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IX

Buddhistisches Ornament – Zwei selbständige Fürsten – Lehnsmann und Lehnsherr – Reorganisation in den Fürstenlanden

In Solo war mir, als müßten mir Geheimnisse entschleiert werden, oder als wollten mir Sphinxe mit Buddhagesichtern Rätsel aufgeben. Eine »Hantise« – welches andere Wort steht mir zur Verfügung? –, eine absonderliche Vertrautheit scheint auszuströmen von diesem geheimnisvollen Zustand, von dieser rätselhaften Atmosphäre, die über diesen Landen hängt, wie ich sie sowohl hier in Soerakarta wie auch später in Djokjokarta sehr stark empfinde, einer Atmosphäre, die aus buddhistischer Vergangenheit und der Tradition orientalischer Potentaten, aus europäischer Diplomatie und östlichem Fatalismus zusammengewoben ist – Fatalismus, nun, da die glorreichen Zeiten der uralten Autokratien vorüber sind. Und ich frage mich: Wird diese Atmosphäre sich erhalten? Wie lange noch sollen die seltsamen, schwer zu durchschauenden, schwer zu lenkenden Zustände in unserer sich modernisierenden Welt dauern, nun auch hierzulande schon Volksaufklärer – europäische, indische, javanische – sich zu rühren beginnen? Ich weiß es nicht. Ich mag auch nicht prophezeien. Zudem ist der Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit schon so reich und interessant, daß für den Wunsch, auch noch die Zukunft erraten zu können, kein Raum bleibt.

Der Regent von Solo hat sich bereit erklärt, mir die notwendigen geschichtlichen Aufklärungen zu geben, ohne die man in die Geheimnisse der Fürstenlande nicht einzudringen vermag. Aus seinen Informationen erfuhr ich, daß der »Soesoehoenan« – ich werde künftighin kürzer von »Soenân« sprechen – in Solo, erblich und legitimistisch, sich für den einzigen Fürsten über das uralte Erbe des Reiches von Mataram hält, das sich in früheren Jahrhunderten über Mitteljava erstreckte, und daß er auch von seinen Anhängern dafür gehalten wird. Vor etwa zwei Jahrhunderten hat ein aufrührerischer Prinz den Bürgerkrieg heraufbeschworen, der das uralte Reich in die beiden Teile Soerakarta und Djokjokarta spaltete. Die O. J. Kompanie hat, eingedenk des Spruches: Divide et impera (Teile und herrsche), geglaubt, eine richtige Politik zu treiben, indem sie dem aufrührerischen Prinzen, der sich Djokjokartas bemächtigt hatte, ihre Unterstützung lieh. So blieben zwei Fürstenlande erhalten: Djokjokarta legte sich den alten Namen »Maratam« zu; um den Soenân, der stets »Pakoe Boewono«, die »Achse der Welt«, und zugleich »Kalipatoelah«, das Oberhaupt des Gottesdienstes, genannt wurde, ist Jahrhunderte hindurch von den Javanen ein« geheimnisvolle Glorie gewoben worden; alte hindobuddhistische Legenden gingen daraus hervor; die Wappenzier des Soenân stellt noch heute ein buddhistisches Ornament dar.

Weitere Teilung aber war durch Allah beschlossen. Etwa vor einem Jahrhundert stand ein Mitglied des fürstlichen Hauses, Mas Said, gegen den derzeitigen Soenân auf. Er hatte seine Anhänger, und die Revolution, die er heraufbeschwor, war von Erfolg gekrönt. Wiederum glaubte die niederländische Regierung, die richtige Politik zu treiben, indem sie den aufrührerischen Prinzen stützte und sein Recht auf den von ihm eroberten Teil von Soerakarta anerkannte. So entstand im Süden von Soerakarta das Reich von Mangkoe-Negoro (»der die Welt in seinem Schoße trägt«), das auch bestehen blieb und ein Drittel des ganzen ursprünglichen Umfanges sowie ein Drittel der Seelenzahl von ganz Soerakarta umfaßte. Dieser nun weiter geförderte und unterstützte Fürst regiert in Solo selbst; vor seinem vierzigsten Jahr lautet sein Titel »Prang-Wedono«, danach wird er zum »Mangkoe-Negoro« erhoben. Später werden wir sehen, wie sich in Djokjokarta ein ganz ähnlicher Zustand entwickelte. Vorerst aber wollen wir noch ein wenig in Soerakarta, in Solo verweilen.

Der Soenân und der Mangkoe-Negoro sind nun also zwei völlig voneinander unabhängige Fürsten, von denen jeder seinen »Reichsverweser« hat; sie haben einander nichts vorzuschreiben. Dies ist der offiziell anerkannte Zustand. In Wirklichkeit aber, in der tief im Vergangenen wurzelnden Wirklichkeit, verhält sich das alles ganz anders. Jahre vergingen, und die Nachkommen Mas Saids, des Aufrührers, mußten, wenngleich sie auf dem Nebenthrone des Mangkoe-Negoro saßen, den Soenân notgedrungen als den alleinigen Herrscher über alles das verehren, was dereinst das Reich von Mataram war. Und diese psychische Einstellung entsprach diesen östlichen Seelen weit mehr als die einst, vor einem Jahrhundert, erfolgreich gelungene ausschließlich materielle Revolution eines aufrührerischen Prinzen, dessen Ehrgeiz stärker war als sein Respekt vor dem vom Himmel gesandten Fürsten: dem Soenân. Man versuche, sich in die Seele dieser Nebenfürsten einzuleben: sollte darin noch etwas anderes Raum haben als die größte Ehrfurcht vor dem rechtmäßigen Erben von Mataram: dem Soenân? Wie dem auch sei: der Soenân redet den Prang-Wedono oder Mangkoe-Negoro auf Niederjavanisch an, d. h. mit »du« und »dich«. Der Nebenfürst aber antwortet in gepflegtestem Hochjavanisch, also mit allen sprachlichen Wendungen und Formen, die ein Untergebener einem Höhergestellten gegenüber zu beachten hat. Die Unterschiede im Javanischen sind so schwierig und kompliziert, daß kaum ein einziger niederländischer Beamter zu behaupten wagt, er beherrsche die javanische Sprache vollkommen. Um den Schwierigkeiten zu entgehen, die der Gebrauch dieser ungeheuer schweren Sprache mit sich bringt, redet der Resident von Solo mit dem Soenân denn auch stets malaiisch und niemals javanisch. Zugleich wird die Wahrung der eigentlichen, weil psychischen Unterordnung des Nebenfürsten unter den beinahe als göttlich erachteten Soenân soviel wie möglich durch Verschwägerung gefördert – die Geheimnisse der Psyche sind für den Osten die Achse, um die sich die Welt dreht. Der Prang-Wedono – augenblicklich 36 Jahre alt – ist verheiratet mit der jüngeren Schwester der Ratoe, der Gemahlin des Soenân, der »Kaiserin«; dieser Titel macht sie zur kaiserlichen Prinzessin. Er ist also einesteils der Schwager des Soenân. Erscheint er aber an dessen Hof, so steht er gerade infolge dieser Verschwägerung durchaus unter ihm. Und die Etikette zwingt infolgedessen den unabhängigen Nebenfürsten zu tiefster Ehrerbietung und größtem »Hormat«.

Das Verhältnis des Soenân zu der niederländischen Regierung läßt sich ganz scharf umreißen. Es ist das eines Lehnsmannes gegenüber dem Lehnsherrn. Durch die Gnade unserer Königin und der niederländisch-indischen Regierung ist der Soenân selbständiger Fürst von Soerakarta: es besteht ein Dokument, in dem das festgelegt ist. Was ist nun aber die unvermeidliche Folge? Die beiden Reiche, das des Soenân und das des Mangkoe-Negoro – und wir werden später in Djokjolarta die gleiche Erscheinung wahrnehmen – bilden einen Teil von Niederländisch-Indien. Alle Gesetze, die in Niederländisch-Indien Gültigkeit haben, sind also auch für die Reiche der Fürstenlande verbindlich, sofern nicht ausdrücklich andere Bestimmungen getroffen werden. Strafgesetzbuch, Bürgerliches Gesetzbuch und sämtliche Kolonialverfügungen haben für die Fürstenlande im vollsten Maße Kraft und Geltung. Selbständiger Regelung durch diese javanischen Fürsten unterliegen ausschließlich Lokalangelegenheiten. Denn auch Regierungsanordnungen betreffs Epidemien und Viehkrankheiten, Wehrpflicht und alle sonstigen Verfügungen von allgemeinem Interesse sind nach Lage der Dinge für die Fürstenlande auch dann gültig, wenn sie ohne Zutun der selbständig regierenden Fürsten zustande gekommen sind. Dennoch vermögen sie mit ihrer selbständigen Regelung lokaler Angelegenheiten einen starken Einfluß auszuüben. Man darf nicht vergessen, wie hoch der Javane seine Fürsten verehrt, und wie er im Tiefinnersten seines Herzens über deren Machtbeschneidung grollt. Ihnen zur Seite steht nun in den Fürstenlanden der Resident, und dessen Lage ist vielleicht die allerschwierigste von allen Residenten.

Der Soenân, der von seinen Untertanen noch immer als autokratischer Feudalherr anerkannt wird, regiert zwar nach Maßgabe der für den Osten gültigen Tradition, führt aber die Regierungsgeschäfte nicht selber. Seine Hände sind zu heilig dazu. Er hat deshalb seinen Großwesir oder Reichsverweser, und kein noch so geringfügiges Gesetz ist gültig, wenn es nicht von diesem Reichsverweser gezeichnet und ... vom Residenten gegengezeichnet ist. Doch spielt dieser Reichsverweser eine sehr große Rolle bei all den Intrigen, die sich ganz naturgemäß in dem weiten, geheimnisvollen Bereich des »Kraton« anspinnen, wo dreitausend Frauen ungezählte Ränke weben. Der Reichsverweser wird zwar offiziell gewählt, ist aber offiziös ein erblicher Fürst, denn eigentlich ist ja in dieser Sphäre jeder Posten erblich und infolgedessen jeder Diener, sogar der geringste, adlig. Das ist »Adat« am Hofe von Solo.

Mitten in diesen weitgreifenden Verwicklungen und den geheimen und unentwirrbaren Gedankengängen von Fürsten und Prinzen, Pangérans und Ratoes und Raden-ajoes, die im Grunde ihrer niemals klar enthüllten Seele bewußt oder unbewußt die niederländische Herrschaft hassen müssen, die aber ihre wahre Gesinnung stets hinter größter Höflichkeit zu verbergen wissen, steht nun der Resident. Er lenkt – autoritativ und diplomatisch – den Gang der Dinge. Er ist der Oberbefehlshaber dieses geheimnisvollen Staatsschiffes auf einem Meere voll verborgener Riffe und Klippen; er versucht, demokratisch zu regieren, und der geheime Widerstand, dem er überall begegnet, ist nur zu verständlich. Nur das wohlverstandene Eigeninteresse der javanischen Fürsten kann sie dazu bewegen, sich dem Residenten nicht zu widersetzen. Würden sie unversöhnlich auf ihrem feudalen Standpunkt beharren, so würde das Volk, das sich unter der Aufhetzung seiner »Führer« bereits zu rühren beginnt, in einigen Jahren gebieterisch das fordern, was die Regierung ihm jetzt notgedrungen »freiwillig« zugesteht.

Vor vier Jahren hat Resident Harloff den Anfang mit einer Reorganisation der Fürstenlande gemacht, die, wenn nicht alles trügt, in ein paar Jahren eine vollendete Tatsache sein wird. Dann werden die Soerakartaschen Fürstenlande eine Phase durchgemacht haben, die dem Übergang vom mittelalterlichen Staat zum modernen Staat vergleichbar ist. Diese Reform erstreckt sich wortwörtlich auf alle Gebiete der Verwaltung, Finanz, Polizei, des Gemeindewesens, des Marktwesens. Ihre Bedeutung kann ich am besten kennzeichnen, wenn ich sage, daß bis vor vier Jahren noch keinerlei Gemeinden (»Dessas«) bestanden, daß es infolgedessen also auch keine Gemeindeverwaltung und keine Polizei gab. Grund und Boden gehörten den mit einer Apanage Bedachten, zumeist Anverwandten des Fürsten oder seiner Beamten, die mit finanzieller Hilfe in Form von Grundbesitz noch weitere Unterstützung erhielten. Ausgedehnte Domänen, umfassenden Baugrund, Flüsse, Wälder und auch Niederlassungen von Untertanen, auf deren Arbeit die Herren Anspruch hatten. Bei der Erschließung und Auswertung dieser Domänen wurde aber auf die Volksinteressen nicht die geringste Rücksicht genommen. Seit vier Jahren hat sich dieser mittelalterliche Zustand rasch gewandelt. Indessen wurde die Veränderung zu Anfang vom javanischen niederen Volk nicht immer nach Gebühr gewürdigt; diese kleinen Landbauern waren ultrakonservativ, hielten durchaus an aller alten Tradition fest. In der letzten Zeit aber haben auch sie gelernt, ihre in der Gegenwart günstigere Lage richtig einzuschätzen.

Es ist seltsam, daß gerade auf Java, im Kern der Fürstenlande, und ungeachtet dieser Reorganisation, mit Aufhetzungen durch nur halbgebildete Volksführer eine Revolution erzwungen werden soll. Dr. Tjipto, Mangoon Koesomo, Hadji Misbach, Douwes Dekker sind diese revolutionären Geister. Dr. Roesomo wurde auf Veranlassung des Residenten Harloff erst aus zehn Distrikten, dann aus ganz Mitteljava verbannt. Hadji Misbach wurde durch den Landesrat in Klaten zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Douwes Dekker wurde durch die Staatsanwaltschaft wegen revolutionärer Umtriebe angeklagt, ungeachtet der Aussagen von vierzehn Zeugen freigesprochen, dann aber in Bantam wegen Majestätsbeleidigung verurteilt.

Ich wollte, bevor ich die wunderschönen Dinge beschreibe, die ich im Kraton zu Solo gesehen habe, meinen Lesern doch erst eine leise Vorstellung von diesen schwierig zu durchschauenden Zuständen in den Fürstenlanden vermitteln. Das alles möchte ich als im verborgenen schlummernde Kräfte bezeichnen. Das alles ist voller Problematik, und das Rätsel dieser Sphinx, die einerseits mehr zum Hinduistisch-Buddhistischen neigt und andererseits sich mit den modernsten Fragen beschäftigt, scheint mir unlösbar.

Wie wird das alles werden? Wie wird es sich alles nach einem Jahrhundert entwickelt haben? Welche Zukunft haben die Fürstenlande, Java und Niederländisch-Indien? Wer dürfte es wagen, diese Fragen zu beantworten? Der Javane ist als Untertan seines Soenân geboren; seine Seele hängt noch immer an den feudalen Einrichtungen des Mittelalters. Der Kraton ist für ihn noch immer ein Tempel – nein, mehr noch: der göttliche Wohnsitz eines aus dem Himmel herabgesandten Fürsten. Seine Legenden sieht er hier in Pracht und Prunk und im Tanz der Srimpis und Bedojos sichtbar dargestellt, zur Wirklichkeit geworden. Dies alles ist in Traditionen erstarrt. Die Etikette ist hier noch die gleiche wie vor Jahrhunderten.

Außerhalb des Kraton zwar drängen neuzeitliche Kräfte mächtig heran. Ohne Zweifel versetzen sie die dort drinnen in heftigen Schrecken ... allein noch geschieht nichts. Aus diesen Mauern dringt noch keine scharfe Zurechtweisung, noch schlägt keine brutale Faust gegen diese Jahrhunderte alte Pforte. Alles wartet ab, alle warten ab.

Drinnen aber kriecht alles vor dem Soenân und um den Soenân herum – kein Javane darf vor seinem Fürsten stehen –, und geheimnisvoll beratschlagen die dreitausend Frauen, die Ratoes und Raden-ajoes und ihre Dienerinnen, die noch Sklavinnen sind. Sind nachts die Türen des Kraton geschlossen, so ist der Soenân allein mit diesen dreitausend Frauen. Kein Mann bedient ihn, kein Mann ist um ihn.

Und das sind die Stunden, in denen geheimnisvoll »Obat« und die Gifte gemischt werden, die einstmals so stark wirkten und so mächtig waren, die aber jetzt nichts mehr vermögen gegen das, was noch das Geheimnis einer nahen Zukunft ist, sich aber doch einmal durchsehen muß.


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