Louis Couperus
Der verliebte Esel
Louis Couperus

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

»Vater! Warum werden wir nicht getraut?«

So erklang Charis' Stimme an einem Abend voll sommerlicher Wehmut. Ihr Arm lag weiß, rund und mädchenhaft jung um meinen Nacken, während ich auf der Wiese stand und mit meinem Maule spielerisch an den Halmen und den lang aufgeschossenen Feldblumen zupfte. Charis spielte häufig mit mir, und ihre Verwandten sagten lobend, ich sei ein sehr zahmer Esel. Denn oft lief Charis vor mir fort. Dann mußte ich sie verfolgen. Sie lachte wie ein Kind, und ich verfolgte sie, hemmte meinen Trab, um sie länger das Spiel genießen zu lassen. Endlich holte ich sie ein und packte einen Zipfel ihres Schleiers sanft mit meinen Zähnen. Sie gab sich dann gefangen und lehnte sich lachend an mich, küßte und bekränzte mich und umwand mich mit Blumen. Ihre Jungfrauen umtanzten uns, hin und wieder auch setzte sie sich auf meinen Rücken und ich lief im Kreise über die Wiese, während Charis vor Freude jauchzte. Oder ich lag in dem hohen Grase, zierlich und schicklich. Dann setzte sie sich neben mich, sprach liebe Worte zu mir und erzählte mir Fabeln. Ihre Händchen streichelten über meinen Kopf, glitten über meine Ohren, die sie wünschte sich hin und her bewegen zu sehen. Das eine sollte hoch emporgezogen sein, das andere herabhängen, und dann wieder abwechselnd das eine herabhängen und das andere hoch emporgezogen sein. Sie lachte, während ihre lieben Augen tief in meinen Augen ruhten.

»So sage doch, Vater!« wiederholte Charis. »Warum werden wir nicht getraut?«

Um Menedemus standen die Wundermeister, die Brüder, die Vettern. Sie flüsterten mitleidig miteinander, und ich hörte Menedemus zu den Wundermeistern sagen: »Wann entzaubert ihr endlich meine Tochter, auf daß sie sehe, daß sie sich in einen Esel verliebt hat, daß sie mit einem Esel verlobt ist?«

Die Wundermeister schüttelten bedenklich die Köpfe und die phrygischen Mützen. Charis aber weinte, und auf ein Zeichen der Wundermeister, die der Meinung waren, daß sie mich das gelehrt hätten, lief ich tanzend rund herum auf den goldbeschlagenen, rotbemalten Hufen, indem ich zierlich den einen vor den andern setzte. Da lachte Charis wieder, die Jungfrauen tanzten um mich her, und sie selber tanzte mit.

Sie alle nannten mich einen bewundernswerten, gut abgerichteten Prachtesel, der sehr zahm sei und keiner Fliege ein Leid antun könne, insbesondere nicht seiner lieben Braut Charis. Doch an eine Ehe war nicht zu denken, und darum war auch ich selber oftmals verzweifelt, wenn ich an meine Verhexung dachte, an meine Verwandlung. Zugleich überlegte ich, daß ich, wieder in einen Mann verwandelt und entzaubert, nur noch ein Handelsreisender sein würde, Charis nicht ebenbürtig, so wie es ihre Vettern waren, und daß es dann um mein seliges Glück geschehen sein würde. Wie lange würde es noch währen? Noch niemals hatte ich so geliebt, so innig, so zärtlich, so geduldig. Obwohl ich Esel war, fühlte ich mich beinahe glücklich, wie ich mich noch nimmer gefühlt hatte.

An jenem Mittag, als Charis schlief, nachdem die Jungfrauen sie hinter einem dicht mit Rosen bewachsenen Gitterwerk in Schlaf gesungen – die weißen Rosen hingen an dem Gitterwerk herab –, schaute ich sie von der Wiese aus voll Liebe, Glück und Wehmut an. Müder Sonnenschein senkte sich herab. Und dann irrte ich weiter zwischen den Teichen, die glänzten und blau und golden glitzerten, von den erschlossenen Blumen erblüht. Ich näherte mich dem Altar der Venus- Aphrodite in einem Hain von roten Rosen. Marmorn erhob sich die Göttin. Herrlich schön erschien sie hinter ihrem Altar in dem purpurnen Schatten. In dem kleinen Walde summte es von verliebten Fliegen, die tanzten. Die Tauben, die darin nisteten, flogen mit lautem Flügelschlag daraus empor und schwebten silbern am strahlenden Himmel. Ich beugte die Vorderbeine, kniete nieder und betete.

»Heilige Göttin!« betete ich. »Sei meine Zuversicht, sei unsere Zuversicht! Hilf uns! Charis hat, weil sie selbst behext ist, in meiner Eselsform Charmides lieb, den sie ein, zwei Augenblicke lang neben ihrem Tragstuhl sah auf der Landstraße vor den Toren von Hypata. Hilf uns, große Göttin! Nicht nur Silberastern können mir helfen. Vielleicht helfen deine roten Rosen mir besser.«

Ich, ein Esel, kniete vor der Göttin nieder, und was ich bei Charis niemals gewagt hätte, wagte ich bei der Göttin: mit meinem Eselsmaule küßte ich ihr den marmornen Fuß, mit meinen Zähnen brach ich zärtlich einige ihrer Rosen und legte sie nieder auf ihrem Altar, auf daß sie, sterbend, ihren Duft verehrend zu ihren Füßen entsenden sollten.

Ich irrte zurück. Da war das frohe Fest, so wie es an jedem Mittag bei meiner Braut stattfand. Da war das auserlesene Mahl und Tanz und Musik.

»Vater! Warum werden wir nicht getraut?« hörte ich Charis von neuem fragen.

Die mich bedienenden Sklaven führten mich zurück in das marmorne Gartenhaus. Aus Sorglosigkeit ließen sie in der letzten Zeit die Türe offen. Sie waren so daran gewöhnt, in mir einen erstaunlich zahmen, gut abgerichteten Esel zu sehen, einen Esel, der wie ein Mensch aß und bei Tische saß, einen Esel, der mit ihrer jungen Herrin spielte, einen Esel, der sich niemals unschicklich benahm und der wie ein Mensch sein Gartenhaus bewohnte. Sie ließen mich gewähren nach meinem Willen.

Die Nacht war schwül, gleich als drohe ein Unwetter. Ich konnte nicht schlafen auf meinen üppigen Polstern. Ich legte mich auf das kühle Mosaik des Bodens, während mein Eselshirn von Menschen- und Mannesgedanken erfüllt war. Ich stand wieder auf und trat aus dem Gartenhaus hinaus. Ich irrte über die Wiese, ich schaute nach dem Himmel. In der Tat, von Nordwesten her trieben schwere Wolken herbei. Näherkommend entrollten sie sich wie ein dicker Rauch. Sie bedeckten den ganzen Himmel. Plötzlich, plötzlich erkannte ich Menschengesichter in den rollenden Wolken.

Hexen? Ungeheuer? Höllische Wesen? Ich verbarg mich in dem dichtesten Gesträuch unter schwarzen Steineichenblättern. Ich sah zu, ich horchte.

Drückend, doch anders als wie bei einem nahenden Unwetter rollten die Wolken näher, bedeckten jetzt den ganzen Himmel über dem Landhaus, waren gleich einer einzigen wolkenschweren Nacht über den Wiesen von Nachthorizont zu Nachthorizont und umschlossen Berge, Wiesen und Haus wie mit einem drückenden, feindlichen Kreise.

Ich hörte Stimmen. Die Stimmen raunten und summten wie mit Schlangengezisch dort oben in den stets dichter sich ballenden Wolken. Es war wie ein Unwetter, obschon es kein Unwetter war. Sicherlich würden die Bewohner des Landhauses an ein Unwetter denken. Ich aber kannte schon genug von den unheiligen Dingen Thessaliens, um zu wissen, daß dies kein Unwetter war. Ich spähte hinaus aus meinem Schlupfwinkel. Plötzlich wurden in dem grellen Schwefelschimmer, der an Blitze erinnerte, die Fratzen der heranschwebenden dämonischen Geschöpfe bleich grinsend und drohend sichtbar, und mitten in dem Zischen und Sausen und Summen verstand ich die Worte, die aus der rollenden Wolke, welche über der Welt wühlte, erklangen: »Offenbare uns, Herr, deinen Willen! Offenbare uns, mächtiger Chersonesus, deinen mächtigen Willen! Gehorsam werden wir deinen Willen vollführen, wir Geister der Luft.«

»Wir Geister des Wassers.«

»Wir Geister des Feuers.«

»Wir Geister der Erde.«

»Wir, alle Elemente, über die du herrschest. Mächtiger Chersonesus! Offenbare uns deinen Willen!«

Es donnerte und blitzte. Oder war es nur das Rollen der Wolken und das Drängen der drohenden Geister und der Schwefelschein ihrer Umgebung, die immer wieder hell aufleuchtete zwischen den dichter und dichter sich ballenden Dämpfen? Da erklang mächtig eine entsetzliche Stimme. »Heilige Götter von Eleusis!« betete ich. »Behütet die, die mir teuer ist!«

»Hebt das ganze verfluchte Haus empor in die Lüfte, als sei es nichts mehr als eine Fliege, die in dem Winde fortweht, und schleudert es auf die Erde hinab! Vernichtet es! Vertilgt es mit Erdbeben und Sturmgewalt und Flammen und lasset inmitten dieser Verheerungen Charis allein erhalten bleiben, damit sie zwischen den Trümmerhaufen mein sei und ich sie durch die Lüfte entführe!«

Ein fürchterliches Wallen und Wühlen hub an. Beinahe hätte ich vor Entsetzen laut iaht. Allein ich iahte nicht. Im Schutze der dunklen Schatten schlich ich zwischen Gestrüpp und Gesträuch zurück. Ich rutschte aus auf Kröten, die ängstlich schrien. Ich strauchelte über Schlangen. Ich wußte nicht, ob es Tiere seien, die dem Chersonesus günstig oder ungünstig waren. Über die Wiese schlich ich. Unter dem stets rasenderen und rasenderen Getöse schlich ich mit dem Schwanz zwischen den Beinen und verschwand zwischen den wehenden Halmen.

»Göttinnen von Eleusis! Laßt mich unsichtbar sein!«

Ich schlich zurück und erreichte das Landhaus. Über mir schien der Sturm seine ganze Gewalt in einen einzigen wilden Wirbel zu vereinen, wie eine Hexe ihr Gebräu in einem ungeheuren schwarzen Kessel gemischt haben würde. Leuchtende Flügel erschienen wie zuckende Blitze. Ich näherte mich den säulenreichen Portiken, die unheimlich weiß aufleuchteten jedesmal, wenn der bleiche Schein erglomm. Jetzt rannte ich durch die Portiken. Ich rannte bis vor das Fenster von Charis eigenem Gemach.

Regte sich niemand im Hause? Schliefen sie alle ungeachtet des entsetzlichen Getöses, das in der Nacht über dem Hause umherwirbelte? Oder waren sie bereits vor ihrer Vernichtung behext? Niemand regte sich. Vor dem Fenster der Charis machte ich halt.

»Hi-Ha!« iahte ich.

Niemand antwortete, und mein Iahen verlor sich in dem rings donnernden Sturm.

»Ha-Hi!« iahte ich, so gut wie ich es vermochte, der Charis angebeteten Namen. »Ha –hi!«

Ich stieß mit meinem Maule gegen die Läden.

»Ha –hi!« iahte ich noch immer. Vor lauter Überspannung iahte ich endlich:: »Cha –i ; Cha – is! Cha – ris!«

Die Läden wurden geöffnet, Charis erschien. Das blonde Haar hing ihr lose über die Schultern. So blond, so weiß war sie in ihrem weißen Gewande!

»Charmides!« schrie sie. »Mein Liebling! Was gibt's? Der Sturm bricht los, und ich fürchte mich, ich fürchte mich. Hör' nur, wie der Donner immerfort über dem Hause grollt! Sieh die grellen Blitze! Beschütze mich, Charmides! Alle liegen in tiefstem Schlaf, mein Vater, meine Brüder, meine Vettern, die Mägde und Sklaven! Es ist ein Erdbeben, Charmides. Vater, Brüder, Vettern, sind denn schon alle tot?«

»Charis!« iahte ich.

In meiner Erregung sprach ich und rief, während ich mein weit geöffnetes Maul Charis entgegenstreckte: »Be – stei – ge – mei – nen – Rük – ken!«

Charis begriff. Sie stieß vor Freude einen Schrei aus. Sie kletterte auf das Fenstersims. Ich hielt mich fest an die Mauer gepreßt. Sie warf sich auf mich.

»Le – ge – dei – ne – Ar – me - um – mei – nen Na – ken!«

Sie schlang ihre Arme um meinen Nacken, und ich trabte davon durch die Portiken. Das Erdbeben wütete, wütete entsetzlich, und ich trabte weiter neben dem Hause. Das aber schien zu zittern und sich zu bewegen. Ich raste weiter, nur dem Gefühl nach. Denn um uns war es tiefschwarz, eine Dunkelheit, die nur hin und wieder von dem Schwefelglanz erleuchet wurde.

Dann vergewisserte ich mich, ob ich auf richtigem Wege trabte über den Wiesen, zwischen den Teichen auf die Umzäunungen zu. Mein Traben schien nicht bemerkt zu werden von den höllischen Geistern, die all ihre Mächte über dem Hause zusammenstauten. In einem Augenblick, da ihre Blitze aufflammten, schaute ich mich um. Ich sah – o Entsetzen! – wie das ganze Haus mit seinen Portiken, die wankten, sich in die Luft erhob wie in einer fremdartigen Geistererscheinung, die indes Wirklichkeit war. Ich sah das prachtvolle Landhaus in seinen Grundfesten erzittern zwischen den Wolken, in die es emporgehoben wurde und die es wie eine schwarze, wogende See umdrängten. Dann sah ich wie es zusammenstürzte mit zerbröckelnden Säulen, die flüchtig noch aufleuchteten in dem Glanz der höllischen Blitze. Ich sah, wie es vernichtet, einem Wracke gleich, auf den stets noch sich schlängelnden Dämpfen auseinander fiel.

Am Ende der Wiesen, auf dem gleichen Fleck, wo Charis mich hineingeführt hatte, sprang ich über den Zaun, trabte am Fluß entlang, der sich kaum erraten ließ mit seinem unheimlich bleichen Abglanz, trabte, trabte ich weiter, während Charis noch immer auf meinem Rücken lag und ihre Arme fest um meinen Nacken schlang. Wie lange ich trabte, weiß ich nicht. Wohin ich trabte, wußte ich nicht. Doch ich trabte, ich trabte immerfort. Ich trabte vermutlich die ganze Nacht hindurch. Dunkel blieb die Nacht. Allein der Sturm, der teuflische Sturm hatte seine Kreise nur um das Grundstück des Menedemus gezogen, und wir waren diesem Zauberkreise entronnen.

»Göttinnen von Eleusis!« betete ich immerfort. »Göttinnen von Eleusis! Beschützet uns alle!«

In der dunklen Nacht trabte ein unsichtbar grauer Esel, der eine blonde Jungfrau auf seinem Rücken trug, weiter am bleichen Fluß entlang unter den winddurchpeitschten Bäumen hin. Endlich schaute ich mich erschöpft um und hielt inne. Hinter uns vertiefte sich die Nacht, vor uns dämmerte das allererste Tagesgrauen durch die fahlen Schleier. Eine Felswand reckte sich empor. Aber ich hatte Charis gerettet.

Ich wußte nicht, wie ich ihr antworten sollte, und fürchtete, sie mit meinem rauhen Lachen zu erschrecken. Sie aber wiederholte, während sie sich auf den Knien aufrichtete: »Mein Liebster! Mein Liebster! Wo sind wir?«

Sie schlang ihre Arme um meinen Nacken.

»So lange bist du getrabt! So weit weg hast du mich geführt, weg von meinem Vater und von meinen Anverwandten, und meine Jungfrauen sind nicht um mich! Mein Liebster! Mein Liebster! Wo sind wir?«

Ich küßte ihr mit meinem Maule die Hand, leckte ihr die Handfläche, wußte aber nicht, was ich ihr antworten sollte. Plötzlich erhob sie sich. Sie sah sich in ihrem weißen Gewand mit ihren langen, blonden, aufgelösten Haaren ohne Mantel und Gürtel und Schleier, begann laut zu weinen und rief, daß sie heim wolle. Indem ich darüber nachsann, wie ich sie zu trösten vermöchte, rupfte ich gelbe und weiße Feldblumen mit meinen Zähnen aus und warf sie empor rings um sie her. Sie lachte wie ein Kind, setzte sich summend auf den Boden und begann die Blumen zu winden und uns mit den Blättern zu schmücken. Ich trabte hin und her, um sie zu belustigen. Den Kranz, den sie gewunden, legte sie mir um die langen Ohren, die sie gern sich hin und her bewegen sah. Dann zerriß der Kranz und glitt herab, und sie begann ihr Werk von neuem, während ich in den Grashalmen graste.

»Ich habe Hunger,« rief sie plötzlich wie ein Kind.

Verzweifelt schaute ich um mich. Wohin sollte ich Charis führen? Da war der einsame Wald, durch den wir in der Nacht geirrt waren, da war der Strom, von dem ich nicht wußte, ob es der Spercheios sei, und von dem ich nicht wußte, wohin er führe. Dann waren da die seltsamen Felsmassen, das wunderliche Naturspiel des emporstarrenden Felsengebirges, das nun, da das Licht heller ward, aufzusteigen, endlos aufzusteigen, das bis in den fernen Himmel sich emporzurecken schien. Wenn ich aber auch etwas gewußt hätte von Wald und Strom und Fels, was hätte ich dann beginnen können mit einer zarten, unschuldigen und verzauberten Jungfrau, die gewöhnt war an die liebevollste und zugleich üppigste Pflege, gewöhnt an reiche Gewänder, an kostbaren Hausrat, an erlesene Speisen und die stets umringt war von einer Schar von Dienerinnen, die sie umsangen und umtanzten, während jede von ihnen mit Charis in Schönheit wetteiferte? Hier begann ich den neuen Tag und das neue Leben, geliebt und liebend, allein mit meiner Braut, ohne etwas anderes für sie tun zu können, als sie auf meinem Rücken zu tragen. Wie verzweiflungsvoll regte sich plötzlich in mir die allzu späte Reue darüber, daß ich unbesonnen gewesen war, und weil ich liebte, mich nicht als gleichfalls verzaubert hatte zu erkennen geben wollen, indem ich mit meinem Hufe ein paar Buchstaben in den Sand schrieb, so daß die Wundermeister mir Silberastern hätten suchen können und ich von neuem wieder Mensch und Mann geworden wäre! Dann wäre ich davongejagt worden, ich, der Kaufmannssohn, dem Menedemus niemals seine Tochter aus fürstlichem Geblüt zum Weibe gegeben hätte. Dann aber hätte ich wenigstens über die erforderlichen menschlichen Eigenschaften verfügt. Dann hätte ich vielleicht – wer weiß? – Charis, wenn nicht auf meinem Rücken, so doch in meinen Armen entführt. Dann wäre ich mit ihr geflohen, und wir hätten unser Glück in stiller Seligkeit verbergen können, während jetzt ... Was sollte ich mit meiner Geliebten beginnen? Sie war wiederum in Weinen und Schluchzen ausgebrochen. Sie lief umher und rang die Hände. Sie wollte nicht mehr mit den Blumen spielen. Ich zeigte ihr die Falter, die uns umflatterten, sie aber beachtete die Falter nicht. Ich machte sie aufmerksam auf die Goldfische, die gleich Sonnenblitzen stromabwärts schossen, sie aber achtete der Fische nicht. Sie schlang ihre Arme um meinen Nacken, klagte und flehte mich an, ich möge sie zurückführen nach Hause, so daß ich mit meinen goldbeschlagenen Hufen in den Sand schrieb: »So setze dich wieder auf meinen Rücken!«

Sie lachte durch ihre Tränen hindurch und klatschte in die Hände, um gleich darauf jämmerlich zu klagen, daß ich meine Stimme verloren hätte. Dann aber jubelte sie sofort wieder, weil ich nun schrieb, warf sich auf meinen Rücken und saß zufrieden auf mir. Halb lag sie und schlang ihre Arme um meinen Nacken. So ging ich mit Charis, während wir beide mit Blumen und Blättern verziert und geschmückt waren, langsam um den Berg herum. Hunger hatte ich nicht, da ich grasen konnte und des Weines und der Pastete nicht bedurfte. Charis aber klagte plötzlich wieder: »Charmides! Ich habe Hunger.«

Ich wußte wohl, daß sie noch nicht wirklich Hunger litt. Trotzdem bemächtigte die Verzweiflung sich meiner von neuem. Wo sollte ich Nahrung finden für meine Braut? Bis ich plötzlich, da der Wald lichter ward und die Sonne gestiegen war, einen Früchte tragenden Apfelgarten gewahrte und freudig zu traben begann. Charis jubelte vor Freude laut auf. An dem strahlenden Sommermorgen eilte da nun ein Esel mit einer schönen Jungfrau auf dem Rücken, beide mit Blumen und Blättern geschmückt wie zu einem Schäferspiel, dem mit roten Äpfeln überladenen Garten entgegen. Zwischen den Bäumen irrte ich langsam mit Charis weiter. Sie pflückte die Äpfel, die tief herabhingen, und ich aß die Früchte, die überreif auf den Boden gefallen waren, in Gras und Maßliebchen und Moos. Einen Augenblick fühlte ich, daß wir beide selig und glücklich seien. Der Morgen, die Sonne, das Gras, die Äpfel, unsere Kränze, wir beide allein, während um uns nur die Vöglein zwitscherten, die Falter in Liebe flatterten, die Mücken wie kleine Funken glitzerten. Mehr war da nicht, doch in diesem Augenblick war dies alles Glückes genug für die beiden Verzauberten, für Charis, die verliebt auf ihrem Esel saß, für Charmides, den verliebten Esel, in den sich Charis verliebt hatte. Ich irrte mit Charis durch den Apfelgarten. Spielerisch bäumte ich mich oder schlug mit den Hinterbeinen aus. Ich iahte sogar Charis' Namen, so gut ich es vermochte. Die roten Äpfel lockten zu Hunderten um uns her.

So vergingen die Stunden, und wir vergaßen beide, daß wir keine Zukunft vor uns sahen. Charis hatte ihren Hunger gestillt, ihren Durst an einem Bache gelöscht und sich darauf von unserem Spiel ermattet in dem von kleinen Fliegen durchsummten Schatten niedergelassen, wo ich auf dem Moose gelagert ihren Schlummer bewachte. Doch jetzt während der mittäglichen Stille begann die Sorge, die plötzlich von neuem in mir erwachte, nach einem Ausweg zu suchen. Ich spähte nach links und nach rechts und wurde keines menschlichen Wesens gewahr. Gleich einem weißen Ofen glühte das zackige Felsgebirge durch die Apfelbäume hindurch und verschwamm zitternd am strahlenden Sommerhimmel. Was würde der weitere Tag, was würde die Nacht uns bringen? Wie geheimnisvoll unbekannt war uns der nächste Augenblick! Wie würde ich Charis fernerhin beschützen können, ich, ein Esel auf meinen goldenen Hufeisen, vor wilden Tieren und Satyrn, vor Hexen und vor allem, was die geheimnisvolle Nacht mit sich bringt, wie auch vor Hunger, Elend, Armut? Allein mit meiner Braut im Walde, hatte ich während eines kurzen Augenblicks zwischen Blumen, Spiel und Früchten vergessen können, daß wir beide verzaubert und schwerer Heimsuchung preisgegeben waren. Doch nun, da die Mittagsstille um Charis' Schläfen summte, während ich wachte, regte sich die Verzweiflung von neuem in mir. Da glaubte ich, zwischen den Blättern ein Rascheln zu vernehmen. Ich spähte um mich und wahrlich, ich sah Männer herbeischleichen. Sollte ich iahen? Sollte ich mich zu erkennen geben als Charmides, der verzauberte Sohn des Lysias aus Epidaurus, der mit Charis, der Tochter des Menedemus, geflohen war, fort von dem einstürzenden Landhause? Fast glaubte ich, daß dies das Vernünftigste sein würde, als mir das Aussehen der Männer zum Bewußtsein brachte, daß sie Räuber seien. Es waren in der Tat Räuber, nicht armselige, Abscheu und Ekel erregende wilde Männer des Waldes wie die, welche mich aus der Holzhackerhütte geraubt hatten, sondern wohl zwanzig bis dreißig große, starke, bewaffnete Räuber in kurzen Mänteln und mit großen Hüten. Sie schlichen durch das niedere Gehölz vermutlich, um nicht über die Landstraße gehen zu müssen. Aber dennoch schwatzten sie und lachten sogar, als ob sie hier zu Hause und wohlbekannt seien. Sicherlich war dieser abgelegene, prächtig gezüchtete Apfelgarten, den wir geplündert hatten, ihr Eigentum. Doch wenn ich mich zu erkennen gäbe, würden die Räuber mir vielleicht Silberastern suchen, und ich könnte gegen ein Lösegeld wieder ich selber werden. Die Räuber würden gegen ein Lösegeld Charis sicherlich freilassen. Mit blitzartiger Schnelligkeit überdachte ich dies alles, fürchtete aber zugleich, sie könnten meiner angebeteten Braut Gewalt antun. Endlich hörte ich ihre Worte: »Also diese Nacht!«

»Ja,« bestätigte der, welcher ihr Anführer zu sein schien.

»Das Landhaus des Menedemus.«

»Es umzingeln!«

»Ja. Und seine Tochter entführen!«

Voller Entsetzen hatte ich mich erhoben. Ich begriff, daß sie nicht wußten, daß das Landhaus des Menedemus behext, in die Lüfte emporgetragen und vernichtet war. Ich begriff, daß, so sie es auf Charis abgesehen hatten, ein ihnen günstiges Schicksal des Menedemus Tochter auf ihren Weg geführt. Ich begriff, daß keine Zeit zu verlieren war.

»Cha – i!«

Ich stieß meine Braut an mit meinem zitternden Maule.

Sie erwachte, wollte mich umarmen. Doch sogleich gab ich ihr, indem ich vor sie hinkniete, zu verstehen, daß sie mich besteigen solle. Sie stieg auf, und gerade als die Räuber in dem Apfelgarten erschienen, trabte ich davon, zurück zu dem Flusse.

Befangen blieben die Männer stehen. Es mußte ja auch diesen wilden Männern erscheinen wie ein Zauberbild, das nichts mit der Wirklichkeit gemein hat, als sie da einen prächtigen Esel mit silberblinkendem Fell auf glänzend beschlagenen roten Hufen davontraben sahen mit einer weißen, blonden Jungfrau auf dem Rücken, die ihre Arme um seinen Nacken geschlungen hielt, beide geschmückt mit Blumen und Blattgewinden, die jetzt von ihnen herabglitten. Sie mußten wohl an eine Nymphe aus dem Walde denken, an ein göttliches Wesen, das auf einem unwirklich anmutenden Esel ritt in strahlendem Sonnenlicht und zwischen dem lichten Schatten der Apfelbäume zum Flusse trabte, wo sicherlich ein Nebel beide ihrem Auge entziehen würde. Ich trabte weiter. Allein die Männer waren uns, was ihr Erstaunen ihnen auch vorgegaukelt haben mochte, bereits mit großen Schritten gefolgt. Ich war davon überzeugt, daß sie uns nicht würden einholen können, während ich über Steine und Baumstümpfe sprang und Charis über den Ritt jubelte, ohne die drohende Gefahr zu ahnen, bis plötzlich zwischen dem Flusse und uns andere Männer auftauchten, die von der entgegengesetzten Seite kamen. Sie riefen einander etwas zu. Die ersten riefen den anderen zu, sie sollten sich verteilen und uns aufhalten. In der Tat stellten sie sich in einem weiten Kreise auf, insgesamt sicherlich etwa vierzig Räuber. Vergebens versuchte ich ihnen zu entrinnen, ihrem Kreise zu entfliehen. Sie schlossen ihren Kreis nur noch dichter, und ich sah keinen Ausweg mehr. Sie packten mich am Maule, an meinem Schwanze, an meiner Mähne. Ich bäumte mich, schlug mit den Hinterbeinen aus, versuchte sie wütend zu beißen. Was aber vermag ein einziger Esel gegen vierzig thessalische Räuber? Ich hörte, wie Charis vor Entsetzen laut jammerte, aber es half nichts. Die Männer umzingelten uns, und der Anführer rief, während er Charis, die von meinem Rücken herabgeglitten war, emporhalf: »Schöne Jungfrau, die Ihr auf Eurem Esel entflohet, Ihr seid unser und die kostbarste Beute, die Hermes Mercurius, unser Gott, uns jemals schenkte.«

Ich hatte keine Zeit, mich darüber zu wundern, daß Räuber den gleichen Gott verehrten wie ehrliche Kaufleute und Reisende in Perlen und Purpur. Bebend stand ich auf meinen Hufen.

»Ein starker, schöner Esel!« meinten die Räuber preisend, während sie voll Herzlichkeit meine Brust beklopften. »Ein tapferer Esel, ein tüchtiger Esel, und eine edle, wunderbare Jungfrau, die auf ihm reitet.«

»Wer mag sie sein?« fragte der Hauptmann.

Die Räuber wußten es nicht.

»In jedem Falle eine vornehme Jungfrau, die uns trösten wird für den Fall, daß wir heute abend des Menedemus Tochter nicht entführen können,« sprach der Räuberhauptmann. »Jungfrau! Besteigt wiederum Euren Esel! Weint nicht mehr und jammert nicht mehr! Wir wollen Euch nichts Böses antun.«

Er zwang Charis, wiederum auf meinen Rücken zu steigen, und sie tat es laut schluchzend: »Mein Bräutigam! Mein Charmides! Rette mich!«

»Euer Bräutigam ist fern,« sprach der Hauptmann, »und sein Weib werdet Ihr so schnell nicht werden.«

Sie führten uns zurück durch den Apfelgarten. Da war nichts anderes zu tun als weiterzuschreiten in ihrer Mitte mit meiner traurigen Last auf dem Rücken.

Dann begann ich, weil ich Charis weder zu retten noch zu trösten vermochte, verzweiflungsvoll laut dem strahlenden Himmel entgegenzuiahen.


 << zurück weiter >>