Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

 

Es leuchtet der Sonne Abendstrahl,
Und ruhig ist's hier, wie überall.
Der Thau sinkt nieder, der Mond steigt herauf,
Und du – wohin nimmst du den einsamen Lauf?

Bruyant.

 

 

Als der junge Seemann, der jetzt Befehlshaber der Fregatte war, vom Hinterdecke hinabstieg, um der erhaltenen Aufforderung zu genügen, fand er das Schiff so reinlich, als ob gar nichts vorgefallen wäre, was den gewöhnlichen Gang der Dinge gestört hätte. Von den blutigen Spuren war jedes Verdeck gereinigt; der Pulverdampf schon lange zu allen Lücken hinausgezogen, um sich den über die Fregatte hineilenden Wolken zuzugesellen. Während Griffith durch die schweigenden Batterien hinschritt, konnte er sich doch nicht enthalten, trotz dem so nothwendigen Besuche, nach den zerschossenen Planken, den schrecklichen Spuren zu schauen, durch welche die feindlichen Kugeln gegangen waren, und ehe er noch leise an die Kajütenthüre anpochte, hatte sein schneller Blick jeden Schaden, der der Fregatte in der Hauptsache zugefügt war, vollkommen aufgefaßt.

Der Wundarzt der Fregatte öffnete die Thüre, und indem er sich an die Seite stellte, Griffith herein zu lassen, schüttelte er mit der Miene eines Mannes, der seine Kunst versteht, bedeutungsvoll mit dem Kopfe. Er gab zu verstehen, daß hier alle Hoffnung verloren sey, und ging dann fort, um andere, seiner Hülfe Bedürftige, aufzusuchen.

Man glaube ja nicht, daß Griffith Cecilien und ihre Base bei den Ereignissen des verhängnißvollen Tages außer Acht gelassen habe. Seine geschäftige Phantasie zeigte ihm den Schrecken, die Angst der beiden Mädchen, auch im heißesten Toben des Kampfes, und in demselben Augenblicke, wo die Mannschaft von den Kanonen weggenommen wurde, ließ er auch gleich wieder die Kajütenwände aufsetzen, und die nöthigen Geräthe hineinbringen, ob ihn schon höhere und wichtigere Pflichten abhielten, persönlich Muth einzusprechen. Er wartete allerdings darauf, daß man ihn rufen würde, wenn Alles wieder in Ordnung sey: allein in keiner Weise war er auf den Auftritt gefaßt, von dem er jetzt Zeuge seyn sollte.

Zwischen zwei großen Kanonen, deren abschreckendes Aeußere zu den übrigen Bequemlichkeiten der Kajüte wunderlich abstach, stand ein großes Sopha, und auf ihm lag der Oberst Howard, offenbar seinem Ende nahe. Cecilie weinte an seiner Seite. Ihre schwarzen Locken spielten unbeachtet, verwirrt um das bleiche Antlitz, und die langen Flechten küßten in üppiger Fülle den Boden, worauf sie kniete. Zärtlich beugte sich Katharine über den Sterbenden, während ihr schwarzes Auge, voller Thränen, tiefes Mitleiden und innere Vorwürfe auszusprechen schien. Einige Diener und Dienerinnen waren Zeugen des feierlichen Auftrittes. Alle schienen zu wissen, daß hier keine Hoffnung sey, gleich wie der Wundarzt geäußert hatte.

Das ganze Geräthe der Kajüte war so geordnet, daß es dem furchtbaren Kampfe, welcher eben die wie zum Theezimmer eingerichtete Kajüte verunstaltet hatte, Hohn zu sprechen schien. Der wackere Boltrope lag auf der andern Seite, dem Rechnungsführer im Schooße. Seine Hand ruhte in der seines Freundes, des Kapellans. Griffith hatte von seiner Verwundung gehört. Allein erst jetzt erhielt er Kunde von dem Geschick des Obersten.

Als die erste Ueberraschung vorbei war, näherte sich der junge Mann dem Lager desselben, und bemühte sich, sein Bedauern, seine Theilnahme auszudrücken. Er that es, daß man wohl hörte, wie er es redlich meine.

»Sprecht nicht weiter, Eduard Griffith!« unterbrach ihn schwach der Oberste. »Es scheint, als sey es Gottes Wille, daß diese Rebellion siege, und thörichten Menschen geziemt es nicht, was der Allmächtige will, zu tadeln. Meinem schwachen Verstande ist es ein großes Wunder. Doch vielleicht soll auch dies den Zweck seiner unerforschlichen Weisheit darthun! – Ich habe Dich holen lassen, Eduard. Es gilt einer Sache, die ich noch gern beendigt sähe, ehe ich sterbe, damit man nicht sage, der alte Georg Howard habe seine Pflicht vernachlässigt; sey es auch erst im letzten Augenblicke geschehen! Du siehst dies weinende Mädchen an meiner Seite. Sage mir, junger Mann, liebst Du sie?«

»Und kann diese Frage an mich gethan werden?« rief Griffith.

»Wirst Du sie lieben – wirst Du ihr Vater und Mutter vertreten, der stete Schützer ihrer Unschuld und Schwäche seyn?«

Griffith konnte nur durch einen krampfhaften Druck der Hand antworten.

»Ich glaube Dir!« fuhr der Sterbende fort. »Der brave Hugo Griffith mag vergessen haben, dem Sohne seine eigne Loyalität einzuimpfen; aber zum Mann der Ehre erzog er ihn gewiß. Ich war, was meinen unglücklichen Vetter Christoph Dillon, anbetraf, sehr schwach; nährte vielleicht böse Wünsche. Aber man hat mir gesagt, wie er wortbrüchig geworden ist, und so würde ich ihm die Hand des Mädchens verweigern, wenn er gleich seine Treue gegen Britannien in Anrechnung brächte. Doch er ist dahin, und ich stehe auf dem Punkte, in eine Welt zu gehen, wo wir nur einem Herrn dienen werden. Es wäre besser für uns Beide, hätten wir unsere Pflichten gegen Ihn erfüllt, als den Fürsten dieser Erde gedient! – Noch Etwas! Kennst Du den Offizier vom Kongresse – den Barnstable, genau?«

»Ich segelte manches Jahr mit ihm, und kann für ihn, wie für mich selbst bürgen!«

Der Veteran machte eine Bewegung, um sich aufzurichten. Es gelang ihm zum Theil. Er sah dem jungen Mann prüfend in's Auge. Seine blassen Züge nahmen einen feierlichen Ausdruck an.

»Sprich jetzt nicht von ihm,« sagte er, »weil er der Gefährte Deiner thörichten Freuden war; lege kein Zeugniß von ihm, wie ein Unbedachtsamer, der seinen Kameraden empfiehlt, ab. Denke, daß Du Deine Meinung einem sterbenden Manne eröffnest, der auf Deinen Ausspruch baut und Rath sucht! – Die Tochter von John Plowden ist ein Schatz, den ich nicht vergeuden darf, und mein Tod würde mir schwer werden, wüßte ich nicht ganz gewiß, daß sie einem Würdigen zu Theil geworden wäre!«

»Er ist ein Ehrenmann! Ein Mann, dessen Herz so gut als tapfer ist. Er liebt Eure Mündel. So groß auch ihre Verdienste sind: so sehr verdient er sie doch! Gleich mir, liebte er das Land, wo er geboren war, mehr, als das, wo seine Ahnen lebten. Aber –«

»Dies ist vorbei! Nach dem, was ich heute gesehen habe, muß ich glauben, des Himmels Wille sey, Ihr sollt siegen. Doch, ein Subaltern, der nicht gehorcht, wird leicht ein Befehlshaber ohne Vernunft. Nach dem, was ich gesehn habe –«

»O sprecht davon nicht, Theurer!« rief Griffith mit edlem Feuer. »Er war häßlich gereizt worden! Es ist bereits vergeben und vergessen! Den ganzen Tag über hat er mir edel beigestanden. Mein Leben darauf! Er weiß, wie ein braver Mann sein Weib zu behandeln hat!«

»So bin ich zufrieden!« sagte der Alte, und sank auf das Kissen zurück. »Laßt ihn rufen!«

Griffith gab leise den Befehl, Barnstable herbeizuholen, und sah ihn schnell ausgeführt. Ehe er noch es für gemessen hielt, den Gang der Vorstellungen des Obersten durch ein Paar andere Worte zu durchkreuzen, stand der Freund schon da. Kaum sagte man es dem Alten, als er sich wieder aufrichtete und den Staunenden in einer Art anredete, welche allerdings minder vertrauungsvoll und freundlich war, als gegen Griffith Statt gefunden hatte.

»Was Ihr in der vorigen Nacht, in Hinsicht meiner Mündel, der Tochter des Kapitain John Plowden, geäußert habt,« begann er, »mir Eure Wünsche in dem Betracht vollkommen kund gethan! – Empfangt Beide den Lohn für Eure Liebe! Laßt den würdigen Geistlichen das Wort Euch abnehmen, daß Ihr treu seyn wollt, weil ich noch Kraft habe, es zu hören, und damit ich gegen Euch im Himmel zeugen kann, wenn Ihr den Schwur vergeßt!«

»Jetzt nicht! Jetzt nicht!« schluchzte Cecilie. »Nur jetzt verlangt das nicht, mein guter Onkel!«

Katharine sprach nicht. Aber tief rührte sie die zärtliche Fürsorge ihres Vormunds. Sie ließ das Köpfchen auf den Busen herabsinken und die Thränen flossen über ihre Wangen in großen Tropfen, daß sie den Boden netzten.

»Jetzt! Jetzt, meine gute Cecilie, muß es seyn!« erwiederte treibend der Onkel. »Sonst fehl' ich in meiner Pflicht. Bald stehe ich Euren Eltern gegenüber, meine Kinder. Denn der Mann, der, im Sterben liegend, nicht erwartet, mit Hugo Griffith und John Plowden im Himmel zusammen zu kommen, muß nicht über den Lohn im Klaren seyn, welcher dem Leben, das dem treuen Dienste für das Vaterland und der edlen Loyalität für den König gewidmet wurde, gebührt! Nie vergaß ich die zarte Rücksicht, die Eurem Geschlecht zu zollen ist. Doch jetzt ist nicht die Zeit, anzustehen. Sie ist nur auf Minuten beschränkt, und schwere Pflichten müssen noch erfüllt werden. Ich könnte nicht im Frieden sterben, müßte ich Euch hier auf dem weiten Meere, fast hätte ich gesagt, auf der weiten Erde, ohne den Schutz lassen, den Eure Jugend, Euer sanfter Charakter heischt. Gottes Wille nimmt Euch Euren Vormund. Laßt seinen Platz von denen einnehmen, die er dazu erwählt hat!«

Cecilie stand nicht länger an. Sie richtete sich langsam auf, und reichte, mit einer gezwungenen Verleugnung ihrer selbst, Griffith die Hand. Katharine ließ sich von Barnstable an ihre Seite führen. Der Kapellan hatte Alles aufmerksam mit angehört. Einem Winke von Griffith gehorsam, schlug er die Agende auf, aus der er dem sterbenden Hochbootsmann vorgelesen hatte, und begann mit zitternder Stimme das Trauungsformular vorzutragen. Die weinenden Bräute sagten ihr Ja lauter und vernehmlicher, als es unter den fröhlichen Zeugen geschehen wäre, die gewöhnlich ein hochzeitliches Paar umringen. Zwar wußten sie wohl, daß dies Wort sie auf immer an den Mann fesselte, dessen Herrschaft über ihr Herz sie der Welt so feierlich verkündeten. Allein die weibliche Schüchternheit wich hier der feierlichen Stunde, der Gegenwart dessen, vor welchem sie jetzt standen.

Der Segen war gegeben. Ceciliens Haupt sank auf Griffith's Schulter. Sie weinte einen Augenblick lang heiße Thränen. Dann eilte sie wieder zum Sopha, und kniete neben dem Onkel. Katharine empfing den Kuß des zerstreuten Barnstable. Langsam ging sie wieder auf ihren frühern Platz hin.

Der Oberst Howard hatte sitzend der Ceremonie zusehen können. Mit einem heißen Amen hatte er jedes Gebet begleitet. Bei den letzten Worten sank er aber zurück. Ein Blick der Freude sprach aus seinen blassen Zügen. Er zeigte, welche Theilnahme er dabei gehabt hatte.

»Ich danke Euch, meine Kinder;« sagte er endlich schwach. »Ich danke Euch, denn ich weiß, wie viel ihr meinen Wünschen geopfert habt. – Alle Papiere, in Hinsicht des Vermögens meiner Mündel, findet Ihr, theure Freunde, bei meinem Wechsler in London. Dort ist auch mein Testament. Eduard, Du wirst daraus lernen, daß Cecilie nicht ohne Aussteuer in Deine Arme kommt. Was meine Mündel geworden sind, weiß Euer Auge und Herz. Meine Papiere werden auch darthun, daß ich kein treuloser Verwalter ihrer Habe war.«

»Sprecht nicht so, Ihr brecht mir das Herz!« rief Katharine schluchzend, (denn ihr sagte das Herz, sie habe dem so aufrichtigen Vormunde manche Noth gemacht.) – »Denkt doch nur an Euch, nicht an uns! Wir verdienen es nicht. Ich wenigstens bin es nicht werth!«

Der Sterbende reichte ihr freundlich die Hand hin. Seine Stimme ward schwächer.

»Was mich anbetrifft, – ich,« sagte er, »wünschte, wie meine Vorfahren, im Schooße der Erde, in geheiligtem Boden zu ruhn!«

»Das soll geschehn!« lispelte Griffith. »Ich selbst will dafür sorgen!«

»Ich danke Dir, mein Sohn!« fuhr der Veteran fort. »Seit Du Ceciliens Gatte bist, nenne ich Dich so! In meinem letzten Willen wirst Du finden, daß ich alle meine Sklaven freigelassen und versorgt habe, die undankbaren Schurken ausgenommen, welche ihren Herrn verließen. Sie nahmen sich die Freiheit selbst, und sind mir also dafür nicht verbindlich. Auch für den König ist ein unwürdiges Vermächtniß gemacht, falls Se. Majestät es von einem alten treuen Diener anzunehmen werth findet. Du wirst die Kleinigkeit nicht vermissen.«

Eine lange Pause folgte. Es war, als schließe er seine Rechnung mit der Erde ab, und finde Alles richtig. Dann setzte er hinzu:

»Küsse mich, Cecilie! – Und Du Katharine! Ich sehe, Du bist gut, wie Dein braver Vater! – Mein Auge wird trübe. Wo ist denn Griffith's Hand? – Junger Mann, ich habe Dir Alles gegeben, was ein guter alter Mann geben mag. Theile es redlich mit dem guten Kinde. – Wir haben einander nicht recht verstanden. Ich habe mich in Dir und Christoph Dillon geirrt. – Vielleicht hab' ich auch meine Pflicht gegen Amerika nicht eingesehen. Doch, es war zu spät, meine Grundsätze oder meine Religion zu ändern. Ich – liebte den König! Gott segne ihn!«

Seine Sprache wurde immer schwächer und schwächer, und der Athem war über die bläulichen Lippen mit dem Segen entflogen, auf den der stolzeste Monarch gern gehört haben würde.

Man trug den Leichnam sogleich in den großen Raum, und Griffith führte nebst Barnstable die Bräute in die Hinterkajüte, wo sie sie, einander in den Armen liegend, in bittern Thränen verließen!

Boltrope hatte den ganzen Auftritt mit angesehn. Sein lebhaftes Auge winkte den jungen Männern, als sie wieder zurückkamen. Sie traten zu seinem Lager hin, und entschuldigten ihre anscheinende Vernachlässigung.

»Ich hörte wohl, daß Ihr verwundet wär't, Boltrope,« sagte Griffith, und nahm wohlwollend seine Hand. »Allein ich weiß, Ihr seyd schon daran gewöhnt, eine Kugel mitzunehmen, und so hoffe ich denn, wir wollen uns bald wieder auf dem Verdeck sehn.«

»Ja, ja!« antwortete der Segelmeister. »Ihr werdet kein Fernrohr brauchen, wenn das alte Wrack über Bord geworfen wird. Ja, ich habe wohl sonst auch eine Kugel bekommen. Die nahm ein Tauendchen mit, oder riß einen Splitter in einem Maste von mir ab. Aber der Bursche hat den Weg in den Raum gefunden, und nun hat es mit dem Kreuzen des Lebens ein Ende!«

»Ach, so schlimm ist es nicht, ehrlicher David!« tröstete Barnstable. »Du bist bei schlimmern Wunden wieder flott geworden, als Du unglücklicherweise jetzt bekommen hast!«

»Ja, ja!« versetzte Boltrope; »aber das war im Takelwerke, wo der Doktor mit dem Messer dazu konnte. Die Kugel aber hat den halben Bord weggerissen, und ich fühle, daß die ganze Ladung fort geht. Ihr müßt nur wissen, daß der Doktor mich schon als todten Mann annahm. Er sah nach dem Schusse, und dann verwies er mich an den Pastor, wie ein Stück altes Tau, das nur zu dünnen Neuen umgesponnen werden kann. Kapitain Munson ist besser weggekommen. Ich dächte, Ihr hättet gesagt, Herr Lieutnant Griffith, er wäre über Bord geworfen worden, wie er ging und stand? Der Tod hat nur einmal bei ihm angeklopft, und da hat er sich gleich empfohlen.«

»Ja, sein Ende war schnell! In der That! Aber ein Seemann muß darauf gefaßt seyn!« erwiederte Griffith.

»Und darum muß man sich um so mehr darauf vorbereiten!« wagte der Kapellan demüthig, ganz leise, fast furchtsam zu bemerken.

Der Hochbootsmann sah munter einen nach dem andern an. Nach einer kurzen Pause sprach er wieder, als ergäb' er sich in sein Schicksal:

»Nun das Glück hatte er. Ich denke es ist Sünde, wenn man einem Manne das ihm gebührende Glück beneidet. – Ja die Vorbereitung zum Tode! Nun hört, Pastor, das ist Eure Sache, und nicht die meinige. Viel Zeit ist jedoch nicht mehr übrig. Je eher Ihr ansetzt, desto besser. Damit wir aber unnütze Mühe sparen, so macht es mit mir nur ganz kurz. Ich muß Euch zu meiner Schande sagen, ich habe es nicht weit gebracht. Wenn Ihr mich so weit zurichtet, daß ich in der andern Welt eine Hängematte habe, wie die hier auf dem Schiffe war; so will ich schon vollkommen zufrieden seyn, und vielleicht paßt das für uns Alle am Besten.«

Der Geistliche war über die Art, wie seine Amtspflicht hier beschränkt werden sollte, etwas verdrüßlich. Indessen er sah, wie einfältig der Mann seine Meinung äußerte, und gab sich zufrieden. Nach einem langen, düstern Schweigen, das weder Griffith noch sein Freund zu unterbrechen wagte, nahm der Kapellan wieder das Wort:

»Es ist nicht des Menschen Sache, über die Beschlüsse der göttlichen Barmherzigkeit zu bestimmen, und auch ich vermag nichts zu thun, Master Boltrope, um den mächtigen und unwiderruflichen Beschluß zu beugen. Was ich darüber in der letzten Nacht sagte, muß noch frisch in Eurem Gedächtniß seyn, und so ist kein Grund da, jetzt mit Euch anders zu reden!«

»Ich könnte nicht sagen, daß ich Alles in's Loggbuch eingetragen hätte, was so vorfällt!« meinte der Segelmeister. »Am Besten merke ich immer, was ich mit mir selbst rede. Warum? Darum, daß ein Mensch sich an seine Gedanken eher erinnert, als an fremde. Ja, dabei fällt mir doch ein, Herr Lieutnant Griffith, daß ein Zweiundvierzig-Pfünder vom Dreidecker über's Vorderkastell weggegangen ist, und den zweiten Anker einen Faden tief unter dem Tau so geschickt weggenommen hat, wie eine Frau den Zwirnfaden mit der Scheere wegschneidet. Wenn Ihr doch so gut wärt, und einen Matrosen das Tau splitzen, und einen neuen Knoten hinein bringen. Ich will es ein anderes Mal wieder gut machen!«

»Sprich nicht weiter davon,« redete ihm Griffith zu. »Sey versichert, es wird für die Sicherheit unseres Schiffes, was Dein Amt anbetrifft, Alles gethan werden. – Ich werde selbst Deinen ganzen Dienst übernehmen, und möchte, daß Dein Herz von aller Unruhe in der Art frei wäre, daß Du Dich blos mit andern wichtigen Gegenständen beschäftigen könntest.«

»Ei,« entgegnete Boltrope etwas hartnäckig, »ich denke immer, je reiner man seine Hände in der andern Welt aufheben und sagen kann: ich habe meine Pflicht unten gethan! desto besser paßt man dazu, dort oben etwas Anderes anzugreifen! Der Pastor hier sagte mir gestern Abend seine Lehre, daß es nämlich gleichviel wäre, ob der Mensch gut oder schlecht lebe, wenn er nur mit vollem Gewissenssegel gut durch's Glaubensmeer schiffe. Ich denke aber, das ist ein Ding, was an Bord nicht gepredigt werden darf. Da gienge der Teufel bei der besten Equipage los, die je gemustert worden ist.«

»Ei nicht doch! O nein, theurer Boltrope! Ihr habt mich und meinen Satz nicht begriffen! Zum Mindesten falsch begriffen!« rief der Kapellan ängstlich.

»Vielleicht gienge das unserm guten Freunde jetzt nicht besser!« unterbrach ihn Griffith, und wendete sich dann an Boltrope.

»Lastet noch Etwas auf Deinem Herzen?« fragte er ihn theilnehmend. »Wünschest Du an Jemanden erinnert zu werden, eine Anordnung über Deine Habe zu treffen?«

»Er hat eine Mutter!« fiel Barnstable leise ein. »Oft sprach er von ihr, wenn wir in der Nacht die Wache hatten. Ich glaube, sie lebt noch!«

Der Hochbootsmann hörte deutlich, was seine Obern sprachen. Er bewegte wohl eine Minute lang seinen Tabak im Munde von einer Seite zur andern, weil ihn eine sonderbare Unruhe ergriff. Dann hob er eine seiner großen Hände auf, deren braune Farbe bereits in die des Todes überging. Endlich antwortete er schwächer:

»Ja, die alte Frau segelt noch in den Klippen des Lebens herum, und das ist mehr, als von ihrem Sohne David gesagt werden kann. Mein Vater kam um, als die Susanna und Dorothea am Vorgebürge Cod scheiterte. Ihr wißt das doch noch, Herr Barnstable? Ihr waret damals ein Bursche, der auf den Wallfischfang ausfuhr. Nun, seit dem Windstoß habe ich für die alte Frau immer gutes Fahrwasser zu schaffen gesucht. Aber freilich, 's ist stets eine böse Fahrt für sie gewesen! Schlechtes Wetter und halbe Rationen haben ihr meist das Bischen Reise durch's Leben verdorben!«

»Und Du willst uns einen Auftrag für sie geben?« fragte Griffith zärtlich.

»Je nun,« antwortete Boltrope, dessen Stimme aber schnell schwächer wurde, und abbrach. »Komplimente hat es zwischen uns nie viel gegeben. Warum? Darum, sie ist nicht gewohnt, dergleichen zu hören, und ich nicht, dergleichen zu machen. – Will aber Einer von Euch das Schiffsbuch durchgehen und sehen, was auf meiner Seite gutgemacht ist, und die kleine Mühe übernehmen, es der alten Frau zu geben; so wird er sie unter der Windseite von einem Hause vor Anker finden: – Ja, richtig, so wird's seyn, Numero 10. Cornhillstraße in Boston. Ich trug doch Sorge, daß sie ein gutes, sicheres Ankerplätzchen unter einer warmen Zone hätte; denn eine Frau von achtzig Jahren braucht so eins, so lange sie noch lebt.«

»Ich will das besorgen!« rief Barnstable, von Schmerz ergriffen. »Ich werde es ihr einhändigen, so wie wir in Boston vor Anker gehn, und da Dein Guthaben nicht groß seyn wird; so soll sie meine halbe Börse dazu bekommen!«

Der Segelmeister war von diesem freundschaftlichen Versprechen lebhaft gerührt. Seine rauhen Züge bewegten sich krampfhaft. Es verging einige Zeit, ehe er wieder sprechen konnte.

»Ich wußte das wohl, Richard, ich wußte das wohl!« sagte er endlich, und griff nach Barnstable's Hand. »Ich weiß, Ihr gäbt der alten Frau eines von euern Gliedern, wenn es darauf ankäme, der Mutter von einem alten Kameraden zu helfen. Das hülf' aber freilich nichts: denn ich bin ja nicht der Sohn eines Kannibalen! Aber Ihr seyd mit Eures Vaters Buche auch quitt. In Eurem Beutel ist auch immer Ebbe, und besonders, seitdem Ihr nun damit angefangen habt, Euch ein Beischiff zuzulegen. Da werdet Ihr alle Sparpfennige brauchen!«

»Doch ich bin Herr meines Vermögens, und das ist nicht klein!« unterbrach ihn Griffith.

»Ach ja, ja! Ich habe gehört, Ihr könntet eine Fregatte kaufen, und mit Allem ausrüsten, ohne die Hand in einen andern, als Euren Beutel zu stecken!«

»Und ich gebe Dir das Wort eines Seeoffiziers!« fuhr Griffith fort, »sie soll an nichts Mangel leiden. Selbst die Sorge und Zärtlichkeit eines treuen Sohnes soll sie nicht vermissen!«

Boltrope schien hin zu seyn. Er versuchte, den erschöpften Körper noch einmal aufzurichten. Aber kraftlos sterbend, sank er zurück, vielleicht einige Minuten früher, als es sonst der Fall gewesen wäre, weil er ungewöhnliche heftige Anstrengungen zu sprechen machte.

»Gott vergieb mir alle meine Sünde!« stammelte er endlich, »und besonders, daß ich – manchmal gegen Eure Disciplin gesprochen habe. Vergeßt den zweiten Anker nicht, und daß die Taue an dem Unter-Raaen geknüpft werden. – Ja, das wird Richard thun! – Ich segle aus dem Leben ab! Gott segne Euch Alle, und geb' Euch eine gute Fahrt, Ihr mögt nun mit vollem Winde fahren, oder – oder laviren müssen!«

Hin war die Sprache. Aber ein Blick voll herzlicher Zufriedenheit glänzte durch die groben Züge. Plötzlich zuckte das Antlitz. Die matten Muskeln desselben fügten sich in die blassen, starren Falten des Todes.

Griffith ließ ihn in seine Kote bringen, und ging dann mit schwerem Herzen auf das Verdeck. Während die Fregatte so gejagt ward, war die Alacrity gar nicht beachtet worden. Allein das begünstigende Licht des Tages, wie ihr leichter Kiel, hatten die Flucht längs den sich häufenden Klippen zum Spielwerk gemacht. Jetzt gab die Fregatte ihr das Signal zum Nacheilen, und dann die nöthigen Weisungen, wie während der Nacht zu steuern sey. Nur in großer Ferne, gleich weißen Punkten auf dem schwarzen Meere, waren die brittischen Schiffe zu schauen. Ein großes Klippenriff, das wußte man wohl, lag zwischen ihnen und der Fregatte. Die Amerikaner hielten das Daseyn des Feindes für nicht mehr gefährlich.

Als die nöthigen Anordnungen getroffen waren, und die Schiffe gehörig sich verständigt hatten, gewannen sie wieder den Wind, und steuerten nach Hollands Küste. Der Wind hatte mit Sinken der Sonne nachgelassen. Am Morgen aber kehrte er wieder, und beschleunigte nach und nach den Lauf der Amerikaner so sehr, daß, ehe am nächsten Abend das Gestirn des Himmels sank, Englands Küste dem Blicke längst entzogen war. Düsteres Schweigen herrschte auf der Fregatte, als sie die See durchschnitt. Ceciliens und Katharinens trauerndes Herz fand darin Erleichterung. Beide hatten noch kein Auge geschlossen. Außer dem Auftritte, dem sie beigewohnt hatten, wurde ihr Schmerz noch durch einen Umstand erhöht. Sie wußten, daß, in Folge Griffith's neu erwachsener Verpflichtungen am nächsten Morgen Trennung für lange Zeit, vielleicht für immer, unvermeidlich war!

Es tagte, der Bootsmann ließ die rauhen Töne im Schiffe erschallen. Still und schweigend sammelten sich die Leute auf dem Verdeck, die Todten zu begraben. Boltrope's Leichnam, diejenigen von zwei Subalternoffizieren und mehreren Matrosen, welche in der Nacht an ihren Wunden gestorben waren, wurden mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten den Wellen übergeben. Dann nahmen die Segel wieder den vollen Wind! Immer schnitt die Fregatte durch die weite Ebene, und kein Denkmal bezeichnete den Platz, wo die Todten in den rollenden Fluthen ihre Stätte gefunden hatten.

Die Sonne zeigte bereits den Mittag an. Beide Schiffe legten bei, und machten Anstalt zur endlichen Trennung. Oberst Howard's Leichnam ward auf die Alacrity gebracht, wohin ihm Griffith und seine jammernde Gattin folgte, während Katharine an einem Fenster der Kajüte trostlos stand, und ihre Thränen mit der salzigen Fluth des Ozeans mischte. Als Alles vorbereitet war, winkte er Barnstable nochmals Lebewohl, welcher das Kommando der Fregatte übernahm. Der Letztere spannte alle Segel auf, den gefährlichen Weg nach Amerika durch den Kanal, durch die englische Flotte daselbst, einzuschlagen: ein Wagstück, das bereits von der Fregatte Alliance einige Monate früher versucht worden war. Auch sie hatte ja glücklich die Sterne Amerika's durch den gefährlichen Pfad getragen.

Während dessen steuerte die Alacrity rasch nach Holland's Küste, und ehe der Abend da war, kam sie ihr so nahe, daß Griffith's Befehle zufolge nochmals beigelegt wurde. Ein kleines Boot ward ausgesetzt. Der junge Seemann und der Lootse, der fast ungesehn und unbeachtet auf den Kutter gekommen war, stiegen auf's Verdeck. Der Fremde beobachtete die ganze Küste, als wollte er die Lage des Schiffes berechnen. Dann sah er wieder auf's Meer und nach Abend, um das Wetter zu beurtheilen. Er sah nichts, was seinen Entschluß hätte umändern können, und so gab er Griffith die Hand.

»Hier scheiden wir!« sagte er. »Da unsere Bekanntschaft nicht Alles herbeiführte, was wir wünschten; so wollen wir uns bemühen, es zu vergessen, wie wir je zusammenkamen!«

Griffith verbeugte sich achtungsvoll, ohne ein Wort zu sprechen. Der Lootse zeigte mit verächtlicher Geberde nach dem Lande.

»Hätte ich die Hälfte der Marine von dieser entarteten Republik, – der Stolzeste jener hochfahrenden Engländer sollte in seinem Schlosse zittern und fühlen: gegen einen Feind, der seiner Kraft vertraut, die Schwäche seiner Gegner kennt, sey nicht zu kämpfen. – Aber« – hier sprach er leiser und rascher – »es ist mir jetzt gegangen, wie bei Liverpool, Whitehaven und Edinburg, und bei funfzig andern Gelegenheiten. Es ist vorbei, und denken wir nicht mehr daran!«

Ohne auf die staunende Mannschaft zu achten, die sich, seine Abfahrt zu sehen, neugierig versammelt hatte, nahm er noch flüchtig von Griffith Abschied, sprang in sein Boot, und spannte das kleine Segel so rasch aus, wie ein Mann, der auch in den kleinsten Dingen, die zu seinem kühnen Gewerbe gehören, vollkommener Meister ist. Noch einmal, indeß das Boot rasch vom Kutter wegeilte, winkte er Griffith Lebewohl zu, und dieser glaubte noch in der Ferne das bittere Lächeln der erzwungenen Ruhe wahrzunehmen, die für einen Augenblick seine Züge beherrschte. Lange sah der junge Mann in stiller Verwunderung auf dem Verdeck dem im offenen Meere hineilenden Boote nach. Dann, als der schwarze Punkt im hellen Glanze der untergehenden Sonne verschwand, ließ er die Segel der Alacrity anders stellen, um wieder fortzueilen.

Manche sonderbare und ungewöhnliche Vermuthungen äußerten die Matrosen gegen einander, über die Erscheinung des geheimnißvollen Lootsen während ihrer gefährlichen Fahrt an Englands Küste, und über sein noch außerordentlicheres Verschwinden in den stürmischen Fluthen der Nordsee. Griffith schien ihren Gesprächen nicht die geringste Aufmerksamkeit zu zollen, bis man ihm meldete, daß ein kleines Boot gerade vor dem Kutter mit einem bloßen Sturmsegel in den Hafen einfahre. Dann konnte der freudige Blick seines Auges dem genauern Beobachter wohl verrathen, wie leicht es ihm durch die Gewißheit, der Lootse wäre glücklich an's Land gekommen, um's Herz geworden sey!


 << zurück weiter >>