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Ein Batak-Kampong – »Der Erhabene« – Nach den batakschen Oberlanden – Menschen und Urwald – Tiger-Aberglauben – Folgetiere

Der Batak-Kampong, in den ich meine Leser nun führen will, heißt: Poeloe-Pakoeng. Der Besuch des Gouverneurs war angesagt worden, und so bemerkten wir bei unserer Ankunft, daß Schweine und Hunde anscheinend besser als sonst ihren Dienst als Straßenreiniger versehen hatten. Ich möchte, um dieses wenig appetitliche Thema so bald als möglich wieder fallen lassen zu können, nur noch bemerken, daß alle Aufräumungs- und Säuberungsarbeiten hier lediglich von diesen beiden Tierarten vorgenommen werden. Das Dorf ist nun in der Tat ganz sauber. Die Häuser sind sehr eigenartig auf Felsen erbaut, sie haben ein sehr hohes Atap-Dach, das links und rechts steil und spitz aufsteigt. Ein solches Dach ist oftmals um mehrere Meter höher als die Mauern selbst. Die Holzwände sind stets durch ein Flechtwerk mit Eidechsenmotiven zusammengefügt. Hin und wieder sieht man eine geschnitzte Schlange sich über eine Dachluke schlängeln. Diese Schlange »bewacht zu nächtlicher Stunde die Seelen der schlafenden Hausgenossen«, damit sie nicht der Macht böser Geister erliegen und entweichen. Der »Idjoek«, die schwarzhaarige Faser, die in den Stengelansatzstellen der Arenbaumblätter wächst, wird für den »Atap«, die Dachbedeckung, benutzt. Mit Geld und Reis gefüllte irdene Schälchen hängen an den Büffelhörnern, die über die Dachspitze hinausragen. Eine Holztreppe dient als Zugang zu dem Hause.

Das Haus ist groß, denn es wohnen jeweils acht Familien in einem sogenannten »Soekoe« zusammen. Ein Feuer, das niemals ausgeht, spendet allen Wärme. Jede Familie hat hier ihr mehr oder weniger abgeschlossenes Kämmerlein. Hin und wieder ist die Lagerstätte der Eltern nur durch einen Stofflappen abgetrennt, vor dem die Kinder schlafen. Die Knaben freilich ruhen, sobald sie über das Kinderalter hinaus sind, nicht mehr dort, sondern im »Haus der Jünglinge«, oder sie liegen hier, dort, auf einer Bank, unter dem Dache, so gut es eben geht.

Der charakteristische Eindruck des Kampong wird völlig bestimmt durch die merkwürdige Haussilhouette des großen, tief herabhängenden schwarzen Daches mit den feinen Büffelhörnern. Reisscheuern und Hühnerställe stehen auf Pfählen und sehen aus wie große, schlanke Körbe. Männer und Frauen gehen alle in indigofarbenen Gewändern, und ihre Finger sind immer blau von diesem Farbstoff, in den sie das Linnen tauchen. Dort drüben liegt so eine Indigoplantage.

Mitten zwischen diesen dunklen Häusern, unter diesen dunklen Menschen gehen nun Hund und Schwein einher. Insbesondere das letztere erinnert daran, daß die Leute hier keine Mohammedaner sind. Ihr Animismus kennt kaum etwas Göttliches. Es ist keine schöne Rasse; weder ihr Körperbau noch der Schnitt ihrer Züge ist irgendwie auffallend; sie haben etwas Plumpes. Nur unter den ganz jungen Mädchen findet man hin und wieder zarte Gestalten. Sie werden von den Männern gekauft. Wir sahen eine schöne, junge Frau, für die ein alter Batakker vierhundertfünfzig Gulden bezahlt hatte. Sie erzählte es voller Stolz. Sie tragen ihre blauen »Kains« straff über die Brust gespannt und einen blauen Lappen über der Schulter; ihr Kopftuch ist auf seltsame Art zu einem schweren Kissen gefaltet und mit einer hervorstehenden Hornnadel um den Kopf befestigt.

An jenem Tage hatten sie goldene Ketten und Armbänder und Ringe von ganz besonderer Machart angelegt; goldene, runde Verzierungen, platte Becherchen, kleine Schälchen waren auf diesen Ringen und Ketten und Armbändern angebracht. Doch der allerseltsamste Schmuck, den sie tragen, sind ihre schweren silbernen Ohrgehänge, die wie zwei aneinandergeschmiedete Fragezeichen wirken: das eine preßt ihnen unter dem Tuch das Ohr heraus, daß es schmerzt, während das andere mehr am Kopftuch emporragt und durch eine Lasche in senkrechter Lage festgehalten wird. Ganz junge weiße und mattgrüne Triebe der Pinang-Palmen stecken sie sich wie kleine Perlenquasten zwischen die Falten des kissenartig aufgelegten Kopftuches. Wir sahen deutlich, wie eines jener Mädchen unter dem schweren Ohrenschmuck litt, den sie nur mit Mühe abnehmen konnte – wir wogen ihn in unserer Hand und schätzten ihn auf etwa zwei Pfund. Unter den Männern, die dort umherschlenderten, waren noch ein paar frühere Menschenfresser – ein alter Mann mit typischem Verbrechergesicht wurde uns als ein berüchtigter Räuber bezeichnet. Wenn sie sich niedersetzen, so verwenden sie anstatt einer Matte das Nackenfell eines Pferdes, an dem zu beiden Seiten die Mähne als Franse stehengeblieben ist. Für uns waren Stühle hingestellt und Matten ausgebreitet worden; der Dorfälteste ließ uns aufgeschlagene Kokosnüsse anbieten. Das »Wasser« dieser jungen Kokosnüsse ist ein köstlicher Trank.

Der Dorfälteste oder, richtiger gesagt, der Oberste dieser ganzen Landschaft (»Landschaft« ist der offizielle Name für einen oder mehrere Kampongs), wurde als »Si-Bajak«, »der Erhabene«, angeredet, genau so, wie der Berg mit der Schwefelkluft genannt wird. Er sah aber trotz seines stolzen Titels sehr einfach aus und nahm nur zögernd Platz auf der Matte zur Seite des Kontrolleurs, der uns begleitete, und der mir ein schönes Pferdefell verehrte. Es wurde gesungen und gespielt. Und es tanzten erst zwei Männer, dann vier Mädchen, dann zwei Mädchen und ein Mann. Langsame, gemessene Bewegungen. Ein leise angeschlagener Gong, zwei Gendangs (kleine Trommeln aus Nagkaholz mit Zwerghirschfell bespannt), eine höher klingende Sroenai (Oboe) machten die schlichte, rhythmische Begleitmusik. Es traten auch Clowns auf, die lustige Tänze aufführten. Sie verzerrten ihre Gesichter zur Grimasse und versuchten, die anmutigen Mädchentänze in parodistischer Weise nachzuahmen. Sie hatten großen Erfolg. Die Batakker lachten sehr. Auch der Fächertanz, der nur mit den Händen ausgeführt wurde, war sehr eigenartig. Das Ganze gab ein außerordentlich interessantes, ethnographisches Bild: diese dunklen, tief herabhängenden Dächer, das dunkle Indigoblau und die schwarzbraunen Gesichter. Selbst die Schweine, die zwischen den Häusern umherschnüffelten, gehörten dazu. Die halb oder ganz nackten Knaben waren auf die Balken geklettert und sahen von dort oben her lachend dem Schauspiel zu.

*

Wir haben uns zu einer großen Exkursion entschlossen. Wir wollen im Auto von Brastagi an dem Toba-Meer entlang in das Padangsche Oberland fahren. Man kann als »Kilometerfresser« diese berühmte Fahrt in fünf Tagen zurücklegen. Ich fürchte aber, daß ich in so kurzer Zeit sehr wenig sehen und noch weniger darüber berichten könnte. Daher wollen wir uns lieber hier und da ein paar Tage aufhalten und in Pematang-Siantar den Anfang machen. Der Weg dorthin bietet die sich stets wiederholenden Schönheiten dieser Lande. Die Stadt selber erinnert an Medan, ist aber noch sehr jung: vielleicht darf man sogar behaupten, daß vor etwa zehn Jahren hier noch Kannibalen anzutreffen waren.

Die Gemeinde Pematang-Siantar stammt erst aus dem Jahre 1917. Breite Straßen und Wege wurden sogleich angelegt, um der neuen Stadt eine Zukunft als Zentrum der Kautschukunternehmungen zu sichern. Das Hotel ist sehr gut, das Rathaus nicht ohne ein gewisses vornehmes Ansehen. Ich erblicke da ein paar riesige Schachfiguren aus Stein, vermutlich König und Turm. Mit diesem Schachspiel, dessen einzige Überbleibsel die beiden gewaltig großen Stücke sind, pflegten die Fürsten von Nagoer und Batango häufig zu spielen. Ein solches Spiel dauerte ein ganzes Jahr und wurde auf einer weiten Hochebene gespielt. Die ungeheuer großen Figuren wurden zu jedem neuen Zug von Sklaven hin und her geschoben. Als Einsatz galten zwölf Sklaven. Einer dieser Fürsten besaß ein goldenes Schachbrett. Einst tauchte in weiter Ferne ein Feind auf – und die fürstlichen Höflinge warfen ihm in gewaltigem Schrecken die goldenen Figuren entgegen; der Feind aber stellte sie sofort auf und begann zu spielen: vergessen war der Krieg!

Ich sah das Internat, in dem die Söhne eingeborener Häuptlinge – man nennt sie hier schon sehr bald »Radja« – zu künftigen Herrschern erzogen werden. Die Knaben von sieben bis vierzehn Jahren sind jetzt noch in der holländisch-indischen Schule. Ich hörte ein paar von ihnen holländische Lieder singen. Sind sie erst vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, so kommen sie in die Verwaltungsbureaus.

An diesem Abend sollte ich mit dem Gouverneur, der inzwischen eingetroffen war, nach Tebing-Tinggi, wo ich einen Vortrag zu halten hatte. Auch dort ein Zentrum der Kautschukindustrie. Am Abend raste das Auto hinüber. Nichts ist geheimnisvoller als solch eine Autofahrt, die länger als eine Stunde auf schmalen Wegen zwischen Pflanzereien und durch die Pfützen des Bandjir hindurch führt, der den Weg überflutet hat, so daß das Wasser rings um uns hoch aufspritzt. Dann geht es nach der Vorlesung bei fahlem Mondenschein, der hinter Regenwolken vordringt, durch die Nacht zurück, und die Nachtschwalben, die auf den Weg niedergeflogen waren, erwachen und schwirren mit seltsam phosphoreszierenden Augen vor dem hellen Schein unserer Laternen erschreckt davon. Die beiden javanischen Chauffeure – zwei, die einander helfen und sich ablösen sollen – blicken unablässig starr vor sich hin; wir sehen, hinter ihnen sitzend, wie jedesmal, wenn sie scharf ausspähen, ihre andächtig lauschenden Ohren zittern. Ich glaube, könnten wir ihnen ins Herz schauen, so würden wir bemerken, daß sie sich mehr vor Gespenstern fürchten als vor Tigern.

»Sind hier Tiger?« frage ich meinen Begleiter. Diese Frage genügt, um ihn zum Reden zu bringen, denn er ist der geborene Erzähler. Ich erzähle die Tigergeschichten so nach, wie ich sie in dieser stimmungsvollen Mondnacht auf der Autofahrt von ihm hörte ...

Das wilde Tier ist oftmals der Freund des Menschen, und der Mensch auf Sumatra fühlt sich mit den Wesen des Urwaldes noch nahe verwandt. Es umweben sie geheimnisvolle, seltsame Sympathien, an die wir, je nach unserer eigenen Veranlagung, glauben, oder die wir ablehnen mögen. Überall in den malaiischen Landen, erklärt mein Gefährte, wo die Büchse die Ruhe noch nicht gestört hat, glaubt man an Kampong-Tiger, die nicht böse sind, sondern im Gegenteil die Menschen beschützen. In Boso im Oberlande von Padang hätte man neben den Ställen des Gouverneurs in dem Pagar ein Loch gelassen, weil der Folgetiger des Nachts dort vorüberschlich: fände er dieses Loch einmal geschlossen, so würde er sich an Mensch, Pferd oder Vieh rächen.

Im Jahr 1901, so berichtet mein Begleiter weiter, hätte er mit zwei Führern, Rhinozerosjägern, einen Urwald durchstreift. Sie zeigten ihm ihre Hütten: die waren zwar mit einem soliden Dach versehen, aber ganz ohne Wände. Die Asche des Feuers war frisch, aber ebenso frisch waren einige Tigerspuren rings um die Hütte. »Fürchtet ihr euch denn nicht vor euren gefleckten Vorfahren?« fragte er die Führer – nahmen doch die Seelen der Vorfahren oftmals Tigergestalt an! Allein einer der beiden lächelte überlegen und deutete auf seinen Kameraden. »Der da ist ja Pawang-Rimboe, der Herr des Waldes, und er wird von diesem Folgetiger bewacht.« Und es war kein Zweifel: rings um die offenen Hütten waren deutlich Tigerfährten zu erkennen.

Und nun möchte ich etwas ganz Seltsames erzählen. Im Jahre 1902 schoß ein Offizier, der zur Verwaltung gehörte, unweit Koeta-Radja einen Königstiger an einer Stelle, wo sich sonst niemals Tiger zu zeigen pflegten. Er befand sich auf der Schnepfenjagd in dem tausend Meter breiten Sawah-Streifen, und in einem Wäldchen gewahrte er plötzlich einen großen Tiger, der ihn ruhig anschaute. Zufällig hatte der Offizier eine Patrone bei sich, obwohl er auf die Schnepfen nur mit Schrot schoß. Er rührte sich nicht, bis das Tier ruhig den Kopf umwendete. Dann flog blitzschnell die Patrone in den Lauf, und er jagte dem Tiger aus ganz geringer Entfernung einen tödlichen Schuß ins Herz. Am kommenden Morgen brachte er das Fell und erkundigte sich, ob er ein Anrecht auf die Tigerprämie habe. Einige Monate danach sollten in Koeta-Radja Pferderennen stattfinden. Als Tengkoe Radja Itam, der bekannte, jetzt noch lebende Oeloebalang, gefragt wurde, ob der Kedjoeroesan von Long auch Pferde aus seinem Stall würde reiten lassen, antwortete er mit verlegenem Lächeln und nach ein paar hingemurmelten Worten wie: »Sie werden doch daran nicht glauben« oder: »Wir denken über diese Dinge so ganz anders«, daß der Kedjoeroean es wohl nicht wagen würde, nach Koeta-Radja zu kommen, weil während seines vorigen Besuches auf seinen Folgetiger geschossen worden sei; das Tier habe sich anscheinend verirrt und sich den Menschen gezeigt ... »Wissen Sie nicht mehr? Jener Leutnant hatte doch unweit Koeta-Radja den Tiger geschossen!« So wurde mein Begleiter gefragt.

Wer möchte wohl töricht genug sein, an »Folgetiger« zu glauben? Dennoch wollen wir es ruhig eingestehen, daß der Urwald, wie die Urseele des Sumatrabewohners, uns Europäern ein noch immer ungelöstes Rätsel ist. Was würde geschehen, wenn man plötzlich während einer Tigerjagd im Urwalde den Tiger glaubte brüllen zu hören, und wenn der malaiische Jäger dann ruhig lächelnd sagen würde: »Das ist nicht der Tiger, den wir jagen, das ist der Kampong-Tiger, der uns beschützt ... Da, dort ist der Tiger, auf den wir Jagd machen!« Und wenn sich dann eines zweiten Gebrüll erhöbe – was dann? Nun: dann vermag eben ein Europäer doch immer noch nicht so recht daran zu glauben ...

Auch nicht an Folgekrokodile. Und doch besaß der Radja von Loeboe-Oelang-Aling, ein gefürchteter Räuberfürst, im Oberlande von Padang ausgangs des vorigen Jahrhunderts ein »Folgekrokodil«, das ihm auf seinen Reisen im Wasser nachging. So wenigstens glaubt es steif und fest das ganze Volk.

Von allen diesen seltsamen Dingen hörte ich in dieser Mondnacht im Auto. Und unwillkürlich warf ich einen Blick auf den Weg zurück, über den wir in dieser zauberumsponnenen, matt erhellten Nacht in rasender Eile dahinjagten, um mich zu vergewissern, ob uns nicht etwa ein Folgetiger nachschliche ...


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