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VI

Die Moschee von Medan – Der Sultan von Deli – Das vielrassige Medan – Im Tempel – Nach Brastagi

Wir haben in Medan die in modern-arabischem Stil erbaute große Moschee mit ihren zierlichen Konturen und dem Minarett und dem Turm bewundert, von dem aus in Arabien und Afrika morgens und abends der Muselmann daran erinnert wird, daß Gott groß und einzig und Mohammed sein Prophet ist. Der »Tengkoe-Besar« erwartete uns am Eingang. Dies wirkte sehr schlicht und überraschend, denn dieser Tengkoe-Besar ist der Kronprinz von Deli. Und als er dort, so ohne jedes Zeremoniell, in seinem weißen Jackett vor uns stand, ahnte ich nicht gleich, wer er sei. Er sagte mir, sein Vater, der Sultan von Deli, sei alt und leidend und lasse sich entschuldigen, daß er mich nicht selber begrüßen könne, er aber wolle mir gern die Moschee und den Empfangspalast des Sultans zeigen. Dies ist stets ein anderes Gebäude als das intimere Haus, das als eigentliche Wohnung dient.

Diesen Empfangspalast eines Sultans von Deli darf man sich nun nicht etwa als ein Wunder an Pracht und Geschmack vorstellen, nicht wie eine Dekoration aus Scheherazades Zaubermärchen aus den 1001 Nächten. Nun hatte ich freilich die Paläste des Beis in Tunis gesehen und war daher einigermaßen vorbereitet. Auch hier seltsame Möbel und Ornamente und Spiegel, vor denen man sich fragt: Wie kommen die hierher? Der Morgenländer hat nur da einen feinen Geschmack, wo er seinen eigenen überlieferten Schönheitsbegriffen folgt. Dann ist alles schön, zweckmäßig, zierlich, ja sogar luxuriös. Sobald er aber seinem östlichen Stamm westliche Begriffe aufzupfropfen sucht, entsteht nur allzu häufig etwas sehr Geschmackloses.

Allerlei Rassen wimmeln in Medan durcheinander: Japaner, Chinesen, Klingalesen und die verschiedenen Typen von Sumatra – darunter Batakker und vereinzelte Minang-Kabau-Leute, die leicht voneinander zu unterscheiden sind. Die beiden ersteren bilden die Schicht der kleinen Geschäftsleute, und unter den Hindus, den sogenannten »Klings«, wie sie von den anderen mit einer gewissen Geringschätzung genannt werden, wird man vor allem Wucherer finden, Geldverleiher – »Orang-Tjetti« –, deren »Gilde«, wenn ich diese Bezeichnung gebrauchen darf, uralt ist: denn Ptolomäus spricht bereits von »Tjettis«, vorderindischen Händlern, die auf den Kriegsschiffen mitfuhren, um Geschäfte zu machen, und den malaiischen Fürsten Geld borgten. Diese Tjettis oder Wucherer halten fest an ihren Überlieferungen und ihrer alten Hindureligion und haben in Medan zwischen drei, vier anderen Hindutempeln, die man dort findet, ihren eigenen, besonderen Tempel. Wir haben ihn besucht, und er war wirklich ganz eigenartig. Sobald es bekannt wurde, daß der Gouverneur mit seiner Familie und seinen Gästen diesem Tempel einen Besuch abstatten würde, versammelten sich hindostanische Musikanten, die vor unseren Autos hereilten. Dumpfe Trommeln und sehr hell und hoch klingende, gegeneinandergeschlagene Becken begleiteten die Weise der Flöten. Dies war unserem europäischen Ohr ein lieblicheres Getön als die chinesische Musik im Wajang-Tjina! Das Oberhaupt der Wucherer empfing uns mit vieler Förmlichkeit. Eine große Schar Neugieriger sammelte sich an, und wir alle, Damen wie Herren, wurden mit Blütengewinden aus Melatie und Kenanga, sehr stark duftenden Blumen, bekränzt. Eine Zurückweisung dieses Schmuckes würde als äußerst unhöflich empfunden worden sein. Zugleich wurden unsere Kleider mit ostindischen Wohlgerüchen besprengt. Dann saßen wir, nach Essenzen duftend, in zwei Reihen und lauschten der Musik, die immer leidenschaftlicher, immer hingebungsvoller, immer ekstatischer wurde. Der Tempel hat drei Heiligtümer, drei Nischen oder kleine Kammern, in denen, von Weihrauchwolken umgeben, nicht gerade schöne, ja beinahe abstoßende Götzenbilder über den Altären sichtbar wurden. In der Mitte stand »Mariannan«, das heißt: »Njonja Siwa (!!), die Frau Siwas« – ich glaube, zwischen ihrem Sohn Soewami und Ganeça, dem weißen Gott mit dem Elefantenrüssel. Ein Brahmane, auf dessen Stirn und Brust mystische Zeichen und Streifen tätowiert waren, versah den Opferdienst, schwenkte die vier-, fünfflammige Opferlampe aus Messing und entzündete die Weihrauchkerzen vor den Götzenbildnissen, die unter kleinen goldenen Schirmen saßen. Weiter sahen wir dort einen großen, vergoldeten »Palankin«, einen Prunkwagen, in dem an bestimmten Tagen alle diese Bildnisse, oder vielleicht nur das der »Njonja-Siwa«, in Prozession herumgefahren werden. Wenn hier etwas in meinen Angaben nicht ganz stimmt, so bitte ich um Vergebung, aber die Musik wurde immer stärker, so daß ich den Erklärungen des Obersten von Tjettis nicht mehr zu folgen vermochte und fast taub war, als wir endlich, vor anderen kleinen Götzennischen, die mit eisernen Spitzen und Stacheln gespickten Stellen sahen, auf denen verzückte Fakire mit nackten Sohlen tanzen, ohne einen Tropfen Blut zu verlieren.

Das Leben in Medan ist sehr abwechslungsreich. Jeden Tag gibt es etwas Neues zu sehen, und die langen Tage sind immer noch viel zu kurz. Bin ich auch nur als Zuschauer hier – und weder Pflanzer noch Beamter oder Kaufmann –, so sind meine Tage doch ebenso ausgefüllt wie die jener anderen. Wer also glaubt, das Leben unter der tropischen Sonne sei ein faules Leben, der ist im Irrtum. Übrigens scheint diese tropische Sonne eben nur sehr matt. Ihr Licht ist in diesen Regenmonaten verschleiert, auch wenn es nicht regnet. Besonders auffallend ist es, daß alles und alle hier so frisch wirken: die weiß gekleideten Männer, die leicht gekleideten Frauen, die weißen Häuser, die grünen Gärten, die grünen Rasenflächen, der schäumende Fluß, die neuerdings auch vielfach weiß gekleideten Eingeborenen. Sie alle bringen in diese weite, grüne und weiße Stadt eine ganz auffallende Frische. Ein jeder badet häufig, und darum sieht alles auch so frisch gewaschen aus – vor allem die Natur selber nach ihrem Regenbade. Dabei arbeitet man in Medan sehr schwer; von dort strömen alle Energien in die Arbeit der einzelnen Unternehmungen. Zur Zeit freilich herrscht die »malaise«, am meisten in Kautschuk (»Rubber«), und daher sind viele dieser an schwere Arbeit gewöhnten Menschen äußerst verstimmt. Unterhält man sich etwas eingehender mit ihnen, so bemerkt man, daß viele von ihnen überarbeitet sind. Sie suchen dann auf der Hochebene von Brastagi neue Kräfte zu sammeln, wo auch wir uns einige Tage aufhalten. Man fühlt sich beinahe versucht, diese Gegend mit ihren hohen Bergen und der guten Höhenluft, diese Landschaft, in der Palme und Bambus nicht mehr gedeihen, dafür aber Erdbeeren gezüchtet werden, als die »Schweiz« von Deli zu bezeichnen. Jeder in Deli besitzt auf Brastagi seine »cottage« für das »week-end«, ein kleines Landhaus, in dem er die freie Zeit von Sonnabend bis Montag früh verbringt – und sogar die Engländer kommen von Singapore herüber, um sich hier zu erfrischen.

Der Weg von Medan führt am Petaniwasserfall zwischen Klüften und Felsen entlang. Und gewaltige, hochstämmige Bäume, Kokos oder Nipapalmen, Aren oder Bambusbaum, kerbblättriger Brotbaum oder Baumfarn, dessen aufschießende, junge, noch nicht entfaltete Blätter wie Fragezeichen aussehen, bilden stets harmonisch wirkende Gruppen – es ist, als seien die Gottheiten selbst die Gärtner, die alle Bäume so schön zusammenzustellen wissen. Diese großartige, majestätische Natur zeigt überall Vollendetes, und selbst wenn die Bäume, Pflanzen oder Blätter vernichtet, zerrissen oder entwurzelt sind, wuchert alles gleich mit neuer Kraft so üppig nach, daß es jedes in diesem harmonischen Ganzen Vernichtete durch neue Fülle ersetzt.

Weit schweift der Blick von Brastagi: die Berge ziehen sich wie Wogen ringsum. Drüben sieht man den Sibajak, aus dessen schwefelgelber Kluft stets Rauch steigt. Es ist, als sei der Berg, der »Erhabene« – das bedeutet sein Name –, dereinst schon im Chaos, vor der Ursintflut in zwei Teile gespalten worden.

Das Hotel ist an diesem Samstagabend ganz überfüllt. Ein Dilettantenorchester aus Medan spielt. Aber zu dem »Pasangrahan« des Gouverneurs drüben in der Gebirgseinsamkeit paßt die eigenartige Stimmung der indischen Abende besser. Dort senkt sich jene leise Melancholie auf uns herab, deren Grund keiner in Worten zu nennen weiß, und sie überkommt uns namentlich dann, wenn Batakmusikanten bei einbrechender Dämmerung auf einer kleinen Matte hocken und auf der Sroenai (Oboe) blasen, den Gendang (Trommel) schlagen und ein leise gerührter Gong seinen dumpfen Klang geheimnisvoll dazwischen ertönen läßt. In ihrem Gesänge verherrlichen sie die Ostindische Kompagnie und den Gouverneur Westenenk, der soviel für dieses Land tut. Aber diese Verherrlichung berührt mich, ich weiß nicht warum, zu dieser Stunde ein wenig peinlich. Vielleicht, weil mir der geheimnisschwere Augenblick hierzu nicht eben geeignet erscheint. Alles ringsumher atmet Wehmut. Empfinden denn diese Eingeborenen das nicht? Nun aber kommt der »Koeltjapi«-Spieler, der Lautenschläger, ein altes, verschrumpeltes Batakmännchen. Und seiner schmalen Laute, die nur zwei Seiten hat, entlockt er lauter naive Weisen, und ganz ernst und hingegeben trägt er seine Lieder vor. Die handeln von einem Hündchen und einem Vögelchen, und man hört das Hündchen schrill kläffen, und man hört das Vögelchen piepsen. Und wenn ich mir den alten, verschrumpelten Lautenspieler etwas näher ansehe, habe ich den Eindruck, daß er sehr glücklich darüber ist, all die Weisen, zu denen er seine Geschichten so naiv vorträgt, so rein spielen zu können. Und dieses Glücksgefühl macht auch mich wieder ganz zufrieden in dieser wehmutsvollen Dämmerstunde.


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