Louis Couperus
Der verliebte Esel
Louis Couperus

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3.

Nachdem Fotis mir auf sehr befriedigende Weise geholfen und mir ein wundertätiges Apotropäum um den Hals gehängt hatte, schlich sie davon durch den einen Schlag meines Reisewagens und verschwand gleich einem Schatten in der Nacht in der Herberge »Zur Pythia«. Im gleichen Augenblick hörte ich am andern Wagenschlage eine Stimme murmeln: »Herr! Herr! Charmides! Ihr, der in Purpur und Perlen reist!«

Ich lüftete den Vorhang und erkannte Demea.

»Was gibt es, Demea?«

»Herr!« sagte Demea. »Wenn ich nicht gesehen hätte, daß Fotis, die niedrige Herbergsmagd, in Euren Reisewagen geschlichen ist ...«

»Um mich zu warnen«, sagte ich, »vor den Hexen von Thessalien.«

»Dann würde ich Euch«, sagte Demea ein wenig gekränkt, »besser als sie vor jenen Hexen gewarnt haben. Ich wollte Euch ein Sieb geben, das jeden entzaubert, der behext wurde.«

»So tritt näher, liebe Demea!« sagte ich einladend. »Denn das Feld ist jetzt frei, und von dir lasse ich mich ebenso gern behexen wie entzaubern.«

»Herr!« sprach Demea. »Ich bin ein Kind der freien Lüfte und Tochter des Sandes und des Staubes der Wege. Hinter dem Vorhang eines Reisewagens, wo zwei schnarchende Sklaven vorn auf dem Bock hocken, gebe ich Euch mein Sieb nicht. Die Wüste war das Gemach, darin meine Mutter mich gebar. Die Sphinx wachte über meinen Kinderspielen. Der Mond ist mein Nachtlicht, und das sternenübersäte Firmament bildet die Kuppel meines ungeheuren Zeltes.«

»Demea!« sagte ich. »Du hast das alles sehr schön und sehr rhetorisch gesprochen. Es erinnert mich an eine Redewendung aus Seneka, dem Tragödiendichter. Ich bin bereit, dir zu folgen, wohin du nur willst, in jede deiner geräumigen Schlafkammern unter den goldenen Sternen.«

»So komm mit mir!« sagte Demea verführerisch.

Ich richtete mich aus den Kissen auf, sprang aus dem Wagen und fragte: »Wohin?«

»Folge mir!« sagte Demea lockend, voll unwiderstehlichen Reizes, während ihre Augen gleich Opferkohlen glühten.

Ich folgte ihr. Flüchtig überzeugte ich mich, ob ich meinen syrischen Dolch bei mir hätte in meinem Gürtel. Demea schwebte lachend vor mir her und schaute sich immerfort um, ob ich auch folge. Wie leichtfüßig und behende war sie, die kleine Bogenschützin, die mit den Zehen ihre Pfeile auflegte und abschoß! Sie war vor mir, flüchtig wie eine Geistererscheinung. Sie führte mich seitab von der Herberge sogleich in einen verwilderten Wald. Der Wind rauschte klagend durch die Zweige, und über uns trieb der Mond durch die eilenden, weißen Wolken über den Nachthimmel dahin. Die Schatten lagen nur von flüchtigem Schimmer durchbrochen zur Seite des Pfades wie große schwarze Ungeheuer nebeneinander gereiht.

»Hexe!« rief ich. »Demea! Bist du schon eine Hexe, wiewohl ich noch nicht in Thessalien bin?«

»Meine Mutter war eine Hexe,« rief Demea. »Auch ich werde eine Hexe sein gleich ihr, wenn mich der große Bock ruft. Komm, komm!«

Ich konnte nicht widerstehen. Ich folgte ihr, während sie weiterschwebte und lachte und lockte. Ich sah nur, wie durch die Schatten und die Dämmerung ihre Augen leuchteten, und oft schien es mir, als sähe ich ihr Lächeln aufblitzen wie um einen Blumenmund aus gelbem Schwefel. Plötzlich stand sie still auf einer offenen Ebene. Dort reckten sich einige zerbröckelte Mauern empor, die abgebrochenen Säulen eines Portikus.

»Wo sind wir?« rief ich verstört.

Demea näherte sich mir und rief in tragischem Tone aus: »Wir sind in der Ruine des großen Tempels. Einst erhob sich hier das Heiligtum, das dem göttlichen Bogenschützen geweiht war, dem ich diene, aber mit meinen Füßen. Einst saß hier« – sie zeigte mir in der Mitte einen runden steinernen Fleck – »die Pythia auf ihrem Dreifuß, trunken von Lorbeersaft und Dünsten, und kündete die heiligen Orakel. Da, wo dies alles einst war, werde ich meinen Tanz der Bezauberung und der Entzauberung tanzen.«

Sie tanzte. Zwischen den abgebrochenen Säulen tanzte sie im Mondschein, der heller und heller über den Himmel glitt. Sie tanzte. Sie tanzte in blauen, in grauen, in weißen Schleiern. Sie glich einer Windung von duftendem Qualm aus einem Räucherbecken. Sie wirbelte umher wie eine feine, dünne Wolke, die sich in der Nacht verflüchtigte. Sie wurde unwirklich wie ein Zauberdunst. Sie vollzog die hinreißende Schändung des Heiligen auf dem heiligsten Fleck von Delphi. Ich war nicht mehr ich selber.

»Demea!« rief ich und öffnete die Arme.

Demeas Arme umschlossen mich. Sie nahm mich gleichsam auf in die Trunkenheit ihres Tanzes. Die Sterne schienen wie in einer Flut von Feuer über die Ruine des Tempels zu regnen, und aus dem Monde ergoß sich ein silbernes Meer und überwogte Himmel und Erde. Als ich zu mir kam, bot mir Demea ein alabasternes Gefäß. Das war lang und schmal wie ein Finger.

»Das Sieb,« sprach sie, »das entzaubert!«

»Soll ich dir Geld geben?« fragte ich, während ich das Alabastergefäß entgegennahm.

»Purpur und Perlen!« sagte sie lachend. »Gib mir Purpur für ein Mieder und eine Perle gleich einer Birne!«

Sie führte mich lachend durch den Wald zurück und zu dem Wagen. Ich hatte das Empfinden, als ob mich Rachegöttinnen verfolgten ob der Schändung des Heiligtums, die soeben begangen worden war. Schon begann die Nacht sich wieder über den Platz zu breiten. Ich fand Davus erwacht.

»Herr!« sagte er. »Der Fuhrmann ist entflohen.«

»Wir werden schon sehen,« sagte ich beinahe unbewußt.

Ich suchte in meinem Wagen in zwei, drei Reisetaschen.

»Hier«, sagte ich zu Demea, »ist eine Probe des Purpurs von Thiatyra. Allererster Güte. Aber er ist nicht so purpurn, wie dein Kuß war, Demea.«

»Er ist purpurn genug für ein Mieder,« sagte Demea.

»Hier ist«, sagte ich, indem ich sie ihr zeigte, »eine Perle. Sie ist sehr groß und wie eine Birne geformt. Aber ...«

»Aber? Was, Herr?«

»Sie ist nicht echt,« sagte ich. »Ich reise nicht mit echten Perlen. Diese Perlen sind nur Muster der echten Perlen, die mein Vater verkauft. Sie sind nachgemacht.«

»Eine falsche Perle«, sagte Demea, »birgt mehr Kraft in sich. Denn sie ist dämonischer und trügerischer als eine echte. Ich will diese falsche Perle haben.« Sie nahm Purpur und Perle und war plötzlich verschwunden.

»Herr!« sagte Davus und kniete voller Angst vor mir nieder. »Wohin hat Euer Vater Lysias Euch im Zorn gesandt? Wohin gehen wir? Thessalien ist ein Land, das verflucht ist, sagen alle. Herr, ich fürchte mich. Verschonet mich! Wenn ich nicht geflohen bin, geschah es nur deshalb, weil ich Euch von klein auf beschützte. Ich war etwas älter als Ihr, ich spielte mit Euch, ich hütete Euch. Herr! Seid gnädig und lasset uns umkehren! Lasset uns umkehren, Herr!«

»Ich kann nicht, Davus. Ich muß weiter nach Thessalien.«

»So sei es!« sagte Davus. »Aber die Götter mögen uns beistehen! Sie mögen mich behüten, der Euch fahren wird, so wir keinen anderen Fuhrmann bekommen!«


Ich legte mich im Wagen zur Ruhe und schlief auf meinen Kissen zwischen meinen Mustern von Purpur und Bombyx und den Mustern von Weihrauch und falschen Perlen wie die Unschuld selber. Denn Unbewußtsein war in mir und um mich, und ich lebte mein Leben wie ein großes Kind, obwohl hin und wieder plötzlich etwas wie eine Ahnung in mir erwachte, daß ich nicht gut lebte. Diese Ahnung war sehr unbestimmt, wie ein flüchtiger Hauch von Wehmut, der sich durch mein Hirn zog. Dann lastete wohl meine Seele schwer in mir, in matter Unzufriedenheit, und ich sehnte mich danach, in die Mysterien von Eleusis eingeweiht zu werden. Jetzt aber schlief ich. Ich dachte nicht mehr an Fotis und Demea, an die Frauen von Böotien und Korinth, an die verlassenen Matronen von Epidaurus. Aber ich träumte. Vor mir erschien, gestrenge, eine glänzende Göttin und schüttelte mißbilligend das Haupt. Erschrocken wachte ich auf und schaute um mich. Der Morgen schimmerte sanft über dem schlammigen Platz. Die dicke Wirtin stand auf der Schwelle.

Ich bezahlte, und Davus spannte die vier frischen Postbüffel ein. Er sollte mein Fuhrmann sein. Denn es war keiner zu finden, der mich nach Thessalien fahren wollte.

»Es ist übertrieben, Herr,« meinte die Wirtin. »Möglich, daß hin und wieder sich seltsame Dinge zutragen in Thessalien, aber nicht jeder wird dort behext. Sehr viele Reisende treffen hier ein, die aus Thessalien kommen, und denen nicht das widerfuhr, was Crito und Chremes und Aristomenes glauben erlebt zu haben. Bei zunehmendem Monde heulen wohl die Hunde, die Hekate geweiht sind, und dann sind die Menschen furchtsamer als späterhin im Monat.«

Wir gingen. Es war ein lieblicher Morgen, von Tau beperlt. Der Wagen rollte auf seinen vier großen, gut geschmierten Rädern gleichmäßig über den glatten Weg, und die vier glänzenden Postbüffel zogen kräftig und gleichmäßig. Wir überschritten die Grenze von Lokris. Wir fuhren vier Tage und rasteten des Nachts geborgen in Dörfern. Räuber brauchte man nicht zu fürchten. Ich hatte weder vor Räubern noch vor Hexen Angst. Es waren die ersten Herbsttage voll schauerlicher Winde. Nach der köstlichen Morgenstunde wurde der Mittag düsterer, und die Regenschauer, die schräg herabströmten, peitschten wohl hin und wieder die stets kräftig ziehenden Büffel. Begegnungen hatten wir nicht, mit Ausnahme der gewohnten auf der Landstraße. Eine Zenturie leichter Reiterei, die sich nach Amphissa begab, holte uns ein. Von meinem Wagen aus wechselte ich einige Worte der Begrüßung mit dem Zenturio, doch von Hexen sprachen wir nicht. Bettelpriester der großen Göttin Rheia Kybele führten ihren Esel, auf dessen Rücken ein kleiner Schrein geschnürt war, der das heilige Bildnis enthielt. Ich warf den Priestern ein paar Münzen zu. Des Nachts schliefen wir in den Herbergen. Nicht immer konnten die Mägde dort ihre eigenen Großmütter sein. Durchaus nicht! Frische Postbüffel waren stets zu haben. Der Postdienst nach Thessalien war trefflich geregelt. Dies Thessalien war ein reicher Landstrich. Außer Hypata lagen dort Pharsalus, Pherä, Larissa, die prächtigen blühenden Städte. Hypata, die erste Stadt, schien wohl nach allem, was ich gehört hatte, das Hexennest zu sein.

Am vierten Tage war das Herbstwetter düsterer als zuvor. Der sonst taugetränkte sonnige Morgen war von Regen durchnäßt und in Nebel gehüllt. Mich schauderte, als ich den Wagen bestieg, aber in diesem kleinen Dorfe zu bleiben, war unmöglich. Die Langeweile grinste mir dort entgegen. Wir gingen. Davus lenkte schweigend. Wir aßen unterwegs in dem Wagen. Jeden Augenblick regnete es, peitschten die Regenstrahlen. Der Weg war wie ein endloser, endloser Morast von Schlamm.

»Davus!« sagte ich. »Der Abend bricht herein. Wir müssen uns bald unserem Haltepunkt nähern.«

»Herr!« antwortete er. »Ich sehe nur den Weg sich endlos hinziehen.«

»Hast du auch nicht vergessen, rechts abzubiegen bei dem fünfzehnten Meilenstein?«

»Nein, Herr! Bei dem fünfzehnten Meilenstein bin ich rechts abgebogen. Ich glaube, Ihr schlummertet gerade einen Augenblick.«

»So fahre nur weiter!«

Er fuhr weiter. Der Weg nahm kein Ende. Es war da in dem wehklagenden Winde so einsam, daß mir Räuber, glaube ich, willkommen gewesen wären als Reisegenossen und Kameraden. Die Nacht dunkelte mit großen, regenschweren Wolkengebilden über den Feldern der Ebene, dem verschwimmenden Horizont mit fernen Tälern und welligen Hügeln. In der Ferne peitschten die Regenstrahlen den dunklen Himmel. Der Wind blies aus dem Westen mit heulender Wut über den Weg, auf dem der Wagen jeden Augenblick stecken blieb in den tiefen Schlammfurchen, aus denen die Büffel das Fuhrwerk kaum herauszuziehen vermochten. Vorwärts, vorwärts! Ein Sturmwetter tobte. Ich wurde naß in dem Wagen trotz der Decken und meines wollenen Mantels. Die Vorhänge flogen auf wie nasse Lappen und klatschten um meine Ohren. Plötzlich sagte Davus: Herr! Ich glaube doch, daß ich mich geirrt habe. Wir sollten keinen Dreiweg mehr treffen, und ich sehe, da drüben vor mir ist ein Dreiweg. Welchen Weg nehmen wir jetzt, Herr?«

Ich blickte hinaus, an seiner Schulter vorbei, und sah vor mir auf dem Boden den Dreiweg gleich einem bleichen Stern liegen. Der Weg, den wir verfolgten, mündete dort. Zwei andere Wege schossen daraus hervor gleich weißen Strahlen und verschwammen links und rechts in Regen und Ferne. Der Himmel darüber war schwarz und schwer von drohendem Unheil. Dicke Wolken trieben und wühlten durcheinander wie in Wirbeln, und der Wind schien drohend hindurch zu Heulen und hoch darüber umherzuwirbeln. Mitten auf dem Dreiweg erhob sich auf einer kurzen Säule ein Bildnis. Ich erkannte in ihm die dreiköpfige Hekate. Ihre drei Köpfe waren bedeckt mit der phrygischen Mütze. Schlangen, Fackeln und Messer hielt sie in den sechs erhobenen Händen. Um das Bildnis auf dem Altar schwebte die Opfergabe noch im Regen: die drei halbverkohlten schwarzen Hunde, die augenscheinlich an diesem Morgen geopfert waren.

Davus rief: »Herr! Herr! Seht! Der Dreiweg, den wir vermeiden wollten! Das Bildnis, das entsetzliche Bildnis! Die Göttin des Zaubermondes und der Hexen! Herr! Helft mir! Herr! Steht mir bei! Heilige Götter, alle, steht uns bei, steht uns bei!«

Er rief es durch den heulenden Sturm. Sein schwacher Schrei verwehte. Ich hatte mich aufgerichtet. Ein gewaltiger Windstoß warf den Wagen schräg an die Seite des Weges. Die unglückseligen Büffel, die widerstandslos mitgezogen wurden, brüllten dem Sturm gleich. Ich war herausgesprungen und stand im Schlamm. Ich schaute empor. Über meinem Kopf in dem schwarzen Wirrwarr der wirbelnden Wolken trieben allerlei wilde Ungeheuer durcheinander. Es waren Fledermäuse mit Frauengesichtern um einen riesengroßen Vampir, der mit fahlen Phosphoraugen mich verstohlen anblickte. Es waren Fittiche und Klauen wie von Harpyien durcheinander und verworren, und Davus war wahnsinnig vor Angst zu meinen Füßen niedergestürzt und barg sich in den Falten meines Mantels, während sich um meinen Kopf die fürchterlichen Ungeheuer im Kreise ballten.


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