr in der Darstellung des Himmlischen als in der Darstellung des Höllischen ausgezeichnet; die Engel des Fra Angelico sind paradiesische Wesen, an die wir glauben; jene Teufel aber bleiben stets grotesk.

Dennoch machen in Bali die unzähligen Heiligtümer, die man am Wege und in den Dessas antrifft, mit ihren verwitterten Farben und ihren bemoosten Steinen einen schönen Eindruck, wie sie da so unter den hohen Palmen und den Schatten der riesengroßen Waringins liegen. Diese Waringins sind die Patriarchen und Anachoreten unter den Bäumen; sie scheinen mit ihren Laubdomen in den Himmel zu streben, doch immer wieder klammern sich ihre Wurzeln, die sich herabsenken und die Erde suchen, wieder an das Irdische.

Im Jahre 1917, zur Zeit des Erdbebens, sind viele dieser Poeras teilweise eingestürzt. Sie wurden wieder aufgerichtet, und das ist das Lebendige in dieser wahrlich nicht allzu großen Kunst: sie werden dank den Anregungen des Architekten Mooyen wieder hergestellt, und ich habe Bildhauer an der Arbeit gesehen, die – selber Brahmanen – den Parasstein mit Hammer und Meißel bearbeiteten, als täten sie ein frommes Werk; und wenn ich mich nicht täusche, schufen sie die antiken Motive in Blatt, Arabeske und Dämonenköpfen rein aus dem Gedächtnis nach. Diesen Brahmanen wurde ihre Arbeit nicht mit Geld vergütet. Wahrend sie arbeiteten, dachten sie an Mahabarata und Ramayana und durchlebten vielleicht die ganze Größe ihrer uralten Epen.

Werden diese hindustanischen Bauwerke, deren interessantestes Merkmal die gespaltenen Pforten sind, vielfarbig angemalt, so wirken sie äußerst unschön, besonders dann, wenn sie so wie erst kürzlich nur mit Gelb und Blau ganz grob angestrichen werden. Indessen die Feuchtigkeit sorgt dafür, daß diese Farben bald weniger grell wirken, und üppiges Moos überwuchert alles.

Seltsam berühren die eingemauerten Teller und Schüsseln in den Mauern der Heiligtümer – hin und wieder sieht man sogar eine Kristallschale auf dem Dach stehen –: sind es die Teller, auf denen die Opfer dargeboten werden? Die wertvolleren Stücke – es waren alte Delfter darunter – sind verschwunden; und fast alle diese Teller sind nun zerbrochen, zerschlagen.

Alles ist unordentlich, ungepflegt, zerfallen. Zwar baut man hin und wieder neu auf, doch man denkt nie daran, Altes zu konservieren. Der Orientale ist gern schöpferisch tätig; aber selten versteht er, Geschaffenes mit der nötigen Sorgfalt zu pflegen. Hat er seine Arbeit einmal vollendet, so mögen die Götter weiter dafür sorgen!

In Singaradja führt uns der Resident Damste, der über alles erwünschten Aufschluß gibt. Hier ist die Verbrennungsstätte, wo die Leichen auf den Scheiterhaufen gelegt werden; hier sind die heiligen Bäume, an denen Rama, der Fürst der Unterwelt, die Seelen aufspießt und foltert.

Und auf diesen Basreliefs und auf Leinwand gemalten Friesen sowie auch in dem offenen Rathaus am Passar, wo das Volk die goldenen Sessel der Fürsten sehen kann, enthüllen sich wiederum andere Höllenfoltern.

Hat der Verstorbene kein Geld hinterlassen, wovon die Verbrennung bestritten werden kann – insbesondere der Leichenschmaus, der den Leuten geboten werden muß, ist sehr kostspielig –, so wird er zunächst begraben und erst später zugleich mit zehn anderen verbrannt. Und danach wird seine Asche in das Meer geschüttet. Über die Brandung hinweg wird sie ausgestreut. Die Brandung reißt sie mit sich, wirft sie wieder über das Land, dann wieder in die tiefen Wasser zurück. So mischt sich die Asche mit Land und Meer, mit Wasser und Erde: der Körper kehrt zu seinem Ursprung zurück.

Die Stimmung, die eine derartige Vorstellung weckt, überkam mich in dem Poera Pondok-Batoe, dem Tempel, der an dem Wege neben dem Ozean auf einem Hügel liegt und auf das Meer schaut, das da tief unten brandet und rauscht. Es war eine späte, graue Nachmittagsstunde. Die Riffe im Meere erinnerten an die Bauart von Pforten und Tempeln: derselbe flammenzackige, gekünstelte Stil. Eine Steintreppe führt in den Tempelhof, der mit dunklen, dichtblättrigen Cambonjabäumen bestanden ist. Vor einem alten Götterbilde – an diesen Orten trifft man sehr selten ein buddhistisches, eher ein hindustanisches Bild – lag ein frisches Opfer: ein großes, viereckig zusammengelegtes Pisangblatt, darin Blumen, Tabak, Sirihblätter und ein wenig weißer Kalk zwischen vereinzelten, entblätterten Combodjablumen. Drunten in der Tiefe brauste die Meeresbrandung, sonst tiefste Stille rundum ...

Plötzlich kam mir deutlich zum Bewußtsein, wie gänzlich verschieden von allem, was ich auf Java, auf Sumatra bisher gesehen und empfunden hatte, diese Atmosphäre war ... Mit den großen Sunda-Eilanden ließ es sich in keiner Weise vergleichen. Es war etwas durchaus anderes, durchaus einzig stand es da. Und es war ... wie ein Überbleibsel aus Modjopahit, gleich als hätten diejenigen, die vor Jahrhunderten aus Ostjava vor der Fahne des Propheten geflohen waren, hierher etwas nicht Greifbares, kaum Sagbares mitgenommen und all ihr Weh um das Vergangene darein gemengt ...

So hing es nun, so schwebte es da unter dem Schatten der stillen, großen Blätter wie das Lied der weißen Brandung, die da unten zwischen den Riffen sich hob und senkte, den Riffen, deren zerissene Formen den Baumeistern als Vorbild gedient haben mochten, die sich zugleich an die Tradition der Heiligtümer in ihrem verlassenen Vaterlande hielten.

Solch eine Stimmung vermag wohl über die Enttäuschung hinwegzutrösten, von der ich bereits sprach. Und wenn diese Enttäuschung erst einmal überwunden ist, nimmt Bali den Beschauer durch seine vielfältige und interessante Schönheit bald gefangen.

Immer wieder sehen wir ganz plötzlich und unerwartet Bilder, die wie Szenen aus dem asiatischen Altertum wirken. So zum Beispiel an jenem Abend, da wir unzählige Frauen gewahrten, die über ihren nackten Oberkörpern den Opferkorb wie Königinnen auf dem Kopfe trugen. Diese Körbe waren sehr kunstvoll mit Blumen und Obst gefüllt. Die Pisangkämme – man spricht von einem Kamm, »Sisis«, des Pisangs – ragten wie ein spitziges Diadem aus all dem hoch aufgestapelten Obst hervor. So schritten sie ... wohin?

Zu einem nahe gelegenen Tempel, einer »Poera«. Es hatte an diesem Tage geregnet; die Dämmerung senkte sich bereits hernieder, Hunde kläfften vor dem Tempeltor, ein Schwein schnüffelte im Schlamm. Das Schwein und die häßlichen Gladakhunde, der abscheulichste, bissigste Hundetyp, dem ich jemals begegnet bin, vertreten das irdische Element. Die stolzen, frommen Frauen aber, die auf den Stufen zum Tempel emporschritten, erscheinen mir wie wandelnde Karyatiden. Drinnen im Tempelhof war ein einziger Priester, der Pedandja – der einzige Mann unter ihnen. Und die Frauen stellten ihre Körbe vor die unseren Augen leer erscheinenden Tabernakel: sie, diese Opferspenderinnen, aber sehen dann wohl in der Abenddämmerung schon, wie die unkörperliche Gottheit sich an dem Aroma des Obstes, an dem Duft der stark riechenden Blumen erlabt.

Und da war nun wiederum diese ganz besondere Stimmung, dieser Nachhall asiatischen Altertums. Nirgends auf Sumatra, nirgends auf Java verstehen die Frauen den Göttern in ihren Tempeln so poesievoll zu dienen. Hin und wieder opfern sie wohl vor diesem oder jenem Götterbilde und folgen damit einem hindustanischen Aberglauben, der sie wähnen läßt, daß dann ihr Schoß gesegnet werde. Nirgends aber wird das Opfer in einer so tiefinnerlichen Frömmigkeit dargebracht wie auf Bali. Die Männer spazieren nur immer mit ihren Kampfhähnen umher, die sie stets liebkosend auf dem Arme tragen. Die Frauen aber und auch die Kinder sind so fromm und opfern und beten ... Nach dreitägigem Aufenthalt ging es vom Norden, von Singaradja, nach dem Süden, wo besonders Bali malerische und eigenartige Eindrücke vermittelt, und dann weiter gen Westen: nach Karang-Assem und zu dem bösen Batoerberg. Seltsam, wie dürr, wie unbewohnt, wie unbeseelt, wie belanglos der östliche Teil von Bali wirkt, und wie sich der ganze Volksreichtum und alles Beseelte in dem üppigeren Süden, in dem strengeren Westen zusammendrängt.


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