Louis Couperus
Der verliebte Esel
Louis Couperus

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10.

Wahrlich! Ungeachtet des Entsetzens, das ich in den Zügen der würdigen Männer – Charis Vater, ihrer Brüdern und Vettern – gewahr ward, wurde befohlen, daß man den Zaun öffne. Charis, die ihren Schleier um mein krankes Auge und zwischen meinen Ohren hindurch gewunden hatte, führte mich über die blumenübersprenkelten Wiesen hinein. Mein Glück war ebenso groß wie meine Verwunderung, und ich ließ es geschehen, so wie Charis es gewünscht und befohlen hatte. Es war, als umwebe mich ein Märchen, als sei ich doppelt verzaubert, als träumte ich. Ich konnte nicht an das glauben, was mir widerfuhr. Allein als Charis, während die Jungfrauen rings um uns tanzten, jubelnd an ihrem Vater, an ihren Brüdern und Vettern vorüberschritt, die noch immer entsetzt miteinander flüsterten und einander um Rat fragten, hörte ich Menedemus ausrufen: »Bei allen barmherzigen Göttern! Was sollen wir jetzt mit diesem räudigen Esel beginnen? Während wir befohlen hatten, daß drei Meilen im Umkreise dieses Landhauses ein Esel nicht gehalten werden dürfe, schickt uns der Zufall oder das Schicksal einen schorfbedeckten Esel gerade in dem Augenblick, da wir Charis auf ihrem Morgenspaziergang begleiten, und meine Tochter verliebt sich in diesen schorfbedeckten Esel. Unergründlich sind der Götter Ratschlüsse. Sagt mir, Jünger des Hermes und des Äskulap, ihr Wundermeister, ihr Heilkundigen, sagt mir, was da zu tun ist?«

Voller Verzweiflung winkte Menedemus drei Männern mit phrygischen Mützen, daß sie näher treten möchten. Er stand vor ihnen und breitete die Arme in Verzweiflung weit aus.

»Herr!« sprach einer von ihnen, ein grauer, würdiger Mann mit langem Bart. »Wir können nichts anderes tun, als Charis in dem Wahne lassen, sie habe ihren Bräutigam gefunden.«

»So wir sie überreden wollten, würde sie uns niemals Glauben schenken,« fiel der zweite Gelehrte ein.

»Sie ist von Chersonesus behext,« rief der dritte. »Habt acht, Menedemus, daß Ihr Eure Tochter nicht tötet, so Ihr sie davon zu überzeugen sucht, dieser Esel sei nicht ihr Bräutigam!«

Die Vettern rings um Menedemus klagten den Brüdern der Charis: »Ach unsere Charis! Ach unsere liebe Charis! Hätte sie doch nur einen von uns gewählt, statt sich nach des Chersonesus Fluch in einen schorfbedeckten Esel zu verlieben, den sie Charmides nennt!«

Ich hörte dies alles, während mich Charis an den Männern vorübergeleitete. Ich hörte auch, wie Menedemus die Gelehrten weiter fragte: »Also ihr Wundermeister, was ratet ihr mir?«

Der erste Jünger des Äskulap antwortete: »Am besten scheint es mir, daß wir diesen Esel pflegen.«

Der zweite fiel ein: »Sage Charis, daß ihr Bräutigam, der verwundet aus dem Kampfe gekommen, von uns mit Hingabe gepflegt wird.«

Der dritte sprach: »Um, wenn er genesen ist, das feierliche Verlobungsfest zu begehen.«

Menedemus warf voller Verzweiflung die Hände empor, und die Brüder und Vettern rangen in Verzweiflung die ihrigen.

»Dieses ganze Unglück«, rief Menedemus aus, »entstand nur deshalb, weil Chersonesus, dem ich meine einzige Tochter zugedacht hatte, ein schlechter Mann ist, ein verfluchter Zauberer, der Charis behexte, als ich endlich die Wahrheit über ihn erfuhr und mich weigerte, ihm mein Kind zu opfern.«

Mehr hörte ich nicht. Zwischen Reigen und Blumenkränzen führte mich Charis – willig folgte ich ihr – zu dem säulenreichen Landhause.

Die Heilkundigen folgten uns und sprachen: »Edle Charis! Euer Bräutigam, der soeben aus dem Kampf zurückgekehrt ist ...«

»Ist krank und verwundet, edle Charis.«

»Euer edler Charmides, edle Charis ...«

»Ist krank und verwundet und muß gepflegt werden.«

»In der Tat,« sprach Charis, die verzauberte Jungfrau, und ihre Stimme war wie der Klang einer lyrischen Flöte, wie ionische Weisen. »Mein Charmides ward verwundet, als er den Feind besiegte. O meine Liebe! O mein Held! O meine Herrlichkeit!«

Ihre Stimme, die erst süß und mitleidsvoll geklungen hatte, klang nun jubelnd, ihre Arme umschlangen mich, und sie küßte mich auf meine Eselsnüstern, während ich mich verwundert fragte, woher sie meinen Namen wisse.

Die drei Heilkundigen verliehen ihrem Abscheu und ihrem Widerwillen durch Gebärden beredten Ausdruck.

»Charis!« riefen sie alle drei. »Gestattet uns, daß wir Euren Bräutigam pflegen!«

»Sobald er genesen ist, wird Eure Verlobung gefeiert!«

»Gestattet, edle Charis, daß wir Charmides dorthin führen, wo ihm die liebevollste Sorge zuteil werden soll.«

»Ja!« rief Charis. »Ja, ihr Wundermeister! Heilt meines Charmides Wunden! Ehelichen werde ich ihn, sobald er wieder kräftig ist. O meine Liebe! O mein Held! O meine Herrlichkeit!«

Wiederum wollte sie mich umarmen, allein die Wundermeister hatten sich meiner bereits bemächtigt, und Charis tanzte jubelnd vor Glück, wiewohl sie nun von mir getrennt ward, im Kreise ihrer Jungfrauen.

Die drei Männer führten mich weiter. Ihre Sklaven eilten herbei.

»Schmutziger Esel!« so schalten mich die weisen Männer.

»Sollen wir unsere Kunst nun wahrhaftig an einen so schmutzigen Esel vergeuden?«

Doch verboten sie den Sklaven, mich zu schlagen.

»Wir müssen ihn pflegen.«

»Unser Leben steht auf dem Spiel.«

»Wenn wir Charmides nicht heilen ...«

»Wird Menedemus uns töten lassen.«

»Wenn wir Charis heilen ...«

»Überschüttet er uns mit Gold.«

»Sie ist behext. Wir können für den Augenblick nichts anderes tun, als sie in dem Wahn lassen.«

»Und sie dann entzaubern.«

»Sachte! Sachte!«

Sie stimmten miteinander überein; sie würden mich pflegen, nicht aus Liebe zu mir schorfbedecktem Esel, sondern in der Hoffnung, reich belohnt zu werden dereinst, wenn sie Charis entzaubert hätten.

Sie führten mich in einen geräumigen Stall. Dort war ich ohne die Nachbarschaft anderer Tiere. Die Sklaven brachten frisches Stroh, das sie zu einer Lagerstatt breiteten. Sie füllten die Krippe mit Heu, mit Hafer und machten mein Mahl duftig mit den ersten Kleeblättchen. Ich fraß, und die Heilkundigen untersuchten meine Wunden und sahen nach, wie meine Zähne mahlten.

»Er ist jung,« sagte der eine.

»Aber er ist abgeschunden,« sagte der andere.

»Er hat Holz geschleppt,« sagte der dritte, indem er auf mich wies. »Seht nur, wie plattgedrückt seine Hufe sind!«

»Er hat einen Mühlstein gedreht,« sagte der erste wiederum.

»Seht nur die Spuren der Deichsel!«

»Und des Drehbaumes!«

Sie untersuchten mich gründlich. Ich fand, daß es drei tüchtige Wundermeister seien, die sogleich viel erraten hatten, wiewohl sie nicht errieten, daß ich ein Mensch war, den eine Harpyie verzaubert hatte. Willig überließ ich mich ihrer Sorgfalt und ihrer Wissenschaft.

»Der Esel, den sich unsere Jungfrau auserkoren, ist ein recht gefügiger Esel,« mußten sie alle drei anerkennen. Mit Hilfe ihrer Sklaven wuschen sie mich und verbanden meine Wunden, nachdem sie sie mit Salbe eingerieben hatten. Ich widerstrebte keinen Augenblick, und die drei gelehrten Männer lachten, weil ich mich so geduldig behandeln ließ. Schweigsam und vornehm saß ich nun da im Vollgenuß meines neuen Wohlbehagens auf meinem Hinterteil im Stroh. Ich stützte mich auf meine beiden Vorderhufe; mein Auge, die Hinterbeine und der Rücken waren mit Binden umwickelt, während der älteste der drei Wundermeister damit beschäftigt war, meinen Vorderfuß, auf dem ich hinkte, am Knie zu kneten mit sorgsam drückenden und streichenden Fingern. Mit Scheren schnitten sie mir die schmutzigen Strähnen und Haarbüschel an meinen Beinen und an meinem Schwanze ab.

Gerade in diesem Augenblick kam Charis vorbei in Begleitung ihrer Jungfrauen.

»Ich suchte meinen Bräutigam,« rief sie. »Ich suchte Charmides. Oh! Da sehe ich meinen Helden! Was, ihr Meister, wird mein edler Geliebter in einem Stall untergebracht? Was soll das bedeuten? Warum gewährt mein Vater ihm nicht Gastfreundschaft in dem Flügel, wo die Fremden wohnen?

»Charis! Charis!« riefen die Wundermeister. »Zieht Euch zurück mit Euren Jungfrauen! Wir pflegen Euren Bräutigam. Es ist nicht schicklich, daß Ihr dabei zugegen seid.«

Sie hatten sich erhoben und hinderten meine Liebste daran, einzutreten. Schmollend mußte sie weichen.

»Auf bald denn, Charmides, mein Esel, mein Fürst!«

Ich war heftig bewegt in meinem Herzen. Etwas Stärkeres als mein Verstand zwang mich dazu, mein Eselsmaul zu öffnen. Ich wollte Charis rufen und rief: »Ha – hi!«

Die drei Wundermeister brachen in ein tolles Gelächter aus.

»Er ruft mich! Er ruft mich!« rief Charis beseligt. »O ihr grausamen Wundermeister, die ihr mich daran hindern wollet, meinen Helden und Bräutigam zu umarmen! Grausame Trennung! Auf Wiedersehen! Auf baldiges Wiedersehen und baldige Besserung, mein Liebster!«

Also rief Charis, die Jungfrauen führten sie hinweg, die Wundermeister schüttelten sich noch immer vor Lachen, während ihre phrygischen Mützen wie Muscheln und Hörner sich gegeneinander neigten und stießen, und ich, der wußte, wie lächerlich ich in ihren Augen war, wenngleich Charis aus meinem Iahen ihren Namen vernommen hatte, gelobte mir selber, nie mehr zu iahen.

Still und vornehm, mit unzähligen Binden umwickelt, saß ich im Stroh, und die noch immer lachenden Drei hatten ihre Freude an dem Esel, den sie pflegten.

»Er sitzt genau so da wie ein Mensch,« sagte der Älteste.

Ein Gedanke blitzte in mir auf. Wenn ich jetzt mit dem Kopfe nickte, wenn ich jetzt mit meinem Huf in den Sand schriebe und um Silberastern bäte? Aber eine Überlegung hielt mich davon zurück. Was sollte geschehen, wenn sie mich fragten, wer ich sei, und ich verriete, ich sei ein Kaufmannssohn? Wenn ich einmal entzaubert wäre, würde Menedemus mir vielleicht Purpur und Perlen abkaufen, um mich dann fortzuschicken, noch weiter in das Innere Thessaliens. Ich nickte nicht mit dem Kopfe, ich schrieb nicht mit dem Huf in den Sand, ich bat nicht um Silberastern.

»Ja! Er sitzt genau so da wie ein Mensch,« pflichteten die beiden andern Wundermeister ihm bei. »Wie wäre es, wenn wir versuchten ...?«

»Ich dachte soeben das gleiche,« rief der zweite.

»Das ist ein vorzüglicher Gedanke!« rief der dritte.

Was hatten sie mit mir vor? Doch alsbald begriff ich. Sie schickten ihre Sklaven in die Küche, ließen eine Schale voll Pastete und einen großen, hohen Becher voll Wein aus Chios holen und setzten mir beides vor. Sie wollten mich abrichten, sie wollten mich zu einem gelehrten Esel machen, zu einem Esel mit guten Umgangsformen, zu einem Esel, der Pastete aß aus einer Schüssel, der Wein aus Chios trank aus einer Schale. Jetzt erheiterten sie mich ebenso sehr, wie ich sie erheiterte, und absichtlich stellte ich mich anfangs so, als ob ich ihre Aufforderung nicht begriffe.

»Komm, Charmides!« sagten die drei Wundertäter scherzend. »Iß die Pastete! Trink den Wein!«

Mit ihren Sklaven wollten sie sich noch immer ausschütten vor Lachen über mich, den Esel Charmides.

Ich spielte die mir zugedachte Rolle des Esels, der belehrt, der abgerichtet wurde. Erst schnüffelte ich bescheiden prüfend an der Pastete, dann an dem Wein. Beide dufteten nach lange nicht gekannten Genüssen. Ich mußte an mich halten, um beides nicht gierig zu verschlingen. Allein ich beherrschte mich und spielte meine Rolle. Endlich tastete ich mit meiner Zunge nach dem Wein und schlürfte.

»Er trinkt, er trinkt!« riefen die Wundermeister und hielten sich die Bäuche, und die Sklaven bogen sich vor Lachen.

Darauf tastete ich mit meinen großen Eselszähnen vorsichtig nach der Pastete, knabberte ein Stückchen davon, kehrte wieder zu meinem Becher zurück.

»Er ißt und trinkt wie ein Mensch,« riefen die Wundermeister und Sklaven.

»Wenn er nur nicht ...« flüsterte plötzlich der älteste.

»Was?« fragten die beiden andern geheimnisvoll.

»Ein verzauberter Esel ist, ein Mensch ...«

»Der in einen Esel verzaubert wurde.«

»Das wäre nicht unmöglich hier in Thessalien.«

Die drei flüsterten miteinander.

»Nein,« beschlossen sie alle drei. »Wenn er ein verzauberter Esel wäre ...«

»Ein verzauberter Mensch ...«

»Dann hätte er sich anders benommen.«

»Zum Beispiel mit seinem Huf in den Sand geschrieben.«

»Und gebeten um ...«

Ich hörte nicht mehr, was sie flüsterten. Um Silberastern, flüsterten die drei vermutlich. Vornehm, verbunden saß ich da, hielt meine beiden Vorderbeine vorgestreckt, aß die Pastete und trank den Wein.

»Das haben wir ihm schnell beigebracht,« riefen alle drei durcheinander und lachten noch immer aus vollem Halse.

Die Nacht war hereingebrochen. Lachend verließen sie mich und schlossen den Stall.

Ich blickte mich um. Es war ein geräumiger Stall, und das frische Stroh hatte man üppig um mich gebreitet. Für einen Esel, der Holz geschleppt und einen Mühlstein gedreht hatte, bedeutete dieser Stall nach dem aus Pastete und Wein bestehenden Mahl fürstliche Üppigkeit. Der Balsam wirkte wohltuend auf meine Wunden. Ich streckte mich aus, wie es ein Mensch auf seinem Lager tun würde, und todmüde, aber selig schlief ich ein in meinen Binden und Verbänden, während ich diesmal mehr dachte als iahte: Charis, o meine Liebe, o Charis!


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