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XII

Der Triumph des Autos – Das Toba-Meer, ein blaues Juwel – Raubbau – Blaue Capri-Grotten – Die abgetrennte Halbinsel

Die große Tat ist getan. Die Riesentour quer durch Sumatra, von Medan vorüber am Toba-Meer zu dem Hochland von Padang und nach Padang. Padang selber liegt hinter uns. Wir rufen laut: »Viktoria!« Die Fahrt, von der uns viel erzählt wurde, zu viel vielleicht, als daß es ohne Enttäuschungen hätte abgehen können, war keine Enttäuschung, sondern – im Gegenteil – ein Triumphzug, der drei Wochen währte, denn wir haben uns nicht beeilt. Man kann die Strecke auch in vier, fünf Tagen zurücklegen. Aber das nenne ich »Kilometerfressen«, und ich will mein Ziel lieber langsamer erreichen und die tausendfältige Schönheit, die solch eine Fahrt mir bietet, ruhig einen Tag länger auskosten.

Nach unseren prächtigen Steppen-, Wüsten- und Bergfahrten in Afrika hatte ich beinahe eine gewisse Abschwächung gefürchtet. Allein Sumatra ist ganz etwas anderes. Während dort drüben die schlichte, strenge, straffe Linie vorherrscht, umgibt einen hier auf Schritt und Tritt majestätische, wenngleich sehr ernste und erhabene Pracht und Größe. Welch ein Glück, diese sublime Größe der Natur, in deren epischem Fluß das Toba-Meer, einer Idylle gleich, flüchtig auftaucht, wie ein liebliches Poem inmitten eines titanischen Heldengedichtes von Bergen und Wäldern, Tag für Tag, drei Wochen lang um sich zu haben! Der Wettergott war uns günstig: wenngleich oft Regen drohte – Sumatra kennt nicht die ausgesprochenen Dürre- und Regenzeiten wie Java (trockene und nasse Monsune) – brauchten wir dennoch keinen einzigen Tag als völlig verregnet und verloren zu buchen.

Unser kleiner Wagen, der von zwei ganz prächtigen, unvergleichlichen javanischen Chauffeuren – Imân und Tahir – gesteuert wurde, hat gesiegt, ohne auch nur einen Augenblick zu versagen. Es platzte nicht nur kein Reifen, sondern es gab auch am Motor nicht den geringsten Defekt, der Tahir gezwungen hätte, sich als tüchtiger Mechaniker zu bewähren. Diese Triumphfahrt brachte uns erst zu den Bergen empor, vorüber an Abgründen und Lebensgefahr. Wir blickten zwar in die Abgründe, aber an die Lebensgefahr dachten wir keinen Augenblick. Übrigens waren auch die Abgründe von unserem Wege aus nicht immer zu sehen, denn dichte Zweige und Blättermassen verhüllten die Tiefe unseren Blicken, bis wir uns plötzlich bei irgendeiner Biegung erst dessen bewußt wurden, an was für ungeheuren Schluchten wir unter Tahirs und Imâns Führung vorübergefahren, vorübergerast waren.

Hier offenbarte sich uns die imposante Schönheit einer uralten, vulkanischen Welt, die trotz aller gewaltsamen Umwälzungen ein Paradies von Riesen und Göttern geblieben ist. In dieser Natur liegt etwas Gigantisches, und inmitten dieses Gigantischen breitet sich das Toba-Meer wie ein blaues, in die zum Teil perlenweißen, steil aufstrebenden Felsen eingefaßtes Juwel.

Man hatte uns von alledem nicht zu viel erzählt. Auch ich kann meinen Lesern leider nur allzuwenig darüber sagen, weil sich die Herrlichkeiten der Bergumrisse, der gewaltigen Baummassen, des verschwimmenden Horizonts am goldenen Mittag oder violetten Abend nicht gut mit unseren dürftigen, schon allzu stark abgenutzten Worten schildern lassen. Ich wünschte, ich könnte neue Worte finden. Aber ich bin nun einmal nicht reicher, als ich eben bin. Ich will versuchen, aus meinem kleinen Vorrat wenigstens die Worte zu wählen, die einigermaßen die Schönheit dieser Fahrt wiederzugeben vermögen. Seriboe Dolok – die »Tausend Hügel« – erheben sich in der guten Jahreszeit in wogendem Grün rundum auf allen Seiten. Gezählt hat sie wohl keiner, nur abgeschätzt und dann mit der Zahl benannt, die in dichterischer Sprache ihre Unzählbarkeit ausdrückt. Sie verschwimmen in Luft und Licht: immer weiter weicht dieser Horizont zurück. Plötzlich führen Batakleute einen Zug prächtiger Pferdchen am Wege entlang, kleine, lebhafte Tiere mit schlankem Nacken, feurigen Augen und kaum zu zügelnden Bewegungen. Aus der Kreuzung mit der Sandel-Rasse sind diese Batak-Pferde als sehr edler Schlag hervorgegangen. Die jungen Tiere werden auf dem Rasen freigelassen, damit sie sich austoben können. Dann werden sie wieder eingefangen. Nun, da wir an ihnen vorüberschießen, bäumen sie sich hoch auf, recken sich und wiehern laut. Auf den Hügeln wuchert der Alang-Alang und das für den Eingeborenen ganz nutzlose Federgras: allenfalls nimmt er es, um für seine geliebten Turteltauben ein kleines Vogelbauer daraus zu machen. Keine andere Pflanze vermag sich neben dem alles überwuchernden Alang-Alang zu behaupten; ich aber denke, wenn ich das hohe Federgras seine Büschel so aufrecken sehe, immer wieder an die Tiger, die königlichen Tiere, die sich hier so wunderbar leicht verbergen können. Allein das Auto, das weiterrast, ist in seiner Art auch etwas Königliches. Und selbst zu so später Stunde ist kaum anzunehmen, daß Er, dessen gestreiftes Fell zugleich an den Schatten und an die Tönung der gelben Grashalme gemahnt, es wagen würde, seinem Haß gegen dies neue, unermüdlich über die Wege rasende, fauchende, bei jeder Wegbiegung laut aufheulende Tier freien Lauf zu lassen.

Wir sehen die ersten Reisfelder »Padangs«, die »trocken« bebaut sind. Später erst, weiter im Süden, werden wir die soviel schöneren, feuchten Terrassen sehen, auf denen der »Padi« mit geheiligten, frommen Bräuchen, zartes Pflänzlein auf zarte Pflänzlein, in den fetten, stets von Wasser überströmten Boden gesetzt wird.

Indessen geben die verschwimmenden Konturen der Berge uns den Trost, daß die bezaubernden Reisterrassen einstweilen noch in weiter Ferne liegen ... Der Sinaboeng, der Boeatan, der Piso-Piso erheben sich und verschwinden hinter den grünen »Tausend Hügeln«, um dann wiederum zart, dünn, durchsichtig, blaßblau, fast unwirklich an dem nun zum Greifen nahen Himmel aufzutauchen. Das Licht selber, ein nebelflüchtiger Dunst, scheint dem Himmel diese stärkere »Greifbarkeit« zu verleihen als den Bergen. Man möchte in törichtem Hochmut und voller Heimweh nach dem ewigen Blau in diesen azurnen Himmel hineingreifen; die Berge indessen weichen wie ein scheinbar unantastbares Geheimnis immer weiter zurück. Ist der Vogel nicht eigentlich das einzige Geschöpf, das ein solches Geheimnis zu lösen vermag? Läßt nicht der Adler sich wiegend herab auf diese unantastbaren Berge, und steigt er nicht auch empor in die Lüfte, deren Höhen und Tiefen uns so endlos scheinen?

Was aber sind das für schwarze oder kahle Stellen? Hier und dort, über den Bergen und in unserer nächsten Nähe, werden dunkle, versengte Ebenen sichtbar wie ausgebrannte, dunkle Wunden. Das hat der »Raubbau« angerichtet; der Raubbau, mit dem der Eingeborene schon seit Jahrhunderten im Bergurwald Feuer anlegt, um dann auf die ausgebrannte Stelle Reis oder Mais für eine einzige rasche Ernte zu pflanzen und danach die mißhandelte, ausgebeutete Stätte zu verlassen und anderswo den gleichen Raubbau zu treiben, ohne auch mit dem leisesten Gedanken darauf zu kommen, daß er etwa in dem so geschädigten Berg neue Bäume anpflanzen müßte, Bäume, ohne die der Berg langsam hinsterben und zu jener Erde werden muß, aus der er sich einst in vulkanischem Krampf emporwarf, um dann weiter in üppigster Vegetation zu grünen und zu blühen ... Jetzt sind auf den so grausam gemarterten Bergleiten diese schwarzen Stellen zu erkennen, die dunklen Wunden der verlassenen Gründe, und das Auge vermag nur daran noch Freude zu haben, daß es Schattierungen von dunklem Grau und Blau und Schwarz gewahrt, dort wo sich die düsteren Farben mit dem satten Grün mischen. Dürftig, baumlos steht der Piso-Piso mit seinen kahlen Hängen da, dieweil sein bewaldeter Gipfel wie mit einer Mütze bedeckt ist. Dort, inmitten der basaltenen Flanken und grünen Abhänge, schimmert der erste blaue Schein des Toba-Meeres, und das Tafelgebirge von Samosir, das Eiland, das weit in das Meer hineinragt, steigt auf – wunderbar schön mit seinen strengen, weißen, gradlinigen Umrissen. Wir nähern uns Perapat, wo wir ein paar Tage bleiben wollen, weil es schade wäre, all diese Lieblichkeit gar zu rasch zu verlassen.

Was sich hier in früheren Jahrhunderten abspielte, bleibt Geheimnis wie die ungeheuren Umwälzungen, vulkanischen Eruptionen und Erdbeben, die hier immer wieder das Äußere der Erde verwandelt haben, gleich als hätten wilde Leidenschaften sie durchwühlt und erschüttert. Das Toba-Meer scheint ursprünglich ein furchtbarer Krater gewesen zu sein, in dem das Eiland Samosir, vom Meereswasser umspült, ungefähr die Form dieses Meeres selber behielt; es ist, als seien die Felsmassen vom Gipfel des Berges in die Krateröffnung gestürzt, und als habe das Meerwasser diese Massen dann nur umschließen, nicht verschlingen können. Nun zieht sich das Meer als ein verhältnismäßig schmales Gewässer rings um das Basalt-Eiland hin und findet nur gegen Norden die Möglichkeit, breiter und weiter auszuströmen.

Von all diesem Ungeheuren ist nichts weiter übriggeblieben als eine Lieblichkeit, die zugleich imposant ist, weil in dieser Natur nichts klein wirken kann. Und wenn wir das Toba-Meer »lieblich« nennen, so wollen wir nicht vergessen, daß ja auch eine Göttin lieblich sein kann. Sein Reiz läßt sich nicht mit dem italienischer oder schweizerischer Seen vergleichen. Fahren wir über das Meer, so bereiten uns die beinahe viereckigen Buchten, die von steilen, weißen Bergwänden umschlossen sind, stets neue Überraschungen. Dort oben nisten die Schwalben. Felsvorsprünge sind mit hohem, wogendem Federgras grün überzogen: Halme bringen einen pastoralen Zug in die große, gewaltige Natur. Der Pasangrahan liegt auf einem dieser Kaps, die ins Meer hinausragen. Unmittelbar daneben steht das kleine Hotel. Wen die Lust anwandelt, der steigt hügelab und badet im Meere. Das Dorf mit seinem kleinen Hafen, in dem sich an Markt-(Passar-)tagen die unzähligen »Sampangs« der Marktbesucher zusammendrängen, liegt hinter Kokospalmen versteckt. Hier wohnen viele Batak-Fischer. Schlanke Kanus, deren geschnitzte, buntfarbige Vorder- und Achtersteven Fisch- oder Drachenmotive aufweisen, heben sich mit ihren hellen Segeln wie seine Silhouetten von Wasser und Himmel ab. Das Wasser kräuselt sich kaum. So licht sind all diese Farben, daß wir staunen müssen: niemals hatten wir uns solche opalene Zartheit vorgestellt, wie sie, mit nichts anderem vergleichbar, nur dem Osten eigen ist.

Baien und Buchten sind in die Küsten eingeschnitten. Kleine Inseln, ganz bewachsene Felsen liegen dort wie zufällig hingestreut. Ziegen und Schafe werden von braunen, nackten Knaben auf die grasigen Abhänge geführt, und während die Herde weidet, baden diese kleinen Hirten. Einige von ihnen schöpfen Wasser in lange, weite Bambusrohre und klettern mit diesen gefüllten Fässern selber wie Ziegen die Hügel hinan. Am Meere liegen die Netze der Fischer dicht unter dem Wasserspiegel über Bambusgestellen unter einem kleinen Dach. Alles verschwimmt in einem perlenzarten Licht. Hier und dort sitzen der Fischer dunkle Gestalten und passen auf, daß nicht ein Fisch ihr Netz wegziehe. Und dazwischen ertönt wieder und immer wieder aus dem hohen Federgras der sehnsuchtsvolle Klang einer Flöte.

Unser Motorboot führt uns hierhin und dorthin, an den steilen Tafelwänden entlang. Dieses Wasser nennt der Malaie das »süße Meer«, das Meer ohne Salzwassergeschmack: »laut Tawar«. Wie bei der blauen Grotte auf Capri verschwindet es immer wieder zwischen steilen, weißen Felsen; tief drinnen sieht es dann beinahe schwarz aus. Orchideen lassen ihre langen, blühenden Zweige beinahe bis ins Meer schleifen.

Uns folgen unzählige nackte Knaben in Booten, die aus einem hohlen Baumstamm gebildet sind. Sie rudern mit einem einzigen Ruder. Die Kinder erklimmen den Felsen, pflücken Blumen, reißen Orchideen und Schlingpflanzen ab. Aber auch unter dem durchsichtigen Wasser wuchert eine fremdartige Pflanzenfülle.

Hier sind die heiligen Steine: sie wurden mit Blut besprengt, wenn eine Schlacht gewonnen war, denn die Eingeborenen, die an diesem Meere wohnen, kämpften noch vor einem Jahrhundert gegeneinander. Wurzeln und Mabarbäume reichen mit ihren Zweigen tief hinab in das Wasser und verweben sich dort zu einem durchsichtigen Gitterwerk. Von unseren Booten aus blicken wir auf die seltsamen Hieroglyphen in diesem Felsstein, die eines fremden Volkes »Annalen« sind. Kleine Leitern und Grotten sind da in den Stein gegraben: sind das wohl wirklich Schriftzeichen? Das alles spiegelt sich in dem klaren Wasser wieder.

Wir steigen bei dem Kampong aus, der unmittelbar am Meere liegt, wiederum an einer fast viereckigen Bucht; vor uns liegt das »Tafelgebirge«, wenn ich es so nennen darf, und zur Seite haben wir die Umrisse der Felsen. Vier, fünf Häuschen; arme Fischer, nackte Kinder. Während wir wieder unser Boot besteigen, jagen die braunen Knaben in ihren ausgehöhlten Baumstämmen hinter uns her: eins mit ihrem Boot, eins mit dem Wasser, das ihnen Bad und Spiel bedeutet, das ihr Element ist, und aus dem sie ihren Lebensunterhalt gewinnen. Sie brauchen zum Leben nichts anderes als Wasser und einen hohlen Baumstamm.

Nun fahren wir weiter über das Meer. Viele Berghänge sind »abgeladangt« – »Ladang« heißt das trockene Reisfeld –, der gleiche »Raubbau« ist überall zu gewahren; um einer einzigen raschen Ernte willen ist der Wald abgebrannt, der Berg kahl, wie mit einer eingefressenen Wunde zurückgelassen. Allein die trockenen Stellen verschmelzen mit dem zarten, lichten Steingrau und bringen Abwechslung in das eintönige, regenfrische Grün, verschwimmen weiterhin zu blauen Tönen.

Das Eiland Samosir war einst eine Halbinsel, die durch einen schmalen, natürlichen Deich mit dem Festland im Westen verbunden war. Im Interesse einer besseren Kanuverbindung hielt es der Resident Welsink für ratsam, diesen Deich, diese »Nabelschnur«, verschwinden zu lassen. Die Batakker aber fürchteten, daß nun das Eiland, wenn es nicht mehr von der Schnur festgehalten wäre, in das Meer hinabstürzen würde ...

Eine große »Sedeka«, ein heiliges Festmahl, wurde gegeben; dreißigtausend Kulis strömten von nah und fern herbei; im Laufe eines einzigen Tages wurde der natürliche Deich durchbrochen: und die Halbinsel war nun eine Insel, und Samosir taumelte nicht in das Toba-Meer ...

Dort liegt es. Seine sonst grauen, glänzenden, basaltenen Steinwände schimmern jetzt rosig im Widerschein der sinkenden Sonne. Die Kanus, die »Sampangs« – die hohlen Baumstämme – wirken wie Sepiastreifen auf dem purpurroten Wasser. Und die Flöte, die wir am Morgen hörten, erklingt von neuem zwischen den Grashalmen, doch nun ist es ein anderes Motiv. Es ist, als löse das Motiv der Sehnsucht sich auf in ein anderes voll wehmütiger Resignation, dieweil die Sonne nun bereits sinkt, der Mond schon seine gespenstige Silberscheibe heraufführt, und der allererste Stern am Himmelsgewölbe funkelt.

Nach zwei Tagen setzen wir unsere Fahrt fort.


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