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III

Bei Hofe – Buddhistische und griechische Schönheit – Das Leben am Fluß – Zweiweibersystem – Der Botanische Garten von Batavia

Wir haben im Palast auf dem Königsplatz bei Sr. Exzellenz dem Generalgouverneur Fock mit dem Residenten von Batavia, dem Generalsekretär und dem Bürgermeister in kleinem Kreise gespeist. Das Zeremoniell bei unserem Landverweser ist natürlich sehr einfach. Die Gäste stellen sich in zwei Reihen, Damen und Herren, auf, sobald Seine Exzellenz erscheint, und bei Tisch ist die Unterhaltung noch gedämpft. Doch später in der weißen Vordergalerie nehmen die Gäste auch ruhig Platz, wenn der Hausherr selber noch im Stehen mit diesem oder jenem seiner Gäste plaudert, obwohl jeder weiß und offen sagt, daß dieses Platznehmen eigentlich einen Verstoß gegen die Etikette bedeutet.

Am nächsten Morgen habe ich das Museum besucht, wo als Geschenk eines Königs von Siam ein Elefant steht, der einstens vergoldet war und nun ganz grau aussieht. So geht es mit gar manchem, was dereinst golden schien und in späteren Jahren grau wird ... Wenn man in diesem Museum all die mit Schriftzeichen versehenen Steine, all die Säuleninschriften lesen und entziffern könnte, so würde sich einem gar viel von der javanischen und malaiischen Geschichte enthüllen. Meine Leser werden mir gewiß gern glauben, wenn ich ihnen versichere, daß mir diese ganze lapidare Literatur ein Geheimnis ist. Das verstimmt mich einigermaßen, weil ich mir selber dabei sehr dumm vorkomme, und doch ist es wohl verzeihlich, daß man nicht gleich alles zu entziffern vermag, was im Laufe von Jahrhunderten in Stein gegraben worden ist. Indessen trösten mich die schönen, großen Hindubilder und weihen mich schon in eine Schönheit ein, die ich insbesondere noch beim Boeroeboedoer zu bewundern hoffe; dabei bleibt aber buddhistische Schönheit für mich stets nur ein relativer Begriff, während ich die griechische immer als absolut vollendet empfinde. Ein Bildnis des Praxtiteles ober Lysipp verkörpert mir in seiner göttlichen Schlichtheit das absolut Schöne, jene Schönheit, die in allen Jahrhunderten und Umgebungen stets die gleiche bleibt. Die buddhistische Bildhauerkunst aber vermittelt eine relative Schönheit, die man nur dann richtig zu werten vermag, wenn die Formen und Umrisse ringsum die besondere Atmosphäre geschaffen haben. Der Ganeça – Gott der Weisheit –, vierarmig, breitbeinig hingehockt, mit seinem Elefantenkopf, dessen Rüssel er in einer Hand hält, frappiert einen sogleich durch die wunderbar vollendete Modellierung, so daß man sich unwillkürlich fragt, wie nur dieser harte Stein sich dem fromm und unermüdlich daran arbeitenden Meißel eines Bildhauers fügen konnte. Aber läßt sich eine derartige Materialisierung der Weisheit nicht erst dann so recht eigentlich würdigen, wenn man sich in die Atmosphäre des Ganges ober einer anderen vorderindischen Landschaft hineindenkt und sich dann von da aus in die Atmosphäre von Alt-Java versetzt, wo dieses Bild gefunden wurde? Andererseits: ist solch eine Einfühlung in Ort und Zeit der Entstehung nötig, wenn wir einen Hermes, eine Aphrodite sehen?

Dann haben wir Batavia verlassen, und in uns blieb irgendwie die ganze Melancholie, der keiner entgeht, zumal, wenn er von früheren Zeiten her so sehr an den Dingen hängt, die seine idealisierende Phantasie natürlich leicht zu schön oder zu gefühlvoll färbt.

In Buitenzorg war all mein Sehnen, all mein Sinnen natürlich dem Salak zugekehrt. Er bedeutete mir immer und immer, selbst nach Jahren, in denen die Phantasie alle Dinge verschönt und idealisiert hatte, etwas ganz Besonderes – die Erfüllung unvergeßlicher Träume ...

Im Botanischen Garten von Buitenzorg

Auf dem Altan des Hotels ruht man in einem Liegestuhl, und über den tief unten dahinströmenden Fluß, über die Ebene, über die Sawahs, über die Kokospalmenhaine schweift der Blick zu dem Salak. Oft ist er hinter dunklen Wolken versteckt, dann wieder treten seine Umrisse klarer hervor; deutlich erkennt man die Spuren, die vermutlich einst die Lava hinterließ, und die sich vom obersten Rande des Kraters bis zu den tiefgelegenen Tälern hinziehen. Wie greifbar nahe steht dieser Berg vor einem, sobald die Wolken sich nur ein wenig zerteilt haben, und in wie weite Ferne entschwindet er wieder, sobald von neuem Nebel aus der Ebene heraufziehen! Alle Wirklichkeiten – die Reisfelder und die Klapperbäume – werden dann zu einem Traumparadies. Jetzt eben scheint der bläulichgrüne Berghang dem behenden Fuß des Wanderers erreichbar, und wenn die Sonne sinkt, heben sich die Bäumchen von dem goldenen und feuerroten Dunst ab. Und dann ist plötzlich wieder alles ganz unwirklich geworden. Es ist nur noch wie eine ferne Vision voll unerreichbarer Erhabenheit. Aber immer ist und bleibt der Salak der Berg, zu dem Augen und Geist träumend hinüberschweifen.

Seltsam, wie diese Berge – in Sumatra wie auch in Java – eine Stimmung voll Ernst und religiöser Ehrfurcht wecken! Ich war in Norwegen und in der Schweiz. Aber so gewaltig der Eindruck der Berge auf mich dort auch war, niemals kam mir in den Sinn, was sich mir hier wie etwas ganz Natürliches aufdrängt: daß nämlich diese Berge versteinerte Götter sind.

Sie drücken nicht auf einen wie in der Schweiz. Sie rauben einem nicht den Atem wie dort. Der Salak erscheint, verschwindet, verschwimmt, wird wieder zur Wirklichkeit. Warum nur glaube ich stets, daß dieser Berg etwas anderes sei, als er wohl in Wirklichkeit oder für den Geologen, für den Naturforscher, für den Mann der Wissenschaft ist? Der Salak, den ich von meinem Altan aus sehe, wirkt auf mich nun einmal nicht wie ein Berg. Er ist in meinen Augen ein Held, ein Gott. Zuweilen auch eine Göttin, die diese heldischen oder göttlichen Formen ganz neu gewandelt und umgeschaffen hat zu strengen Linien, zu breiten Mantelfalten, aus denen kein Haupt sich mehr hebt, kein Arm sich herausstreckt.

Kommt das nur daher, weil Legende ihn umgibt? Die höre ich kaum in meinen Träumen ...

Unten am Salak, aus weiter Ferne, zwischen Sawahfeldern und aus Kokospalmenhainen, strömt der hochgeschwollene Fluß rasch und tosend dahin. Grünlichbraun ist das reißende Wasser, und an seinen Ufern pulsiert das für ihn charakteristische Leben. Kein Boot – der Fluß hat jetzt eine zu reißende Strömung –, aber Fischer, die ihre Netze hier und dort auswerfen und dann auf einem Stein kauern und auf Fang warten. Der Eingeborene liebt dieses raschfließende Wasser so sehr, daß er sich nicht davon trennen kann; der Fluß ist an sich seicht, und es ist ihm natürlich auch jetzt, da das Wasser hoch steht, genau bekannt, an welchen Stellen man über die großen Steine und Felsbrocken hinweg waten kann. Frauen und Männer baden und waschen sich, Knaben schwimmen, Kinder plantschen jubelnd. Sie legen ihre Kleider ab und hängen ihre Sarongs oder Wämslein am ersten besten Baum auf. Die Dezenz, mit der sich Männer wie Frauen entkleiden, und die Art, wie sich die Frauen den Sarong über den Busen halten und dann erst dem Bade entsteigen und den nassen Sarong gegen einen trockenen vertauschen, fällt besonders auf. Das ist anmutig und zugleich von großer Keuschheit. Die Knaben und Kinder aber sind ganz nackt, ganz nackt spielen sie im Schlamm Fußball, obzwar ich nicht glaube, daß Schlamm sich mit Fußball gut verträgt. Und dann springen sie wieder in den Fluß, tauchen unter, waschen sich, beginnen von neuem, mit dem Ball zu spielen. Auch alles Geschirr wird zum Flusse getragen. Dort zeigt eine schon ältere »erste Frau« gerade der »Binimoeda«, der »zweiten Frau«, die ihr Mann – vermutlich auf ihren eigenen Rat – neben sie oder unter sie gestellt hat, wie man Teller und Geschirr wäscht. Sie war es wohl müde, die einzige Frau ihres Mannes zu sein, der genug verdient, um eine zweite, junge Frau dazu zu nehmen. Eifersucht kennt sie nicht mehr. Selber hat sie ihrem Mann eine »Binimoeda« gesucht und dann dieses Mädchen gefunden, ein Kind noch von vierzehn, fünfzehn Jahren. Dem Mann gefiel dieses zweite junge Frauchen sehr gut, und die erste Frau ist auf diese Weise zu einer Dienerin gekommen und wird gewiß niemals mehr selber Teller und Geschirr im Flusse waschen, nie mehr selber ihren Sarong spülen. Sie hat die zweite Frau, die Binimoeda, für ihren Gatten gefunden, und damit ist endlich für sie die Zeit gekommen, in der sie der wohlverdienten Ruhe pflegen kann. Sie lernt die Binimoeda an und wird schon dafür sorgen, daß ihr Mann sich in dieses Kind nicht allzu sehr vergafft und sie mit Geschenken nicht allzu reichlich überhäuft.

In dem weltberühmten Botanischen Garten, der den Palast des Generalgouverneurs umgibt, bin ich heute Morgen schon um halb sieben Uhr umhergewandelt. Dämmrig-grünes Licht. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Aus den Wipfeln der Kanarien-Bäume senkt sich der erwachende Morgen herab. Nach dem Sturzregen des vorigen Tages macht sich eine warme Feuchtigkeit bemerkbar. Aus den Weihern werfen Springbrunnen ihre Strahlen zwischen den Wasserlilien hoch empor, und die Victoria regia blickt weiß und prächtig inmitten ihrer großen, flachen, runden, leicht gekerbten Blätter, die unbeweglich, wie mit Lack bestrichen, auf dem Wasser ruhen. Drüben äsen Hirsche. Stille, Stille überall in dieser frühen Morgenstunde. Hier und da sind »Kebons«, Gärtner, an der Arbeit. Ich gehe auf hochgelegenen Wegen an den Fikus-Terrassen vorüber, und schwer und breit steigen die Stämme der Fikus-Bäume wie Wände aus dem Boden empor, über dem ihre Wurzeln wie Riesenschlangen liegen. Sie werden nach oben hin schlanker und breiten ihre lackglänzenden, grünen Laubkuppeln aus. Bunte, wogende, grüne Falter, so groß und buntfarbig, wie man sie sonst nur aus Märchen und Träumen kennt, schwirren umher, kleine Eidechsen, »Kadals«, gleiten vorüber, Ameisenkolonien wimmeln geschäftig im Gewühl ihrer Miniatur-Weltstädte, unter dem Fuße des Spaziergängers, der sie beinahe zertritt. Lianen, die fast so stark sind wie dünne Baumstämme, schlingen sich, winden sich in ungeheuerlichen, barocken Formen, die mich an die Tertiärzeit gemahnen, und der Mensch wandelt klein, nichtig unter den sich neigenden großen, grünen Fächern einher. Licht und Schatten werfen Streifen über das Gras und den Boden, der nun einem Tigerfelle gleicht. Die Tiger erinnern an Schatten und Sonne, Sonne und Schatten erinnern an Tiger ... Die Palmen zeigen ihre unzähligen Spielarten. Ihre lateinischen Benennungen reizen mich nicht, die sind mir für eine tertiäre Zeit zu »botanisch«. Die Agaven gleichen Nägeln und Dolchen, ganze Panoplien, vollständige Rüstungen, wie aus Stahl und Eisen, stehen da unter der hellen Sonnenglut. Das grüne Licht bricht wie durch Topasglanz, dort auf dem Wasser gar wie durch goldgelbe Diamanten. Und ich lasse mich auf eine Bank nieder und blicke auf den Bambusstoel – »Stoel« nennt man die Stammassen jener ungeheuren, baumstarken Bambusstengel, die sich hoch in den Äther hinaufrecken.


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