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Drittes Kapitel.
Schiffbrüchig

In den folgenden Stunden sah sich der Kapitän ganz allein an Deck. Er nahm an, daß Night, der zweite Steuermann, und die übrigen Matrosen, von dem aufreibenden Nachtdienst ermüdet und erschöpft, ihre Hängematten aufgesucht hatten. Da sich der Sturm mehr und mehr legte, so erschien es ihm auch vorläufig nicht nötig, sie an Deck zu rufen.

Einsam saß Wilder auf der stark beschädigten Kommandobrücke und sann über seine Lage nach, über das fernere Schicksal des Schiffes und seiner Insassen.

Wie es nur den Damen in ihrer Kajüte ergangen sein mochte?

Kurz vor Ausbruch des Sturmes hatten sie sich dahin zurückgezogen und sich die ganze Zeit über nicht an Deck sehen lassen. Möglich also, daß sie von allem, was sich hier oben während der Nacht zugetragen, nicht das geringste wußten.

Die Damen hatten, in ihren Hängematten vergraben, wohl das Gebrüll des Sturmwindes, sowie auch das wuchtige Anschlagen der Wogen an die Schiffswände vernommen. Aber gerade dieser fortwährende entsetzliche Lärm hatte verhindert, daß sie das Krachen der abbrechenden Mastbäume und das wilde Schreien der Matrosen hörten. Gebete über Gebete waren ihrer angsterfüllten Brust entstiegen – die ganze Tragweite der Sturmnot hatten sie aber noch nicht erkannt. Im Morgengrauen lugten sie jetzt durch die schmalen, fest zugeschraubten Glasaugen aufs Meer hinaus, auf welchem noch immer eine allerdings nur schwache Bö die Wogen vor sich hertrieb.

Inzwischen befanden sich aber die Matrosen nicht, wie Wilder annahm, in ihren Hängematten; sie saßen vielmehr im Zwischendeck mit mürrischen Gesichtern um den zweiten Steuermann herum, der ihnen seine Mutmaßungen über das Herkommen und die Gesinnung des neuen Kapitäns anvertraute. In aller Heimlichkeit tauschte man die Wahrnehmungen aus. Verdächtigungen wurden laut, und keiner fand sich, der – in Anerkennung der aufopferungsvollen Thätigkeit des Kapitäns – eine Lanze für diesen eingelegt hätte. Die einzigen, denen die aufrührerischen Reden nicht behagten, waren zwei ältere, erfahrene Matrosen. Sie wagten dem großmäuligen Steuermann aber ebensowenig offen zu widersprechen. Leise schlichen sie davon, oben an Deck sich einen stillen Platz aussuchend.

Hier bemerkte sie der Kapitän, der sie sofort wieder zur Thätigkeit heranziehen mußte. Wilder ging mit dem Gedanken um, einen Notmast zu errichten. Das Werkzeug hierzu war an Bord vorhanden. Also machte sich der Kapitän mit Hilfe der beiden Leute sofort an die Arbeit. Mittels Tauen wurde der Notmast an dem Rumpf des Fockmastes befestigt. Die Herstellung der Notsegel war noch schwieriger. Endlich war aber die Arbeit gethan – und nun konnte das Fahrzeug wenigstens einigermaßen wieder gelenkt werden.

Der Wind ließ immer mehr nach. Nur schwach füllten sich die Segel. Sanft und gleichmäßig glitt das Schiff dahin. Als die Sonne aufging, bestrahlte sie einen wolkenlosen Himmel. Die unendliche Wasserfläche lag mild und heiter da.

Mit vollen Zügen genoß Wilder die prächtige, reine Luft. Sie stärkte ihn derart, daß er sich für die verlorene Nachtruhe entschädigt glaubte.

Endlich aber mußte er daran denken, die Mannschaft wieder zur Thätigkeit an Deck zu rufen.

Die Matrosen – der Steuermann Night an der Spitze – kamen zögernd und mürrisch dem Rufe nach.

»Sind die Pumpen in Ordnung?« fragte der Kapitän. »Das Schiff hat Wasser gezogen – weil die Stoßwellen eine Planke weggerissen haben.«

»Ja, freilich,« erwiderte der Steuermann in unhöflichem Tone, »bei der übermäßigen Anstrengung dieses Fahrzeugs, das bis jetzt an kunstvollere Leitung gewöhnt war, ist der Schaden kein Wunder.«

Wilder warf dem Sprecher für sein freches Auftreten einen strengen Blick zu. »Sie haben sich solcher Äußerungen zu enthalten!«

Der Steuermann steckte die Hände in die Taschen und blickte den Kapitän herausfordernd an. »Unerhört, bei einem Sturm, wie wir ihn in vergangener Nacht erlebt haben, alle Segel flattern zu lassen! Mich wundert's überhaupt, daß noch eine einzige Planke ganz geblieben ist!«

»Hüten Sie Ihre Zunge, Freund!« rief jetzt Wilder in scharfem Tone. »Ich befehle Ihnen hiermit, mit den Leuten unverzüglich an die Pumpen zu gehen, um das Wasser aus dem Schiffe zu entfernen. Sobald das geschehen ist, werden wir uns daran machen, das Leck auszubessern.«

Noch immer zögerten die Matrosen, deren Blicke fragend auf Night gerichtet waren.

»An die Pumpen – habe ich gesagt!« schrie nun Wilder mit Donnerstimme.

Der persönliche Einfluß des Kapitäns war zu groß, als daß nun noch jemand gewagt hätte, Widerstand zu leisten. Bald darauf wurde der Peilstock im Schiffsinnern in Thätigkeit gesetzt.

Die Verkündigung der Wahrnehmungen rief jähes Entsetzen hervor. Mannshoch stand das Wasser in den unteren Schiffsräumen!

»Dann ist keine Zeit zu verlieren!« rief Wilder. »Heda, Steuermann, was soll das Gesichterschneiden? Fangt an – vorwärts, an die Arbeit!«

»Pah – es ist ja doch zu spät!« sagte jener im Tone offener Unbotmäßigkeit.

Wilder ließ seinen Blick unerschrocken über die drohenden Gesichter seiner Mannschaft gleiten. Überall begegnete sein Auge finsterem Trotz. Er sah ein, daß er mit Gewalt gegen die Burschen nichts auszurichten vermochte. Zwischen dem Steuermann und den Matrosen war eine Meuterei angezettelt worden. Wilder wollte zunächst versuchen, den pflichtvergessenen Steuermann auf dem Weg gütlichen Zuredens zur Vernunft zu bringen.

»Night – wahrhaftig, gerade Sie müßten der erste in der Pflichterfüllung sein – und Sie entblöden sich nicht, den andern ein Beispiel des Ungehorsams zu geben?«

»Hahahaha!« lachte der Steuermann höhnisch, »unser armer Freund Ering war thöricht genug, sich Ihren Befehlen zu fügen. Und was hat er erreicht – er und all die andern, die seinem Beispiel folgten? Auf dem Meeresgrund liegen sie – alle! Und darum sage ich …«

Weiter kam der Bursche in seiner aufrührerischen Rede nicht. Wilder stürmte auf ihn zu und streckte ihn mit einem einzigen Schlag zu Boden.

»Verruchter, meuterischer Bube!« schrie er ihn an.

Die Matrosen hatten stumm und starr dem Vorgange zugeschaut. Sobald aber ihr Anführer Night am Boden lag, stießen sie ein Wutgeheul aus und umringten den Kapitän mit drohend erhobenen Fäusten.

Ein herzzerreißender Angstschrei, der von der Kajütentreppe her ertönte, riß sie von ihrem Opfer zurück.

Fräulein Gertrud und ihre Erzieherin waren, von den lauten Drohreden geängstigt, an Deck geeilt. Mit Schrecken nahmen sie die grausigen Veränderungen wahr – die gräßliche Verheerung, welche der Sturm in der Nacht angerichtet hatte, und den gefahrdrohenden Auftritt der Matrosen!

»Was geht hier vor?« rief Frau Wyllys, deren Stimme zitterte und deren Wangen totenbleich wurden.

Der Kapitän streckte drohend und mit unheimlich blitzenden Augen die Faust gegen seine Angreifer aus. »Meuterei – niederträchtige, feige Meuterei!« preßte er zwischen den Zähnen hervor.

Nun drängte sich der Steuermann an die würdige Dame heran. »Hören Sie nicht auf jenen, der das Schiff dem Verderben preisgegeben hat! Er ist unser aller Feind – und auch Ihr Feind! Wir haben Ursache, uns gegenseitig zu beklagen, daß wir diesem – Schurken in die Hände gefallen sind!«

Wilder ballte die Hände krampfhaft. Dann huschte aber ein verächtliches Lächeln über sein Antlitz.

»War das eine Nacht!« fuhr der Steuermann aufgeregt fort. »Und alles traf zusammen, um dieses Schiff dem Untergang zu weihen. Erst mußte unser Kapitän verunglücken – dann gab man uns einen neuen, den keiner von uns kannte und der noch nie zuvor in Newport gewesen war. Heißt das nicht, ehrliche Leute dem Teufel überantworten? Denn schlimmer als der Böse hat dieser Herr auf unserem Schiffe gehaust. Unser armer Ering ist mit zehn anderen unserer Genossen umgekommen, weil er die unsinnigen Befehle eines Pfuschers ausführen wollte. Und was haben wir nun erreicht? Das Schiff hat ein Leck – groß genug, daß ein Walfisch in die Kajüte hineinschwimmen kann. An allem Unheil aber ist dieser schuld, dieser und kein anderer!«

»Herr Wilder, um Gottes Barmherzigkeit willen!« riefen die beiden Damen händeringend. »Und es ist keine Möglichkeit, das Schiff zu halten? Wir müssen elend ertrinken? Oder ist vielleicht ein Schiff in der Nähe, das uns aufnähme?«

Der Steuermann wies auf die Pinasse. – »Dies Boot wird uns retten – das heißt nur die ehrlichen Seeleute und Sie, meine Damen. Trinkwasser und Mundvorrat ist vorhanden – nun überlassen wir uns einem gnädigen Schicksal. Vielleicht gelingt es uns, die vierzig Meilen bis zum Festland hinüberzurudern.«

Wilder sah den Steuermann blitzenden Auges an. »Ihr schämt euch also nicht, euer Schiff im Stich zu lassen?«

»Es ist nicht mehr unser Schiff,« höhnte Night, »seitdem der Beelzebub davon Besitz ergriffen hat! – Auf, Freunde, macht die Pinasse fertig! Ins Meer damit!«

Fräulein Gertrud sah die Seeleute voller Verzweiflung an. – »Aber euer Kapitän? Ihr wollt ihn allein hier auf dem sinkenden Schiff zurücklassen?«

Wilder zog die Bittende hastig zurück. »Verschwenden Sie kein Wort an diese Schurken!« sagte er. »So lange das Deck noch steht, verläßt ein Kapitän sein Schiff nicht!«

»Aber dann – wohin dann?« riefen die Damen.

»Noch ist die Barkasse da, das kleinste Boot. Aber auch dieses müßte untergehen, wenn die Windstille nicht anhält.«

»So gehen die Meuterer in ihrer Pinasse gleichfalls dem sicheren Untergang entgegen?«

»Die Strafe des Himmels wird sie erreichen!« sagte Wilder ruhig. Inzwischen hatten die Matrosen die Pinasse flott gemacht. Night war als erster hinabgesprungen. Einer nach dem andern folgte.

Ratlos standen die Damen oben auf dem Deck. Sollten sie gleich dem Kapitän auf dem Schiffe aushalten oder sich dem rohen Volk anvertrauen, das so erbärmlich an seinem Vorgesetzten handelte?

»Ins Boot herunter!« schrie in diesem Augenblick der Steuermann den Damen zu.

Frau Wyllys flehte den Kapitän an, ihr zu raten. Wilder zuckte die Achsel. – »Ob Sie mit jenen oder mit mir fahren – Sie sind abhängig von Gottes Gnade. Nach menschlicher Voraussicht bietet Ihnen aber die Fahrt in der Barkasse eine mindestens ebenso große Sicherheit als die Fahrt mit jenen Meuterern!«

»Nun denn – so bleiben wir!« entschied Frau Wyllys.

»Ja, wir bleiben!« rief die Jüngere, ihre Hand in die des Kapitäns legend.

Noch einmal rief der Steuermann von unten her den Damen zu, sie sollten sich beeilen. Als er keine Antwort erhielt, vernahm man ein Plätschern und Rauschen. Gleich darauf schoß die Pinasse über das Wasser hin.

Auf dem Schiffe trat jetzt eine lange, tiefe, fast atemlose Stille ein. Gedankenvoll starrten die paar Menschen, die an Bord geblieben waren, dem sich rasch entfernenden Boote nach. Mehr und mehr verkleinerte sich der dunkle Punkt – bis er endlich in der Ferne verschwand.

Nun mußten die Zurückbleibenden aber endlich auch auf die eigene Rettung bedacht sein. Wilder entwickelte den Damen sofort seinen Plan. Er schlug vor, vorläufig zwar noch an Bord zu bleiben, inzwischen aber die Barkasse seefertig zu machen, um in dem Augenblick, in welchem auch das Deck vom Wasser überschwemmt zu werden begänne, das Boot besteigen zu können.

Freilich war das Flottmachen der Barkasse eine nicht geringe Aufgabe. Sie war fest zwischen die abgebrochenen Segelstangen, Rahen und Spieren eingekeilt. Wilder machte sich daran, die Keile loszuschlagen, die das Boot festhielten, und auch die Taue zu lösen, mit denen es noch außerdem angebunden war. Dann beauftragte er die Damen alles, was ihnen zum Lebensunterhalt notwendig erschien, herbeizuschaffen, damit man es in der Barkasse unterbringe.

Während die Damen dieser Weisung nachkamen, begab sich Wilder noch einmal in die unteren Schiffsräume, um den Wasserstand daselbst zu untersuchen.

Von neuem überzeugte er sich davon, wie thöricht, wie besinnungslos die Meuterer gehandelt hatten, als sie das Schiff so über Hals und Kopf im Stich ließen. Noch jetzt wäre eine Rettung des Schiffes möglich gewesen – da die Arbeitskräfte aber nicht vorhanden waren, so war es nutzlos, diesen Gedanken nachzuhängen.

So wie die Sachen nun einmal standen, und dem Eindringen der Flut in den Schiffskörper kein Hindernis entgegengesetzt wurde, sah er voraus, daß das Schiff noch vor Mitternacht sinken würde.

Wilder begab sich darauf wieder an Deck. Die schwarze Dienerin der Damen, Kassandra, hatte inzwischen allerhand überflüssige Dinge herbeigeschleppt, mit denen sie die Barkasse vollstopfen wollte. Der Kapitän warf unbarmherzig – trotz des Gezeters der Negerin – alle hindernd im Weg stehenden Kasten und Körbe aus dem Boote hinaus. Endlich war dasselbe zur Fahrt hergerichtet und Wilder, der nachgerade von der Müdigkeit übermannt wurde, konnte etwas der Ruhe pflegen. Es war mittlerweile Abend geworden.

Plötzlich aus dem Schlaf emporschreckend spähte Wilder nach allen Seiten aus. Er hatte noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben, daß sie noch im letzten Augenblick von einem Fahrzeug erspäht würden. Denn Schiffe waren in diesen Breiten nichts Seltenes.

Als es aber immer dunkler wurde, baten die Damen den Kapitän dringend, das sinkende Schiff zu verlassen.

Das ruhige Licht des Mondes, der klar am Himmel aufgegangen war, leuchtete zu dem trübseligen Abschied von dem Wrack.

Es war auch höchste Zeit, daß die vier Menschen das Schiff verließen. Kaum hatten sie die Barkasse bestiegen, als ein ganz eigentümliches Gurgeln, Rauschen und Stöhnen erfolgte. Das Schiff hob seinen Spiegel mit einem Male hoch in die Luft – von dem Schlag des im Wasser versinkenden Teils schnellte die Barkasse jäh über die nächste Welle hin. Schaukelnd stieg sie dann wieder empor – so daß sie für einen Augenblick mit dem Wasserspiegel fast einen rechten Winkel bildete. Es war dies momentan eine entsetzliche Lage für die Insassen, denen es nur dadurch, daß sie sich an den Bordwänden festhielten, möglich wurde, ihren Sitz in dem Boote zu behaupten. Ein paarmal drehte sich die Barkasse, vom Strudel des sinkenden Schiffes erfaßt, um sich selbst herum – dann warf sie eine Woge aus dem gefährlichen Bereich der Unglücksstelle, die das Grab der Royal Karolina geworden war.

Einen ächzenden Ton vernahm man von den Balken und dem Stangen- und Taugewirr her – dann versank auch die letzte Spur, die an den mächtigen Dreimaster erinnert hätte. –

Ringsumher nichts als Wasser und Himmel! Kein einziger Gegenstand war da, der diese unendliche Wasserfläche unterbrochen hätte. Wortlos saßen die Schiffbrüchigen auf den Bänken des kleinen gebrechlichen Fahrzeugs, das sich fast wie ein Wasserbläschen auf dem weiten, weiten Meere ausnahm.

.

Wilder war der erste, der die Fassung wieder gewann. Er sah wohl ein, daß es seine Aufgabe war, den gesunkenen Lebensmut seiner Schützlinge wieder aufzurichten.

»Wenn wir nur einen halbwegs günstigen Wind bekommen, so können wir vielleicht schon in vierundzwanzig Stunden die Küste von Amerika erreichen!« sagte er tröstend.

Frau Wyllys sah ihn forschend an. Die trübe Miene, mit welcher der junge Seemann sprach, weissagte ihr trotz der tröstlichen Worte nichts Gutes.

»Erwarten Sie denn wieder Sturm?« fragte sie angstvoll.

»Sturm wäre wohl nicht gefährlicher – als diese Windstille!« meinte er seufzend.

Die Negerin mußte sich gleichfalls am Rudern beteiligen. So arbeiteten denn die beiden schweigend und unverdrossen mehrere Stunden hindurch.

Plötzlich streckte Wilder die Hand aus. – »Ein frischer Zug! Eine leichte Brise ist aufgesprungen! Hurtig ans Werk, sie zu benützen!«

Rasch breitete er das einzige Segel aus, das die Barkasse führte, und nahm seine Stellung am Steuerruder ein.

Gleich darauf stellte sich ein tüchtiger Südwind ein. Das Segel fühlte den Druck des Windes und breitete sich straff vor ihm aus.

Da es nun sehr kühl wurde, so suchten die Frauen unter dem kleinen Zelte von Teertüchern, das Wilder ihnen bereitet hatte, Schutz.

Stunden vergingen – es wurde Mitternacht, und noch immer hatte das Wetter sich nicht verändert. Nur etwas stärker war der Wind geworden, so daß das Boot mit ziemlicher Geschwindigkeit der Küste von Connecticut zusteuerte.

Gegen Morgen aber trat die von Wilder befürchtete Wandlung ein. Die Luft wurde trockener und rauher – nördlich sammelten sich lange, schmale Wolken, die immer näher heranrückten. Der Wind drehte sich – er wehte jetzt vom Festland, von den unwirtlichen Küsten Nordamerikas her.

Wilder beeilte sich, dem Segel, das jetzt von dem Winde in seiner ganzen Fläche getroffen worden wäre, eine andere Lage zu geben.

Wirklich steigerte sich der Wind nach und nach derart, daß das Schiffchen mit immer größerer Schnelligkeit über den Ozean zurückgetrieben wurde.

Verzweifelt starrte Harry Wilder gen Himmel. War denn im Rat Gottes ihr Untergang beschlossen? Gab es denn gar keine Hoffnung auf Rettung?

Von den Stößen, die das kleine Fahrzeug erhielt, schreckten auch die Frauen aus dem Schlafe empor. Im Grauen des Morgens erblickten sie die furchtbare Veränderung. Die Wogen sahen grünlich-schwarz aus – weißer Schaum krönte ihre Gipfel.

Mit neu entfesselter Wut heulte der Sturm. Die Barkasse flog von einer hohlen See in die andere, um dann wieder an einer neuen hohen Welle emporzugleiten.

»Das ist unser Untergang!« schrieen die Frauen.

Wilder suchte sie zu beruhigen. »Die Barkasse hält sich vortrefflich. Bis jetzt ist noch keine Gefahr für unser Leben vorhanden.«

Gertrud sah mit weitgeöffneten Augen übers Wasser hin. Plötzlich streckte sie den Arm weit aus und rief frohlockend: »Land! – Land!«

Der junge Seemann schüttelte trübe lächelnd den Kopf. »Das Festland von Amerika, meinen Sie? Wir segeln, durch den Wind gezwungen, in gerade entgegengesetzter Richtung.«

»So ist es eine Insel oder …«

»Sie täuschen sich, Fräulein Gertrud. Um in dieser Richtung Land zu erblicken, müßten wir vorher den ganzen atlantischen Ozean durchschifft haben.«

»Aber ich sehe doch ganz deutlich – –! Kassandra, siehst du nicht auch jenen dunkeln Gegenstand?«

Die Negerin klatschte in die Hände. »O Massa – großer, großer Fisch!«

Jetzt verließ Wilder seinen Standort und blickte in der Richtung, die das junge Mädchen zeigte, über das Wasser hin.

»Es ist ein Boot,« sagte er, »und, wie mir scheint, ein umgestürztes!«

Die Negerin kreischte in diesem Augenblick laut auf und deutete dicht neben das Boot, wo ein dunkler Gegenstand von den Wellen hin- und hergeschleudert wurde. Jähes Entsetzen erfaßte auch die übrigen Insassen des Fahrzeugs. Sie erblickten einen männlichen Leichnam. In den verzerrten Zügen erkannten sie das Antlitz Nights – des meuterischen Steuermanns.

Schweigend sahen sie dann einander an. Die Strafe für ihren Ungehorsam und Aufruhr hatte die Unseligen eher erreicht, als sie es für möglich gehalten hatten.

Gertrud vermochte sich am wenigsten zu fassen. »Mein Himmel, wenn wir nun in die Pinasse gestiegen wären – dasselbe grausige Schicksal hätte auch uns erreicht?!«

Wilder nickte ernst.

Während dieser trüben Gedanken hatten die sonst unermüdlichen Augen der Schiffbrüchigen versäumt, über die endlose Wasserfläche hin Ausschau zu halten. Nach einer geraumen Weile aber, als der junge Seemann seinen Blick wieder erhob, erkannte er ganz in der Ferne einen leuchtenden Punkt.

»Ein Segel!« entfuhr es seinen bebenden Lippen.

Alle wandten die Köpfe nach der von seiner Hand bezeichneten Richtung.

Ja, deutlich erkannte man die oberen Spieren – jetzt wurde auch noch das zweite Segel des Fahrzeugs sichtbar – nach einigen Minuten das dritte. Das Schiff bewegte sich in stolzer Fahrt dahin. Man konnte bald sogar den langen, niedrigen, schwarzen Rumpf des Schiffes sehen.

Während die Mienen der Frauen mit dem Erkennen der nahenden Rettung sich mehr und mehr aufhellten, umdüsterte sich das Antlitz Wilders. Seine Blicke hefteten sich mit unheimlichem Trotz an diese leuchtenden Segel, seine Lippen preßten sich fest aneinander. Er kannte dieses unheimliche Fahrzeug, das in dem furchtbaren Sturm nicht ein Tau, nicht ein Segel verloren zu haben schien, während die Royal Karolina im Meer versinken mußte! Es war das Schiff des roten Freibeuters!

Der Jubel der Frauen schnitt ihm ins Herz. Was würde ihr Schicksal auf dem Freibeuterschiffe sein? Sturm und Unwetter waren sie entkommen, um nun unter der wilden Horde des Freibeuters ihr Ende zu finden!

»Herr Wilder, warum jubeln Sie nicht, warum jauchzen und frohlocken Sie nicht gleich uns?« rief Fräulein Gertrud.

»Wer sagt Ihnen, daß dieses Schiff ein gutgesinntes ist?« entgegnete er düster. »Soviel ich sehe, führt es Geschütze mit – der Feind kreuzt an unserer Küste – wenn es gar der Franzose wäre?«

»O – selbst ein Feind würde sich armer Schiffbrüchiger erbarmen!«

Die Negerin hatte inzwischen einen Bootshaken ergriffen und ein weißes Tuch an dessen oberes Ende befestigt. Sie hielt die Notflagge hoch empor und schwenkte sie hastig durch die Luft.

Einige Augenblicke später sah man es inmitten der Schiffswand aufblitzen– Rauch drang aus der Luke, dann rollte der dumpfe Knall eines Kanonenschusses über das Wasser.

Ohne Zweifel hatte man die Schiffbrüchigen entdeckt. Denn man sah gleich darauf die Spieren des Seglers vom Winde abfallen. Das Vorderteil desselben schlug die Richtung auf die Barkasse ein.

»Zu spät!« murmelte Wilder vor sich hin. »Wir sind in seiner Hand!«

Das kleine Fahrzeug geriet ins Schwanken – mächtige Wogen wurden von dem die Flut durchschneidenden großen Segler zurückgeworfen. Gleich darauf hielt derselbe. Zögernd – mit müder Hand lenkte Wilder die Barkasse an die Fallreepstreppe des großen Schiffes.

Oben auf der Kommandobrücke stand der Kapitän – eine geschmeidige Gestalt mit blondem Lockenhaar. Mit lauter Stimme erteilte er seine Befehle.

Frau Wyllys und Gertrud erhoben danksagend die Hände gen Himmel. Halb ohnmächtig von der lang ausgestandenen Angst wurden die Frauen an Deck gebracht. Flinke Matrosen holten auch das Gepäck, das in der Barkasse aufgestapelt war, an Bord.

Wilder seufzte schwer und tief auf. Dann folgte er gebeugten Hauptes und mit kummervoller Miene seinen Schützlingen an Bord des unheimlichen Fahrzeugs, woselbst den Verunglückten ein Empfang seitens des Kapitäns zu teil wurde, der an Freundlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.


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