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IV

Der Preanger – Der Sundanese – Bandoeng, eine neue Stadt – Der Tangtoeban Prahoe – Im Krater – Die Legende vom Kanok

Wenn man die Lande der Batakker, das Oberland von Padang und das Minang-Kabau-Gebiet, und Sumatra verlassen und Java erreicht hat und hinter Gedeh und Salak und Panderango bis in die Preanger-Lande vorgedrungen ist, so breitet sich vor einem eine ganz neue Welt aus. Es ist, als seien Berge und Wolken, Städte und Felder, ja, auch die Menschen völlig anders. Hier wie dort Vulkane, Regenhimmel, Urwälder und farbige Eingeborene, und dennoch alles so ganz anders. Es ist, als mache sich nicht nur ein Rassenunterschied auf den ersten Blick bemerkbar – hier ist man unter Sundanesen –, sondern, als offenbarten auch Berge und Bäume, alles was Natur und Menschen erschaffen, den gleichen auffallenden Unterschied.

Wie eine Reihe von Riesen stehen die Berge ringsumher. Wollte man all ihre Namen nennen, so wäre das wie eine Aufzählung von lauter Titanen und Helden: hier im Norden liegen Boerangrang und Tangkoeban Prahoe, dort drüben im Süden Goentoer und Malabar, Tjikorain und Papendanjan. Ich will nur diese wenigen allerberühmtesten Gipfel nennen. Zwischen ihren königlichen Majestäten steht das Heer der prinzlichen Hoheiten, die nach Hunderten zählen. Legende umschwebt diese Gipfel, webt sich um ihre Hänge. Feuergeheimnis birgt sich in aller Schoß, und der epische Sang von ihren ältesten Ausbrüchen rauscht, vom Nachtwind getragen, durch ihre Wälder. Aber in diesem milden, stets gedämpften Licht der Regenwochen zaubern diese Tage eine eigene Lieblichkeit in diese Natur, die himmelweit verschieden ist von der Landschaft auf Sumatra.

Bei allem Riesengewaltigen der Berge sind Fernblicke und Felder und Wälder und ihre Widerspiegelung im Flusse von idyllischer Lieblichkeit. Man möchte glauben, alle Legende werde hier von den Tönen einer sanften Flöte begleitet.

Die Menschenrasse, die hier haust, weist – bei fast durchweg kräftigem Körperbau – in der Regel sanfte, weibliche Gesichtszüge auf. Aus ihrem Antlitz blicken träumerische Augen; rund ist das Kinn, die Hüftlinie weich geschwungen, die Taille schlank. Beim Sprechen scheinen sie kaum zu artikulieren, sie murmeln nur. So sind die Sundanesen, die in einem ewigen Traume zu leben scheinen.

Dies alles schafft eine geheimniserfüllte Atmosphäre. Auch über den Bergen, die uns umgeben, über den Fernsichten, die sich vor uns auftun, über den Sawah-Terrassen, die sich vor unserem Blick abwärts senken, liegt dieses Geheimnisvolle; Geheimnisvolles, gemischt mit idyllischem Liebreiz, webt ringsum durch den ungeheuren Kreis der Riesenberge.

So ist Java, das Eiland der stillen Kräfte, die schlummern oder, wenn sie sich offenbaren, in ein dem Europäer unergründliches, nur dem Osten eignendes Geheimnis gehüllt sind.

Inmitten dieser mysterienerfüllten, weiten Bergwelt, die dem aus dem Westen herüberkommenden Menschen wohl ewig ein unlösbares Rätsel bleiben wird, liegt eine neue Stadt: Bandoeng. Eine Schöpfung europäischer Tatkraft, eine Stadt voll niederländisch-indischer Kultur und Interessen, eine Stadt, ganz erfüllt von niederländisch-indischer Kolonialtätigkeit, von niederländisch-indischem Leben und Streben. Es ist, als wäre sie erst gestern erbaut. Große, weiße Gebäude sind da errichtet in einem neuen Stil, der gemäßigt modern bleibt und den Anschein erwecken soll, als besitze unsere Zeit einen eigenen Baustil. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Formen mit ihrer Anlehnung an das Moderne jung und frisch wirken. Der Blick fällt sofort auf das Kriegsministerium, die Javanische Bank, das Klubhaus der »Concordia«. In den neuen Villenvierteln sieht man noch baumlose, kahle Baustellen. Bandoeng ist eine aufblühende Stadt mit großer Zukunft. In einigen Jahren wird die Natur das ihrige dazu beigetragen haben, all diese Lücken zwischen den neuen Bauwerten mit Bäumen und Blumen zu füllen. So sehe ich die Stadt vor uns, und so wird Bandoeng – lebendig, modern, europäisch – dastehen, umgeben vom tiefen Geheimnis dieser Berge, inmitten der von Geheimnissen erfüllten, unergründlichen, stets geduldig harrenden Mächte.

Die Menschen sind wie die Ameisen. Sie arbeiten und arbeiten. Auch die Ameisen arbeiten so zu meinen Füßen. Ich bin für sie eine geheime Macht, etwas Ungeheuerliches, etwas Drohendes, etwas, von dem sie nichts wissen. Mein Fuß könnte in einer einzigen Sekunde ihr ganzes Werk zunichte machen. Aber mein Fuß zertritt sie nicht, er zieht sich zurück, und lächelnd schone ich sie.

Ich weiß nicht, wie es kommt: doch oft ist mir, als seien wir selber solche Ameisen. Und gerade hier, zwischen den Bergen, in dem jungen, lebendigen Bandoeng, empfinde ich es zwiefach, daß wir sind wie jene fleißigen, allzeit vorwärtsstrebenden, umherwimmelnden Ameisen.

Und mir ist, als sähe ich ringsumher die Berge mit ihren Titanengesichtern im Traume lächeln. Das aber war – nur ein törichter Traum von mir.

Ich will Bandoeng wünschen, daß es Weltevreden überhole, daß es zur neuen Hauptstadt Javas werde, daß andere Behörden dem aus strategischen Gründen, wie mir scheint mit Recht, hierher verlegten Kriegsamt folgen. Der alte Küstenort unserer Vorfahren hat ausgedient. Mag er zwischen Tandjong Prick und Bandoeng weiter als erste Stätte erster Ankunft in Geltung bleiben. Indessen das Klima, das ja hier unser stärkster Feind ist, untergräbt die Gesundheit der arbeitenden Europäer, frißt an ihren Nerven, reibt die Kräfte ihres Körpers und ihrer Seele auf. Mit seiner von den Bergen herüberwehenden Kühle wird Bandoengs Klima gewiß günstiger auf den wirken, der sich hier niederläßt und ein Zentrum für neue Arbeit gründet. Denn wir wollen weiterarbeiten wie die Ameisen: das ist unsere Art, das ist unsere uns selbst oft ganz unbewußte Natur. Wir wollen auch weiterhin unsere kleine Arbeit für uns und andere verrichten wie die Ameisen, inmitten titanischer Mächte und stiller Kräfte, die uns umgeben. Und wenn die Erde sich spalten, die Riesenberge sich verschieben und ihre Wut feurig hinausspeien sollten, nun, so geschehe es, wie Allah will; wir Ameisen haben dann nicht mehr und nicht weniger getan, als wir tun mußten und tun konnten.

Oder werden diese Riesenberge nie wieder Glut und Feuer speien? Sind all diese Bergfürsten wirklich nur ausgebrannte Vulkane? Für allzeit schweigende, tote Mächte?

Diesmal habe ich den Tangkoeban Prahoe, der dort nördlich von Bandoeng liegt und wie der Umriß eines umgekehrten Kanus vom blauen Himmel sich abhebt, nicht erstiegen. Vor zwanzig Jahren bin ich auf diesen Sagenberg geklettert. Die Erinnerung daran ist schön und klar in mir, als sei es gestern gewesen. Wollte ich heute den Versuch machen, den damaligen Eindruck wieder aufzufrischen, so würde ich gewiß eine Enttäuschung erleben. Nein, ich habe die herrliche Fahrt durch die Farnwälder nicht vergessen. Die großen, feinen Blätter neigten sich über uns wie prächtige Sonnenschirme. Es war, als stiege ein Baldachin mit uns empor. Die Sänfte (»Tandoe«) meiner Frau wurde von acht Sundanesen getragen. Sie trippeln, wenn sie etwas tragen, mit ganz kleinen Schritten. In ihren geschmeidigen Bewegungen liegt ein eigener Rhythmus, und der leichte Druck ihrer Füße läßt den unter ihnen sich stets aufwärtswindenden Weg zu einem Instrument werden, zum Griffbrett für eine, unserem Ohre kaum vernehmliche, klingende, feine Musik. Und die leisen Klänge schweben höher und höher den Weg hinauf.

Oben, an der doppelten Kraterwand, habe ich – dessen entsinne ich mich ganz genau – damals in den Kawah-Oepas, in den Kawah-Ratoe (den »Giftigen« Krater und den »Kaiserinnen-Krater«) hinabgeschaut. Ein kleiner barfüßiger Knabe führte mich.

Und ich weiß auch noch sehr genau, daß mich ein seltsam drückendes Gefühl erfüllte, als dieses behende Kind meinen Schritten wieder den Weg abwärts wies. Mir war, als glitte ich während des Gehens unaufhaltsam tiefer und tiefer – so rasch sank ich an den steilen Felswänden herab, die ich doch gleich wieder erklimmen mußte. Als ich nach wenigen Minuten hinaufblickte, glaubte ich, aus solcher Tiefe könnte ich nie wieder emporsteigen. Und das Kind lächelte, als wolle es mich zugleich führen und verführen, und schritt immer tiefer die steile Wand abwärts. Und ich mußte seinem Lächeln folgen. So erreichte ich das Schwefelmeer, das manchmal schmutzigweiß, dann wieder leuchtend grün schimmerte, wie ein großer, runder Edelstein, der bald an einen Opal, bald an einen Smaragd erinnerte. Und eine ungeheure Welt voller Geheimnisse war um mich und breitete sich unendlich weit rings um meine sie gleichsam herausfordernde Nichtigkeit. Aus Spalten rauchte es, aus einem Schwefelquell stieg siedend eine ungeheure Säule weißen Dampfes. Heilige Geister aus der Tiefe irrten sogar um diese Stunde vor Mittag rings um mich her und über das schwefelduftende Wasser.

Und unablässig lächelte der kleine Führer gleich einem Dämon. Aber das beruhigte mich.

»Ich werde Euch auf einem anderen Weg wieder hinaufführen, Herr.«

Und die Legende, die mich begleitete, sang mir während des Rückweges zur Flöte, warum dieser Berg, Tangkoeban Prahoe, wie ein umgekehrtes Kanu aussah:

Die Königin dieser Gegenden, Njai Dajang Soembi, hatte einen Sohn, und dieser Prinz Sangkoeriang war von Indra und Brahma mit allerlei heldenhaften Tugenden geziert worden. Doch einmal stritten Mutter und Sohn miteinander, und die Königin traf des Prinzen Haupt mit einer Waffe und schlug ihm eine Wunde.

Erzürnt und traurig verließ er samt denen, die ihm anhingen, den Hof seiner Mutter, irrte durch ganz Java und eroberte das Eiland. Dann trieb Heimweh ihn zurück in den Westen, und auf einem Felsen traf er eine wunderschöne Frau. Das war seine Mutter, die bei dem König in Ungnade gefallen war und nun trauernd hier saß. Und sie verliebten sich ineinander, so wie in vielen alten Legenden verschiedensten Ursprunges der zurückkehrende Fürstensohn sich in seine ihm nun unbekannt gewordene Mutter verliebt, die auch ihn nicht erkennt.

Dojang Soembi aber entdeckt, während sie Sangkoeriang den Kopf streichelt, die Narbe. Allein aus Scham gibt sie sich nicht zu erkennen. Sie ersinnt eine List, damit die verhängnisvolle Vereinigung nicht zustande komme; sie stellt an den Bräutigam eine sie unerfüllbar dünkende Forderung: er soll in einer einzigen Nacht in den Fluß Tjitaroem, der zwischen Felsblöcken und hohen Baumfarnen rauscht, einen Damm bauen, auf daß die Hochebene von Bandoeng binnen weniger Stunden vom Wasser überströmt werde. Und er soll dann ein großes Kanu erbauen, in dem sie, auf dem Wasser dahinfahrend, einander angehören wollen.

Sangkoeriang ruft seine dienenden Geister, seine »Dewatas« zusammen. Sie helfen seinen Kriegern, dort, wo der Tjitaroem am engsten ist, den Damm zu schaffen. Doch so reißend wild stürzt das Nasser durch die Kluft, daß Wälder gefällt und Hügel versetzt werden müssen, um den Damm zu stützen.

Auch das riesengroße Kanu vermögen die Krieger, denen die dienenden Geister beistehen, zu erbauen. Nachdem die Hochebene nun von Wasser überflutet ist, fährt Sangkoeriang in jener Nacht im Licht des vollen Mondes, aus dem die Götter herabschauen, auf dem Kanu seiner Braut entgegen.

Deren Frauen haben das Hochzeitsmahl gerüstet. Sie selber hat ratlos von einem Berggipfel aus alles mit angeschaut und sieht jetzt, wie ihr Geliebter, der zugleich ihr Sohn ist, auf dem großen Kanu ihr naht. Sie ruft Brahma um Rettung an, und der sendet ihr einen Zauberer. Dieser gibt ihr ein Kraut, das sie vor dem Damm ausstreut, und das Zauberkraut untergräbt den Damm. Wogend strömt das Wasser mit Riesengewalt in sein Bett zurück, das Kanu kentert, der Bräutigam samt all den Seinen ertrinkt, und die Braut steigt, von Schmerz überwältigt, schluchzend vom Gipfel des Berges hinab auf das gekenterte Kanu, stürzt sich in die wogende Flut und umarmt im Tode ihren Sohn, der zugleich ihr Geliebter war.

Zu Bergen und Seen wandeln sich verzaubert die Reiskocher, die den Reis zum Mahle bereiteten (Koekoesan); die Liebestränen der Braut, das Weihrauchfaß neben dem Brautbette – alles wurde zu Hügel und Bach und Felsgestein.

Und nun hebt sich dort vom durchsichtigen Himmel deutlich erkennbar das gekenterte Kanu ab, der Tangkoeban Prahoe: ein Berg jetzt, unter dem das Feuer des Hochzeitsmahles ewig glimmt.

Gewaltig und übermenschlich scheint die Legende; dichtete sie gleich der kleine Mensch, so entnahm er doch die Größe der ihn umgebenden gewaltigen Natur.


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