Louis Couperus
Der verliebte Esel
Louis Couperus

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16.

Davus stieß, sobald er entziffert hatte, was mein Huf in den Sand geschrieben, einen Freudenschrei aus und schlang seine beiden Arme leidenschaftlich um meinen Eselsnacken.

»Herr!« rief er aus. »Mein Gebieter! Charmides! Sehe ich Euch endlich wieder?«

Ich iahte laut vor Freude und stieß ihn mit meinem Maule vor den Magen aus lauter Übermut.

»Seid Ihr der Esel dieser Jungfrau geworden?« fragte Davus mit freudigem Erstaunen. »Der Esel der Charis, der Tochter des Menedemus aus Hypata?«

Charis, die vor Glück strahlte, ersparte mir eine vielfältige, schwierige Hufschrift und rief selber aus, nachdem auch sie gelesen hatte: »Der Esel der Tochter des Menedemus? Nein, dummer Sklave, sondern ihr Bräutigam, der in dieser anbetungswürdigen Gestalt aus dem Kriege gekommen ist und der seine Sprache verloren hat, als er verwundet wurde, wiewohl er meinen Namen so ausspricht, daß es wie Musik erklingt.«

Davus blickte verwundert auf. Ich aber gab ihm durch einen verstohlenen Blick und mit vielen schrägen Ohrbewegungen zu verstehen, daß Charis gleich mir verzaubert sei und sich in einen Esel verliebt habe.

»Ich verstehe, Herr, ich verstehe,« rief Davus. »Wirklich! Ich verstehe alles. Bin ich denn nicht auch behext worden, als ich Euch suchte bei Xyniae und nach meiner Rückkehr nach Hypata überall in der Umgegend weit, weit bis nach Larissa, überall wo ich Euch nur vermuten konnte? Aber ich fand Euch nicht, obwohl ich doch nicht nur Euch, sondern auch einen Esel suchte. Ich fand wohl Esel, aber Euch fand ich nicht und nicht einmal den Esel, der Ihr wart, so wie ich Euch jetzt gefunden habe, Herr. Um mich her spann sich allerlei Zauber. Es war ein Gewebe von Hindernissen um mich her. Freilich wagte ich nicht, zu Euren Eltern zurückzukehren, nachdem ich Euch verloren hatte. Ich selber wurde, alsbald nachdem ich Euch zu Larissa in einem Eselsstall gesucht hatte – denn ich vermutete wohl, daß Ihr Eure Gestalt verändert hättet –, als Viehdieb aufgegriffen, gegeißelt, in den Kerker geworfen und auf dem Sklavenmarkt verkauft. Bis zu drei Malen wechselte ich meinen Herrn. Anfangs war ich Sklave des Stadtreinigers, und ich war sehr erfreut darüber. Denn auf der Straße lief ich mit meinem Korb und meinem Besen stets allen Eseln nach. Darauf verkaufte mich mein Herr mit Gewinn an einen Purpurfärber. Ich segnete mein Geschick, weil ich mir ausrechnete, daß ich Euch, so Ihr nicht in einen Esel verwandelt wäret, vielleicht dort begegnen würde, falls Ihr Handelsbeziehungen anknüpftet mit meinem Herrn. Aber auch dieser verkaufte mich mit Gewinn an den Aufseher eines Großgrundbesitzers, auf dessen Ländereien ich jetzt arbeite,« – er zeigte seine Sense – »den ich aber selber noch nicht zu Gesicht bekommen und dessen Namen ich wieder vergessen habe. Er heißt, glaube ich ...«

Während Davus versuchte, sich den Namen seines neuen Herrn in Erinnerung zu bringen, kamen allmählich die anderen Sklaven und Arbeiter und Landleute herbeigelaufen und scharten sich um uns. Davus war so entzückt, mich wiedergefunden zu haben, daß er keinen Augenblick bedachte, wie Stillschweigen und Geheimnis den besten Kreis um einen Zauber bilden, und daß er sich selber laut in die Rede fiel: »Freunde, Mitsklaven und ihr Herren Aufseher! Kommt doch näher, eilt doch herbei! Seht! Dies ist mein Gebieter, dies ist Charmides, der Sohn des Lysias aus Epidaurus, der in einen Esel verwandelt ward. O nein, nicht in einen Esel, sondern in einen Helden, der aus dem Kriege heimkehrte, obwohl er doch einem Esel gleicht. Diese Jungfrau ist ...? Wie heißt sie doch gleich? Herr! Charmides! Ihr wißt, daß Euer treuer Davus alle Namen vergißt.«

Die Aufseher und die Sklaven sammelten sich zu einer dichten Schar. Nun ließ sich des Davus Redeseligkeit nicht mehr gutmachen. Die Aufseher fragten erst Davus, dann fragten sie Charis, die noch immer auf meinem Rücken sitzend ohne Arg und voll Würde antwortete, daß sie Charis sei und ich ihr Bräutigam Charmides. Sie fragten sogar mich. Und mir blieb nichts anderes übrig, als bejahend zu nicken und meine Bestätigung sogar schriftlich in den Staub des Weges zu malen.

Um uns her war lebhafte Verwunderung. Allmählich hatte sich das ganze Landvolk um uns gedrängt.

Es klang wirr durcheinander: »Ein verzauberter Kaufmannssohn und eine verzauberte Jungfrau! Nun? Ist denn eine solche Verzauberung so seltsam? Erzählt man sich denn nicht sogar, daß unser Gebieter und unsere Gebieterin ...?«

Ich verstand nicht, was sie weiterflüsterten. Denn um uns war es wie eine rauschende, drängende See. Endlich sprach der Hauptaufseher zu Davus: »Es dünkt mich am besten, daß wir Charis und Charmides vor unseren Herrn und unsere Herrin geleiten und daß du, Davus, uns begleitest, um zu bezeugen, daß du deinen ersten Herrn in dieser unwahrscheinlichen Gestalt wiedergefunden hast.«

Viel ließ sich gegen diesen Vorschlag nicht einwenden. Die Aufseher befahlen den Sklaven und Arbeitern, zu ihrer Arbeit zurückzukehren, und umringten uns, vier von ihnen mit dem Hauptaufseher, um uns zu ihrem Herrn zu führen. Aber wir hatten einen langen Weg zurückzulegen, während der Abend schon hereinbrach. Es waren ausgedehnte Besitzungen. Als die Ländereien, auf denen man kaum wußte, wie der steinreiche Besitzer hieß und wer er war und mit wem er verheiratet war, und wo noch ein ländliches Glück zwischen Ackerbau und Viehzucht zu leben schien, hinter uns lagen, gelangten wir an den ausgedehnten Mühlenbetrieb, und dort gewahrte ich zu beiden Seiten des Weges das gleiche Elend, das ich selber durchgemacht hatte. Ein Schauder durchfuhr mich. Die Aufseher sahen wohl ein, daß wir beide, wiewohl verzaubert, ein edler Jüngling und eine Jungfrau von Ansehen waren, und führten uns mit großer Sorgfalt. Immer wieder ließen sie uns rasten. Sie boten Charis Honigkuchen, Milch, Brot und Früchte dar. Mir gaben sie Klee und Hafer. Sie mochten nun wohl davon überzeugt sein, daß ich kein gewöhnlicher Esel sei, sondern ein verzauberter Kaufmannssohn. Denn einige ihrer Fragen beantwortete ich schriftlich und gestand ihnen, indem ich mit meinem Huf in den Sand schrieb, daß ich Räubern entronnen sei. Während sie sich wohl wunderten, aber nicht so sehr, wie ich es begreiflich gefunden hätte, führten sie uns immer weiter vorwärts, jetzt an den in der Nacht noch düsteren Felsblöcken vorüber, wo, wie sie sagten, die Goldminen ihres Herrn sich befänden. Ich vermutete, daß er wohl mindestens ebenso vermögend sein müsse wie Menedemus. Ich entsann mich dessen, daß Davus seinen Namen noch nicht genannt hatte, und fragte deshalb schreibend, als wir einen Augenblick haltmachten: »Wie heißt, Aufseher, Euer Herr?«

Der Hauptaufseher antwortete, und mir war, als hörte ich einen Donnerschlag: »Chersonesus, der sich der Sohn des Hermes und der Hekate nennt.«

Chersonesus, der Sohn der Hekate, der sich auch noch anmaßte, der Sohn des Hermes zu sein, des edlen Gottes aller Kaufleute und Reisenden in Perlen und Purpur? Nein! Das niemals! Aber der Sohn der Hekate! Vielleicht gar der Chersonesus, den ich in der Nacht über dem Landhause des Menedemus gesehen und gehört hatte, wie er sich bemühte, alles zu vernichten und Charis zu entführen? Also zu Chersonesus geleitete man uns? Ein Schauder durchfuhr mich. Aber ich begriff sogleich, daß ich mir nichts dürfe merken lassen. Charis selber begriff nichts, ahnte nichts von diesem mächtigen Zauberer. Für Davus bebeutete des Chersonesus Name nicht mehr als irgendwelcher andere Klang. Nur für mich bedeutete er das Entsetzen. Was konnte ich tun? Mit Charis entfliehen? Ein Esel mit einer Jungfrau unter vielen Menschen ist nicht gleich einem Manne mit seiner Geliebten zwischen vielen Männern. Tausend Gedanken und Vorhaben wühlten in mir mit schwindelnder Schnelligkeit, aber ich begriff nur, daß sich kein einziger davon werde ausführen lassen. Scheinbar ruhig schritt ich weiter. Charis war beruhigt, weil sie auf meinem Rücken sitzenbleiben durfte, schaute nach rechts und nach links und fragte die süßen Fragen eines Kindes. Da rief Davus: »Ihr Herren Aufseher! Sagt man nicht, daß Chersonesus vertraut sei mit den geheimen Kräften? Könnte er nicht meinen Herrn entzaubern?«

Was die Aufseher antworteten, verstand ich nicht in meiner Verwirrung. Doch wohl machte des Davus Frage mir begreiflich, daß es am besten sei, wenn ich mich in Gegenwart des Chersonesus wirklich so betrüge, als wolle ich von ihm entzaubert werden. Inzwischen waren wir an den Goldbergwerken vorübergegangen, und plötzlich sah ich, wiewohl noch in der Ferne, ein wunderseltsames Bild eines Bauwerks in der Nacht aufsteigen. Es schien, als ob mattgoldene Säulen zwischen weiten, mondblauen Gärten sich emporreckten. Noch niemals hatte ich so seltsam unwahrscheinlich blaue Gärten gesehen. Es war dunkelblau von Baumgruppen und Sträuchermassen, die sich vom helleren sternenbesäten Blau des Himmels abhoben.

Da war nächtlicher Azur von Teichen zwischen dem Lasurblau von Blättern und Bäumen, und inmitten all dieses blauen Zaubers erhoben sich die mattgoldenen Säulen mit korinthischen Kapitellen und Kannelüren mit ihren zahllosen Vertiefungen, während die Dächer ebenfalls wie mattgoldene Flächen verschwammen. Als wir uns näherten – eine Jungfrau auf einem Esel in Begleitung von verschiedenen Sklaven und Aufsehern – durch die Gärten und an den Teichen entlang, meldete uns der Hauptaufseher an, indem er auf einer Flöte blies. Von jenseits antwortete ein Zimbelschlag, und hüben wie drüben ward flüchtig eine kurze Musik hörbar. Von allen Seiten eilten Sklaven herbei, um zu hören und es ihrem Gebieter zu melden. Auf den vielen goldenen Treppen des weiten Hauses herrschte eine große Bewegung von vielen hin und her laufenden Sklaven und Sklavinnen, die Meldung erstatten sollten von der verzauberten Jungfrau und dem verzauberten edlen Jüngling, die kamen, um des Chersonesus Hilfe zu begehren. Nach einer Pause, während der wir vor den Treppen verweilten, begann das Innere des Hauses zu erstrahlen im Lichte sternartiger Lampen, die leuchteten in Tausenden von Hekatefackeln, die in weiter Entfernung aufgepflanzt waren. Inmitten der Fackeln näherte sich jemand, der Chersonesus zu sein schien. Er trug eine glänzende Tiara, eine lange Toga und einen schwarzen Bart. Er war umringt von unzähligen Trabanten. Er selber war so groß, daß er über alle herausragte. Er schien ein asiatischer Despot zu sein. Die Männer, die ihn umgaben, erschienen wie Satrapen. Ich begriff, daß er ein allmächtiger Zauberer sein müsse und daß auch die, welche ihn umringten, Zauberer seien.

Auf der obersten Stufe blieb er stehen in seiner Glorie, und von den Aufsehern klang ihm an den Trabanten vorüber das erklärende Wort entgegen. Ich hörte: »Beide verzaubert, Charis, Charmides.«

Dann sah ich, wie er aufschrak vor freudiger Überraschung. Er stieg die Treppe hinab und näherte sich Charis, die noch immer auf meinem Rücken saß.

»Jungfrau!« sprach er mit seiner tiefen, verführerischen Stimme. »Edle Charis! Seid willkommen in meinem Hause, das Euer Eigentum ist!«

Charis befreite sich halb aus ihren gelben Festschleiern, die sie trug, und sprach mit süßem Lächeln, da sie an Verehrung und Huldigung gewöhnt war: »Dies ist mein Bräutigam. Dies ist Charmides, der Held.«

»Ich heiße ihn willkommen gleich Euch,« sprach Chersonesus, während er Charis beim Absteigen behilflich war und ein Schwarm von Sklavinnen sie sogleich als Gefolge umringten.

Er schien sie nicht sofort davon überzeugen zu wollen, daß sie verzaubert und in einen Esel verliebt, daß ich verzaubert und ein Esel sei. Er führte sie an der Hand die Stufen empor. Ich folgte mit Davus, den Trabanten, den Sklaven zwischen den goldenen Säulen hindurch inmitten der sterngleichen Fackeln durch die langen, langen Säulengänge. Währenddessen pochte mein Herz in meinem Eselsleib, indes ich gemessen auf meinen goldenen und roten Hufen hinter meiner Braut und dem Zauberer einherschritt, bis wir in eine Festhalle, einen offenen marmornen Säulengang, gelangten. Jede Säule war gekrönt von einem schwarzen Marmorhund, dem Hund der Hekate, der seinen bellenden Kopf düster und schaudererregend gegen den Sternenhimmel erhob, während in der Mitte ein Wasserbecken seine Vertiefung aus schwarzem Marmor öffnete, wo auf dunklem Wasser eine schwarze Lotosblume erblühte. Chersonesus lud Charis ein, auf einem Marmorthron Platz zu nehmen, setzte sich an ihre Seite und fragte: »Sagt mir nun, edle Charis! Wie kann ich Euch oder Eurem Bräutigam helfen?«

»Indem Ihr ihm seine Sprache wiedergebt, Chersonesus,« sagte Charis.

»Und mit seiner Sprache auch eine menschliche Gestalt.«

»Das nicht, Chersonesus. Denn seine Gestalt ist mir teurer als irgendeine andere Gestalt.«

Chersonesus blickte sie an. Allem Anschein nach hatte er, ein wie mächtiger Zauberer er auch sein mochte, eine andere Antwort erwartet. Allem Anschein nach hatte er niemals in Betracht gezogen, daß der Charis Verzauberung, die sein eigenes Zauberwort heraufbeschworen hatte, ihr doch noch zum Glücke gereichen könne wegen ihrer Liebe, die die Göttinnen von Eleusis auf einen Esel gehäuft hatten, doch auf einen gleichfalls verzauberten, in einen Esel verzauberten edlen Jüngling, so daß trotzdem die Liebe – wie seltsam! – zwischen ihren beiden Seelen ihre Fäden hatte spinnen können, so daß dennoch das Glück ihnen geleuchtet hatte. Er zögerte mit seiner Antwort, während die Jungfrau, der er, die Götter wußten welche, Schmach zugedacht, rein und arglos und in göttlicher Unschuld und unvergleichlicher Schönheit an seiner Seite saß.

Plötzlich erklang aus der Tiefe der Gärten, in denen gleichfalls Fackeln aufzublitzen begannen, ein seltsames Geräusch wie von grunzenden Schweinen. Ich blickte auf und konnte meinen Eselsaugen nicht trauen, als ich sie schaute, die da prunkvoll auf einem Lager aus Sonnenblumen herbeigetragen ward.


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