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III.

 

– Nie sah ich
Einen bessern Liebesboten.

Shakespeare.

 

 

Cecilie und Katharine trennten sich von Alix in der Gallerie. Die beiden Mädchen gingen in das ihnen bestimmte Putzzimmer. Die Gefühle, welche mit jedem Augenblicke ihr Herz um so mehr bestürmten, je mehr die Umstände Alle, die ihnen am Theuersten waren, in eine äußerst zweideutige, wo nicht wirklich gefährliche Lage brachten, – ersparten ihnen vielleicht die Unruhe, welche außerdem Merry's Entdeckung und Gefangennehmung erregt haben würde.

Wie sie, war der Knabe das einzige Kind von einer der drei Schwestern, welche das enge Band zwischen so manchen Hauptpersonen unserer Erzählung knüpften, und seine Jugend flößte den Mädchen für ihn eine Liebe ein, welche die gewöhnliche Theilnahme der Verwandtschaft bei Weitem übertraf. Indessen sie wußten, wenn auch seine Freiheit gefährdet sey, das Leben war ihm in Howard's Händen gesichert. Als daher die erste Unruhe, eine Folge seiner unvermutheten Erscheinung nach so langer Abwesenheit, vorüber war, beschäftigten sie sich mehr mit dem, was aus seinem Arreste für die Andern folgen könne, als daß sie an seine Lage selbst sehr gedacht hätten. Katharine ging, wie von Fieberhitze ergriffen, im Zimmer auf und ab, und Miß Howard verbarg ihr niedliches Gesicht, von den schwarzen Locken beschattet, in der schönen Hand, um ihren Gedanken im Stillen nachzuhängen.

»Barnstable kann nicht weit von hier seyn!« sagte endlich jene nach einigen Minuten. »Er würde den Knaben sonst gewiß nicht auf ein solches Abenteuer allein gesandt haben.«

Cecilie hob ihr sanftes, blaues Auge auf, und sah Katharinen fest an.

»Alle Gedanken an eine Auswechselung müssen nun aufgegeben werden,« sagte sie; »vielleicht behält man die Gefangenen gar als Geisseln für Dillon's Leben zurück.«

»Sollte der Schurke todt seyn? Oder ist es blos eine Drohung, eine List des kleinen Unbesonnenen gewesen? Es ist ein verdammter Bursche. Im Nothfalle würde er keck und kühn reden und handeln!«

»Er ist todt!« erwiederte Cecilie, und bedeckte sich schaudernd das Gesicht. »Das Auge, jede Miene Merry's ward uns Bürge dafür. Ich fürchte, Katharine! Barnstable hat seiner Hitze auf Kosten des Verstandes nachgegeben, als er Dillon's Verrätherei erfahren hat. Der harte Gebrauch des Kriegsrechts mag solche furchtbare Rache am Ende gutheißen, aber es war gewiß nicht hübsch, die Lage zu vergessen, in der sich seine Freunde befinden.«

»Barnstable hat weder Jenes gethan, noch diese vergessen!« rief Katharine, mit dem niedlichen Fuße aufstampfend und sich trotzig in die Brust werfend. »Barnstable ist nicht im Stande, einen Mord zu begehen, und eben so wenig einen Freund zu verlassen!«

»Aber im Kriege wird Wiedervergeltung für keinen Mord genommen!«

»Denkt, was Ihr wollt; nennt es, wie Ihr wollt; ich setze mein Leben zum Pfande, daß Richard Barnstable kein Blut zu verantworten hat, als das der Feinde von seinem Vaterlande!«

»Der Unglückliche kann auch als Opfer der Wuth von dem schrecklichen Seemann gefallen seyn, der ihn hier gefangen mit fortnahm.«

»Der schreckliche Seemann, Miß Cecilie Howard! hat ein Herz, so zärtlich, als das Eurige. Er ist –«,

»O Katharine!« unterbrach sie Cecilie, »Du wirst unfreundlich gegen mich! Laß uns das unvermeidliche Unglück nicht noch durch solchen bittern Streit erhöhen!«

»Ich zanke und streite ja nicht mit Dir; ich vertheidige nur den Abwesenden und Unschuldigen gegen den häßlichen Verdacht meiner guten Base.«

»Sage lieber Deiner Schwester!« setzte Miß Howard hinzu, als Beider Hände sich unwillkürlich begegneten. »Aber laß uns doch, wo möglich, an etwas minder Schreckliches denken! Armer, armer Dillon! Jetzt, wo ihn ein so schreckliches Geschick ereilte, kann ich ihn für minder hinterlistig und für redlicher halten, als er uns erst vorkam! Du meinst, wie ich, Katharine? Ich sehe es Dir an. Wir wollen nicht länger darüber sprechen. – Katharine! liebe Base, was siehst Du denn?«

Miß Plowden hatte kaum ihre Hand aus der Ceciliens zurückgezogen, als sie wieder obschon ruhiger, auf- und abging. Sie war indessen kaum wieder über's Zimmer gegangen, so fiel ihr Auge auf das entgegengesetzte Fenster, und ihre ganze Gestalt schien von Staunen ergriffen. Durch die Strahlen der Abendsonne spähte ihr feuriger Blick auf einen fernen Gegenstand, und ihre Wange ward von einer Purpurröthe bedeckt, die selbst bis zu den Schläfen hinauf stieg. So eine schnelle Veränderung, so ein Blick bei ihrer Freundinn hatte wohl die Aufmerksamkeit Ceciliens rege machen müssen, welche daher sich durch die vorige ängstliche Frage selbst unterbrach. Katharine winkte ihr, näher zu ihr zu treten. Sie wies nach dem gerade vor Augen liegenden Gehölze.

»Siehst Du den Thurm in den Ruinen?« fragte sie. »Siehst Du die kleinen, rothen und gelben Fahnen, die auf seinen Mauern wehen?«

»Ia, das sind noch etliche abgefallene Blätter, die zurückblieben. Es fehlt ihnen die lebhafte Farbe, die den Herbst in unserm Amerika so glücklich macht.«

»Das kommt daher, weil Du von Etwas sprichst, das Gott geschaffen hat, und hier ist nur Menschenwerk! Nein, Cecilie, das sind keine Blätter, es sind meine kindischen Signale, und ganz gewiß ist Barnstable in dem verfallenen Thurme. Merry wird ihn doch nicht – nein, er kann ihn nicht verrathen!«

»Mein Leben soll für seine Ehre haften!« tröstete sie Cecilie. »Allein Du hast ja meines Onkels Telescop bei der Hand. Das paßt ja herrlich zu der Sache. Ein Blick hindurch muß sie gleich ausmitteln!«

Katharine sprang hin, es zu holen. Mit geschäftiger Hand ward es zur Beobachtung eingerichtet.

»Er ist es!« rief sie im Augenblick, wo sie es vor das Auge brachte. »Ich sah seinen Kopf über dem Gemäuer. Wie unbedachtsam, sich so ohne Noth der Gefahr Preis zu geben!«

»Aber was sagt er denn, Katharine?« fragte die Andere. »Du kannst allein seine Sprache lesen!«

Gleich ward das Buch herbeigeholt, das Miß Plowden's Signale erklärte, und hastig wurden die Blätter umgeschlagen, die nöthige Numer zu finden.

»Es ist blos ein Zeichen, meine Aufmerksamkeit rege zu machen. Ich muß ihm sagen, daß er beobachtet wird!«

Als Katharine eben so sehr ihren geheimen Wünschen, als der Hoffnung entsprechend, daß die Sammlung von Nutzen seyn könne, den Plan entwarf, mit Barnstable zu verkehren, vergaß sie auch glücklicherweise keinesweges die nöthigen Mittel, seinen Fragen zu begegnen. Sie hatte nur einige Schnuren von den Vorhängen abzuknüpfen, und bald waren unter ihren niedlichen Fingern einige seidene Fähnchen an der Schnure festgemacht, die nun hinausgehangen wurden, und im Winde flatterten.

»Er sieht es!« schrie Cecilie, »und ändert seine Flaggen um!«

»Sieh' ja immer fest darauf, und sage mir, was für Farben in die Höhe kommen; immer in ihrer Ordnung; ich will sehen, ob ich es herausfinden kann!«

»O, er ist so bewandert darin, wie Du! Es flattern schon wieder zwei Fähnchen über dem Gemäuer. Oben ist eine weiße, und darunter eine schwarze!«

»Weiß über Schwarz?« wiederholte sich Katharine, hastig in dem Buche blätternd. »›Ist mein Botschafter gesehen worden?‹ – Darauf müssen wir ihm melden, wie es unglücklicherweise steht. Hier, da ist gelb, weiß und roth! – ›Er ist Gefangener!‹ – Wie glücklich bin ich, so Frage und Antwort vorbereitet zu haben! Was sagt er denn, Cecilie, zu der Nachricht?«

»Er zieht schnell ein! Ach Katharine, Du zitterst ja, daß sich das Glas hin- und herbewegt! Jetzt ist er fertig! Dies Mal steht Gelb über Schwarz!«

»›Griffith oder wer‹? Er versteht uns nicht. Allein ich hatte ja nicht an den armen Jungen gedacht, als ich die Numern entwarf. Da, hier kommt es, Gelb, Grün und Roth. ›Mein Vetter Merry.‹ Jetzt muß er es verstehen!«

»Er hat schon wieder weggenommen. – Die Nachricht scheint ihn zu beunruhigen. Er arbeitet nicht so schnell, wie vorhin. – Jetzt zeigt er sich – Grün, Roth und Gelb!«

»Die Frage heißt: ›Bin ich sicher?‹ Sie hat ihn langsam gemacht; Cecilie, Barnstable geht immer langsam daran, wenn es seine Sicherheit gilt! Ja, wie soll ich ihm darauf antworten? Sollten wir ihn zu einem Mißgriff verleiten, wir würden es uns im Leben nicht verzeihen können!«

»Daß Merry plaudert, ist nicht zu fürchten, und ich denke, wenn Kapitain Borroughcliffe eine Ahnung hätte, daß seine Feinde so nahe seyen, würde er nicht bei Tafel bleiben.«

»Ach, so lange der Wein blinkt und er noch schlucken kann, bleibt er sitzen! Allein wir wissen aus Erfahrung leider, daß er, wenn es gilt, ein tüchtiger Soldat ist. Nun, ich will diesmal auf seine Unwissenheit bauen! Hier ist die Antwort: ›Ihr seyd sicher, aber nehmt euch in Acht!‹«

»Er lies't mit schnellem Blicke Deine Meinung, und ist mit der Antwort gleich fertig: Grün über Weiß, ist diesmal. – Nun, hörst Du mich denn nicht? Es ist Grün über Weiß! – Bist Du denn stumm geworden? Was sagt er denn, Mädchen?«

Katharine antwortete immer noch nicht, und ihre Base sah vom Glase weg, um sie in's Auge fassen. Katharine starrte nur nieder auf das offene Blatt, und ihre Wange glühte lebhafter als vorher.

»Ich will nicht fürchten, daß Deine Röthe und sein Signal etwas Böses zu bedeuten hat! Zeigt etwa Grün an, daß er eifersüchtig ist, wie Weiß das Bild von Deiner Unschuld seyn kann?«

»Er spricht Unsinn wie Du!« erwiederte Katharine, und wühlte zornig in ihren Flaggen, was zu ihrer fröhlichen Miene wunderlich abstach. »Aber ich muß mit Barnstable ordentlich reden; die Lage der Dinge erfordert das durchaus!«

»Ich kann abtreten!« sagte Cecilie mit Ernst und stand auf.

»Nein, Cecilie, so einen Blick verdien' ich nicht: sonst sag ich gleich, Du zankst mit mir! Aber das siehst Du doch wohl ein, daß nun die Sonne untergeht, und also wohl eine andere Sprache, als die mit Signalen, eintreten muß? Hier ist ein Signal, das sagt ihm: ›Wenn die Abtei Neun Uhr schlägt; so komm' vorsichtig an die Pforte, die nach Morgen aus dem Parke auf die Landstraße führt. Halte dich dort verborgen!‹«

»Ah, er sieht es!« entgegnete Cecilie, die wieder ihren Platz vor dem Teleskop eingenommen hatte. »Er scheint Dir gehorchen zu wollen: denn ich sehe weder weiter von ihm, noch von seiner Fahne etwas!«

Sie stand auf. Ihre Beobachtung war zu Ende. Katharine stellte indessen das Instrument noch nicht in den Winkel. Sie sah lange unruhig hindurch nach dem, wie es schien, nun verlassenen Thurme. Die kurze, unvollkommene Unterredung Katharinens mit ihrem Geliebten, mußte nothwendig die beiden Mädchen unruhig gemacht haben, und bot ihnen Stoff zu ernstlichen Gesprächen, bis Alix Dunscombe eintrat, und sie nun merkten, es werde ihre Gegenwart im Gesellschaftssaale nöthig. Selbst sie, die an nichts dachte, bemerkte gleich in den Mienen und dem Benehmen beider Mädchen Etwas, das wohl darthat, sie hätten einen kleinen Streit mit einander gehabt. – Cecilie schien unruhig und verstört, ja selbst niedergeschlagen. Das schwarze, blitzende Auge, die glühende Wange, der stolze, feste Gang Katharinens sprach noch stärker für entgegengesetztes Gefühl. Indessen beide wechselten über das, was sie beunruhigte, nicht ein Wort, als Alix da war, und so führte sie sie schweigend in das Gesellschaftszimmer.

Der Oberste und der Kapitain Borroughcliffe bewillkommten sie mit ausgezeichneter Aufmerksamkeit. Bei dem erstern kam bisweilen auf der freien, offenen Stirn ein trüber, düstrer Blick zum Vorschein, trotz dem, daß er das Gegentheil zu zeigen sich bemühte; der Werbeoffizier behauptete dagegen immer gleiche Ruhe und Kaltblütigkeit. Zwanzig Mal sah er, wie Katharinens forschendes Auge auf ihm in einer Art ruhte, welche ein minder umsichtiger Mann, wenn er eitel war, wohl falsch deuten konnte. Aber selbst dieser schmeichelhafte Beweis von seinem Talente, die Aufmerksamkeit eines Mädchens zu fesseln, vermochte nicht, seine Selbstbeherrschung zu stören. Umsonst suchte Katharine in seinen Zügen zu lesen. Alles sprach männlichen Ernst, obschon sein Benehmen ungezwungener und natürlicher, als gewöhnlich, war. Endlich sah das Mädchen, verdrüßlich über die nutzlose Beobachtung, nach der Uhr. Zu ihrem Erstaunen entdeckte sie, daß es gleich neun Uhr sey, und ohne den bittenden Blick ihrer Base zu beachten, sprang sie auf, und eilte nach der Thüre. Borroughcliffe öffnete höflich, und während sie, dankbar für die Aufmerksamkeit, nickte, traf ihr Auge noch einmal auf das seinige: doch schnell flog sie hinaus. Sie war in der Gallerie allein. Länger als eine Minute stand sie an; sie glaubte in seiner Miene etwas gelesen zu haben, das volles Gefühl der Sicherheit, aber auch einen geheimen Plan aussprach. Indessen Zögern lag nicht in ihrem Charakter, wo die Umstände forderten, daß rasch und kräftig gehandelt werden mußte. Schnell warf sie über ihre kleine Gestalt einen weiten, zu dem Behuf in Bereitschaft gehaltenen, Mantel, und schlich sich aus dem Gebäude hinaus.

Zwar vermuthete sie nicht ohne Angst, Borroughcliffe könne etwas erfahren haben, wodurch ihr Geliebter in Gefahr käme. Aber als sie im Freien war, sah sie sich überall um, eine Abänderung in den Maaßregeln wahrzunehmen, die zur Sicherung der Abtei getroffen waren, und so etwas zu finden, was ihren Verdacht bestärken, oder ihr sagen könnte, wie sie Barnstable unterrichten müsse, um einer Falle zu entgehen. Alles aber war noch so, wie es seit der Gefangennehmung von Griffith und seinem Kameraden Statt gefunden hatte. Sie hörte die schnellen, schweren Tritte der Wache, die unter ihren Fenstern stand, und sich auf dem kleinen Raume zu erwärmen suchte. Als sie ein wenig lauschte, vernahm sie auch das Geräusch, das der Soldat mit dem Gewehre machte, welcher vor dem seinen Kameraden zur Kaserne angewiesenen Flügel stand.

Die Nacht war finster und wolkig. Obschon der Sturm gegen Abend größtentheils aufgehört hatte, ging der Wind doch noch immer stark, und manchmal durchstrich er heulend die wunderlichen Gänge der Abtei. Es gehörte ein feines Ohr dazu, unter solchem Getöse die Schritte der auf- und niedergehenden Wache bestimmt wahrzunehmen. Als indessen das Mädchen sicher war, daß sich ihr Ohr nicht täusche, schaute ihr Auge ängstlich nach dem, was Borroughcliffe seine Kaserne nannte, selbst. Alles schien nach dieser Seite hin so finster und still, daß die Ruhe darin selbst ängstlich machte. Es konnte in der gewöhnlich geräuschvollen Zelle lustiger Soldaten das Schweigen des Schlafes herrschen; es konnte aber auch die Stille seyn, die einer drohenden Unternehmung vorausging!

Indessen länger zu säumen war nicht Zeit. Sie zog den Mantel fester zusammen, und eilte mit leisen, flüchtigen Schritten nach dem verabredeten Orte. Als sie an der Pforte war, schlug es neun Uhr, und sie hielt wieder an. Düster trug der Wind die Töne zu ihrem Ohre. Bei jedem glaubte sie, er sey das Signal, wo sich ein verborgner Plan von Borroughcliffe entwickeln werde. Aber der letzte Schlag war verhallt. Sie öffnete die kleine Thüre und husch! stand sie auf der Landstraße. Eine männliche Gestalt sprang hinter der Ecke der Mauer hervor, als sie erschien. Noch schlug ihr Herz hörbar vor Unruhe, als sie sich in Barnstable's Armen sah. Kaum waren die ersten Worte des Wiedersehens und der Freude darüber gesprochen, als Barnstable seine Geliebte mit dem Verluste seines Schooners und der Lage seiner Gefährten bekannt machte.

»Und nun, Katharine,« endigte er, »Du bist doch gekommen, hoffe ich, mich nie wieder zu verlassen, oder wenigstens nicht in die Abtei zurück zu kehren, als um mir zu helfen, Griffith's Freiheit zu bewirken, und dann Dich für ewig an mich anzuschließen? –«

»Wahrlich, wie Du mir Deine Lage geschildert hast, ist es eine starke Versuchung für ein Mädchen, Freunde und Vaterhaus zu verlassen. Kaum weiß ich, wie ich Deinem Verlangen entgegen seyn soll! Du hast Dich in der alten Ruine gut mit Lebensmitteln versorgt, und Deine Streifzüge werden schon berechnet seyn, eine hübsche Wohnung dort zu verschaffen. St. Ruth ist mit allen nothwendigen Möbeln versehn. Freilich würde ich es Deinem Scharfsinne überlassen, ob wir vielleicht lieber nach York oder Newcastle ins Gefängniß gebracht werden sollten!«

»Wie kannst Du von solchen thörichten Dingen sprechen, liebenswürdige Schwätzerinn! Zeit und Umstände verlangen, daß wir ernsthaft seyn müssen!«

»Ja, siehst Du, eine Frau muß hübsch wirthschaftlich seyn, und sehen, wie es um die Bequemlichkeiten im Hauswesen steht. Ich möchte doch gerne meine Pflicht mit Ehren erfüllen. Aber ich höre, Du wirst ungeduldig: denn in so einer Nacht Dein schwarzes Gesicht zu sehen ist unmöglich. Also nun: wenn denkst Du denn Dein Hauswesen anzufangen, falls ich auf Dein Plänchen eingehe?«

»Ich bin noch nicht zu Ende und Dein Witz quält mich schon zur unrechten Zeit! – Das Schiff, das ich genommen habe, kommt, dies ist keine Frage, an die Küste, so wie sich der Sturm legt, und ich denke damit fortzusegeln, sobald ich diesen Engländern die Köpfe gewaschen, und Dich nebst Cecilien in Freiheit gesetzt habe. Ich sahe die Fregatte auf dem Meere, ehe ich von der Küste wegging.«

»Ei dies klingt freilich besser,« bemerkte Katharine auf eine Art, die wohl verrieth, sie sinne über diese Aussichten nach. – »Aber einige Schwierigkeiten möchten doch da seyn, wo Du sie am wenigsten suchen wirst.«

»Schwierigkeiten? Ich kenne keine! Es giebt keine!«

»Sprich nicht ohne Respekt von den Irrgängen der Liebe, Barnstable! Wenn hätte diese sich wohl je ungeneckt und ungehindert gezeigt? Auch ich habe ein Hühnchen mit Dir zu pflücken, dessen ich gar zu gern überhoben wäre.«

»Mit mir? frage was Du willst und wie Du willst! Ich bin ganz der sorgenlose, nichts ahnende Geselle, der für nichts Red' und Antwort zu geben hat, als daß er bis zum Närrischwerden in Dich und Deine Verdienste verliebt ist.«

Barnstable fühlte den Druck der kleinen Hand, die seinen Arm fester ergriff, als Katharine in einem Tone fortfuhr, der von der vorigen Neckerei ganz der Gegensatz war. Er erschrak, als er die ersten Worte vernahm:

»Merry hat uns eine furchtbare Nachricht gegeben; ich wollte, daß ich sie für erdichtet halten könnte: allein sein Blick und Dillon's Abwesenheit bestätigen sie!«

»Armer Merry, bist Du in die Falle gerathen! Doch sie sollen einen finden, der ihnen zu klug ist! – Also auf Dillon's Schicksal bezieht sich Deine Frage?«

»Er war ein Schurke,« fuhr Katharine gleich ernst fort, »und verdiente hart von Dir gezüchtigt zu werden, Barnstable. Aber das Leben kommt aus Gottes Hand, und muß nicht vernichtet werden, wenn menschliche Rache ein Opfer zu heischen scheint!«

»Sein Leben nahm ihm der, von welchem er es hatte! Kann Katharine Plowden mich einer solchen abscheulichen That fähig achten?«

»Ich nicht – ich wahrlich nicht! Nie werde ich so böse von Dir denken! Du zürnest nicht auf mich; Du kannst mir auch nicht zürnen: nicht wahr, Barnstable? Ach aber, hättest Du den grausamen Verdacht meiner Base Cecilie gehört, und hätte Deine Phantasie Dir so geschäftig das Unrecht vorführen können, das der meinigen vorschwebte, samt der Versuchung hart zu seyn, während meine Zunge Deine Schuld ableugnete, Du hättest dann erfahren, daß wir die Geliebten leichter gegen die offenen Angriffe Anderer, als gegen unsere eigene Furcht wohl möglicher Verschuldung vertheidigen können!«

»Die Worte: Geliebte und Schuldig mögen bei Dir gleich in Einklang kommen!«

Er tröstete Katharinen mit zwei Worten: denn das arme Mädchen war so ergriffen, daß sie in Thränen zerfloß. Dann erzählte er in der Kürze, wie Dillon gestorben sey.

»Ich hätte aber gedacht,« sagte er, indem seine Erzählung zu Ende ging, »daß ich bei Miß Howard in besserm Andenken stünde. Griffith macht unserm Handwerk keine Ehre, wenn er so eine Meinung hat durchgehen lassen!«

»Ich weiß nicht, ob Griffith meinem Verdachte entgangen seyn würde, wäre er der betrogene Kommendant, und Du der Gefangene gewesen. Du glaubst nicht, wie sehr wir beide den Kriegsgebrauch studirt haben, wie unser Kopf mit schrecklichen Bildern von Geißeln, Wiedervergeltung, Standrecht, angefüllt ist! Jetzt ist mir aber ein Berg vom Herzen gewälzt, und ich möchte fast sagen, nun bin ich bereit, an Deiner Hand in das Thal des Lebens hinabzusteigen.«

»Ein schöner Gedanke, meine Katharine, Gott segne Dich dafür! Dein Reisegefährte mag vielleicht nicht so gut seyn, als Du verdienst, aber Du wirst immer sehen, daß er Deiner werth zu seyn suchen wird! – Jetzt laß uns auf die Mittel sinnen, wie wir zum Ziele kommen.«

»Darin liegt wieder eine Schwierigkeit! Griffith fürcht’ ich, wird Cecilien zu keiner Flucht bestimmen können. Es ist gegen ihre – ihre – ja wie soll ich's nennen, Barnstable, – Laune oder Grundsätze? Kurz, Cecilie wird nie einwilligen, ihren Onkel zu verlassen, und ich habe nicht den Muth, mich von meiner Base im Angesicht der ganzen Welt zu trennen, sollte ich selbst bei Richard Barnstable ein Plätzchen finden.«

»Sprichst Du, wie Du es meinst, Katharine?«

»Wenn nicht ganz, doch – beinahe!«

»Dann habe ich mich grausam getäuscht! Leichter ist es, einen Weg ohne Charte und Kompaß auf dem spurlosen Ozean zu finden, als das Labyrinth des weiblichen Herzens zu kennen!«

»Nun, nun, wunderlicher Mann, Du vergißt, daß ich eine kleine Person bin, und den Kopf ziemlich nahe am Herzen habe; zu nahe! fürchte ich, wenn es auf Vorsicht bei einem Mädchen ankommt! – Giebt es denn kein Mittel, Griffith und Cecilie zu ihrem Besten zu zwingen, aber ohne – offenbare Gewalt anzuwenden?«

»Keines; er ist mein Oberer! Im Augenblick, wo ich ihn in Freiheit setze, wird er das Kommando übernehmen wollen. In einem müßigen Stündchen könnte über das Recht zu einer solchen Anmaßung gestritten werden. Allein meine Leute selbst sind vom Volke der Fregatte ausgehoben, und gehorchen dem Befehle des ersten Lieutnants, der in Allem, was den Dienst angeht, nicht mit sich spaßen läßt.«

»Das ist doch ärgerlich! Alle meine so gut ausgedachten Plänchen zum Besten des wunderlichen Paares werden durch den Starrsinn Beider zu Wasser gemacht! – Indessen hast Du denn auch übrigens Deine Kräfte berechnet, Barnstable? Bist Du überzeugt, daß Du zum Ziele kommst, ohne zu wagen, zumal wenn Du angreifen mußt?«

»Moralisch und was noch besser ist, physisch habe ich die Oberhand! Meine Leute sind dem Feinde auf dem Nacken, wo sie keiner vermuthet. Sie brennen auf den Kampf, und das Unvermuthete desselben wird den Sieg nicht allein verbürgen, sondern auch blutlos machen. Du wirst uns den Weg öffnen, Katharine, und ich bringe erst den Werbeoffizier auf die Seite. Seine Mannschaft wird sich dann ergeben, ohne einen Schuß zu thun. Vielleicht nimmt Griffith doch Vernunft an. Thut er es nicht; so werde ich mein Kommando nicht ohne einen derben kräftigen Widerspruch abtreten.«

»Gott gebe, daß dabei kein Kampf vorfällt!« seufzte leise Katharine, und ward bei den Bildern, die ihr die Phantasie vorführte, ganz bleich. – »Aber Barnstable! Feierlich, bei aller Deiner Liebe zu mir, bei Allem, was Du heilig achtest, beschwöre ich Dich, schütze um jeden Preis den Obersten Howard! Keine Entschuldigung, keine Ursache lass' ich gelten, daß mein alter, leidenschaftlicher, guter, starrköpfiger Vormund in Gefahr komme. Ich glaube, daß ich ihm bereits so mehr Sorgen gemacht habe, als recht ist, und, der Himmel verhüte es, daß ich Veranlassung zu einem ernstlichen Unglück für ihn werde.«

»Er soll sicher seyn, und nicht blos er! Jeder, der bei ihm ist! Wenn Du meinen Plan hörst, Katharine; so wirst Du es gleich begreifen. Drei Stunden sollen noch nicht über meinem Haupte hingegangen seyn; so siehst Du mich im Besitz der alten Abtei, und Griffith, ja Griffith muß sich schon bequemen, mein Untergebener zu seyn, bis wir wieder an Bord gehn.«

»Versuche nichts, wenn Du Dich nicht sicher fühlst, nicht blos gegen Deine Feinde den Vortheil zu behaupten, sondern selbst gegen die Freunde! Fest verlaß Dich darauf, Cecilie und Griffith sind zu zart und fein fühlend, als daß sie sich an Deine Pläne anschließen sollten.«

»Ja, da sieht man die Folge davon, daß er vier der besten Lebensjahre in den steinernen Mauern zubrachte, und über lateinischer Grammatik, Syntax und anderm solchen Unsinn schwitzte, statt sich in einer guten eichenholzenen Nußschaale einzuschiffen und höchstens zu lernen, wie ein Tagebuch geführt wird, und wo man nach einem Windstoß hingerathen ist. Eure gelehrten Schulanstalten mögen ganz gut für solche seyn, die von ihrem Kopfe leben sollen; aber ein Mann, der sich nie scheut, den Menschen auf's Korn zu nehmen, indem er ihm gerade in's Gesicht schaut, und der eben so fertig mit der Hand, als mit der Zunge ist, hat nicht viel Vortheil davon. Ich habe meine Lebtage gesehn, daß, wenn Jemand gut Latein las, er den Kompaß nicht recht verstand, und bei einem Windstoße in der Nacht sich nicht zu helfen wußte. Griffith macht eine Ausnahme. Er ist ein Seemann, ob er gleich sein neues griechisches Testament lies’t. Gott sey Dank, ich war gescheidt genug, gleich den zweiten Tag aus der Schule zu laufen, als sie mir eine fremde Sprache beibringen wollten, und ich glaube, bei aller meiner Unwissenheit bin ich ein eben so guter, wo nicht ein besserer Seemann!«

»Wir wollen nicht davon reden, was man aus Dir, unter andern Umständen, gemacht hätte, Barnstable!« bemerkte sein Mädchen hierbei mit der kleinen Bosheit, die sie nicht immer unterdrücken konnte, und wenn sie auch auf Kosten dessen geübt werden sollte, den sie am Meisten liebte. »Aber ich denke, bei gehöriger Leitung wäre doch wohl ein ziemlich guter Prediger aus Dir geworden!«

»Ach, weil Du von dem sprichst; so muß ich Dir doch sagen, daß wir Einen im Schiffe bei uns haben! Aber höre jetzt meinen Plan! Vom Priester wollen wir reden, wenn sich wieder die Zeit dazu findet.«

Er theilte ihr nun die Art mit, welche er sich ausgedacht hatte, um die Abtei in der Nacht wegzunehmen. Alles war so klar, daß Katharine, trotz ihrer Furcht, Borroughcliffe werde einen Wink erhalten haben, allmählig glaubte, es könne glücken. Der junge Seemann lösete jeden ihrer Zweifel rasch und feurig, wie ein Mann, der nur auf Vollziehung seines Planes bedacht ist. Hundert Hülfsmittel wußte er, die wohl zeigten, daß er bei Unternehmungen, welche Geistesgegenwart erfoderten, kein zu verachtender Feind war. Daß Merry fest bleiben und schweigen würde, war ihm ausgemachte Sache. Die Flucht des Tabuletkrämers wußte er. Allein er bemerkte, daß jener Niemanden von seinen Leuten gesehn, ihn selbst aber gewiß für einen Strauchdieb gehalten hätte.

Kleine Absprünge unterbrachen freilich öfters die Mittheilung des Planes. Sie hingen mit der eigenen Stimmung der Liebenden zusammen. Mehr als eine Stunde war dahin, als sie sich trennten. Endlich erinnerte Katharine, wie geschwind die Zeit hingehe, wie viel zu thun sey. Widerstrebend willigte er ein, sie nach der Pforte zu geleiten, und hier schieden sie.

Miß Plowden nahm bei der Rückkehr dieselben Vorsichtsmaßregeln, die sie beim Herausgehen beobachtete. Sie wünschte sich selbst Glück, daß Alles so gut abgelaufen sey. Da sah sie im Dunkel eine männliche Gestalt, die dem Scheine nach, in einiger Entfernung zu folgen, und jede ihrer Bewegungen zu beobachten schien. Die Gestalt hielt indessen an, als sie stehen blieb, um einen prüfenden, unruhigen Blick darauf zu werfen. Dann zog sie sich in den Hintergrund des Parkes zurück. Katharine glaubte, es sey Barnstable, der von ferne für ihre Sicherheit wachen wolle. Sie langte daher, voller Freude über des Geliebten Besorgniß, ohne alle Furcht an.


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