Louis Couperus
Der verliebte Esel
Louis Couperus

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15.

Auch am folgenden Tage nicht. Wir verlebten ihn gemeinsam in märchengleicher Ruhe vom Morgengrauen bis in die Nacht hinein in dem Räume für gefangene Gäste und in den Gärten, während die Eunuchen und die schwarzen Frauen es uns an nichts fehlen ließen. Am kommenden Morgen erschien Dionysius.

»Charis!« sprach er. »Wir haben Botschafter nach dem Landhause Eures Vaters entsandt. Eingestürzt ist es nicht, wie wir mit unseren eigenen Augen sahen. Ein Erdbeben wurde im Süden Thessaliens schon seit Jahren nicht mehr beobachtet. Doch ist das Haus geschlossen und unbewohnt, und die in der Nähe wohnenden Bauern versicherten, daß Menedemus und alle die Seinen fortgezogen seien voller Verzweiflung und heftiger Aufregung darüber, daß seine Tochter verschwunden sei, ohne daß sie wüßten wohin. Edle Jungfrau! Wo können wir Menedemus jetzt finden? In welchem seiner unzähligen Landhäuser? In Hypata vielleicht?«

Charis wußte nichts zu antworten und ich ebensowenig. Darauf sagte Dionysius, er werde ganz Thessalien durchsuchen lassen, bis er Menedemus gefunden habe. Indes konnte ich es nicht fassen, daß das, was ich mit eigenen Augen gesehen, das, wovor ich mit meinen eigenen trabenden Beinen die Flucht ergriffen, ein Zauber gewesen, daß das Landhaus zwischen den Lotosteichen noch immer dastehen und nur unbewohnt und geschlossen sein solle. Doch obgleich ich unablässig an das Rätsel dachte, verlief auch dieser Tag wie der vergangene, bis uns gegen Abend Dionysius eine Einladung schickte, dem Feste beizuwohnen, das er und seine Spießgesellen zu veranstalten beschlossen hätten.

Die taubstummen schwarzen Frauen schmückten Charis noch reicher, und die Eunuchen geleiteten uns beide durch viel gewundene Gänge, durch das Innere des Berges, bis wir in einen Saal gelangten, der so glänzend war, daß es mich blendete. Wahrlich! Ich hatte in meinem jungen Leben schon viel gesehen: die zauberhafte Wohnung der Meroë, das Landhaus des Menedemus. Doch was ich jetzt sah, war so fabelhaft, daß ich geblendet um mich schaute. In den Fels, der mit seinen korinthischen Säulen und Architraven einer reichen Bildhauerarbeit glich, waren große Fächer glänzenden Goldes wie riesige Spiegel eingefügt, und überall an jeder Wand standen goldene Lampen, die sich verzweigten und verästelten, und jeder Zweig trug einen brennenden Docht, so daß es von Flammen wimmelte. All diese Flammen spiegelten sich tausendfach wider in den glänzenden, goldenen Spiegelwänden. Als wir eintraten, ertönte Musik von Flöten und kleinen Harfen, und in der Mitte des Saales tanzten georgische Tänzerinnen.

Die Tänzerinnen und die Musikanten waren Sklavinnen und Sklaven der Räuber, wie ich später begriff. Ich wunderte mich sehr über diese seltsamen Räuber, die im Inneren eines wunderlich gezackten Gebirges wie Fürsten lebten inmitten reicher Schätze und fürstlicher Üppigkeit, und die keinen Augenblick zu fürchten schienen, ihre Wunderburg könne entdeckt werden. Sie lagen reich gekleidet mit ihren edelsteinbesetzten Dolchen in den breiten seidenen Gürteln auf Lagern aus kostbaren Teppichen. Sie aßen und tranken aus dem kostbarsten Geschirr, das ich jemals gesehen, während die flackernden Flammen der Hunderte von Dochten all ihren Juwelen an Kopfschmuck und Waffen, an Schüsseln, Kannen und Bechern, blaue, gelbe und grüne Funken entlockten, die wieder zurückgeworfen wurden von den glänzenden Spiegeln, so daß es mir schien, als sei dies zauberhafte Schauspiel mit nichts vergleichbar, das ich jemals in meinem Leben hatte schauen dürfen.

Sobald wir eintraten, erhoben sich Dionysius und der finstere Manes. Sie gingen Charis entgegen, die ihren Arm um meinen Nacken geschlungen hielt und mit mir näher trat und die gleichfalls überrascht und bezaubert um sich blickte, an wieviel Schönheit die Tochter des sehr reichen Menedemus auch gewohnt sein mochte. Die beiden Räuberhauptmänner forderten Charis höflich auf, zwischen ihnen Platz zu nehmen auf einem erhabenen Sitze. Sie duldeten es, daß ich mich zu ihren kleinen Füßen niederließ. Meine Braut ahnte nicht, in welch seltsamer Gesellschaft sie sich befand. Angst hegte sie nicht, nachdem ihre Wirte sie nun schon zwei Tage mit so ausgesuchter Höflichkeit behandelt hatten. Ihrem verzauberten Geiste gelang es nicht, nachzudenken, und es wollte fast scheinen als umgebe diese Verzauberung sie mit einem Schutz, dessen sie sich nicht bewußt ward. Nachdem sie in einer Hexennacht aus ihres Vaters verzaubertem Hause auf dem Rücken eines Esels entflohen, war ihr kein Härchen gekrümmt worden, hatte man sie genährt und gekleidet, wurde um ihretwillen ein Fest veranstaltet, und ich wunderte mich über den geordneten Verlauf der Dinge, die doch nicht alltäglich erschienen, und dachte darüber nach, ob wohl die Götter von Eleusis solche harmonischen Unwahrscheinlichkeiten um die liebliche Unschuld der Charis spannen und webten.

Unterdessen schwebte der Tanz der georgischen Frauen durch den goldenen Spiegelsaal – überall verdoppelten sich ihre anmutigen Bilder hüben und drüben, und immer wieder wurden die vielen Trinkschalen gefüllt – als ich plötzlich überrascht den Kopf aufrichtete. Denn Dionysius war dichter an Charis herangerückt, und ich hörte ihn vom Weine erhitzt sagen: »Charis! Ich liebe dich. Ich wollte dich entführen, um von deinem Vater ein Lösegeld zu erhalten. Doch nun, da ein freundliches Geschick dich mir beinahe in die Arme geführt hat, will ich dich umarmen, und du sollst die Meine sein, und alle diese Schätze sollen dir gehören, schöne Jungfrau.«

Ich erschrak heftig, als ich plötzlich Manes auf der anderen Seite sagen hörte, während er finster die Brauen runzelte: »Dionysius! Hüte dich! Mir wird Charis angehören, so wie auch diese Schätze mir gehören und nicht dir, nicht dir, der mit seinem verfluchten Lächeln alles zu erobern glaubt, Schätze und Frauen und die Herrschaft über unsere Männer und über unseren Besitz.«

Wütend erhoben sich plötzlich die beiden Räuberanführer, und ich begriff, daß eine lang gehegte Eifersucht jetzt jählings zwischen ihnen aufflammte. Auch ich hatte mich erhoben, und Charis warf sich aufschreiend an meinen Hals. Wie? Schützten uns die eleusischen Gottheiten nicht mehr? Die beiden Räuber hatten einander bei der Gurgel gepackt, während die Tänzer und Musikanten in dem Wirrsal der umgestoßenen Tische schreiend entflohen. In den Reihen der anderen Räuber erklangen böse, rauhe Rufe. Sie standen plötzlich in zwei Lager geteilt einander gegenüber.

»Charis gehört dem Manes,« riefen die einen.

»Nein! dem Dionysius,« schrien die anderen.

Plötzlich brach in dem von Lichtern flackernden und glitzernden Festsaal ein wütender Kampf los. Etwa zwanzig Männer stürzten sich auf zwanzig andere Männer. Es floß Blut, und ein entsetzliches Schauspiel höllischer Wut spiegelte sich hüben und drüben zwischen den bluttriefenden, glitzernden Wänden. Währenddessen hatte ich wie in einer plötzlichen Eingebung Charis durch eine Gebärde dazu aufgefordert, auf meinen Rücken zu springen, und bahnte mir einen Weg, indem ich mit meinem Kopf stieß und mit meinen Hufen trat. Plötzlich empfand ich einen heftigen Schmerz und einen Dolchstoß in der Seite. Mein Blut floß, aber tief war die Wunde nicht, und ich fuhr fort, ich, ein wütender Esel zwischen diesen wütenden Räubern, mir einen Weg zu bahnen. Sie waren plötzlich so gegeneinander verbittert, daß sie mich kaum beachteten. Charis warf auf meinem Rücken sitzend die Arme empor und jammerte vor Entsetzen. Die Verwirrung wühlte umher. Ich aber wußte den Ausgang zu erreichen. Die Räuber hielten mich nicht zurück. Wahrscheinlich vermuteten sie, daß ich doch keinen Ausweg finden würde. Durch ein Labyrinth von engen Gängen suchte ich meinen Weg.

»Cha–i! Cha–i!« iahte ich, um meine Braut zu beruhigen. Sie umschlang mich fester und lag zitternd über mir. Ich fühlte das Pochen ihres zarten, jungfräulichen Körpers gegen meinen Eselsleib. Ein Saal stand offen. Es war vermutlich das üppige Schlafgemach des Dionysius. Aus einer Truhe von Elfenbein hingen Perlenschnüre heraus. Allein ich trabte weiter. Wo sollte ich einen Ausweg finden? Wohl nirgends. An der Wand hingen purpurne Mäntel, Mäntel aus Fuchspelz. Ich trabte weiter. Durch die offen gelassenen Weinkeller trabte ich. Dort standen die spitz zulaufenden, mit doppeltem Henkel versehenen Amphoren. Dickbäuchige Fässer standen daneben. Ich trabte weiter. Wo war ich? Ich wurde mir dessen bewußt, daß ich ringsum trabte. Da war unser Garten, da war unsere eigene Wohnung. Aber plötzlich hörte ich auch wieder das Toben des Kampfes der erbitterten Räuber, und ich trabte zurück.

Dieses Berginnere, diese seltsame Räuberhöhle wurde zu einem Alpdruck, zu einem bösen Traum von Unmöglichem. Ich trabte um und um. Mir war, als wände ich mich durch einen engen Kreisgang, und ich verzweifelte daran, jemals entkommen zu können. Vermutlich würden alle Ausgänge geschlossen sein. Die Räuber verfolgten uns nicht, da sie wohl nicht fürchteten, daß ich entfliehen könne. Da war wiederum unser Garten. Da erklang wiederum das entsetzliche Toben des Kampfes. In demselben Augenblick strauchelte ich mitten in einem runden Innenhofe. Zwischen den hohen, weißen Wänden der emporragenden Spitzen war da etwas wie eine Zisterne, die in den Berg eingehauen zu sein schien. Ich sah, daß ich gestrauchelt war über einen hervorstehenden, viereckigen Stein, an dem ein eiserner Ring befestigt war. Ich weiß nicht, welcher Eingebung ich folgte, allein ich packte den Ring mit meinen starken Eselszähnen und hob mit meiner ganzen Kraft den Stein an dem Ringe empor.

»Charmides!« rief Charis. »Fliehe! Ich fürchte mich. Ich fürchte mich vor den Männern, die da kämpfen.«

Ich neigte meinen Kopf hinab. Ich sah eine weite Öffnung und eine Treppe, die steil abwärts führte. Ich weiß nicht warum, aber ich stieg die Treppe hinab und fürchtete nur, Charis könne sich den Kopf anstoßen. Doch die Treppe war breit ausgehauen in den Fels, und ich stieg behutsam, doch bequem hinab. Mit meinen Eselshufen tastete ich mich vorwärts. Tiefer und tiefer stieg ich hinab. Ein fahler Lichtschein fiel noch von oben auf uns. Hin und wieder tastete ich um mich, stieg hinab in der Dunkelheit.

Plötzlich ward es heller vor meinem Blick. Ich schaute auf, ich sah den Himmel. Der war hoch, hoch, eine blaue, ferne Höhe über dem schwarzen Trichter, in dem ich mich befand. Doch in diesen Trichter war eine steile Treppe gehauen.

Ich zauderte nicht, ich erklomm die steile Treppe. Beinahe senkrecht stieg ich empor, während ich einen Huf vor den andern setzte auf den schmalen Stufen und Charis noch immer krampfhaft meinen Nacken umklammerte. Wie lange dieses schwierige Klimmen dauerte? Es war, als stiege ich aus dem tiefsten Innern der Erde zu den höchsten Höhen des Himmels empor. Ich stieg, ich stieg. Charis sprach kein Wort, und nur mein Keuchen war hörbar in der Enge der steilen Trichtertreppe. Endlich, endlich erreichte ich den Rand. Noch ein Anlauf und noch einer!

Jetzt atmeten meine keuchenden Nüstern in der Trichteröffnung die freiere Luft. Jetzt hob ich mich auf meinen Hufen empor und stand auf dem Trichterrande. Welch selige Freude! Um mich streckte das seltsame Gebirge seine weißen spitzigen Türme in die rosige Morgendämmerung. Die Adler flogen in weiten Kreisen umher. Der Himmel war wie ein Ozean aus perlenfeuchtem Äther. Die Fluren lagen in der Tiefe wie dahingeschmolzen in leichtem, grünem Dunst mit dunkleren Flecken von Wäldern bis zu verschwimmenden Horizonten. Die neue Sonne strahlte.

Ich schaute mich um, ob die Räuber uns vielleicht auf einem anderen Wege ...? Ich sah nichts. Die Welt war weit, verlassen und göttlich schön, und ich, ein Esel mit einer Jungfrau auf dem Rücken, stand da hoch oben an dem weißen Saume eines hohen Bergkammes. Wohin? Mir war alles unbekannt. Der nächste Augenblick würde eine unausdenkliche Überraschung offenbaren.

Dort, wo der Bergkamm sich herabsenkte, setzte ich meine Hufe auf und stieg den Bergkamm hinab. Wie behutsam steigt doch ein Esel die steilsten Berghänge hinab! Einen Weg gab es nicht. Ich konnte nur die für meine Hufe geeignetsten Stellen aussuchen. In dem rosigen Morgen, der noch verschwommen blau war vom Tau, stieg ein Esel die weißen Berge hinab und trug auf seinem Rücken eine verzauberte Jungfrau in einem Festgewand aus durchsichtigem Gewebe und kostbaren Schleiern. Die weißen Bergspitzen ragten empor, und die dunklen Adler beschrieben in ihrem Fluge einen Kreis. Alles war so vertraut und so glückverheißend, daß ich meiner Wunde nicht achtete. Silberdisteln blühten um uns her, und hier und dort rauschte das schäumende Wasser an den weißen Abhängen herab. Ich stieg abwärts, immer weiter abwärts.

Ich stieg – dessen ward ich mir bewußt – an der anderen Seite des Gebirges abwärts. Obstgärten zogen sich um den ganzen Berg, und nachdem ich hinabgestiegen war, irrten wir weiter durch die Apfelhaine und aßen die Äpfel und tranken zusammen aus den Bächen. Wir rasteten in dem Schatten der Apfelbäume und zogen dann wieder weiter. Keinem Menschen begegneten wir, und kaum dachte ich daran, was das Ende dieses Tages uns bringen werde.

Während des warmen Mittags lief ich durch einen schattenreichen Wald aus dichtblätterigen Kastanien. Dann folgten Wiesen und Äcker. Dort graste das Vieh und das Korn wogte. Bauernhöfe wurden zwischen Ulmen sichtbar. Ich sah Landleute, die mit ihren Sklaven bei der Arbeit waren. Sie schlugen die blitzenden Sensen durch die herabfallenden Ähren und sangen ihr jubelndes Erntelied. Ich aber hatte Furcht, mich ihnen zu nähern, weil wir beide verzaubert waren. Dennoch näherte ich mich. Die Männer blickten verwundert auf zu dem Esel, der sich da näherte auf roten, mit Gold beschlagenen Hufen und mit einer in Festgewänder gehüllten, blonden Jungfrau auf seinem Rücken. Einer der Männer näherte sich. Als ich ihn ansah, erkannte ich Davus, von dem ich seit Monaten schon getrennt war.

Dann iahte ich vor Verwunderung sehr laut und schrieb mit meinen Hufen deutlich in die lockere Erde: »Ich bin Charmides, Davus, dein Herr, und diese Jungfrau ist Charis, die Tochter des Menedemus aus Hypata, die wir vor den Toren der Stadt trafen und deren Liebe mich verzauberte.«


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